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Pfarre und Schule. Erster Band.

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Sechstes Kapitel.
Die Hornecker Schenke

Es war Abend; aus dem Feld herein zog pfeifend der Knecht mit den Pferden, und der Gänsejunge trieb ebenfalls seine schnatternde Heerde den heimischen Ställen zu; auf dem Plane vor der Schenke hatte sich eine Schaar wilder Jungen und Mädchen eingefunden, die um die Linden herum und über die steinernen Bänke hin sprangen und jauchzten und tanzten und Haschens spielten, und sich in ihrer lauten herzlichen Lust wenig daran kehrten, daß der Thau schon feucht niederfiel auf die dampfende Erde und nebliche Dünste aus der Niederung herauf nach den Gipfeln der Berge stiegen.

Die Botenfrau, die aus der Stadt kam, keuchte mit dem schwer beladenen Korbe den steilen Hang hinauf, der wohl zwanzig Ellen hoch gerade hinter der Schenke herabführte, und hier und da blitzte schon zwischen den knorrigen Zweigen der Aepfel- und Pflaumenbäume hindurch ein einsam schimmerndes Licht hervor, und der Wanderer, der vorüberging, sah, wie da drinnen um die großen, mit frommem Spruch verzierten Schüsseln, nach ächt patriarchalischer Sitte, der Bauer mit seinen Knechten und Mägden saß, und Löffel nach Löffel aus der dampfenden Suppe herausholte.

Ein ganz besonders reges Leben herrschte aber in der Schenke selbst, denn da wurden Tische und Stühle gerückt und abgestäubt, Flaschen herbeigeschafft und Gläser parat gestellt. Dort in die Ecke kamen drei Tische für die Spielenden, zwei Lichter auf jeden, an die entgegengesetzten Ecken der buntbeklebte Papptrichter mit den geschnittenen Kartenfidibus auf den einen Leuchter. Auch die Markenteller mit den Spielmarken bekamen ihren Platz und die Spucknäpfe wurden zurecht gerückt, der sauber gescheuerten Stube zu Liebe.

»So,« sagte die dicke Wirthin, als sie auf den runden Drath, der am Fensterknopfe hing, frische Bretzeln gereiht, und den rostigen wieder an den alten Platz gehangen hatte, »so, itzt kennen se vor mir kummen, Annegrethe, hast de denn aber ooch des grine Zimmer in Ordnung gebracht? – Blitzmädel, Du weeßt doch, das der Herr Diaconus pinktlich is, un es die Bauern ooch schonst immer nich erwarten kennen.«

Annegrethe, ein derbes dralles Mädchen von achtzehn oder neunzehn Jahren, das, aber nicht nach der Horneck'schen Mode, sondern wie die Dienstleute in der Stadt gekleidet, eben hinter dem Schenkstande die halbgeleerten Glasflaschen (deren Etiketten bezeichneten, ob sie Doppelkümmel, Anis, Pomeranzen oder Kirsch in den flachen Bäuchen trugen) wieder aus großen steinernen Krügen vollfüllte, sagte, indem sie gerade die letzte Flasche mit einem wollenen Tuche abwischte und auf ihren Platz zurückstellte:

»Ei versteht sich, Frau Base, werde doch das beste Zimmer im Hause nicht vergessen; gelüftet habe ich's den ganzen Nachmittag, die Tische sind spiegelblank und von der Erde könnte man zur Nacht essen – wenn kein Sand d'rauf läge.«

»Hot denn die Butenfrau de Zeidungen schonst gebracht; ich habe kenen Zippel von 'er gesiehn.«

»Schon vor einer Viertelstunde.«

»Un die Sammeln?« – frug die Frau rasch und wie erschreckt.

»Alles richtig besorgt,« lachte Annegrethe, »auch Cigarren hab' ich vom Kaufmann mitbringen lassen, und ein Dutzend thönerne Pfeifen.«

»Bist en braves Madel,« sagte die Frau und setzte sich behaglich in ihre Ecke hinter den Ofen, wo ein kleines Tischchen mit ihrer Kaffeetasse stand; in der Röhre oben, dicht daneben brodelte der Kaffee, und dicht in der That mußte das Gedränge und laut der Ruf nach Bedienung in der Schenkstube werden, ehe »Mutter Läsig,« oder die »Mutter,« wie sie ihre Gäste kurzweg nannten, ihr heimliches Plätzchen verließ, um es mit dem geschäftigeren, ruhelosen in der Küche zu vertauschen.

