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Tagebuch eines Überflüssigen

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, Aber ich! . . . Ich gab mich selbst und meine ganze Zukunft auf. Wenn die Leiden so weit gehen, daß sie unser ganzes Innere wie einen überladenen Wagen zu knarren und zu ächzen zwingen, so sollten sie doch aufhören, lächerlich zu erscheinen – aber nein! Das Gelächter verfolgt nicht nur die Thränen bis zuletzt, bis zur Erschöpfung, zur Unmöglichkeit, sie noch weiter zu vergießen – nein! es erschallt auch dort noch, wo die Zunge verstummt und die Klage machtlos verhallt . . . Und daher – erstens, weil ich auch vor mir selbst nicht lächerlich erscheinen Möchte – und zweitens, weil ich außerordentlich müde bin, verschiebe ich Fortsetzung, und so Gott will, auch Schluß meiner Erzählung bis zum morgenden Tage . . .

29. März. – Ein leichter Frost;
gestern war Thauwetter.

Gestern war ich nicht im Stande, mein Tagebuch fortzuführen: gleich Popristschin4 lag ich größtentheils auf dem Bette und unterhielt mich mit Terentjewna. Das ist aber einmal eine Frau! Vor sechzig Jahren verlor sie ihren ersten Bräutigam an der Pest, sie hat alle ihre Kinder überlebt, ist unverzeihlich alt, trinkt Thee, soviel in sie nur hinein will, ist vollgestopft und warm gekleidet. Und was denken Sie – wovon redete sie mir den ganzen gestrigen Tag? Einer andern, ganz und gar entblößten Frau ließ ich zu einer Weste (sie trägt nämlich Brustflecke in Form einer Weste) den Kragen einer abgenutzten, halb von Motten zerfressenen Livrée geben . . . nun, das wurmt sie, weil ich es nämlich nicht ihr gegeben habe! »Ich bin ja Ihre Nianga (Wärterin) . . . Ja, Väterchen, es war nicht recht von Ihnen . . . Wie habe ich Sie immer gepflegt! . . .« u.s.w. Die mitleidslose Frau hat mich mit ihren Vorwürfen ganz ohnmächtig gemacht . . . Aber kehren wir zur Erzählung zurück.

Ich litt also wir ein Hund, über dessen Hinterleib ein Wagen gefahren ist. Damals erst, erst nach der Verstoßung aus dem Oschogin’schen Hause wurde es mir vollkommen klar – wie viel Vergnügen ein Mensch aus der Betrachtung seines eigenen Unglücke schöpfen kann. – Menschen! Wahrlich ein bedauernswerthes Geschlecht! . . .

