Reisen Band 1

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Am nächsten Tag machten wir zwei Stationen, eine von dreizehn und eine von sechzehn Leguas. Sechzehn Leguas, also über zehn deutsche Meilen mit einem Pferd, und zwar in einem fast ununterbrochenen Galopp; mich wundert es nur, daß das Packthier aushielt. Am nächsten Tag sollten wir aber erfahren, daß nicht alle Packthiere solche Riesennaturen haben. Durch eine eben solche Wüste, wie am vorigen Tag, nur daß wir heut am Rand eines Flusses hinritten und uns doch wenigstens an der Aussicht auf Wasser erfreuen konnten, wollten wir eine, ebenfalls wieder zehn Leguas lange Station zurücklegen; das Packpferd aber, dessen schon von früheren Lasten wundgedrückter und mit Blut und Eiter bedeckter Rücken sich unter der neuen Ladung gleich von Anfang an gebogen, konnte diese neue Qual nicht lange ertragen. Weide giebt es hier fast gar keine oder nur höchst spärliche, sowohl für Pferde als Rinder; abgemattet sind die armen Geschöpfe schon ohnedies, selbst wenn sie gar nichts zu arbeiten brauchen. So ist es denn kein Wunder, daß die von dem Thier geforderte Anstrengung seine Kräfte überstieg, und es auf halbem Weg sich nicht etwa weigerte, weiter fort zu galoppiren - denn es that bis zum letzten Augenblick sein Möglichstes -, sondern einfach zusammenbrach. Zwar wurde ihm jetzt die Last abgenommen und auf eins der stärkeren geladen, und es selber sollte nur den Postillon tragen, aber auch das vermochte es nicht mehr, und wir sahen uns endlich genöthigt, es mit diesem selber in einer Gegend, wo es nicht einmal einen Grashalm zu seiner Stärkung pflücken konnte, zurückzulassen. Der arme Postillon hatte ebenfalls keinen Bissen Brod und nichts als seinen dünnen Poncho bei sich, die Nacht im Freien zuzubringen. Der Correo bezeigte aber weder mit ihm noch mit dem Pferd nur das mindeste Mitleiden. Das eine war ja blos ein Pferd, das andere - blos ein Peon, ein Knecht, den der Südamerikaner ebenfalls kaum höher als das Vieh selber achtet.

Am 23. Juli erreichten wir Abends ziemlich spät nach einem für die Thiere wirklich entsetzlich ermüdenden Ritt den kleinen Ort - Pescara ó rodeo Chacon - die letzte Station vor Mendoza, wo wir übernachten mußten, und noch gerade dreiundzwanzig Leguas davon entfernt. Diese Stadt zu sehen, wurde ich aber wirklich immer neugieriger gemacht, da Alles, was ich bis jetzt im Land getroffen, von Mendoza und stets von Mendoza gebracht worden war. Selbst das Brod, obgleich es die Leute an mehreren Orten mit nur geringer Mühe hätten selber bauen können, kam von dort her, und Wein, recht guten wohlschmeckenden und geistvollen Wein bekamen wir von dort zu trinken. Der Weg wurde auch etwas freundlicher, und die Pferde hielten sie in dieser Gegend in besonders dazu eingefenzten Weiden, in denen ein ungemein nahrhaftes Futter wuchs. Wir durften uns also darauf verlassen, wenigstens gut genährte, kräftige Thiere zu bekommen.

Den Abend saßen wir wieder in einem der kleinen „Gastzimmer" - vier leere Wände und eine breite Lehmbank - etwa lang genug, daß zwei Menschen darauf liegen konnten, „einsam bei der Lampe Schein". Mein alter Correo fing schon an, sich für die Nacht einzuwickeln - was ihm jedesmal etwa zehn Minuten Zeit wegnahm - als ich draußen /108/ den Ton einer Guitarre und gleich darauf eine wohltönende Männerstimme hörte, die mich veranlaßte meinen Schlaf noch etwas hinauszuschieben und erst einmal der Melodie ein wenig zu lauschen, ja endlich den Sänger selber aufzusuchen.

