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»Möge Gott ihr das verzeihen«, stöhnte Job, der mit offenem Mund gelauscht hatte.

Ich selbst sagte nichts; mein erster Gedanke war, dass mein armer Freund in seiner geistigen Verwirrung sich die ganze Geschichte ausgedacht hatte, obwohl es höchst unwahrscheinlich schien, dass jemand so etwas erfinden konnte. Um meine Zweifel zu beseitigen, nahm ich die Scherbe und begann die griechische Unzialschrift darauf zu lesen, und ich muss sagen, wenn man bedenkt, dass es von einer Ägypterin stammte, war es ein sehr gutes Griechisch.

Die Übersetzung Vinceys war, wie ich bei näherer Untersuchung feststellte, genau und elegant.

Auf der nach außen gewölbten Seite der Scherbe, neben der Unzialschrift am oberen Rand, befand sich in mattroter Farbe die gleiche Zeichnung, die wir bereits auf dem ebenfalls in dem Kästchen liegenden Skarabäus gesehen hatten.

Die Hieroglyphen oder Symbole waren hier jedoch umgekehrt angeordnet, als seien sie auf Wachs gepresst gewesen. Ob dies die Kartusche des Kallikrates oder eines Prinzen oder Pharaos war, von dem seine Frau Amenartas abstammte, vermag ich nicht zu sagen; auch weiß ich nicht, ob sie gleichzeitig mit der griechischen Unzialschrift auf die Scherbe gezeichnet oder erst später von irgendeinem anderen Mitglied der Familie nach dem Skarabäus kopiert wurde. Doch dies war noch nicht alles. Unter der Schrift befand sich, gleichfalls in mattem Rot, die etwas unbeholfene Zeichnung des Kopfes und der Schultern einer Sphinx mit zwei Federn, den Symbolen der Königswürde, die auf den Bildern von heiligen Stieren und Göttern häufig anzutreffen sind, die ich aber noch nie bei einer Sphinx gesehen hatte.

Außerdem stand auf der rechten Seite der Scherbe, neben der Unzialschrift, in Rot gemalt und in blauer Farbe unterzeichnet, folgender sonderbarer Vers:

HIMMEL, MEER UND ERDENBALL

BERGEN WUNDER ÜBERALL.

HOC FECIT

DOROTHEA VINCEY.

Zutiefst verblüfft, drehte ich die Scherbe um. Sie war von oben bis unten mit Inschriften und Namen in griechischer, lateinischer und englischer Sprache bedeckt. Die erste, in griechischer Unzialschrift, stammte von Tisisthenes und lautete: Ich konnte nicht gehen. Tisisthenes an seinen Sohn Kallikrates.

Dieser Kallikrates, der offenbar nach griechischer Sitte den Namen seines Großvaters trug, versuchte anscheinend das Vermächtnis auszuführen, denn seine stark verblasste und kaum noch leserliche Eintragung lautete: Ich gab die Reise auf, denn die Götter waren gegen mich. Kallikrates an seinen Sohn.

Zwischen diesen beiden Eintragungen, deren zweite von oben nach unten geschrieben und so schwach und undeutlich war, dass ich sie ohne die von Vincey verfertigte Nachbildung wohl kaum hätte entziffern können, stand der forsche, moderne Namenszug eines Lionel Vincey, Aetate sua 17, der wohl von Leos Großvater stammte. Rechts davon entdeckte ich die Initialen J. B. V. und darunter eine Anzahl griechischer Unterschriften in Unzial- und Kursivschrift sowie mehrmals den Satz An meinen Sohn, der darauf hindeutete, dass die Scherbe gewissenhaft von Generation zu Generation weitervererbt worden war.

Die nächste lesbare Inschrift nach den griechischen Namenszügen lautete: Romae, A. U. C. Sie zeigte, dass die Familie inzwischen nach Rom übersiedelt war. Das Datum ihrer dortigen Niederlassung ist leider mit Ausnahme der Endung CVI für immer verlorengegangen, denn gerade an der Stelle, wo es stand, war ein Stück der Scherbe abgebrochen.

Es folgten sodann zwölf lateinische Unterschriften, die über die ganze Scherbe verstreut waren. Sie alle endeten, mit nur drei Ausnahmen, mit dem Namen Vindex, der Rächer, den die Familie nach ihrer Übersiedlung nach Rom anstelle des griechischen Tisisthenes, das gleichfalls Rächer bedeutet, angenommen zu haben schien. Dieser Name verwandelte sich sodann in De Vincey und schließlich in das einfache, moderne Vincey. Wie seltsam, dass auf diese Weise der von einer Ägypterin vor Christi Geburt geleistete Racheschwur in einem englischen Familiennamen erhalten blieb!