Jedoch, weg mit allen philosophischen Randglossen! . . . Ich verbrachte die Tage in vollkommener Einsamkeit; nur auf Umwegen, sogar auf widrige Art war es mir möglich, zu erfahren, was in der Oschogin’schen Familie vorging, was der Fürst vor sich brachte: mein Diener hatte nämlich die Bekanntschaft irgend einer weitläufig verwandten Tante der Frau des fürstlichen Kutschers gemacht. Diese Bekanntschaft gewährte meinem Herzen eine gewisse Erleichterung und mein Diener konnte bald in Folge meiner Geschenke und Anspielungen machen, worüber er sich mit seinem Herrn zu unterhalten hatte, während er ihm des Abends die Stiefel auszog. Manchmal hatte ich Gelegenheit, auf der Straße dem Einen oder dem Andern aus der Oschogin’schen Familie, Bismenkoff oder dem Fürsten zu begegnen. Mit den Letzteren wechselte ich Grüße, knüpfte aber nie ein Gespräch mit ihnen an. Lisa sah ich im Ganzen drei Mal: einmal mit ihrer Mutter im Modemagazin, das andere Mal in einem offenen Wagen mit ihrem Vater, und noch einmal – in der Kirche. Selbstverständlich wagte ich nicht auf sie zuzugehen und sah sie nur von ferne. Im Magazin sah sie sehr besorgt aus, war aber heiter . . . Sie bestellte Etwas und hielt sich geschäftig verschiedene Bänder an. Die Mutter sah ihr zu, die Hände über dem Magen gekreuzt und die Nase in die Höhe gehoben, und übergoß sie mit einem dummen und gewährenden Lächeln, welches nur liebenden Müttern zu verzeihen ist. Im Wagen mit dem Fürsten war Lisa . . . Nie werde ich diese Begegnung vergessen! Die alten Oschogin’s saßen auf dem Rücksitz, Lisa und der Fürst im Fond des Wagens. Sie sah blasser aus als gewöhnlich, ihre Wangen waren kaum sichtbar mit Roth überhaucht. Sie saß halb zum Fürsten gewendet; auf ihre gestreckte rechte Hand gelehnt (in der linken hielt sie einen Schirm) und, schmachtend den Kopf senkend, blickte sie ihm mit ihren ausdrucksvollen Augen in’s Gesicht. In diesem Augenblicke gab sie sich ihm ganz, vertraute sie sich ihm unwiderruflich. Ich hatte keine Zeit, sein Antlitz zu beobachten – der Wagen fuhr rasch an mir vorüber – aber es schien mir, daß auch er tief bewegt war.

Das dritte Mal sah ich sie in der Kirche. Es waren kaum zehn Tage verstrichen, seitdem ich ihr im Wagen mit dem Fürsten begegnet war, und nicht mehr als drei Wochen seit meinem Duell. Das Geschäft, in welchem der Fürst nach O . . . gekommen war, war schon beendet; aber er zögerte immer noch mit seiner Abreise. Er meldete sich nach Petersburg krank. In der Stadt erwartete man von Tag zu Tag seinerseits einen formellen Antrag bei Kirillo Matweijewitsch. Ich selbst wartete nur noch diesen Schlag ab, um mich für immer zu entfernen. Die Stadt O . . . war mir zuwider. Ich konnte nicht zu Hause sitzen und trieb mich früh und spät in der Umgebung umher. An einem grauen, regnerischen Tage trat ich auf dem Heimwege von meinem durch den Regen unterbrochenen Spaziergange in eine Kirche ein. Der Abend-Gottesdienst hatte eben begonnen; die Zahl der Andächtigen war gering. Ich schaute um mich und erblickte plötzlich neben einem der Fenster ein bekanntes Profil. Ich hatte sie anfangs nicht erkannt: dieses bleiche Gesicht· dieser erloschene Blick diese eingefallenen Wangen – ist es denn wirklich dieselbe Lisa, die ich vor zwei Wochen gesehen habe? In einen Mantel gehüllt, keinen Hut auf dem Kopfe, seitwärts von einem kalten, durch das breite, weiße Fenster entfallendem Strahle beleuchtet, blickte sie unbeweglich auf die mit Heiligenbildern geschmückte Wand des Sanctum sanctorium und schien sich zum Beten zu zwingen, schien sich anzustrengen, aus einer muthlosen Erstarrung herauszukommen. Ein rothbackiger wohlbeleibter Diener mit gelben Schnüren auf der Brust stand, die Hände auf dem Rücken gefaltet, hinter ihr und blickte mit schläfriger Gleichgültigkeit auf sein Fräulein. Ich erzitterte, wollte aus sie zugehen, blieb aber wie angewurzelt stehen. Eine peinliche Ahnung beklemmte meine Brust. Lisa bewegte sich nicht. Die Leute entfernten sich, der Kirchendiener begann die Kirche auszufegen – sie rührte sich noch immer nicht von der Stelle. Der Diener ging auf sie zu, berührte ihr Kleid und sagte ihr Etwas; sie sah sich um, fuhr mit der Hand über das Gesicht und ging. Ich begleitete sie von der Ferne bis zu ihrem Hause und kehrte dann heim.

