Fridolin, der freche Dachs

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»Das ist eine Wohnung«, sagte Friedesinchen zu ihrem Sohn, »auf die der älteste und erfahrenste Dachs stolz sein würde. Man merkt eben doch, daß Friederike von gutem Blute ist; hoffentlich machst auch du deinen Eltern einmal soviel Ehre, Söhner!«

Dies war eine Anspielung auf den nie gesehenen Vater Frieder. Dann aber schüttelte die Mutter doch wieder den Kopf: »Alles schön und gut, und doch wäre die Moossteinhöhle besser gewesen. Diese liegt eben doch zu frei und offen, da können auch die schönsten Notröhren nichts helfen.«

Leider sollte Mutter Friedesinchen mit ihren trüben Vorahnungen nur zu recht behalten. Als die beiden wieder einmal des Nachts die Wohnung der Schwester besuchten, fanden sie die tennenglatten Eingänge zerstört von Hundespuren, überall trafen sie auf den häßlichen Geruch dieser bösen Tiere. Die schönen Mooswände der Höhle waren im Kampfe zerrissen und zerstört, mit Blut befleckt war das Innerste des Baues – und es war nicht nur Hundeblut, das da geflossen war!

Friedesinchen ließ sich auf ihr Hinterteil nieder und sprach mahnend zu ihrem Sohne: »So geht es den Kindern, die nicht auf den weisen Rat ihrer Mutter hören! Arme Friederike, von Hunden zerbissen, vielleicht von bösen Menschen erschossen und bereits verspeist! Es ist schade um deine Schwester, Söhner. Sie hatte die glücklichsten Anlagen von der Welt, sicher wäre aus ihr die mürrischste, einsiedlerischste Dächsin geworden, weit berühmt in der Dachsenwelt. Und nun so jung gestorben!«

Friedesinchen schnappte sich schnell einen großen Laufkäfer, der vorwitzig gerade vor ihrer Nase vorbeimarschieren wollte, und fuhr also fort: »Du bist mir von meinen vielen, vielen Kindern als einziger verblieben. Ich erwarte von dir, daß du deinem Vater Frieder und mir Ehre machst, Fridolin! Laß das Schicksal deiner unseligen Schwester dir zum warnenden Beispiel dienen, Söhner! Gib dich nie mit einem anderen Geschöpf ab, und sei es die liebreizendste Dächsin! Lebe stets für dich allein, fauche, kratze, beiße alle weg! Sei mißtrauisch, laß auch das schönste Fressen stehen, wenn es dir Gefahr bringen kann. Du sollst nicht in einem Menschenmagen enden, Fridolin, in einer behaglichen Mooshöhle sollst du eines Tages an Altersschwäche sterben!«

»Ich will alles tun, wie du sagst, Mutter!« antwortete der Sohn und rieb seinen Rüssel gerührt an dem Friedesinchens.

Den Rest des Sommers und den größten Teil des Herbstes verlebten Mutter und Sohn in schönster Eintracht. Sie schliefen zusammen, sie sonnten sich zusammen, sie jagten zusammen. Kaum je wurde ein Wort zwischen ihnen gewechselt, so einig waren sie sich über alles. Fridolin war jetzt ein voll ausgewachsener Dachs. Er war größer und schwerer als seine Mutter, und das war auch nur richtig so, denn bei den Dachsen sind die Männer größer und kräftiger als die Frauen.

Als der Herbst immer weiter vorrückte, als es immer windiger, kälter und nässer wurde, kam eine seltsame Unruhe über Fridolin. Er wußte noch nicht, daß er mit dem Eintritt strengen Frostwetters in den Winterschlaf verfallen würde, denn er hatte das ja noch nie erlebt. Aber diese Unruhe saß nun einmal in ihm. Sie trieb ihn, schon früh des Nachts ohne die Mutter auf die Jagd zu gehen, und nie kam er heim, ohne im Rüssel Möhren, Wurzeln oder Bucheckern heimzutragen.

Seine Mutter war nicht so vorsorglich; sie wußte, daß sie ausgangs des Winters bitteren Hunger leiden und klapperdürr in den Frühling gehen würde, aber ihre Faulheit, auch eine hervorragende Tugend der Dachse, war unbesieglich. Statt dessen suchte sie plötzlich auf heimlichen Liebespfaden den Vater ihrer Kinder, den Dachs Frieder. Ob sie ihn nun gefunden hatte oder nicht, jedenfalls änderte sich ihre Gemütsart völlig. Sie war nicht länger mehr liebevoll zu dem Sohne, auf jede Weise zeigte sie ihm, wie überflüssig und störend er in der Wohnung war. Ähnlich wie einst Friederike stieß und biß sie ihn bei jeder Gelegenheit, und der Sohn hörte von der Mutter nichts mehr als ein zornig ergrimmtes Fauchen.

