KAIJU WINTER

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Kapitel 3

»Wie weit sind wir mit den Zufluchtsorten?«, fragt Präsident Charles Nance, als er in den Krisensaal tief unter dem Weißen Haus tritt und sich hinsetzt. Er sieht seinen Sicherheitsrat, die Joint Chiefs of Staff und Dutzende von Bediensteten an, die gerade geschäftig mit Laptops, Tablets und Handys umhereilen. »Nun?«

National Security Advisor Joan Milligan steht auf und räuspert sich.

»Bis jetzt haben uns achtunddreißig Länder zugesichert, dass sie insgesamt zweihundert Millionen Flüchtlinge aufnehmen werden, Mr. President«, sagt sie. »Mit China, Brasilien, Indien und vielen afrikanischen Nationen stehen wir noch in Verhandlungen.«

»China hat noch nicht zugesagt?« Präsident Nance runzelt die Stirn. »Wann haben wir zuletzt von Botschafter Billings gehört?«

»Vor einer Stunde, Sir«, antwortet Joan. »Angeblich wird er bis heute Abend eine Antwort für uns haben.«

»Jetzt, wo ihre Investments bald unter Asche begraben sein werden, gehen wir denen wohl am Arsch vorbei«, knurrt Präsident Nance.

Niemand sagt etwas. Er schüttelt nur den Kopf und sieht zu Admiral Malcolm Quigley, dem Head of Joint Chiefs of Staff. »Admiral, was gibt es Neues von den Evakuierungen zu berichten?«

»Alles geht so schnell wie möglich vonstatten, Mr. President«, antwortet Admiral Quigley. »Aber ganz wie wir vermutet haben, wollen nicht alle das Land verlassen.«

»Wie hoch wird denn die Anzahl der Menschen geschätzt, die hierbleiben wollen?«, erkundigt sich Präsident Nance.

»Einige Millionen«, antwortet Admiral Quigley. »Mir ist berichtet worden, dass einige, mehrere Hundert Männer starke, bewaffnete Gruppen sich mittlerweile gegen die National Guard Truppen zur Wehr setzen, die sie ja eigentlich in Sicherheit bringen wollen.«

»Bitte sagen Sie mir nicht, dass es einen Schusswechsel gab«, erwidert Präsident Nance seufzend.

»Ich wünschte, dass ich das könnte.« Admiral Quigley runzelt die Stirn. »Wir wissen, dass es wegen diverser Scharmützel schon mindestens einhundert Tote gegeben hat.«

»Was zum Teufel ist denn das Problem dieser Leute?«, braust Präsident Nance wütend auf. »Kapieren sie denn nicht, dass sie umkommen werden, wenn sie hierbleiben?«

»Manche sehen den Supervulkan als eine Strafe Gottes an und weigern sich aus religiösen Gründen zu fliehen«, erklärt Joan. »Die christliche Rechte ist uns auch nicht weiter behilflich und fördert die Überzeugung sogar noch, dass es gegen Gottes Willen sein würde, zu fliehen.«

»Ich bin als Christ geboren und erzogen worden«, donnert Präsident Nance, »und ich nehme diesen Entrückungsschwachsinn ganz gewiss nicht ernst, der da momentan verbreitet wird. Warum können die Menschen nicht einfach vernünftig sein und zusehen, dass sie sich in Sicherheit bringen? Gottes Plan können sie so viel diskutieren, wie sie wollen, wenn sie erst einmal in Japan oder Australien oder Ägypten oder wo auch immer angekommen sind!«

»Es gibt aber auch gute Neuigkeiten. Wegen zu starker atmosphärischer Störungen versagen die Kurzwellenradiosender«, sagt Deputy National Security Advisor John Jensen. »Das meiste von diesem Höllenfeuergerede wird deshalb durch die Aktivität des Supervulkans zum Schweigen gebracht. Ich bin mir sicher, dass der Großteil dieser Verrückten die Ironie darin gar nicht erkennen, Mr. President.«

»Wie wär's, wenn wir unsere Mitbürger nicht als Verrückte bezeichnen würden, John«, meint Präsident Nance. »Selbst wenn sie es vielleicht sind.«

»Jawohl, Sir. Verzeihung«, erwidert John nickend. »Ich hatte nicht beabsichtigt, respektlos zu sein.«

Präsident Nance stößt einen langen Seufzer aus und lockert anschließend seine Krawatte. »Okay, wenn mir bitte jemand ein paar Wissenschaftler organisieren könnte, die mir erklären können, warum wir die Erdbeben sogar noch hier in Washington, DC, spüren … Und eine Tasse Kaffee … wenn mir bitte jemand einen Kaffee bringen könnte, während wir auf die Elfenbeintürmler warten.«

***

Dr. Probst starrt ihren Laptop an, ohne dass ihre Augen die Daten des Programms registrieren, die gerade über den Bildschirm strömen. Die Erschöpfung, die sie mittlerweile überfallen hat, ist fast mehr als sie erfassen kann. Ihr Körper fühlt sich schon an, als ob er schwebt, während ihr Kopf offenbar mit Wolle und Steinen gefüllt ist.

