Gold!

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

„Assessor - Donnerwetter, wo wollen Sie hin?"

Der Assessor Möhler drehte etwas scheu den Kopf nach der Seite, von die die Stimme kam, und erkannte seinen alten Schiffskameraden, den Justizrath, der, mit der langen Pfeife im Munde, wie er ihn eigentlich an Bord auch nie anders gesehen, hinter ihnen drein gekommen war.

„Ah, Herr Justizrath," sagte der Assessor freundlich - „ist mir doch sehr angenehm, Sie auf festem Land begrüßen zu können. Ich gehe, wie Sie sehen, mit der armen Frau Siebert in die Stadt hinauf - in das Kosthaus, in dem ihr seliger Mann gestorben ist."

„Hm - ja - hab's gehört - thut mir leid. - Eigentlich verfluchte Geschichte," brummte der Mann des Gerichts, in einem leisen Anflug von Mitgefühl - „na, schad't weiter nichts," setzte er dann aber auch gleich, gewissermaßen als Trost hinzu, - „können dann Erbschaft gleich antreten und mit nächstem Schiff wieder umkehren. - Heilloses Land das Californien - fordern Einem für ein Pfund schlechten Knaster sieben Dollar ab - noch gar nicht dagewesen. Wie kann eine Frau da existiren?"

Die arme Frau antwortete keine Silbe; der Schmerz und Schreck hatte sie niedergebrochen, und so zuversichtlich, ja selbstbewußt sie auch an Bord dem Leben in Californien entgegengesehen hatte, so niedergedrückt, so todt für Alles, was außer ihr geschah, war sie jetzt. Der Justizrath nahm indessen weiter keine Notiz von ihr und erkundigte sich bei dem Assessor nach seinem Kosthaus, dem er zuging, da er selber das Schiff nur deshalb verlassen hatte, sich einen Wohnplatz /65/ auszusuchen, ehe er sein Gepäck an Land schaffte. Da er übrigens die Worte auf seine gewöhnliche barsche Art herauspolterte und sich dabei dicht neben dem Assessor hielt, fing das Kind, das dieser auf dem Arme trug, wieder an zu schreien und wollte sich gar nicht beruhigen lassen. Den Justizrath konnte das allerdings nur wenig abhalten, in seinen Meinungsäußerungen über das Land - von dem er eigentlich noch gar nichts gesehen hatte - fortzufahren; der kleine Einwanderer schien aber entschlossen, das Wort zu behalten. Je lauter der Justizrath sprach, desto mehr schrie das Kind, und die Leute auf der Straße blieben schon stehen, ihnen nachzusehen. - War doch auch selbst ein kleines Kind etwas Ungewöhnliches in Californien.

Dem armen Assessor besonders war seine Lage auf's Aeußerste peinlich, und er warf ein paar Mal einen halb verzweifelten Blick auf den neben ihnen herfahrenden Güterkarren, ob er dort vielleicht nicht seine kleine unruhige Last deponiren könne. Dies ging aber doch nicht gut an; die Mutter nahm gleichfalls nicht die geringste Notiz von dem Kinde, das sie vollkommen gut aufgehoben wußte, und dem Manne blieb schon nichts Anderes übrig, als eben auszuharren.

