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Die Arithmetik der Gerechtigkeit

Nicht viele Athener können sich mit solchen praktischen, kapitalorientierten Vorschlägen anfreunden. Die Philosophen suchen vielmehr nach dem ewig gültigen Maß, dem Prinzip einer göttlichen Ordnung auf Erden. Sie wollen den „großen politischen Wurf“ – und landen deshalb nicht bei Xenophons regionalen Initiativen, sondern beim universalen Weltprojekt des Philosophen Pythagoras12 (um 570 – nach 510 v. Chr.). Der ist ein sagenumwobener Mann. Die Legende will es, dass er mit Bären und Adlern sprechen konnte und die himmlischen Sphären habe klingen hören. Historisch verbürgt ist nur sein Wirken in Kroton in Süditalien. Dort lebten er und seine Jünger nach strengen Regeln eines Ordens, der auch die Geschicke des zugehörigen Stadtstaates bestimmte. Die etwa dreihundert Erwählten unterzogen sich täglichen Exerzitien, übten sich in Ehelosigkeit, strenger Diät und mehrjährigem Schweigen als Initiationsritus.

Seine Philosophie entwirft Pythagoras aus der Ansicht, dass die Welt einem ewigen Widerstreit der Dinge unterworfen sei. Nur die Mathematik sei von diesem Wechselspiel von Sünde und Vergeltung ausgenommen. Die Zahl ist demnach die Konstante des Universums. Daraus konstruierten die Pythagoräer eine „optimale“ Gesellschaftsordnung, die sich an der mathematischen Ordnung orientiert. Die Zahl 10 ist demnach der höchste Punkt einer Entwicklung, sie symbolisiert den perfekten Staat. Die Zahlen 9 und 4 als Quadratzahlen der niedrigsten potenzierbaren Zahlen 3 und 2 galten als der Gerechtigkeit am nächsten. Aus der Funktion der Zahl 3 und ihrem Ziel, der Gerechtigkeit, ermittelten sie nun die drei wichtigsten Staatsfunktionen: Gesetzgebung, Exekutive und Judikatur. Die Herrschaft über das System hat nach Pythagoras immer ein König inne. Demokratie verachtet er.

So stehen einander schließlich mathematische Mystik und Demokratie gegenüber, wobei Letztere die eindeutig schlechtere Position innehat. Einer ihrer wenigen Verteidiger war Demokrit von Abdera13. In seinen Fragmenten zur Ethik finden wir die ersten Anklänge des kategorischen Imperativs. Die Gemeinschaft beruht nach seinem Dafürhalten auf der Erfahrung des Nutzens, Gesetze in Überfülle seien ebenso schädlich wie das Fehlen von Gesetzen: „Die Gesetze würden nichts dagegen haben, dass ein jeder nach seinem Belieben lebte, wenn nicht der eine den anderen schädigte.“ Dem entsprechend ist das Austarieren von Eigennutz und Gemeinnutz die eigentliche Staatsfunktion: „Die Pflichten der Polis soll man unter allen für die größten halten, auf dass diese gut verwaltet werde, denn eine wohlverwaltete Polis ist die größte Stütze. Ist sie gesund, so bleibt alles gesund, geht sie zugrunde, geht alles zugrunde.“

Die Ideen von Pythagoras und Demokrit werden prägend sein für die beiden Basismodelle von einer gerechten Gesellschaft und der Verteilung der Güter, zu denen wir nun kommen. Entlang diesen beiden Extremen – dem Maß und Zahl gewordenen Idealbild eines Staates einerseits und dem Primat des nutzenorientierten praktischen Verstandes andererseits – entwerfen die Hauptvertreter der griechischen Philosophie, Platon und Aristoteles, ihre Theorien. Der Idealist steht erstmals gegen den Realisten.

