Forschungskreuzer Cimarron

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Из серии: HOPF Autorenkollektion #1
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2.

»Wir leben noch?«

Duncan Lemonde schien sich allen Ernstes zu fragen, weshalb die CIMARRON nicht explodiert war, als Wrack oder gar als halbmaterieller Impuls auf ewige Zeit durch die übergeordnete Dimension jagte. Sein Gesichtsausdruck sprach jedenfalls Bände.

Mühsam richtete er sich auf, doch ein Schwächeanfall ließ ihn taumeln. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren und rann ihm in die Augen. Er blinzelte dagegen an, dann hatte er sich endlich wieder gefangen.

Die CIMARRON befand sich wohl tief in der Dunkelwolke, die Gefahr schien vorerst gebannt zu sein.

Duncan stemmte sich aus seinem Sessel hoch. Zielstrebig, wenngleich unsicheren Schrittes, ging er zum Kursschreiber und rief die Aufzeichnung ab. »Eineinhalb Lichtjahre«, stellte er fest.

»Sind alle wohlauf?« Das war die Kommandantin. Sie schien am meisten von allen unter der Hyperetappe gelitten zu haben, ihre Blässe verriet das deutlich. Sie beugte sich über den Interkom: »Schadensaufnahme! Ausfälle melden!«

»Diana …«

»Serge?«

»Ich habe eigenartigen Funkempfang! Verstümmelte Symbolgruppen auf der Hyperwelle. Achtundzwanziger Band ‒ das heißt, der Sender kann nicht weit entfernt sein.«

»Ein Raumschiff?«

Serge Ruttloff antwortete mit einer Gegenfrage: »Wer würde auf einer Frequenz senden, die nur über wenige Lichtstunden empfangen werden kann?«

Duncan kam der Kommandantin zuvor. »Auf Lautsprecher umlegen, Serge!«, verlangte er.

Kurze, rhythmische Töne klangen gleich darauf durch die Zentrale. Sie wiederholten sich in gleichbleibendem Abstand und ergaben eine kleine Melodie …

»Ein Erkennungszeichen?«, fragte Diana verwundert. »Haben wir ein irdisches Raumschiff in der Nähe? Duncan, was sagen deine Instrumente dazu?«

Lemonde schaltete mit knappen Bewegungen. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf.

»Nicht der schwächste Reflex. Aber wenn du mich fragst: Das kann nicht normal sein.«

Diana sah ihn fragend und auffordernd zugleich an. »Du meinst, dort draußen ist mehr? Etwas Ungewöhnliches?«

»Als würden die Tasterstrahlen hängen bleiben.«

»Hyper- und Normalortung?«

Duncan Lemonde kratzte sich am Hinterkopf. »Die Normalortung zeichnet, bringt aber ebenfalls keine Ergebnisse herein.«

»Das hier dürfte von Interesse sein!« Serge Ruttloff schwenkte triumphierend einen Symbolstreifen. »Was da über Funk hereinkommt, stammt tatsächlich von einem unserer Schiffe. Und – haltet euch fest – es ist das Erkennungszeichen der XB-18.«

Diana Rossfeldt nickte keineswegs erstaunt. »Ziemlich genau das habe ich erwartet«, sagte sie. »Oder wenigstens erhofft. Wie auch immer.«

Als hätte es nur dieser Feststellung bedurft, die das Ziel der CIMARRON in scheinbar greifbare Nähe rückte, brach Sekunden später das Chaos über den Kreuzer herein. Es war, als würde der Weltraum aufreißen. Gleißende Helligkeit sprang von den Bildschirmen herab; ein gigantischer Blitz brach sich im Schutzschirm der CIMARRON und ließ die Belastung bis an die Toleranzgrenze hochschnellen.

Diana hatte Mühe, den zweihundert Meter langen, schlanken Kreuzer auf Kurs zu halten. Es gelang ihr nur unvollkommen, die CIMARRON war zum Spielball entfesselter Naturgewalten geworden.

Urplötzlich schwebte die erste Kugel vor dem Schiff …

Sie wirkte wie eine überdimensionierte, in allen Farben des Spektrums schillernde Seifenblase. Unbeweglich trotze sie dem tobenden Inferno. Niemand hätte zu sagen vermocht, woher diese Kugel gekommen war, und die CIMARRON trieb genau darauf zu.

In der Vergrößerung des Hauptbildschirms wirkte das schillernde Gebilde ungeheuer zerbrechlich ‒ und nahezu transparent.

