Die Erziehung der Gefühle

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Er erhielt aus Deutschland oder Italien eine Leinwand, die für fünfzehnhundert Francs in Paris gekauft war, und verkaufte sie dann, indem er eine Rechnung vorlegte, die auf einen Preis von viertausend lautete, aus Gefälligkeit für dreitausendfünfhundert. Einer seiner gewöhnlichen Kniffe mit den Malern war, daß er unter dem Vorwand, eine Gravüre herausgeben zu wollen, eine Verkleinerung ihres Bildes von ihnen verlangte; er verkaufte dann die Verkleinerung, und die Gravüre erschien nie. Denen, die sich beklagten, ausgebeutet zu werden, antwortete er mit einem Klaps auf den Bauch. Im übrigen war er ein vortrefflicher Mensch, verschwendete Zigarren, duzte Unbekannte, und begeisterte er sich für ein Werk oder für einen Menschen, so war er doppelt eifrig in seinem Geschäft mit Korrespondenzen und Reklamen. Er hielt sich für sehr anständig, und in seinem Bedürfnis, sich mitzuteilen, erzählte er naiv seine Schliche.

Um einen Kollegen zu ärgern, der ein anderes Kunstblatt durch ein großes Fest einweihte, bat er Frédéric eines Tages unter seinen Augen, kurz vor Beginn der Feier, Billets zu schreiben, durch die die Gäste wieder ausgeladen werden sollten.

»Es geht nicht gegen die Ehre, wissen Sie!«

Und der junge Mann wagte nicht, ihm diesen Dienst abzuschlagen.

Am nächsten Tage, als er mit Hussonnet in sein Bureau trat, sah Frédéric durch die Tür (oben auf der Treppe) den Saum eines Kleides verschwinden.

»Bitte tausendmal um Entschuldigung!« sagte Hussonnet. »Wenn ich gewußt hätte, daß Damen hier sind…«

»O, das war meine Frau,« erwiderte Arnoux. »Sie kam im Vorübergehen herauf, mir eine kleine Visite zu machen.«

»Wie, hier?« sagte Frédéric.

»Jawohl! sie geht jetzt zurück nach Haus.«

Alles ringsum verlor plötzlich seinen Reiz. Was er eben dunkel empfand, schwand wieder oder war vielmehr niemals gewesen. Er fühlte eine unsagbare Bestürzung, einen Schmerz wie über einen Verrat.

Arnoux, der in seinem Schubfach kramte, lächelte. Machte er sich über ihn lustig? Der Kommis legte ein Paket feuchter Papiere auf den Tisch.

»Ah! Die Plakate!« rief der Kaufmann. »Ich komme heute nicht zu meinem Mittagessen.«

Regimbart nahm seinen Hut.

»Wie, Sie gehen fort?«

»Sieben Uhr!« sagte Regimbart.

Frédéric folgte ihm.

An der Ecke der Rue Montmartre drehte er sich um; er sah die Fenster der ersten Etage und lachte innerlich mitleidig über sich selber, als er sich erinnerte, mit welcher Liebe er sie oft betrachtet hatte! Wo wohnte sie denn? Wie ihr jetzt begegnen? Und stärker denn je empfand er seine Sehnsucht und namenlose Einsamkeit!

»Nehmen Sie einen?« sagte Regimbart.

»Einen Absinth?«

Und seinem Drängen nachgebend, ließ Frédéric sich in die Wirtschaft Bordalais führen. Während er, auf den Ellbogen gestützt, die Karaffe betrachtete, schweiften die Blicke seines Gefährten nach rechts und links. Da bemerkte er das Profil Pellerins auf dem Trottoir, klopfte lebhaft an die Scheibe, und kaum hatte der Maler sich gesetzt, als Regimbart ihn fragte, warum man ihn nicht mehr in der Kunsthandlung sehe.

»Lieber krepieren, als dahin zurückkehren! Das ist ein Vieh, ein Philister, ein Lump, ein Narr!«

Diese Beleidigungen taten Frédérics Zorn wohl und doch verletzen sie ihn, denn ihm schien, daß sie Madame Arnoux ebenfalls trafen.