»Sie ist verloren!« rief ich, in mein Zimmer tretend, aus.

Ich versichere, daß ich mir jetzt noch keine Rechenschaft von den Gefühlen geben kann, die ich damals empfunden habe. So viel ich mich erinnere, warf ich mich auf das Sopha, kreuzte die Arme und heftete meine Augen auf die Diele; aber ich wußte wahrlich nicht, wie das kam: inmitten meines Kummers empfand ich eine Art Befriedigung . . . Ich hätte das nie gestanden, wenn ich nicht für mich selber schriebe . . . Es peinigten mich qualvolle, schreckliche Vorahnungen . . . und wer weiß – ich wäre vielleicht schließlich sehr verblüfft gewesen, wenn sie sich nicht bewahrheitet hätten. »So ist das menschliche Herz!« würde mit erhobener Stimme irgend ein russischer Lehrer in den mittleren Jahren ausgerissen und dabei seinen dicken Zeigefinger, der mit einem Ringe geschmückt ist, aufrichten. Aber was geht uns die Meinung eines russischen Lehrers mit ausdrucksvoller Stimme und einem Ringe auf dem Finger an?

Wie dem schon sei – meine Vorahnungen erwiesen sich als begründet. Es verbreitete sich plötzlich in der Stadt das Gerücht, der Fürst sei, in Folge eines Befehles aus Petersburg, abgereist – er sei abgereist, ohne sich Kirillo Matweijewitsch oder seiner Frau gegenüber erklärt zu haben – und man sagte, daß nun Lisa Nichts mehr übrig bleibe, als bis an ihr Ende seinen Treuebruch zu beklagen. Die Abreise des Fürsten kam ganz unerwartet, da noch am Tage zuvor sein Kutscher – wie mich mein Diener versicherte – von den Absichten seines Herrn noch keine Ahnung hatte. Diese Neuigkeit warf mich in Fieberhitze: ich kleidete mich sofort an und war schon auf dem Wege zu Oschogin’s; aber ich überlegte es mir und beschloß, anständigerweise bis morgen zu warten. Uebrigens verlor ich Nichts, indem ich zu Hause blieb. Noch am selben Abend kam bei mir ein gewisser Pandopipopulo vorbei, ein durchreisender Grieche, der durch Zufall in O . . . aufgehalten wurde – ein Klatschweib ersten Ranges, der mehr als alle Andern wegen meines Duelles mit dem Fürsten in Grimm gegen mich entbrannt war. Er ließ meinem Diener nicht einmal Zeit, ihn bei mir anzumelden – drang buchstäblich in mein Zimmer, drückte mir krampfhaft die Hand, entschuldigte sich tausendmal hintereinander, nannte mich – ein Beispiel von Großmuth und Kühnheit malte den Fürsten in den allerschwärzesten Farben, verschonte nicht die alten Oschogin’s, ließ en passant ein scharfes Wort auf Rechnung von Lisa fallen – und lief fort, nachdem er mir einen Kuß auf die Schulter gedrückt. Unter Anderem aber erfuhr ich von ihm, daß der Fürst, en grand seigneur, vor seiner Abreise auf eine delikate Andeutung von Seiten Kirillo Matweijewitschs kalt geantwortet, er wolle Niemanden täuschen, und er habe nicht die Absicht, zu heirathen, wonach er sich erhoben und verabschiedet habe und verschwunden sei . . .

Am folgenden Tage begab ich mich zu Oschogin’s.

Der Diener sprang bei meinem Erscheinen blitzschnell von seiner Bank auf. Ich ließ mich anmelden – der Diener beeilte sich und kam bald wieder zurück: »Bitte, einzutreten – Sie werden gütigst ersucht. Ich trat in das Kabinet Kirillo Matweijewitsch’s ein . . . Bis morgen.

