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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika

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»Das aber dürfen Sie nicht von Allen sagen,« lachte Leifeldt, »sehen Sie z. B. das reizende Wesen, das uns hier gerade mit dem kleinen Knaben, vielleicht einem Bruder, entgegenkommt – das müssen Engländerinnen sein, aber ich habe wahrlich nie im Leben ein schöneres Mädchen gesehen.«

Don Gaspar folgte mit seinen Augen der ihm von Leifeldt angegebenen Richtung und sah ein wirklich reizendes junges Mädchen die Straße herauf und ihnen entgegenkommen. Sie hatte eine alte, wie es schien kränkliche Dame, die sie sorgsam leitete, am Arme, und ein kleiner, vielleicht dreijähriger Knabe lief vor ihnen her.

»Sieh, Jenny, liebe Hündchen da drüben,« sagte der Kleine plötzlich in seinem noch halbgebrochenen Dialekt zu der Jungfrau, und zeigte mit dem einen dicken Patschchen nach der Straße hinüber, auf der ein schwarzes Wachtelhündchen nach einem eben landenden Boot laut hinunterkläffte und sprang, und mit dem Schwanze wedelte – »das hol ich mir.«

Die Freunde waren indessen bis dicht vor die beiden Damen gekommen, und als sie, ihnen Raum machend, vorüber schritten, sagte Jenny, wie sie von dem kleinen Burschen angeredet worden, ermahnend:

»Laß das Hündchen, Bill, es könnte Dich beißen – und Du darfst auch nicht allein auf den Fahrweg gehen – komm her zu mir.«

Es ist unbestimmt, ob Bill die Warnung hörte, oder nicht, aber darauf achten that er keineswegs, denn das Hündchen war gar zu lieb und herzig, und Bill mochte das Langsamgehen hinter der alten, kranken Großmutter her auch schon herzlich satt bekommen haben; so unter den Händen fort, mit den kleinen unbehülflichen Beinchen lief er hinaus, den lebhaften schwarzen Burschen da vorn zu sich heran zu holen.

»Guardar se – guardar se!«9 schrie es in dem Augenblick die Straße nieder und lautes Wagengerassel wurde hörbar.

»Bill!« rief die Stimme des jungen Mädchens in Todesangst, als sich dieses umschaute, und das Kind auf der Straße sah, ohne im Stande zu sein die Mutter loszulassen, »Bill, for God's sake10

Leifeldt und Don Gaspar waren bei dem Schreckensruf rasch stehen geblieben, und der letztere machte sich von Leifeldts Arme los, die Straße freier überschauen zu können. Aber sie brauchten nicht lange auf die Ursache des Tumultes zu warten, denn fast in dem nämlichen Augenblick donnerte auch schon eine der gewöhnlichen Droschken, von den rasend gewordenen Pferden in vollem Carrière mit fortgerissen, die Straße hinauf und Leifeldt erkannte mit Entsetzen, wie der nächste Moment hier an dem engsten Paß des ganzen Weges, das Kind unter den Hufen der wild aushauenden Renner zerschmettern müsse. Ehe auch nur Jemand im Stande gewesen wäre, hinauszuspringen, das Kind der Gefahr zu entreißen, brausten die wüthenden Thiere heran, und ein allgemeiner Schrei des Entsetzens rang sich schon aus der Brust der zitternden Zuschauer, die wirklich ganz die eigene Gefahr in dem gewiß vorauszusehenden Untergang des Kindes vergaßen, als sich Don Gaspar, ohne Laut, ohne Ruf, die Gefahr nicht kennend, der er sich aussetzte, oder sie total verachtend, von dem Trottoir hinüber und schräg an gegen den Kopf des Sattelpferdes warf, daß dieses im Ansprung hoch auffuhr und nach ihm niederhieb. Hatte aber das andere Pferd den ausgestreckten linken Arm des Anspringenden gesehen, oder fühlte es den plötzlichen Druck des gegengeworfenen Gewichts, aber es fuhr rechts hinüber, und während Don Gaspar den Zügel des Thieres in der Aufregung des Moments viel zu fest ergriffen hatte, so rasch wieder loslassen zu können, rissen ihn die wüthenden Thiere mit über die niedere hölzerne Barrière hinüber, die vor ihrem Anprall zusammenbrach, der Wagen schmetterte und bröckelte hinterdrein, und während das wüthende Gespann über die rauhen, hier aufgeworfenen Steinmassen setzte, und vergebens versuchte, das zwischen den Steinen hängenbleibende Vordertheil des zerstückelten Wagens rasch genug herumzubringen, dem jetzt so unverhofft vor ihnen ausdehnenden Wasser zu entgehen, in das sie gleich darauf mehr hinein stürzten, als sprangen, sank auch Don Gaspar, blutend und ohnmächtig auf dem Damme nieder, – aber das Kind war gerettet.

