Winterpony

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Den Hunden erging es noch schlechter. Die Wellen begruben sie unter sich, und sie kämpften an ihren Ketten um das nackte Überleben. Sie kläfften und heulten nicht mehr. Sie wimmerten wie kleine Vögel und blickten mit angsterfüllten Augen um sich. Selbst mir taten sie leid.

Der Wind nahm noch zu. Die Wellen stiegen immer höher. Packkisten und Säcke mit Kohle rutschten hin und her, schlugen an die Reling und an das Deckhaus.

Dann brach ein Stück der Reling ab. Es trudelte hinunter ins Meer, und ein Hund, der an das Holz angebunden war, paddelte ein paar Sekunden lang mit aller Kraft, bevor er unterging. Er tauchte wieder auf und schwamm, was das Zeug hielt, doch dann versank er endgültig.

Das Schiff würde untergehen, daran hatte ich keinen Zweifel. Es suhlte sich in den Wellen wie ein großes Schwein in einer Schlammkuhle. Ich konnte die Angst der Männer riechen, aber sie arbeiteten unbeirrt weiter. Nur ein paar von ihnen waren Matrosen. Die meisten waren Wissenschaftler und Doktoren. Es waren auch ein Koch und ein Fotograf unter ihnen, der schon an ruhigen Tagen dauernd seekrank war. Aber jeder einzelne Mann legte Hand an, um das Schiff zu retten. Und sie taten ihr Möglichstes. Tonnenweise schaufelten sie Kohle über die Reling ins Meer, pumpten Wasser aus dem Rumpf und trugen es in Eimern nach oben.

Ein Regenbogen erschien am Himmel, während sie noch schufteten. Es war der schönste Regenbogen, den ich je gesehen hatte. Riesig und strahlend stand er über uns. Einer der Männer sah ihn und stieß seinen Nachbarn an, und gleich darauf starrten alle nach oben. Dann schlug die nächste Riesenwelle über dem Schiff zusammen, und die Arbeit begann aufs Neue.

Als das Schiff sich ruckartig zur Seite warf, verlor ich das Gleichgewicht. Meine Vorderbeine rutschten unter mir weg, und ich fiel hart auf die Holzbohlen. Weder konnte ich aufstehen noch mich hinlegen, und ich dachte, jeden Moment würden mir die Beine brechen. Ich hörte eine Welle an Deck krachen, und plötzlich strömte Wasser in meine Box.

Ich geriet in Panik. Ich trat um mich, schrie laut aus Angst und Schmerz. Die See schlug brüllend auf mich ein, über mir zusammen, und der kleine Jehu machte einen Satz zur Seite, um von meinen wild wirbelnden Hufen nicht getroffen zu werden.

Ein Matrose sah mich, ein Mann namens Thomas Crean. Er rief um Hilfe, und Mr. Oates kam angerannt. «Halte durch, Junge», sagte er, während er in die Box kletterte.

Allein schon der Klang seiner Stimme hatte eine beruhigende Wirkung. Ich lag schwer atmend auf dem Boden, während er meine Beine entwirrte. Das große runde Gesicht von Taff Evans blickte über den Boxenrand zu mir herunter. Dann trat er zu Mr. Oates, und die beiden hievten mich gemeinsam wieder auf die Füße, so wie es meine Mutter am Tag meiner Geburt getan hatte. Sie hielten mich fest, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, und stützten mich von rechts und links.

«So ist’s recht», sagte Taff Evans. «Auf die Beine mit dir. Und schon ist die Sache erledigt.»

Als Mr. Oates sah, dass ich in Sicherheit war, eilte er davon. Ich hörte, wie die Ponys in der Dunkelheit unter Deck gegen das Schlingern ankämpften, hörte sie schreien, als sie gegen die Holzwände geworfen wurden.

Achtern stand Captain Scott, so zerzaust wie eine Vogelscheuche. Er steuerte nach Osten, mit dem Wind in seinem Rücken. Mir kam das Schiff regelrecht verängstigt vor. Es fuhr in einer rasenden Geschwindigkeit durch die turmhohen Wellen. Captain Scott wirkte ruhig und gelassen, aber das Schiff, so schien es mir, hatte einen Satz gemacht und war losgerannt, nur um wegrennen zu können.