Einige der römischen Namen auf der Scherbe habe ich später in Geschichtswerken und anderen Annalen wiedergefunden. Es waren, wenn ich mich recht entsinne, die folgenden:

MUSSIUS VINDEX

SEX. VARIUS MARULLUS

C. FUFIDIUS C. F. VINDEX

und

LABERIA POMPEIANA CONIUX MACRINI VINDICIS,

wovon der letzte natürlich der einer römischen Dame war.

Die folgende Liste umfasst sämtliche lateinische Namen auf der Scherbe:

C. CAECILIUS VINDEX

M. AIMILIUS VINDEX

SEX. VARIUS MARULLUS

Q. SOSIUS PRISCUS SENECIO VINDEX

L. VALERIUS COMINIUS VINDEX

SEX. OTACILIUS M. F.

L. ATTIUS VINDEX

MUSSIUS VINDEX

C. FUFIDIUS C. F. VINDEX

LICINIUS FAUSTUS

LABERIA POMPEIANA CONIUX MACRINI VINDICIS

MANILIA LUCILLA CONIUX MARULLI VINDICIS

Auf diese römischen Namen folgt offenbar eine Lücke von mehreren Jahrhunderten. Nie wird sich in Erfahrung bringen lassen, was mit der Scherbe in jenen dunklen Zeiten geschah und wie es kam, dass sie von der Familie aufbewahrt wurde. Wie man sich entsinnen wird, hatte mein armer Freund Vincey mir erzählt, dass seine römischen Vorfahren sich später in der Lombardei niederließen und dann, als Karl der Große in diese einfiel, mit ihm über die Alpen zogen und sich in der Bretagne ansiedelten, von wo sie unter der Herrschaft Edwards des Bekenners nach England übersiedelten. Woher er dies alles wusste, ist mir nicht bekannt, denn auf der Scherbe findet sich kein Hinweis auf die Lombardei oder Karl den Großen, während, wie man gleich sehen wird, die Bretagne erwähnt wird. Doch weiter: Die nächsten Eintragungen auf der Scherbe, wenn man von einem länglichen Fleck aus Blut oder roter Farbe absieht, sind zwei rote Kreuze, die wohl Kreuzfahrerschwerter darstellen, und ein zierliches in Scharlach und Blau gemaltes Monogramm (D. V.), welches vielleicht von der gleichen Dorothea Vincey stammt, die den bereits erwähnten Vers schrieb. Links davon standen in blassem Blau die Initialen A. V. und das Datum 1800.

Dann folgte die vielleicht merkwürdigste Inschrift auf diesem ungewöhnlichen Relikt. Sie ist in gotischen Buchstaben und lateinischer Sprache abgefasst, läuft quer über die Kreuze oder Kreuzfahrerschwerter hinweg und trägt das Datum 1445. Wir entdeckten außerdem, was noch sonderbarer ist auf einer zweiten Pergamentrolle in dem Kästchen eine gleichfalls in gotischen Buchstaben verfasste Übersetzung der lateinischen Inschrift.

Modernisierte Schriftform dieser Inschrift:

»Ista reliquia est valde misticum et myrificum opus, quod majores mei ex Armorica, scilicet Britannia Minore, secum convehebant; et quidam sanctus clericus semper patri meo in manu ferebat quod penitus illud destrueret, affirmans quod esset ab ipso Sathana conflatum prestigiosa et diabo- lica arte, quare pater meus confregit illud in duas partes, quas quidem ego Johannes de Vinceto salvas servavi et adaptavi sicut apparet die lunae proximo post festum beatae Mariae Virginis anni gratiae MCCCCXLV.«

Übersetzung dieser Inschrift:

»Diese Reliquie ist ein sehr mystisches und wundersames Werk, welches meine Vorfahren aus Armorica, das ist Klein-Britannien (die Bretagne), mitgebracht haben; ein Geistlicher riet meinen Vater eindringlich, sie gänzlich zu vernichten, da sie vom Satan selbst durch magische und teuflische Kunst angefertigt sei, weshalb mein Vater sie nahm und in zwei Stücke zerbrach, doch ich, Johannes de Vincey, rettete beide Teile und fügte sie, wie Ihr seht, wieder zusammen am heutigen Montag nach dem Fest der Heiligen Jungfrau Maria im Jahre des Heils 1445.«