So rasch war aber das Ganze, hier eben Beschriebene geschehen, so plötzlich hatte das Einspringen des jungen Mannes die Tod drohenden Thiere zur Seite geworfen, daß die Gefahr schon längst vorüber war, als noch die Zuschauer starr und ängstlich nach dem jetzt selbst erschreckten Kind hinüber schauten, und erst als Leifeldt zusprang, den Knaben aufgriff und seiner jungen Schützerin brachte, erst als diese, neben der Mutter auf die Knie fiel, und den geretteten Liebling mit einem heißen Dankgebet an das Herz schloß, da erst war es, als ob sich der Zauber löse, der wie ein entsetzlicher Bann auf der Menge gelegen, und ein förmlicher Jubelschrei dankte der kühnen That.

Während einzelne der Männer jetzt hinüber sprangen, den Verwundeten aufzuheben, zu dem sich Leifeldt ebenfalls wenden wollte, wurde er durch einen Ausruf der Angst, von der Jungfrau Lippen aufgehalten, und hatte eben noch Zeit zuzuspringen, und mit dieser die alte Dame aufzufangen und vor schwerem Fall zu bewahren, die, starr vor Schreck, als sie die Gefahr des Enkels bemerkte, jetzt, als die furchtbare Erregung des ersten Augenblicks vorüber war, bewußtlos zusammenbrach.

Der junge Arzt hob die Ohnmächtige leicht auf seinen Arm, stand aber einen Augenblick wirklich unschlüssig da, denn wie konnte er den Freund hier, blutend und ohnmächtig zurücklassen, und was indessen mit der alten Dame anfangen? —

»Dort hinauf!« flüsterte da die leise, bittende Stimme des Mädchens, »nur wenige Häuser von hier entfernt wohnen wir, und Ihr Freund, unser Schutzengel, kann dort Pflege und Beistand finden.«

»Gott sei Dank,« sagte Leifeldt wirklich aus tiefstem Herzen, und den Peons11, die den Ohnmächtigen aufgehoben hatten und über die Straße trugen, zurufend, ihm rasch damit zu folgen, eilte er, so schnell es seine Last erlaubte, dem bezeichneten und gar nicht fernen Hause zu.

5
Die Englische Familie

Während der junge Arzt nun die alte Dame rasch die Treppe hinauftrug und die nöthigsten Anordnungen traf, sie wieder ins Leben zurückzurufen, wurde der Verwundete unten im Haus, in ein kleines, freundliches Stübchen gelegt, und die Ohnmächtige jetzt der Sorgfalt der Tochter und einiger Dienstleute überlassend, eilte er wieder hinunter zu dem Freund, nach dessen Wunden zu sehen.

Diese waren jedoch nicht im mindesten gefährlich; nur ein Schlag des Pferdes wahrscheinlich, hatte ihn am Kopf getroffen und betäubt, und einzelne andere, aber ebenfalls unbedeutende Quetschungen rührten jedenfalls von dem letzten Sturz auf die rauhen scharfkantigen Sandsteine des Strandes her. Schon nach den einfachsten Belebungsversuchen schlug auch Don Gaspar die Augen wieder auf, und schien nur im Anfang erstaunt und überrascht, ja fast bestürzt von seiner Umgebung. Erst schloß er die Augen wieder, dann aber, sich rasch emporrichtend, warf er den Blick scheu und forschend im Zimmer umher, und ließ ihn endlich mit einem wilden, fast unheimlichen Ausdruck auf dem Fenster haften, das, nach der gewöhnlichen Art der spanischen Wohnungen, mit starken Eisengittern versehen war, den Bewohnern der Parterrelokale in der heißen Jahreszeit besonders zu erlauben, auch die Nacht über ihre Fenster offen zu halten, ohne einen Einbruch fürchten zu müssen.