Die Umstehenden würden sich vielleicht mehr mit der wunderlichen kleinen Caravane beschäftigt haben, hätte San Francisco in jener Zeit nicht unausgesetzt zu viel des Neuen und Sonderbaren geboten, dem Einzelnen auch nur mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Die Aufmerksamkeit der Leute wurde überdies auf einen andern Trupp gelenkt, der sie allerdings auch mehr verdiente. Die Gerüchte nämlich, die damals im Auslande über Californien umliefen, schilderten das Land kaum besser als eine Art von umfangreicher Räuberhöhle, in dem man fortwährend mit gespannten Pistolen seinen Sack voll Gold und sein Leben zu wahren hätte. Daß in einem noch so wilden Lande zuweilen ungesetzliche Handlungen vorfielen, ließ sich allerdings nicht leugnen; die ganzen Zustände waren ungesetzlich, wenn auch freilich nicht in dem Maße, in dem sie geschildert wurden. Dem zu Folge hatten sich denn auch die meisten Einwanderer, die sich ein Land ohne Polizei noch nicht recht denken könnten, mit allen nur /66/ tragbaren Waffen und Wehren reichlich versehen, und Gewehre, Dolche wie Pistolen spielten bei dem Minengepäck eine nicht unbedeutende Rolle. Das non plus ultra dieser fast krankhaften Selbstschutz-Manie bot aber ein kleiner Trupp von Leuten, die in diesem Augenblick über die Plaza zogen und allerdings der auf sie gewandten Aufmerksamkeit werth waren Die kleine Gesellschaft bestand aus fünf Personen, deren Führer, eine fast riesengroße Gestalt mit .krausem schwarzen Bart und mächtigem Schulterbau, gravitätisch voranschritt. Der Mann, der sicher seine sieben Fuß in den Schuhen stand, trug einen breiträndigen weißen Filzhut, eine grüne Blouse und lichte Beinkleider, um den Leib aber einen etwa fünf Zoll breiten weißlackirten Ledergurt, und an diesem einen riesigen Pallasch, der hinter ihm klirrend den trockenen Staub aufwühlte. Neben dem Pallasch aber hing noch ein mäßiger Hirschfänger mit Hirschhorngriff, wahrscheinlich zu engem Handgemenge bestimmt, und neben diesem wieder ein etwa achtzehn Zoll langer Nickfänger, zum Zusammenklappen, aber ebenfalls in einer Scheide. Rechts im Gürtel stak außerdem ein Dolch mit Terzerolläufen daran, und zwei doppelläufige Pistolen füllten den vorderen Raum aus. Zugleich hing ihm über der Schulter eine leichte Vogelflinte von enormem Kaliber. Trotzdem paßte zu dieser wahrhaft verzweifelten Armirung - das Gesicht des Mannes keineswegs, der mit seinen rothen Backen und treuherzigen blauen Augen gar gutmüthig und freundlich, ja sogar etwas erstaunt umherschaute. Möglich, daß er geglaubt hatte, er würde sich bei seiner Landung jeden Zoll breit des Bodens mit der blanken Waffe erkämpfen müssen, und er schien nun überrascht zu sein, nirgends auch nur auf den geringsten Widerstand zu stoßen. Komisch aber wurde sein Erscheinen durch seine vier Begleiter, zu denen er sich - vielleicht absichtlich - den kleinsten Menschenschlag schien ausgesucht zu haben. Die vier kleinen Burschen, die ihm folgten, und von denen keiner selbst das Militärmaß haben konnte, trugen dabei ebensolche Bärte und Kleider wie er, - nur allerdings im verjüngten Maßstab, - auch fehlte ihnen der Pallasch, denn ihre Bewaffnung begann bei dem Hirschfänger, der auch besser zu ihrer Statur paßte. /67/

Sonst waren sie gleichfalls reichlich mit Dolchen und Pistolen versehen, und zogen dabei einen kleinen vierrädrigen Handkarren, wahrscheinlich mit ihrem Gepäck. Ein großer und vier kleine Koffer standen wenigstens darauf, von einer Garnitur von Schaufeln, Spitzhacken, Blechpfannen, Kochgeschirr und Regenschirmen umgeben, und die vier kleinen Riesen, von denen zwei wahrscheinlich abwechselnd zogen und die anderen beiden mit der Flinte auf der Schulter als Wache hinterdrein gingen, folgten dem großen vertrauensvoll, wohin er sie führen würde.

Es waren übrigens unverkennbar Deutsche - schon die baumwollenen Regenschirme verriethen das, hätte sie auch nur ein Zug ihrer Mienen oder ein Stück ihrer Kleider Lügen gestraft, und still und schweigend, ohne sich um irgend Jemand zu bekümmern, schritten sie über die Plaza hin und verschwanden bald in einer der nach Westen führenden Beistraßen.

In diesem Augenblick erschien Herr Hufner wieder auf dem Schauplatz, und zwar in Schweiß gebadet, und ängstlich überall nach der wunderlichen Gestalt Ballenstedt's umhersuchend. Der aber war nirgends mehr zu finden, und auf einige, in höchst mittelmäßigem Englisch gethane Fragen an Vorübergehende, schickte man den bestürzten jungen Mann rasch hinter dem kleinen Trupp der Bewaffneten drein. Hier erkannte Hufner allerdings gar bald, daß er sich geirrt. Ballenstedt war aber in diesem Gewirr von Menschen nicht mehr aufzufinden, und die Deutschen, an die er sich wandte, wußten ihm ebenfalls keine Auskunft zu geben. Der Schaden ließ sich jedoch ersetzen; ja vielleicht war er im Stande, seine Aussichten um ein Bedeutendes zu verbessern, wenn er sich dieser Caravane anschloß. Bekam er dadurch doch auch zu gleicher Zeit Gelegenheit, sein schweres Bündel, das ihn schon tüchtig heiß gemacht, auf eine Fuhre zu bringen. Ohne Weiteres wandte er sich auch deshalb an den Führer des kleinen Trupps und sagte:

„Hört einmal, Landsleute, - ich habe eben meinen Kameraden verloren, mit dem ich in die Minen wollte. Wenn's Euch aber recht ist, so bleib' ich bei Euch, und wir können dann „da oben" zusammen arbeiten." /68/

„Und wo haben Sie Ihre Waffen?" frug da der Riese, der zu Hufner's Erstaunen eine ganz merkwürdig feine und weiche Stimme hatte.