Die nächste und vorletzte Eintragung stammte aus der Zeit Königin Elisabeths und trug das Datum 1564: »Eine höchst seltsame Historie, die meinen Vater das Leben gekostet hat; denn auf der Suche nach dem Platz an der Ostküste Afrikas wurde seine Pinasse bei Lorenzo Marquez von einer portugiesischen Galeone versenkt, wobei er ertrank. - John Vincey.«

Es folgte die letzte Inschrift, die, nach der Schreibweise zu schließen, von einem Vertreter der Familie um die Mitte des 18. Jahrhunderts stammte. Es war eine nicht ganz korrekte Wiedergabe des bekannten Zitats aus Hamlet; sie lautete:

»Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde,

Als du dir in deiner Schulweisheit träumen lässt,

Horatio.«

»So, mein lieber Leo«, sagte ich, nachdem ich alle diese Schriften, soweit sie lesbar waren, sorgfältig untersucht hatte, »das wäre alles. Nun kannst du dir deine eigene Meinung über das Ganze bilden. Die meine steht bereits fest.«

»Und wie sieht sie aus?«, fragte er neugierig.

»So: Ich halte diese Scherbe für echt und glaube, dass sie, so seltsam das auch scheinen mag, seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. in deiner Familie weitervererbt worden ist. Die Eintragungen beweisen das eindeutig, und wir müssen diese Tatsache, so unwahrscheinlich sie auch sein mag, akzeptieren. Doch das ist auch schon alles. Dass deine Ahne, die ägyptische Prinzessin, oder ein von ihr beauftragter Schreiber die Eintragung verfasst hat, steht für mich außer Zweifel, doch ebenso fest bin ich davon überzeugt, dass ihre Leiden und der Verlust ihres Gatten ihren Geist verwirrt haben und dass sie nicht ganz bei Verstand war, als sie dies niederschrieb.«

»Und wie willst du erklären, was mein Vater gesehen und gehört hat?«, fragte Leo.

»Das war ein reiner Zufall. Sicher gibt es an der afrikanischen Küste Felsen, die wie Männerköpfe aussehen, und viele Leute, die ein verstümmeltes Arabisch sprechen. Zweifellos gibt es auch eine Menge Sümpfe dort. Ich muss dir ganz ehrlich sagen, Leo - ich glaube, dass dein Vater, als er diesen Brief schrieb, nicht ganz bei Sinnen war. Er hatte Schweres durchgemacht, und da er eine sehr lebhafte Phantasie hatte, hat er sich zu sehr mit dieser Geschichte beschäftigt. Jedenfalls glaube ich, dass das Ganze völliger Unsinn ist. Ich weiß, es gibt in der Natur seltsame Dinge und Kräfte, die wir nur selten bemerken und, wenn wir sie bemerken, nicht begreifen. Doch solange ich es nicht mit meinen eigenen Augen sehe, was wohl kaum je der Fall sein wird, kann ich einfach nicht glauben, dass es irgendein Mittel gibt, den Tod zu besiegen, oder dass mitten in einem afrikanischen Sumpf eine weiße Zauberin lebt oder gelebt hat. Unsinn, mein Junge, nichts als Unsinn! - Was meinst du, Job?«

 

»Dass es eine Lüge ist, Sir. Falls es aber doch wahr ist, so hoffe ich, Mr. Leo wird sich auf so etwas nicht einlassen, denn dabei kann nichts Gutes herauskommen.«

»Vielleicht habt ihr beide recht«, sagte Leo ruhig. »Ich will mich darüber nicht äußern und nur das eine sagen: Ich werde die Sache endgültig aufklären, und wenn ihr nicht mitkommen wollt, dann werde ich es allein tun.«

Ich sah den jungen Mann an und merkte, dass er es ernst meinte. Wenn Leo etwas ernst meint, dann verzieht er immer auf eine merkwürdige Weise den Mund, eine Gewohnheit, die er schon als Kind hatte. Ich dachte jedoch gar nicht daran, Leo zu erlauben, irgendwohin allein zu gehen; dazu hing ich viel zu sehr an ihm. Ich bin kein Mann mit vielen Freundschaften und Bindungen. Die Umstände sind in dieser Hinsicht gegen mich, und Männer wie Frauen scheuen vor mir zurück, oder ich bilde mir das ein, was auf dasselbe herauskommt. Sie scheinen aus meinem reichlich abstoßenden Äußeren auf mein Inneres zu schließen, und da mir dies unerträglich ist, habe ich mich weitgehend von der Welt und den Menschen zurückgezogen. Leo war für mich die ganze Welt - Bruder, Kind und Freund -, und ich war entschlossen, wohin er auch gehen mochte, nicht von seiner Seite zu weichen. Natürlich durfte ich ihm nicht zeigen, welche Macht er über mich hatte, und ich sann nach einer Möglichkeit, mich aus der Affäre zu ziehen.