»Was ist dies für ein Haus? – was für ein Zimmer?« rief er endlich, und preßte seine Hände gegen die Schläfe, – »bin ich denn nicht? – Stierna, Sie hier? – wie ist mir denn, waren denn nicht die Pferde mit uns durchgegangen, und jetzt – hier wieder?« —

»Wo Sie sind?« lachte aber Leifeldt, der des holden Kindes gedachte, das er eben an der Mutter Bett verlassen – »in der Wohnung eines Engels und aufgehoben wie in Abrahams Schooß – aber das nehmen Sie mir nicht übel, Gaspar,« setzte er dann etwas ernster und mit freundlichem Vorwurf hinzu, »Sie gehen mit Ihrem Leben ungefähr gerade so um, als ob Sie jeden Monat ein anderes bekommen könnten, und dieses schon drei Tage über die Zeit getragen hätten. Wenn nicht Gottes Hand an diesem Nachmittag auf Ihnen lag, so mußten die wüthenden Pferde heute ausführen, wozu sich der Hai neulich nicht mehr hergeben wollte.«

»Die Pferde – ja, ja – Sie haben recht – Pferde waren es gewesen und ein junges Mädchen glaub' ich – oder ein Kind – Pest noch einmal, mich schmerzt die Stirn – ich fange jetzt an, mich auf die ganze Geschichte zu besinnen – und ist das Kind gerettet? – aber nehmen Sie mir doch den Verband wieder ab – ich kann doch nicht mit dem Tuch um den Kopf über die Straße gehen.«

»Das sollen Sie auch nicht,« erwiederte Leifeldt, »das Kind ist allerdings gerettet, denn Ihr toller Sprung war wie der Arm eines Engels, der den herzigen Knaben vom sicheren Abgrund fortriß, aber jetzt müssen Sie sich ebenfalls ein wenig schonen, wenigstens eine Zeit lang Ruhe gönnen, so bleiben Sie deshalb nur ruhig auf dem Bette liegen, es läßt sich hier aushalten, und ich will indessen wieder einmal hinaufgehen und nach der alten Dame sehen.«

 

»Ist noch Jemand beschädigt worden?« frug Don Gaspar rasch.

»Nein,« sagte Leifeldt, »nur ohnmächtig vom Schreck und der Aufregung – aber schlafen Sie selber ein wenig, es kann Ihnen nur gut thun, und in einem kleinen Stündchen komme ich herein und wecke Sie. Fühlen Sie sich dann stark genug, so können wir den Damen oben guten Abend sagen, und gehen dann zusammen zu Hause – sie werden es sicherlich nicht erwarten können, dem Retter des Kindes selber zu danken. Ruhig – keine Einrede,« sagte er lächelnd, als er sah, daß Gaspar dagegen protestiren wollte, »ich bin jetzt Ihr Arzt und Sie müssen mir gehorchen, also folgen Sie brav, und ich hoffe, daß ich Sie morgen wieder in bester Ordnung auf Ihren Füßen habe.«

Er nickte Don Gaspar noch freundlich zu und eilte, ohne weiter eine Antwort von ihm abzuwarten, rasch die Treppe hinauf, nach seinem andern Patienten zu sehen – und das süße Gift jener seelenvollen blauen Augen einzusaugen, die ihn schon jetzt, nach kaum einer ersten, flüchtigen Bekanntschaft ahnen ließen, welche Seligkeit, aber auch welch tiefes bitteres Weh das arme Menschenherz fähig sei in sich aufzunehmen – je nachdem nun gerade die Würfel fielen, die das Loos uns armer Sterblichen bestimmen.