Die Terra Nova scheint dem Untergang geweiht. Captain Scott steuert sie nach Osten, in der Hoffnung, dass der Sturm vorüberzieht. Er verlässt sich darauf, dass die Dampfmaschine das Wasser aus dem Bauch des alten Walfängers pumpt.oHo

Unter Deck ist alles nass. Meerwasser tropft durch den Kohlenbunker und wäscht den schwarzen Staub in den Kielraum. Dort, am tiefsten Punkt des Schiffes, schwappt es hin und her und vermischt sich mit dem Schmieröl aus dem Motor. Nach und nach wird es von der Pumpe eingesogen, wo es sich in eine schwarze, teerartige Masse verwandelt, die die Ventile verstopft und die Pumpe abwürgt.

Im Maschinenraum steigt das Wasser in Windeseile über die Grätings. Der Motor wird abgestellt, damit die Kessel nicht explodieren.

Die Terra Nova stampft schwer im Wasser, und die Wellen rollen über das Deck hinweg. Captain Scott, der achtern Position bezogen hat, sieht von seinem Schiff nur noch die Masten. Zwei Ponys werden in ihren Boxen so heftig hin und her geworfen, dass sie sterben. Ein Hund geht über Bord. Zehn Tonnen Kohle versinken im Meer, zusammen mit fünfundsechzig Gallonen Benzin, das für die Motorschlitten gedacht war.

Scott drückt seinen Wissenschaftlern Eimer in die Hände und schickt sie unter Deck, um das Wasser aus dem Kielraum zu schöpfen. Seine Matrosen zerschlagen mit Äxten ein Schott, um die verstopfte Pumpe wieder in Gang zu setzen.

Wissenschaftler mit Eimern und Matrosen mit Äxten retten das alte Schiff. Der Sturm klingt ab, und Scott setzt wieder Kurs nach Süden.

Amundsen und seine Fram sind viel weiter im Westen, Tausende von Meilen hinter Scott. Er hat gerade die Kerguelen hinter sich gelassen und befindet sich auf halbem Weg zwischen Afrika und Australien. Eigentlich wollte er die norwegische Walstation dort aufsuchen, aber schlechtes Wetter hat ihn daran gehindert, an Land zu gehen. Jetzt steht der Wind südlich und treibt ihn in Richtung Antarktis. Noch liegen viertausend Meilen vor ihm.

Auf seinem Schiff wimmelt es von Hunden. Siebenundneunzig waren es, als er Norwegen verlassen hat, aber unterwegs wurden Welpen geboren, und jetzt sind es viel mehr. Sie laufen frei herum; der Wind macht ihnen nichts aus, aber sie verabscheuen den Regen.

KAPITEL 3

Ich erfuhr erst vom Tod der beiden Ponys, als ihre Leichen durch die Ladeluke nach oben gebracht wurden.

Es war schrecklich, sie so schlaff und leblos zu sehen, wie einen Sack voll Kohlen. Ein paar Matrosen schleiften die Kadaver über das Deck und warteten, bis sich das Schiff zur Seite neigte. Dann wuchteten sie die Körper über die Reling. Der arme Mr. Oates machte ein todunglückliches Gesicht.

Ich sah, wie er an der Reling lehnte und ins Meer starrte, und ich wünschte, ich hätte zu ihm gehen und ihn halten können, wie er mich während des Sturms aufrecht gehalten hatte. Ich wusste, was er dachte: dass es nicht fair war, diese Ponys um die halbe Welt zu schleppen, weg von Wiesen und Wäldern, nur damit sie auf einem elenden Schiff mitten auf dem Meer starben. Ich konnte mir vorstellen, dass er dachte, die Ponys würden ihn deswegen hassen.

Die Männer hielten einen Moment mit ihrer Arbeit inne, als die toten Ponys ins Meer geworfen wurden. Gischt spritzte auf und befleckte Mr. Oates’ Stiefel, der darüber ganz erschrocken wirkte. Dann wandten sich die Matrosen wieder ihren Aufgaben zu, aber Mr. Oates blieb, wo er war. Er zog seine Pfeife aus der Jackentasche, zündete sie an und wandte das Gesicht dem Himmel zu.

Verglichen mit mir war er klein und zerbrechlich, aber in diesem Augenblick kam er mir so stark wie ein Ochse vor, und ich wusste, dass ich ihm bis ans Ende der Welt folgen würde, wenn er es von mir verlangte.

Süden, Süden, immer nach Süden fuhr das Schiff über Wellenberge und -täler auf unser Ziel zu, was immer das auch war.

