Best of Unsinn

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Ein ganz normaler Tag im Leben des unglaublichen Jan Philipp Zymny – von Jan Philipp Zymny (also von mir)

Morgens, halb sieben, der Platin-Wecker, den ich an einer goldenen Kette um den Hals trage, klingelt – Rrrring! – Ach, was hab ich gut geschlafen. Eine Stunde ist auch mehr als genug. Ich dachte schon, der Wecker schellt gar nicht mehr.

Ich steige aus meinem antiken Himmelbett, in das schon Ludwig XVI. persönlich hineingepupst hat.

Montags bis donnerstags schlafe ich auf einer Matratze aus purem Gold, die 27 ostasiatische Arbeitssklaven für mich weichgeklopft haben ... mit ihrer Stirn!

Warum gerade 27? Weil es ab 28 Mengenrabatt gab und ich auf Rabatte scheiße, denn ich kann es mir leisten.

Ich trete in die fünf Kilometer lange Haupthalle, die komplett aus Marmor gefertigt ist. Bei mir zu Hause ist übrigens alles aus Marmor. Der Fußboden: Marmor! Die Wände: Marmor! Die Pflanzen: Marmor! Der Kuchen: Marmor! Meine Katze ist aus Marmor, sie heißt Carrara.

Ich gucke in den Spiegel, ich bin Eisen-Beißers böser Zwilling: Marmor-Beißer.

Ich setzte mich an den Marmor, nippe an meiner heißen Tasse Marmor. Igitt! Da fehlt ja Marmor!

Schnell gebe ich zwei gehäufte Löffel hinzu. Ahhh!

Plötzlich klingelt der Marmor und ich hole meinen hartgekochten Frühstücksmarmor aus dem Marmor.

Jetzt rasch ins Badezimmer und ab unter die Dusche. Aus der Leitung kommt nur feinstes Mineralwasser aus südfranzösischen Vulkanseen, handgeschöpft von Jungfrauen. Wusch – und fertig.

Puh, ist das kalt – wo ist denn jetzt mein Bademantel aus reinem Hummelfell? Ach, da ist er ja, direkt neben dem Gemälde von Salvador Dalí, das diese zerfließenden Uhren zeigt. Ein von mir bestellter Künstler hat Flavor Flav hineingemalt, der auf die zerfließende Uhr um seinen Hals guckt, und in einer Sprechblase darüber steht: »Fuck! Was hat der Surrealismus mit meiner Uhr gemacht, N****?«

Wo ist denn nur mein Butler? – »Johann! Zähneputzen!«

Eigentlich muss ich mir nicht die Zähne putzen, weil ich sie durch nachwachsende Haifischzähne habe ersetzen lassen, aber mein Butler darf sie mir zum Spaß putzen. Zu meinem, nicht zu seinem.

»Danke, Johann, und jetzt die Hand auf.«

Ich spucke hinein.

»Bring es weg, Johann.«

Heute fahre ich in die Stadt, um etwas einzukaufen. Ich weiß noch nicht genau, was, aber irgendetwas werden sie ja wohl haben. Meine Sänfte aus Stammzellen, die von einem Gespann aus sechs schneeweißen Zwerg-Elefanten gezogen wird, braucht drei Tage, bis die Grenze meines Grundstückes am Horizont zu erahnen ist.

Als ich fertig bin mit Einkaufen, höre ich ein kleines Mädchen, wie es seine Mama fragt: »Mama, warum gab es in dem Geschäft keine Teddybären mehr?«

Aber anstatt zu antworten, zeigt die Mutter nur in meine Richtung: Ich tanze um einen Berg aus brennenden Spielsachen! Zwischen den Teddybären und Puppen brennen vereinzelte Kinder, die im Geschäft nicht schnell genug waren.

Auf dem Nachhauseweg treffe ich einen Bettler. Er tut mir leid und ich schenke ihm eine Insel. Ich hab ja noch 23. Zu seinem Pech ist es Japan.

So viel Wohltätigkeit hat mich ganz ermattet. Statt eines Energy-Drinks breche ich ein iPhone auf und trinke die Batterieflüssigkeit.

Daheim setze ich mich hin und schreibe zwölf neue Texte, jeder von ihnen ist der beste Text, der je geschrieben wurde. Ich verbrenne acht davon sofort – weil ich es kann.

Danach nehme ich ein leichtes Essen zu mir. Es gibt Dodo in Blattgold. Um die Kalorien wieder loszuwerden, schwimme ich ein paar Runden im Pool – 1.036 sollten reichen. Ich will den Pool auch nicht zu sehr beanspruchen, schließlich war es sogar für meine Verhältnisse schwierig, ihn komplett mit Tränen von Waisenkindern zu füllen.