Es dauerte denn auch gar nicht lange, so füllte sich das ziemlich geräumige Zimmer mit Gästen; hier und da über den offenen Platz herüber schlenderte eine lange, mit schwarzem Schafspelz umhüllte, oben in eine weiße Zipfelmütze auslaufende Gestalt, den Hügel herauf, und aus der Seitengasse, die zwischen Obstgärten und Häuslerwohnungen hin nach dem anderen Theile des Dorfes führte; von überall her kamen die Durstigen, den Sonnabend Abend, wie das von jeher Sitte in Horneck gewesen, in gemüthlicher Gesellschaft zu verbringen, und einmal wieder zu hören, »wie's draußen in der Welt eigentlich stehe.«

Auch das »grüne Zimmer« (was aber eigentlich gelb war und nur noch aus früherer Zeit, wo es vielleicht einmal grün gewesen, den Namen trug) füllte sich nach und nach; um die verschiedenen Lichter herum drängten sich neugierige kurzsichtige Gäste und suchten, bald mit bald ohne Brille, dem die Augen schmerzenden Druck Inhalt und Sinn abzugewinnen, bis der Diaconus endlich kam, der am Montag, Mittwoch und Sonnabend, und schon seit Anfang vorigen Monats, wo es auch erst angefangen hatte in Deutschland interessant zu werden, die Zeitungen, oder wenigstens das Wichtigste daraus, vorlas und das Gelesene dann erklärte.

Die Landleute hörten aufmerksam zu, tranken ihr Bier dabei, und schauten, das Kinn auf die beiden Fäuste oder in die aufgestemmten Arme gestützt, dem Diaconus in das wohl etwas bleiche aber ausdrucksvolle Gesicht, wie er ihnen die einzelnen Artikel vortrug, und hie und da bei etwas schwer verständlichen Stellen, eine Erklärung beifügte, die es auch den minder Begabten möglich machte, zu begreifen, was eigentlich die verschiedenen Artikel für eine Bedeutung hätten, und in welcher engen Verbindung die an allen Orten zugleich auftauchenden Unruhen zu einander ständen.

Er hatte ihnen auf solche Art über das Vorparlament in Frankfurt, das eben jetzt zusammentrat, über den Aufstand in Italien, denn die Oestreicher waren gerade aus Mailand verjagt, über die Verhältnisse in Oesterreich, und besonders in Wien selbst, wie über den dänischen Krieg, mitgetheilt, und ging dann auf die ihnen näher liegenden Gegenstände, jetzige Einberufung der beurlaubten Soldaten, die inneren Zustände des Landes u. s. w., über, wo dann das Gespräch allgemeiner wurde, und die Zeitung auch bei manchen Artikeln von Hand zu Hand ging.

Weniger geregelt war das Gespräch in der Neben- oder großen Gaststube, wo sich die Gäste nicht, wie im »grünen Zimmer«, um einen großen Tisch versammelten und dadurch die Unterhaltung zu einer gemeinschaftlichen machten, sondern, an verschiedenen Tafeln und Spieltischen vertheilt, auch ihre Sonderinteressen verfochten, oder gar nur, in die Kartenblätter vertieft, Acht gaben auf Eicheln und Schellen, auf Grün und Roth. Im Allgemeinen war es aber auch selbst hier die Politik, um die sich das Gespräch drehte, und sogar vom Schafskopf oder Scat aus mischte sich hier und da, wenn der Streit gar zu heftig wurde, ein »Passender« mit ein und warf, den scheuen Seitenblick freilich immer noch auf das indeß ununterbrochen vorwärts gehende Spiel gerichtet, sein Wort mit ein, in Debatte oder Grundspruch.

»Ja, hier steht's in der Zeitung aus Franken,« sagte da mit lispelnder aber scharf gellender Stimme ein kleines hageres Männchen. Pockennarben, röthliche Haare und etwas stark gekrümmte Nase waren die Kennzeichen des sogenannten Doctor Levi, der hier nur nach Horneck gekommen schien, um sich nach Frankfurt in das Parlament wählen zu lassen, und schon seit mehreren Wochen das allerdings etwas undankbare Geschäft übernommen hatte, die Bauern dieses und der benachbarten Orte aus ihrer politischen Lethargie aufzurütteln, und seinen Ansichten befreundet zu machen. So lange er in Horneck blieb, miethete er gewöhnlich ein kleines Häuschen, das mitten im Dorfe unbewohnt lag, und beschäftigte sich dann auch wohl mit etwas Chirurgie, Aderlassen, Schröpfen u. s. w. Zog er jedoch mit diesem manches böse Blut ab, so schuf er das, und in gewiß viel reichlicherem Maße auch auf der anderen Seite wieder, und die ruhigeren Bauern und Ansässigen des Dorfes schüttelten oft über seine aufrührerischen Reden den Kopf, während ihm dagegen die Jugend mit desto größerem Eifer anhing und besonders sämmtliche Lehrlinge und Ackerknechte des Dorfes für ihn schwärmten. Wer hätte ihnen auch das Alles versprochen, was ihnen Doctor Levi versprach, wer hätte so unermüdlich über ihre Herrschaften herziehen und sie unaufhörlich versichern mögen, daß der vierte Stand, der Stand der Arbeiter, gerade der sei, der obenan stehen müsse, und ohne den die anderen Stände gar nicht existiren könnten, der aber auch deshalb nur recht zusammenhalten, die Männer wählen, die es gut mit ihm meinten, und dann sehen solle, was er für Wunder wirken und wie er seine Stellung gestalten könne.