Der Riss im All glühte unverändert. Eine lang gestreckte, brodelnde Verwerfung, die eine vage Vorstellung des Hyperraums entstehen ließ. Hier hatte er sich von selbst geöffnet. Der Anblick ähnelte den Szenen, die sich den Außenkameras beim Eintritt in eine Überlichtetappe boten, auch wenn jener Moment nur einen Sekundenbruchteil währte.

Inmitten des wesenlosen Wallens materialisierten mindestens zehn weitere Kugeln.

»Schockwelle!«, rief Duncan. »Wir …«

Ein Dröhnen, Zischen und Krachen erfüllte die Luft und machte jede Verständigung unmöglich. Von mehreren Seiten stießen die Kugeln auf die CIMARRON herab. Schon berührte die erste den Schutzschirm des Kreuzers. Doch statt in dem Abwehrfeld zu verdampfen, setzte sich die von intensiver werdenden Schlieren überlaufene Kugel zwischen den entstehenden Strukturrissen fest.

Flackernde Warnmeldungen. Ein jäher Energieabfall im Schutzschirm. Die Kommandantin reagierte gedankenschnell und schaltete die Feldprojektoren auf maximale Abgabe.

Drei weitere der jeweils mehrere Meter messenden Seifenblasen stießen auf die CIMARRON zu und hängten sich nacheinander an den Schutzschirm.

»Sie handeln gezielt, als hätten wir es mit denkenden Wesen zu tun«, überlegte Diana. »Dennoch fällt mir die Vorstellung schwer, dass Leben im Vakuum des Alls existieren und sogar die Barriere des Hyperraums überwinden kann. Eher haben wir es mit einer Naturerscheinung zu tun ‒ oder es handelt sich um eine Waffe.«

»Die Kugeln ziehen unsere Energie ab«, bemerkte Duncan nach einem Blick auf die Leistungsanzeige. »Die Bedrohung ist deutlich genug.«

»Solange nicht noch mehr kommen, hält der Schirm!«, rief Ramirez. »Maximal dreißig Minuten – für länger würde ich die Hand aber nicht ins Feuer legen.«

»Wir müssen dagegen vorgehen«, sagte Lemonde. »Was steckt hinter diesen schillernden Blasen? Ich halte sie für Ballungen einer uns unbekannten Energieform. Aber das sollte sich feststellen lassen.«

In einer Seitenwand der Zentrale verliefen die Zuleitungen zu den Schirmfeldprojektoren. Gemeinsam mit zwei Technikern entfernte der Erste Offizier die Abdeckungen und legte einige der schenkeldicken Kabelstränge frei. Alles verlief problemlos. Erst als er einen der Analysatoren für die Testverbindung einsteckte, gab es einen peitschenden Knall. Das handliche Gerät explodierte geradezu. Eine Flammenzunge stach aus dem Anschluss hervor und traf Duncan. Er wurde zur Seite geschleudert und blieb regungslos und mit verrenkten Gliedern liegen.

Diana Rossfeldt schrie auf. Ramirez beugte sich da schon über Lemonde und fühlte nach dessen Puls.

»Duncan lebt«, sagte der Waffentechniker aufatmend.

Ein Dröhnen hallte durch die CIMARRON. Von außen kommende Vibrationen pflanzten sich ins Schiffsinnere fort.

»Entladungen zwischen Schutzschirm und Rumpf!«, meldete Ruttloff. »Sie springen von den Kugeln über.«

Die Kommandantin nickte schwer. Nicht nur sie dachte in dem Moment an die Aufzeichnungen im Bordbuch der XB-18. Bestand ein Zusammenhang zwischen den schillernden Kugeln und dem Verschwinden des Frachters? Bislang war unbekannt, wer oder was die XB-18 angegriffen hatte, doch war es dort zu ähnlichen Erscheinungen gekommen.

Der Schutzschirm schimmerte mittlerweile in einem matten Grau. Zudem zog er sich enger um die CIMARRON zusammen.

Fast jeder in der Zentrale des Kreuzers starrte auf den Hauptbildschirm. Der Schutzschirm ließ kaum mehr Helligkeit durchdringen.

Eben noch hatte Ramirez versucht, den Ersten Offizier ins Bewusstsein zurückzuholen. Ein Befehl der Kommandantin ließ ihn innehalten und an seinen Platz zurückeilen.

»Zielerfassung auf Laser, José! Ich unterbreche die Energiezufuhr für den Schutzschirm. Sobald er zusammenfällt und die Kugeln sich weiter nähern, haben Sie Feuerbefehl!«

»Damit berauben Sie uns unseres einzigen Schutzes«, platzte Ruttloff erschrocken heraus.