Im nächsten kleinen Haus saß eine ziemlich bunte Gesellschaft von Männern und Frauen traulich beisammen, denn in der Nähe des Städtchens hielten sich die Gauchos geschützt genug gegen die Einfälle der Indianer, um selbst die jungen Mädchen bei sich zu behalten. Lag doch auch die weite Wüstenstrecke zwischen hier und dem eigentlichen Terrain der Wilden, die diese schon ihrer Pferde wegen nur in Ausnahmefällen passirten. - Die Frauen hatten aber mit einem Theil der Männer nur einen Kreis zum Zuhören gebildet, und nur Einer, ein junger, kräftiger Bursch mit rabenschwarzem Haar und blitzenden Augen, das Gesicht von einem eigenen wilden Humor belebt, hielt im linken Arm die leichte Guitarre. Während aber die rechte Hand nur leis und flüchtig die etwas monotone Begleitung des argentinischen Liedes anschlug, sang er mit einer wirklich melodischen, glockenreinen Stimme ein wunderlich gestelltes Lied, das eher Recitativ als Lied zu sein schien, und manchmal, selbst die Begleitung des Instruments verschmähend, in reimlose, wilde Weisen ausbrach.

Lautes Lachen bald oder donnernde Bravos unterbrachen ihn, wie der Inhalt des Vorgetragenen die Hörer hinriß, und der junge Mann hatte kaum unter einem Beifallssturm geschlossen, als ein anderer, in einer entfernten Ecke sitzender Bursche aufsprang, ebenfalls eine Guitarre ergriff und dem ersten antwortete. Leider verstand ich nicht genug von der Sprache, um den durch den Gesang auch noch undeutlich gemachten Worten so rasch folgen zu können; das Lied begriff aber, so viel ich davon herausbekommen konnte, die Werbung eines der Ihrigen um ein junges Mädchen, das ihn nicht wollte, und wahrscheinlich waren die Persönlichkeiten sehr gut gekannt und treffend geschildert, denn das Gelächter wollte manchmal kein Ende nehmen.

Sinn für Musik hat der Südamerikaner gewiß. So ärmlich die Hütte auch sein mag, die man durch die Pampas /109/ zerstreut findet, so sehr ihr auch jede, selbst die geringste Be-quemlichkeit mangeln mag, so findet man doch fast in allen eine Guitarre, und es giebt die Art, wie sie sich derselben bedienen, dem wilden, ungeordneten Leben der Gauchos noch etwas besonders Romantisches. Ihr Spiel nämlich - wenigstens was ich davon gehört - ist nicht gerade ausgezeichnet; auf das Spiel wird aber auch nicht so viel gesehen, als auf den es begleitenden Gesang, denn der Gaucho benutzt die Guitarre größtentheils nur dazu, seinen extemporirten Gesang, mit dem er irgend eine That, eine Leidenschaft oder die Geliebte besingt, zu begleiten. Hierauf antwortet nicht selten ein Anderer und sucht das eben vorgetragene Lied zu übertreffen, oder er erwidert auch die Verse und es entsteht dann ein Wettgesang, um den sich die Zuhörer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit schaaren. Gar häufig und meistentheils sind diese extemporirten Gesänge trivialer und keineswegs poetischer Natur; manchmal kommt es aber auch vor, daß die jungen Söhne der Steppe mit begeistertem Gefühl in die Saiten greifen, und höchst interessant soll es dann sein, ihren Worten zu lauschen.

Wir brachen an dem Morgen, um Mendoza recht früh zu erreichen, wohl zwei Stunden vor der Tagesdämmerung auf. Es war noch stockfinster, und der Weg ließ sich nur schwach und unbestimmt zwischen den hier ziemlich niederen Büschen erkennen; der Postillon aber, ein Peon aus der Ansiedlung selbst, der doch Weg und Steg hier eigentlich kennen mußte, ritt voran und sollte die Thiere im richtigen Geleise halten. Eine halbe Stunde mochte das so gut gegangen sein, plötzlich aber sah ich, wie wir nach dem Wolkenzug, den ich in Ermangelung einer besseren Beschäftigung bis dahin beobachtet, eine ganz andere Richtung nahmen und nach Norden hinauf hielten. Gleich darauf erklärte der Postillon, er habe die Straße verloren, und als wir diese endlich, rechts einbiegend, wieder fanden, nahm er ohne Weiteres den Rückwechsel an und ritt nach Osten zurück, wo wir hergekommen. Dagegen protestirte ich - aber auf das Feierlichste, denn mich verlangte nach Mendoza und in die Kordilleren, nicht wieder in die kaum verlassene Sandwüste. Die beiden Leute wollten mir /110/ aber erst nicht glauben, daß sie verkehrte Richtung hätten, bis ich abstieg, Feuer machte und ihnen nun mit dem Compaß bewies, wir hielten die Köpfe unserer Pferde gerade wieder gen Osten. Wir wandten um und folgten von da an aufmerksamer der schwachen und kaum erkennbaren Spur, bis die aufsteigende Sonne nicht allein bewies, daß ich Recht gehabt, sondern auch unsern Pfad erhellte.