Platons Wächterstaat

Reich an Gütern starb im Jahre 348 v. Chr. der Philosoph Aristokles, aufgrund seiner Physiognomie auch „der Breitstirnige“ – Platon – genannt. Dieser Spross eines athenischen Aristokratengeschlechts steht an der Wiege des philosophischen Idealismus. Er war es, der in seinen maßgeblich von Pythagoras beeinflussten Werken Der Staat und Die Gesetze die Utopie eines Gemeinwesens und einer Ökonomie entwarf, die als erste philosophische Spielart des Kommunismus in die Geschichte einging.

Die attische Demokratie hielt Platon für minderwertig, was nicht heißen will, dass er einen Hang zur Diktatur gehabt hätte. Die bereits geschilderte Herrschaft des korrumpierten Pöbels dürfte einen großen Anteil daran gehabt haben, dass Platon sich nach anderen Staatsmodellen umsah. Unter den Zelebritäten eben jener Volksherrschaft in Athen war er jedenfalls nicht sehr beliebt. Aristipp, Molon und Xenophon schmähten den Mann in ihren Werken aufs Äußerste. Und auch unser Begleiter Diogenes macht sich einen Schalk daraus, Platons Vorlesungen zu stören. Als sich dieser bei seinen Studenten Applaus verschafft mit der Bemerkung, der Mensch sei ein federloses Wesen auf zwei Beinen, stürmt Diogenes Platons nächste Vorlesung mit einem gerupften Hahn und schreit: „Seht her, Platons Mensch!“14

Platon unterscheidet sich von seinen philosophischen Vorgängern zunächst dadurch, dass er ein begnadeter Schriftsteller ist. „Was er schrieb, war lieblich, wie der Zikaden Gezirp vom Hain des Hekademos“, schreibt sein Schüler Timon. Die Themen Religion, Moral, Logik, Philosophie, Staat und Recht behandelt Platon in Form von Dialogen, deren Hauptheld Platons Lehrmeister Sokrates ist.

Ob diese Gespräche Sokrates authentisch wiedergeben, darf bezweifelt werden. Der Meister selbst soll einmal gesagt haben: „Beim Herakles, wie viel hat der Junge bloß über mich zusammengelogen.“15 Doch das schmälert die platonische Kunst und den sokratischen Ruhm keineswegs. Denn wie kein anderer vermag Platon, dieses Gemisch aus Wahrheit und Erfundenem zu einem Gedankengebäude zu fügen, bis es solide wie aus Stein gemeißelt vor uns steht. Platon wird so Sokrates – und Sokrates Platon –, eine seit zwei Jahrtausenden erfolgreiche Legierung.

Der Philosoph landet in seinem beständigen Suchen immer wieder bei der Frage nach dem Sein an sich – und bei der pythagoräischen Transzendenz der Dinge. Wenn beispielsweise ein Mensch ein in den Sand gezeichnetes Quadrat betrachtet, sieht er eine geometrische Figur, deren Geraden in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Die Zeichnung selbst kann vom Wind leicht verweht werden. Das Quadrat als mathematisches Verhältnis aber ist unveränderlich und ewig. Die Realität kann demnach immer nur ein vergängliches Abbild einer Idee sein. Platons Schlussfolgerung: Wenn es eine reale Polis gibt, dann gibt es auch ein ewig gültiges Urbild dazu, das Ideal des perfekten, gerechten Staates.

Was aber zeichnet diesen besten aller Stadtstaaten aus? Ein Staat, meint Platon, ist ein Zusammenschluss von Menschen zu ihrem eigenen Vorteil. Ein jeder habe in diesem Gemeinwesen seine bestimmte Funktion. Der Baumeister kümmert sich um die Errichtung der Häuser, der Schuster um die Schuhe, der Bauer um die Produktion der Nahrungsmittel und so fort. Die Spezialisierung führt zu besserer Qualität und zu höherem Ertrag.