Diana zuckte mit den Schultern. »Wollen Sie lieber herausfinden, was geschieht, sobald diese Wand aus Energie das Schiff berührt? Ich fürchte, es würde alles andere als angenehm für uns sein.«

Diana atmete tief ein. »José, aufpassen!« Sie schaltete die Energieversorgung für die Schirmfeldprojektoren ab.

Die schützende Energiehülle verwehte in wabernden Schwaden. Die flirrenden Kugeln blieben dennoch auf Distanz.

»Und nun?«, fragte Ramirez. »Was sollen wir unternehmen?«

Er erhielt keine Antwort, musste aber auch nicht lange warten, bis etwas geschah.

*

Grelles Licht und scharf gezeichnete Schatten, wo eigentlich weder Licht noch Schatten sein durften. Die Landschaft, in der er sich wiederfand, hatte etwas Irreales und Unnatürliches, etwas, was er bislang auf keinem Planeten gesehen hatte ‒ dabei hatte er schon viele fremde Welten betreten. Egal wohin er schaute, eine endlos weite Ebene breitete sich in alle Richtungen aus. Sattgrüne Gewächse wucherten auf rotbraunem Boden, und über ausgedehnte Geröllhalden wehte ein stetiger, warmer Wind.

Er sah keinen Horizont, denn die Ebene verlor sich in trübem Dunst. Der Himmel über ihm war erschreckend bleich und schien weder das Spiel von Wolken zu kennen noch den Schein einer wärmenden, Leben spendenden Sonne.

Er wusste nicht, wo er sich befand. Nicht einmal, wie er an diesen Ort gelangt war.

»Duncan«, murmelte er bei dem Versuch, seine Erinnerung zu erzwingen. Der Klang der eigenen Stimme erschreckte ihn.

Duncan Lemonde. Das war sein Name. Allmählich kehrte sein Gedächtnis zurück, auch wenn mit jedem Bild, das in ihm aufstieg, stärker werdende Schmerzen verbunden waren.

Er war 34 und Offizier der irdischen Raumflotte.

›Duncan‹, klang es in seinen Gedanken nach. ›Du gehörst nicht hierher, nicht in diese Welt.‹

»Wo bin ich?«, seufzte er. Vergeblich, denn es gab keine Antwort.

 

In seiner Nähe raschelte etwas; Steine gerieten in Bewegung und polterten einen kurzen Abhang hinab. Duncan fuhr herum, sich der drohenden Gefahr bewusst. Seine rechte Hand zuckte zur Hüfte, er wollte den Strahler aus dem Holster ziehen. Ein kurzes, erschrockenes Tasten, die Waffe war verschwunden. Und dann erstarrte er geradezu.

Auge in Auge standen sie einander gegenüber ‒ alles in Duncan verkrampfte sich beim Anblick des Wesens einer anderen Welt. Nie zuvor hatte er etwas derart Fremdes zu Gesicht bekommen. Das unheimliche Zischen, das dieses Geschöpf ausstieß, ließ ihn frösteln.

Er sah die muskelbepackten, angespannten Läufe. Sah die scharfen Krallen und das angriffslustige Funkeln in den Augen dieses … Tieres?

Duncan wandte sich zur Flucht. Er flankte über einen meterhohen Felsen, der ihm den Weg versperrte, und stolperte mehr, als er lief, den von Geröll übersäten Abhang hinunter. Ein wütendes Fauchen hinter ihm verriet, dass die Bestie ins Leere gestoßen war und sich um ihre Beute betrogen fühlte.

Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu erkennen, dass der Verfolger dicht hinter ihm war. Ihm kam immerhin die geringe Schwerkraft dieser Welt zugute, denn sie erlaubte ihm meterweite Sprünge.

Erst nach einer Weile wandte er sich im Laufen kurz um. Die Ausgeburt eines Albtraums war weiter zurückgefallen und nur noch vage zu erkennen. Aber sie folgte ihm weiter.

Im nächsten Moment prallte Duncan gegen ein unsichtbares Hindernis. Der eigene Schwung riss ihn von den Beinen und warf ihn zurück. Er fiel …

Es wurde ein Sturz in eine ungewisse Tiefe. In aufkommender Panik schlug Duncan mit den Armen um sich und schrie seine Furcht hinaus. Er fiel in ein Meer aus Düsternis.

