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Zwei Freunde

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Die Gäste schritten vorwärts und traten durch das Eßzimmer, in welchem ein Canarienvogel fast zum Betäuben schmetterte, in das Gastzimmer ein. Es war mit Möbeln nach modernstem russischem Geschmack ausgestattet. Die Stühle waren äußerst gekünstelt und gewunden. Ihre Bauart sollte dem Sitzenden besondere Bequemlichkeit bieten – ein Vorwand, der in Wirklichkeit natürlich keine Bewahrheitung erfuhr. Es verstrichen keine zwei Minuten, als sich im Nebengemach das Rauschen eines seidenen Kleides vernehmen ließ. Die Portière ging auseinander und die Wirthin trat mit lebhaften Schritten in das Zimmer ein. Peter Wassiljewitsch machte ein paar Verbeugungen und führte Boris Andrejitsch auf sie zu.

– Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen – sagte ungezwungen die Wirthin, indem sie ihn rasch mit ihren Blicken musterte. – Ich bin Peter Wassiljewitsch sehr verbunden für die Gelegenheit, eine so angenehme Bekanntschaft anzuknüpfen. Bitte die Herren, Platz zu nehmen!

Die Frau des Hauses setzte sich, mit dem Kleide rauschend, auf ein niederes Sopha, lehnte sich an seine Rückwand streckte die Füßchen, die mit sehr netten Halbstiefeln angethan waren, etwas vor und kreuzte die Hände. Sie trug ein grünseidenes Kleid, das sich, streifenweise wiederkehrend, in lichtere Farben abtönte und mehrreihig besetzt war.

Boris Andrejitsch setzte sich ihr gegenüber in einen Lehnstuhl. Peter Wassiljewitsch nahm in einiger Entfernung Platz. Die Unterhaltung nahm ihren Anfang. Boris Andrejitsch studirte aufmerksam sein vis-à-vis. Sie war eine Frau von schlankem Wachse und äußerst sittlicher Taille, etwas bräunlich von Gesichte, aber sonst wirklich hübsch. Der Ausdruck ihres Gesichtes und besonders der großen, glänzenden Augen, die sich nach außen zu wie bei den Chinesen, ein wenig in die Höhe zogen, zeigte eine eigenthümliche Mischung von Kühnheit und Schüchternheit, und konnte unmöglich auf Natürlichkeit Anspruch machen. Bald kniff sie die Augen zusammen bald öffnete sie dieselben unerwartet weit. Aus ihren Lippen spielte unaufhörlich ein Lächeln, welches sich den Anschein von Gleichgültigkeit zu geben suchte. Alle ihre Bewegungen waren ungezwungen, fast übermüthig. Uebrigens machte ihr Aeußeres auf Basis Andrejitsch einen angenehmen Eindruck. Nur der schiefe Scheitel ihres Haares, der ihren Zügen ein flottes und burschenhaftes Aussehen verlieh, störte ihn. Außerdem drückte sie sich im Russischen nach seiner Meinung zu rein und korrekt aus. Boris Andrejitsch theilte nämlich die Meinung von Puschkin, daß

 
»Die man schöne, doch scherzlose Lippen nicht küßt,
man Feinheit der Sprache mit den Fehlern vermißt.«
 

Mit einem Worte, Sofia Kirillowna gehörte zu der Kategorie von Frauen, welche bei galanten Herren als flotte Salon-Damen, bei den Ehegatten als schlagfertig und redegewandt in besonderem Ansehen stehen und von alten Junggesellen als lebenslustige Weibchen sehr geschätzt werden.

Die Unterhaltung begann damit, daß man von der Einförmigkeit des ländlichen Aufenthaltes sprach.

– Hier ist fast kein lebendiges Wesen zu finden; man hat wahrlich Niemand, mit dem man ein Wort wechseln könnte – sagte Sofia Kirillowna immer das »s« scharf betonend. – Ich begreife nicht, wie die Menschen hier existiren können. Dazu – fügte sie mit Coquetterie hinzu – bleiben noch Diejenigen, mit denen man angenehm verkehren könnte, aus; sie besuchen uns so selten und überlassen uns arme Menschen der düsteren Einsamkeit.