 
30. März. – Frost.

Wie gesagt, ich trat in das Cabinet Kirillo Matweijewitschs ein. Ich hätte viel darum gegeben, hätte mir jetzt einer mein eigenes Gesicht zeigen können, in dem Augenblicke als dieser würdige Beamte, in aller Eile seinen bucharischen Schlafrock zusammenschlagend, mit ausgestreckten Händen auf mich zukam. Von meinem ganzen Wesen strahlte gewiß ein bescheidener Triumph, nachsichtige Theilnahme und grenzenlose Großmuth . . . Ich hatte das Gefühl eines Scipio Africanus. Oschogin war augenscheinlich verwirrt und niedergeschlagen; er vermied meinen Blick und konnte auf seinem Platze nicht ruhig sitzen. Ich bemerkte auch, daß er unnatürlich laut sprach und sich in Allem sehr unbestimmt ausdrückte – er bat mich unbestimmt, aber mit Feuer um Entschuldigung, gedachte unbestimmt des abgereisten Gastes und fügte einige allgemeine und unbestimmte Bemerkungen über die trügerische Unbeständigkeit der irdischen Güter hinzu. Plötzlich in seinem Auge eine Thräne bemerkend, beeilte er sich, eine Prise Tabak zu nehmen, um mich über die Ursache irre zu führen, die seine Thräne hevorgelockt . . . Er schnupfte russischen, grünen Tabak, und es ist ja bekannt, daß diese Pflanze sogar bei alten Leuten Thränen hervorruft, durch welche das menschliche Auge mehrere Augenblicke hintereinander stumpf und besinnungslos hindurchschaut. Ich benahm mich selbstverständlich sehr schonunsgvoll gegen den Alten, erkundigte mich nach dem Wohlergehen seiner Frau und Tochter und ging bald auf feine Weise auf das interessante Thema von dem Fruchtwechselsystem in der Landwirthschaft über. Ich war wie gewöhnlich gekleidet, doch das mich erfüllende Gefühl von zarter Höflichkeit und sanfter Nachsicht rief in mir eine Empfindung von Feierlichkeit und Frische wach – grade so, als ob ich mit weißer Weste und Cravatte angethan gewesen wäre. Eines nur beunruhigte mich: der Gedanke an das Zusammentreffen mit Lisa . . . Oschogin bat mich endlich selbst, mich zu seiner Frau führen zu dürfen. Diese gutmüthige aber beschränkte Frau fühlte sich im ersten Augenblicke, da sie meiner ansichtig wurde, sehr confus; ihr Gehirn war aber nicht fähig, längere Zeit ein und denselben Eindruck zu behalten, und daher beruhigte sie sich auch bald. Endlich sah ich auch Lisa . . . Sie betrat das Zimmer.