»Wollen Sie da einfach nur herumsitzen?«, fragt Dr. Bartolli, »oder haben Sie vielleicht auch vor, mir zu sagen, was Sie bisher herausgefunden haben?«

»Häh? Was?«, brummt Dr. Probst, setzt sich gerade hin und schüttelt kurz den Kopf. Sie klickt auf die Maustaste ihres Laptops, woraufhin die Diagramme des Bildschirms auf einem großen Monitor an der Wand zu sehen sind. »Ach ja. Sorry. Ich habe schon seit Tagen nicht mehr geschlafen.«

»Keiner von uns hat in den letzten Tagen schlafen können«, fährt Dr. Kevin Day sie an. »Und trotzdem schläft niemand von uns hier auf der Arbeit ein.«

Dr. Probst sieht zu den anderen Mitgliedern des neu gegründeten Yellowstone Scientific Advisory Board im Raum. Die meisten von ihnen sind hochkarätige Wissenschaftler des United States Geological Survey, während andere prominente Geologen von diversen amerikanischen Universitäten sind. Alle drehen sich um und schauen auf die Kurve, die Dr. Probst auf dem Monitor eingeblendet hat.

»Die seismische Aktivität hat sich in den letzten vierundzwanzig Stunden um das Hundertfache erhöht«, erklärt sie daraufhin. »Beben werden in einem Radius von fast zweitausend Meilen gefühlt. Eine derartige Aktivität ist noch nie zuvor da gewesen.«

»Und wissenschaftlich unmöglich«, höhnt Dr. Day. »Solange nicht große Verwerfungen aufreißen und damit noch andere Vulkane, zum Beispiel in den Cascades, zum Ausbruch bringen. Wie erklären Sie sich das, Dr. Probst?«

»Ich kann es mir nicht erklären«, antwortet Dr. Probst schlicht. »Ich kann Ihnen lediglich meine Erkenntnisse mitteilen. Sie haben mir die Aufsicht über diese Daten erteilt und ich berichte Ihnen, was zurzeit passiert. Das Verhalten des Supervulkans von Yellowstone ist absolut untypisch für alle Vulkane, die heutzutage oder selbst in historischen Zeiten observiert worden sind. Allen Anzeichen nach hätte das Ding schon vor Wochen in die Luft gehen sollen.«

»Und haben wir keinerlei Anzeichen dafür, warum es das nicht getan hat?«, fragt Dr. Bartolli ungeduldig. »Jede einzelne Regierungsbehörde ist auf das Ding konzentriert. Wir haben Geräte zur Verfügung, deren Existenz die meisten von uns nicht einmal geahnt hätten. Soweit ich weiß, haben wir zum allerersten Mal unbegrenzte Gelder zur Verfügung und können tun und lassen, was wir wollen. Und wieso? Damit wir dem Präsidenten irgendeine Art von Erklärung zukommen lassen können.« Er hält sein Handy hoch, um eine SMS zu zeigen. »Wir haben in weniger als fünf Minuten eine Videokonferenz mit ihm. Also lassen Sie uns gefälligst sehen, dass wir etwas zusammengestückelt bekommen, was uns nicht wie komplette Idioten dastehen lässt, okay?«

»Wenn wir etwas von Bob und Allison gehört hätten, würden wir jetzt mehr Informationen haben«, erklärt Dr. Probst und fängt kurz darauf Dr. Bartollis Blick auf.

»Das haben wir doch schon zigmal erörtert, Cheryl«, fährt Dr. Bartolli sie entnervt an.

»Nein, das haben wir nicht«, antwortet Dr. Probst und sieht die anderen Wissenschaftler an. »Zwei unserer Kollegen sind da draußen verloren gegangen. Sie hatten den Auftrag, die Sensoren funktionstüchtig zu halten. Und jetzt versagt auf einmal ein Sensor nach dem anderen. Wir verlieren kostbare Daten und haben vielleicht sogar zwei wertvolle Mitglieder unseres Komitees verloren. Wir müssen unbedingt ein neues Team hinausschicken, um die Sensoren zu reparieren und Dr. Hartness und Dr. Tomlinson zu suchen.«

Sie wartet darauf, dass die anderen etwas sagen, doch alle schweigen.