»Was hat er Ihnen denn getan?« fragte Regimbart.

Pellerin stampfte mit dem Fuß auf den Boden und schnaufte, anstatt zu antworten.

Er ließ sich zu unsauberen Geschäften herbei, wie Porträts in zweierlei Kreide oder Nachahmungen großer Meister für wenig bewanderte Amateure anzufertigen; und da diese Arbeiten ihn demütigten, zog er es gewöhnlich vor, zu schweigen. Aber »der schmutzige Geiz« Arnoux’ erbitterte ihn. Er machte sich Luft.

Einem Auftrag zufolge, dessen Zeuge Frédéric gewesen, hatte er ihm zwei Bilder gebracht, die der Kaufmann sich alsdann erlaubte zu kritisieren! Er hatte die Komposition getadelt, die Farbe, die Zeichnung, vor allem die Zeichnung, kurz, er hatte sie auf keinen Fall gewollt. Allein durch einen fälligen Wechsel gezwungen, hatte Pellerin sie dem Juden Isaac überlassen; und vierzehn Tage später verkaufte Arnoux sie für zweitausend Francs an einen Spanier.

»Nicht einen Sou weniger! Was für eine Gemeinheit; und er verübt noch andere, bei Gott! Wir werden ihn eines Tages vor dem Strafgericht sehen!«

»Wie Sie übertreiben!« sagte Frédéric mit schüchterner Stimme.

»Gut! meinetwegen! ich übertreibe!« schrie der Künstler, mit der Faust heftig auf den Tisch schlagend.

Diese Heftigkeit gab dem jungen Manne seine ganze Sicherheit wieder. »Freilich hätte sich Arnoux besser benehmen können, indessen wenn er diese beiden Bilder…«

»Schlecht fand! Heraus mit dem Wort! Kennen Sie sie? Ist das Ihr Fach? Denn wissen Sie, ich gebe nichts auf Amateure!«

»Ach! die Sache geht mich ja nichts an,« sagte Frédéric.

»Welches Interesse haben Sie denn daran, ihn zu verteidigen?« entgegnete Pellerin kalt.

»Aber… weil ich sein Freund bin.«

»Küssen Sie ihn in meinem Namen! Guten Abend!«

Und wütend ging der Maler hinaus, selbstverständlich ohne an seine Zeche zu denken.

Frédéric hatte, indem er Arnoux verteidigte, sich selbst vergessen. In der Hitze seiner Beredsamkeit ergriff ihn plötzlich eine große Zärtlichkeit für diesen guten, intelligenten Mann, den seine Freunde verleumdeten und der jetzt ganz allein, verlassen bei der Arbeit saß. Er konnte dem lebhaften Bedürfnis, ihn sofort wiederzusehen, nicht widerstehen.

Zehn Minuten später öffnete er die Tür des Ladens.

Arnoux stellte mit seinem Kommis Monstre-Plakate für eine Gemälde-Ausstellung zusammen.

»Nun, was führt Sie zurück?«

Diese so einfache Frage brachte Frédéric in Verlegenheit; und da er nicht wußte, was er darauf antworten sollte, fragte er, ob nicht zufällig seine Brieftasche gefunden worden sei, eine Brieftasche aus blauem Leder.

»In der Sie Ihre Damenbriefe aufbewahren?« sagte Arnoux.

Frédéric verteidigte sich errötend wie ein junges Mädchen gegen eine solche Vermutung.

»Ihre Verse also?« entgegnete Arnoux.