Ich erwartete, in ihr eine beschämte, reuige Sünderin zu erblicken, und suchte schon im Voraus meinem Gesichte den allerfreundlichsten, ermunterndsten Ausdruck zu verleihen . . . Wozu das Lügen? Ich liebte sie wirklich und schmachtete nach dem Glücke, ihr zu verzeihen und ihr die Hand zu reichen. Zu meiner unbeschreiblichen Verwunderung aber beantwortete sie meinen ausdrucksvollen Gruß mit einem kalten Lachen, bemerkte nachlässig: »Ah, Sie sind es?« – und wendete sich bald wieder von mir ab. Wahr ist es, ihr Lachen schien mir ein gezwungenes zu sein und paßte sehr wenig zu ihrem abgezehrten Gesichte . . . aber immerhin war ich auf einen solchen Empfang nicht vorbereitet . . . Mit Erstaunen sah ich zu ihr auf, welche Veränderung war mit ihr vorgegangen! Zwischen dem früheren Kinde und dem jetzigen Weibe war keine Aehnlichkeit mehr zu entdecken. Es schien, als ob sie gewachsen wäre, als ob sie sich aufgerichtet hätte, alle Züge ihres Gesichtes, besonders die Lippen, schienen einen bestimmten Ausdruck gewonnen zu haben . . . ihr Blick war tiefer, fester und finsterer. Ich blieb bis Mittag bei Oschogins. Sie stand einige Male auf, verließ das Zimmer und kam wieder zurück, beantwortete in Ruhe die an sie gerichteten Fragen und schenkte mir mit Absicht nicht die mindeste Aufmerksamkeit. Sie wollte – ich bemerkte es – mir zu fühlen geben, daß ich sogar ihres Zornes nicht würdig sei, obwohl ich aus dem Punkte gewesen war, ihren Liebhaber zu tödten. Ich verlor endlich die Geduld. Eine giftige Anspielung riß sich schon von meinen Lippen los . . . sie erbebte, sah mich rasch an, erhob sich und sagte, indem sie an das Fenster trat mit vibrirender Stimme: »Sie können Alles sagen, was Ihnen beliebt, aber merken Sie sich ein für allemal, daß ich diesen Menschen liebe und ewig lieben werde, und daß ich ihn mir gegenüber nicht für schuldig halte – im Gegentheil« . . . ihre Stimme zitterte, sie blieb stehen . . . sie wollte sich überwinden, vermochte es aber nicht, brach in Thränen aus und eilte aus dem Zimmer . . . Die alten Oschogins stutzten . . . ich drückte ihnen Beiden die Hand, athmete tief auf, erhob die Augen zum Himmel und entfernte mich.

Ich fühle mich zu schwach, an Zeit bleibt mir nur noch sehr wenig – ich bin nicht mehr imstande, mit der bisherigen Ausführlichkeit jene Reihe von qualvollen Combinationen, festen Entschlüssen, und sonstigen Ergebnissen des inneren Kampfes zu beschreiben, welche nach der Erneuerung meiner Bekanntschaft mit Oschogins in mir auftauchten. Ich zweifelte nicht, das Lisa den Fürsten immer noch liebte und noch lange lieben werde . . . aber als ein Mensch, den die Umstände zahm gemacht und der sich auch selbst bezähmt hatte, träumte ich nicht mehr von ihrer Liebe: ich wünschte mir nur noch ihre Freundschaft, wünschte ihr Vertrauen, ihre Achtung zu gewinnen, was, wie erfahrene Leute versichern, als die beste Stube des ehelichen Glückes betrachtet werden kann . . . Leider hatte ich einen wichtigen Umstand außer Acht gelassen – nämlich, daß mich Lisa seit dem Duell haßte. Ich erfuhr es zu spät . . . Ich fing an, wie zuvor das Oschogin’sche Haus zu besuchen; Kirillo Matweijewitsch schmeichelte mir und behandelte mich rücksichtsvoll rücksichtsvoller als zuvor. Ich habe sogar Ursache zu glauben, daß er mir damals, trotzdem ich ein unansehnlicher Bräutigam gewesen wäre, mit Vergnügen seine Tochter zur Frau gegeben hätte: die öffentliche Meinung verfolgte ihn sammt Lisa, – und mich, im Gegentheil, erhob sie in den Himmel. Das Benehmen Lisa’s gegen mich linderte sich nicht: sie schwieg meistens, gehorchte, wenn man sie zu Tisch bat, und bekundete äußerlich überhaupt nicht ihr Leiden; bei dem Allen aber schmolz sie wie ein Licht. Kirillo Matweijewitsch muß ich in dieser Hinsicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, er schonte sie in jeder Beziehung. Nur die alte Oschogin pflegte, wenn sie ihr armes Kindchen ansah, die Federn zu sträuben. Vor einem einzigen Menschen scheute sich Lisa nicht, obwohl sie auch mit ihm wenig sprach: das war Bismenkoff. Die alten Oschogins benahmen sich auch gegen ihn, sogar grob – sie konnten ihm sein Sekundantenthum nicht verzeihen. Aber er fuhr fort, sie zu besuchen, als ob er ihre Abgunst gar nicht bemerkte. Gegen mich war er sehr kalt, und ich – ein seltsames Ding – mir war es, als ob ich mich vor ihm fürchtete.So ging es ungefähr zwei Wochen. Endlich, nach einer schlaflosen Nacht, faßte ich den Entschluß, mich Lisa zu erklären, mein Herz vor ihr auszuschütten, ihr zu sagen – daß ich, trotz der Vergangenheit, trotz allen Geredes und aller Klatschereien, mich glücklich schätzen würde, wenn sie mich mit ihrer Hand beehren, wenn sie mir ihr Vertrauen wiederschenken wollte. Ich habe mir, ohne zu spaßen, wirklich eingebildet, daß ich, wie sich die Romanschreiber ausdrücken, damit ein unbeschreibliches Beispiel von Großmuth an den Tag legen werde, und daß sie, schon einzig und allein aus Ueberraschung, ihre Zustimmung geben müsse. Jedenfalls drängte es mich nach Klarheit; ich wollte endlich einmal aus aller Ungewißheit herauskommen.