Don Gaspar warf sich indessen auf sein Lager zurück, aber es ließ ihm dort nicht lange Ruhe, und wie von irgend einem peinlichen Gedanken gequält, stand er auf, zog sich an, und ging mit raschen Schritten in dem zwar etwas niedrigen, aber unendlich freundlichen Gemach auf und ab. Mehrmals versuchte er es, sich wieder niederzusetzen, aber ein flüchtig aufgeschlagener Blick trieb ihn wieder empor, und nach und nach ward es fast, als ob ihm das Zimmer hier zu enge werde, und die Brust nicht mehr athmen könne in dem eingepreßten Raum.

Das Gitter beunruhigte ihn.

Er sprang wieder auf und schritt, die Augen mit der Hand bedeckt, in dem Gemach auf und ab, wie ein gefangener Panther den Käfig mißt, der ihn hält; aber lange vermochte er nicht gegen dieß Gefühl anzukämpfen. Er ging nach der Thür und drückte vorsichtig auf das Schloß, als ob er fürchte, daß es verschlossen sein könne, und ein Ausdruck von wilder Freude zuckte blitzschnell durch seine Züge, als das Schloß dem leisen Drucke nachgab. Einen Augenblick horchte er hinaus auf den Gang – es ließ sich Niemand hören – die Leute waren alle oben beschäftigt, theils die nöthige Hülfe zu leisten, theils herauszubekommen aus der »Herrschaft,« wie denn die ganze Sache eigentlich gelaufen, damit sie auch den Zusammenhang der Geschichte fänden – dann griff er seinen Hut vom Tisch auf, schlich hinaus und verließ das Haus, als ob er ein Verbrechen begangen und nicht durch eine kühne That eine ganze Familie glücklich gemacht hätte, die gerade in diesem lieben Kind fast die einzige Freude fand, und durch den Verlust desselben, besonders in solch furchtbarer Art, entsetzlich elend geworden wäre.

Als Leifeldt schon nach Dunkelwerden das Zimmer wieder betrat, den Schlummernden, den er nicht hatte früher stören wollen, zu wecken und seinen neugewonnenen Freunden vorzustellen, fand er zu seinem Erstaunen den Vogel ausgeflogen und das Nest kalt.

Wenn er nun auch dies wunderliche Betragen nicht begriff, entschuldigte er doch oben den Freund, und versprach, ihn morgen früh, wenn er sich von dem kleinen Unfall vollkommen erholt haben werde, mitzubringen. —

»Aber weshalb war er nicht wenigstens einen Augenblick zu ihnen herauf gekommen?« – selbst die alte Dame frug nach ihm und wünschte ihn kennen zu lernen. Sie hatte sich vollkommen wieder erholt, hielt den Knaben auf ihrem Knie, und weinte und lachte, wenn sie an die furchtbare Gefahr dachte, der er, auf fast wunderbare Weise so glücklich entgangen.

Jedenfalls mochte er sich genirt haben, in dem Aufzug, mit durch den Sturz vielleicht zerrissenen Kleidern, mit verbundenem Kopf, sich ihnen zu zeigen – aber war das recht? – hatten sie nicht gerade das erste Anrecht ihn so zu sehen, und hieß das nicht die Bescheidenheit zu weit getrieben?

Leifeldt, der von den guten Menschen schon fast wie zum Hause selber gehörend, behandelt wurde, versprach ihn gleich nächsten Morgen einzuliefern, damit er Abbitte thun könne, verabschiedete sich dann aber auch selber, nach dem Freund, der jedenfalls zu Hause gegangen war, zu sehen, ob er vielleicht noch irgend etwas heute Abend bedürfe.