Irgendwann sahen wir den ersten Eisberg. Er trieb weit im Westen, und ich konnte ihn kaum erkennen. Die Männer waren ganz aufgeregt und riefen einander zu. Ich beugte mich nach rechts und spähte zwischen zwei Reihen Packkisten hindurch. Weit in der Ferne glänzte die Sonne auf der Spitze des Eisbergs. Für mich sah es aus wie ein Stück Zucker, das auf einem grauen Teller aus Meer und Himmel lag.

Am selben Tag sahen wir schlanke Fische, die von den Männern Delfine genannt wurden, eine sehr verspielte Art. Die Männer versammelten sich am Bug und schauten ihn zu, wie sie in die Höhe sprangen und ihre Faxen machten. Es versetzte mir einen kleinen Stich, dass Mr. Oates bei ihnen war und so breit lächelte, dass ich mich fragte, ob er Fische lieber mochte als Ponys.

Die Hunde kläfften pausenlos und veranstalteten bei dem prustenden Atem der Delfine ein ohrenbetäubendes Theater. Auch am folgenden Tag bellten sie wie verrückt, als Vögel und Eisschollen auftauchten. Es dauerte nicht lange, und wir waren von Eisbrocken umringt, über uns die Vögel, sodass die Hunde kaum noch zu halten waren. Der Fotograf, ein Mann namens Mr. Ponting, machte Bilder von allem, was sich bewegte, und von vielem, was sich nicht bewegte.

Dann wurde das Eis dicker, und schließlich kam das Schiff nicht mehr voran. Wir saßen in einem Feld aus weißen Brocken fest, die sich in alle Richtungen ausbreiteten, so weit das Auge reichte. Die Segel wurden eingeholt, die Dampfmaschine stand still. Wir trieben einfach nur im Meer und warteten darauf, dass sich eine Rinne öffnete.

Wir warten stundenlang. Wir warteten tagelang. Den Männern wurde langweilig; sie standen an der Reling und kletterten in die Wanten und benahmen sich genauso stumpfsinnig wie die Hunde. Sie deuteten auf alles, was sich bewegte, von den mächtigen Walen, die hin und wieder zwischen den Schollen auftauchten, bis zu den kleinsten Vögeln. Manchmal schrien sie einige dieser Dinge an, manchmal schossen sie darauf. Sie beschossen sich auch gegenseitig, das hohle Bellen ihrer Waffen klang flach, weil es kein Echo hatte. Aber meistens lachten sie, und am meisten lachten sie über die fetten kleinen Vögel, die sie Pinguine nannten, die jämmerlichste Sorte Vögel, die ich je gesehen hatte.

 

Auf flachen Füßen aufrecht stehend, kamen die Pinguine mit ihren kleinen runden Bäuchen und ihren kurzen Stummelflügeln in Scharen auf uns zu gewatschelt. Sie waren schwarz und weiß, wie kleine Herren in kleinen Anzügen, die von einer Seite zur anderen schaukelten. Manchmal fielen sie über ihre eigenen Füße. In der Ferne sah ich, dass immer mehr kamen, und alle watschelten sie in Reih und Glied, entweder nebeneinander oder hintereinander.

Hin und wieder teilte sich das Eis mit einem deutlichen Beben, und das Schiff fuhr ein Stück weiter, manchmal mit gesetzten Segeln, manchmal mit dem Motor. An einigen Tagen kamen wir nicht einmal eine Meile voran, und an anderen wurden wir von den Eisschollen rückwärts gedrückt. Hin und wieder erreichten wir offenes Wasser und segelten eine gute Strecke, doch schon bald kesselte uns das Eis wieder ein, und die Warterei ging von Neuem los.

Die Tage glichen einander wie ein Ei dem anderen, außer einem Tag, den die Männer Weihnachten nannten. An diesem Tag brachte mir Mr. Oates einen besonderen Keks, und danach bekam ich von Taff Evans einen Presskuchen. Ich konnte mein Glück kaum fassen – zwei Leckereien an einem Tag! Und das, obwohl ich nichts weiter getan hatte, als in meiner Box zu stehen. Aber damit war Weihnachten noch nicht zu Ende. Nach dem Abendessen kam Captain Scott, gefolgt von drei oder vier Männern, einer nach dem anderen. An diesem Tag bekam ich mehr Köstlichkeiten und mehr Streicheleinheiten als in meinem ganzen Leben zuvor.