Die blauen Berge der Kordilleren, wenigstens das, was ich dafür hielt, waren jetzt, da das hohe Buschwerk die Aussicht nicht mehr hemmte, deutlich sichtbar, und darüber, hoch, hoch darüber hing ein wunderlicher, schlangenartiger Wolkenstreifen, wie ich ihn noch nie vorher gesehen. Zuerst gab ich mir Mühe herauszubekommen, was das eigentlich sein könne; die Berge nahmen aber meine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, mich heute nach den Wolken umzusehen, und es wunderte mich nur, daß man, so nahe gekommen, wie wir uns eigentlich befanden, doch noch keinen Schnee aus den gewiß damit bedeckten Gebirgen erkennen konnte.

Von dem Ort aus, wo wir geschlafen, hatten wir die ersten zehn Leguas noch immer dürres, sandiges Land, mit nichts als den ewigen Dornen-, Myrten- und anderen niederen Büschen bewachsen. Bald zeigten aber hohe Reihen von Pappelbäumen, die aus der Ferne aus dem Flachlande emporragten, die Nähe von besiedelten Plätzen an, und wir erreichten jetzt eine Reihe von Plantagen, in denen Fruchtgärten, Felder, Wiesen und Weinpflanzungen auf das Freundlichste abwechselten. Schaaren von wilden Papageien strichen hier kreischend von einem Feld in's andere, ganze Völker Turteltauben saßen girrend in Feigen- und Pfirsichbäumen, und wohlgenährtes Vieh bestätigte überall den Segen geregelten Fleißes.

Hier machten wir wieder Station, und ritten dann eine Art Allee oder breite Straße entlang, die zwischen den verschiedenen Ansiedlungen hinführte, einem kleinen Hügel zu, von dem aus sich das niedere Land vor uns öffnen mußte. Wir hatten prächtige, muntere Thiere und sprengten rasch den ebenen Weg dahin. - Jetzt erreichten wir den ersten freien Platz, weit vor uns lag eine mit Wohnungen und Plantagen bedeckte Ebene, und dort drüben - ich griff meinem Pferd /111/ fast erschrocken in die Zügel, denn dort drüben - heiliger Gott, war denn das Wirklichkeit, oder baute sich die erregte Phantasie Zaubergebilde in das blaue Aethermeer hinein?

Das Pferd schäumte unter dem fest angezogenen Zaum, aber ich konnte den Blick nicht abwenden von dem fernen Horizont, während das Auge noch immer nicht das, was es sah, fassen und begreifen, und deshalb zu einem festen Ganzen gestalten konnte. Endlich aber schied sich dem staunenden Blick jene riesige Gebirgsmasse ab, von dem darüber ausgespannten Himmel, von den darunter wegziehenden Wolken, und ich schwelgte in dem Genuß eines Anblicks, den ich nie, nie im Leben wieder vergessen werde, und der mich, oh wie reich, für alles das entschädigte, was ich bis dahin an Mühseligkeiten und Beschwerden ertragen haben mochte.

 

Wie aber sollte ich das mit Worten beschreiben können, wo mir im ersten Augenblick das Auge fast den Dienst versagte, es zu fassen? - Ich versuche das Unmögliche, und doch will ich's versuchen. Vor mir ausgebreitet lag, so weit der Blick zur Rechten oder zur Linken reichen konnte, die blaue Hügelkette, die ich schon von Weitem als die der Cordilleren erkannt hatte - darüber hin aber jener wunderliche, schlangengleiche Wolkenzug, den ich im Anfang für Nebel gehalten, und schied sich jetzt ab als Fels und schneebedeckte Schlucht, über der der Nebel in schweren Masten lag. Und drüber? - Herr der Welten, was stiegen da für gigantische Gipfel empor - in der Sonne funkelnd mit ihren eis- und schneegekrönten Häuptern - hoch über die Wolken hinausragend, in andere hinein, und als auch über diese der Blick hinausschweifte, da - da war es, daß ich in staunender Bewunderung das Ungeheure dieser Berge nicht gleich zu fassen vermochte. Noch über den zweiten Wolkensaum ragten die gigantischen Kuppen hinaus, und es war fast, als ob der Himmel auf ihren Zackenkronen ruhe. Worte hatte ich nicht, und keine Seele war bei mir, der ich das, was ich fühlte, hätte mittheilen können; aber eine Thräne trat mir in's Auge - das Herz war zu übervoll, es mußte einen Ausfluß haben.