Schließlich verlangsamte sich sein Sturz. Dafür hatte er das Gefühl, in einen Traktorstrahl geraten zu sein. Ein unheimlicher Druck legte sich auf seine Brust, trieb ihm die Luft aus den Lungen und Schweiß ins Gesicht. Er fürchtete, ersticken zu müssen, rang nach Atem und versuchte mit schier übermenschlicher Anstrengung, die Augen offen zu halten.

Endlich wich der Druck von ihm. Duncan spürte, dass er auf hartem Metallplastikboden lag. Dennoch brauchte er einen Moment, bis er erkannte, wo er sich befand.

*

Ihm fehlte jede Erinnerung an die letzten Minuten vor seinem Unfall. Andererseits bedrängten ihn die Bilder seines Albtraums als hätte er das alles tatsächlich erlebt. Dass er überhaupt noch lebte, war wie ein Wunder ‒ er wusste das, und Diana, die ihm auf die Beine half, wusste es ebenso.

»Diese schillernden Kugeln müssen mit dem Schutzschirm eine intensivere Verbindung eingegangen sein als für uns erkennbar war«, spekulierte die Kommandantin. »Vermutlich wurden die Zuleitungen durch den Kontakt umgepolt und Hyperenergie gelangte auf diese Weise ins Schiff. Ausschließen kann ich das jedenfalls nicht.«

»Du meinst, die Kugeln bestehen aus Hyperenergie?« Duncan zog den einzig möglichen Schluss. »Das würde vieles erklären. ‒ Liegen neue Messwerte vor?«

Diana Rossfeldt schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht einmal alte …«

»Ein Grund, dass ich mich sofort darum kümmere.« Duncan bemerkte ihren besorgten Blick und fügte rasch hinzu: »Mir geht es gut. Nur, falls du dir Sorgen machst.«

Scheinbar unbeweglich schwebten die Kugeln im Abstand von kaum hundert Metern rings um den Kreuzer. Auf den Bildschirmen waren sie gut zu erkennen. Die Sensoren der Normalortung brachten weiterhin keine Ergebnisse. Lediglich die Hypertaster lieferten vage Daten, die einen gewissen Aussagegehalt zu bieten schienen.

Der Aufriss zum Hyperraum hatte sich wieder geschlossen. Wahrscheinlich erhielt Duncan nur deshalb bessere Ergebnisse als vor knapp einer Stunde.

Andere Messungen wurden indes schneller, mit der gewohnten Routine, ausgewertet.

»Wir driften wieder ab!«, stellte Serge Ruttloff fest.

»Bist du sicher?«

Ruttloff nickte. »Unsere Geschwindigkeit, relativ zu den umgebenden Materieschwaden, hat sich verdoppelt. Außerdem: Es scheint eine Art von Kraftfeld zu geben, das von den komischen Seifenblasen ausgeht.«

»Kraftfeld?«, drängte Diana.

Duncan hatte die Daten schon auf seinen Monitor geholt. Er reagierte mit einer unschlüssigen Geste.

»Keine Ahnung, wie wir es sonst bezeichnen sollten«, sagte er. »Die Messungen deuten auf etwas hin, das in Flugrichtung allgegenwärtig zu sein scheint. Es sieht danach aus, als würden die Kugeln uns mit diesem Feld abschleppen.«

Die Kommandantin blickte nachdenklich auf den Hauptbildschirm. Düsternis und flirrende Kugeln, mehr gab es nicht zu sehen. Nicht ein einziger Stern schimmerte durch die Wolke.

»Uns fehlen geeignete Bezugspunkte«, stellte Duncan fest. »Sämtliche Materie im Umkreis von mindestens einer Million Kilometern bewegt sich. Befänden wir uns außerhalb der Dunkelwolke, könnten wir die Veränderung an den nächststehenden Sonnen beobachten. Aber so …«

»Schon wieder die Geburt eines neuen Sternes?«, erkundigte sich Ruttloff zögernd.

Duncan zeigte die Andeutung eines Grinsens. »Keinesfalls«, antwortete er. »Falls die auf uns einwirkenden Kräfte nicht wesentlich intensiver werden, dürfte es vergleichsweise leicht sein, mithilfe der Triebwerke den Sog zu überwinden.«

»Und genau das werden wir tun!«, versprach Diana. Über Interkom, der ebenso wie im Bugsegment des Kreuzers auch im abgetrennten Maschinensektor gehört wurde, ordnete sie an: »Beschleunigungsphase! Alle auf Gefechtsposition!«

Von den Konvertern kam die Leistungsfreigabe. Diana steigerte die Schubleistung der Triebwerke. Die CIMARRON beschleunigte indes nur mit geringem Wert.