„Meine Waffen?" fragte dieser etwas verblüfft, - „Waffen habe ich gar keine, mein Brodmesser ausgenommen und eine kleine Pistole hier. Sie ist aber nicht geladen, denn ich fürchte, sie möchte mir einmal von selber in der Tasche losgehen. In Bremen ist neulich so ein Unglück vorgefallen."

„Keine Waffen?" rief da der Niese und machte vor lauter Erstaunen Front gegen ihn, „und womit wollen Sie sich denn da vertheidigen?"

„Ja," stotterte Herr Hufner - „ist es – ist es denn so gefährlich in den Minen oben? - Ich glaubte -"

„Gefährlich?" wiederholte jedoch mit einem fast mitleidigen Achselzucken der Riese, - „sehen Sie uns einmal an. Glauben Sie, daß wir bis an die Zähne bewaffnet ausrücken würden, wenn es nicht gefährlich wäre?"

„Aber Ballenstedt hat nur einen Regenschirm und eine Schaufel bei sich," sagte Herr Hufner bestürzt.

„Armer Mann," seufzte leise der Riese, - „wer weiß, unter welchem Baum seine Knochen in den nächsten Tagen bleichen werden. Wir gedenken uns jeden Abend ordentlich zu verschanzen. In ein paar Stunden können wir Fünf schon einen tüchtigen Wall auswerfen, und sind auch gern gesonnen, noch mehr tüchtige Besatzung zu uns stoßen zu lassen; aber wehrhafte Männer müssen wir haben. Mit dem Schirm da können Sie sich nicht vertheidigen, und selbst Ihr Terzerol ist nicht genügend. Unter diesen Umständen thut es mir also leid, Sie nicht meiner kleinen Schaar einverleiben zu dürfen; es ist gegen unsere Statuten."

„Aber da kann ich doch nicht ganz allein –“

„Bedauere sehr," unterbrach ihn der Gewaltige, - „hier in Californien hat aber Jeder für sich selber zu sorgen. Achtung, Ihr Leute - Ordnung beibehalten - vorwärts - marsch!" Und gegen Herrn Hufner freundlich und huldreich die linke Hand neigend, machte er eine militärische Schwenkung, warf den rechten Arm in die Höhe und stellte sich wieder an /69/ die Spitze des Zuges, der im nächsten Augenblick seinen unterbrochenen Weg fortsetzte.

 

Herr Hufner blieb noch eine ganze Weile unschlüssig auf derselben Stelle stehen, aus der ihn jene verlaßen hatten, und der Gedanke stieg in ihm auf, ihnen von Weitem zu folgen und sich wenigstens den Schutz ihrer Nähe zu sichern. Angeborene Bescheidenheit verwarf das aber wieder, denn er wollte nicht zudringlich erscheinen, und er kehrte endlich, da eine Menge Menschen gegen ihn anrannten, wieder in sein eben verlassenes Quartier zurück. Unter solchen Umständen durfte er natürlich nicht wagen, allein in die Minen zu wandern, und es blieb ihm jetzt nichts weiter übrig, als sich Waffen anzuschaffen und irgend eine andere Gesellschaft abzuwarten, der er sich mit Sicherheit anschließen konnte.