Meine Begleiter waren indeß weit vorausgeritten, und ich mußte endlich daran denken sie wieder einzuholen. Dem Pferd /112/ also die Sporen gebend, sprengte ich die leise Anhöhe nieder, die sich, jedoch noch immer hier und da durch kleine flache Hügel unterbrochen, gegen Mendoza zu ausdehnte. Die Augen konnte ich aber kaum abwenden von dem eisigen Gebirgsgürtel, der dies ganze Land mit seinen Riesenarmen umspannt hielt, bis ich mich endlich genöthigt sah, mehr auf den Pfad zu achten. Die Straße wurde hier, die Nähe einer größeren Stadt verkündend, weit belebter, und zahlreiche Maulthierzüge sowie einzelne Reiter begegneten uns, die theils Producte in die Stadt gebracht, theils in größeren Quantitäten Wein, Mehl, getrocknete Früchte, Orangen, spirituöse Getränke u. s. w. dem innern Land zuführten.

Das Land war hier auch stark besiedelt; überall standen kleine freundliche Häuser, hier einzeln, dort zu kleinen Villen zusammengebaut, und man begriff, sah man die weite Fläche, - die hier in Cultur lag, wie Mendoza die Korn- und Fruchtkammer fast der ganzen Argentinischen Republik genannt werden konnte.

Da, wo eine schilfige Fläche, eine Art Sumpf die Bebauung bis jetzt gehindert, hörten die Plantagen für eine Strecke auf, und ich gewann wieder Zeit, den Blick jenen herrlichen Bergen zuzuwenden. Aber auch mit einer Art Schauder erfüllten sie mich, daß ich kleines, schwaches Menschenkind es wagen wollte dort hinüberzuwandern, wo der eisige Winter all' seine Schrecken zusammengeballt hielt und oft in so furchtbaren Stürmen und Wettern entfesselte, daß er Alles vernichtete, was ihm Trotz zu bieten wagte. Ein eigener Reiz lag aber auch wieder in diesem Gefühl selbstbewußter Kraft, mit dem der schwache Mensch selbst Schweres überwinden kann, und ich hatte bis jetzt nur Gefühl für das Große, Herrliche jener Gebirge - ihre Schrecken lagen mir noch zu fern, um dem Anblick auch nur einen Theil seines Genusses zu rauben.

Und hier nun diese weiten fruchtbaren Flächen in dem warmen, sonnigen Thal (denn das Wetter war, obgleich wir uns mitten im Winter befanden, so mild wie bei uns im Mai) und ringsumher ein Anblick, der das Herz des Menschen nur mit Bewunderung und frommer Scheu erfüllen konnte; wie /113/ gut mußten da die Menschen sein, die hier lebten, wie mußte das Schöne und Herrliche, das sie täglich vor Augen hatten, ihr Herz läutern und es dem Besseren zuwenden.

„Compaňero," sagte da plötzlich mein alter Begleiter, der jetzt dicht neben mir ritt, und deutete mit dem rechten Arm in die Höhe - „seht einmal dort!"

Ich blickte empor, und wieder griff ich fast unwillkürlich dem Pferd in die Zügel, aber diesmal nicht aus staunender Bewunderung, sondern aus einem Gefühl des Schreckens und Grausens. Dicht neben der Straße war ein langer starker Pfahl, etwas schräg nach vorn neigend, in die Erde geschlagen, und von der Spitze desselben herab grinste das von langem schwarzen Haar wild umflatterte, bärtige, leichenblasse Angesicht eines Menschenhauptes.

„Ein Raubmörder, der eine ganze Familie umgebracht hat," erzählte mein Alter; „gerade hier an der Stelle war es, wo er und seine Kameraden, von dem Sumpf begünstigt, ihre meisten Verbrechen an Reisenden ausübten. Der Gouverneur ließ seinen Kopf hier aufstecken, und seitdem hat man nicht mehr viel von Anfällen in der Gegend gehört. Arme, Hände und Beine desselben sind an anderen Orten ebenfalls ausgehangen."