Er nahm die ausgebreiteten Proben in die Hand, besprach ihre Form, die Farbe, die Umrahmung, und Frédéric fühlte sich durch sein gleichgültiges Wesen, vor allem aber durch seine über die Plakate gleitenden Hände – volle, ein wenig weichliche Hände mit flachen Nägeln – immer mehr abgestoßen. Endlich erhob sich Arnoux, und mit einem »Das wäre gemacht!« faßte er ihn ungezwungen unters Kinn. Diese Vertraulichkeit mißfiel Frédéric, er trat etwas zurück, dann überschritt er, zum letztenmal in seinem Leben, wie er glaubte, die Schwelle des Büros. Selbst Madame Arnoux verlor in seinen Augen durch die Gewöhnlichkeit ihres Gatten. –

In derselben Woche erhielt er einen Brief, in dem Deslauriers ihm ankündigte, daß er am nächsten Donnerstag in Paris eintreffen würde. Er warf sich nun mit Leidenschaft auf diese tiefere und ernsthaftere Freundschaft. Ein solcher Mann war mehr wert als alle Frauen. Er brauchte jetzt weder Regimbart noch Pellerin oder Hussonnet, niemand! Um seinen Freund besser unterzubringen, kaufte er ein eisernes Bett, einen zweiten Sessel, teilte sein Bettzeug; und am Donnerstagmorgen kleidete er sich an, um Deslauriers entgegenzugehen, als die Glocke an seiner Tür ertönte und Arnoux eintrat.

»Nur ein Wort! Ich erhielt gestern eine schöne Forelle aus Genf, wir rechnen auf Sie, gleich heute, um sieben Uhr pünktlich… In der Rue Choiseul 24b… Vergessen Sie es nicht!«

Frédéric mußte sich setzen. Seine Knie wankten. Er wiederholte unablässig: »Endlich! endlich!« Dann schrieb er an seinen Schneider, seinen Hutmacher und seinen Schuhmacher, und ließ diese drei Billets von drei verschiedenen Dienstmännern fortbringen. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, und der Portier erschien mit einem Koffer auf der Schulter.

Als Frédéric Deslauriers erblickte, fing er an zu zittern wie eine ehebrecherische Frau unter dem Blick ihres Mannes.

»Was hast du?« sagte Deslauriers, »du mußt meinen Brief doch erhalten haben?«

Frédéric hatte nicht die Kraft zu lügen.

Er breitete die Arme aus und warf sich an seine Brust.

Dann erzählte der Schreiber seine Geschichte. Sein Vater hatte die Vormundschaftsrechnung nicht vorlegen wollen, indem er vorgab, daß diese in zehn Jahren verjährt sein würde. Aber Deslauriers, der im Prozeßwesen gut beschlagen war, hatte endlich das ganze Erbteil seiner Mutter, netto siebentausend Francs, herausbekommen, die er hier in einer alten Brieftasche bei sich trug.

»Das ist ein Rückhalt für den Fall der Not. Ich muß sehen, sie anzulegen, und mich selbst morgen früh unterzubringen. Für heute bin ich vollkommen frei und stehe ganz zu deiner Verfügung, alter Junge!«

»O! Geniere dich nicht!« sagte Frédéric. »Wenn du heute abend etwas Wichtiges vorhast…«

»Warum nicht gar! Da wäre ich ja ein schöner Lump!«

Dieses zufällig hingeworfene Epitheton traf Frédéric mitten ins Herz wie eine beleidigende Anspielung.

Der Hausmeister hatte auf den Tisch neben dem Kamin zwei Kotelettes, Geflügel, eine Languste, ein Dessert und zwei Flaschen Burgunder gestellt. Eine so festliche Aufnahme rührte Deslauriers.

»Du behandelst mich wie einen König, auf mein Wort!«

Sie plauderten von ihrer Vergangenheit, von der Zukunft; und von Zeit zu Zeit reichten sie sich über den Tisch die Hände und sahen sich eine Minute mit Rührung an. Aber ein Bote brachte einen neuen Hut. Deslauriers bemerkte laut, wie glänzend der Hutkopf sei.

Darauf brachte der Schneider selbst den Frack, den er noch etwas aufgebügelt hatte.

 

»Man könnte glauben, du wollest Hochzeit machen,« sagte Deslauriers.

Eine Stunde später erschien unvermutet ein drittes Individuum und zog aus seinem Beutel ein Paar glänzende Lackstiefel. Während Frédéric sie probierte, betrachtete der Schuster schmunzelnd das Schuhwerk des Provinzialen.

»Der Herr braucht nichts?«

»Danke!« erwiderte der Schreiber und zog seine alten Schnürschuhe unter seinen Stuhl zurück.