Auf der Plaza nahm indessen das geschäftige Leben, trotzdem daß die Sonne sich mehr und- mehr dem Horizont neigte und ihre rothe Scheibe schon hinter dem Rand der Küstenberge verschwand, noch nicht ab. Von allen Seiten wogten die Menschen herüber, und hinüber, und schwergeladene Karren kamen ununterbrochen vom Ufer herauf, gelandete Passagiergüter in die verschiedenen Kosthäuser - oder vielmehr Kostzelte - abzuliefern. Die Einwanderung war gerade in dieser Zeit außerordentlich beträchtlich, denn die ersten glänzenden Nachrichten von der Entdeckung uud dem Reichthum der Goldfelder hatten draußen in der Welt gewirkt, und von allen Welttheilen zugleich kamen die Abenteurer herbeigeströmt, jene fabelhaften, in ihrer Einbildungskraft noch verhundertfachten Schätze auszubeuten. Zehn bis zwölf Schiffe an einem Tage waren etwas ganz Gewöhnliches, und verhinderte der Wind manchmal die Fahrzeuge einzulaufen, so überstieg ihre Zahl, sobald er sich wieder günstig drehte, gar nicht selten zwanzig. Die große Mehrzahl von all' den Passagieren, die sie mitbrachten, sahen aber San Francisco nur eben als ersten Landungsplatz an, in dem sie sich keine bleibende Stätte suchen wollten. Ihnen waren die Berge das Ziel, das sie so rasch als möglich zu erreichen strebten, und sie hätten vielleicht nicht einmal die erste Nacht in einem Kosthause geschlafen, vor dessen hohen Preisen sie sich fürchteten, /70/ wäre ihnen nicht das eigene Gepäck im Wege gewesen. - Aber wohin mit dem? - ihre Koffer und Kasten konnten sie nicht mit in die Minen schleppen, und sie mußten wegen deren jetzt schon suchen irgendwo ein Unterkommen zu finden. So waren die meisten Passagiere der Leontine den ganzen Nachmittag herumgelaufen, um eine sichere Niederlage für ihr Gepäck aufzutreiben, aber ohne Erfolg. Die Wirthe erklärten sich allerdings bereit, das Gepäck in Verwahrung zu behalten, - aber einstehen konnten sie nicht dafür - ihm nicht einmal mehr Schutz gegen Regen geben, als das etwas zweifelhafte Zeltdach gewährte. Die Lagermiethe betrug nichtsdestoweniger einen Dollar für einen Koffer per Monat, und zwei Dollar für eine Kiste.

Aber das half nichts, - hatten sich die Leute daheim, Tausende von Meilen entfernt, von Freunden und Verwandten, von Allem losgerissen, an dem ihr Herz hing, so konnten sie sich hier nicht von einem Koffer oder einer Kiste festhalten lassen. In irgend einen ihnen angewiesenen Verschlag von Leinen oder Brettern wurden deshalb die verschiedenen Colli hineingeschleppt; der Wirth stellte einen Zettel aus, daß er das und das Stück erhalten, „aber weiter nicht dafür hafte", und fort zogen die Goldlustigen in die Minen - selbst ohne Abschied von ihrem Gepäck zu nehmen - und doch, in wie wenig Fällen sahen sie es wieder.

„Fort in die Minen!" hieß der allgemeine Ruf, und die wenigen in San Francisco damals noch erscheinenden Zeitungen steigerten die Hast mit jedem Tage durch immer neue, immer fabelhaftere Berichte frisch entdeckter Schätze. Jede Stunde, die die „Goldwäscher" noch hier ausharren mußten, hielten sie für verloren, und in rastloser Ungeduld durchstreiften sie die Stadt, als ob sie mit dem Umherwandern die Zeit selber betrügen könnten. Gerade diese Tausende aber, die solcher Art ohne Beschäftigung in San Francisco lagen und am nächsten Tage wieder großen Theils von Anderen ersetzt wurden, füllten die zahlreichen Spielsäle, von denen es schon eine enorme Anzahl in der Stadt gab. Einmal konnten sie dort am besten ihre Zeit verkürzen, da es die einzigen Plätze waren, auf denen man sich zusammenfand, und dann blieb es zu¬/71/gleich ein Beginn des Goldlandes, - ein Probirstein, wie günstig ihnen das Glück in den Minen sein würde. „Jedenfalls," hieß es, „müsse man Fortunen einmal die Thür öffnen und ihr Gelegenheit geben herein zu kommen," und fünfzehn bis zwanzig - ja auch wohl mehr Dollar - opferte fast Jeder auf den Tischen. Daß dort falsch gespielt wurde, fiel ihnen natürlich nicht ein. Die Leute sahen so ehrlich aus, - das Spiel selber ging einen so geregelten Gang, ein Betrug konnte ja da kaum vorkommen - und doch verschwand ihr Geld. „Es hat nicht sein sollen," trösteten sie sich dann, und wohl ihnen, wenn sie es damit aufgaben.

5.

Ein Abend in San Francisco.

Die Nacht brach an, und wie sich in jenen Ländern gleich nach Sonnenuntergang die Dunkelheit rasch und fast plötzlich auf die Erde legt, so unterbrach sie auch hier das geschäftige Treiben der Menge. Die Karren verschwanden; die Lastträger, die, meist mit ihrem eigenen Gepäck, durch die Straßen gekeucht waren, brachten ihre Bürden unter, so gut das in der Eile ging, und die hell erleuchteten Spielsalons der Plaza sandten jetzt ihren vollen strahlenden Glanz durch die geöffneten Thüren aus in's Freie. Lockten sie mit diesem doch jetzt mehr Menschen heran, als in dem Hhellen Tageslicht, wo die Meisten überdies andere Beschäftigung hatten. Jetzt war fast Jeder frei, und in die zurückgeschlagenen Zelte und geöffneten Pforten strömten Schaaren von Menschen.