»Hören Sie nur, meine Herren,« lispelte der Doctor weiter, als er sah, daß einige die Köpfe nach ihm umwandten:

»Von den Gutsherrschaften haben sich diejenigen, deren Eigenthum bei dem ersten Aufstand, woran allerdings auch ansässige Bauern Theil genommen hatten, verschont geblieben, mit ihren Grundholden auf gütliche Weise verständigt, und die Regierung von Oberfranken hatte, um diese Vermittlung zu Stande zu bringen, einen eigenen Commissar auf den Schauplatz der Unruhen abgeordnet. Auch anderwärts in Franken haben viele Gutsbesitzer ihren Grundholden freiwillig bedeutende Zugeständnisse gemacht.«

»Seht Ihr, die Sache wird Ernst, und in Franken wissen die Bauern schon, was sie wollen; die Süddeutschen sind uns überdies um ein halbes Jahrhundert voraus, und wenn es in Deutschland noch einmal Licht werden solle, so stecken sie dort die Laternen an.«

»Ja, daß uns nachher das Haus lichterloh über den Kopf in Flammen stehe,« brummte der Müller, der neben dem einen Spieltische saß, und bis jetzt dem Gang des Spieles augenscheinlich sehr eifrig gefolgt war; »solcher Aufruhr thut kein gut; denn wenn er noch allein bei den Bauern, das heißt bei denen bliebe, die wirklich ein Besitzthum haben, ja dann ließe man es sich gefallen, aber die, die gar nichts haben, die reißen nachher gerade das Maul am weitesten auf und sind vorne weg. Natürlich, die Menschen können Nichts bei der Sache verlieren; geht Alles, wie es gewohnt war, seinen stillen Gang ruhig fort, so bleiben sie Lumpe wie vorher, geht aber im Gegentheil Alles drunter und drüber, wird die ganze Einrichtung auf den Kopf gestellt, ei dann schließen sie sich mit dem größten Vergnügen dem an, ihnen fällt Nichts aus der Tasche und es müßte doch sonderbar zugehen, wenn sie von dem, was Anderen herausfiele, nicht später was zu fischen fänden. Das kennt man schon.«

 

»O ja, o ja,« lachte der kleine Doctor, »versteht sich – wer soll denn aber auch sonst die Revolution machen; die, die was haben, sitzen gern still und halten beide Fäuste auf die vollgestopften Taschen, die aber, die Nichts haben, das sind die Menschen, die sich am freiesten bewegen, die unparteiisch auf den Standpunkt des Besitzes hinüberblicken können.«

Ein großer Theil der Zuhörer lachte, dadurch wurde der kleine Mann aber erst recht böse gemacht, sah sich einen Augenblick im Kreise um und rief dann:

»Lacht nur, grinst nur und zieht die Mäuler von einem Ohre bis zum andern, und wenn Ihr's nicht anders haben wollt, so bleibt meinetwegen hier hinter Eueren Oefen sitzen, und wartet, bis sie Euch das, was die Anderen jetzt fordern, auf dem Präsentirteller bringen und Euch um Gotteswillen bitten, es doch nur anzunehmen.«

»Oho,« fiel ihm hier einer der Bauern in die Rede, »so schlimm is es ooch noch niche – mer wissen wuhl, was mer wolle, un ufgäsetzt is es ooch schonst; 's hat nur de rächte Gischtalt noch niche, es fehlt em noch de Fassong. Den Pastor han mer freilich drim gebeten, er sillts uns mache, der will aber net, do hat's der Diaconus ibernommen; des is en ganzer Kerl.«

»Ja, de Jagd misse mer frei han,« fiel hier ein Anderer vom Spieltisch aus in's Wort, »der Hos', der mer mei Kraut frißt, dem schlag' ich de Flinten uffen Kopp, daß er's bese Elend kreiht!« und die hoch gehobene Karte kam mit den Knöcheln schallend auf den Tisch nieder.