Wo ist denn nur mein Handtuch?

Ach ja, ich besitze gar keins! Stimmt ja, ich lasse mich doch immer von einer Flugzeugturbine trocknen. Danach werfe ich immer ganz gerne sehr teure Dinge in die Turbine und freue mich, wie sie zerschreddert werden. Heute ist Justin Bieber dran!

Jetzt muss ich aber los zu einem Poetry Slam in [Name der Stadt einfügen]. Ich fahre mit der Bahn, die extra für mich pünktlich kommt. Im Backstage-Bereich verlange ich Schokoladeneis auf Zimmertemperatur und Kaviar – von Grizzlybären.

Alle vier neuen Texte kommen super an. Oh, schade, da ist es auch schon vorbei.

Na ja, ich werfe den dicken Sack mit dem Euro-Zeichen auf den Rücken. Er enthält das Preisgeld im Wert von 20 Euro in Ein-Cent-Münzen, auf die drei Millionen dressierte Hamster mein Gesicht genagt haben. Ach, wie schön! Zu Hause werde ich sie in meinen Geldspeicher schütten – nur die Hamster selbstverständlich.

Zur Entspannung möchte ich heute etwas Musik hören. Ich klopfe an eine Klappe in der Decke. Als sie sich öffnet, kommt der Kopf des Dirigenten des russischen Staatsorchesters zum Vorschein:

»Sie wunschen?«

»Zunächst möchte ich Ihnen danken, dass Sie es geschafft haben, sich auf meinem Dachboden zu arrangieren.«

»250 Musiker in Kammerchen mit Dachschräge ist normal fur russische Staatsorchester ...«

»Interessiert mich nicht! Spielen Sie mir was von Beethoven – am besten das Intro der Pokémon-Fernsehserie!«

»Aber Intro von Pokémon-Fernsehserie ist nicht von Beethoven!«

»Dann spielen Sie es so, als ob es Beethoven komponiert hätte, Mann!«

Ich knalle die Klappe zu, und während es von oben tönt: »Ich will der Allerbeste sein ... Dadada! DA!«, warte ich auf den Sonnenaufgang ...

Mist, ich muss aufs Klo, aber mein Schlafzimmer ist so groß, dass ich die Türe nicht finden kann. Mein Schlafzimmer ist überhaupt so groß, dass an irgendeiner Stelle in meinem Schlafzimmer immer Nacht ist.

Ich rufe meinen Butler: »Johann! Hand auf!«

Ich pinkle hinein.

»Bring es weg, Johann!«

Danach lege ich mich auf mein Bett und warte auf den Sonnenaufgang und darauf, dass der ganze Spaß von vorne losgeht.

Expedition in den Kongo

Draußen vor dem Fenster gurrten die Dachdecker in ihrem Liebesspiel. Es musste wohl wieder Frühling sein, was bedeutete, dass er den Winter damit verbracht hatte, seinem Hund das Amputieren beizubringen.

Es war ein treuer Hund, der auf den Namen »Kleingeld« hörte, denn das fraß er am liebsten. Dann klimperte er immer so lustig – tsching! tsching! tsching! – wie ein kleines Sparschwein im Hundekostüm.

Um die Illusion perfekt zu machen, hatte sein Herrchen, der berühmte Entdecker Prof. Ernst Wotan Schmitt-Bauer, ihm eine Klappe in den Bauch geschnitzt. Wenn er einmal knapp bei Kasse war, konnte er so leichter das Kleingeld aus seinem treuen Gefährten holen.

Der Hund faszinierte den Professor, denn obwohl er etwa die Größe eines kleinwüchsigen Feldhamsters hatte, schaffte Kleingeld es, Häufchen zu machen, die exakt 28,3-mal so groß waren wie er selbst.

Der Professor hatte es ausgemessen, schließlich war er ein Professor. Und das ist das, was Professoren so machen – sie messen Scheiße. Manchmal starrte er tagelang den Hund an und fragte sich: »Wo kommt die ganze Kacke her?«

Frühling – das bedeutete, dass bald die Expeditions-Saison wieder losging. Mit der Pfeife im Mundwinkel überlegte er, wohin er dieses Mal expedieren konnte.

Ein Team hatte er schon. Alles erstklassige Männer. Da waren zum Beispiel: Hagen, der blinde Navigator, der sich bei einem schlimmen Sextanten-Unfall beide Augen ausgestochen hatte – er navigierte nur nach dem Geruch des Firmamentes über ihm –, Igor, der Hausdiener, der das Gepäck auf dem Buckel trug und auch schon mal das Schiff, und, nicht zu vergessen, sein treuer Hund Kleingeld, der keine besondere Funktion hatte.