Eines Tages sagte sie ihm dann geradezu: »Wie lange willst du Fettwanst dich noch in meiner Wohnung breitmachen? Viel zu lange schon habe ich dich hier geduldet! Der Winter steht vor der Türe – glaubst du vielleicht, ich will ihn mit dir gemeinsam in meiner Mooshöhle verbringen, wo du mit deiner Speckschwarte schon jetzt viel zuviel Raum beanspruchst? Marsch, fort mit dir! Trolle dich, Fridolin! Oft genug habe ich dir den alten Fuchsenbau unter dem Moosfelsen gezeigt – jetzt ist noch Zeit genug, ihn instand zu setzen. Frisch ans Werk und aus meinen Augen!«

Ganz erschöpft von dieser langen Rede, hielt die Mutter atemlos inne und sah den Sohn mit zornig funkelnden Augen an.

Fridolin aber bedachte die sonnenlose Fuchsenhöhle, er bedachte auch die große Arbeit, die es erforderte, sie von Unrat und Gestank zu befreien. Er bedachte ferner die Vorräte, die er in diesen Bau selbst eingetragen hatte, und schließlich dachte er daran, daß er größer und stärker war als seine Mutter.

Darum antwortete er griesgrämig: »Nicht also, Mutter Friedesinchen! Wenn einer aus diesem Bau weichen muß, so bist du es! Du hast schon immer den alten Fuchsenbau gerühmt, der mir gar nicht gefiel – bewohne also auch du ihn! Ich bin der Stärkere, ich habe hierher die Vorräte eingetragen – also mach, daß du hier verschwindest, damit ich endlich vor deinem weibischen Gekeife meine Ruhe habe!«

Damit stemmte sich der Sohn gegen die Mutter und schob sie erst aus dem Kessel, dann durch die Röhre ins Freie, trotz ihres Wehrens und Keifens. Eine Weile saß Mutter Friedesinchen noch im kalten Herbstregen. Dann sah sie ein, daß der Sohn Fridolin recht hatte, denn das Recht des Stärkeren gilt in der ganzen Tierwelt und ist überhaupt das höchste Gesetz allen Lebens. Friedesinchen schniefte noch einmal kummervoll durch die Nase und machte sich dann auf den Weg zum alten Fuchsenbau, brummig an all die Arbeit denkend, die dort ihrer wartete.

2

Abenteuer des Füchsleins Isolein und seine Reise in den Hullerbusch. Fridolin wird ausgestänkert und zieht in die weite Welt

Zu jener Zeit, als Fridolin seine Mutter aus ihrer eigenen Höhle verjagte, war er ein stattlicher, gutaussehender junger Mann mit einer dicken Speckschwarte unter dem Fell und mit einem rundlichen Wanst, der fast den Boden streifte. Jedem Dachsfräulein hätte bei seinem Anblick das Schwänzlein vor Vergnügen gewackelt.

Sein straffes, borstenartiges, glänzendes, ziemlich langes Haar bedeckte den ganzen Körper, auch die Ohren. Auf dem Rücken war es weiß-gräulich, mit Schwarz untermischt, nach den Seiten und dem Schwanze zu ging es mehr ins Rötliche über, am Bauch und an den Füßen aber war es schwarzbraun. Der Kopf war weiß; ein schwarzer Streifen verlief zu jeder Seite der Schnauze, er verbreiterte sich, ging über die Augen und über die weißen Ohren weg und verlor sich im Nacken. Von der Schnauze bis zur Schwanzwurzel maß Fridolin drei viertel Meter, sein hübsches, buschiges Schwänzchen war noch einmal zwanzig Zentimeter lang; der ganze Fridolin war nicht höher als ein Schullineal, das sind dreißig Zentimeter. Jetzt im Herbst wog er gut ausgemästet fünfunddreißig Pfund – alles in allem ein stattlicher, glänzend aussehender Dachs.