Diana setzte zwei Minuten später zusätzlich die Steuerdüsen ein.

Ein Schaben und Knistern wurde hörbar, das von außerhalb des Schiffes zu kommen schien. Noch bedeutete dieses Geräusch keine Gefahr. Es wurde von den Molekülen des kosmischen Staubs verursacht, die über die Außenhülle schrammten. Der Kreuzer flog ohne aktivierten Schutzschirm.

»Auf Dauer hält das der beste molekülverdichtete Stahl nicht aus«, brummte Ruttloff. »Wir sollten das Abwehrfeld wenigstens über der Bugregion errichten.«

»Wollen Sie, dass sich die Kugeln erneut auf uns stürzen?« Diana warf dem Cheffunker einen giftigen Blick zu. »Sie hatten schon bessere Vorschläge, Serge. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Ignorieren Sie die kosmische Materie, wie dicht sie auch werden mag. Sie ist sowieso nur die geringere Bedrohung für uns.«

»Jede Diskussion darüber ist überflüssig!«, rief Duncan dazwischen. »Die schillernden Blasen nähern sich wieder an.«

»Wie nahe?« Diana fuhr herum.

»Achtzig Meter. Sie kommen langsam, aber sie kommen.«

»Sind Besonderheiten zu erkennen?«

Duncan kratzte sich am Hinterkopf. »Abgesehen von dem Eindruck, dass sie sich heckwärts bewegen – nein.«

Dianas Faust krachte auf die Kommandokonsole. »Da haben wir es! Diese Gebilde, was immer sie sein mögen, werden nicht nur vom Schutzschirm angezogen. Offensichtlich entwickeln sie Interesse für alles an Bord, was energetischer Natur ist. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was aus unseren Triebwerken wird, sobald die Kugeln sich im Bereich der Düsen festsetzen.«

»Im ungünstigsten Fall müssen wir uns darauf einstellen, zu Fuß nach Hause zu gehen«, versuchte Lemonde zu scherzen, doch keiner reagierte darauf.

Diana wandte sich an den Waffentechniker. »José, Feuer frei für eine Breitseite. Ich bin gespannt darauf, was geschieht.«

Fünf Laserschüsse fanden ihr Ziel.

»Keine erkennbare Wirkung«, stellte Duncan fest. »Ihre Bewegung geht unverändert Richtung Hecksegment.«

Die getroffenen Kugeln schienen etwas intensiver zu leuchten als vorher. Zudem entstand der Eindruck, dass die schillernden Schlieren auf ihrer Oberfläche kräftigere Farben zeigten.

»Salventakt!«, befahl die Kommandantin.

In steter Folge feuerten die Laserprojektoren. Glühende Lichtfinger standen jeweils für Sekunden in der Schwärze des Alls. In irrlichternden Kaskaden brachen sie sich an den schillernden Kugeln, und dabei entstand der Eindruck, als würden diese alle auftreffende Energie mühelos absorbieren.

»Sie wachsen!«, erkannte Duncan Lemonde. »Wir füttern diese Biester.«

»Dann sollten wir darauf hoffen, dass es so etwas wie eine Sättigungsgrenze gibt, Duncan.«

»Du willst herausfinden, wann diese Grenze erreicht wird?«

»Richtig«, bestätigte die Kommandantin. »José, Punktfeuer. Alle Projektoren jeweils auf eine der Kugeln ausrichten! Nehmen Sie die größte als erstes Ziel!«

Von anfangs fünf bis sechs Metern Durchmesser waren einige auf das Doppelte angewachsen. Auf die geringe Distanz gaben sie ein leicht zu treffendes Ziel ab. Ramirez platzierte die Schüsse auf eine Fläche von wenigen Quadratdezimetern. Und er hielt die Schussfrequenz konstant.

Es dauerte einige Sekunden, dann glühte die getroffene Kugel auf. Sie färbte sich erst fast weiß, dann dunkel ‒ und platzte Augenblicke später in einem wahren Sprühregen aus Licht und Farben auseinander.

»Abschuss!«, triumphierte Ramirez.

In kurzen Abständen folgten drei weitere Explosionen, danach gab es kein Ziel mehr für den Waffentechniker. Die Kugeln wichen blitzschnell nach allen Richtungen zurück. Ramirez stieß eine Verwünschung aus, weil die Zielerfassung nicht schnell genug neu justierte.