Boris Andrejitsch verbeugte sich ein wenig und murmelte eine nicht besonders treffende Entschuldigung vor sich hin, wobei Peter Wassiljewitsch einen Blick auf ihn warf, als ob er sagen wallte: »Nun, was habe ich Ihnen gesagt? Nicht war, sie ist mit den Worten nicht verlegen?«

– Rauchen Sie vielleicht? – fragte Sofia Kirillowna.

– Jawohl. . . jedoch . . .

– Ach, bitte, bitte! . . . Ich rauche ja selbst.

Nach diesen Worten nahm sie ein ziemlich umfangreiches, silbernes Etui vom Tische, holte aus demselben eine Cigarette hervor und bot solche auch den Gästen an. Beide machten Gebrauch von dem also Gereichten. Sofia Kirillowna schellte und befahl einem eintretenden Knaben, der über die ganze Brust in einer rothen Weste steckte, Feuer zu bringen. Der Knabe kam zurück und trug auf einem krystallenen Präsentirteller eine brennende Wachskerze heran. Die Cigaretten wurden angeraucht.

– Da haben Sie’s – zum Beispiel: Sie werden es kaum glauben! – nahm die Wittwe daß Gespräch wieder auf, indem sie den Kopf ein wenig zurückwarf und den Rauch in seinen Strömen nach oben entließ – es giebt hier Leute, welche die Ansicht vertreten, daß es für eine Dame unpassend sei zu rauchen. Vom Reiten – schon gar nicht zu reden; behüte Gott! man würde uns steinigen. So ist es hier – wiederholte sie nach einer kurzen Pause, – Alles, was das alltägliche Niveau übersteigt, was mit den Satzungen eines, Gott weiß von wem ersonnenen Anstandes nicht im Einklange steht, wird dem strengsten Tadel unterworfen.

– Besonders pflegt in dieser Beziehung die Damenwelt boshaft zu sein – bemerkte Peter Wassiljewitsch.

– Das ist wahr! – versetzte die Wittwe. – Behüte Einen der Himmel, mit diesen Zungen zu thun zu haben! Uebrigens, ich verkehre mit dieser Klasse gar nicht. Das Geklätsch ihrer Vertreterinnen gelangt ganz und gar nicht in meine Einöde.

– Und Sie empfinden dabei keine Langeweile? – fragte Boris Andrejitsch.

– Langeweile? Nein! Ich lese . . . und wenn ich die Bücher satt habe, überlasse ich mich meinen Gedanken oder lege mir die Karten aus und stelle Fragen an mein Schicksal.

– Wie ist es denn möglich, daß Sie sich mit Wahrsagereien abgeben? – fragte Peter Wassiljewitsch.

Die Wittwe lächelte nachsichtig.

– Und weshalb denn auch nicht? Ich bin alt genug, um es mir erlauben zu dürfen.

– Aber, verzeihen Sie . . . ! – erwiederte Peter Wassiljewitsch.

Sofia Kirillowna kniff ein wenig die Augen zusammen und fixirte ihn.

– Uebrigens, wir thun wohl gut, dies Gespräch bei Seite zu lassen, – bemerkte sie, und wendete sich mit Lebhaftigkeit an Boris Andrejitsch. – Ich bin überzeugt, Monsieur Wjasownin, daß Sie sich für die russische Litteratur interessiren Nicht?

– Freilich. . . ich. . .

Wjasownin las viel, aber gerade Russisches las er ungern und wenig. Besondere waren ihm die neuesten Erscheinungen auf diesem Gebiete ganz fremd: er blieb bei Puschkin stehen.

– Sagen Sie nun gütigst: wie ist das zu erklären, daß Marlinsky in der letzten Zeit beim Publikum in Ungnade gerathen ist? Das kann nach meiner Meinung, nur eine außerordentliche Ungerechtigkeit sein. Was halten Sie von ihm?

– Marlinsky ist freilich ein Schriftsteller, dem man gewisse Verdienste nicht absprechen kann – erwiederte Boris Andrejitsch.