Diese Demütigung genierte Frédéric. Er hielt mit seinem Geständnis zurück. Plötzlich rief er, wie wenn ihm etwas einfiele:

»Ach, Donnerwetter; ich vergaß!«

»Was denn?«

»Ich bin heute abend zum Diner eingeladen.«

»Bei Dambreuse? Warum sprachst du in deinen Briefen niemals von ihnen?«

»Nicht bei Dambreuse, sondern bei Arnoux.«

»Du hättest mich vorher benachrichtigen sollen!« sagte Deslauriers. »Ich wäre einen Tag später gekommen.«

»Unmöglich!« entgegnete Frédéric barsch. »Ich wurde erst heute morgen eingeladen, soeben.«

Und um sein Vergehen gutzumachen und seinen Freund abzulenken, knüpfte er die verwickelten Schnüre seines Koffers auf und brachte seine Sachen in der Kommode unter. Er wollte ihm sein eigenes Bett abtreten und selbst im Alkoven schlafen. Dann, gegen vier Uhr, begann er mit den Vorbereitungen seiner Toilette.

»Du hast noch lange Zeit!« sagte der andere.

Endlich kleidete er sich an und ging.

»So sind die Reichen!« dachte Deslauriers.

Und er speiste in der Rue Saint-Jacques bei einem kleinen Speisewirt, den er kannte.

Frédéric blieb mehrmals auf der Treppe stehen, so sehr schlug ihm das Herz. Einer seiner zu engen Handschuhe platzte, und während er den Riß unter seiner Hemdmanschette zu verbergen suchte, faßte ihn Arnoux, der hinter ihm heraufkam, beim Arm und ließ ihn eintreten.

In dem chinesisch ausgestatteten Vorzimmer standen Bambusmöbel in den Ecken und von der Decke hing eine gemalte Laterne herab. Als er den Salon durchschritt, stolperte Frédéric über ein Tigerfell. Die Kerzen waren noch nicht angesteckt, aber ganz hinten im Boudoir brannten zwei Lampen.

Die kleine Martha kam, um zu sagen, daß ihre Mutter sich ankleidete. Arnoux hob sie bis zu seinem Munde empor, um sie zu küssen; dann ließ er Frédéric, da er selbst im Keller gewisse Weinflaschen wählen wollte, mit dem Kinde allein.

Sie war seit der Reise nach Montereau sehr gewachsen. Ihr braunes Haar fiel in langen, geringelten Locken auf die nackten Arme herab. Ihr Kleid, bauschiger als das Röckchen einer Tänzerin, ließ ihre rosigen Waden sehen, und das ganze hübsche Persönchen duftete frisch wie ein Bukett. Sie nahm die Komplimente des jungen Mannes mit koketter Miene entgegen, blickte ihn prüfend an und verschwand, sich zwischen den Möbeln durchwindend wie eine Katze.

Er empfand keinerlei Verwirrung mehr. Die mit Papierspitzen verhängten Lampenglocken verbreiteten ein milchiges Licht und milderten den Ton der in malvenfarbener Seide gehaltenen Wände. Durch die Stäbe des Ofenschirms, der einem großen Fächer glich, sah man die Kohlenglut im Kamin; vor der Uhr stand ein Kästchen mit Silberschließen. Hier und dort lagen intime Gegenstände: eine Puppe mitten auf dem Kanapee, ein Tuch auf der Rücklehne eines Stuhls, und auf dem Nähtisch ein baumwollenes Strickzeug, von dem zwei Elfenbeinnadeln mit den Spitzen nach unten herabhingen. Es war alles in allem ein friedlicher, trauter, hübscher Raum.

Arnoux kam wieder herein, und unter der andern Portiere erschien Madame Arnoux. Da der Schatten auf sie fiel, unterschied er anfangs nur ihren Kopf. Sie trug ein Kleid von schwarzem Samt und im Haar ein langes, algerisches Netz aus Maschen von roter Seide, das, um ihren Kamm geschlungen, auf ihre linke Schulter herabfiel.

Arnoux stellte Frédéric vor.