Der Professor blickte auf die ausgebreitete Weltkarte. Für einen alten Entdecker wie ihn hatte die Erde nichts Neues zu bieten. Da half nur eins: der Weltraum! Oder Afrika. Potzblitz, Afrika hatte er noch nicht bereist. Wie konnte das sein? Es lag doch genau vor seiner Nase, groß und irgendwie erdnussflippsförmig. Wie hatte er es nur all die Jahre übersehen können? Das würde einen Aufruhr in der Fachwelt geben, wenn er Afrika entdeckte.

Einen Haken gab es jedoch an der Sache: Afrika war bereits entdeckt worden. 1821 hatte der Archäologe Dr. Rainer B. Afrika bei Ausgrabungen zufällig diesen kleinen, versteckt am Rand gelegenen Kontinent gefunden.

Na gut, entdeckte er Afrika eben ein zweites Mal, nur um zu kontrollieren, ob alles noch an der richtigen Stelle war.

Fürs Erste würde der Kongo seinen Ansprüchen genügen. Die Route war einfach: über Ägypten, den Sudan, weiter nach Kamtschatka, am Schwabenland und Irkutsk vorbei und über das Auenland.

Ein gefährlicher Weg, den man aber gut durch die sechste Dimension abkürzen könnte, wenn man wüsste, wie. Doch davon war dem Professor nichts bekannt, sein messerscharfer Verstand befasste sich mit der Frage, ob Bienen, wenn man sie mit Heavy-Metal-Musik beschallen würde, statt Honig Senf produzierten. Eine entsprechende Versuchsreihe hatte er sich schon überlegt.

Plötzlich stürmte Igor, der Hausdiener, ins Arbeitszimmer und riss Ernst Wotan Schmitt-Bauer jäh aus seinen Gedanken: »Meister, die Lady ist aus der Stadt zurückgekehrt. Ich habe getan, was ich konnte, aber sie bestand darauf, die Kutsche selbst zu lenken. Bitte bestraft den armen Igor nicht zu hart.«

Der Professor wollte nie einen Igor, er wollte lieber einen Butler Modell Johann, aber irgend so ein neureicher Schnösel in einem seltsamen schwarz-gelben Bademantel hatte ihm den letzten Johann weggeschnappt und so blieb ihm nur ein Igor übrig.

»Vergiss es, Igor, pack die Ausrüstung zusammen, wir machen eine Expedition in den Kongo.«

 

Wenige Tage später ritt sein Team durch den Sand der ägyptischen Wüste. Alle saßen sie auf stolzen Arabern, nur für Igor war keiner mehr übriggeblieben und so musste er sich mit einem Kamel begnügen.

Erbarmungslos brannte die Sonne vom Himmel und die Männer schwitzten, der Professor jedoch nicht. Schon vor langer Zeit hatte er sich die Achselhöhlen zutätowieren und dann von der Firma DuPont mit Klarlack versiegeln lassen.

Auf einmal blieb Igors Kamel stehen.

»Was ist los, Igor? Warum kommst du nicht nach?«, rief Professor Schmitt-Bauer nach hinten.

»Meister, ich habe das Kamel abgewürgt und jetzt springt es nicht wieder an! Bitte schlagt den armen, alten Igor nicht zu hart dafür«, schallte es zurück.

»Dann nimm es auf den Rücken, Igor«, antwortete er. »Wir müssen weiter, aber wir halten an der nächsten Werkstatt, versprochen.«

Der heißblütige Araber, auf dem Schmitt-Bauer saß, stieg hoch. Er rief etwas, das nach »Halili fatach fatach arahàsh bin iben sumohkum merhabber!«1 klang. Obwohl der Professor nicht verstand, kraulte er seinen Reit-Orientalen hinter den Ohren. Das schien den Mann zu beruhigen, der daraufhin seinen Herrn anstandslos weitertrug.

Einen Monat später hatten sie die Grenze zum Sudan erreicht. Sie hatten an der Werkstatt allein drei Wochen auf die Ersatzteile für das Kamel warten müssen. Schon als der Mechaniker die Motorhaube anhob, stieg dicker, schwarzer Rauch auf.

»Oh, oh, oh, dat wird nich billich«, hatte er gesagt.

Sein Name war Ralle ibn Mustafa ibn Achmed bin Raschinski III. Er stammte aus einer alten Kamel-Mechaniker-Dynastie aus Dortmund, die vor langer Zeit in die Wüste emigriert war, da sie in Deutschland keine Arbeit fand.