– Er ist ein wahrer Dichter! Er läßt unsere Phantasie in einer Welt . . . in einer bezauberndem herrlichen Welt schwelgen, während es heut zu Tage ja gang und gäbe ist, nur das Alltägliche zu beschreiben. Ich wüßte wahrlich nicht, was man Schönes in diesem Alltagsleben hier auf Erden finden könnte – und Sofia Kirillowna deutete mit der flachen Hand um sich herum.

Boris Andrejitsch sah sie bedeutungsvoll an.

– Ich bin nicht mit Ihnen einverstanden. Ich finde auch hier sehr viel Schönes – sagte er, indem er auf »hier« einen besonderen Ton legte.

Sofia Kirillowna lachte plötzlich grell auf. Peter Wassiljewitsch hob ebenfalls plötzlich den Kopf, besann sich ein wenig und wendete dann seine Aufmerksamkeit der Cigarette wieder zu. Das Gespräch nahm in dieser Weise seinen Fortgang bis zum Mittag, indem man schnell von einem Gegenstande auf den andern überging – was wohl nicht der Fall ist, wenn die Unterhaltung wahrhaft interessant wird. Unter Anderem kam man auch auf den Ehestand zu sprechen, auf dessen Licht- und Schattenseiten und auf die Stellung der Frau im Allgemeinen. Sofia Kirillowna sprach sich energisch gegen das Heirathen aus. Sie ereiferte sich schließlich und, allmählich in Feuer gerathen, vertheidigte sie ihre Ansicht in gesucht klingenden Redensarten, obwohl die Gäste ihr fast nicht widersprachen; nicht umsonst hatte sie eine solche Vorliebe für Marlinsky. Sie verstand es auch, zur rechten Zeit die Kunstausdrücke der allerneuesten Stilart in Anwendung zu bringen. Die Worte »artistisch«, »Kunstprinzip«, »bedingen« entflossen beständig ihrem Munde.

– Was könnte wohl für die Frau noch theuerer sein, als die Freiheit – die Freiheit des Gedankens, des Gefühls, der Handlung? – rief sie endlich aus.

– Aber erlauben Sie, – unterbrach sie Peter Wassiljewitsch, dessen Gesicht allmählich eine unzufriedene Miene angenommen hatte – was soll der Frau die Freiheit? Was sollte sie mit ihr anfangen?

– Wie meinen Sie – was mit ihr anfangen? Und – dem Manne soll sie nach Ihrer Meinung zu Statten kommen? Das ist es eben, daß Sie die Männer . . .

– Auch der Mann bedarf ihrer nicht – unterbrach sie wiederum Peter Wassiljewitsch – Was wollen Sie damit sagen?

– Nun, ich wiederhole es: er bedarf der Freiheit nicht. Wozu soll sie dem Menschen überhaupt, diese vielgepriesene Freiheit? Ein freier Mensch – das ist ja bekannt – wird entweder von der Langeweile geplagt, oder er macht dumme Streiche – Ich muß also annehmen – bemerkte Sofia Kirillowna mit einem ironischen Lächeln – daß Sie sich langweilen. Denn ich kenne Sie sonst als einen gescheitert Mann, und kann daher nicht glauben, daß Sie, wie Sie sich eben auszudrücken beliebten, dumme Streiche machen.

– Es kommt sowohl das eine wie das andere vor – erwiederte gelassen Peter Wassiljewitsch.

– Ei, das ist nett! Uebrigens, ich habe es in Ihrer Langeweile zu verdanken, daß mir das Vergnügen zu Theil geworden, Sie heute bei mir zu sehen. – Und mit dieser geschickten Redewendung augenscheinlich selbst zufrieden, warf sie sich eilig an die Lehne des Sophas zurück und bemerkte halblaut:

 

– Ihr Freund, Monsieur Wjasownin, scheint sich gern in Paradoxen zu bewegen?

– Ich habe es bisher nicht bemerkt – erwiederte Boris Andrejitsch.

– Worin soll ich mich gern bewegen? – fragte Peter Wassiljewitsch.