»Lassen Sie es gut sein, José«, entschied die Kommandantin. »Wir sind diese Dinger vorerst los. Und wir wissen, dass wir uns erfolgreich zur Wehr setzen können.«

Sie aktivierte den Schutzschirm, der unter den aufprallenden Partikeln fahl leuchtete. Gleichzeitig verstummte das stete Knistern.

»Die Kugeln werden wiederkommen …«, behauptete Duncan Lemonde.

Diana lachte verhalten und schüttelte den Kopf. »Sie haben gelernt«, entgegnete sie und rückte die schillernden Gebilde damit zumindest in die Nähe instinktbegabter Lebewesen. »Uns bleibt jedenfalls Zeit, von hier zu verschwinden.«

Mit flammenden Triebwerksdüsen bahnte sich die CIMARRON ihren Weg durch den Strom der in Bewegung befindlichen Staubmassen.

3.

Stunden waren vergangen, die nichts Neues und Aufregendes gebracht hatten. An Bord war die routinemäßige Geschäftigkeit wieder eingezogen, die ein Raumflug über interstellare Entfernungen eben mit sich brachte.

Diana Rossfeldt hatte den Kreuzer wenige Lichtsekunden außerhalb des dahinfließenden Materiestroms gestoppt, um Gelegenheit für ausführliche Beobachtungen und Messungen zu bekommen. Duncan Lemonde hatte sich während dieser Zeit nicht ein einziges Mal von seinen vielfältigen Instrumenten getrennt und auf Fragen meist ausweichend reagiert. Halb verärgert, halb abwartend ließ die Kommandantin ihm die Ruhe, die er sich offensichtlich wünschte.

Für Diana stand schon weitgehend fest, was der XB-18 zugestoßen sein musste. Mit einem einzigen Lasergeschütz an Bord hatte der Frachter sich gegen die schillernden Kugeln nicht erfolgreich zur Wehr setzen können. Vermutlich war es allen verschollenen Schiffen ähnlich ergangen. Waren sie entführt worden?

An diesem Punkt angelangt, drehten sich Dianas Überlegungen im Kreis. Sie fragte sich, wer ein Interesse daran haben konnte, alte Frachtraumschiffe aufzubringen, deren Ladungen womöglich nicht einmal sonderlich wertvoll waren. Gut, sie wusste nichts über die jeweilige Fracht. Aber hinter einem solchen Anschlag konnte ohnehin nur eine Zivilisation stecken, die der Menschheit zumindest auf technischem Gebiet überlegen war.

Innerlich aufgewühlt, trommelte Diana mit den Fingern auf die Armlehnen ihres Sessels. Ihr Blick taxierte einen der vielen Monitore. Die düstere Umgebung der CIMARRON stimmte schwermütig. Zum ersten Mal war die Kommandantin versucht, Ruttloffs Abneigung gegen Dunkelwolken zu teilen. Irgendwo in der Nähe lauerte eine Gefahr, die sie weder erkennen, geschweige denn einschätzen konnte.

»Es hilft nichts«, murmelte Diana mehr im Selbstgespräch als für die Zentralecrew bestimmt. Sie erhob sich und ging zu einem Wandschrank, in dem nicht nur Datenträger mit Speicherkopien lagerten.

Sie öffnete ein unscheinbares Fach, indem sie kurz gegen die Seitenwand drückte, und entnahm ihm eine dickbauchige Flasche, dazu einen von mehreren Kognakschwenkern. Genießerisch schenkte sie sich ein und nippte daran.

»Will einer von euch ebenfalls den schalen Geschmack der Hilflosigkeit loswerden?«, fragte sie. »Ausnahmsweise gestatte ich ein Minimum an Alkohol, bevor wir unseren Auftrag erledigt haben. Wer weiß …« Sie ließ offen, was sie noch hatte sagen wollen, trank einen Schluck und stellte Glas und Flasche zurück.

 

Lemonde winkte ab, ohne sich umzudrehen. Ruttloff hatte die Aufforderung ohnehin nicht hören können, weil er die Kopfhörer trug und alle Frequenzen nach Funksignalen absuchte. Lediglich Ramirez war nicht der Mann, der sich einen guten Tropfen entgehen ließ.

»Wer weiß«, der Waffentechniker leckte sich über die Lippen, »vielleicht hatten die Kugeln es auf unseren Brandy abgesehen.«

Diana musterte den Spanier erstaunt und nachdenklich zugleich. Ihr Lachen klang gezwungen.