»Das is hier n kompletter Totalschaden an nem 74er Opel Kamel, da hab ich keine Ersatzteile für da, dat kann ich Ihnen sagen.«

Von dem Expeditions-Team war kaum noch was übrig. Die Männer waren entweder verdurstet oder vor Hitze wahnsinnig geworden. Professor Schmitt-Bauer zählte am Grenzübergang, wie viele es bis hierher geschafft hatten. Von 130 Forschern und Sherpas waren neben Igor, Kleingeld und Hagen nur die Schlittenhunde übriggeblieben, den Rest hatte die Sonne zu traurigen kleinen Schrumpelmännlein vertrocknet.

Plötzlich passierte etwas Seltsames ... Die Pferde verwandelten sich für den Bruchteil einer Sekunde in Zebras und liefen dann weiter, aber als Pferde VERKLEIDET! Jetzt erwischte es ihn anscheinend selbst – der gefürchtete Hitzschlag. Er musste umkehren, die Expedition abbrechen. Das Risiko war zu groß. Das konnte er seinen Männern gegenüber nicht verantworten.

Noch bevor sie den Kongo überhaupt erreicht hatten, mussten sie umdrehen. Wahrscheinlich würden sie alle auf dem Rückweg durch die Wüste sterben. Da kam dem Professor eine Idee: Sie hätten auch einfach mit dem Flugzeug fliegen können!

Wenige Stunden später saßen Kleingeld, Hagen, Ralle, den sie einfach mitgenommen hatten, und er selbst in der ersten Klasse eines Fliegers, nur für Igor war mal wieder kein Platz gewesen. Er hatte sich an den Tragflächen festkrallen müssen, was anfangs noch echt schwierig gewesen war, doch jetzt hatten sie ihre Reiseflughöhe erreicht, und sofern der Professor das durch die Fenster beurteilen konnte, war Igor mittlerweile 1a festgefroren.

Alles klar, dachte Ernst Wotan und zog die Blende des Fensters zu. Welche Abenteuer und Mysterien mochten ihn wohl im Kongo erwarten ...

Nanu? Die Geschichte reißt kurz vor ihrem Höhepunkt auf einmal ab?

»Wie kann das sein?«, fragst du dich jetzt bestimmt. Das, mein lieber Leser, hat nichts damit zu tun, dass die Geschichte schon jetzt das Fünf-Minuten-Zeitlimit eines Poetry-Slam-Textes weit überschritten hat – nein, es handelt sich dabei um einen von mir geschickt platzierten Cliffhanger! Die Geschichte wird nämlich im nächsten Buch fortgesetzt.

Das ist eine ganz perfide Marketingstrategie ...

Wie bitte? Übler Kommerz soll das sein?

Na, hör mal, von irgendwas muss ich doch auch leben, oder?

Machen wir lieber mit dem nächsten Text weiter ...

Igel-Geschichten

Peter Reichenbach, 39 Jahre alt, Fern- und Kurierfahrer, raste durch die Nacht. Seit 12 Stunden war er jetzt auf Achse. Die Geschäfte liefen schlecht in der kleinen Speditionsfirma. Leute waren entlassen worden, doch er hatte Glück gehabt, dafür musste er allerdings nun die Tour von zwei Fahrern bewältigen.

Seine Augenlider schienen aus Blei zu sein, aber die Chemikalien für das Fotolabor mussten ankommen. Der Lieferwagen überrollte irgendwas. Er geriet ins Schlingern. Auf einmal hellwach, gelang es Peter Reichenbach gerade noch, den Wagen unter Kontrolle zu bringen. Ein Blick in den Spiegel:

Nur ein Igel oder so. Alles klar.

Ihm fielen fast die Augen zu …

Melanie Christoph, 20 Jahre alt, Studentin, schlenderte durch die Nacht nach Hause. Ein Lieferwagen preschte an ihr vorbei und ließ ein trauriges Etwas da zurück, wo ein waghalsiger Igel die Straße zu überqueren versucht hatte. Lange betrachtete sie den zerquetschten Kadaver des Tieres. Nachdem der erste Anflug von Ekel vergangen war, wurde Melanie von einer seltsamen Melancholie erfasst. Das Blut, die abgeknickten Stachel und die Innereien, all das vermengt zu einer grausamen Farbe und von den Reifen wie im Druckverfahren auf die schwarze Leinwand aus Asphalt aufgetragen.

Melanie weinte fast, als sie ihre Kamera hervorholte und die Szenerie digital festhielt. Zu Hause legte sie einen Schwarzweißfilter über das Bild, dann lud sie es bei Facebook hoch.