– In Paradoxen.

– Wassiljewitsch ließ seine Augen auf Sofia Kirillowna ruhen und sagte kein Wort; bei sich aber dachte er: »Na, ich wüßte schon, was dein Wohlgefallen finden würde« . . .

Der Junge mit der rothen Weste trat ein und meldete, daß das Mittagsmahl aufgetragen sei.

– Ich bitte die Herren – sagte die Wirtin sich vorn Sopha erhebend.

Und die Gesellschaft verfügte sich nach dem Speisezimmer.

Die servirten Speisen hatten sich nicht des Beifalls der Gäste zu erfreuen. Peter Wassiljewitsch erhob sich hungrig vorn Tisch, obwohl es an Gängen nicht gemangelt hatte. Was Boris Andrejitsch anbelangt, so war auch er, und zwar in gastronomischer Hinsicht, unzufrieden, trotzdem die Speisen unter Metalldeckeln und auf angewärmten Tellern aufgetragen wurden. Die Weine waren auch schlecht, trotz der großartigen, gold- und silbergerandeten Etiquetten aus den Flaschen. Sofia Kirillowna hörte nicht auf zu plaudern; dann und wann warf sie ausdrucksvolle Blicke auf die um die Tafel beschäftigten Diener. Auch sprach sie durchaus nicht schüchtern dem Weine zu, wobei sie die Bemerkung nicht unterließ, daß in England alle Damen Wein trinken, während auch das hier für unschicklich gelte. Nach dem Essen lud sie ihre Gäste in das Empfangszimmer und fragte sie, ob sie Kaffee oder Thee vorzögen. Boris Andrejitsch ließ sich Thee geben; nachdem er aber seine Tasse geleert hatte, bedauerte er innerlich, keinen Kaffee verlangt zu haben. Peter Wassiljewitsch dagegen bat zuerst um Kaffee; als er mit seiner Tasse fertig war, verlangte auch er Thee, von dem er kostete, dann aber die Tasse sofort auf die Tablette zurücksetzte. Die Wirthin hatte auf dem Sopha eine bequeme Lage eingenommen, rauchte sich eine Cigarette an und schien nicht ungewillt zu sein, von neuem ein lebhaftes Gespräch anzuknüpfen; ihre Augen funkelten, die gebräunten Wangen waren gluthgeröthet. Die Gäste unterhielten aber das Gespräch äußerst träge, beschäftigten sich vielmehr mit dem Rauchen und dachten – den Blicken nach zu urtheilen, die sich nach den Zimmerecken richteten – an ihre Abfahrt.

Uebrigens, was Boris Andrejitsch anbetrifft, so wäre er wahrscheinlich gern noch bis zum Abend geblieben; er begann sogar schon ein neues Gespräch mit Sofia Kirillowna, in Folge ihrer coquetten Frage – ob er sieh nicht wundere, daß sie allein wohne, ohne Gesellschafterin. – Aber Peter Wassiljewitsch drängte unnachsichtlich nach Hause. Er erhob sich, ging hinaus in das Vorzimmer und gab Befehl zum Anspannen. Beide Freunde wollten sich verabschieden. Die Wirthin suchte sie jedoch zurück zu halten, und als sie ihnen aufs Liebenswürdigste vorwarf, daß sie doch zu kurze Zeit bei ihr zugebracht hätten, offenbarte wenigstens Boris Andrejitsch durch die unentschlossene Körperhaltung und den geschmeichelten Ausdruck im Gesicht, daß die Vorwürfe der Dame bei ihm ihre Wirkung nicht verfehlten. Peter Wassiljewitsch aber hörte nicht auf zu murmeln: »Ganz unmöglich! . . . Es ist Zeit zum Abfahren . . . Die Geschäfte erfordern es . . . Jetzt ist Arbeitszeit auf dem Lande.« Er zog sich mit Hartnäckigkeit immer näher zur Thür zurück. Sofia Kirillowna nahm ihnen schließlich das Wort ab, daß sie schon in den nächsten Tagen ihren Besuch wiederholen würden und streckte ihnen die Hand zum Shakehands entgegen – auf Englisch! Boris Andrejitsch ging allein auf das Anerbieten ein und drückte ihre Finger fest in den seinen. Sie fixirte ihn dabei mit den Augen und lächelte. Während dessen zog Peter Wassiljewitsch im Vorzimmer bereits seinen Mantel an.

