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Der Erbe. Dritter Band.

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»Welche Neuigkeit, lieber Rath?«

»Nun, daß der Baron von Wendelsheim gar nicht der Baron von Wendelsheim ist, sondern der Sohn vom Schlosser Baumann, und umgekehrt; die ganze Stadt ist ja voll davon.«

»Die ganze Stadt?« rief Witte wirklich in Erstaunen. »Aber durch wen, um des Himmels willen, kann nur die ganze Stadt das erfahren haben?«

»Durch mich, Freundchen,« lächelte der Rath, indem er den Staatsanwalt scherzhaft mit dem einen Finger auf die Rippen stieß, »durch mich; ich bringe Alles heraus, sage ich Ihnen, Alles, die Polizei mag es geheim halten, wie sie will – ich hab's.«

»Das ist in der That merkwürdig,« sagte Witte; »aber ich begreife nur nicht, wie? denn so viel ich davon gehört habe, ist die Sache noch nicht einmal bei den Gerichten genau bekannt.«

»Sehen Sie wohl, und ich weiß sie doch,« schmunzelte Frühbach.

»Und können Sie mir Ihre Quelle nicht mittheilen?« fragte Witte. »Ich versichere Ihnen, ich gäbe manchmal etwas darum, so rasch berichtet zu sein, und auf ein kleines Opfer sollte es mir dabei nicht ankommen.«

»Ich werde Ihnen den Mann recommandiren,« sagte Rath Frühbach gutmüthig – »ein paar Cigarren manchmal, ein Glas Bier oder Wein, wie es trifft, und ein bischen Freundlichkeit, das ist die Hauptsache. Man muß mit den Leuten thun, als wenn man ihres Gleichen wäre; das schmeichelt ihnen, und ich sage Ihnen, sie sind dann um den Finger zu wickeln.«

»Und wer ist der Biedermann, der Ihnen so vortreffliche Dienste leistet?«

»Mein alter Polizeidiener,« lachte Frühbach, »ich habe Ihnen ja schon von ihm erzählt, der Schultze; Christian heißt er mit Vornamen – ein famoser Kerl, und so gefällig. Die Polizei muß man sich überdies zu Freunden halten.«

»Also Christian Schultze? Danke Ihnen,« sagte Witte, »den Namen werde ich mir merken. Es ist allerdings sehr angenehm, Jemanden auf der Polizei zu haben, der an den Thüren horcht und die Sachen dann weiter erzählt.«

»Und wie sollte man's anders erzählen?« lächelte Frühbach. »Die Herren vom Gericht selber erzählen nichts, denn die haben – ich bitte tausendmal um Entschuldigung!« unterbrach er sich selber, denn in dem Augenblick klang es gerade, als ob ein Stück Baumwollenzeug von einander gerissen würde, und Rath Frühbach fand sich mit seinem breiten linken Fuße voll und schwer auf der Schleppe einer fremden Dame, die würdig vorüberrauschen wollte. Jetzt ging es nicht mehr – der ganze hintere Theil des Kleides hing herunter, und Frühbach, in aller Verlegenheit, rief: »Ach Gott, das thut mir doch unendlich leid! Aber bitte, warten Sie einen Augenblick, meine Frau steckt mir doch immer Stecknadeln in den Rock – wenn – einmal – unterwegs – wo sind sie denn nur…«

Die Dame schleuderte ihm einen Blick zu, der ihn rettungslos zu Boden geschmettert haben müßte, wenn er die Gewalt besessen hätte, die sie hineinlegte; dann wandte sie sich kurz ab und drehte um, wahrscheinlich um irgend ein bekanntes Haus aufzusuchen und den Schaden wieder auszubessern.

»Das ist eine verzweifelte Geschichte mit den jetzigen Damenmoden, lieber Staatsanwalt,« sagte Frühbach, als er, noch einen verlegenen Blick hinter seinem Opfer her werfend, neben Witte hin und jetzt zwar in die Stadt hinein schritt; »ich sage Ihnen, man weiß gar nicht mehr, wo man hintreten soll, und eine Treppe hinter einer Dame hinunter zu gehen, ist, wenn man in Rufsnähe bleiben und sie nicht aus dem Gesicht verlieren will, rein unmöglich.«