Der Letzte, der zu mir kam, war ein Matrose namens Patrick Keohane, der eine lustige Art zu sprechen hatte, weil er von einem Ort namens Irland stammte. Er schenkte mir ein Stück Apfel, der erste seit sehr langer Zeit, und er blieb eine ganze Weile bei mir und tätschelte mich. «In Irland sind sie jetzt alle in der Kirche, weißt du», sagte er. «Ja, sie sitzen in der Kirche und sprechen vielleicht auch ein Gebet für mich. Den ganzen Tag schon musste ich an sie denken. Oh, wie sehr ich heute Morgen mein Zuhause vermisst habe!» Die Hände des Matrosen waren schwielig und rot. Er drückte mein Ohr in seiner Faust, fest und sanft zugleich. «Ich habe an die Schafe gedacht. An den Klee», sagte er. «Alles ist grün in Irland, das ganze Jahr über. Es würde dir da bestimmt gefallen.»

Ich nickte mit dem Kopf und schnaubte leise, während ich mich an ihn drückte. Er streichelte mir seitlich über die Nase.

«Du armer Kerl hast keine Ahnung, was uns bevorsteht.» Er kicherte leise. «Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es selbst weiß. Aber ich kann es mir vorstellen und du nicht. Und ich frage mich: Wer von uns beiden ist eher zu beneiden? Ich glaube, ich würde mit Freuden den Platz mit dir tauschen.»

Vielleicht wäre er noch länger geblieben und hätte mit mir geredet, aber dann kam ein anderer Matrose, und Mr. Keohane war auf einmal verlegen, weil er sich mit einem Pony unterhalten hatte. Er versetzte mir einen freundschaftlichen Schubser und schlenderte dann davon.

«Frohe Weihnachten, James Pigg», sagte er.

Im Norden stand die Sonne nur noch sehr niedrig am Himmel. Das Eis schimmerte in unzähligen Farben, meistens in Blau- und Rottönen. Dann fingen die Männer unter Deck an zu singen. Ihre Lieder waren ernst und langsam, aber ich war glücklich in jener Nacht. Ich fühlte mich als ihr Kamerad.

Am letzten Tag des Jahres erblickte Captain Scott die Berge auf dem Land vor uns. Er stand an der Reling, den Kopf über eine Packkiste gereckt, und starrte sehnsüchtig nach Süden, wie ein Murmeltier, das aus seiner Erdhöhle lugt.

Als er die Berge sah, fing er an zu jubeln, woraufhin alle nach Süden schauten und jubelten. Ich spürte eine Erregung, die sich wie ein Lauffeuer auf dem Schiff ausbreitete. Selbst die Hunde wurden unruhig, auch sie fühlten, dass sich etwas verändert hatte, dass etwas bevorstand. Auf Captain Scotts Miene lag ein triumphaler Ausdruck, als ob sein ganzes Ziel darin bestanden hätte, bloß diese Berge zu sehen, und er jetzt umdrehen und nach Hause fahren könnte.

Aber stattdessen fuhren wir weiter. Das Eis knarrte am Rumpf entlang, während wir uns Stück für Stück immer weiter nach Süden schoben, auf diese Berge zu. Und zwei Stunden später endete ein Jahr und ein neues begann. Obwohl das für mich keine Rolle spielte.

Für die Männer war es nun 1911.

Am dritten Tag des neuen Jahres sahen wir auch das Land entlang des Meeres. An was für einen schrecklichen Ort waren wir gekommen – in eine Welt, die sich mit riesigen Mauern aus Felsen und Eis zu schützen schien! Es gab Berge, die aufragten wie die Reißzähne eines Hundes. Einer hatte einen abgeflachten Gipfel, aus dem eine Rauchwolke quoll, als ob in seinem Inneren ein mächtiges Feuer brannte. Zwischen den Bergen stürzten Gletscher ins Tal und kalbten mit einem beständigen Dröhnen und Donnern ins Meer. Die Klippe vor den Gletschern ragte höher auf als die Masten unseres Schiffes, und haushohe Eisblöcke brachen ab und stürzten ins Wasser. Dort, wo die Eisberge durch das Wasser mahlten, brodelte die See.

Bei dem Anblick beschlich mich eine ungute Vorahnung. Die Gesichter der Männer waren mit einem Mal grimmig und nachdenklich geworden. Aus schmalen Augen betrachteten sie Schnee, Eis und die Berge, vermieden es aber, sich gegenseitig anzusehen. Das Land war so kalt und kahl, dass ich unwillkürlich zitterte. Nirgends sah ich Bäume oder Blumen, weder Gras noch Klee, überhaupt keine Pflanzen.