José Ramirez grinste zurück. »Eines Tages wird ein Kontrolleur unser kleines Versteck aufspüren«, meinte er. »Das dann fällige Donnerwetter möchte ich lieber nicht miterleben. Die Admiralität wird uns einen groben Verstoß gegen die Dienstvorschriften anhängen.«

Diana winkte ab. »Hebung der Dienstmoral«, erklärte sie. »Außerdem sind wir keine Säufer. Ein Schluck Medizin beruhigt die Nerven. Vor allem, weil uns der Schreck vorhin enorm auf den Magen geschlagen ist.«

Mit einem nicht zu überhörenden Aufatmen verließ Duncan seinen Platz. »Fertig«, sagte er. »Du kannst deine Fragen stellen, Diana.«

Die Kommandantin verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und fixierte ihren Ersten Offizier.

»Was hast du herausgefunden?«

Duncan zögerte. Mit einem knappen Kopfnicken deutete er auf den Wandschrank. »Sagtest du nicht, es gäbe einen guten Tropfen. Meine Kehle ist trocken.«

Diana seufzte ergeben, öffnete das Geheimfach ein zweites Mal und schenkte Duncan ein.

»Also …?«, drängte sie.

»Einige unserer Vermutungen haben sich bestätigt«, sagte Duncan. »Ein begrenzter Bereich der Wolkenmaterie bewegt sich einheitlich in eine Richtung. Ich sollte besser sagen: bewegte. Denn vor knapp zehn Minuten ist die Bewegung zum Stillstand gekommen ‒ zumindest lässt sich mit unseren Mitteln kein Nachweis mehr führen. Vermutlich besteht eine gewisse Abdrift weiterhin. Was ich definitiv feststellen konnte: Große Materiemengen verschwanden im Hyperraum. Über eine stabile Aufrissfront, etwa vierzig Lichtminuten von unserem anfänglichen Standort entfernt.«

»Wozu das alles?« Diana rieb sich mit beiden Händen die Schläfen. »Was ist die Ursache?«

»Ich muss eingestehen, dass ich keine Ahnung habe. Noch nicht«, antwortete Duncan. »Wenn wir weiterhin der Spur folgen, werden wir es sicher bald erfahren.«

Die Kommandantin kniff die Brauen zusammen. »Wie meinst du das?«

Duncan verzog die Mundwinkel. »Die Materie ist keineswegs verschwunden, wie man annehmen könnte. Sie hat den Hyperraum wieder verlassen. Ich konnte den Austrittspunkt einigermaßen genau bestimmen: er liegt fünf Lichtjahre von hier entfernt. Und wenn die Messwerte einigermaßen stimmig sind …«

»Woran ich nicht zweifle«, bemerkte die Kommandantin.

»Richtig. … dann existiert in dem Bereich eine Zone, deren Gegebenheiten ziemlich gut mit den Bedingungen im normalen interstellaren Raum gleichgesetzt werden können.« Duncan hob abwehrend beide Hände, weil Diana ihm erneut ins Wort fallen wollte. »Falls es dort überhaupt Wolkenmaterie gibt, dann nur in verschwindend geringer Dichte.«

»Bist du sicher?«

»Ich zweifle meine Berechnungen nicht an.«

»Du weißt, was das bedeutet?«

»Diese Anomalie kann unterschiedlichste Ursachen haben. Nur gibt es für uns keine Möglichkeit, das aus der Distanz zu klären.«

»Der Erste Offizier schlägt demnach vor, diesen Sektor anzufliegen.« Das war mehr Feststellung als Frage. Und wenn Diana so redete, stand ihre Entscheidung ohnehin schon fest.

»Mit der nötigen Vorsicht ‒ ja«, bestätigte Duncan. »Niemand kann sagen, was uns fünf Lichtjahre entfernt erwartet. Trotzdem: Das Schicksal der verschwundenen Frachter zu klären ist wichtiger als unser eigenes Sicherheitsinteresse. Ich denke, das ist ohnehin jedem an Bord bewusst.«

Die Kommandantin nickte. »Duncan, du hast die Verantwortung, dass exakte Kursdaten programmiert werden. Kleine Hypersprünge, allerhöchstens über jeweils ein halbes Lichtjahr. Nach jeder Etappe ausreichend Zeit für die Neuorientierung. Selbst wenn wir Tage für den Flug brauchen ‒ die Sicherheit der CIMARRON hat Priorität.«

»Aye, aye, Kommandantin!« Duncan grinste anzüglich. »Ihr Wunsch ist mir Befehl.«

Diana spitzte die Lippen, zog es aber doch vor, zu schweigen.