»Ja,« lachte Witte, der sich über den kleinen Zwischenfall sehr amüsirt hatte, »aber machen Sie einmal etwas dagegen; da hilft alles Reden nicht. Die Mode sieht sehr elegant an den Stellen aus, worauf sie berechnet ist: im Salon oder in der eigenen Equipage; auf der Straße aber fegen die feinsten Damen ebenso wohl allen Staub wie jeden Schmutz und Unrath zusammen, der in ihrem Wege liegt. Und nicht einmal die feinsten,« fuhr er fort; »sehen Sie die Dame da vor uns. Mit einer schweren, spitzenbesetzten Sammetmantille trägt sie, wie es scheint, einen Marktkorb unter derselben, und wie sieht sie dabei um die Füße herum aus – wie schlumpig.«

»Alle Teufel,« sagte der Rath, der sich seine Brille etwas in die Höhe geschoben hatte, um die bezeichnete Dame besser betrachten zu können, »das ist ja meine Frau!«

Der Staatsanwalt biß sich auf die Lippe; aber das Unglück war geschehen, und wenn man etwas Derartiges verbessern will, macht man es eher noch schlimmer. Er opferte deshalb lieber seine eigene Gattin und sagte: »Sie machen es alle so, die meinige ebenfalls.« – Es war ein großes Glück für den Staatsanwalt, daß sich seine Frau nicht in Hörweite befand.

»Aber, Frauchen, wo kommst Du denn her?« sagte der Rath zärtlich, als sie die Dame überholten, und Witte hielt den Moment für günstig, sich seitab zu drücken. Frühbach ließ aber seinen Arm nicht los.

»Vom Markt, Männi,« erwiederte die Dame in der Sammetmantille. »Und wohin willst Du? Kommst Du nicht mit nach Hause?«

»Ich wollte nur einmal zum Major hinausgehen und mit ihm über die bewußte Sache sprechen.«

»Ah, Herr Staatsanwalt,« sagte die Dame, eine Verbeugung nach einer ganz verkehrten Seite hin machend, »sehr angenehm!« Sie suchte dabei den Marktkorb zu verheimlichen, aber es ging nicht. »Hat Ihnen Männi schon erzählt?«

»Ja,« nickte Witte; »ich war auf's äußerste erstaunt.«

»Und Sie wußten von gar nichts? Merkwürdig! Weiß es denn Ihre Frau Gemahlin schon? Ich werde gleich nach Tische einmal zu ihr gehen. Aber mit dem Essen könnte es heute spät werden, Männi – lieber Gott, man trifft unterwegs so viele Bekannte; aber ich biege hier ab.« Und sich wieder wenigstens drei Strich aus der Linie verbeugend, nickte sie ihrem Manne zärtlich zu und – fegte weiter.

Witte hatte sich erst von dem Rath losmachen wollen; da er aber den Major als sein Ziel nannte, besann er sich eines Besseren. Er hatte doch für den Augenblick nichts Wichtiges vor und wollte sich das Vergnügen nicht entgehen lassen, Zeuge von der Ueberraschung des Majors zu sein. Frühbach sollte wenigstens den Genuß nicht allein haben. Mit der Voraussicht ließ er sich selber unterwegs Mittheilungen aus der Schweriner Chronik machen.

Im Hause des Majors sah es übrigens, als sie dasselbe erreichten, wahrhaft trostlos aus. Der alte Major selber saß in seinem Lehnstuhl, das eine Bein lang ausgestreckt und dick mit Tüchern verbunden und in eine wollene Decke eingeschnürt – Frau von Bleßheim lag, ihren Kopf unter Kreuzband, mit geschlossenen Augen auf dem Sopha und tastete nur manchmal nach einer riesigen Schale mit Kamillenthee, die vor ihr auf einem zum Sopha gerückten Stuhl stand und mit ihrem unangenehmen Duft das ganze Zimmer erfüllte.

Aber auch die Liese hatte wieder Zahnschmerzen und winselte und erklärte, sie hielt's nun nimmer aus, und der Christian kam gerade mit einer großen Flasche Medicin, die er aus der Apotheke geholt, in's Zimmer gekrochen und kündete dem Major an, er müsse sich in's Bett legen, denn er hätte hinten am Kreuz eine große Beule, und die würde jetzt wohl aufgehen oder der ganze Knochen mit herauskommen.