Berührt klickten noch in derselben Nacht 154 ihrer Freunde auf »Gefällt mir«.

Um Mitternacht auf der anderen Seite der Stadt traf sich Frau Reichenbach mit ihrem Liebhaber. Er hatte kein Kondom und sie die Pille nicht genommen, aber es war ihr egal, weil sie sich einsam fühlte.

Zur gleichen Zeit machte Robert S. sich für seinen allnächtlichen Rundgang zurecht. Tagsüber war der 19-Jährige Azubi im Labor für Fototechnik der Polizei, nachts rannte er nur mit einem Baseballschläger bekleidet durch die Straßen und erschlug Igel – so auch heute.

Neun Monate später …

Melanie ist mit ihrem Foto »Vergänglichkeit des Seins Teil 1 – Igelinstallation« bekannt geworden. Ein paar Fotowettbewerbe hat sie gewonnen und ihre Internetseite www.unterArt.org wird täglich rund 2.250 Mal aufgerufen. Neuerdings nennt sie sich Mel C. Auch ihre anderen Fotografien von überfahrenen Kaninchen, Wildunfällen und aufgespießten Vögeln sind in gewissen Kreisen sehr begehrt.

Heute Abend ist ihre erste eigene Ausstellung, für die sich Melanie ein besonders Outfit überlegt hat. Mit Gel formt sie aus ihrem dunklen, kurzen Haar eine Igelfrisur, die sie durch gelbe Gummistiefel, eine Netzstrumpfhose und eine Skijacke ergänzt. Sie will mit ihrer Kleidung gegen gesellschaftliche Konventionen rebellieren und provozieren.

Anselm Groeben, 28, Kunstsammler, Hipster und Kassierer bei Penny, geht zur Ausstellung einer jungen Künstlerin in einer kleinen, unbekannten Kellergallerie. Nur sie schafft es seiner Ansicht nach, die Sinnlosigkeit des Lebens und das Tierische im Menschen richtig einzufangen. Ihre Internetseite befindet sich auf Platz eins seiner Favoriten und er hat vor, einige ihrer Werke zu kaufen, weil sie sich gut in seinem Bad machen würden.

Danach wird er sich mit einer Frau in einer Bar treffen, mit der ihn nichts verbindet außer dem gemeinsamen Geschlechtsakt.

Sandra Reichenbach ist allein. Ihr Mann ist Fern- und Kurierfahrer und selten zu Hause. Dann sehnt Sandra sich nach ihrer Affäre, die sie noch in dieser Nacht treffen wird, um ihm zu sagen, dass sie von ihm im neunten Monat schwanger sei.

Währenddessen steht Robert S. nackt vor dem Spiegel und streichelt seinen Baseballschläger.

Gleich ist es Mitternacht …

Mel C. schlendert von der Galerie heimwärts. Bedauerlicherweise hat ihr Outfit weit weniger Aufregung erzeugt, als sie gehofft hatte. Ein paar ihrer Fotografien jedoch wurden tatsächlich verkauft. Sie ist glücklich.

Fern- und Kurierfahrer Peter Reichenbach jagt über die nächtlichen Straßen. Ziemlich lange war er jetzt nicht mehr daheim und er fragt sich, was seine Frau wohl gerade tut.

Zur selben Zeit sitzt Sandra Reichenbach in einer Bar. Im Hintergrund läuft ihr unbekannte Musik. Sie wartet …

Robert S. ist in diesem Moment auf der Pirsch. Er hat hinter einer Hecke einen Igel ausgemacht. Langsam schleicht er sich an und holt aus …

Melanie Christoph geht an einer Hecke entlang. Bald ist sie zu Hause.

Robert S. zielt …

Mel C. hört ein Rascheln ...

Er schlägt zu ...

Der Baseballschläger trifft sie mitten auf der Schädeldecke.

Im gleichen Augenblick platzt Sandras Fruchtblase. Ein geistesgegenwärtiger Barkeeper ruft den Krankenwagen.

Das Kind kommt drei Wochen zu früh.

Zufrieden zieht Robert S. von dannen. Gerade hat er einen besonders großen Igel erlegt, das bedeutet eine ordentliche Kerbe auf seinem Schlagholz. Dass an dem Igel ein Frauenkörper hing, stört ihn nicht.

Anselm betritt die Bar. Sandra ist nicht da. Gut. Er wollte eh mit ihr Schluss machen, weil sie fett geworden war. Dafür hatte er drei neue Fotografien, an denen er sich erfreuen konnte.