Weil nun ein jeder ein wertvoller Teil des Systems sei, gebiete es die Gerechtigkeit, dass niemand sich auf Kosten des anderen bereichere. Die Folgen: Keiner der Bürger darf mehr als das Vierfache eines anderen besitzen, Zinsnahme ist streng verboten: „Reichtum verdirbt die Seele des Menschen durch Genusssucht, die Armut wird durch ihren Jammer in das Gebaren selbst hineingetrieben.“16 Beides ist Platon zutiefst zuwider: Er will das Eindringen von Reichtum und Armut in die Polis „auf jede Weise verhüten“: „Denn jene erzeugt Üppigkeit, Faulheit und Neuerungssucht, diese außer Neuerungssucht auch niedrige Sinnesart und minderwertige Arbeitsleistung.“17

Die durch möglichen Güteraustausch und fremde Kaufleute hereingetragene „Reichtums-Versuchung“ wäre also eine viel zu große Gefahr für die Moral der Bewohner. Also wird für die ideale Polis auch ein Ort ohne Meereszugang gewählt, um den Seehandel fernzuhalten: „Denn indes die Meeresnähe dem Großhandel wie dem Kleinhandel Tür und Tor öffnet, erzeugt sie in den Seelen ein wetterwendisches und untreues Wesen und lässt in der Bürgerschaft den Geist der Treue und der Freundschaft gegen sich und die übrigen Menschen schwinden.“18

Ebenso gefährlich wie der Handel ist das Wachstum der Bevölkerung. Denn Wachstum bedeutet auch Drang nach einem größeren Territorium, das Nachbarn oder Feinden mit Gewalt abgerungen werden muss: „So haben wir also die Entstehung des Krieges gefunden“19, sagt Sokrates nachdenklich. Die Gewalttätigkeit des Wachstums erfordert also eine Kriegerkaste: die Wächter.

Dem pythagoräischen Vorbild folgend ist diese Elite eine Art strenge Ordensgemeinschaft. Wächter haben keinerlei Einkünfte, Eigentum ist ihnen verboten: „Was aber Gold und Silber anlangt, so muss man ihnen sagen, dass sie es von den Göttern als göttliches Gold in ihrer Seele haben und keines menschlichen außerdem bedürfen.“ Wächter unterhalten weder Ehe noch Familie und leben in gemeinsamen Unterkünften. Zudem gibt es eine „Weiber- und Kindergemeinschaft“, auf dass „Freunden alles gemein sein werde“. Dieses Bild entwirft Platon nicht aus „Lustgreiserei“, sondern zu Elitezuchtzwecken – es ist Rassenhygiene, die er anpreist.

In Platons Staat rekrutieren sich aus den Reihen der Wächter auch die Lenker des Staates. Gut ausgebildete, dem Gemeinwesen verpflichtete Philosophen sollten es sein. Auch sie bleiben ohne Eigentum, „denn sonst gibt es keine Erholung von dem Übel für die Staaten und auch nicht für das menschliche Geschlecht“20. Wieder zeigt sich Platons Ziel, jedes Erwerbsstreben von politischen Ämtern fernzuhalten. Doch auch die Vermögen der einfachen Bürger unterliegen im „Staat“ behördlicher Kontrolle und müssen ab einer bestimmten Höhe umverteilt werden. Auf geheimes Horten von Gütern steht strenge Strafe.

 

Diese Eigentumskontrolle und Beschränkung entspringt nicht irgendeiner Willkür des Philosophen. Sie beruht auf tief greifenden Überlegungen zur Freiheit menschlichen Handelns: Eine Gesellschaft, die den Egoismus über alles andere stelle, bringe das Gemeinwesen zu Fall und ende zwangsweise in der Diktatur: „Es schwindet jede Achtung vor den Gesetzen, gleich ob geschrieben oder ungeschrieben, um ja keinen Gebieter, welcher es auch sei, über sich zu haben.“ Wo keine Gesetze gelten, gilt bald das Recht des Stärkeren: „Das also ist der schöne und herrliche Anfang, aus dem die Tyrannis herauswächst, wie ich glaube.“21

Aristoteles: Harmonie gegen Untergang

Wir wollen uns an dieser Stelle noch einmal das Bild der griechischen Gesellschaft in Erinnerung rufen. Dieses Gewimmel von hochintelligenten, künstlerisch über die Maßen begabten, streit-, spiel- und kriegslustigen Menschen, die zur Zeit der dionysischen Mysterienspiele auch in kollektive Raserei verfallen konnten; deren wichtigstes bürgerliches Kleinod die Redekunst und das Theater waren (und die für den Theaterbesuch auch noch vom Staat bezahlt wurden); Menschen, welche die Arbeit tendenziell als Strafe der Götter ansahen, und deren Götter ja auch nur dann selbst an die Werkbank traten, wenn es darum ging, einem Kollegen unter den Olympischen eins auszuwischen.