So lautete der kurze Bericht, und da oben starrte indeß das gräßliche Haupt des Verbrechers still und unverwandt nach den herrlichen, von flüssigem Gold umflutheten Bergen - den Zeugen göttlicher Allmacht hinüber - ein furchtbarer Punkt in diesem sonst so freundlichen Thal.

Mir war dadurch der Genuß um Vieles verbittert worden. - Der Mord tritt uns zu oft entgegen in der ganzen Republik, und jene Massen von Kreuzen, die stillen Ankläger vergossenen Blutes, die ich täglich auf meiner Bahn gefunden, kamen mir jetzt vor wie die blutigen Spuren einer Schreckensthat, der ich den ganzen Weg gefolgt sei, und deren Ziel ich jetzt erreicht habe.

Doch fort, fort mit den finsteren Gedanken, wo die Natur in solcher Schönheit uns anlacht. Die munteren Pferde trugen uns rasch und fröhlich dem nicht mehr fernen Ziel, der kleinen freundlichen Berg- und Grenzstadt Mendoza, entgegen, und /114/ als wieder überall geschäftige Villen, mit Weingärten erfüllte Flächen und fruchtbare, von thätigem Fleiß zeugende Felder uns umschlossen, als reges Menschengewühl uns umgab, war auch der Eindruck verwischt, der einen Augenblick den vollen Genuß all' des Neuen, Herrlichen, was ich erblickte, getrübt hatte.

Nachmittags um zwei Uhr etwa ritten wir in Mendozas freundliche breite Straßen ein. Die Stadt ist ganz nach der altspanischen Art mit den niederen flachen Häusern erbaut, - aber weit reinlicher als Buenos-Ayres, und mir schien fast jedes Haus ein Freund zu sein, denn hinter mir lagen jetzt die am La Plata mit solchen Schrecknissen bevölkerten Pampas, hinter mir der lange Ritt und die wilde Horde der blutdürstigen Indianer. - Ausruhen konnte ich von all' den überstandenen Strapazen, und selbst Landsleute waren mir in dem freundlichen kleinen Gebirgsplätzchen versprochen. - Was d a n n noch vor mir lag - die vom Schnee geschlossenen Cordilleren, die Abgründe dort und die Gefahren der Schneestürme -, lag zu weit, wenigstens drei, vier Tage voraus, um mir darüber jetzt schon den Kopf zu zerbrechen oder Sorgen zu machen. Das war Zeit, wenn sich einmal eine wirkliche Ursache dafür fand, und hatte mir der alte Herr da oben durch die Pampas geholfen, würde er mich ja auch wohl nicht acht Tage später im Schnee stecken lassen. Also den Kopf oben und der Gefahr in's Auge geschaut, und jetzt vor allen Dingen erst einmal im neuen Gefühl wirklicher Sicherheit ausgeruht von dem U e b e r -s t a n d e n e n.

5.

Mendoza.

Am Fuße der Kordilleren, gegen die scharfen West- und Nordweststürme durch die hohen schroffen Bergrücken geschützt, liegt an der westlichen Grenze der Argentinischen Republik /115/ das kleine freundliche Städtchen Mendoza, für das ich schon auf dem Ritt dahin, und lange ehe ich das Vergnügen hatte, es persönlich kennen zu lernen, eine gewisse Achtung hegte. Die meisten Caravanen, denen wir begegneten - und wir trafen deren viele - kamen von Mendoza; wo man Mehl, Käse, Wein, Branntwein oder Früchte sah - welcher andere Ort hatte sie erzeugt als Mendoza?

Die Stadt selbst? - nun daran ist freilich weiter nichts zu sehen. - Es ist ein kleiner freundlicher Ort von circa 8000 Seelen; die Häuser sehen denen in allen anderen Theilen der Republik sprechend ähnlich, und sind so einfach aus Lehm gebaut, daß man immer ängstlich ist, der nächste starke Regen müßte die ganze Stadt einmal in einen einzigen Lehmhaufen zusammenwaschen, aus dem heraus sich dann die einzelnen Schornsteine höchst erstaunt die Verwüstung beschauen würden. Das geschieht aber nicht: der Lehm ist fest gestampft und nutzt sich dadurch, selbst bei den härtesten Regenschauern, nur sehr wenig und unbedeutend ab.