»Ja, Onkel, ich werde es tun; und wenn ich die Flammensäule des Lebens auch nicht finde, so werde ich dort zumindest ausgezeichnete Gelegenheit zur Jagd finden.«

Da war die Möglichkeit, und ich nutzte sie sofort.

»Zur Jagd?«, sagte ich. »Ja, sicherlich; daran dachte ich gar nicht. Es muss ein ziemlich wildes Land sein, voll von Großwild. Ich wollte immer schon vor meinem Tode noch einen Büffel erlegen. Weißt du, mein Junge, an diese ganze Geschichte glaube ich nicht, aber das Wild reizt mich, und wenn du nach reiflicher Überlegung wirklich dorthin fahren willst, so werde ich mir Urlaub nehmen und dich begleiten.«

»Dachte ich's mir doch«, sagte Leo, »dass du dir so etwas nicht entgehen lassen wirst. Doch wie steht es mit dem Geld? Es wird ein reichlich teurer Spaß werden.«

»Zerbrich dir deshalb nicht den Kopf«, erwiderte ich. »Wir haben dein ganzes Vermögen, das sich all die Jahre gut verzinst hat, und außerdem habe ich noch zwei Drittel von dem, was mir dein Vater für deine Versorgung hinterlassen hat. An Geld mangelt's also nicht.«

»Schön, dann lass uns dies alles gleich einpacken und in die Stadt fahren, um nach unseren Gewehren zu sehen. Wie steht's, Job, kommst du auch mit? Höchste Zeit, dass du einmal etwas von der Welt siehst.«

»Ach, Herr«, antwortete Job, »mir liegt nicht viel an fremden Ländern, aber wenn die Herren diese Reise machen, dann brauchen sie doch jemanden, der für sie sorgt; und nachdem ich Ihnen nun zwanzig Jahre treu gedient habe, kann ich Sie doch jetzt nicht im Stich lassen.«

»So ist's recht, Job«, sagte ich. »Große Wunder wirst du wohl nicht erleben, doch ein paar schöne Jagden sind sicher auch nicht zu verachten. Und jetzt hört mich gut an, ihr beiden. Ich möchte nicht, dass ihr irgendeinem Menschen von diesem Unsinn erzählt.« Ich deutete auf die Scherbe. »Wenn das bekannt würde und mir irgendetwas zustieße, dann würden meine Verwandten mich für verrückt erklären und mein Testament anfechten, und ich würde zum Gespött von ganz Cambridge werden.«

Drei Monate nach diesem Tag schwammen wir auf dem Ozean - unterwegs nach Sansibar.

4. Die Bö

Wie verschieden ist die Szene, die ich jetzt zu schildern habe, von der soeben beschriebenen! Wo ist mein stilles Studierzimmer, wo sind die im Winde schwankenden englischen Ulmen, die krächzenden Krähen, meine vertrauten Bücher? Um uns ist nichts als der riesige ruhige Ozean, silbern glänzend im Schein des afrikanischen Vollmonds. Eine sanfte Brise füllt das große Segel unserer Dhau und treibt uns durch das leise an ihre Planken plätschernde Wasser. Die meisten Männer der Besatzung schlafen, denn es ist kurz vor Mitternacht; nur Mahomed, ein kräftiger, tiefbrauner Araber, steht am Ruder und lenkt das Schiff gemächlich nach den Sternen. Drei Meilen oder etwas mehr an Steuerbord zieht sich eine dünne, dunkle Linie hin, die Ostküste Mittelafrikas. Wir segeln vor dem Nordostmonsun südwärts, zwischen dem Festland und dem Riff, das Hunderte von Meilen weit diese gefährliche Küste säumt. Die Nacht ist still, so still, dass man ein Flüstern auf der ganzen Dhau vernimmt; so still, dass ein schwacher, grollender Laut von dem fernen Land übers Wasser bis zu uns dringt.

Der Araber am Ruder hebt die Hand und sagt nur: »Simba!«

Wir richten uns alle auf und lauschen. Und wieder ertönt dieser dumpfe, majestätische Laut, der uns erschaudern lässt.