Aber Captain Scott schien sehr zufrieden zu sein. Man merkte ihm an, dass er diesen Ort liebte. Er nannte die Berge bei ihren Namen, genauso wie die Buchten und Landzungen und den rauchenden Gipfel mit seinem weißen Dampf. Er lenkte das Schiff am Rand der Eisklippe vorbei, erst um eine Biegung, dann um eine nächste. Vor uns lag eine Insel, die aber ganz anders war als diejenige, von der wir kamen. Eis statt Wasser umgab sie von drei Seiten, und der Strand bestand aus einem schwarzen Sandstreifen, der nicht zum Rennen oder Toben einlud.

Captain Scott kannte jeden Zentimeter. Ein schneebedeckter Strand tauchte genau da auf, wo er ihn vorhergesagt hatte, und er brachte das Schiff längsseits eines Eisbandes, das vor der Küste trieb. Die Männer warfen den Anker aus und machten das Schiff auf dem Eis fest. Die Taue gefroren, sodass sie steif und gerade waren wie Eisenstangen.

Die Hunde gingen zuerst von Bord. Sie sprangen einfach über die Reling. Dann wurde die Ponykiste hervorgeholt, und diesmal freute ich mich sogar, sie zu sehen. Weary Willy wurde zuerst ausgeladen. Er machte einen Satz aus der Kiste, sobald die Tür geöffnet wurde, warf sich auf das schneebedeckte Eis und räkelte sich auf dem Rücken wie eine Katze, mit allen vier Beinen in der Luft. Ich war so voller Vorfreude, dass ich in der Kiste kaum stillhalten konnte. Und genau wie Weary Willy legte auch ich mich gleich hin und rollte mich ausgiebig hin und her. Ein paar der Männer lachten über mich. Aber das war mir egal. Es war ein herrliches Gefühl, sich strecken und kratzen zu können, die Läuse und losen Haare abzurubbeln. Und meine Beine freuten sich, denn zum ersten Mal seit vierzig Tagen mussten sie mich nicht tragen.

Weary Willy knabberte an meinem Schorf und an den Läusebissen. Ich tat das Gleiche für ihn und dann für Jehu und Nobby, als sie sich zu uns gesellten. Wir standen zufrieden beisammen und gaben uns der Fellpflege hin.

Unter den Männern gab es einen sehr netten Kerl mit einem sehr pompösen Namen. Mr. Apsley Cherry-Garrard. Für mich – und für alle anderen – war er bloß Cherry. Er war sechsundzwanzig, was einem Pony uralt vorkommt, für einen Menschen aber noch ziemlich jung ist. Er kümmerte sich um Weary Willy, und zwar mit einer großen Fürsorge. Cherry konnte nur dann sehen, wenn er zwei Glasscheiben auf der Nase sitzen hatte, als ob er seine Augen außerhalb seines Kopfes trüge. Er hatte die Aufgabe, die Tiere zu studieren, die in diesem winterlichen Land lebten, und er war womöglich der glücklichste Mann an Bord, denn er war umringt von lauter merkwürdigen Lebewesen.

Auf dem Eis lagen fette Robben, langgestreckt wie riesige Schnecken. Die schwarzen Raubmöwen hockten in großen Scharen dicht beieinander und machten einen bösartigen Eindruck. Und dann die Pinguine, Hunderte von ihnen, und alle fanden Cherry genauso interessant, wie er von ihnen fasziniert war.

Pinguine sind schrecklich neugierig. Sie kamen von überall her, um uns in Augenschein zu nehmen, watschelten über Schnee und Eis oder hüpften aus dem Meer wie Funken aus einem Feuer. Sie schossen geradewegs auf das Eis, plumpsten flach auf ihre Bäuche und richteten sich dann mit ihren kurzen Flügeln auf. Ich fand sie sehr lustig.

In Gruppen von fünf oder sechs Tieren standen sie da und starrten uns an. Ihre kleinen Köpfe ruckten und wackelten, und sie murmelten einander in leisen, zwitschernden Tönen zu, die ziemlich hübsch anzuhören waren. Als sie unserer überdrüssig wurden, wandten sie sich den Hunden zu. Sie wussten nicht, dass sie Hunde fürchten mussten. Die Hunde knurrten und bellten, aber die Pinguine gingen immer näher. Mr. Meares verscheuchte sie, sodass sie mit ihren komischen Wackelschritten davontapsten, aber sobald sich die Gelegenheit bot, kamen sie wieder. Eine Zeit lang beobachteten wir diesen lächerlichen Kampf, bei dem Mr. Meares sie vertrieb und die Pinguine immer wieder kamen. Es dauerte nicht lange, da ging einer von ihnen zu weit.