»O! ich erkenne den Herrn wieder,« sagte sie.

Dann kamen alle Gäste fast zu gleicher Zeit. Dittmer, Lovarias, Burrieu, der Komponist Rosenwald, der Dichter Théophile Lorris, zwei Kunstkritiker, Kollegen Hussonnets, ein Papier-Fabrikant, und endlich der berühmte Pierre-Paul Meinsius, der letzte Repräsentant der monumentalen Malerei, der an seinem Ruhm dasselbe Vergnügen hatte wie an seinen achtzig Jahren und seinem dicken Bauch.

Als man ins Speisezimmer ging, nahm Madame Arnoux seinen Arm. Ein Stuhl war für Pellerin leergeblieben. Arnoux mochte ihn gern, obwohl er ihn ausbeutete. Überdies fürchtete er seine scharfe Zunge – so sehr, daß er, um ihn zu besänftigen, in der Kunsthandlung sein Porträt, von den übertriebensten Lobsprüchen begleitet, veröffentlicht hatte; und Pellerin, der empfänglicher für Ruhm war als für Geld, erschien ganz atemlos gegen neun Uhr. Frédéric glaubte sie längst wieder ausgesöhnt.

Die Gesellschaft, die Speisen, alles gefiel ihm. Der Saal, einem mittelalterlichen Raum ähnlich, war in gedämpftem Kupfer gehalten. Eine holländische Etagère stand vor einem Tschibukständer, und die verschiedenen böhmischen Gläser rund um den Tisch wirkten inmitten der Blumen und Früchte wie eine Garten-Illumination.

Er konnte unter zehn Senfsorten wählen. Er aß Daspachio, Curry, Ingwer, Amseln aus Corsika, römische Lerchen; er trank seltene Weine, Lip-fraoli und Tokayer. Arnoux setzte seinen Stolz darein, gut zu bewirten. Mit Rücksicht auf die Delikatessen stellte er sich gut mit allen Postbeamten und stand mit den Köchen großer Häuser in Verbindung, die ihm Saucen lieferten.

Aber besonders gefiel Frédéric die Unterhaltung. Seinem Geschmack an Reisen kam Dittmer entgegen, der vom Orient erzählte; seine Neugierde in Theaterangelegenheiten wurde durch Anhören von Rosenwalds Plaudereien über die Oper befriedigt, und die schreckliche Existenz der Bohème erschien ihm komisch durch Hussonnets Fröhlichkeit, der in pittoresker Weise erzählte, wie er sich einen ganzen Winter nur von Holländer Käse ernährt hatte. Durch eine Diskussion über die florentinische Schule zwischen Lovarias und Burrieu lernte er Meisterwerke kennen; es eröffneten sich ihm neue Horizonte, und er vermochte schwer seine Begeisterung zurückzuhalten, als Pellerin rief:

»Lassen Sie mich in Ruh mit Ihrer abscheulichen Realistik! Was will das sagen, Realistik? Die einen sehen schwarz, die andern blau, die Menge sieht einfältig. Es gibt nichts weniger Realistisches als Michel-Angelo, nichts Gewaltigeres! Die Sorge um die äußere Wahrheit kennzeichnet unsern heutigen Tiefstand, und alle Kunst wird, wenn man so fortfährt, was weiß ich zu welchem Kram, handele es sich um Religion oder Poesie, um Politik oder öffentliche Interessen. Man erreicht ihren Zweck, ja, ihren Zweck! – der darin besteht, uns eine unpersönliche Exaltation zu verschaffen, nicht mit kleinen Werken, trotz aller ihrer Feinheiten in der Ausführung. Da sind zum Beispiel die Bilder von Bassolier: sie sind hübsch, kokett, sauber und nicht plump! Die kann man in die Tasche stecken, auf die Reise mitnehmen! Liebhaber kaufen sie für zwanzigtausend Francs; es sind nicht für einen Groschen Ideen darin; allein ohne Idee nichts Großes, ohne Größe nichts Schönes! Der Olymp ist ein Berg! Das stolzeste Monument werden immer die Pyramiden sein! Üppigkeit ist mehr wert als Geschmack, die Wüste mehr als ein Trottoir und ein Wilder mehr als ein Haarkünstler.«

Frédéric betrachtete Madame Arnoux, während er diese Dinge anhörte. Sie fielen in seine Seele wie Erzstücke in einen Schmelzofen, verstärkten seine Leidenschaft und erweckten seine Liebe.