Der Wagen war kaum aus dem Dorfe hinausgefahren, als Peter Wassiljewitsch zuerst das Stillschweigen brach und ausrief:

– Nein, nicht nach meinem Geschmack! Nein, paßt nicht für uns!

– Was wollen Sie damit sagen? – fragte Boris Andrejitsch.

– Nicht für uns! Nicht für uns! wiederholte Peter Wassiljewitsch und wendete sich, seitwärts blickend, ab.

– Wenn Sie sich so über Sofia Kirillowna äußern, so kann ich Ihnen nicht beistimmen; sie ist eine sehr nette Dame – nicht ohne Prätensionen zwar, aber sehr nett.

– Versteht sich! Freilich! Wenn nur, z. B. Nur . . . Aber was war denn meine Absicht beim Anstiften dieser Bekanntschaft?

Boris Andrejitsch blieb die Antwort schuldig.

– Ich sage Ihnen kurzweg – nicht für uns! Ich sehe ja selbst. Kann Ihnen wirklich so etwas gefallen? Sie spricht von sich: »Ich bin eine Epikuräerin!« Wozu soll das? Mir fehlen zum Beispiel auf der rechten Seite zwei Zähne – spreche ich je davon? Auch ohne daß ich es sage, werden es die Leute gewahr werden. Und zu alledem – was ist denn das für eine Wirthin?! Es fehlte nicht viel, so hätten wir es vor Hunger nicht ausgehalten! . . . Nein! Ich denke mit so: du kannst ungezwungen ja belesen sein, wenn es dich sonst nicht ruhen läßt – sei eine Dame von gutem Tone, aber vor Allem eine Wirthin! Nein, nicht das, nicht eines solchen Weibes bedürfen Sie. Diese rothen Westen und Geschirrdeckel, damit könnte man Ihnen nicht imponiren.

– Ist es denn aber unbedingt nöthig, mir zu imponieren? – fragte Boris Andrejitsch.

– Ich weiß schon was Sie brauchen – ich weiß ich es schon.

– Aber bei meiner Ehre – ich bin Ihnen für die Bekanntschaft mit Sofia Kirillowna ungemein verbunden!

– Um so besser! Aber ich wiederhole: sie ist es nicht, die wir suchen. —

Unsere beiden Gefährten kamen spät zu Hause an. Als sie sich trennten, nahm Peter Wassiljewitsch seinen Freund bei der Hand und sagte:

– Ich lasse Sie aber dennoch nicht in Ruhe und sage Sie von Ihrem Versprechen nicht los.

– Bitte, bitte! Ich stehe ja ganz zu Ihren Diensten – erwiederte Boris Andrejitsch.

– Das ist schön von Ihnen.

Peter Wassiljewitsch ging in sein Haus.

Eine volle Woche verstrich darauf in der gewohnten Ordnung blos mit der einzigen Besonderheit, daß Peter Wassiljewitsch irgendwohin aus ganze Tage verschwand. Endlich, an einem schönen Morgen, erschien er wiederum in seiner festlichen Kleidung und bot abermals Boris Andrejitsch an ihn zu einer Visite zu begleiten. Boris Andrejitsch, der diese Einladung, wie es schien, mit einer gewissen Ungeduld erwartet hatte, erklärte sich ohne Widerspruch bereit.

– Wohin wollen Sie mich diesmal führen? – fragte er Peter Wassiljewitsch, an seiner Seite im Schlitten Platz nehmend.

Seit ihrer Fahrt zu Sofia Kirillowna hatte sich der Winter unterließ definitiv eingestellt.