Es war Osman, der König der Hunde, der den Vogel zu sich heranlockte. Er hielt ganz still und ließ den Pinguin glauben, dass seine Leine schon straff war und er keinen Schritt mehr tun könnte. Dann wartete er auf seine Gelegenheit und schlug zu. Ein wölfisches Knurren, ein Aufblitzen von Zähnen, ein jämmerliches Aufquietschen des Pinguins. Dann lag der zerfetzte Körper in einem Fleck aus rotem Schnee, und die Federn waren über das Eis verstreut. Innerlich erschauerte ich, weil ich wusste, dass mir das Gleiche passieren konnte, wenn Mr. Meares jemals auf die Idee kommen würde, seine Hunde loszulassen.

Aber die Pinguine hatten ihre Lektion immer noch nicht gelernt. Man hätte glauben können, dass sie überhaupt keine Angst kannten, dabei lebten sie doch in ständiger Furcht vor den Killerwalen.

Die Killerwale waren die schlimmsten Tiere überhaupt – schwarzweiß, mit kleinen Schweinsäuglein und endlosen Zahnreihen. Ihre hohen Finnen durchschnitten das Wasser, manchmal kamen sie allein, manchmal in wolfsähnlichen Rudeln. Sie konnten so schnell schwimmen, wie ein Pferd galoppiert, dann wieder trieben sie reglos im Meer, die Köpfe hoch über der Wasseroberfläche. Das war ein unheimlicher Anblick, denn sie gaben nie auch nur einen Laut von sich, wenn sie so dahintrieben, sondern beobachteten einen nur mit ihren kleinen runden Augen. Nach einer Weile sanken sie ohne auch nur ein einziges Kräuseln des Wassers wieder nach unten.

Wenn die Wale nah ans Schiff kamen, konnte ich ihre Stimmen durch das Eis zittern hören. Es war ein schwaches Geräusch, voller Pfiffe und Knarzen, und beim ersten Ton stürzten sich alle Pinguine aus dem Wasser. Zwanzig, dreißig, vierzig auf einmal, schossen die kleinen Vögel wie Raketen auf das Eis. Und hinter ihnen in den Wirbeln und Strudeln des Wassers schwammen kleine Fetzen aus Pinguinfleisch.

Dann kam der Angriff der Raubmöwen von oben. Riesige Schwärme aus schwarzflügeligen Skuas stießen kreischend nieder, um sich an den Happen satt zu fressen. Ich konnte den Weg der Killerwale anhand der aufstiebenden und wieder nach unten flatternden Möwen verfolgen.

Dieses eisige Land im Süden war eine grausame Welt. Robben jagten Fische, und Wale jagten Robben, und alle jagten die armen Pinguine. Die kleinen Babys versuchten verzweifelt, inmitten der Erwachsenen zu bleiben, aber mindestens einmal in jeder Stunde kreischte eine Raubmöwe auf und schoss nach unten. Dann stand wieder ein Muttertier blökend allein auf dem Eis und schaute sich traurig um.

Ich war froh, dass niemand ein Pony fressen wollte, außer natürlich die schrecklichen Hunde.

Drei Tage lang taten wir Ponys gar nichts. Angebunden an einen behelfsmäßigen Zaun an einem verschneiten Hang oberhalb des Strandes schauten wir zu, wie die Männer das Schiff ausluden und die Sachen auf dem Eis aufstapelten.

Die riesigen Packkisten, die fast das ganze Deck eingenommen hatten, wurden von Bord gehievt. Darin befanden sich merkwürdige Schlitten mit Motoren auf den Rücken. Statt Kufen hatten sie breite Ketten, die immer rundherum liefen, während die Motoren dröhnten und klapperten. Sie hoppelten über das Eis und polterten über jeden kleinen Hügel, während immer ein paar Männer um sie herumwuselten und versuchten, sie aufrecht zu halten und auf einen geraden Weg zu bringen.