Er saß drei Plätze weit von ihr, auf derselben Seite. Zuweilen neigte sie sich ein wenig vor, indem sie den Kopf wandte, um einige Worte an ihr Töchterchen zu richten, und wenn sie dabei lächelte, bildete sich ein Grübchen in ihrer Wange, was ihrem Antlitz einen Ausdruck noch zarterer Güte verlieh.

Bei den Likören verschwand sie. Die Unterhaltung wurde sehr frei; Monsieur Arnoux glänzte darin, und Frédéric war erstaunt über den Cynismus dieser Männer. Indessen bildete ihre ausschließliche Beschäftigung mit den Frauen etwas wie einen Ausgleich zwischen ihnen und ihm, und das hob ihn in der eigenen Achtung.

Als er wieder in den Salon zurückgekehrt war, nahm er, um seine Fassung wiederzugewinnen, eins der Alben, die auf dem Tisch lagen. Die großen Künstler der Zeit hatten es mit Zeichnungen geschmückt, hatten Prosa, Verse oder einfach ihren Namenszug hineingeschrieben; unter den berühmten Namen fanden sich viele Unbekannte, und die seltensten Gedanken zeigten sich unter einer Flut von Albernheiten. Alle enthielten eine mehr oder weniger direkte Huldigung für Madame Arnoux. Frédéric hätte sich gescheut, eine Zeile dazuzuschreiben.

Sie ging in ihr Boudoir, um das Kästchen mit den Silberschließen zu holen, das er auf dem Kamin bemerkt hatte. Es war ein Geschenk ihres Mannes, eine Arbeit aus der Zeit der Renaissance. Die Freunde Arnoux’ machten ihm Komplimente, seine Frau dankte ihm; von Rührung ergriffen, gab er ihr vor allen einen Kuß.

Man plauderte in Gruppen, hier und dort; der gute Meinsius saß mit Madame Arnoux in der Nähe des Kamins auf einer Polsterbank; sie neigte sich zu seinem Ohr, wobei ihre Köpfe sich berührten; – und Frédéric hätte für einen berühmten Namen und weiße Haare gern hingenommen, taub, häßlich und hinfällig zu sein, nur, um in die Lage zu kommen, die ihn zu gleicher Intimität berechtigte. Er verwünschte seine Jugend und überließ sich seiner Qual.

Aber dann kam sie in die Ecke des Salons, wo er stand, und fragte ihn, ob er einige der Gäste kenne, ob er die Malerei liebe und wie lange er in Paris studiere. Jedes Wort aus ihrem Munde schien Frédéric etwas Neues, etwas, das ausschließlich zu ihrer Person gehöre. Er betrachtete aufmerksam die Fransen ihres Kopfputzes, die ihre nackten Schultern mit den Spitzen liebkosten, und er wandte seine Augen nicht mehr davon ab, versenkte den Blick in dieses blendende Fleisch, allein er wagte nicht, seine Lider zu heben, um ihr gerade ins Antlitz zu schauen.

Rosenwald unterbrach sie, indem er Madame Arnoux bat, etwas zu singen. Während er präludierte, wartete sie, ihre Lippen öffneten sich und ein weicher, langgezogener Ton stieg empor.

Frédéric verstand nichts von den italienischen Worten. Es begann mit einem ernsten Rhythmus, wie ein Kirchengesang, dann sich crescendo belebend, vermehrten sich die sonoren Töne und verhallten allmählich, und mit getragenem, vollem Klang wiederholte sich die liebliche Melodie.