Ihre Verbindung mit dem umliegenden oder entfernteren Land besteht aber auch freilich nur zu Lande. Der kleine Fluß Mendoza, der nicht weit davon fließt, ist nur, wenn der Schnee der Cordilleren thaut, hoch genug um befahren zu werden, und dann eben wieder seines schnellen Steigens und seiner reißenden Strömung wegen schwer befahrbar. Wohin also auch Mendoza seine Producte versendet, oder woher es seine anderen Bedürfnisse beziehen will, muß dies stets und allein durch Caravanen geschehen, die entweder in Maulthierzügen oder den schon beschriebenen großen unbehülflichen, aber zweckmäßigen Güterkarren oder Transportwagen bestehen.

Mendoza ist die wirkliche Fruchtkammer des benachbarten Landes, und schafft Wein und Früchte selbst nach dem sonst sio gesegneten Chile hinüber. So bilden die Mendoza-Rosinen einen sehr bedeutenden Handelsartikel über die Kordilleren, und im Sommer soll Caravane auf Caravane durch die Berge ziehen. Nichtsdestoweniger könnte das Land noch in weit größerem Umfang bebaut, und selbst das bebaute weit starker benutzt und ausgebeutet werden, wäre nicht eben hier /116/ wieder die Bequemlichkeit des Südländers ein gar zu großes Hinderniß. - Es fehlen da deutsche Kräfte, und späteren Generationen - wenn sich die politischen Verhältnisse der Argentinischen Republik erst einmal geregelt haben - ist es vielleicht vorbehalten den Segen zu ernten, der noch im Schooße der fruchtbaren Erde schlummernd begraben liegt.

Es leben in Mendoza verschiedene Ausländer, unter diesen aber nur drei Deutsche: ein Hutmacher (Karl Rohde aus Gera, der früher in der Haughk'schen Fabrik in Leipzig gearbeitet hatte und mit süßer Schwärmerei noch nach dort zurückdachte) - ein junger Goldarbeiter (Schöpf aus Hannover) und der Gehülfe des Hutmachers. Außerdem schloß sich diesem noch ein Italiener, Mariani, an, der ebenfalls Deutsch sprach. Das nächste Frühjahr möchte sich aber der Reisende wohl vergeblich nach ihnen in Mendoza umsehen - kann er aber gut spüren, so findet er sicher ihre Fährten in den Cordilleren. Und wo sind sie hin? - gone to the diggins, natürlich nach Californien.

Ich selbst kann mich aber nur freuen, daß ich sie noch in Mendoza traf, denn ich wurde auf das Herzlichste von ihnen aufgenommen und behandelt, und werde stets mit vielem Vergnügen ihrer, und durch sie meines kurzen Aufenthalts in Mendoza gedenken.

Außerdem soll noch ein einziger deutscher Ackerbauer in der Nähe von Mendoza leben, die Deutschen in der Stadt geben ihm aber keinen besonders guten Namen, und er beabsichtigte auch sein kleines Gut auszuverkaufen und, wie die Anderen, dem Golde nachzugehen.

Auch für die Literatur ist in Mendoza etwas - aber freilich erst in letzterer Zeit - gethan, und zwar durch einen Nordamerikaner, einen Mr. van Sice, der eine Druckerpresse mit aus den Vereinigten Staaten herüberbrachte und hier, am Fuße der Kordilleren, aufstellte. Diese aber in Gang zu bringen, hatte er, wie er mir selber erzählte, eine Heidenarbeit gehabt, und hatte sie noch, sie darin zu halten.

Die Südamerikaner, in einem so abgeschlossenen Theil der Welt, zeigten im Anfang natürlich nur sehr wenig Sinn für eine derartige Entwickelung ihrer geistigen Kräfte. Mr. /117/ van Sice bewies ihnen aber, und er setzte sie dadurch nicht wenig in Erstaunen, daß es ihnen gerade ein d r i n g e n d e s B e d ü r f n i ß wäre selber eine Druckerei zu besitzen. Dabei hatte er die Schwierigkeit zu überwinden - denn mit leeren Worten allein war es nicht gethan - nicht allein dies Bedürfniß zu befriedigen, sondern es in Wirklichkeit auch erst selber hervorzurufen.