 

Ich freute mich, als einer der Schlitten durch das Eis brach und unterging. Aber Captain Scott war darüber so traurig, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam. Die anderen beiden Motorschlitten wurden eingesetzt, um Holz und Zeltleinwand zu transportieren. Weary Willy schaute den Maschinen gerne zu, wie sie seine Arbeit erledigten, und das Einzige, was ihm noch besser gefallen hätte, wäre gewesen, wenn sie auch noch ihn getragen hätten.

Dann wurden die Zuggeschirre für Ponys und Hunde herausgeholt und noch eines, das ich aber nicht kannte. Dieses Geschirr breiteten die Männer aus, befestigten die Stränge daran und legten sich dann selbst die Gurte an. Ich konnte es kaum glauben: Männer in Zuggeschirr, die mit aller Kraft zogen, die ächzten und stöhnten, während Ponys untätig daneben standen. Ich fragte mich, ob die Kälte und die Einsamkeit die Männer um den Verstand gebracht hatten. Sie schnallten sich sogar Bretter an die Füße – «Skier» nannten sie das. Damit glitten sie über das Eis und zogen Schlitten, auf denen sich Futtersäcke stapelten.

Es war seltsam, tatenlos zuzusehen, wie Menschen schufteten. In Russland hätte mir das sehr gefallen, es hätte mich über alle Maßen verblüfft. Aber jetzt fühlte ich mich nutzlos und hatte Angst, dass Captain Scott glaubte, Ponys könnten nicht arbeiten. Ich kam mir fehl am Platz vor; ich wollte meinen Teil beitragen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wurden nun auch die Hunde angeschirrt. Sie schossen über das Eis und zogen kleine Schlitten, die so schnell waren wie der Blitz. Ein ganzes Hundegespann konnte nur dreihundert Pfund ziehen, ein Drittel von dem, was ich allein schaffte. Mr. Meares stand hinten auf dem Schlitten und lenkte die Hunde. Er schrie Befehle auf Russisch. «Ki!», rief er, und die Hunde wandten sich nach rechts, und wenn er «Tchui!» rief, bogen sie in einer Reihe nach links ab. Mit ihrem Heulen und Kläffen machten sie fast genauso viel Lärm wie die Motorschlitten.

Ich sah zu, wie eine Ladung nach der nächsten an Land gebracht wurde. Die Männer bauten eine Winterstation auf, angefangen mit einem großen Zelt und dann einer Hütte, die sie daneben errichteten. Ich hatte das Gefühl, dass ich nie zum Einsatz kommen würde.

Doch endlich hörte ich das Klirren von Ponygeschirr. In meinen Ohren war es ein lieblicher Klang, aber es stellte sich heraus, dass die Arbeit härter war, als ich gedacht hatte. Es gab so viele Vorräte! Wir hatten genügend Nahrung und Ausrüstung dabei, um uns alle – Männer, Ponys und Hunde – durch den Winter zu bringen. Ich merkte, dass es etwas anderes ist, einen Schlitten zu ziehen, als Eisenschienen oder schwere Baumstämme zu schleppen. Wenn ich langsamer ging, überholte mich der Schlitten manchmal. und die schwere Querstange schlug mir gegen die Beine. Aber wenn ich versuchte, schneller zu gehen, blieb er im weichen Schnee stecken, und ich wurde in den Riemen zurückgerissen. Trotzdem zog ich fast achthundert Pfund auf einmal, quer über das Eis zum Strand und den Hügel hinauf zu der Stelle, wo die Station entstand. Dann trottete ich zurück und holte eine neue Ladung.

Alle mussten mit anpacken, und wir gingen immer im Kreis, wie die Ketten an den Motorschlitten. Die lange Reihe von Ponys war ein schöner Anblick, wobei das Zugtier an der Spitze ständig wechselte. Onkel Bill, das größte Pony von allen, hatte tausend Pfund auf seinem Schlitten aufgeladen. Aber Michael, das kleinste, zog seinen Schlitten meistens am schnellsten.

Ich wurde oft überholt. Der Weg vom Schiff zur Hütte, über das Eis und den Hügel hinauf, kam mir endlos lang vor. Der Teil der Arbeit gefiel mir nicht besonders. Viel schöner fand ich es, wenn ich mit dem leeren Schlitten zurücklaufen und warten konnte, bis die Männer ihn neu beladen hatten. Ein netter kleiner Mann namens Birdie Bowers war für das Material und die Vorräte zuständig, und er zählte jeden Sack und jede Kiste wie eine Henne ihre Eier. Er sorgte dafür, dass mein Schlitten nie zu schwer beladen wurde. Dann nahm der Ire Patrick Keohane mein Halfter und ließ mich in meinem eigenen Tempo den Hügel hinaufgehen.