»Un die Ablösung misse mer ooch han,« sagte der erste wieder – »oh, 'ssein ä ganze menge Sachen, denn i zohl kei Hundekorn mehr, und schick' keine Hihner un Eier un Kapauner und Gänse uf's Gut; wenn se Kapauner fressen wolln, megn se se ooch selwer ziehen un stoppen.«

»Recht so,« fiel hier der Doctor ein, »das klingt schon ein Bischen besser, aber nach Frankfurt müßt Ihr dann auch solche Leute wählen, die wissen, was Euch fehlt und die Haare auf den Zähnen haben, und daß die gestrengen Herren nachher schon einwilligen werden, ich dächte, dafür bürgte uns die neueste Erfahrung. Ihr habt doch gehört, daß von Frankreich herüber 90,000 Mann im Anmarsch sind, um hier in Deutschland die Republik zu proclamiren?«

»Ne, keen Wort,« riefen Viele und wandten sich neugierig zu ihm hin.

»Was?« lachte der Doctor, »davon wißt Ihr noch Nichts? potz Schulmeister und Diaconusse, wozu habt Ihr denn da die Woche dreimal Euere geheimen Vorlesungen, wenn Ihr die Hauptsache nicht erfahrt? Aber das ist natürlich, daß es der Geistlichkeit nicht gerade gelegen kommt, wenn es den Beichtkindern klar wird, wo Barthel eigentlich den Most holt.«

»Aber Doctor, warum geht Ihr denn nicht mit hinein in's grüne Zimmer,« mischte sich hier der Wirth hinter den Schenktisch in's Gespräch, »da drinn wird ja die ganze Geschichte verhandelt.«

»Zu den Reactionairen!« brummte entrüstet der Mann des Blutes, »nein, wir haben uns auf den Barrikaden unsere Freiheit erkämpft, und die wollen wir schützen im freien Vereinsrecht, wie in der freien Presse, derlei Umtriebe aber, wie sie schon anfangen im Lande ihr giftiges Netz auszuspannen, sollten Männer, die sich dessen, was ihnen gebührt, bewußt sind, gar nicht dulden. Wenn es auf mich ankäme, sprengten wir die ganze Gesellschaft dadrinn auseinander.«

»Von wegen dem freien Vereinsrechte!« lachte der Wirth.

»Unsinn!« rief Levi ärgerlich, »wenn das Volk souverain ist, braucht es die Verräther im eigenen Hause wenigstens nicht zu dulden. Ihr würdet es Euch ebenfalls nicht gefallen lassen, wenn sich Jemand in Euerer Stube hinsetzte und Pläne machte, Euch aus Euerem rechtmäßigen Hause zu verjagen.«

»Ne« sagte der Wirth, »und bei mir ist das Volk nicht einmal souverain.«

Ein paar von den Bauern lachten, ehe aber der Doctor etwas darauf erwiedern konnte, ging die Thür des grünen Zimmers auf, und die Lesegäste, die jetzt die wichtigsten Tagesneuigkeiten gehört hatten, kamen heraus in das große Wirthszimmer, um sich dort gemüthlicher bewegen, und das Gehörte noch etwas freier besprechen zu können.

Die ebengeführte Unterhaltung wurde dadurch auf kurze Zeit unterbrochen, und auch der »Doctor« hatte sich zu einem der Tische zurückgezogen, wo er sein Glas Bier, mit einem Gläschen Pfeffermünze daneben, stehn hatte, als einer der Bauern, neben den sich der Diaconus eben gesetzt, diesen bat, er möchte doch einmal in »das Gedruckte« hinein sehn, ob etwas von den 90,000 Mann darin stände, die von Frankreich aus zu uns herüber kommen sollten.

»Neunzig Tausend Mann,« lachte der Diaconus, »wer hat denn das wieder ausgesprengt? Ueber dem Rhein drüben sollen sich, wie die Zeitung sagt, einzelne unordentliche Banden herumtreiben, aber von 90,000 Mann ist keine Rede.«

»Keine Rede?« knurrte der Doctor aus seiner Ecke vor, »warum denn nicht? – man will es dem Volke hier nur noch verheimlichen, damit es nicht aufsteht, sich mit den, bis jetzt in Frankreich verbannten und nun herüber strömenden Brüdern vereinigt, und seinen bisherigen Unterdrückern mit Gewalt den Daumen auf's Auge setzt.«