»Wir müssen uns jetzt auf das konzentrieren, was wir gleich dem Präsidenten sagen werden«, meint Dr. Bartolli. »Bob und Allison waren sich der Risiken durchaus bewusst. Genau wie wir alle. Und ich werde es keinem weiteren Team genehmigen, dorthin zu fahren. Ich kann nicht mit gutem Gewissen Männer und Frauen in den Tod schicken. Wir sind hier schließlich nicht bei der Armee, Doktor.«

»Sie brauchen Sie ja auch nicht zu schicken«, antwortet Dr. Probst. »Ich habe schon ein Team von Freiwilligen zusammengestellt. Es gibt tatsächlich Menschen, die den Mut haben, für ihre Freunde und ihr Land alles zu riskieren. Das ist nichts, was die Armee gepachtet hat.«

Dr. Bartolli sieht sie einen Moment lang sprachlos an und schaut dann abweisend weg. »Colin? Was haben Sie für uns?«

Dr. Probst fängt an zu widersprechen, seufzt dann aber nur. Sie lehnt ihren Kopf im Stuhl nach hinten, schließt die Augen und wünscht sich nichts mehr, als die Idiotie um sie herum einfach ausblenden zu können.

***

Als der gesamte Krisenraum ins Schwanken gerät, sucht Präsident Nance an der Kante des Konferenztisches Halt. Ein paar der Berater und Techniker schreien erschrocken auf und lassen so ihre aufgestaute Angst heraus. Präsident Nance betet leise und knallt dann die Hand auf den Tisch.

»Wir werden dieses Land nicht verlieren!«, ruft er laut. »Wir sind Amerikaner, und dieses Land hat für immer unsere Heimat sein sollen! Ich will Antworten, ich will Lösungen, und ich will wissen, wie wir nach dieser Katastrophe weitermachen können!«

Der riesige Bildschirm, der die längste Wand gegenüber des Konferenztisches einnimmt, zeigt die angsterfüllten und erschöpften Gesichter von Dr. Bartolli, Dr. Day und Dr. Probst, sowie die restlichen Wissenschaftler im Hintergrund, deren Auftrag es ist, dem Präsidenten genau diese Antworten und Lösungen zu beschaffen.

 

»Mr. President, Sie müssen verstehen, dass es ein solches Naturphänomen in der Neuzeit noch nie gegeben hat.« Dr. Bartolli runzelt die Stirn. »Es ist absolut einzigartig, und wir tun alles, um irgendeine Möglichkeit zu finden, dieses Land nach der Katastrophe wieder instand zu setzen.«

»Ich will dieses Land aber nicht wieder instand setzen!«, brüllt Präsident Nance. »Ich will, dass es gerettet wird!«

»Das kann es nicht, Sir«, meldet sich Dr. Day vorsichtig zu Wort. »Nicht, bis wir wissen, wie viel Schaden die Haupteruption verursachen wird. Im Moment können wir leider nur abwarten.«

Dr. Probst schnauft einen Kommentar.

»Abwarten?«, entgegnet Präsident Nance lachend. »Ich will nicht abwarten! Wenn ich in meinem Leben immer gewartet hätte, dass etwas passiert, wäre ich niemals Präsident geworden! Finden Sie gefälligst einen Weg, wie wir diese Katastrophe einschränken können!«

»Sir, so gerne ich Ihnen auch statt meiner Kollegen beipflichten möchte – wir können das nicht einschränken«, sagt Dr. Probst. »Die ganze Kraft der Natur steckt in dieser Katastrophe.«

»Dann finden Sie etwas, das mächtiger als die Natur ist!«, befiehlt Präsident Nance. »Ich habe von Feuern gehört, die mit Explosionen gelöscht worden sind. Dann stellen Sie eben eine Explosion auf die Beine, die einen ganzen Vulkan löschen kann!«

»Sir, das ist ein interessanter Vorschlag. Leider haben wir schon so viele Messgeräte verloren, dass …«, beginnt Dr. Probst, der aber schnell das Wort abgeschnitten wird.

»Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht«, antwortet Dr. Bartolli. »In den nächsten Minuten haben wir eine Konferenz mit Wissenschaftlern aus aller Welt angesetzt. Die klügsten Köpfe aus allen Bereichen der Wissenschaft werden sich unserem Problem widmen, Sir. Wir werden Sie nicht enttäuschen.«

»Sie werden das amerikanische Volk nicht enttäuschen, meinen Sie«, gibt Präsident Nance zurück. »Spätestens heute Abend will ich einen ausführlichen Bericht haben. Und zwar einen guten Bericht, Dr. Bartolli. Wenn wir erst einmal dazu gezwungen sind, uns in alle Winde zu verstreuen, wird es schwer sein, dieses Land wieder aufzubauen. Haben Sie mich verstanden?«

»Jawohl, Mr. President«, bestätigt Dr. Bartolli. »Vielen Dank, Sir.«

Die Übertragung ist zu Ende und Präsident Nance wirft einen Blick auf Joan. Er sieht ihren Gesichtsausdruck und verdreht die Augen.

»Ach, nun werden Sie mir mal nicht sensibel, Joan«, ruft er. »Manchmal muss man die Menschen hart anfassen, um sie zu motivieren – insbesondere Wissenschaftler, die an das Leben in sicheren Akademikerlaboren gewöhnt sind.«

»Ja, Sir«, erwidert Joan nickend. »Natürlich.«

***

Die drei Geologen sitzen bewegungslos da, nur die Tränensäcke unter ihren Augen hängen noch tiefer, als sie die Befehle des Präsidenten zu verdauen versuchen. Einer nach dem anderen drehen sie sich um und schauen zu den Männern und Frauen, die um sie herumstehen und die alle aussehen, als hätte ihnen jemand in den Magen geboxt.

»Wir sind uns doch alle darin einig, dass er etwas Unmögliches verlangt hat, oder?«, sagt einer der Wissenschaftler. »Es ist schließlich nicht machbar, einen Vulkan in die Luft zu jagen.«

»So ganz ist das nicht wahr«, sagt eine Frau. »Aber keinesfalls in dieser Größenordnung.«

»Das könnte es doch noch tausend Mal schlimmer machen«, sagt Dr. Day.

»Oder es könnte vielleicht funktionieren«, antwortet Dr. Probst. »Wir dürfen die Idee zumindest nicht sofort abschreiben.«

Die meisten im Raum starren sie an, als hätte sie jetzt endgültig den Verstand verloren, während der Rest unter dem Gewicht ihrer Aufgabe einfach nur noch zusammenzusinken scheint.

»Dr. Probst, erklären Sie uns das bitte«, sagt Dr. Bartolli seufzend. »Sie werden es ja so oder so tun.«

»Also gut, hören Sie zu«, sagt Dr. Probst und hämmert auf ihren Laptop ein.

Ein Satellitenbild vom Yellowstone Nationalpark erscheint und sie tippt auf ein paar weitere Tasten und verändert so das realistische Bild in eins, das Temperaturen anzeigt, und erläutert dem ganzen Raum, wo die meiste Vulkanaktivität stattfindet.

»Wir haben diese Grafiken beobachtet«, erklärt sie. »Unter der Oberfläche ist hauptsächlich heißer Schlamm und gar nicht so viel Magma, wie man erwarten würde. Das könnte unser Vorteil sein. Magma wäre eine große Schwierigkeit, da es nichts ist, das wir stoppen können. Aber heißer Matsch? Den können wir vielleicht aufhalten.«

»Und wie würden wir das versuchen?«, fragt Dr. Bartolli.

»Indem wir ihn verdichten«, erklärt Dr. Probst. »Oder genauer gesagt dadurch, dass wir ihn hart werden lassen, indem wir das gesamte Wasser darin entfernen. Wenn wir den Schlamm austrocknen, können wir dem Vulkan vielleicht Einhalt gebieten. Ich behaupte hier nicht, dass wir eine Eruption verhindern können, aber ich denke, dass wir eine ungefähr eine Meile starke, harte Erdschicht zwischen dem Magma und der Oberfläche erschaffen könnten.«

»Das würde den Druck doch nur noch mehr verstärken«, entgegnet Dr. Day. »Es würde die Dinge noch viel schlimmer machen, als sie bereits sind!«

»Nein, das würde es nicht«, widerspricht Dr. Probst. »Stellen Sie sich mal diesen Matsch wie Wüstenboden vor. Wenn wir ihn schnell genug austrocknen könnten, würde er irgendwann voller Risse und Löcher sein. Dadurch könnten Gase entweichen, statt sich im Inneren weiter aufzubauen, und die Eruption statt in einer verheerenden Größenordnung auf einem durchschnittlichen Katastrophenlevel halten.«

»Durchschnittlicher Katastrophenlevel?«, erwidert Dr. Bartolli lachend. »So wie ein Hurrikan oder ein Tsunami? Ja, die sind natürlich außerordentlich durchschnittlich.«