Hinter dem Oschogin’schen Hause befand sich ein ziemlich großer Garten, der in einem verlassenen und verwilderten Lindenwäldchen endigte. Inmitten dieses Wäldchen erhob sich eine alte Laube in chinesischen Stile; ein hölzerner Zaun trennte den Gatten von einem todtenstillen Gäßchen. Lisa pflegte ganze Tage in diesem Garten allein zu spazieren. Kirillo Matweijewitsch wußte es und verbot sie zu stören und ihr nachzufolgen: es wird sich, meinte er, der Kummer schon bei ihr legen. Fand man sie nicht im Hause, so genügte es, vor Tische, an der Glocke, welche im Corridor angebracht war, zu schellen, und sie pflegte alsbald zu erscheinen – um dem unausbleiblichen, starrsinnigen Schweigen auf den Lippen und im Blicke – mit einem zerknitterten Blatte in der Hand. Da ich sie eines Tages zu Hause vermißte, so stellte ich mich an , als ab ich weggehen wollte – ich verabschiedete mich bei Kirillo Matweijewitsch, setzte den Hut auf und trat durch das Vorzimmer in den Hof und aus dem Hofe aus die Straße – von dort huschte ich mit ungewöhnlicher Schnelligkeit in das That zurück und schlich mich, an der Küche vorbei, in den Garten. Glücklicherweise wurde ich von Niemandem bemerkt. Ohne lange zu überlegen, trat ich mit raschen Schritten in den Hain ein. Vor mit, aus einem schmalen Fußsteg, stand Lisa. Mein Herz fing an zu klopfen. Ich blieb stehen, athmete tief aus und wollte schon aus sie zugehen – als sie plötzlich, ohne sich umzuwenden, die Hand aufhob und lauschte . . . Hinter den Bäumen, aus der Richtung des Gäßchens ließen sich deutlich zwei Schläge vernehmen, als ob Jemand an den Zaun klopfte. Lisa klatschte in die Hände – ein schwaches Knarren des Pförtchens ließ sich vernehmen, und aus dem Dickicht trat – Bismenkoff hervor. Ich versteckte mich gewandt hinter einen Baum. Lisa kehrte sich schweigend zu ihm um . . . Er nahm sie schweigend an seinen Arm; und sie gingen still den Fußsteig hinan. Ich schaute ihnen erstaunt nach. Sie hielten an, sahen sich um, verschwanden einmal hinter den Büschen, kamen wieder zum Vorschein und traten endlich in die Laube ein. Diese Laube war ein kreisrunde, ganz kleiner Bau mit einem einzigen Ausgange und einem kleinen Fensterchen; in der Mitte sah man einen alten Tisch auf einem Stamme, der mit dünnem, grünem Moos überwachsen war. Zwei verblichene, kleine Holzbänke standen an den Seiten, etwas abgerückt von den feuchten dunkeln Wänden. Hier pflegte man an besonders heißen Tagen – und das in früheren Zeiten – den Thee einzunehmen.Die Thür ging gar nicht mehr zu, aus dem Fenster war der Rahmen schon längst herausgefallen, und da es mit einem Winkel stecken geblieben war, so hing er traurig herab wie ein gebrochener Flügel eines Vogels. Ich schlich mich an die Laube heran und sah behutsam durch die Spalten des Fensters hinein. Lisa saß auf der einen der Bänke, den Kopf gesenkt; die rechte Hand ruhte auf ihrem Knie, die linke hielt Bismenkoff mit seinen beiden Händen umschlossen. Er blickte sie mit Theilnahme an.