»Falls der Kapitän sich nicht verrechnet hat, was ich für sehr wahrscheinlich halte, müssten wir morgen Vormittag gegen zehn Uhr bei diesem geheimnisvollen Felsen mit dem Männerkopf sein«, sagte ich. »Dann kann die Jagd beginnen.«

»Ja, und die Suche nach der Ruinenstadt und dem Feuer des Lebens«, verbesserte mich Leo. Er nahm seine Pfeife aus dem Mund und lachte.

»Unsinn!«, erwiderte ich. »Du hast doch übrigens heute Nachmittag bei dem Mann am Ruder dein Arabisch erprobt. Was hat er dir gesagt? Er ist doch sein halbes unnützes Leben lang in Geschäften (wahrscheinlich Sklavengeschäften) durch diese Gewässer gefahren und auch schon einmal an diesem Männerfelsen gelandet. Hat er je etwas von der Ruinenstadt und den Felsen gehört?«

»Nein«, sagte Leo. »Er sagt, dass es dahinter nur Sümpfe voller Schlangen, vor allem Pythons, und Wild gibt und dass dort keine Menschen leben. Doch das besagt nicht viel, denn ein solcher Sumpfgürtel zieht sich die ganze afrikanische Küste entlang.«

»Doch«, antwortete ich, »das besagt, dass es Malaria gibt. Aber daran siehst du, was diese Leute von dem Land hier denken. Keiner von ihnen wird mit uns gehen. Sie halten uns für verrückt, und ich glaube fast, sie haben recht. Es sollte mich wundern, wenn wir das gute alte England je wiedersehen. Bei meinem Alter ist das nicht so schlimm, doch ich mache mir Sorgen um dich, Leo, und um Job. Es ist der reine Wahnsinn, mein Junge.«

»Schon gut, Onkel Horace. Um mich brauchst du dich wirklich nicht zu sorgen; ich werde es schon überstehen. Doch sieh mal - was ist denn das für eine Wolke?« Er deutete auf einen dunklen Fleck am sternenhellen Himmel hinter uns.

»Frag doch mal den Mann am Ruder«, sagte ich.

Er stand auf, streckte sich und ging zu ihm. Gleich darauf kam er zurück.

»Er meint, es ist eine Bö, doch sie wird an uns vorüberziehen.«

In diesem Augenblick trat Job zu uns. Er sah in seinem Jagdanzug aus braunem Flanell sehr mannhaft und englisch aus, doch sein biederes rundes Gesicht hatte, seit wir uns in diesen fremden Gewässern befanden, einen verdutzten Ausdruck.

»Verzeihung, Mr. Holly«, sagte er und tippte an seinen Hut, der ihm im Genick saß, »ich hätte eine Frage. Wir haben doch unsere Gewehre und all unsere Sachen und den Proviant hinten im Walboot - wäre es nicht gut, wenn ich dort schliefe? Die Blicke dieser schwarzen Burschen« - er senkte seine Stimme zu einem besorgten Flüstern - »gefallen mir gar nicht; sie scheinen alle Halunken zu sein. Was, wenn einige nachts ins Boot schlüpften und das Tau durchschnitten und damit verschwänden? Das wäre eine schöne Bescherung!«

Das Walboot hatten wir uns, wie ich erwähnen muss, eigens auf einer Werft in Dundee in Schottland bauen lassen. Wir hatten es mitgenommen, weil wir wussten, dass diese Küste von vielen kleinen Flussarmen durchzogen war, und damit rechneten, sie befahren zu müssen. Es war ein schönes Boot, dreißig Fuß lang, mit einer Vorrichtung zum Anbringen des Segels in der Mitte, einem kupferbeschlagenen Boden, um die Würmer fernzuhalten, und wasserdichten Abteilungen. Der Kapitän der Dhau hatte uns gesagt, dass er an dem ihm bekannten Felsen, welcher der auf der Scherbe und von Leos Vater beschriebene zu sein schien, wahrscheinlich infolge der Untiefen und der starken Brandung nicht würde landen können. Wir hatten deshalb an diesem Morgen eine Windstille dazu benutzt, die meisten unserer Sachen auf das Walboot zu bringen und Gewehre, Munition und Proviant in den dafür bestimmten wasserdichten Verschlägen zu verstauen, so dass wir, wenn der legendäre Felsen auftauchte, nur in das Boot zu steigen und damit an Land überzusetzen brauchten. Ein weiterer Grund für diese Vorsichtsmaßnahme war, dass arabische Kapitäne aus Nachlässigkeit oder infolge falscher Berechnungen häufig das angesteuerte Ziel verfehlen, und jeder Seemann weiß, dass eine Dhau mit ihrer besonderen Takelung nur vor dem Monsun herlaufen, doch nicht gegen ihn ankämpfen kann. Deshalb hatten wir uns darauf vorbereitet, jederzeit in das Boot steigen und zu dem Felsen hinüberrudern zu können.