Leifeldt wurde übrigens keineswegs angenehm überrascht, als er in sein Hotel zurückkehrte, und den Freund, vollkommen wider Erwarten, nicht vorfand. Niemand hatte etwas von ihm gesehen – Niemand wußte von ihm, und vergebens durchlief er, bis spät in die Nacht, alle Straßen, die jener möglicher Weise berührt haben könnte, von den Wächtern vielleicht hie oder da etwas zu erfahren, das ihn wenigstens auf die Spur führen konnte – er blieb verschwunden – und selbst der nächste Morgen, der nächste Abend brachte den so räthselhaft Entwichenen nicht wieder zurück. Was in aller Welt konnte ihn bewogen haben, sich gerade heute, und in so wunderlicher Weise zu entfernen und war er nicht doch vielleicht etwa, von der Aufregung der letzten Stunden betrübt, irgend wo zusammengebrochen? —

Die Familie Newland, der Name der Frauen, denen die beiden Freunde am vorigen Tag so wesentliche Dienste geleistet, fühlten sich besonders geängstigt durch dies Verschwinden eines Mannes, dem sie so gern ihre Dankbarkeit bezeugt hätten, und Mr. Newland, ein Greis von einigen siebzig Jahren, ließ es sich nicht nehmen, selber auf die Polizei zu gehen, und dort die genauesten Nachforschungen nach dem Fremden anzustellen. Nichts destoweniger blieben alle derartige Versuche erfolglos, und eine volle Woche war schon vergangen, ohne auch nur eine Spur von Don Gaspar gebracht zu haben.

Leifeldt war indessen ein täglicher Besucher der Newland'schen Familie geworden und dachte, von diesen selbst dazu aufgemuntert, ernstlich daran, seinen bleibenden Wohnsitz in Valparaiso zu nehmen. Leifeldt war ein vorzüglicher Kinderarzt, und da ihn sein gutes Glück selbst in diesen ersten Tagen zwei sehr schwierige und gefährliche Fälle unter die Hände brachte, denen er sich natürlich mit Aufopferung all seiner Zeit und Kräfte hingab und die Kleinen auch, trotzdem daß sie von dem spanischen Arzte schon aufgegeben worden, dem Leben erhielt, schien der auf so eigenthümliche Weise eingeführte »deutsche Doctor« einen förmlichen Ruf zu bekommen.

Gegen das Ende der Woche erkrankte aber auch der kleine Bill, ein sonst kräftiger und derber Junge, und trotz jeder angewandten Vorsicht, artete das erst leichte Unwohlsein bald in so ein bösartiges hitziges Fieber aus, daß es selbst Grund zu den schlimmsten Befürchtungen gab.

Leifeldt verließ jetzt fast das Haus nicht mehr; Morgens nur besuchte er die wenigen Kranken, die sich ihm schon in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes anvertraut hatten und wachte dann selbst die Nächte an dem Bett des armen kleinen Burschen, der in Fieberphantasien lag und die Händchen oft, wie Hülfe flehend, nach ihm ausstreckte. Jenny leistete ihm hier fast ununterbrochen Gesellschaft, selbst die halben Nächte wachte sie, mit einer alten Dienerin gemeinsam, neben dem Bett des Lieblings und ach, welch' glückliche Zeit war das für den jungen Arzt, dem die Stunden da wie Minuten entflogen und dem hier, von der gemeinsamen Sorge für das arme kleine Wesen begünstigt, mehr Gelegenheit ward, das gute Herz und tiefe Gemüth der Jungfrau zu ergründen, als er durch Jahre lange einfache Bekanntschaft gewonnen haben würde.

Bill war der Sohn ihres Bruders, eines Offiziers der chilenischen Marine, die Mutter des Knaben aber, eine junge Chilenerin, bald nach der Geburt des Kindes gestorben, das so, allein der Sorge des jungen Mädchens übergeben und von diesem aufgezogen, auch mit unendlicher Zärtlichkeit von ihm geliebt wurde. Der Vater des Kleinen war weit in See und zu der Liebe für das Kind selber steigerte sich jetzt die Angst, dem theuren Bruder, bei dessen Rückkehr den Knaben nicht wieder, wie früher, entgegenführen zu können, und in dem einen, seligen Moment Belohnung, o so reichliche Belohnung für all diese Aufopferung und Liebe zu finden.

In den ersten Tagen schien sie in der That nur von dem einen entsetzlichen Gefühl der Angst für das Leben des Kindes fast betäubt, als aber die Krisis glücklich überstanden, und der Kleine ihr in dem kurzen Raum weniger Wochen gewissermaßen zum zweiten Mal wiedergeschenkt war, da kannte ihr Glück auch keine Grenzen, und Leifeldt las in den treublauen, Freude und Seligkeit strahlenden Augen auch die süße Hoffnung seines eigenen Lebens.