»Immer noch besser als das Ende der Welt«, sagt Dr. Probst. »Und das ist definitiv eine Möglichkeit, wenn wir all den Schlamm und die Asche an die Oberfläche gelangen lassen. Es wird ein Aschewinter – genauso wie ein nuklearer Winter, nur ohne die Verstrahlung.«

Als alle auf einmal zu sprechen anfangen, füllt sich der Raum mit aufgeregtem Gerede: Manches davon ist wuterfüllt, anderes voller Hoffnung. Dr. Bartolli hebt die Hände, um sie zur Ruhe zu rufen, aber er wird einfach ignoriert, als die vielen Wissenschaftler Ideen hin und her zu werfen beginnen.

»Ruhe!«, schreit Dr. Bartolli. »Seien Sie doch mal ruhig!«

Es wird still und alle Augen wenden sich ihm zu.

»Nehmen wir mal an, dass uns eine Möglichkeit einfällt, dies irgendwie zu bewerkstelligen«, entgegnet Dr. Bartolli. »Wenn uns das gelingen sollte, bräuchten wir wesentlich bessere und genauere Daten, als wir im Moment haben. Satellitenbilder sind ja schön und gut, aber sie lassen sich nicht mit einer Untersuchung vor Ort vergleichen.«

Auf seine Anspielung hin wird nach Luft geschnappt und gemurmelt. Dr. Probst lächelt nur.

»Sie sind sich bewusst, was sie hier gerade für ein Spiel spielt, oder?«, fragt Dr. Day und zeigt auf Dr. Probst. »Sie macht uns falsche Hoffnung, damit sie ein Team nach Yellowstone schicken kann.«

»Manchmal ist falsche Hoffnung alles, was man noch hat«, murmelt jemand weiter unten am Tisch. Ein paar andere nicken daraufhin zustimmend.

»Wenn wir mit unseren Berechnungen auch nur ein Prozent danebenliegen, könnten wir in dem Moment nicht nur einen Vulkanausbruch verursachen, sondern die Auswirkungen wären möglicherweise auch noch um ein Vielfaches schlimmer«, stellt Dr. Probst fest. »Wir können unsere Berechnungen dafür nur mit so akkuraten Werten wie möglich machen.« Sie hält inne und erhebt sich dann. »Also ja, ein paar von uns werden nach Yellowstone fahren und die Messwerte einholen müssen, die wir brauchen. Ich werde das übernehmen. Es ist schließlich meine Idee gewesen, von daher sollte ich es auch tun.«

»Sind Sie sich des Risikos voll und ganz bewusst, Doktor?«, fragt Dr. Bartolli. »Sie müssen das nicht machen. Sie können auch hier in Virginia in Sicherheit bleiben und stattdessen das Army Corps of Engineers hinschicken. Lassen Sie sich die Soldaten darum kümmern. Das wäre die klügste Wahl.«

»Ihr Problem ist, dass Sie einfach nicht verstehen, dass keiner von uns noch eine Wahl hat, Alexander«, meint Dr. Probst lachend. »Entweder wir finden schnellstmöglich eine Lösung oder wir sitzen einfach nur da und warten ab, dass die Welt, wie wir sie kennen, zugrunde geht. Das Army Corps hinzuschicken würde uns auch nicht helfen. Ohne bürokratische Umwege können die überhaupt nichts unternehmen. Sie würden erst einmal ihre eigenen Landvermessungen machen müssen, bevor sie auch nur einen einzigen neuen Sensor installieren würden. Ich habe die Sensoren designt, und ich habe Dr. Hartness und Tomlinson ausgebildet. Und ich habe auch die Techniker ausgebildet, die mich begleiten werden. Wenn Sie sich darum kümmern, dass ich hinkomme, werde ich dort die nötige Arbeit leisten.«

Dr. Bartolli sieht sie einen Moment lang an und nickt dann widerstrebend. »Ich werde den Präsidenten anrufen. Wir müssen Sie so schnell wie möglich hinbringen. Hoffentlich kann das Militär das irgendwie organisieren. Wir haben keine dreißig Stunden Zeit, die diese Fahrt Sie normalerweise kosten würde.«

»Aber Flugzeuge dürfen im Moment nicht fliegen«, wirft Dr. Day ein. »Die Turbinen können die Asche nicht vertragen.«

»Ich habe das Gefühl, dass sich das umgehen lässt«, meint Dr. Bartolli und sieht dann zu Dr. Probst. »Stellen Sie so schnell wie möglich ein Team zusammen. Ich werde mich in der Zeit um Ihren Transport kümmern. Wenn wir Glück haben, können Sie innerhalb von einer Stunde los.«