»Gott soll mich bewahren, Major,« rief der Staatsanwalt, als er einen Blick in der Krankenstube umher geworfen hatte, »in Ihrem Lazareth sieht's ja schlimmer aus, als je! Wie, um des Himmels willen, halten Sie's nur aus?«

»Ich halt's auch nicht mehr aus,« stöhnte der Major, »jetzt ist's vorbei und am Ende. Hier am Bein kommt's mir immer weiter herauf, und so wie's in den Leib tritt, dann thut der Mensch noch ein paar Schnapper, und nachher ist Schicht – dann geht der lange Urlaub an.«

»Aber Sie sehen wohl aus – nicht wahr, Rath?«

»Vortrefflich,« bestätigte dieser – »ordentlich rothe Backen.«

»O Du mein Jesus,« stöhnte der Kranke, »das auch noch – ich kann kein Glied mehr rühren! Der Lump, der Christian, jammert in Einem fort über sein Kreuz mit einer Beule dran – wollte Gott, ich hätte nur eine Beule, damit das Elend da einmal an die Luft käme; aber so sitzt's innerlich und frißt sich immer weiter hinein.«

»Versündigen Sie sich nicht,« sagte Christian feierlich, »so 'ne Beule, wie ich habe, soll sich wahrhaftig kein Christenmensch wünschen – ich wünschte sie wenigstens meinem ärgsten Feinde nicht – und das Stechen, o Du mein blutiger Heiland, ich wollte, ich wäre todt!«

»Von mir red't Keiner was,« winselte die Liese, »und wenn's mir auch die Kinnbacken aus einander reißt. Ja wohl, das ist ja nur die alte Liese, und so lange die nur herumkriecht und ihre Arbeit thut, mag's sie in den Zähnen reißen, so viel wie's will – wer schiert sich drum?« – Und damit ging sie hinaus und schlug die Thür hinter sich zu, daß die Fenster klirrten.

Aber den Rath Frühbach litt's nicht länger; das Geheimniß drückte ihm fast die Seele ab.

»Haben Sie's schon gehört, Major?« rief er, »die Wendelsheim'sche Geschichte ist zum Ausbruch gekommen?«

»Was für eine Wendelsheim'sche Geschichte?« stöhnte dieser. »Ich weiß von nichts. Was soll ich hier hören? Mir erzählt kein Deubel 'was.«

»Aber deshalb sind wir Beide ja gerade zu Ihnen herausgekommen!« rief der Rath.

»Wegen der Wendelsheim'schen Geschichte? Hat sich das alte – o mein Bein! – hat sich das alte Frauenzimmer noch nicht beruhigt? Daß sie der Henker hole! Und auf der Fahrt damals, Rath, habe ich mir meinen letzten Rest geholt. Die Erkältung ist mir in dasselbe Bein geschlagen, mit dem ich damals an dem offenen Leder saß – und Ihr verfluchter Aepfelwein!« Er biß die Zähne zusammen und schlug mit der Faust auf die eine Lehne seines Stuhles.

»Ob sich die noch nicht beruhigt hat?« lachte der Rath. »Na, ich denke, die wird beruhigt werden. Hatte ich denn nicht etwa Recht und ist es jetzt anders gekommen, als ich es mir die ganze Zeit gedacht?«

»Hol' Sie der Teufel, Rath!« rief der Major, vor innerlichem Schmerz die Zähne zusammenbeißend und ein jämmerliches Gesicht ziehend. »Ich liege hier so schon auf der Folter, und Sie kommen nun auch noch, um mich zu langweilen. Ich verstehe kein Wort von Allem, was Sie sagen.«

 

»Sie verstehen nicht, was ich sage? Die Wendelsheim'sche Geschichte ist zum Ausbruch gekommen, sag' ich, der Kindertausch constatirt und festgestellt. Das Fräulein von Wendelsheim steckt mit drin und war gestern schon deshalb im Verhör, und die Frau Müller ebenfalls. Polizei auf dem Schlosse draußen, bis der richtige Erbe ermittelt ist – der Lieutenant von Wendelsheim abgesetzt – die ganze Stadt in Aufruhr…«

»Hurrah!« schrie plötzlich der Major, von seinem Stuhl emporspringend und Gicht, Umschläge, Beine, Rücken, Kreuz und wie die Schlachtfelder seiner verschiedenen Krankheiten alle hießen, ganz vergessend, »hurrah, hurrah, hurrah hoch!«

»Und der Baron von Wendelsheim ist verrückt geworden,« sagte der Rath.