Melanie ist tot. Das weiß sie. Es ist dunkel und sie fühlt sich warm und geborgen. Dann: ein Licht! Sie fühlt sich unbehaglich, ohne zu wissen, was vor sich geht. Etwas drückt sie nach vorne. Immer stärker. Auf einmal ist alles nass und schleimig. Um sie herum wird es enger und heller. Alles an ihr schmerzt.

Plötzlich ist Melanie frei. Ein grelles Oberlicht strahlt direkt in ihre unterentwickelten Augen. Sie schreit. Ein Weißkittel mit Mundschutz hält sie auf dem Arm.

Sandra Reichenbach hat gerade ihr erstes Kind geboren. Es ist ein Mädchen und nicht von ihrem Mann.

Anselm ist äußerst zufrieden. Von einem Azubi aus dem Fotolabor der Polizei hat er unter der Hand das letzte Werk der Mel C. gekauft. Dabei handelt es sich um eine Aufnahme der Spurensicherung von Melanie Christophs Leiche. Sie ist selbst zu ihrer Kunst geworden.

Die Ironie an der Sache gefällt Anselm. Er findet das unbezahlbar, da sind die 250 Euro, die dieser Robert aus dem Fotolabor haben wollte, kein Preis.

Anselm tritt auf die Straße …

Gleichzeitig rast Peter Reichenbach durch die Nacht. Sein Herz pumpt eine 1:1:1-Mischung aus Blut, Kaffee und Speed durch seine Adern. Seit 26 Stunden ist er jetzt wach, aber er muss ins Krankenhaus. Er ist Vater geworden.

Sein Lieferwagen überrollt irgendwas. Ach, bestimmt nur ein Igel …

Anselm ist tot. Das weiß er.

Ein andalusischer Hund

In der Innenstadt steht ein Straßenmusikant, der furchtbar falsch und schief spielt. Da kommt eine Gruppe nackter Männer vorbei, die, als sie ihn sehen, eine Geste machen, als fassten sie sich in die Hosentasche.

Plötzlich sind ihre Hände mit Kleingeld gefüllt und sie werfen das Kupfer auf den Musikanten. Danach ziehen sie weiter zum Theater.

Die Straße in der anderen Richtung herunter steht eine Bar. Ihr Boden ist bedeckt mit Zigarettenpackungen, Nussschalen und klebt leicht.

Rauch hängt unter der Decke und wabert um die Lampen-Schirme. In der Ecke sitzt eine Gruppe Anzüge und raucht dicke Zigarrenschachteln. Sie trinken eine Flasche Scotch und lachen über schlechte Pointen: »Das Problem ist: Ich habʼs gestern vergessen, Ihnen zu sagen! HAHAHAHA!«

An der Theke sitzt ein rotes Cocktail-Kleid und nippt am Glas. Da kommt eine Lederjacke hinzu und sagt: »Komm mit, ich zeig dir meinen Wandschrank.«

Das Cocktail-Kleid verpasst ihm eine Ohrfeige.

Vor der Bar stehen zwei Männer. Der eine ist zerlumpt und schlägt einen augenscheinlich sehr reichen Mann mit einer Plastiktüte, wo ein Käsebrot drinne is.

Der reiche Protz wirft in graziler Haltung Rolex-Uhren, Kaviar und Hummer nach seinem Rivalen.

Ein Klümpchen Fisch-Laich trifft den armen Mann im Auge; blind stürzt er zu Boden. Der Sieger zieht einen Golfschläger und bringt die Sache zu Ende, dabei schreit er immer wieder: »In einer Welt, in der alles möglich ist, ist es egal, ob etwas gut oder schlecht ist!«

Danach durchsucht er den anderen, nimmt das Münzgeld, wirft es in einen Hut und setzt sich dahinter auf den Boden.

Auf der anderen Straßenseite steht eine Gruppe Frauen und sie wiegen ihre Kinder auf den Armen. Jeder der Säuglinge hat einen Fernseher, da, wo der Kopf sein sollte.

 

Sie blicken in das Schaufenster eines Ladens, in dem Baby-Köpfe in Reihen ausgestellt sind. Ein Mann mit einer Fernbedienung steht dahinter und schaltet sie einen nach dem anderen ein, worauf die Köpfe sofort zu plärren beginnen: »Rufen Sie an und gewinnen Sie drei ... ach, komm, fünf Geldpakete und einen kostenlosen Einlauf. Schnell, schnell, schnell, der Hot-Button! Ohhhargh! Der Hot-Button! Ich raste AUS! Schnell, ruft an und sag mir endlich einer: Was ist die Farbe von Grün? Zugeschlagen! Was ist Ihre Lösung?«

»Ähm ... Hallo, mein Name ist Günther ...«

»Falsch, falsch, falsch! Und außerdem ist die Farbe von Grün nicht BACKFISCH!«

Tief, tief unter dem Studio in einer Kanalisation unter der Kanalisation, wo die Scheiße ihre Scheiße hinabspült, lebt der Moloch.