– Wie fühlen Sie sich heute? – fragte er halblaut.

– Unverändert – erwiderte sie; – weder schlimmer, noch besser. Um mich ist es leer, schrecklich leer! – setzte sie hinzu, schwermüthig den Kopf erhebend.

Bismenkoff antwortete nicht.

– Wie denken Sie – fuhr sie fort – wird er mir noch einmal schreiben?

– Ich glaube nicht, Lisaweta Kirillowna!

Sie schwieg.

– Uebrigens, was sollte er schreiben? Er sagte mir bereits Alles in seinem ersten Briefe. Ich konnte nicht seine Frau werden, aber ich war glücklich . . . es dauerte nicht lange . . . aber ich war glücklich.

Bismenkoff schlug die Augen nieder.

– Ach! – fuhr sie lebhaft fort – wenn Sie wüßten, wie mir dieser Tschulkaturin zuwider ist . . . Es kommt mir vor, als ob ich an den Händen dieses Menschen . . . sein Blut sähe. (Ich fühlte mich wie zermalmt in meinem Versteck.) Uebrigens – setzte sie nachdenkend hinzu – wer weiß, vielleicht, wenn dieses Duell nicht stattgefunden hätte . . . Ach, als ich ihn verwundet sah, fühlte ich augenblicklich, daß ich ihm ganz gehöre.

– Tschulkaturin liebt Sie – bemerkte Bismenkoff.

– Was geht es mich an! Bedarf ich etwa Jemandes Liebe? . . . – Sie hielt ein, und fügte langsam hinzu, ganz aufgelöst: Ja, mein Freund, Ihre Liebe ist für mich nothwendig; ohne Sie wäre ich verloren. Sie halfen mir schreckliche Momente überleben . . .

Sie schwieg. Bismenkoff streichelte mit väterlicher Zärtlichkeit ihre Hand.

– Was ist zu thun! Was ist zu thun! – wiederholte er einige Male hintereinander.

– Und jetzt noch – sagte sie dumpf – ohne Sie, dünkt mich, würde ich sterben. Nur Sie allein erhalten mich noch . . . Sie haben ja Alles gewußt. Erinnern Sie sich, wie schön war es an jenem Tage . . . Aber entschuldigen Sie: es wird Ihnen wohl schwer sein . . .

– Sprechen Sie nur, sprechen Sie nur! Nicht doch! Gott behüte! – unterbrach sie Bismenkoff.

Sie drückte ihm die Hand.

– Sie sind ein guter Mensch, Bismenkoff – sprach sie weiter – Sie sind so gut wie ein Engel. Was kann ich thun! Ich fühle es, daß ich ihn bis zum Grabe lieben werde. Ich habe ihm verziehen – ich bin ihm Dank schuldig. Gott gebe ihm viel Glück! Gebe er ihm eine Frau nach seinem Wunsche! – Ihre Augen füllten sich mit Thränen. – Daß er nur wenigstens nicht ganz meiner vergessen – daß er wenigstens von Zeit zu Zeit an seine Lisa denken wollte! . . . Wir wollen gehen – sagte sie nach einer Pause.