Als es zu frieren anfing, rollte er sich in seiner Höhle zusammen, den Kopf zwischen den Vorderbeinen, und schlief fest ein. Er verschlief Winterstürme und Schnee und Eis, friedlich schlafend lag er da, während die Erde von Frost klirrte, und zehrte von dem Fett auf seinen Rippen und in seinem Wanst. Kamen aber einmal mildere Tage mit Sonnenschein, so spürte das der Dachs tief in seinem dunklen Erdbau. Er erwachte, nieste ein paarmal und schob sich langsam durch die Röhre ans Tageslicht, vorsichtig witternd, ob die Luft auch rein sei. Dann trollte er sich zum See hinunter, soff lange und verrichtete sein Geschäft, wobei er die Losung sorgfältig mit Erde verscharrte, damit keine Spur von ihm seine Anwesenheit verrate.

Darauf stieg er wieder hinauf zu seinem Bau, lag noch ein Weilchen faul in der Sonne und leckte sein Fell sauber. Schließlich fuhr er wieder ein in seine Höhle, fraß einiges an Möhren und Bucheckern, worauf er seinen Winterschlaf fortsetzte.

Dieses Leben führte er bis zur milderen Witterung fort; als erst das Gras grün zu werden, die Bäume wieder auszuschlagen anfingen, war auch sein Tisch wieder reicher gedeckt, und das war auch sehr nötig. Denn der Winterschlaf hatte auch das letzte Gramm Fett aus seinem Körper gezehrt, er war klapperdürr geworden, und von einem hübschen Bäuchlein konnte gar nicht mehr die Rede sein. Keine Dächsin hätte ihn mehr wohlgefällig angeschaut, zumal auch sein Fell über Winter allen Glanz verloren hatte.

Fridolin führte nun dasselbe Leben, wie er es im Vorjahre mit seiner Mutter Friedesinchen geführt hatte, nur daß er eben jetzt allein schlief, sich allein sonnte, allein für sich auf die Jagd ging, und das gefiel ihm auch viel besser. So hatte er doch immer seine Ruhe, den weichsten Platz in der Höhle, und alle guten Bissen gehörten selbstverständlich allein ihm. Bei diesem Leben wurde er bald wieder rundlich, und auch sein Haar bekam neuen Glanz.

Die ermahnenden Worte seiner Mutter Friedesinchen hatte er natürlich längst vergessen, aber er war von Natur vorsichtig. Und doch war er für einen Dachs auch keck, denn er liebte das gute Fressen, und den Garten, in dem ihn die Asta einst so geängstigt hatte, stattete er jetzt öfter Besuche ab, sehr zum Leidwesen der Herrin, die ihre jungen Karotten und Erbsen dahinschwinden sah – sie wußte nicht, durch wen. Auf einen Dachs riet niemand, so viele Tiere auch in Verdacht gerieten, denn auf Gut Hullerbusch hatte noch nie jemand einen Dachs gesehen.

Auf seinen nächtlichen Futterfahrten traf Fridolin auch einmal seine Mutter Friedesinchen. Er war gerade dabei, einen faul gewordenen Baumstumpf auf Käfer und Maden zu durchschnüffeln, als die Mutter nahe vorbei ihre Fährte zog, so nahe, daß sich die beiden fast berührten. Aber der Sohn sah nur einen Augenblick hoch von seinem trefflichen Mahle, dann senkte er den Rüssel wieder in das faulige Holzwerk und schmatzte genießerisch weiter. Auch die Mutter zog ohne Laut dahin, keines wünschte dem anderen eine »Fette Jagd!«. Aber das ist so die Art der Tiere: Haben sich die Kinder einmal von der Mutter getrennt, so werden sie fremd, und keines kennt das andere mehr oder steht ihm gar hilfreich bei.

 

Der Fridolin hätte nun wohl noch viele Jahre ein beschaulich-griesgrämiges Dasein in der Höhle am Zansenhang geführt, wenn nicht dem Förster Schäffer in Mechow sein Fuchs Isolein von der Kette gekommen wäre. Dieses Füchslein hatte der Förster, als es noch ganz klein am Gesäuge der Mutter lag, mit drei Geschwistern aus einem Fuchsenbau in der großen Mechower Forst aufgegraben, nachdem er die Mutter, eine böse Geflügeldiebin, erschossen hatte. Auch die Geschwister hatte der Förster erschlagen und nur Isolein seiner Tochter Ulla als Geburtstagsgeschenk in der Tasche mit nach Hause gebracht.