Ein solcher Staat konnte zumindest für seine Elite nur auf Basis der Ausbeutung anderer funktionieren. Im Falle Athens und Spartas waren das Sklaven. Menschlichkeit wurde den Unterdrückten nur zum Teil zugestanden: Man nannte sie je nachdem „männlicher“ oder „weiblicher Körper“ – oder schlicht „Menschenfüße“. Arbeit und Wirtschaft blieben großteils auf den Landbesitzer, den Sklaven und den Nichtbürger, den Metöken, beschränkt.

Diese überall mitschwingende Verachtung jeder Erwerbstätigkeit mag mit ein Grund sein, weshalb nur wenige der griechischen Philosophen wirtschaftliche Überlegungen hinterlassen haben. Man braucht schon einen Gelehrten, der sich über wirklich alles Gedanken macht, um Ausführliches zum Thema zu finden. Einen solchen universellen Geist finden wir in Aristoteles.

Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) stammt aus Stagira, zwischen Thrakien und Makedonien gelegen. Sein Vater war der Hofarzt des Königs Nikomachos von Makedonien. Im Alter von 18 Jahren tritt Aristoteles in die Akademie Platons ein und bleibt dort zwanzig Jahre. Das ist insoferne erstaunlich, als die beiden Charaktere und ihr Denken nicht unähnlicher hätten sein können.

Aristoteles stülpt der Welt kein Ideal über. Er studiert sie zunächst im Kleinen, beobachtet akribisch den Kreislauf von Werden und Vergehen, die Mechanik der Kräfte, und erst aus diesen tausenden Observationen leitet er das Wirken eines Prinzips ab: das des „ersten Bewegers“. Die Ordnung der Natur winde sich gleichsam eine Treppe der Entwicklung hinauf, von den Pflanzen, die noch in der Erde wurzeln, über die Tiere, die der festen Verbindung zum Boden nicht mehr bedürfen, hin zum Menschen und danach zu Geist und Seele. Es ist eine Ordnung in Richtung Vollkommenheit, die ein jeder – bewusst oder unbewusst – beschreitet.

Ganz ähnlich sind auch seine Betrachtungen zur Politik aufgebaut. Unten, am Fundament der menschlichen Gesellschaft steht nicht irgendein hehres Ziel, ein Ideal, dem alle folgen, sondern schlicht der Eigennutz: Die Bedürfnisse verbinden die Menschen miteinander, wäre dies nicht der Fall, „so würde überhaupt kein Verkehr unter den Menschen statthaben. So aber sind sie aufeinander angewiesen“.22

Seine ökonomischen Überlegungen beginnt Aristoteles bei der kleinsten Wirtschaftseinheit: dem Oikos – dem Haus und seinen Gesetzmäßigkeiten und Bedürfnissen. Er beschreibt die Arbeitsteilung zwischen Hausherrn, Familienmitgliedern, Sklaven und Haustieren. Es bedarf noch keines Tausches von Gütern. Der Oikos genügt sich selbst. In seiner Urform ist der Haushalt auf den Erwerb von Nahrungsmitteln ausgerichtet. Viehzucht, Jagd und Ackerbau sind nach Aristoteles die klassischen Instrumente der Nahrungsgewinnung – aber auch die Räuberei.