– Ich führe Sie jetzt – antwortete Peter Wassiljewitsch gedehnten Tones – in ein sehr achtbares Haus, zu Tichodujeff’s. Das ist eine sehr ehrenwerthe Familie. Der Alte diente früher als Oberst im Regiment und ist ein ausgezeichneter Mann. Seine Frau ist eine charmante Dame. Sie haben zwei Töchter, äußerst liebenswürdige Geschöpfe, die gut erzogen sind, auch Vermögen besitzen. Ich weiß noch nicht, welcher von Beiden Sie den Vorzug geben werden: die Eine ist etwas lebhaft, die Zweite mehr gelassen; diese Zweite möchte sogar schon etwas zu schüchtern sein. Aber es könnte wohl Jede für sich einstehen. – Sie werden ja sehen.

– Gut, wollen wir sehen – erwiederte Boris Andrejitsch und dachte bei sich: grade so wie die Familie Larin im Onjegin.2

Ob in Folge dieses sich ihm aufdrängenden Vergleiches oder einer andern Ursache, genug: seine Gesichtszüge nahmen auf einige Zeit den Ausdruck von Enttäuschung und Melancholie an.

– Wie nennt sich der Vater? – fragte er nachlässig.

– Er heißt Kalimon Iwanitsch – antwortete Peter Wassiljewitsch.

– Kalimon! Auch ein Name! . . . Und die Mutter?

– Heißt Pelageja Iwanowna.

– Und die Töchter?

– Die Eine heißt ebenfalls Pelageja, und die Andere – Emerenzija.

– Emerenzija? Solch einen Namen habe ich in meinem Leben noch nicht gehört! . . . Und noch dazu Kalimonowna!

– Freilich, der Name klingt etwas eigenthümlich. Aber was für ein Mädchen ist sie auch dafür! Man könnte sagen, sie sei durch und durch in dem reinen Feuer der Tugend geglüht.

– Aber Peter Wassiljewitsch, erbarmen Sie Sich! Sie bedienen sich ja solch poetischer Ausdrücke! . . . Und welche von Beiden ist es, die man Emerenzija anspricht? Die Gelassenere?

– Nein, die Andere . . . Sie werden ja übrigens selbst sehen.

– Emerenzija Kalimonowna! – konnte sich Boris Andrejitsch nicht enthalten, nochmals auszurufen.

Die Mutter ruft sie Emérence – bemerkte halblaut Peter Wassiljewitsch.

– Und ihren Mann sodann . . . »Calimon«?

– Das habe ich noch nicht gehört. Warten wir lieber ab.

– Nun, ich will schon warten.

Bis zu Tichodujeff’s waren es ebenfalls gegen 25 Werst, wie bis zu Sofia Kirillowna; dagegen erinnerte hier die Meierei nicht im geringsten an das zierliche Häuschen der lebhaften Wittwe. Hier glotzte ihnen ein plumpes Gebäude entgegen, geräumig und ausgedehnt – ein Haufen dunkler Balken mit ebenso dunkeln Fensterscheiben. Von beiden Seiten führten bogenförmig zwei Reihen schlanker Birken auf das Haus zu; hinter dem Dache ragten die erdgrauen Wipfel großer Linden hervor, so daß das Haue rings herum von Bäumen umgeben schien. Im Sommer verlieh dieser Baumwuchs der Meierei vielleicht ein lebendiges Aussehen im Winter aber vermehrte er die Trostlosigkeit der Einöde. Der Eindruck, den das Innere des Hauses machte, konnte auch nichts weniger als heiter genannt werden. Alles war dort düster und trübe, Alles sah noch älter aus, als es in Wirklichkeit war. Unsere Freunde ließen sich anmelden; sie wurden eingeladen in das Gastzimmer einzutreten. Der Herr des Hauses empfing sie in Begleitung seiner Gemahlin; die Geberdenbegrüßung aber, während welcher sich die Gäste auf freundliche Verbeugungen beschränkten, wurde von vier weißen Hündchen unterbrochen die beim Erscheinen der fremden Herren, von ihren gestickten Kissen heruntersprangen und einen heftigen Lärm anschlugen. Nur mit Noth, durch Schlagen mit dem Schnupftuch und durch andere Mittel, gelang die kläffenden Hündchen zu beruhigen; das eine, ein altes und besonders böses Thier mußte die eintretende Magd sogar unter dem Sopha hervorziehen und in das Schlafzimmer tragen, wobei sie ohne einen Biß in die rechte Hand nicht davon kam.