»Ja, Job«, sagte ich, »das wäre vielleicht nicht schlecht, Decken sind genug da. Leg dich aber nicht so hin, dass dich der Mond bescheint und dir den Kopf verdreht oder dich blendet.«

»Ach Sir, ich glaube nicht, dass das viel ausmachen würde; vom Anblick dieser schwarzen Halunken ist er schon verdreht genug. Die sind nur für den Misthaufen gut. Stinken tun sie jedenfalls genug dafür.«

Job war, wie man sieht, kein Bewunderer der Sitten und Gebräuche unserer schwarzen Brüder.

Wir zogen also das Boot am Tau dicht heran, bis es direkt unter dem Heck der Dhau lag, und Job sprang mit der Grazie eines plumpsenden Kartoffelsacks hinein. Wir gingen zurück, setzten uns wieder aufs Deck und rauchten und plauderten dies und das. Die Nacht war so herrlich, und uns erfüllte eine solche Spannung, dass wir nicht die geringste Lust verspürten, uns schlafen zu legen. So saßen wir fast eine Stunde, und dann müssen wir wohl eingenickt sein. Ich erinnere mich nur noch schwach, dass Leo mir schlaftrunken erklärte, am besten erlege man einen Büffel, indem man ihn in den Kopf schieße, zwischen die Hörner oder so, dass ihm die Kugel mitten durch die Kehle fahre, und dergleichen Unsinn...

Dann weiß ich nichts mehr - und plötzlich ein furchtbarer Windstoß, ein Schreckensschrei der auffahrenden Mannschaft und eine Woge, die auf unsere Köpfe niederpeitschte. Einige Männer eilten an die Halyards, um das Segel einzuholen, doch es gelang ihnen nicht. Ich sprang auf und klammerte mich an ein Tau. Der Himmel hinter uns war kohlschwarz, doch vor uns strahlte der Mond und erhellte die Finsternis. In seinem Schein raste eine riesige Sturzwelle auf uns zu, über zwanzig Fuß hoch, die schäumende Gischt weiß im Mondlicht schimmernd. Plötzlich sah ich, wie die schwarze Silhouette des Walbootes auf dem Kamm der zusammenbrechenden Woge hoch emporschwebte. Dann ein Wasserschwall, das wilde Rauschen der kochenden Gischt, und ich klammerte mich mit aller Kraft an das Tau, hing daran wie eine vom Sturm gepeitschte Fahne.

Dann verlief sich die Woge, die über uns hinweggegangen war. Mir schien es, als sei ich Minuten unter Wasser gewesen - dabei waren es nur Sekunden. Ich blickte nach vorn. Das Großsegel hatte sich losgerissen und flatterte hoch in der Luft wie ein riesiger verwundeter Vogel. Einen Augenblick herrschte Stille, und ich hörte, wie Job verzweifelt schrie: »Kommt hierher ins Boot!«

Obwohl halb betäubt, hatte ich doch genug Besinnung, zum Heck zu stürzen. Ich spürte, wie die Dhau unter mir sank - sie war voll Wasser. Unter ihr schwankte das Walboot wild hin und her, und ich sah, wie Mahomed, der arabische Steuermann, hineinsprang. Verzweifelt zerrte ich an dem Tau, um das Boot näher heranzubringen; dann sprang auch ich und rollte, von Job an einem Arm aufgefangen, über den Boden des Bootes. Die Dhau versank rasch in der Tiefe. Mahomed zog im letzten Moment sein krummes Messer, kappte das Tau, das uns mit ihr verband, und wir sausten, vom Sturm getrieben, über die Stelle, wo eben die Dhau noch gewesen war.

 

»Großer Gott«, schrie ich, »wo ist Leo? Leo! Leo!«

»Er ist ertrunken, Sir, Gott sei ihm gnädig!«, brüllte mir Job ins Ohr, doch in der rasenden Bö klang es wie ein leises Flüstern.

In tiefster Pein rang ich die Hände. Leo ertrunken, und ich am Leben, ihn zu betrauern!