Die nächsthöhere ökonomische Stufe ist der Tausch von Waren. Der Tausch dient dem Erwerb von Wertgegenständen. Die Bedürfnisse führen die Menschen dazu zusammen. Der Wert der getauschten Gegenstände ist nicht absolut, sondern wird vom Menschen subjektiv verliehen. Aristoteles nennt dabei zunächst den Nutzen, der dem Gegenstand beigegeben wird, und schließlich auch die Arbeit: „Gut ist, wofür viel gearbeitet und aufgewendet wird; denn schon deswegen erscheint etwas gut und wird als ein Ziel betrachtet.“23

Er hat damit einen Mechanismus erkannt, den man später als „Mehrwert“ bezeichnet hat: die Veredelung, welche ein Gegenstand durch Arbeit erfährt. Aber Aristoteles geht weit darüber hinaus: Er erfasst den Mechanismus von Angebot und Nachfrage und eine primitive Form des Gleichgewichtspreises, mit dem er später die Ideen von Thomas von Aquin bis Adam Smith beeinflussen sollte. Kurz fasst er es so: „Es ist der Bedarf, der alles zusammenhält“, und „alles muss geschätzt werden“. Der Schuhmacher, der für Schuhe Getreide eintauschen will, vergleicht vor dem Tausch den Wert seiner Ware mit dem Angebotenen, und nur wenn er eine Gleichheit feststellt, kommt es zum Tausch, vorausgesetzt, dass auch die Gegenseite so urteilt. Aristoteles nennt dies „Angemessenheit“, bei der sich „das Ganze zum Ganzen wie das Glied zum Glied verhält“.24

Auf dieser Basis errichtet Aristoteles nun sein System der Verteilung der Güter und des Reichtums. Zunächst warnt er davor, dass der Tausch um des Tausches willen als „künstliche“ Form des Erwerbs „kein Ende und keine Schranken mehr kennt“.25 Das gilt vor allem für das Medium, das den Handel um des Handels willen erst ermöglicht: Geld. Für Aristoteles ist es zunächst ein Wertmaß, eine gesellschaftliche Übereinkunft. Zum Zwecke des Tausches verwendet, ist Geld durchaus von Nutzen. Es besticht vor allem in seiner Eigenschaft, den Wert nicht nur zu symbolisieren, sondern auch zu halten. Der Geldwert konserviert also den Gegenwert eines Tauschgeschäfts und kann zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt die Tauschkette fortsetzen.26 Er ermöglicht demnach „den Vergleich zwischen gegenwärtigen und künftigen Leistungen“.27

Dagegen hätte Aristoteles nichts einzuwenden, gäbe es da nicht den Zins. – Wir erinnern uns an die Schuldsteinpyramiden auf den Feldern Athens und die tausenden wegen Kreditschuld in Knechtschaft geratenen Bürger. Aristoteles wettert: „Es ist ein Missbrauch des Geldes, es nicht als Hilfsmittel des gesellschaftlichen Verkehrs, sondern zum Selbstzweck zu verwenden und so zum Vater anderen Geldes zu machen.“28

Für Aristoteles ist das „Chrematistik“, die „widernatürliche Erwerbskunst“. „Denn das Geld ist um des Tausches willen erfunden worden, durch den Zins vermehrt es sich aber durch sich selbst. Das Geborene ist gleicher Art wie das Gebärende und durch den Zins entsteht Geld aus Geld. Diese Art des Gelderwerbs ist also am meisten gegen die Natur.“29 Zur Erläuterung der Folgen der Geldgier führt Aristoteles seinen Schülern das sagenhafte Schicksal des König Midas vor Augen, der sich wünschte, alles von ihm Berührte in Gold zu verwandeln, und dabei übersah, dass er ja auch sein Essen berühren musste, und so vor goldenen Schüsseln verhungerte.