»Mein guter Herr Doctor« erwiederte ihm freundlich der Diaconus, »aus fremden Lande blüht uns keine Hülfe, und von dorther dürfen wir nicht auf Beistand hoffen oder rechnen. In uns selbst muß die Kraft, muß die Hülfe liegen, und wenn wir nicht im Stande sind sie aus uns selbst heraus zu schaffen, dann sieht es auch mit unserer Freiheit traurig aus. Gott wolle uns vor einem Zustand bewahren, den uns fremde Schaaren und wenn sie sich selbst Arbeiter nennten, brächten; nur im Stande wären sie einzureißen, und nicht Raum noch Athem bliebe zum Wiederaufbau.«

»Wiederaufbau, Wiederaufbau – das ist so das rechte Wort,« brummte der Doctor, und stieß heftig das Glas vor sich auf den Tisch, »erst muß eingerissen werden, ehe man aufbauen kann, denn von vorne anfangen können wir die Geschichte nicht; hab ich recht oder unrecht?«

»Ne, das hat seene Richtigkeet« sagte da der Schmid, der auch mit aus der grünen Stube herausgekommen war, »wenn mer hier ene angere Schenke herbauen wüllen, so missen mer die erscht nieder reißen.«

»Na, das sieht ja ein Kind ein« triumphirte der Doctor.

»Aber bedenkt Leute,« nahm der Diaconus wieder das Wort, »daß sich Einreißen und Aufbau auch nach äußeren Umständen richten muß.«

»Wie so?« frag Einer der Bauern.

»Wir wollen einmal hier bei der Schenke stehn bleiben,« erklärte Jener, sich in den einfachen Sinn seiner Umgebung schickend, »wenn wir die Schenke hier einreißen, um eine andere zu bauen, so ist das leicht, die steht frei und hat einen gehörigen Raum vor sich, um das alte Gerumpel abzuwerfen und den neuen Steinen und Balken Raum zu geben, und so war es auch mit Amerika, als sich jenes Land seine Freiheit erkämpfte, dort war Raum genug den alten Schutt abzufahren, und das neue Gebäude stieg rasch und schön empor. Wie wäre es aber, wenn Ihr drüben des Wagners Haus abbrechen und ein anderes dafür hinstellen wolltet? Ging das so ohne Weiteres? Wohin sollte er mit dem Schutt? Die Nachbarn würden sich bedanken, den solange in ihre Gärten zu nehmen; auf die Straße vor dem Haus dürft Ihr ihn auch nicht werfen, reißt Ihr also Vor- und Hintergebäude gleich zusammen ein, so sitzt Ihr nachher mitten im Gemenge drin, und kein Baumeister kann Euch mehr helfen, denn Ihr habt dem, indem Ihr seine freien Bewegungen hemmtet, selbst die Hände gebunden.«

»Das ist aber mit unseren Verhältnissen ganz anders,« fiel hier der Doctor ärgerlich ein.

»Allerdings« lächelte der Diaconus, »aber nur noch viel schlimmer, denn wenn diese jungen Leute, die jetzt überall auftauchen und von Umsturz des Bestehenden und Reorganisation ganzer Länder sprechen, erst einmal den Zügel in Händen hätten, wer wäre dann im Stande, ein solches Gewirr von Völkerstämmen und Nationalitäten zu vereinigen und in Ordnung zu halten? Wer sollte so rasch die Grenzlinie ziehn zwischen Anarchie und Volksherrschaften, und jene im Zaum halten, ohne von dem Volke selbst als Reactionair verschrien zu werden?«

»Das muß die Regierung thun!« sagte der Doctor ernsthaft.

»Ei was streiten wir uns denn dorum« fiel hier der Schmid dem Doctor in's Wort, »wenn jetzt die Franzosen kummen, da werd' sich die Sache schonst finden. So'ne neinzig Tausend Mann sin ooch keen Hund.«

»Da Ihr denn einmal bei den 90,000 bleibt« meinte der Diaconus, »so ist's vielleicht besser, ich lese den darauf Bezug habenden Artikel gleich vor; es ist eine Bekanntmachung, die das Generalcommando der Rheinprovinz erlassen hat, und lautet:

›Nach von mehrern Seiten bei der Militairbehörde eingegangenen zuverlässigen Nachrichten, sind von der französischen Grenze her Einfälle bewaffneter ungeregelter ungeordneter Arbeiterschaaren in die Rheinprovinz beabsichtigt. Um diesen zu begegnen ist die Aufstellung eines Corps gegen die Schaar erforderlich. Dazu ist, außer den Truppen in Trier – etc. etc.‹«