*

Neun Überlichtsprünge, Transition genannt, hatte die CIMARRON bereits hinter sich gebracht, ohne dass es zu neuen Zwischenfällen gekommen wäre. Die Zeitspanne nach jedem Durchgang hatte der Erste Offizier für ausgiebige Messungen genutzt.

Auch diesmal wieder. Alles blieb ruhig.

Der Countdown für den letzten Eintritt in den Hyperraum lief. Knapp vier Minuten.

Ramirez kauerte angespannt hinter den Zielkontrollen der Laserkanonen, bereit, den Forschungskreuzer binnen Sekunden in ein wehrhaftes Ungetüm zu verwandeln.

Diana Rossfeldt lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Die Beschleunigung war Routine. Sie hielt die Augen halb geschlossen und lauschte den vielfältigen Geräuschen in der Zentrale, die längst keiner mehr bewusst wahrnahm.

Noch zwei Minuten …

Mit einer Geschwindigkeit von knapp 30.000 Kilometern in der Sekunde raste die CIMARRON dem Sprung entgegen. Das Hypertriebwerk lief an und zog die benötigte Energie von den Speicherbänken ab.

Kurz vor dem Übertritt, als niemand mit einem Zwischenfall rechnete, schrie Lemonde erschrocken auf: »Ortung! Ein Schwarm von Kugeln ist materialisiert. Sie liegen auf Kollisionskurs.«

Es mussten an die fünfzig dieser schillernden Blasen sein.

»Distanz?«, fragte Diana.

»Zu gering. Objektberührung zweifelsfrei vor unserem Übertritt. Wir müssen abbrechen und ausweichen.«

»Nein!«, wehrte die Kommandantin ab. »Countdown läuft weiter! Eine Ahnung sagt mir, dass das Ziel der Kugeln diesmal nicht unser Schiff ist.«

Die letzten Sekunden vor dem Sprung dehnten sich fast unerträglich. Dann, die Kugeln waren bereits greifbar nah …

»Sie, sie sind fort!«, ächzte Duncan. »Offenbar in Transition gegangen. Aus dem Stand heraus! Ich weigere mich, das zu begreifen.«

»Es versteht keiner von uns.« Diana brachte den Satz gerade noch zu Ende, dann trat die CIMARRON in den Hyperraum ein und raste durch das übergeordnete Kontinuum zu ihrem Zielgebiet.

*

Duncan Lemonde hatte recht behalten.

Was eigentlich nicht vorstellbar war, existierte doch. Inmitten der Dunkelwolke war ein nahezu kugelförmiger Sektor frei von kosmischem Staub. Diana fühlte im ersten Moment so etwas wie Enttäuschung. Sie hatte erwartet, eine Sonne vorzufinden, deren Strahlungsdruck stärker war als die anstürmenden Partikel. Stattdessen herrschte hier die gleiche düstere Finsternis wie überall in der Wolke ‒ eine Finsternis, die das Licht der Sterne vermissen ließ und nur einen Schimmer von Helligkeit aus chemischen und physikalischen Umwandlungsprozessen der Wolkenmaterie bezog.

»Ich hätte es wissen müssen und den Ortungen glauben«, murmelte die Kommandantin. »Sie zeigten keinen Himmelskörper an.«

Knapp eine Lichtminute durchmaß die freie Zone. Nichts war zu erkennen, was man als Ursache der Anomalie hätte einstufen können. Vielleicht war Diana deshalb versucht, an eine Bedrohung irgendwo im weiteren Umfeld zu glauben.

Mit relativ geringer Geschwindigkeit trieb die CIMARRON dem Zentrum des kugelförmigen Gebiets entgegen. Minute um Minute verging, ohne dass die Kommandantin ihre Ahnungen hätte präzisieren können.

»Weiterhin nichts, Duncan?«

Lemonde lehnte sich demonstrativ zurück. »Die Ruhe pur, falls wir das glauben dürfen. Das Radar zeigt nicht einmal Asteroiden.«

»Und die Hyperortung?«

»Das Gebiet ist so klein, dass sich der Aufwand dafür nicht lohnt«, gab er verwundert zurück.

»Ich will mir später keine Vorwürfe anhören müssen«, beharrte Diana.

»Später? ‒ Gut, wenn du glaubst, dass die Hypertaster ein anderes Ergebnis liefern könnten.«

»Wir werden sehen.« Die Kommandantin zuckte mit den Schultern.

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