Die für Aristoteles ungewöhnliche Schärfe der Kritik entspringt vermutlich seiner Überzeugung, dass es vor allem die Chrematistik sei, welche die von ihm geforderte Gerechtigkeit im Staate gefährde. Solchen Missbrauch, „Wucher“, sagt Aristoteles dazu, müsse der Staat bestrafen. Um allen moralischen Defekten vorzubeugen, sollten wichtige Berufsgruppen wie Soldaten und Ärzte gänzlich vom unnatürlichen Gelderwerb ausgeschlossen sein: „Die Tapferkeit soll nicht Geld verdienen, sondern Mut erzeugen, und auch die Feldherrenkunst und die Medizin sollen dies nicht, sondern Sieg und Gesundheit verschaffen.“30

Der Staat solle darüber hinaus die Verteilung von Gütern, die Einhebung von Steuern, die Verteilung von „Ämtern und anderen Dingen“ überwachen.31 Und zwar nicht in der Form, dass alle Menschen gleich viel haben sollten, sondern, dass jeder das Seine erhalte, sodass die „Proportion“ des gesellschaftlichen Ranges und Verdienstes der Bürger gewahrt bleibe. Das ist der entscheidende Kontrapunkt zum kollektivistischen Modell Platons. Gemeineigentum ist Unsinn, meint Aristoteles: „Wenn jeder für das Seinige sorgt, werden keine Anklagen gegeneinander erhoben werden, und man wird mehr vorankommen, da jeder am Eigenen arbeitet.“32

Und doch gibt es einen Ausgleich. Der Reiche erhält zwar mehr an Ehren als der Arme. Aber wer mehr Geld und Ruhm hat, zahlt auch mehr: „Es widerspricht daher auch nicht der Gerechtigkeit, wenn der Reiche hohe, der Arme niedrige Steuern zahle.“33 Aristoteles nennt das die „austeilende Gerechtigkeit“.

Die gesellschaftliche Harmonie über den Staat herzustellen, ist für den Philosophen übrigens Grundvoraussetzung dafür, dass die Gemeinschaft funktioniert. Es ist eine immerwährende Verpflichtung, soll die Gemeinschaft nicht untergehen. Nicht der Tyrann, sondern der vollkommene Egoist ist für Aristoteles dabei der wahre Feind der Gesellschaft: „Der von Natur aus unstaatliche Mensch ist entweder ein Untermensch oder ein Übermensch“34 – und beide taugen nicht zum Gemeinwesen.

Daraus folgt das letzte warnende Credo: „Von Natur aus ist in allen Menschen der Trieb zur staatlichen Gemeinschaft der Urheber der größten Güter. Denn wie der Mensch in seiner Vollendung das vornehmste Geschöpf ist, so ist er auch bar der Gesetze und des Rechtes das schlechteste von allen. Deshalb ist er ohne Tugend das ruchloseste und roheste und bezüglich der Liebe und Gaumenlust das gemeinste Geschöpf. Denn die Gerechtigkeit ist staatlich.“35

Aristoteles erging es wie so vielen athenischen Größen. Nachdem er die Stadt mit seiner peripatetischen Schule zur Metropole des Geistes gemacht hatte, wollten ihm einige Bürger 323 v. Chr. wegen Religionsfrevel den Prozess machen. Aristoteles floh nach Chalkis. Ein Jahr später im Alter von 63 Jahren starb er, angeblich Sokrates nachahmend, durch den Schierlingsbecher.

Die Gedanken von Platon und Aristoteles über Wirtschaft und Gesellschaft werden Philosophen und Gelehrte der kommenden Jahrhunderte maßgeblich beeinflussen: Thomas von Aquin, Karl Marx und Adam Smith, um nur einige wenige zu nennen. Während Aristoteles das Mittelalter prägt, ist Platon der Philosoph von Reformation und Renaissance. In beiden Lehren wurzeln die heute geübten Staats- und Wirtschaftsformen: Kapitalismus, Sozialismus und die soziale Marktwirtschaft.

Damit verlassen wir Griechenland und wenden uns der römischen und frühchristlichen Zeit zu. Wir lassen auch Diogenes zurück, der uns mit einer seiner ätzenden Sentenzen verabschiedet: Weshalb Gold eine so blasse Farbe habe, will er wissen. Und als wir bloß die Achseln zucken, antwortet er grinsend: „Weil es die vielen fürchtet, die hinter ihm her sind.“36

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