»Innerhalb von einer Stunde?«, ruft Dr. Probst. »Aber ich brauche noch Zeit, um …«

»Sie wollen noch Zeit, meinen Sie?«, erwidert Dr. Bartolli. »Das ist etwas, das Sie nicht haben können. Ich sage endlich ja, Cheryl. Lassen Sie es mich nicht bereuen. Sie bekommen Ihr Team, Sie bekommen Ihr Abenteuer … und jetzt bewegen Sie gefälligst Ihren Arsch!«

***

»Die sind tatsächlich hier durchgekommen«, antwortet der Mann, kurz bevor er aus dem Mundwinkel einen Klumpen Tabak ins tote Gras zu seinen Füßen spuckt.

Terrie runzelt die Stirn, regt sich aber nicht darüber auf.

»Wissen Sie, wie lange das schon her ist, Howie?«, fragt Terrie.

»Vielleicht eine halbe Stunde oder länger.« Howie zuckt die Schultern. Ein Auto hupt und er schaut zu einem SUV hinüber, der auf dem Parkplatz des Tante Emma Ladens einbiegt.

»Wieso bist'n du noch da, Howie?«, fragt ein Mann, als er das Fenster runterkurbelt. »Ich hab gehört, dass sie den Highway dichtmachen, sobald es dunkel wird. Wenn du jetzt nicht abhaust, sitzt du hier fest.«

»Ich fahr nirgendwo hin, Bart«, antwortet Howie. »Der Laden ist schon seit vier Generationen in meiner Familie.«

»Aber wenn der Vulkan ausbricht, kommst du um!«, ruft der SUV-Mann.

»Dann sterbe ich eben«, antwortet Howie. »Kann ich hier genauso gut wie woanders.«

Bart schüttelt den Kopf, rollt dann sein Fenster hoch und fährt ohne ein weiteres Wort davon. Terrie schaut zum Bronco, in dem Kyle und Biscuit sitzen.

»Wir haben noch Platz, Howie«, meint Terrie. »Sie können mit uns kommen. Wir sind sowieso gerade auf dem Weg nach Seattle, zu einem Schiff.«

»Ist das der Ort, wohin all diese Busse und der Streifenwagen unterwegs sind?«, fragt Howie.

»Ja«, bestätigt Terrie. »Die meisten Menschen aus Lincoln County sind auf dem Weg nach Coeur d'Alene, um sich mit meiner Tochter und einem staatlichen Konvoi zu treffen. Sie können gerne mitkommen und wir …« Sie hält inne und legt den Kopf schief. »Moment … der Streifenwagen, haben Sie gesagt? Der, so wie Einer?«

»Jawohl, Ma'am«, antwortet Howie. »Sechs Busse und ein Lincoln County Sheriffwagen.«

»Nur der eine Wagen? Sind Sie sicher?«, fragt Terrie verwirrt. »Es hätten eigentlich drei Streifenwagen sein sollen.«

»Ich hab nur einen gesehen«, antwortet Howie und pflückt sich nun Tabak aus den Zähnen. »Und die waren ziemlich flott unterwegs. Haben nicht mal an der Kreuzung hier gehalten, sondern sind einfach durchgebrettert. Ist nur gut, dass hier alle evakuiert worden sind, sonst hätten sie garantiert wen überfahren.«

»Das macht aber keinen Sinn«, sagt Terrie. »Wieso denn nur ein Streifenwagen?«

»Vielleicht sind die anderen kaputtgegangen.« Howie zuckt mit den Schultern. »Haben Sie sie nicht auf dem Weg hierher gesehen?«

»Wir sind über Schleichwege gefahren«, erklärt Terrie. »Wir mussten einen Umweg machen und da war es leichter, über die Forststraßen herzukommen.«

 

»Na, ob das nun leichter ist, weiß ich nicht, aber es sieht ja so aus, als wären Sie gut für die Waldwege gerüstet«, meint Howie und deutet mit dem Kinn auf den Bronco. »Haben Sie genug Benzin in dem Ding, um bis nach Idaho zu fahren? Ich hab noch was für meine Stromgeneratoren gebunkert, falls Sie welches brauchen.«

»Wir haben reichlich«, erwidert Terrie, »aber vielen Dank. Haben Sie den Bussen ein schwarzes Auto hinterherfahren gesehen?«

»Kann ich nicht behaupten«, gibt Howie zurück. »Nur der eine Streifenwagen war mit dabei. Sonst nichts.«