 

Bismenkoff drückte einen Kuß auf ihre Hand.

– Ich weiß – sagte sie wiederum mit Feuer – ich weiß: Alle beschuldigen mich. Alle werfen mich mit Steinen. Immerhin! Ich würde doch nicht mein Unglück gegen ihr Glück eintauschen . . . Nein, nimmermehr! . . . Er hat mich nicht lange geliebt, aber er liebte mich! Er hat mich nie getäuscht; er sagte mir nicht, daß ich seine Frau werden solle. Ich habe selbst nicht daran gedacht. Nur der arme Vater, er war der Einzige, der diese Hoffnung hegte. Und noch jetzt bin ich nicht ganz unglücklich: es bleibt mir die Erinnerung, mögen die Folgen noch so schrecklich sein . . . Es ist mir hier zu eng . . . hier habe ich ihn zum ersten Male gesehen . . . Kommen Sie in’s Freie!

Sie erhoben sich. Ich hatte kaum noch Zeit auf die Seite zu springen und mich hinter einer dicken Linde zu verstecken. Sie traten aus der Laube heraus und begaben sich, wie ich nach dem Geräusche der Schritte urtheilen konnte, in das Wäldchen. Ich weiß nicht wie lange ich dort bewegungslos gestanden, in bestimmungslose Unentschlossenheit versunken – als sich plötzlich wiederum Schritte vernehmen ließen. Bismenkoff und Lisa kehrten auf demselben Wege zurück. Beide waren sehr aufgeregt, besonders Bismenkoff. Er schien geweint zu haben. Lisa blieb stehen, sah ihn an und brachte deutlich folgende Worte hervor: »Ich willige ein, Bismenkoff. Ich hätte nicht eingewilligt, wenn es sich bei Ihnen nur darum gehandelt hätte, mich zu retten, mich aus meiner schrecklichen Lage herauszuführen. Aber, Sie lieben mich, Sie wissen Alles und lieben mich doch. Ich werde nie einen zuverlässigeren, neueren Freund finden. – Ich willige ein, Ihre Frau zu werden.«

Bismenkoff küßte ihre Hand. Sie antwortete ihm mit einem traurigen Lächeln und kehrte in das Haus zurück. Da Bismenkoff ihr sicherlich dasselbe gesagt hatte, was ich mir vorgenommen ihr zu sagen – und da sie ihm eine Antwort gab, wie ich sie selbst von ihr zu hören wünschte, so konnte ich mich nunmehr beruhigen. Zwei Wochen später wurde sie seine Frau. Den alten Oschogins war der erste beste Bräutigam willkommen.

Nun gestehen Sie – bin ich nicht ein Ueberflüssiger? Spielte ich nicht in dieser ganzen Geschichte die Rolle eines Ueberflüssigen? Die Rolle des Fürsten . . . hinterläßt keinen Zweifel. Die Rolle Bismenkoffs ist ebenfalls klar . . . Aber ich? wozu habe ich mich hineingemischt? . . . Was für ein dummes, fünftes Rad am Wagen! . . . Ach, wie bitter, wie bitter ist mir zu Muthe . . . Doch, wie sagen gleich die Burlaki5 Noch einmal! und noch einmal! – Noch ein Tag, noch ein zweiter, und mir wird weder bitter noch süß sein.

4Popristschin ist der Name des Helden in den »Memoiren eines Verrückten« von Gogol.
5Burlaki heißen Schiffsarbeiter, namentlich an der Wolga. Sie gebrauchen diese Ausrufungen, während sie, an Stricke gespannt, vom trockenen Lande aus, ein Fahrzeug stromaufwärts ziehen, zur Ermunterung, wie etwa unsere Zimmerleute das: Zug! Zug! beim Aufwinden eines Balkens.
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