Zuerst hatte Isolein auf Ullas Kammer in einer mit Heu gepolsterten Kiste ein stillvergnügtes Dasein geführt. Ulla hatte ihn mit der Milchflasche aufgezogen, und Isolein hatte seine Betreuerin mit grün-listigen Augen zutraulich angeschaut und nach ihren Fingern geschnappt, sooft er nur konnte. Als er aber, größer werdend, damit angefangen hatte, Pantoffeln, Bettdecke, Stuhl- und Tischbeine wie Teppiche zu benagen und vor allem schlimm zu stinken – denn alle Füchse stinken ganz schlimm –, war er auf den Hof in eine verlassene Hundehütte verbannt und an eine Kette gelegt worden.

Dieser Ortswechsel tat seiner Charakterbildung nicht gut, er wurde böse und bissig und fuhr auf jeden los, der sich seiner Hütte näherte; sogar seine gute Betreuerin Ulla biß er einmal ins Bein. Die Leute, als sie erst einmal den bösen, in Isolein wohnenden Geist erkannt hatten, machten sich einen Spaß daraus, ihm Besen oder Stöcke hinzuhalten, und lachten toll, wenn sich Isolein in blinder Wut darin so verbiß, daß sie den am Stock hängenden Rotschwanz weit vom Erdboden hochheben konnten.

Der Förster Schäffer versuchte, Isolein mit strengen Worten und mit Schlägen zu erziehen und zu bessern; er änderte den Fuchs dadurch, aber er besserte ihn nicht. Denn Isolein ließ nun wohl von seinem blindwütigen Zorne ab, entwickelte dafür aber den richtigen Fuchsencharakter, das heißt, er wurde immer listiger und verschlagener, und niemand durfte Isolein trauen, er mochte noch so sanft und schläfrig in der Sonne vor seiner Hütte liegen.

Das sollten vor allem die Hennen des Försters erfahren, die sich immer sehr für den Inhalt von Isoleins Futterschüssel interessierten. Eine gute Legehenne nach der anderen verschwand zum großen Leidwesen der Försterin auf ganz unerklärliche Weise. Als man aber eines Tages das Stroh in Isoleins Hütte erneuerte, fand man darin viele Hühnerfedern – da war das Urteil über den arglistigen Hennenmörder gesprochen. Am nächsten Morgen mit dem frühesten, wenn alle Frauensleute noch schliefen, wollte es der Förster mit seinem Schießgewehr vollstrecken.

Aber am Abend noch eilte die kleine Ulla, ein Schüsselchen mit süßer Milch in der Hand, zu dem verurteilten Mörder. Sie setzte sich zu ihm auf einen Stein, sah zu, wie er die Milch ausschlabberte, und sprach zu ihm: »Isolein, du schlimmes Füchslein, wie konntest du denn auch so böse mit Mutters Hennen verfahren? Bin ich denn nicht zweimal in der Woche zum Fleischer Godenschweger nach Feldberg geradelt und habe für dich Kuheuter, Rinderlunge und Pansen gekauft, damit du auch immer genug Fleisch hättest? Du aber hast das Futter oft nur angefressen, dich dafür aber an Mutters Hennen vergriffen! O du schlimmer Isolein, du!«

Und sie zauste ihn liebevoll-traurig am Fell. Isolein, der seine Milchschüssel leergeschleckt hatte, legte seinen Kopf auf die Knie Ullas und sah seine Betreuerin mit den grünen Augen verschlagen an.

»Isolein«, fing Ulla von neuem an. »Isolein, warum bist du so böse? Haben dir nicht alle hier in der Försterei zu Anfang nur Liebes und Gutes erwiesen, und hast du es ihnen nicht stets nur mit arglistigen Kniffen und Bissen gedankt? Selbst mich hast du in die Wade gebissen, die Magd Liese in die Hand, den Knecht Theo in den Hacken, und bei Vaters besten Langschäftern hast du das Leder über dem Spann so zerrissen, daß der Schuster Stolt in Feldberg gesagt hat, er bekommt sie nie wieder wasserdicht. Kannst du denn für Gutes nur Böses tun, Isolein?«

Das Füchslein, das sich so seine Sünden vorgehalten hörte, hatte die listigen Augen fast ganz geschlossen, die Ohren lagen am Kopf an, und es hatte sich warm und zärtlich in den Schoß seiner Betreuerin geschmiegt, als höre es die schönste Lobrede auf seine Ruhmestaten an.