Das Parkerhaus, das zu jener Zeit den geräumigsten und bestdecorirten Saal aufwies, strahlte besonders in heller, lichter Pracht, und um sämmtliche Spieltische - deren jeder einzelne einen enormen Pacht zahlen mußte - drängten sich /72/ Leute, und hier galt weder Rang noch Stand - nur Gold.

Wieder kreischten dazu oben auf dem Orchester die Violinen, schmetterten die Trompeten und donnerten die Pauken, und durch den weiten, menschengefüllten Saal lief das dumpfe Murmeln der Menge, klang der Laut der springenden Münzen, und tönte manchmal der gellende Jubelschrei eines glücklichen Spielers, oder der lästerliche Fluch eines Verlierenden. Zuweilen knallte auch ein Champagnerpfropf dazwischen - leicht gewonnenes Geld mußte auch leicht vergeudet werden - und die Gläser der Zechenden klirrten zusammen. Aber den Gang des Spiels konnte das nicht unterbrechen, und den alten abgefeimten Spielern war das sogar ein angenehmer Ton. Die Leute, die dort ihr Geld verpraßten, glaubten, sie hätten es gewonnen, und doch war es nur geborgt, denn in einer Stunde brachten sie es, den Feuerwein in ihren Adern, gewiß mit Zins und Zinses zins an die Bank zurück.

Mitten durch diese Tische, weder das Spiel noch den Saal selber weiter eines Blickes würdigend, drängte sich ein Mann, und schon die Hast, mit der er es that, fiel hier um so mehr auf, da Niemand Eile hatte. Man war hier eben hereingekommen den Abend zu verbringen, und Schritt für Schritt alle Augenblicke an einer oder der anderen Stelle Halt machend, wogte der Menschenschwarm auf und ab im Saal. Wer da schneller vorwärts wollte als die Uebrigen, mußte natürlich die ganze Ordnung stören.

„Hallo," brummte ein Mann in einer blauen Blouse, den der Eilige etwas derb zur Seite geschoben hatte, indem er sich mehr erstaunt als ärgerlich nach ihm umsah - „na, Du wirst Dein Geld doch in diesem verbrannten Neste noch früh genug los werden, daß Du in solcher Hast danach rennst. Was der Narr läuft!"

„Hat sich gewiß neuen Baarvorrath geholt," lachte ein Anderer - ein Bursche, der einem Strauchdieb weit ähnlicher sah als einem ehrlichen Menschen - „wenn er zurückkommt, geht er langsamer - er ist noch grün."

„Je früher sie ihm dann die Flaumfedern ausrupfen, desto /73/ bester," sagte der in der Blouse, und drehte sich wieder einem der nächsten Tische zu, das Spiel zu beobachten.

Der Fremde hörte wahrscheinlich diese Bemerkungen gar nicht, oder, wenn so, achtete er ihrer nicht, denn unaufhaltsam drängte er vorwärts, und sein ängstlich dabei umherschweifender Blick schien irgend Jemanden im Saale zu suchen.

„Hier, Sir - hier ist der Platz, Ihre Taschen voll Gold zu gewinnen!" rief ihn wohl hier und da einmal ein gerade nicht beschäftigter Spieler von einem oder dem andern Tische an, konnte ihn aber nicht aufhalten, bis er plötzlich den, den er suchte, an einer Säule lehnend entdeckte und sich nun rasch zu ihm hinarbeitete.

„Siftly!" rief er dabei, als er die Schulter des Mannes berührte - „ich habe ihn gefunden!"

„Heda, Hetson?" sagte der Amerikaner, sich langsam nach ihm umdrehend - „Mensch, was hast Du, - Du siehst ja leichenbleich aus!"

„Er ist da!" - war die einzige Antwort, die er bekam, und der junge Mann wandte scheu den Kopf, als ob er das gefürchtete Schreckbild schon auf seinen Fersen glaube.

„Er? - wer?" frug aber sein Freund ruhig, der andere Sachen im Kopfe und die vorige Mittheilung des Mannes schon wieder vergessen hatte.

„Charles Golway!" flüsterte da Hetson in sein Ohr, und sah ihn mit einem Blicke an, als- ob er sein Todesurtheil von ihm erwarte.