Was für frohe, lustige Pläne das arme Menschenherz doch aufbaut in solch schöner Zeit; wie sich die Schlösser da blitzesschnell aus dem Boden heben und freundlich lachende Gefilde das Glück zurückstrahlen, das unsere eigenen glücklichen Träume ihm erst verliehen. Wo sind all die dunklen Schatten, die noch vor so wenigen Monden unser ganzes Leben umnachten wollten, wo die giftigen Schwaden der Sorge und des Leids, die sich auf die Blüthen unserer Jugend legten und ihre Keime zu ersticken drohten? – eine einzige Sonnenwolke hat sie – nicht verscheucht, denn der nächste Augenblick kann sie finsterer, vernichtender emporheben als je vorher – nur mit ihrem lichten, goldenen Schimmer überhaucht und während unser schwaches Auge, das in eine Ewigkeit blicken will, und nicht einmal im Stande ist, den dünnen Glanz dieses Schimmers zu durchschauen, entzückt und selig an dem bunten Farbenschmelz hängt und den glühenden Tinten mit seinen eigenen Bildern Leben giebt, zerstört ein Windhauch oft den ganzen trügerischen Bau, und das Herz möchte mit seinen Schlössern zusammenbrechen und sterben, so weh ist ihm nachher.

Zehn Tage nach dem ersten Ausbruch der Krankheit des Kindes, war jede Gefahr beseitigt, ja es bedurfte nur noch geringer Pflege, den kleinen, aber sonst kräftigen Körper vollkommen wieder herzustellen. So waren denn die Wachen am Bett des leidenden Knaben natürlich eingestellt, aber nichts destoweniger fand sich Leifeldt noch fast an jedem Abend, wie früher, ein, und im Gespräch mit den wackeren alten Leuten, die nur von einer kleinen Pension schlicht und einfach, mehr ihren Kindern und dem kleinen Enkel zu leben schienen, der Jungfrau gegenüber, die dann an ihrer Arbeit saß und wie ein frohes Kind mit ihnen lachte und scherzte, oder auch gar ernst und sittsam die Theemaschine überwachte, die auf dem reinlich gedeckten Tisch brodelte, oder den Eltern das Brod röstete zu dem frugalen Nachtmahl, vergingen ihm jene Abende wie im Flug, und er mußte sich wahrlich oft fragen, ob er das Glück, welches ihm jetzt das ganze Herz füllte, nicht etwa nur träume, und ob das in der That Wirklichkeit sei, welches ihm die Erde schon in diesem Leben zum Himmel mache. O wie lieb, wie heilig sie aussah in diesem geschäftigen Stillleben züchtiger Häuslichkeit, und das Herz wollte ihm manchmal ordentlich verzagen, wenn er nur der Möglichkeit dachte, ein solches Wesen einst sein zu nennen.

Jenny dagegen blieb sich immer gleich gegen den jungen Mann; sie war vom ersten Augenblick an, als er sich der Mutter so annahm, so ungezwungen freundlich gewesen, als ob sie sich von Kindheit auf schon gekannt, und hier nicht fremd, im fremden Lande einander zufällig nur getroffen hätten; nach des Kindes Krankheit aber, in der sich der junge Fremde ihr als ein wirklich treuer Freund bewährt, hatte ihr Betragen gegen ihn weit mehr Herzlichkeit gewonnen; wenn er kam, ging sie ihm bis zur Thür entgegen, und reichte ihm die Hand, plauderte und lachte mit ihm, und freute sich seiner wachsenden Aussichten in der Stadt, die ihnen ja auch die Hoffnung ließen, daß er in Valparaiso bleiben und ihnen nicht wieder so bald genommen würde. Er war ein wirklicher Freund der Familie geworden.

9Vorsehen.
10Um Gottes Willen.
11Die niedere Klasse der Chilenischen Bürger, die Arbeiter und Diener.
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