»Ja«, fuhr Ulla fort, und ihre Finger spielten mechanisch mit dem breiten, kernledernen Halsband, in dessen Ring die Kette geknebelt war, »ja, Isolein, jetzt kannst du fromm und zärtlich tun, aber nun ist es zu spät. Drinnen in der Stube sitzt der Vater und putzt seine Büchse, und morgen, wenn die Sonne aufgeht, wirst du erschossen und bist mucksmäuschentot. Ach, Isolein, und ich habe dich mit einer Milchflasche und mit einem Gummisauger aufgezogen.«

Damit fing die gutherzige Ulla heftig zu weinen an, Isolein aber, dem eine Fliege gerade vor der Nase herumspazierte, schnappte nach ihr, und sie geriet ihm in die Kehle. Das Füchslein verschluckte sich, es hustete, nieste und ruckte dabei heftig mit dem Kopf; das Halsband, das die spielenden Finger des Mädchens schon fast gelöst hatten, fiel ganz ab …

Im Nu ersah Isolein seine Gelegenheit, undankbar, wie er nun einmal war, schnappte er nach den Fingern Ullas. Laut schrie das Mädchen. Aus dem Hause stürzte der Förster Schäffer, die halb geputzte Büchse in der Hand … Gerade noch sah er den Fuchs im Abenddämmern über den Gartensteig dem Walde zuschnüren …

»I du verdammter Hühnerdieb!« rief er, legte die Büchse an und wollte schon abdrücken, als er sich besann, daß sie nicht geladen war. Da war der Fuchs im Walde verschwunden.

Manchen Tag und manche Nacht brachte Isolein in der großen Mechower Forst zu. Ungeheuer und wild deuchte ihn der Wald und voller Gefahren. Bitteren Hunger litt der des freien Lebens Ungewohnte oft, von erbärmlichen Wurzeln seinen wütenden Hunger stillend, er, der die leckere Rindslunge und das Kuheuter Ullas so oft verschmäht hatte. In Kaninchenlöchern mußte er kümmerliche Zuflucht vor Regen suchen, und traf er auf seinen irrenden Hungerfahrten wirklich einmal auf einen anderen Fuchs, so gab der ihm nicht guten Rat und Hilfe, sondern beschnüffelte ihn verächtlich und sprach: »Pfui Deibel, du riechst ja nach Menschenfleisch! Scher dich nur wieder dahin, woher du gekommen bist! Im freien Walde hast du doch nichts zu suchen, du Menschenfuchs!«

Wirklich strich Isolein manche Nacht erbärmlich klagend um die Försterei und sah jämmerlich zu den erleuchteten Fenstern hinüber. Einmal traute er sich auch nachts auf den Hof, in der Hoffnung, wenigstens ein Restchen Futter in der Schüssel zu finden. Aber an seiner Statt lag jetzt ein schwarzer, zottiger Hund an der Kette; der fuhr bei des Fuchses Anblick zornig aus der Hütte und bellte so fürchterlich, daß Isolein eilig wieder den schützenden Wald aufsuchte.

Umsonst durchstreifte das unerfahrene Füchslein die weite Mechower Forst, nirgendwo fand er Unterkunft, Nahrung und Hilfe. Er wechselte hinüber in die Brüsenwalder Forst, in die Thomsdorfer Fichten, in die Unbefahrene Heide, in die Reviere Aalkasten und Fegefeuer – es blieb überall das gleiche: Nirgendwo brauchte man Isolein, nirgendwo war eine Lücke, in die er hätte hineinschlüpfen können.

Darum kehrte er immer wieder in seinen Geburtswald, die Mechower Forst, zurück, als wenn er dort sein Glück finden müßte. Und dort war es auch, daß eines Nachts zwei wildernde Dorfköter auf seine Spur gerieten. Sie hetzten und jagten ihn, aus den Buchen in die Fichten, aus den Fichten durch das Gatter auf das freie Feld hinaus, und nun immer weiter, durch die Korn- und Kartoffelfelder, immer weiter …

Isolein rannte um sein Leben, nahe waren ihm die blutdürstigen Hunde, wie ein langgestreckter Pfeil am Boden schnürte Isolein lautlos durch die graue Nacht, und laut kläffend, mit triefenden Lefzen jagten die Hunde auf seiner Spur. Sie hätten ihn im Freien schließlich wohl doch noch gefaßt, diese beiden blutigen Mörder, aber plötzlich tauchte ein Dorf vor ihnen auf. Ohne Besinnen schnürte der Fuchs die Dorfstraße entlang; die Köter aber, die gerade aus diesem Dorfe stammten, aus dem sie heimlich zur verbotenen nächtlichen Jagd entwichen waren – die Köter verstummten plötzlich. Sie fürchteten Prügel, ließen von der Fährte ab, und jeder schlich sich voll schlechtem Gewissen mit eingekniffenem Schweif in seine Hütte.