»Achtung«, schrie Job, »da kommt noch eine!«

Ich drehte mich um; eine zweite riesige Woge brach über uns herein. Fast hoffte ich, in ihr umzukommen. Wie gebannt blickte ich ihr entgegen. Der Mond war jetzt von Wolkenfetzen fast verdeckt, doch sein Licht reichte aus, auf ihrem Kamm etwas Dunkles zu erkennen - einen Teil des Wracks, wie mir schien. Jetzt schlug sie über uns zusammen und füllte das Boot fast bis zum Rand mit Wasser. Doch dank der wasserdichten Abteile - der Himmel segne ihren Erfinder! - richtete es sich wieder auf wie ein Schwan. Durch die Gischt sah ich das schwarze Etwas auf der Woge auf mich zu stürzen. Ich hob den rechten Arm, um es abzuwehren, und da schloss sich meine Hand um einen anderen Arm, um ein Handgelenk, das ich mit aller Kraft umklammerte. Obwohl ich sehr kräftig bin, drohten das Gewicht und der Druck des treibenden Körpers mir fast den Arm auszurenken, und hätte die Sturzsee sich noch zwei Sekunden länger über uns ergossen, so hätte ich loslassen müssen oder wäre mitgerissen worden. Doch sie ging schnell vorbei, und wir standen bis zu den Knien im Wasser.

»Ausschöpfen! Ausschöpfen!«, schrie Job und machte sich unverzüglich ans Werk.

Ich konnte mich jedoch nicht sogleich ans Ausschöpfen machen, denn in diesem Augenblick fiel ein letzter Strahl des hinter Wolken verschwindenden Mondes auf das Gesicht des Mannes, den ich gepackt hatte und der jetzt, halb schwimmend, auf dem Boden des Bootes lag.

Es war Leo! Die Woge hatte Leo zurückgebracht - tot oder lebendig, zurück aus den Klauen des Todes.

»Ausschöpfen!«, schrie Job immer noch. »Sonst kentern wir!«

Ich ergriff ein großes Zinngefäß, das unter einem der Sitze angebracht war, und wir schöpften zu dritt aus Leibeskräften. Der Sturm fegte über uns hinweg und schleuderte das Boot hin und her, und der Wind und die salzige Gischt blendeten und verwirrten uns, doch wir arbeiteten mit der wilden Lust der Verzweiflung. Eine Minute! Drei Minuten! Sechs Minuten! Langsam hob das Boot sich aus dem Wasser, und zum Glück brach keine weitere Woge über uns herein. Nach weiteren fünf Minuten war das Boot wieder einigermaßen klar. Plötzlich aber übertönte das schreckliche Geheul des Orkans ein dumpfes, tieferes Brausen. Großer Gott! Es war die Stimme der Brandung!

In diesem Augenblick trat hinter der Bö der Mond wieder aus den Wolken hervor. Weit vor uns, jenseits des aufgewühlten Ozeans, fielen seine Strahlen auf einen dünnen Schaumstreifen, und dahinter sahen wir ein kurzes Stück gähnenden Dunkels, dem ein zweiter weißer Streifen folgte. Es war die Brandung, und ihr Tosen wurde immer lauter und klarer, während wir wie eine Schwalbe auf sie zuschossen. Kochend und schäumend lag sie vor uns wie ein Höllenrachen.

»Ans Steuer, Mahomed!«, schrie ich auf Arabisch. »Wir müssen durch!« Zugleich ergriff ich ein Ruder und bedeutete Job, es mir gleichzutun.

Mahomed kletterte nach hinten und packte das Steuer, und Job, der manchmal auf einem Fluss in der Heimat mit einem Boot gefahren war, steckte sein Ruder ins Wasser. In der nächsten Minute richtete sich der Bug des Bootes auf die Schaummassen, denen wir uns mit der Schnelligkeit eines Rennpferdes näherten. An der Stelle, auf die wir zurasten, schien die erste Brandungslinie etwas schmaler zu sein als rechts und links davon - anscheinend war dort eine Rinne mit tieferem Wasser. Ich drehte mich um und deutete darauf.

»Steure gut, Mahomed!«, schrie ich. »Es geht um unser Leben!« Der Araber, ein geschickter, mit den Tücken dieser gefährlichen Küste wohlvertrauter Steuermann, umklammerte fest das Steuer, beugte sich weit vor und starrte mit weitaufgerissenen Augen auf das Höllengebrodel. Der Sog trieb den Bug des Bootes nach Steuerbord. Wenn wir fünfzig Meter rechts von der tieferen Stelle in die Brandung gerieten, waren wir verloren. Mahomed stemmte einen Fuß gegen den Sitz vor sich, und ich sah, wie seine braunen Zehen sich wie eine Hand spreizten, als er mit aller Kraft das Ruder herumriss. Das Boot machte eine kleine Schwenkung, doch sie reichte nicht aus. Ich brüllte Job zu, er solle Wasser schöpfen, während ich an meinem Ruder zerrte. Endlich gehorchte das Boot - keine Sekunde zu früh.