„Charles Golway?" wiederholte erstaunt der Amerikaner. - „Ach - der Bräutigam?"

„Bst -um Gottes willen!" bat Hetson und drückte seinen Arm.

„Ach, sei kein Thor," lachte der aber. - „Wer kennt hier den Burschen oder Deine tollen Grillen, und wenn man sie kennte, wer kümmerte sich darum? Komm, laß den sein, wo er will und setze jetzt - der Tisch hier hat heut Abend schmähliches Unglück, und ich glaube, Du hättest keine bessere Stunde wählen können, Dich von heute Nachmittag her zu revanchiren."

„Laß mich um Gottes willen mit Deinem Spiel," bat aber /74/ Hetson, seinen Arm nur fester fastend. „Was soll ich thun? - gieb mir Deinen Rath."

„Und wenn ich Dir ihn gebe, befolgst Du ihn doch nicht."

„Versuch's!"

„Gut - das aber ist auch mein letztes Wort in der langweiligen Geschichte: - Laß ihn laufen und bekümmere Dich so wenig um Charles Golway in San Francisco oder Californien, als ob Charles Golway im Monde säße."

„Du weißt nicht -"

„Ich weiß genug, um Dich ernstlich zu bitten, Dir alle solche albernen Ideen aus dem Kopfe zu schlagen. Kommt er Dir in den Weg und merkst Du, daß er mit Deiner Frau anbinden will, so schieß ihn über den Haufen - weshalb läuft der Narr hinter dem Weibe eines andern Mannes drein. Ist er aber nur aus Zufall hierhergekommen -"

„Aus Zufall?" unterbrach ihn rasch und bitter der Unglückliche - „er ist uns von Valparaiso aus direct gefolgt."

„Von Valparaiso aus? Ich glaubte, Du hättest ihn auf eine australische Fährte gebracht?"

„Er muß jedenfalls die Wahrheit erfahren haben," stöhnte Hetson, „und schon diese Hast bestätigt meinen schlimmsten Verdacht. Das Schiff, mit dem er angekommen, ist drei Tage später von Valparaiso ausgelaufen als wir selber, aber schon vorgestern, also zwei Tage früher als wir selber, hier eingetroffen."

„Sein Schiff wird bester gesegelt sein als das Eure," brummte der Amerikaner - „aber wir vergeuden die kostbare Zeit hier mit reinem Unsinn. Willst Du spielen?"

„Laß mich mit Deinem Spiel zufrieden," sagte abwehrend der junge Mann - „ich habe es nie geliebt, und bin jetzt wahrlich nicht in der Stimmung, es zu beginnen. Hilf mir lieber den Fremden hier in diesem Gewirr einer Stadt aufsuchen."

„Daß ich ein Narr wäre!" lachte Siftly. „Wenn Du Dich mit nichts Besserem beschäftigen willst, kann Dir das natürlich Niemand verwehren, mir aber erlaube meine Zeit nützlicher anzuwenden."

Damit drehte er dem Freund den Rücken und wandte sich einem der anderen Tische zu, während Hetson, sich selber über¬/75/lassen, allein zurückblieb. Hier aber hatte er keine Ruhe, und mit einem scheuen Blick über seine nächste Umgebung drängte er der hinteren Saalthür zu, um seine Frau im oberen Theil des Hauses aufzusuchen.

Er fand sie allein in der noch dunkeln Stube mit gefalteten Handen auf ihrem Bett sitzen - wußte sie, daß ihr früherer Bräutigam angekommen war? - hatte sie ihn vielleicht schon gesehen - gesprochen? - Hetson wagte den Gedanken nicht auszudenken und trat nach kurzem Gruß an das Fenster und sah auf den dunkeln Platz hinab.

 

„Hetson," sagte da die Frau mit leiser Stimme - „fehlt Dir etwas?"

„Mir? - nein - warum?"

„Du bist so still. Ist Dir etwas Unangenehmes begegnet?"

„Nicht daß ich wüßte, Kind," sagte Hetson, das Herz jedoch zum Zerspringen voll - „aber Du bist noch im Dunkeln? - warst Du allein?"

„Unser Schiffsarzt, der alte wackere Doctor Rascher, war den Nachmittag auf kurze Zeit bei mir," sagte die Frau, indem sie zu dem Tisch ging und eine dort stehende Kerze anzündete. „Ich freue mich, daß wir ihn im Hause haben. Hier in dem wilden fremden Leben gewinnt ein Freund doppelten Werth."

„Du fühlst Dich nicht wohl hier?"