Isolein machte, daß er ans andere Ende des Dorfes und wieder aus ihm herauskam. Dann legte er sich nahe am Wege zwischen zwei große Steine unter einen dicht verzweigten Schlehenbusch und bedachte sein jammervolles Schicksal. Die wilde Jagd hatte ihn so weit von der Heimat verschlagen, daß er jeden Gedanken daran aufgeben mußte, in seinem Leben noch das Försterhaus mit der freundlichen Ulla und der noch viel freundlicheren Futterschüssel wiederzusehen. Hier lag er abgehetzt im Wegstaube, zum Sterben hungrig, zum Sterben müde, voller Schwären und mit räudigem Fell. Was sollte er noch? Wohin sollte er sich nun wenden? Dies war eine große erbarmungslose Welt, der es nicht auf ein Füchslein Isolein ankam. Er mochte leben oder sterben, niemanden kümmerte es.

Und während das arme Füchslein so empfand, flimmerten die Sterne über ihm am dunklen Nachthimmel, wie sie schon über Millionen Füchsen geflimmert hatten, die gelebt hatten und gestorben waren – niemand wußte mehr von ihnen.

Isolein wachte im Morgengrauen auf aus einem tiefen Schlafe der Erschöpfung. Der Tau hatte sein Fell durchnäßt, ihn fröstelte. Er strich weiter vom Dorf fort, immer den Weg entlang, an dem er geschlafen hatte. Er war noch nicht weit gegangen, da hörte er auf August Schmidts Wiese Frösche quaken. Er wandte sich dorthin und hatte das Glück, zwei von den Hüppern zu schnappen. Dies Morgenfrühstück tat seinem ausgehungerten Magen wohl.

Dann folgte er wieder dem Weg, der bergan auf eine flache Höhe führte. Vorläufig gefiel ihm die Gegend wohl, wenn sie auch jeden Schutzes entbehrte. Sie sah öde und verlassen aus, der Weg war sandig und kaum befahren, graue Steinblöcke lagen überall, und zwischen ihnen hatten sich Brombeeren, Ginster, Schlehen und Wildrosen eingenistet. Zur Rechten blinkte im ersten Frühlicht ein großer See, in dessen Schilf er Enten quarren hörte, und auch zur Linken schien Wasser zu sein.

Isolein setzte seinen Weg fort und stutzte nur einmal, als er wiederum vor sich die grauen Umrisse von Häusern auftauchen sah. Es war aber nur ein einzelner Hof, den er in großem Bogen umstrich. Auf dem Hof hörte er eine Kette rasseln und einen Hund wütend bellen; es war die Asta, der die Morgenluft ein Gerüchlein vom Isolein zugetragen hatte. Aber den Fuchs störte das Bellen nicht, er sah vor sich endlich einen Wald aufragen, und mit einem Gefühl unendlicher Erleichterung betrat er den Hullerbusch. Gleich lief ihm eine Maus in den Weg – ein Happs! und Isolein fühlte sich so gut gesättigt wie seit langem nicht. »Ich denke, hier wird es mir ein wenig besser ergehen«, sprach er zu sich und machte sich sofort an eine Durchsuchung des Waldes.

Drei Tage brauchte Isolein, bis er den ganzen Hullerbusch abgesucht hatte, da kannte er ihn aber auch bis auf den kleinsten Ameisenhaufen. Denn dieser schöne Buchenwald ist nicht groß, ein Fußgänger geht seine Länge in einer knappen halben Stunde ab, für seine Breite braucht er aber nur knapp eine Viertelstunde. Dies war genau das Revier, wie es sich Isolein gewünscht hatte. Kein anderer Fuchs hauste hier, und auch Menschen schienen nur selten in diesen Wald zu kommen. Nahrung aber gab es in Hülle und Fülle.