Himmel, wir waren mittendrin! Es folgten Minuten nervenzerreißender Aufregung, die sich nicht schildern lassen. Ich entsinne mich nur noch eines brüllenden Schaumgebirges, aus dem da und dort Wellen emporstiegen wie Rachegeister aus ihrem Ozeangrab. Einmal wurden wir rundherum gewirbelt, doch entweder durch einen glücklichen Zufall oder durch Mahomeds geschicktes Steuern kam das Boot wieder in die richtige Lage, bevor eine Sturzwelle über uns zusammenschlug - ein wahres Ungeheuer. Wir rasten unter ihr hindurch, und dann schossen wir unter einem wilden Freudenschrei des Arabers über das verhältnismäßig glatte Wasser zwischen den beiden Brandungen.

Indessen war das Boot bereits wieder halb voll Wasser, und kaum eine halbe Meile vor uns erhob sich die zweite Brandungswelle. Wieder machten wir uns daran, mit allen Kräften das Wasser auszuschöpfen. Glücklicherweise hatte der Sturm nachgelassen, und im hellen Mondschein erblickten wir ein über eine halbe Meile weit ins Meer hineinragendes Vorgebirge, dessen unter Wasser befindlicher Teil die Ursache dieser zweiten Brandungslinie zu sein schien. Das Ende dieses Vorgebirges bildete eine etwa eine Meile von uns entfernte Felskuppe. Gerade als wir das Boot zum zweiten Mal einigermaßen klargemacht hatten, schlug Leo zu meiner ungeheuren Erleichterung die Augen auf und murmelte benommen, seine Kleider seien vom Bett gefallen, und es sei an der Zeit, sich fertigzumachen, um zur Kirche zu gehen. Ich sagte ihm, er solle die Augen wieder schließen und sich ganz ruhig verhalten, was er, ohne von unserer gefährlichen Lage etwas zu bemerken, sofort tat. Mich erfüllte seine Bemerkung über die Kirche mit wildem Heimweh nach meiner gemütlichen Wohnung in Cambridge. Wie hatte ich nur so töricht sein können, sie zu verlassen!

Doch jetzt näherten wir uns wieder der Brandung, wenn auch mit verminderter Geschwindigkeit, denn der Wind hatte nachgelassen, und wir wurden nur noch von der Strömung oder der Flut getrieben - wie sich später herausstellte, war es die Flut.

Eine Minute später waren wir unter lautem Allah-Geschrei des Arabers, einem Stoßgebet von mir und Jobs Flüchen wieder mitten darin. Das schreckliche Schauspiel wiederholte sich, wenn auch diesmal nicht ganz so heftig, und Mahomeds geschicktes Steuern und die wasserdichten Abteile retteten uns das Leben. Binnen fünf Minuten waren wir durch und wurden, da wir vor Erschöpfung nichts weiter tun konnten, als ungefähr den Kurs des Bootes zu halten, mit beängstigender Schnelligkeit um das vorhin erwähnte Vorgebirge herumgetrieben.

Wir waren schon auf seiner anderen Seite, als unsere Geschwindigkeit plötzlich nachließ und wir schließlich fast ganz zum Stehen kamen. Wir schienen in einem toten Gewässer zu sein. Der Sturm hatte sich gänzlich gelegt und einen klaren blauen Himmel hinterlassen. Der durch den Sturm hervorgerufene schwere Seegang brach sich an dem Vorgebirge, und die Flut, die so wild den Fluss hinauf geströmt war - wir befanden uns jetzt in einer Flussmündung hatte ihre Kraft verloren. Während wir so ruhig dahintrieben, schöpften wir, bevor der Mond unterging, das Wasser aus dem Boot und richteten es wieder her, so gut es ging. Leo schlief fest, und ich hielt es für das klügste, ihn nicht zu wecken. Zwar waren seine Kleider durchnässt, doch die Nacht war jetzt so warm, dass dies nach meiner - und Jobs - Ansicht einem Mann von so robuster Konstitution nicht schaden konnte. Überdies hatten wir ja auch keine trockenen zur Hand.

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