»Aha. Na ja, das ist gut«, antwortet Terrie. »Dankeschön. Sind Sie sicher, dass Sie nicht mit uns kommen wollen?«

»Ganz sicher«, sagt Howie. »Wie ich schon sagte, dieser Laden gehört uns schon seit Generationen. Mein Onkel ist direkt neben dem Getränkekühlschrank an einem Herzschlag gestorben. Ich werde es mir wohl neben dem Bier gemütlich machen und sterben, wie es sich gehört, wenn alles zu Ende geht.«

»Es wird aber nicht wie eine Nuklearexplosion sein, wo es einmal blitzt und schon ist man tot«, erklärt Terrie. »Es könnte Tage oder Wochen dauern, bis es so schlimm ist, dass es einen umbringt.«

»Darum werde ich's mir mit Bier gemütlich machen«, entgegnet Howie lächelnd. »Je länger es dauert, desto besser vorbereitet bin ich.«

»Na dann, viel Glück, Howie«, sagt Terrie, »Es war nett, Sie zu kennen.«

»Gleichfalls, Ms. Holden«, antwortet Howie. »Mir wird's fehlen, Sie und den Jungen und seinen Wolfshund hier nicht mehr auf dem Weg zum Kootenai für Fischköder anhalten zu sehen – so viele Angelausflüge, wie Sie gemacht haben.«

»Mir wird das auch fehlen«, stimmt Terrie zu, dreht sich um und geht dann zum Bronco zurück. »Viel Glück!«

Howie winkt und fischt dann eine Tabakpackung aus seiner Tasche, nimmt einen Pfropfen und stopft ihn sich tief in die Backe.

»Wie weit sind wir denn ungefähr hinter ihnen?«, fragt Kyle, als Terrie in den Bronco steigt und sich dieses Mal hinters Steuer setzt.

»Howie hat eine halbe Stunde gesagt, aber du kennst ja Howie«, meint Terrie. »Es könnte auch eine ganze Stunde sein und er würde trotzdem eine halbe sagen.«

»Ist das nicht gefährlich, wenn du fährst?«, fragt Kyle. »Was, wenn wir wieder auf diesen Typen treffen?«

»Ich glaube, dass er den Bronco bereits kennt«, erwidert Terrie. »Wenn er mich sieht, wird das auch nichts mehr ändern. Und wir müssen Zeit aufholen, was bedeutet, dass wir schnell fahren müssen.«

»Ich kann auch schnell fahren«, protestiert Kyle.

»Stimmt, aber ich kann schnell fahren, ohne uns umzubringen«, entgegnet Terrie lächelnd. »Also schnall dich lieber an.«

Als Terrie den Bronco startet und den Motor aufheulen lässt, winselt Biscuit und legt sich auf dem Rücksitz nieder.

***

»Was soll das heißen, nur die Hälfte meines Teams kann mitkommen?«, brüllt Dr. Probst in dem Bemühen, sich über die heulenden Flugzeugmotoren ein paar Meter neben ihr Gehör zu verschaffen. Sie steht mit den Händen in die Hüften gestemmt auf der Landebahn, das Gesicht rot vor Wut, und brüllt einen Mann vor sich an. »Ich brauche aber jeden Einzelnen von ihnen!«

»Sehen Sie das Flugzeug dort, Doktor?«, fragt Lieutenant Jason Coletti. »Es kann nur zwölf Personen tragen, den Piloten und Kopiloten nicht mitgezählt. Das bedeutet sechs meiner Leute, inklusive mich und sechs Ihrer Leute, inklusive Sie.«

»Ich brauche aber doch gar keine Militärbegleitung!«, ruft Dr. Probst verärgert. »Es handelt sich schließlich nicht um einen Krieg!«

»Doch, Ma'am«, gibt Coletti zurück. »Und zwar kämpfen wir gegen die Zeit. Meine Befehle lauten, Sie so schnell wie möglich nach Yellowstone zu bringen. Das bedeutet, dass Sie nicht hineinwandern müssen, wozu Sie Tage brauchen würden, die Sie nicht haben. Außerdem würden Sie wahrscheinlich vorher schon von den Durchgedrehten umgebracht werden, die überall um den Park herum aufgetaucht sind.«

»Was für Durchgedrehte?«, fragt Dr. Probst verwirrt.