Das wichtigste war nun für ihn, ein Quartier zu finden, denn er mochte nicht länger unter Büschen und in schäbigen Kaninchenlöchern übernachten. Nein, er brauchte einen richtigen Bau mit einer Reihe von Röhren, durch die er, wenn er doch einmal von Hunden oder von Menschen verfolgt wurde, flüchten konnte. Nun hätte Isolein sich ja selbst solch eine Höhle bauen können, er hatte ja die Pfoten dazu, aber einmal hatte ihm das Graben nie eine Mutter gezeigt, zum anderen aber war er viel zu schwach, auch viel zu bequem für eine solche Arbeit. Er hatte ja nicht weniger als drei Baue im Hullerbusch gefunden, und frech, wie er von Natur einmal war, fand er, ihm stand die Wahl zwischen diesen drei Bauen offen. Die Höhle Friederikens am freien Hang nach den Feldern zu verwarf er von vornherein, und zwar aus denselben Gründen, aus denen sie einst Mutter Friedesinchen verworfen hatte: Sie lag ihm viel zu offen, also gefährlich. – Aber auch der alte Fuchsenbau, den jetzt die Dächsin bewohnte, fand seine Billigung nicht, weil er ihm zu feucht und modrig vorkam.

 

Blieb also nur der schöne Bau unter den licht stehenden Buchen am Zansen-Südhang, den Fridolin innehatte, und wirklich war es dieser Bau, auf den Fuchs Isolein ein begehrliches Auge geworfen hatte. Es konnte freilich kein Gedanke daran sein, sich mit Gewalt in den Besitz dieser so erwünschten Wohnung zu setzen, dafür war der ausgemergelte Fuchs zu schwächlich. Ein paarmal schon hatte er bei seinem Spionieren den Dachs behaglich in der Sonne liegen sehen, hatte seine starke, wohlgenährte Gestalt betrachtet und sein kräftiges Gebiß bewundert. Aber das schreckte Isolein nicht, er fühlte sich viel hoffnungsvoller, seit er die Mechower Forst verlassen hatte, und meinte, hier im Hullerbusch müsse ihm alles gelingen, also auch das Wohnungbesorgen. Er hoffte fest darauf, der Dachs werde ihn gerne in seinen Haushalt als Gefährten aufnehmen.

Ein erster Versuch freilich, sich bei Fridolin anzubiedern, schlug völlig fehl. Als der Dachs an einem schönen Sommermittag behaglich auf dem Rücken in der Sonne lag und sein Bäuchlein leise grunzend wärmte, nahte sich ihm auf leisen Sohlen, den dürren Bauch demütig fast im Staube schleifend, der Fuchs, schob sich ganz nahe an den Dachs heran und sonnte sich nun Seite an Seite mit ihm, der eine auf dem Rücken, der andere auf dem Bauche liegend, der eine schläfrig satt, der andere wachsam mit listig blinzelnden Augen.

Fridolin, in den angenehmsten Träumen gestört, lag eine Weile vor Überraschung stockstill, dann sah er ein paarmal rasch nach der Seite. Er hatte noch nie einen Fuchs gesehen, aber dieses Tier schien ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit den verhaßten Hunden zu haben. Zudem stieg ihm immer stärker der Geruch des Fuchses in die empfindliche Nase, ein Geruch, der ihm äußerst verhaßt war und den er richtig als Gestank bezeichnete.

Fridolin war sonst ein bequemer Geselle mit langsam denkendem Kopf, aber dieser Gestank beschleunigte seine Denkfähigkeit: Rasch wandte er sich zur Seite und versetzte dem Fuchs einen derben Schmiß mit seinen Zähnen. Jammer heulend sprang der Fuchs auf und entwich in die Büsche. Der Dachs aber, ergrimmt über diese Störung seiner Einsiedelei, zog sich in seine dunkle Höhle zurück und dachte halb schlafend über die Fehlerhaftigkeit dieser Welt nach, in der es auch dem frömmsten Dachs nicht vergönnt ist, seinen Bauch in Frieden zu sonnen.

Es dauerte zwei Tage, bis Isolein es wagte, sich wieder dem bissigen Einsiedler zu nahen. Diesmal fing er es klüger an: In einiger Entfernung vom Dachs legte er sich demütig auf den Bauch in den Staub, im Maule aber trug er als Gastgeschenk eine große Ringelnatter, die er mit großer Überwindung seinem knurrenden Magen abgespart hatte.

Fridolin blinzelte einmal, Fridolin blinzelte zweimal … Eine fette, fast einen Meter lange Ringelnatter ist ein ausgezeichnetes Mittagessen. Auf dem Bauche schob sich der Fuchs immer ehrerbietiger näher, schließlich spuckte er dem Dachs die Ringelnatter gerade vor die Füße. Fridolin faßte zu und verzehrte mit Behagen die ihm gebotene Gabe. Der Fuchs Isolein, jetzt auf seinen Hinterkeulen sitzend, sah aufmerksam zu, bewegte die buschige Rute wohlwollend von rechts nach links und von links nach rechts und begleitete jeden Bissen mit vor Hunger gierigen Augen aus dem Maule durch den Schlund in den Magen, wobei ihm vor Neid der Speichel von den Lefzen troff.