„Wohl?" seufzte die Frau, und warf einen wehmüthig lächelnden Blick in dem kleinen Gemach umher, in dem ihr Gepäck noch wild und unordentlich umhergestreut stand. Befand sich doch nicht einmal ein Möbel darin, selbst nur das Nothwendigste unterzubringen. Ein großes Bett, ein Tisch und zwei Stühle bildeten das ganze Ameublement, und Alles schien von neuen, kaum gehobelten Brettern nur erst frisch und nothdürftig zusammengefügt. Von Tapeten war dabei keine Spur; nicht einmal die Fensterrahmen oder Thüren hatte man bis jetzt Zeit gehabt anzustreichen, und Decke, Diele und Wände bestanden eben nur aus nacktem Tannenholz, gegen das der Mahagonitisch und die beiden Kirschbaumstühle eben nicht freundlich abstachen. - „Wie kann man sich hier wohl fühlen, Frank? Und dazu der ununterbrochene wilde und wüste Lärm, /76/ das ewige Thürenzuschlagen, bei dem jedesmal das ganze Haus zittert und die Fensterscheiben klirren - das Rennen der Leute in den Gängen, als ob sie fortwährend irgend ein geschehenes oder gefürchtetes Unglück in Aufregung hielte. - Ich wollte, wir wären nicht nach Californien gegangen."

Der Mann erwiderte kein Wort. Er war zum Tisch getreten und hielt Stirn und Augen mit seiner rechten Hand bedeckt. Als die Frau aber zu ihm aufschaute, konnte ihr die Blässe nicht entgehen, die seine Züge überzogen hatte, und in plötzlicher Angst seinen Arm ergreifend, rief sie rasch:

„Um Gott, Frank - Du bist krank - Dein Antlitz ist todtenbleich - was ist geschehen?"

„Nichts, mein Herz," sagte leise der Mann - „ich bin nur müde vom vielen Umherlaufen. - Aber Du hast Recht; der Aufenthalt hier in diesem eingezwängten, ungemüthlichen Raume kann Dir nicht angenehm, ja muß Dir unerträglich sein - scheint er doch selbst schlimmer noch, als der an Bord, und doch befinden wir uns hier in dem größten und wohnlichsten Gebäude der ganzen Stadt. Je eher wir also San Francisco verlassen, desto bester, und ich will schon morgen Anstalten dazu treffen."

Die Frau hatte die Worte kaum gehört, denn ihr Blick hing noch immer an den zerstörten Zügen des Gatten, dessen Aufregung ihr kein Geheimniß bleiben konnte.

„Sage mir, was Du hast, Frank," flüsterte sie, sich leise an ihn schmiegend. „Dir ist etwas geschehen, Du magst es leugnen wie Du willst; ich sehe es an Deinem ganzen Wesen, an dem Zittern Deiner Glieder. Vertraue es mir, bei meiner Liebe zu Dir beschwöre ich Dich, und - laß mich nicht, mit dieser freudlosen Außenwelt, noch fürchten müssen, daß ich - auch Dein Vertrauen verscherzt habe."

Hetson ließ seine Hand langsam sinken und blickte einen Moment scharf und forschend in die Augen seines Weibes. So treu und unschuldig schauten ihn diese aber an, sie könnte nicht falsch sein - konnte nicht - noch nicht wenigstens - um die Nähe des früheren Geliebten wissen. Aber sollte er selber ihr jetzt sagen, daß er angekommen, daß er da sei? War cs nicht möglich, daß sie ihm doch noch entgehen, doch noch /77/ die sicheren Berge erreichen konnten, ehe der Verfolger auf ihre Spur kam?

„Frank -" bat die Frau - „was hast Du? - was bewegt Dich? - Sind es die alten Träume und Sorgen, die Dir den Sinn trüben? - Ich hoffe nicht. Hab' ich nicht Alles gethan, was in meinen Kräften stand, Dir zu beweisen, wie die Vergangenheit todt für mich ist, und ich nur Dir gehöre - nur Dir gehören kann? - Bin ich Dir nicht selber in das abgelegene Land gefolgt, und verlangst Du einen stärkeren Beweis meiner Liebe?"

„Abgelegen?" flüsterte Hetson verstört vor sich hin - „nicht abgelegen genug, daß jener Unglückselige nicht hierher den Weg finden sollte."

„Glaube das nicht," bat aber tröstend die Frau. „So wie ich Charles kenne, glaube ich überzeugt zu sein, daß er jeden Versuch mich wiederzusehen ausgeben wird - sobald er nur erst erfahren, daß ich eines Andern Weib bin."

„Charles," zischte Hetson durch die zusammengebissenen Zähne vor sich hin.