Bis dahin waren nur wenige Schul- und Gebetbücher in Mendoza gebraucht worden, und diese kamen, mit einigen Novellen und anderen Schriften, durch die rückkehrenden Caravanen von Buenos-Ayres. Von diesen verschaffte sich Mr. van Sice vor allen Dingen Exemplare und druckte sie nach. Der Bedarf mußte sich aber auch natürlich erschöpfen, und er rief deshalb ein monatliches Heft, was er drei Bogen stark und zwar mit sehr engen Lettern druckte, in's Leben. Es enthielt dies meist wissenschaftliche, technische, auch belletristische Artikel - denn mit Politik durfte er sich in der Republik nicht befassen - und fabelhaft waren, seiner Aussage nach, die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, dieser Schrift erst vor allen Dingen Eingang und dann Abonnenten zu verschaffen. Wie die Yankee Uhrenhändler in seinem eigenen Vaterland, mußte er von Haus zu Haus die Bücher hausiren, und da die Leute von einem wirklichen Abonnement kaum eine Ahnung hatten, die Hefte nicht selten zurücklassen. Die unfreiwilligen Besitzer derselben gaben sich dann im Anfang dem süßen Glauben hin, sie hätten die „schönen Bücher" geschenkt bekommen, bis sie die nach Verlauf eines Vierteljahres einkommende Rechnung eines Besseren belehrte.

 

Ein anderes Bedürfniß erweckte er bei ihnen in Gestalt von Visitenkarten, deren Gebrauch sie ebenfalls in ihrem unschuldigen ländlichen Leben bis dahin noch nicht gekannt hatten. Zuerst druckte er für sich selber solche und gab diese bei seinen Besuchen ab; dann wußte er den Gouverneur zu bewegen, diesem Beispiel, als aus der Residenz kommend, zu folgen - und damit hatte er gesiegt. - Es gehörte urplötzlich zum guten Ton, und mit einem leisen Anflug von halb Stolz, halb Schadenfreude, wie ein Jäger etwa die verschie-/118/denen Geweihe der Hirsche zeigen würde, die er eigenhändig erlegt hat, zeigte er mir die in seinem Zimmer auf einer Tafel aufgesteckten Karten Derer, die seiner Politik bis jetzt zum Opfer gefallen waren. Da sie zu der besseren Klasse des Städtchens gehörten, mußten sie natürlich alle Uebrigen zur Folge zwingen.

Bei der Besiegung all' dieser Schwierigkeiten gehört das aber gerade nicht zu den geringsten, daß er hier nicht einen einzigen Arbeiter fand, den er gebrauchen konnte. Gleich vom ersten Beginn mußte er sich selber Lehrlinge heranziehen und dabei selber erst die Sprache lernen; nur der hartnäckige goahead Charakter eines Yankee konnte das Alles besiegen. Wie die Verhältnisse aber jetzt stehen, verdient er, freilich bei eisernem Fleiße, seiner eigenen Aussage nach viel Geld, und wird nun wohl - nicht wahr, lieber Leser - seine Druckerei vergrößern, Arbeiter aus Buenos-Ayres und Valparaiso herüberziehen, eine Buchhandlung dabei anlegen und - halt, halt - er wird keins von alledem. - Im Gegentheil; er hat Jemanden gefunden, der Lust zeigt seine Druckerei in Bausch und Bogen zu kaufen, und wird nun wohl - natürlich nach Californien ziehen. Wie es nachher mit der Literatur in Mendoza stehen wird, wissen die Götter; wenn aber ein Südamerikaner, der das Alles in Gang sieht und die Triebfedern nicht kennt, die es darin erhalten, glauben sollte, ohne den Geist eines Yankee zwischen seinen gleichgültigen Landsleuten ein solches Geschäft einfach fortführen zu können, so irrt er sich sehr. - Wenn die Kraft aufhört zu wirken, die es in Schwung brachte und darin erhält, schläft Alles wieder ein, und ein Jahr später, wenn Mr. van Sice seinen Plan nicht etwa noch ändert, möchten wohl nur noch spanische Gebetbücher und vielleicht seidene Bänder mit der Regierungsdevise die einzigen Producte der mendozanischen Presse sein.

Mr. van Sice hatte eine junge Südamerikanerin, und zwar gerade aus Achiras, wo ich einen so entsetzlichen Abend verbrachte, geheirathet. Ich wollte übrigens, ich hätte lauter solche liebenswürdige Wesen dort getroffen, als seine Frau /119/ war, ich würde dann die Pampas mit einer sehr verschiedenen Meinung von ihren Bewohnern verlassen haben.