Peter Wassiljewitsch benutzte die eingetretene Ruhe, um Boris Andrejitsch vorzustellen. Der Hausherr und seine Frau betheuerten, daß ihnen die neue Bekanntschaft Freude mache. Sodann erfolgte von Seiten Kalimon Iwanitsch’s die Vorstellung zwischen seinen Töchtern, die er Palinka und Eminka nannte, und dem neuen Gaste. Im Zimmer befanden sich noch zwei weibliche Personen. Die Eine trug eine Haube, die Andere ein dunkles Tüchelchen. Aber Kalimon Iwanitsch hielt es nicht für nöthig, sie Boris Andrejitsch vorzustellen.

Kalimon Iwanitsch war ein Mann von ungefähr 55 Jahren, hoch gewachsen, corpulent und grauhaarig. Sein Gesicht zeigte nichts Besonderes: schwere, gewöhnliche Züge mit dem gemischten Ausdrucke von Gleichgültigkeit, Güte und Trägheit. Seine Gemahlin eine kleine, hagere Frau mit verwelktem Gesichte und einer rothhaarigen Perücke, die unter der hohen Haube hervorsah, schien beständig in Unruhe zu sein. Man bemerkte an ihren Geberden die Spuren einstiger Affektation. Von den beiden Töchtern hatte die Eine, Pelageja – eine dunkle Brünette – ein unfreundliches Gesicht; sie war überhaupt menschenscheu. Die Andere dagegen, Emerenzija, ein blondes, dralles Mädchen mit runden, rothen Wangen, zusammengezogenem kleinen Munde, aufgeworfenem Näschen und lieblichen Augen, that sich beständig hervor. Man sah es ihr an, daß die Pflicht, Gäste zu empfangen, ihr besonders oblag, und auch, daß sie das nicht im geringsten beschwerte. Beide Schwestern trugen weiße Kleider mit blauen Bändern, die bei der mindesten Bewegung aufflatterten. Emerenzija stand die blaue Farbe sehr gut; nicht aber Palinka – es schien überhaupt, als ob es Nichts gäbe, das sie kleiden könnte, obwohl man sie sonst nicht übel nennen konnte.

Die Gäste nahmen ihre Plätze ein. Die Alten legten ihnen Fragen mit jenem Ausdrucke vor, dem man ein erkünsteltes Interesse nicht abdenken kann; wie es gewöhnlich bei anständigen Leuten in den ersten Momenten der Unterhaltung mit einem neuen Bekannten der Fall ist. Die Gäste antworteten in derselben Weise. Dies Alles brachte einen ziemlich peinlichen Eindruck hervor. Kalimon Iwanitsch, der von Natur aus nicht eben erfinderisch war, fragte Boris Andrejitsch, »ob er sich seit längerer Zeit schon in ihrer Gegend ansässig gemacht habe,« während Boris Andrejitsch soeben dieselbe Frage an Pelageja Iwanowna beantwortet hatte. Mit einer äußerst gezierten Stimme, deren man sich leicht in Gegenwart von Gästen, die man zum ersten Male aufnimmt, bedient, machte Pelageja Iwanowna ihrem Gatten wegen feiner Zerstreuung einen leisen Vorwurf. Kalimon Iwanitsch gerieth ein wenig in Verwirrung und schnaubte in sein carrirtes Taschentuch. Das so hervorgebrachte Geräusch regte eines der Hündchen auf, so daß es von neuem zu kläffen begann. Emerenzija wußte jedoch bald Rath; sie liebkoste das Hündchen und brachte es zum Schweigen. Sie besaß auch die Geschicklichkeit, sich ihren etwas aus der Fassung gerathenen Eltern gefällig zu machen, indem sie das Gespräch wieder belebte und bescheiden, aber mit einer gewissen Sicherheit neben Boris Andrejitsch ihren Platz einnahm. Anmuthigen Tones richtete sie an ihn Fragen, die zwar an sich unbedeutend waren, die aber lebhafte Antworten und so eine angenehme Unterhaltung veranlaßten. Alles ging nun nach Wunsch: es entfaltete sich eine allgemeine Diskussion, an welcher nur Palinka sich nicht betheiligte. Sie schaute unverwandt mit düsterem Blick zu Boden, während Emerenzija lachte und ab und zu nicht unterließ, ihre Hand graziös emporzuheben, als ob sie sagen wollte: »sehr mich nur an, wie wohlerzogen und liebenswürdig ich bin, wie viel Munterkeit und Wohlwollen ich allen Menschen entgegenbringe!« Es schien auch wirklich, daß sie sich nur aus reiner Gutmüthigkeit so rege am Gespräches betheiligte. Sie lachte und erhielt sich voll Anmuth in dieser Stimmung, obwohl Boris Andrejitsch im Anfange nichts Besonderes vorbrachte. Sie lachte später noch mehr, als Boris Andrejitsch, durch den Erfolg seiner Worte ermuntert, anfing, wirklich zu witzeln und geistreich zu werden . . . Peter Wassiljewitsch lachte ebenfalls. Wjasownin bemerkte unter Anderem, daß er ein leidenschaftlicher Verehrer der Musik sei.