Er sitzt da auf seinem Thron aus VHS-Kassetten und lauscht in die Welt hinauf. Alles Schlechte und Zweideutige und Minderwertige, alles, was stört, verblödet und siecht, nimmt er in sich auf.

Und der Moloch wächst und wächst und wächst.

Er hat keine Augen und keine Nase, aber große Ohren und ein sabberndes Maul, was man jedoch nicht sieht, weil er eine Schweine-Maske trägt.

Ein Streichquartett spielt darüber, doch niemand hört es, denn daneben steht die Bibliothekarin und macht »Sh!«, aber die Bibliothek ist leer, bis auf einen Zwerg, der Bücher aus dem Regal nimmt.

Er wirft sie vor sich hin und hüpft auf ihnen zum nächsten Regal. Dort angekommen holt er sein Schifferklavier raus und beginnt, zu spielen.

Da rennt die Bibliothekarin zu ihm herüber und macht »Sh!«, der Zwerg hört auf, zu spielen, doch in dem Moment setzen die Streicher wieder ein und die Frau rennt zurück, als sie ankommt und sh-t, spielt der Zwerg wieder.

Sie rennt zurück. Sh!

Die Streicher. Sh!

Die Frau. Sh! Sh!

Die Streicher. Sh!

Die Frau. Sh! Sh!

Der Zwerg. Sh!

Die Frau. Sh! Sh!

Die Frau! Sh! Sh! Sh!

Zwerge, Streicher, die Frauen!

Sh! Sh, Sh, Sh, Sh, Sh, Sh, Sh, Sh, Sh, Sh!

Die Bibliothekarin hat sich in eine Dampflok verwandelt, die von Station zu Station pendelt, wobei Zwerg und Streicher langsam zu zwei Kopfbahnhöfen werden.

Und ich sitze in der Lok und ziehe mir das Gesicht von der Haut und darunter kommt ein Arsch zum Vorschein, aus dem Worte tropfen wie Blut aus dem kaputten Wasserhahn einer Badewanne.

Am Grund hat sich schon eine kleine Pfütze gebildet und auf einmal bemerke ich, dass ich in der Badewanne sitze. Ich trage einen Neopren-Anzug und ich schreie. Ich schreie mir die Seele aus dem Leib, weil ich ertrinke und niemand da ist, um mir zu helfen.

Ich strample in der Pfütze und schreie und flehe, doch niemand hilft mir.

Es ist kalt.

Ich reibe mich mit Geld ein und spüre, wie die Kälte sich auf meiner Seele, aber ein Lächeln auf meinem Gesicht und ein warmes Gefühl in meiner Brieftasche ausbreiten. Auf einmal verschwinde ich.

Drei Tage später finde ich mich selbst in der sechsten Dimension wieder, womit mein Selbstfindungsprozess endlich abgeschlossen ist.

Um mich herum sehe ich einzelne Socken. Klagend rufen sie nach ihren Partnern, die in den Wäschetrocknern der Wirklichkeit zurückgeblieben sind. Ich ernähre mich von Klischees. Sie schmecken wie Hühnchen.

Und wer alle Metaphern und Symbole in diesem Text verstanden hat, DER DARF SIE BEHALTEN!

Tagebuch eines Verschollenen in einem bekannten schwedischen Möbelhaus – Teil I

Tag 1 – Wo bin ich?

Habe mich im IKEA verlaufen! Wollte eigentlich nur einen Tausender-Beutel Teelichte für meine Freundin kaufen, um zu sagen: »DA, Schatz! Da, nimm sie hin. Es sind Teelichte. Ich habe sie für dich gejagt, damit du keine mehr brauchst – nie mehr! Ich sah tausende und abertausende von Teelichten und hab sofort an dich gedacht, obwohl du nicht das hellste unter ihnen bist ...«

Überlege mir, ob ich das wirklich sagen will ... Nein, so was sagt man nicht ...

Hab dann jedenfalls irgendwo zwischen Computertischen und Deko-Elementen die Orientierung verloren, noch bevor ich die Teelichte überhaupt erreicht hatte. Hat sich das auch geklärt.

Glaube, die Sonderangebote haben mich in eine fiese Falle gelockt. Schreibe dieses Tagebuch auf die Rückseite von IKEA-Einkaufszetteln.