Als aber der Fuchs nach beendetem Mahle sich zärtlich-demütig näher an seinen Kostgänger heranschieben wollte, fuhr der schon wieder mit den Zähnen zu. Der Fuchs sprang vor Schreck mit allen vier Beinen auf einmal in die Luft und floh, so schnell er nur konnte. Fridolin aber zog sich wiederum in seinen Bau zurück und überlegte, ob denn diese ewigen Störungen nie abreißen sollten.

Demut, Höflichkeit und Gastgeschenk hatten dem brummigen Einsiedler gegenüber nichts geholfen, jeder andere als ein Fuchs hätte den Mut verloren. Aber ein Fuchs bleibt ein Fuchs, und wenn er auch zehnmal in einem Försterhause mit einer Milchflasche aufgezogen worden ist. Isolein besann sich auf eine Eigenschaft, die er in viel stärkerem Maße besaß als Höflichkeit und Demut, nämlich auf die Frechheit. Wohl hinter einem dicken Buchenstamm verborgen, wartete er in der Nacht, bis der Dachs seinen Bau verließ, um auf die Nahrungssuche zu gehen. Lange dauerte es, bis der Schwerfällige sich aus der näheren Umgebung entfernte; in sich hinein lachte Isolein, wenn er den Dachs jeden Stein und jedes Rindenstück umständlich umwenden sah. In der Zeit, die Fridolin für hundert Meter Weg brauchte, wäre der schnelle Isolein um den ganzen Hullerbusch herumgelaufen!

Kaum aber war der Dachs ganz entschwunden, fuhr Isolein in den Bau ein. Er fand ihn noch viel kunstvoller angelegt als erwartet, die Notröhren entsprachen allen Anforderungen, und den mit Farren, langem Gras und Moos gepolsterten Schlafraum konnte man direkt als elegant bezeichnen. Nur eines störte den Fuchs an diesem sonst so zufriedenstellenden Bau: Er roch nach gar nichts, er roch wie reine Luft, eben wie nichts, und er war so unanständig sauber!

Wenn es ein richtiger Fuchsenbau gewesen wäre, so hätte hier die allerdickste Luft geherrscht, es hätte schön nach verludertem Wild, nach Aas, nach faulendem Fleisch und nach Fuchsenlosung gerochen. Dann wußte man doch, wo man war, nämlich nicht draußen im wilden Walde, sondern gemütlich daheim bei Fuchsens. Schon an den obersten Ausgängen mußte man riechen, wer da unten wohnte. Wie vollendet wäre dieser Bau gewesen, wenn die Gänge ein bißchen mit alten, nassen Hühnerfedern garniert gewesen wären, wenn aus dem Boden der Röhren da und dort ein faulender Knochen gespießt hätte, und wenn in jedem Gang ein wenig Kot gelegen hätte – dann wäre dies hier ein richtiges Fuchsenparadies gewesen!

Vom Gedanken zur Tat war nur ein Schritt: Der Fuchs Isolein hob den Schwanz, zog den Rücken krumm wie eine Katze, und schon hatte er dem Dachs mitten in das wohlige Bett einen kräftigen Haufen Losung als Visitenkarte hingesetzt.

Wie erschrak aber Fridolin, als er von seinem Nachtausflug heimkehrte! Schon bei dem Einschlupf in seinen Bau erschnupperte er, daß etwas nicht in Ordnung war. Immer widerwilliger Atem holend, schob er sich tiefer in die Röhre und wäre fast vor Gestank umgesunken, als er sein Wohn- und Schlafgemach betrat! Er ahnte wohl, welcher Schurke ihm diesen Gruß mitten ins Bett gesetzt hatte, aber was half ihm jetzt solche Ahnung? Was hätte es ihm geholfen, wenn er den Fuchs hier gehabt hätte? Selbst Isolein zu töten, hätte nichts geholfen, davon ging der Gestank, der die ganze Höhle verpestete, auch nicht fort!

Zuerst war Fridolin ganz ratlos, wie er diesen Dreckhaufen, die Quelle allen Gestankes, beseitigen sollte, denn er hätte es nie über sich gebracht, ihn zu berühren. Schließlich geriet er darauf, die Erde rundherum tief aufzugraben, dann das stinkende Plätzchen zu unterhöhlen, bis alles in der Tiefe versank und nun fest mit Erde bedeckt werden konnte.

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