Sie stand neben dem Klavier, die Arme herabhängend, mit verlorenem Blick. Zuweilen beugte sie sich etwas vor und kniff die Lider für einen Moment zusammen, um die Noten zu lesen. Ihre volle Altstimme nahm in der Tiefe einen düsteren Klang an, der erschütterte, und ihr schöner Kopf mit den langen Brauen neigte sich dann auf die Schulter; ihre Brust hob sich, sie breitete die Arme aus, ihr Hals, dem die Läufe entströmten, bog sich weich wie unter leisen Küssen, zurück; sie schmetterte drei hohe Töne heraus, dem noch ein höherer folgte, und schloß dann nach einer Pause mit einer Fermate.

Rosenwald verließ den Flügel nicht. Er fuhr fort, für sich selber zu spielen. Von Zeit zu Zeit verschwand einer der Gäste. Um elf Uhr, als die letzten sich verabschiedeten, ging Arnoux mit Pellerin, unter dem Vorwand, ihn begleiten zu wollen, fort. Er gehörte zu denen, die sich krank dünken, wenn sie nach Tisch nicht ihren Spaziergang gemacht haben.

Madame Arnoux war in das Vorzimmer getreten. Dittmer und Hussonnet verabschiedeten sich, sie reichte ihnen die Hand. Auch Frédéric reichte sie die Hand, und er fühlte, wie es jede Pore seiner Haut durchströmte.

Er verließ seine Freunde, es drängte ihn, allein zu sein. Sein Herz floß über. Warum diese dargebotene Hand? War es eine unüberlegte Bewegung oder eine Ermutigung? »Dummheit! Ich bin ein Narr!« Was lag übrigens daran, da er sie jetzt ganz nach Belieben besuchen, in ihrer Atmosphäre leben durfte.

Die Straßen waren öde. Zuweilen kam ein schwerer Karren vorüber, der das Pflaster erschütterte. Die Häuser mit ihren grauen Fassaden und geschlossenen Fenstern reihten sich aneinander; und er dachte verächtlich an alle diese menschlichen Wesen, die hinter den Mauern schliefen und existierten, ohne sie zu kennen, von denen nicht einer ahnte, daß sie lebte! Er hatte weder Bewußtsein von Ort noch Raum, noch von irgend etwas; und müßig weiterschlendernd, indem er mit dem Stock die Rolljalousien der Läden streifte, ging er aufs Geratewohl, erregt und überwältigt, immer geradeaus. Eine feuchte Luft hüllte ihn ein, und er fand sich am Rande des Quais.

Die Gaslampen leuchteten unbestimmt in zwei geraden Linien, und lange rote Flammen flackerten in der Tiefe des Wassers. Es hatte die Farbe des Schiefers, während zu beiden Seiten des Flusses der klarere Himmel sich auf große Schattenmassen senkte. Gebäude, die man nicht unterschied, vertieften die Dunkelheit. Ein leuchtender Dunst schwebte über den Dächern drüben; alle Geräusche verloren sich in einem einzigen Gesumm; es wehte ein leiser Wind.

 

Er war mitten auf dem Pont-Neuf stehen geblieben und atmete mit bloßem Kopf und nackter Brust die Luft ein. Währenddem fühlte er tief in sich ein Unbezwingbares, eine Welle von Zärtlichkeit aufsteigen, die ihn überwältigte wie jene ruhelosen dort unten. Eine Kirchenuhr schlug eins, ganz langsam, wie eine Stimme, die ihn rief.

Da ergriff ihn einer jener seelischen Schauer, die uns in höhere Sphären heben. Er fühlte Fähigkeiten in sich, deren Wesen er noch nicht kannte. Er fragte sich ernsthaft, ob er ein großer Dichter oder ein großer Maler werden solle; – und er entschied sich für die Malerei, da diese ihn Madame Arnoux nähern müsse. Er hatte also seinen Beruf gefunden! Sein Lebensziel war ihm jetzt klar und die Zukunft gewiß.

Als er seine Tür geschlossen hatte, hörte er jemand in dem dunklen Kabinett neben dem Zimmer schnarchen. Es war der andere. Er hatte nicht mehr an ihn gedacht.

Zufällig sah er sein Gesicht im Spiegel. Er fand sich schön; – und er blieb eine Minute stehen, sich zu betrachten.

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