»Da haben Sie die ganze Geschichte; das sind Ihre 90,000 Mann gegen die, nur der Vorsorge wegen, ein paar Regimenter ausgeschickt werden.«

»So?« rief der kleine Mann höhnisch und hatte indessen schon, während Jener las, ein anderes, zerknittertes Zeitungsblatt aus der Tasche geholt – »so? da haben Sie wohl die Allgemeine oder die Kindermuhme? Das glaub ich, daß die solche Opiate zu verabreichen suchen – aber da ist hier ein anderes Blatt ›Die rothe Fahne!‹, an dem wir Mitarbeiter wie Pelz und E. O. Weller haben, das sagt Ihnen anderes, was Sie wissen sollen – Hier hören Sie:

›Bürger! Die Zeit der Rache ist gekommen – die Ketten, die Euch so lange in Euer klirrendes Elend geschlagen, stürzen von Euren erstarkenden Gliedern. – Der Tag der Vergeltung ist erschienen, die Throne zittern und das souveraine Volk steht jauchzend auf und vernichtet die Tyrannen. Bürger – schaart Euch um die rothe Fahne der Freiheit – aus dem Westen, aus dem göttlich freien Lande der Republik reicht uns ein freies Volk die entfesselte Rechte – 90,000 Mann‹ – hören Sie das, Herr Diaconus – ›90,000 Mann überschreiten in diesen Tagen den Rhein – 90,000 Mann fliegen Euch mit triumphirendem Siegesschrei an das Bruderherz. Oeffnet Eure Arme sie zu empfangen und reicht Euch dann die Hände zum fröhlichen Spiel. Unsere Schwerte sollen die Schläger und Kronen die Bälle sein, mit denen wir die Zeit verkürzen, bis wir des Spaßes müde sind, und den Plunder bei Seite werfen. Es lebe die Republik!‹«

»Und das steht gedruckt?« sagte der Gerichtsschreiber erstaunt und drängte sich durch die Bauern, die den kleinen Mann umstanden.

»Das steht gedruckt« lachte dieser triumphirend, »und Einer unserer thätigsten Kämpfer der Freiheit, unser Dr. Wahlert, durchstreift schon seit vierzehn Tagen das Land im fröhlichen Pilgerzug, die Guten zu sammeln und zum festen Werke zu einigen.«

Neben dem Ofen saß eine eng in sich zusammengekauerte Frauengestalt, die bis jetzt wenig oder gar keinen Antheil an dem Gespräch gezeigt hatte, nur daß sie manchmal, wenn Einer oder der Andere der Männer sprach, den matten Blick zu ihm hob, dann aber gleich wieder in ihre alte Stellung zurückfiel. Jetzt bei dem letztgenannten Namen aber, zuckte sie rasch und heftig empor, und schaute, während der folgenden Unterredung bald die sich dabei Betheiligenden, bald die Umstehenden, scheu und ängstlich an.

»Wahlert?« sagte der Diaconus, »ist, wie ich heute als ganz gewiß gehört habe, in der Stadt wegen offenen Aufruhrs und überwiesenen verbrecherischen Verkehrs mit den Feinden des Vaterlandes verhaftet und eingezogen worden; man spricht davon, daß er das Zuchthaus besuchen würde.«

»Hahaha« lachte der kleine Doctor, »die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn erst; eben habe ich Briefe mit der Botenfrau aus der Stadt bekommen, daß Wahlert heute allerdings sollte verhaftet werden. Er erhielt aber vorher einen Wink, entzog sich der Ausführung durch die Flucht und ist, wenn auch verfolgt, doch noch nicht eingefangen; die nach ihm ausgesandten Polizeiknechte sind wenigstens unverrichteter Sache zurückgekehrt.«

Die Thür ging in diesem Augenblick auf, und der alte Jäger trat, einen kurzen Gruß links und rechts hinübernickend, in die Stube.

»Annegrethe, mein Bier,« sagte er, während er sich auf seinen gewöhnlichen Platz zwischen dem Fenster und dem Schenkstand niederließ – »aber ein wenig warm.«

 

»Weiß es Herr Förster,« rief das flinke Mädchen, und füllte das hochaufschäumende Glas aus dem schon vorher, in Erwartung des Kommenden, warm gestellten Blechmaaß, drängte sich dann damit, zwischen der jetzt aufgerichtet neben dem Ofen stehenden Frau – unserer Bekannten von dem nämlichen Morgen her, und dem auch eben erst gekommenen Röhrmeister durch, und stellte das Glas, mit einem freundlichen Knix vor den mürrisch herumschauenden Jäger hin.