Der sture alte Weary Willy zog an mir vorbei, genau wie Nobby, der ungefähr so groß war wie ich, und auch der kleine Michael. Ich aber überholte Blossom und Blucher, die ziemlich alt waren. Und ich schoss geradezu an dem armen, uralten Jehu vorbei, der so langsam lief wie eine Schnecke. Die Reise hatte den ältesten Ponys arg zugesetzt, und er, Blossom und Blucher kämpften sich mit gesenkten Köpfen über das Eis, als ob sie durch einen Schneesturm marschierten. Jehus Ladung war kaum dreihundert Pfund schwer, und doch keuchte er bei jedem Schritt.

Als ich ihn das erste Mal überholte, ging ich langsamer. Unsere Hufe knirschten gemeinsam im Schnee, hinter uns kratzten die Kufen der Schlitten. Jehu drehte den Kopf gerade so weit, dass er mich erkannte, und in seinem Blick lag die pure Angst. Wir wussten beide, was mit Ponys passierte, die nicht mithalten konnten.

Dann sah ich, wer ihn führte: Es war Mr. Atkinson, einer der Doktoren, und er sah genauso sorgenvoll aus wie das Pony.

«Armer alter Kerl», sagte er. «Er ist jetzt schon völlig fertig. Er wird den Winter nicht überstehen, keine Chance.»

Mr. Keohane hielt mein Halfter fest. Seine Hand war immer an meinem Kopf. Durch seine pelzgefütterten Lederhandschuhe spürte ich seine Fingerknöchel an meiner Wange – ein Gefühl, das ich mochte. Kurz darauf hatten wir Jehu hinter uns gelassen.

Mr. Atkinson rief uns nach: «Er wird der Nächste sein, nicht wahr? Dein Pony, meine ich.»

«Oh nein, nicht James Pigg. Das glaube ich kaum», sagte Mr. Keohane. Er packte mein Halfter fester, und ich fühlte, wie sich seine Finger verkrampften. «Mach dir keine Sorgen, mein Junge», sagte er mit seiner weichen Stimme. «Mach dir bloß keine Sorgen.»

Ich kümmerte mich nicht um das, was Mr. Atkinson sagte. Aber während ich meine Last zog, fragte ich mich unwillkürlich, ob ich wirklich bloß ein Klepper war, kaum besser als Jehu. Natürlich konnte ich mich nicht mit Onkel Bill messen. Ich war auch nicht so stark wie Bones, Guts, Punch und Nobby und konnte nicht so gleichmäßig laufen wie Snatcher und auch nicht so flink wie Victor. Aber ich hasste die Vorstellung, ein Klepper zu sein.

Ich trat in den Schnee und schnaubte. Ich beschloss, dass ich noch härter arbeiten würde, so hart wie es mir möglich war. Ich würde Mr. Atkinson beweisen, dass er sich irrte.

Als ich eines Tages am Schiff stand und wartete, ging Mr. Keohane zu Mr. Oates, um ihm mit Christopher zu helfen. Ich stand ein paar Meter vom Rand der Eisplatte entfernt, in der Nähe der mächtigen Ankerkette, die das Schiff an seinem Platz hielt. Zwei der Hunde waren an der Kette angebunden und hatten sich zu großen Pelzknäulen zusammengerollt.

Hinter ihnen tauchten im Wasser die Finnen von Killerwalen auf. Ich hörte ihren prustenden Atem und sah die schmalen Gischtfontänen. Die Hunde wachten auf, gähnten und streckten sich und beäugten mich hungrig.

Die Finnen glitten schnell durch das Wasser, stiegen auf und sanken wieder nach unten. Dann verschwanden sie alle miteinander, und das Meer war leer.

Doch kurz darauf tauchten ihre Köpfe auf. Wie auf Kommando hoben sie sich aus dem Wasser, sieben Stück auf einmal, junge und alte Wale, und sie alle starrten mich mit diesem unheimlichen Blick an.

Vom Schiff aus rief Mr. Scott: «Ponting! Schauen Sie sich die Wale an!»

Mr. Ponting machte gerade Fotos von Pinguinen. Er griff sich seine große, hölzerne Kamera und kam über das Eis gerannt, mit Mantel, Fellstiefeln und einer Fellmütze, die auf seinem Kopf auf und ab wippte.

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