Falls sie eines Tages meine verweste Leiche bei den Handtüchern finden, sollen sie wissen, wie ich verreckt bin, damit sie Warnschilder aufstellen können, auf denen steht: »Smörrebröd, Smörrebröd, römpömpöm!«

Kein Ausgang in Sicht.

Zweite Woche – Abteilung Esstische

Heute mit mir diskutiert, ob ich nicht schizophren werde, um endlich einen Gesprächspartner zu haben. Fühle mich nämlich als einzelner Verschollener in der Gruppe der Kunden sozial isoliert.

Habe viel Zeit, mir solche Formulierungen auszudenken. Sehr viel Zeit ...

Entschied mich dagegen, schizophren zu werden, konnte mich nicht davon überzeugen, hatte einfach die besseren Argumente ... als ich.

Gerade Bäbä mit Jamjam gegessen. Schmeckt komisch, muss schwedisch sein.

Kein Ausgang in Sicht.

Dritte Woche – Abteilung Matten und Fußabtreter

Freundete mich wegen akuter Einsamkeit mit Borris und Pohäng an. Borris ist eine Fußmatte und Pohäng ein Sessel.

Zusammen klären wir Verbrechen auf und erleben die tollsten Abenteuer. Nennen uns »Die Fünf Freunde«.

Kein Ausgang in Sicht.

Dritte Woche, nächster Tag – Hier und da

Gerade nochmal durchgezählt ... sind ja gar nicht fünf! Überlegen, ob wir uns in »TKKG« umbenennen.

Hab aber keine Lust mehr, Verbrechen aufzuklären. Passieren so wenige im IKEA. Eine andere Möglichkeit gesucht, uns zu unterhalten. Wenn wir zu dritt sind, können wir eigentlich auch Skat dreschen.

Kein Ausgang in Sicht.

Dritte Woche, nächsterer Tag – Abteilung Krimskrams

Haben uns aus Lappen ein Skatblatt geklöppelt. Macht aber keinen Spaß. Pohäng versteht den Spruch: »7, 9 und Bauer stehen ʼne Mauer« nicht und Borris überreizt sich immer schamlos.

Mal gucken, ob Monopoly besser läuft ...

Am Nachmittag versehentlich auf Pohäng draufgesetzt. Na, das war ein Geheule! Ihm gesagt, er soll das Maul halten und sich nicht anstellen, er ist schließlich ein Sessel.

Da hat er gemeint, dass ich, nur weil ich so ʼnen fetten Arsch hätte, noch lange nicht das Recht hätte, den allen ins Gesicht zu halten.

Haben uns dann später wieder vertragen.

Kein Ausgang in Sicht.

Neunter Monat – Zwischen Tischen und Schubladen

Liebes Tagebuch, ziehe wieder alleine durch den Dschungel. Hatte Streit mit Borris und Pohäng.

Meinte, dass Borris immer eine Fußmatte bleiben wird, wollte er nicht hören. Er glaubt, er würde eines Tages aus IKEA herausfinden und Märchenprinzessin in einem Schloss werden. Erwiderte darauf: »Bullshit, dat Einzige, wat du wirs, is Schmutzfänger vor dem Plumsklo«, dann nannte Pohäng mich »schäbige Bitch«.

Weinend davongelaufen, bin keine Bitch ... Ziehe mich nur gerne sexy an.

Kein Ausgang in Sicht.

Nächster Tag – Bei Borris und Pohäng

Wieder daran erinnert, dass ich ein Mann bin. Erst mal Borris und Pohäng verkloppt. Sind jetzt wieder Freunde. Schon wieder.

Wollen aber immer noch kein Skat spielen. Na ja, jeder muss Kompromisse eingehen.

Kein Ausgang ... doch, da, ein Schild, auf dem klar und deutlich »Ausgang« steht!

Laufe los in die gewiesene Richtung, total aufgeregt, laufe immer schneller, kann kaum schreiben beim Laufen.

Borris kommt nicht hinterher und bleibt zurück. »Lasst mich hier liegen, alleine könnt ihr es schaffen«, ruft er.

Halte an und frage ihn, ob er seinen Traum von der Märchenprinzessin schon vergessen hat. Er rappelt sich auf. Laufen zu dritt der Freiheit entgegen ...

Laufen jetzt seit gut einer halben Stunde im Kreis. Diese verfluchten Ausgangsschilder haben uns in eine Falle gelockt, nun tanzen sie um uns herum, zeigen mit ihren Fingern auf uns und singen hämische Spottlieder.

Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»