Die Unterhaltung war durch den Eintritt der Beiden, nach denen sich die Meisten umschauten, einen Augenblick in's Stocken gerathen.

Der Röhrmeister, der die letzten Worte des kleinen Doctors noch gehört hatte, trat jetzt weiter vor und rief, sich an diesen wendend:

»Hört einmal Doctorchen, wie sieht denn der Bursche aus, von dem Ihr da sprecht – trägt er etwa einen kleinen schwarzen Schnurrbart und hat er eine Narbe über's Gesicht herüber?«

»Die hat er,« sagte der Doctor schnell, »habt Ihr Wahlert gesehen?«

»Dann ist es derselbe, den sie heute Morgen hier bis in die Haidekiefern gehetzt haben,« fuhr der Röhrmeister fort, »ich kam gerade aus der Stadt und sprach auch nachher einen von den Holzschlägern, an dem er dicht vorbeigesprungen war.«

»Hier bis Horneck?« frug der Doctor schnell.

»Ja hier gleich bis oben in den Wald, wo das kleine Weidenbüschchen steht.«

»Wie heißt der Bursche?« mischte sich jetzt der Jäger in's Gespräch, und stand von seinem Platze auf, um besser nach dem Sprechenden hinübersehn zu können.

»Wahlert, Dr. Wahlert!« lautete die Antwort.

»Und einen Schnurrbart hat er?«

»Ja, und dunkle Haare, wie eine hohe, stattliche Figur; wer ihn einmal gesehn hat, vergißt ihn nicht so leicht wieder.«

»Nun ich denke, er wird sich meiner auch wohl etwa vierzehn Tage erinnern,« lachte der Jäger und nahm seinen Platz wieder ein.

»Was? – wie so? – Ihr habt ihn gesehen? – wo ist er jetzt? – haben sie ihn wieder?« So etwa lauteten die Fragen, die nun in rascher Reihenfolge an den Jäger gerichtet wurden, und dieser sah sich plötzlich als den Mittelpunkt aller der neugierig ihm zugewandten Gesichter.

»Weil ich ihm die Hinterläufe mit Schrot gespickt habe« lachte der Alte; »zwar nur Nr. 6 aber doch gerade hinreichend für einen derartigen kleinen Denkzettel.«

»Aber wo? – weshalb – wie kam das – wenn denn?« fiel hier das Chor wieder ein.

»Wo? wann? Im Holz drin, heut' Nachmittag, und weshalb? – ei weil er ein paar Frauenzimmer angefallen hatte wie ein Straßenräuber und sie schon plündern wollte als ich und der Schulmeister, der Hülfslehrer mein ich, gerade noch zur rechten Zeit und zum Schuß kamen.«

»Aber wo ist er jetzt? ist er gefährlich verwundet?« sagte der Doctor rasch und erschreckt.

»Hm – 's kann g'rade nicht so gefährlich sein,« meinte der Jäger kopfschüttelnd, »'s Auskratzen ging wenigstens nachher noch so ziemlich gut. Schweiß konnten wir auch nicht finden, aber mit meinem Fritz und den Holzschlägern bin ich ihm nachher nach, und richtig kriegten wir ihn auch wieder zu Gesicht, denn wir trieben das ganze Weidicht unten ordentlich ab. Mein Fritz und ich, wir nahmen die Flügel und wie wir oben an die Schwarzholzecke kamen, stellten wir Beide uns nach dem Dorf zu vor, und ließen die Holzmacher links herauf schwenken. Der Kerl war auch weiß es Gott im Treiben, und wollte, gleich wo's nachher nach dem Fluß zu geht, wie ein alter Fuchs durch die Treiber brechen. Das wäre ihm auch, da sie doch wenigstens funfzig Schritt auseinander gehn mußten, beinah gelungen, denn das Unglück wollt' es, daß er gerade zwischen dem alten lahmen Gottlieb und Richters Jungen hinein kam, die ihn alle Beide nicht wieder eingeholt hätten. Gerade da aber, wo er durchbrechen wollte, war ein offener Haidefleck – der Streifen Feld da oben, Wagner, wo wir vor zwei Jahren die jungen Kiefern steckten – und wie er eben über den hinspringen will, läuft der alte Gottlieb mit seinem Stock auf ihn an und schreit ihm zu, er soll sich ergeben. Hol' mich der Teufel, wie der den Stock auf sich gerichtet sieht, wobei er wahrscheinlich auch schon an das Blei dachte, das er bei sich trug, stieß er einen lauten Schrei aus, und sprang wie ein Donnerwetter in die dichten Büsche zurück.«