Die Mendozaner scheinen in dem Farbenspiel ihrer Nalionalitäi fast stärker zu sein als selbst die Bewohner von Buenos-Ayres. - Dort sind doch wenigstens die Fremden von diesem Livréedienst verschont, hier aber darf Niemand - und wenn er aus dem Monde käme - das Polizei- und zugleich Postgebäude betreten, ohne das rothe Band um den Hut und ein gleiches im Knopfloch zu tragen. Alles ist roth wohin man blickt, ja die recht ächten und wirklichen Republikaner haben sogar zinnoberrothgefärbte Stiefelsohlen, damit sie auch an ihren Füßen den Sinnspruch der Devise Federacion ó muerte - Federacion oder Tod (das erste durch roth, das zweite durch schwarz ausgedrückt) tragen. Der Gouverneur und die gutgesinnten Bewohner der Stadt bringen diese Farben auch, soviel das irgend geht, in ihrem Hausstand an, und ich glaube fast, Gouverneur Rosas hat einen gewissen Grad von Politik dabei beachtet, seine Unterthanen solcher Art mit diesen Farben zu beklecksen. Unter einer andern Regierung, die natürlich die Farben wechseln müßte, würden sie sich mit großem Kostenaufwand aller der Artikel entledigen können, die sie tragen, und während sich der Argentiner wohl keinen Augenblick besinnt seine Regierung zu ändern, so überlegt er es sich doch vielleicht zweimal, wenn es ihn zugleich einen neuen Poncho kostet. Freilich hat das zuletzt nicht mehr ausreichen wollen, und die Republikaner der La Platastaaten haben Rosas und Poncho, für jetzt wenigstens, zugleich abgeworfen.

Was Mendozas Lage betrifft, so kann es für Ackerbau und Weinzucht wohl kaum eine günstigere geben. Gegen die Süd- und Westwinde durch die gewaltigen Cordilleren geschützt, deren weiße Zackenkronen in prachtvoller Majestät dicht hinter ihm emporstarren, und in deren Arm hineingeschmiegt es eigentlich liegt, bietet es seinen Bewohnern an animalischer und vegetabilischer Nahrung Alles, was das Herz nur wünschen kann. Auch die Preise aller Lebensmittel sind außerordentlich billig, da der schwierige Verkehr mit den übrigen Ländern, von denen sie aus der einen Seite /120/ durch die Pampas, auf der andern durch die Cordilleren getrennt werden, die Ausfuhr natürlich sehr vertheuert und erschwert.

Das Klima ist herrlich - im Sommer soll der Schnee der Berge die Temperatur mildern, und jetzt, wo wir uns mitten im Winter befanden, hatten wir ein Weiter, wie bei uns an einem kühlen Sommertag. Alles gedeiht hier vortrefflich, und außer dem Getreide werden hier besonders Früchte, wie Orangen, Feigen, Trauben usw., in Masse gezogen. Die Trauben sind so süß, daß die Mendoza-Rosinen an der chilenischen Küste einen Namen haben und in großen Ouantitäten über die Cordilleren geschafft werden. Der Wein aber, der aus ihnen gekeltert wird, schmeckt so gut, daß mir der Mund noch jetzt danach wässert. Ich kann ihn nur mit gutem Portwein vergleichen, obgleich er süßer als dieser ist und jung nicht so viel Feuer hat als der Portwein. Einige Jahre alt, glaub' ich aber sicher, daß er sich mit diesem in jeder Hinsicht messen könnte. Die Mendozaner trocknen eine große Menge von Trauben, indem sie dieselben oben in ihren Giebeln aushängen; sie halten sich vortrefflich, sind süß wie Zucker, und fast so saftig, als ob sie eben vom Stock genommen wären.

Der Wein wird übrigens hier auf eigenthümliche, dem Klima aber natürlich auch entsprechende Weise gebaut, und zwar nicht wie bei uns an Stöcken, die wir nöthig haben, da wir der Traube müssen so viel Sonne zukommen lassen, wie wir ihr möglicher Weise nur gewähren können, sondern in weiten Lauben, so daß die Mendozaweingärten nur lauter überwachsene Gänge bilden, die an heißen Sonmmertagen wahrhaft paradiesische Spaziergänge bieten müssen. Die Trauben hängen dadurch sämmtlich im Schatten, reifen langsam und gewinnen dadurch natürlich nur an Zuckerstoff und Saft. Wir bezahlten für die Gallone (fünf Flaschen) vom besten Wein etwa fünf Silbergroschen nach unserem Geld. Ueberhaupt ist das Leben in Mendoza ungemein billig, und wenn ich mir für einen halben Real (etwa 2'/z Silbergroschen) Früchte: Trauben, Orangen und Feigen holen ließ, so hatte ich zwei bis drei Tage daran zu essen. /121/

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