 

– Und ich liebe die Musik, wie Keiner sonst! – rief Emerenzija aus.

– Sie lieben sie nicht nur – warf Peter Wassiljewitsch ein – Sie sind auch eine vortreffliche Virtuosin.

– Wirklich? – fragte Boris Andrejitsch.

– Ja wohl! – fuhr Peter Wassiljewitsch fort. – Sowohl Fräulein Emerenzija, als Fräulein Pelageja Kalimonowna, alle beide junge Damen spielen ausgezeichnet Clavier; besonders Fräulein Emerenzija Kalimonowna.

Als Palinka ihren Namen hörte, wurde sie roth und sprang überrascht von ihrem Sessel auf, während Emerenzija die Augen niederschlug.

– Ach, mes domoiselles – sagte nun Boris Andrejitsch – Sie werden doch wohl die Güte haben. . . und mir das Vergnügen nicht vorenthalten . . .

– Ich weiß wahrhaftig nicht . . . – stotterte Emerenzija; und indem sie auf Peter Wassiljewitsch einen schelmischen Blick warf, setzte sie im Tone des Vorwurfs hinzu – aber, Peter Wassiljewitsch! . . .

Peter Wassiljewitsch jedoch, als ein Mann von positiver Art, wandte sich sofort an die Wirthin selbst.

– Pelageja Iwanowna – sagte er – veranlassen Sie doch Ihre Töchter uns Etwas vorzuspielen oder zu singen!

– Ich weiß nicht, ob sie heute bei Stimme sind – erwiederte Pelageja Iwanowna. – Man kann ja aber versuchen.

– Ja wohl! Versuchet nur! Versuchet nur! – ließ sich auch der Vater vernehmen.

– Ach, maman, wie kann man denn . . .

– Emérence, quand je vous dis . . . diktirte halblaut, aber sehr ernst Pelageja Iwanowna. Sie hatte nämlich die auch vielen andern Martern eigenthümliche Gewohnheit, den Kindern in Gegenwart von Fremden ihre Befehle und Instruktionen in französischer Sprache zu ertheilen, mochten auch die Anwesenden in dieser Sprache selbst geläufig sein. Es war dies um so mehr zu verwundern, als sie selbst das Französische ziemlich schlecht beherrschte und obendrein noch eine schlechte Aussprache hatte.

Emerenzija erhob sich.

– Was werden wir also vorsingen, maman? – fragte sie gehorsam.

– Euer Duett. Es ist ja so schön. Meine Töchter – fügte sie, sich an Boris Andrejitsch wendend, hinzu – besitzen verschiedene Stimmen. Emerenzija hat eine Diskantstimme . . .

2Ein Poem von Puschkin.
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