»Und was ist nachher aus ihm geworden?«

»Der Teufel weiß es« brummte der Jäger, »er ging wieder nach vorn, und wenn er nicht nachher doch noch einen Rückwechsel gefunden hat, so bleibt weiter gar nichts anderes möglich als daß er durch das Ufer des trockenen Baches, gerade unter den Dornen hin in das Dorf gekrochen ist.«

»In das Dorf?« riefen der Verwalter und Gerichtsschreiber, die jetzt ebenfalls an des Jägers Tisch getreten waren, »das kann ja doch gar nicht sein; der Graben oder was es ist, läuft gerade in Pastors Garten aus, und er wird sich doch wahrlich nicht, wenn einmal verfolgt, aus dem ihm allein noch Sicherheit bietenden Wald, mitten zwischen seine Feinde wagen?«

Der Doctor sagte kein Wort mehr, ging aber eine ganze Weile, und zwar im tiefsten Nachdenken, im Zimmer auf und ab, bis er wieder in die Nähe des Jägers kam; dort blieb er stehn, wandte sich noch einmal an diesen und frug ihn:

»Und Ihr glaubt wirklich, daß er durch den Graben nach dem Dorfe zu entkommen wäre?«

»Ich weiß wenigstens nicht wie er sonst durchgeschlüpft sein könnte,« meinte der Jäger, »ohne daß ihn Einer von uns auch nur gesehn, oder in dem Laube gehört hätte. Der Wald ist dort viel zu licht, als daß Einer, erst dort hinein getrieben, lange Verstecken spielen dürfte.«

»Könnte er aber nicht in einen Baum geklettert sein?« frug der Doctor noch einmal, im letzten verzweifelten Versuch, auch nur an die Möglichkeit einer anderen Flucht glauben zu dürfen, aber der Forstmann schnitt ihm auch diese Hoffnung ab.

»Oh was,« brummte er, »in die Rauschenecke hatten wir ihn hinein, soviel ist gewiß, und dort waren wir ihm, wenn's auch da wirklich Bäume gäbe, in die man sich verstecken könnte, viel zu dicht auf den Hacken, als daß er an so etwas hätte denken dürfen. Der ist im Dorf, und wenn er's hier nicht ganz schlau anfängt, so kriegen wir ihn doch noch, denn ich habe unten am Garten sowohl da, wo's nach der Straße niedergeht, wie oben nach dem Wald zurück, und an dem Weg in's Dorf hinein meine Wachen ausgestellt, die keine Katze, vielweniger einen so baumlangen Kerl durchlassen.«

»Hm, hm –« murmelte der kleine Mann vor sich hin, und drängte sich, ohne etwas weiter darauf zu erwiedern, der Thüre zu. Am Schenkstand bezahlte er seine Zeche und verschwand gleich darauf, die einbrechenden 90,000 Freischaarer und die rothe Republik gänzlich der Gnade und Ungnade der Zurückbleibenden überlassend, aus der Wirthschaftsstube.

Auch das fremde Mädchen verließ das Zimmer, schritt aus dem Haus bis unter die große Linde, setzte sich auf die dort angebrachte hölzerne Bank, in den Schatten des gewaltigen Baumes, barg das bleiche Antlitz zwischen den dünnen abgemagerten Fingern, und schluchzte leise und heftig.

Die Sterne blitzten und funkelten aus dem dunkeln, von keinem Mondenstrahl erhellten Himmel nieder, durch die breitästigen Wipfel der Linden rauschte und brauste der kühlfeuchte Nachtwind; im Dorfe herrschte Todtenstille, nur manchmal tönte das Bellen eines treuen Wachthundes aus Hof oder Garten her, oder der Schritt der jetzt einzeln aus der Schenke Heimkehrenden schallte hohl von dem harten Boden wieder. Auch die Lichter der verschiedenen Wohnungen waren fast alle verlöscht, nur in der Pastorwohnung, das Haus ließ sich deutlich erkennen, denn dicht dabei stieg der dunkle kahle Thurm starr und schroff empor, brannte noch in einem der oberen Fenster ein einsames Lämpchen.

»Marie!« rief die Stimme des alten Musikus von der Thüre der Schenke aus – »Marie – wo zum Donnerwetter steckt mir die Dirne nun wieder – Marie! will ich doch verdammt sein, wenn mir die nicht noch die Galle an den Hals ärgert. Ei so geh' zum Teufel« brummte er noch eine Weile, als er vergebens gehorcht und gewartet hatte, denn die dunkle Gestalt unter der Linde rührte und regte sich nicht – »wenn sie Dich ausschließen, magst Du sehn wie du in's Haus kommst.«

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