»Alle möglichen«, sagt Coletti. »Religiöse Fanatiker, Verschwörungstheoretiker, Das-Ende-der-Welt-Groupies, schwer bewaffnete Miliz – was auch immer Sie sich vorstellen, in der Nähe von Yellowstone kann man sie finden.«

»Und wie kommen wir da dort hin, wo ich hinmuss, wenn wir nicht hineinwandern?«, fragt Dr. Probst. »Fahren wir? Warten dort Autos auf uns?«

»Nein, Ma'am«, antwortet Coletti. »Die Asche dort ist so dick, dass selbst unsere besten Hummer nicht damit klarkommen.« Er deutet auf den Jet, der für sie bereitsteht. »Diese Turbinen sind versiegelt und werden deshalb nicht an Asche ersticken. Das Problem ist nur, dass der Flieger lediglich genügend Benzin hat, um uns zum Absprungort zu bringen und wieder hierher zurückzufliegen. Zwischendurch landen kann er leider nicht.«

Dr. Probst sieht erst den Jet an und dann den Mann vor sich. »Was wollen Sie damit genau sagen, Lieutenant?«

»Ich will damit sagen, dass Sie sechs, an uns sechs geschnallt sein werden, wenn wir aus dem Flugzeug springen«, erklärt Coletti. »Und bei der Geschwindigkeit, die wir dabei draufhaben werden, wird das kein großer Spaß.«

»Haben Sie komplett den Verstand verloren? Sie können doch nicht mit dem Fallschirm aus einem Jet springen!«

»Sie können das nicht“, meint Coletti grinsend, »aber ich und meine Männer schon. Überlassen Sie uns die Sorgen, wie wir Sie sicher auf den Boden bekommen, und sobald wir unten sind, überlasse ich Ihnen die Sorgen darum, wie Sie den Vulkan stoppen können. Und jetzt suchen Sie sich Ihre fünf Leute aus.«

Dr. Probst lässt ihren Blick über die Gruppe von zehn Wissenschaftlern wandern, die alle am Rand der Landebahn stehen.

»Oh Gott, ich glaube, mir wird schlecht«, sagt Dr. Probst und wendet sich schnell ab.

Coletti gibt ihr einen Moment Zeit und dreht sich dann um. Er zeigt den fünf Männern, die neben dem Jet warten, das Daumen-hoch-Zeichen, woraufhin diese nicken und zu der Gruppe von Wissenschaftlern laufen.

»Sind Sie soweit?«, fragt Coletti. »Denn wir müssen jetzt leider los. Sagen Sie Ihren Mitarbeitern Bescheid, und dann werden meine Männer sie mit ins Flugzeug nehmen und auf den Abflug vorbereiten.«

»Okay, okay«, erwidert Dr. Probst, atmet einmal tief durch, wischt sich den Mund ab und sieht dann Coletti an. »Und es gibt wirklich keine andere Möglichkeit?«

»Ma'am, das hier ist bereits die andere Möglichkeit.«

***

»Du rast, seit wir von Bonner's Ferry losgefahren sind«, sagt Kyle. »Wenn du nicht bald langsamer machst, geht uns noch das Benzin aus.«

»Wir müssen sie aber einholen, Kyle«, sagt Terrie. »Deine Mutter liebt uns, aber sie kann in Coeur d'Alene nicht ewig auf uns warten. Wenn wir bei den Bussen nicht mit dabei sind, wird sie irgendwann weiterfahren müssen.«

»Das würde sie niemals tun«, widerspricht Kyle. »Oder? Dich und mich einfach zurücklassen?«

Terrie schaut ihren Enkel an und bedenkt ihn mit einem Blick, den er schon sein ganzes Leben lang kennt. Seine Kehle ist plötzlich wie ausgetrocknet und er schüttelt den Kopf.

»Oh Gott, Scheiße. Sie würde es tun.«

»Ziehe den Namen des Herrn nicht in den Schmutz«, fährt Terrie ihn an. »Und ja, sie würde uns zurücklassen. Würde ich auch, wenn ich sie wäre. Der Konvoi ist nicht nur für unsere kleine Familie, sondern auch für all die anderen Familien. Es geht um ihre Pflichten als US-Marshal. Das sind Pflichten, die sie nicht auf die leichte Schulter nimmt – und was anderes erwarten wir auch gar nicht von ihr.«

Kyle schüttelt wieder den Kopf, dreht sich weg und sieht aus dem Beifahrerfenster, wo die Tannen und Kiefern nur so vorbeizischen. Er lehnt seinen Kopf gegen die Scheibe und verengt dann die Augen, als er in den Seitenspiegel sieht. Die Asche kommt jetzt so stark herunter, dass um sie herum ein grauer Schneesturm zu toben scheint, der es schwierig macht, Details zu erkennen.

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