„Stört Dich der Name, Frank?" bat die Frau leise, indem sie ihren Kopf an seine Schulter legte „denke, wie lange ich seiner nur unter dem Namen gedacht, daß mir der andere fast fremd geworden. - Aber auch das will ich vermeiden, und gebe Gott, daß nicht einmal Mr. Golway mehr zwischen uns genannt zu werden braucht."

„Ich glaube Dir - ich glaube Dir," flüsterte erregt der Mann, „aber wird er selber dafür sorgen, daß das nicht geschieht? - Du traust ihm zu viel Edelmuth - zu viel Kraft der Entsagung zu."

„Nein, Frank, gewiß nicht," sagte zuversichtlich die Frau. „Wenn Du Dich nur selber dieser trüben, unseligen Gedanken entschlagen könntest, würdest Du auch wieder froh und heiter werden. Muthwilliger hat sich noch Niemand das Leben verbittert als Du selbst, und während Du -"

„Muthwilliger?" unterbrach sie der Gatte, indem er sich rasch und heftig emporrichtete „muthwilliger sagst Du? Glaubst Du, das Schreckgespenst, das mich die ganze lange Reise über gequält, gehöre nur der Phantasie - gehöre nur /78/ meiner kranken, überspannten Einbildungskraft an, wie Du mich immer glauben machen wolltest? Er ist hier."

„Wer, Frank, um Gottes willen wer?" frug die Frau zum Tod erschreckt.

„Wer? - Dein Charles, wenn Du denn wirklich noch nichts von seiner Anwesenheit weißt. Er ist Dir gefolgt - zu welchem andern Zweck, als Dich mir abtrünnig zu machen?"

„Es ist nicht möglich," hauchte die Frau und trat erblassend einen Schritt zurück.

„Nicht möglich?" wiederholte Hetson mit fest aufeinander gebissenen Zähnen - „und doch kann ich Dir das Schiff nennen, mit dem er drei Tage später als wir selber von Valparaiso ab- und uns nachgefahren ist. Er hat sich nicht einmal Zeit genommen, in Chile von der langen Reise zu rasten, und die erste Gelegenheit benutzt, seine Pläne durchzusetzen."

Die Frau erwiderte kein Wort, sondern barg erschüttert das Antlitz für einen Augenblick in den Händen. Es war aber auch nur ein Augenblick, denn rasch richtete sie sich wieder empor und rief:

„Und wenn er hier wäre, Frank, hast Du so wenig Vertrauen zu Deinem Weibe, daß Du Dir solche Sorgen, solchen Kummer machst?"

„Es war Deine erste Liebe," flüsterte scheu der Mann. „Nur wenige Stunden lagen dazwischen, und er fand Dich noch frei - frei, Deine Hand Dem zu geben, zu dem Dich Dein Herz zog. Ich selber bin Dir solcher Art nur aufgedrungen in blindem Zufall angetraut. Ich weiß, daß ich ein Gut halte, das nicht mein gehört, und - bin nicht im Stande, es wieder aufzugeben."

Der Mann war außer sich, und in dem Gefühl des furchtbarsten Schmerzes, der ihm die Brust durchzuckte, warf er sich auf das Bett und barg sein Antlitz in dem Kissen.

Die Frau war starr und regungslos in ihrer Stellung geblieben, ihm nur mit den Augen folgend. Glitten denn nicht vor ihrem inneren Blick jetzt all' die alten, mit Gewalt fast unterdrückten Bilder vorüber, die er mit thörichtem Leichtsinn selbst zu neuem Leben weckte? Ja - sie hatte jenen ersten Freund ihrer Jugend geliebt - geliebt mit aller Kraft, /79/ deren ihr starkes Herz fähig war, und jener erste Augenblick, in dem sie erfuhr, daß er noch lebe, daß er nicht für sie verloren gewesen und sie nur durch ihr eigenes am Altar gesprochenes „Ja" jetzt für immer unwiederbringlich von ihm geschieden sei, stand in dem Moment mit neuer furchtbarer Schärfe vor ihrer Seele. Aber Hetson war ihr Gatte - freiwillig hatte sie ihm die Hand gereicht - sie wußte, mit welcher treuen, innigen Liebe er an ihr hing, und wie sie die Hand fest und krampfhaft auf ihr Herz drückte, drängte sie auch das letzte fremde Gefühl zurück, das dort noch - vielleicht - zwischen ihr und dem Gatten gestanden hatte. Leise, als fürchtete sie ihren eigenen Schritt zu hören, trat sie zu dem Bett, auf dem der Gatte saß; leise legte sie ihren Arm um seinen Nacken und flüsterte:

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»