»Und noch einmal hurrah!« schrie der Major, daß Frau von Bleßheim von ihrem Sopha emporfuhr und die Liese den verbundenen Kopf erschreckt wieder in die Thür hereinsteckte und rief: »Na um des Erlösers willen, was ist denn nu los?«

»Liese,« rief der Major, der einen allerdings nicht recht glückenden Versuch machte, auf dem einen Bein zu stehen und das andere, kranke, emporzuheben, »kommen Sie 'mal herein.«

»Was soll ich denn?«

»Was hab' ich Ihr versprochen, wenn die Wendelsheim'sche Lumperei an den Tag kommt und die ihr Recht kriegen, denen es gebührt?«

»Fünf Thaler, Herr Major; aber die stehen im Schornstein,« knurrte die alte Magd. »Wenn ich das Alles kriegen sollte, was Sie mir schon versprochen haben!«

»Hier sind sie, Liese,« rief der Major und schleppte sein linkes Bein dem Tische zu, in dessen Schieblade er seine Brieftasche liegen hatte; »da – da sind die fünf Thaler, und noch einmal hurrah!«

»Und ich kriege wieder gar nichts!« ächzte Christian.

»Ihr sollt auch einen haben, alter Schwede – damit geht in die Apotheke und laßt Euch Euer erbärmliches Kreuz einreiben. Und hier, reißt mir einmal den alten wollenen Fetzen herunter und gebt mir die Tuchstiefel her, und meinen Rock, Liese, und die Mütze.«

»Aber wohin willst Du denn nur, um alle Heiligen,« wimmerte Frau von Bleßheim. »Was hast Du nur vor?«

»Auf's Amt, natürlich,« rief der Major, »die Erbschaft augenblicklich mit Beschlag belegen! Witte ist ja deshalb nur herausgekommen. Nicht wahr, Staatsanwalt, Sie gehen mit?«

»Wenn Sie es wünschen, warum nicht?« erwiederte dieser, der sich im Stillen nicht wenig über den sehr nutzlosen Jubel des Majors gefreut hatte. »Aber ich glaube, Sie können sich den Weg sparen.«

»Nein,« sagte der Major entschieden, indem er sich wieder auf seinen Stuhl setzte und die Decke abzuschälen anfing – »muß selber dabei sein – halte ich für meine Pflicht, so lange ich nur noch kriechen kann.«

»Aber was wollen Sie oben?«

»Sie haben es ja eben gehört. Protest einlegen, daß die Erbschaft nicht an die Wendelsheim'sche Familie ausgezahlt wird, nicht einen Groschen sollen sie jetzt kriegen, nicht einen rothen Heller!«

»Aber bester Major, wie wollen Sie das hindern?«

»Wie ich das hindern will? Lautet die Erbschafts-Clausel nicht, daß nur in dem Fall männlicher Nachkommenschaft – ehelicher, versteht sich – das Vermögen an diese Familie ausgezahlt werden soll? Wenn aber jetzt bewiesen wird, daß der Sohn gar nicht der Sohn des Barons ist – und habe ich es Ihnen nicht immer und immer gesagt, Staatsanwalt? – wenn ein Kindertausch stattgefunden hat, an und für sich schon ein Verbrechen, so ist die Gesellschaft futsch! Meinen Stiefel, Christian!«

»Ja, lieber Major,« sagte der Staatsanwalt, »da das vertauschte Kind aber ebenfalls ein Sohn ist, so geht doch sicherlich die Erbschaft auf diesen über.«

»Ein Sohn?« schrie der Major und blieb vor Schrecken halb in seinem Stiefel stecken.

»Aber das ist ja gar nicht möglich,« rief Frühbach, »die Frau Müller hat ja nur eine Tochter!«

»Die Frau Müller,« sagte der Staatsanwalt, »hat mit der Sache gar nichts zu thun; sie ist vollkommen unbetheiligt dabei und jene Frau Müller eine ganz andere. Ihr Polizeidiener hat da nicht richtig aufgepaßt. Die Heßberger hat die beiden Söhne, den der Schlossersfrau Baumann und den der Baronin, ausgetauscht und den Baron glauben machen, es sei ein Mädchen gewesen, um den Lohn zu bekommen. Das ist die ganze Geschichte.«

»Aber ein Schlosserssohn,« sagte Rath Frühbach ganz verwirrt, »kann unmöglich Baron werden und eine halbe Million erben!«

»Und warum nicht? Eben so gut, wie schon mancher Baron Schlosser geworden ist; gehen Sie nur einmal hinüber nach Amerika.«

»O Gott, mein Bein!« stöhnte der Major und sank mit dem halb angezogenen Stiefel wieder in seinen Stuhl zurück. »Christian, Esel, so zieht mir doch den verdammten Stiefel ab; Ihr seht ja, daß ich es vor Schmerzen kaum aushalten kann – ah, wie das brennt!«

»Aber ich begreife gar nicht,« bemerkte Rath Frühbach, der Witte verwundert ansah – »ich glaubte, Sie wüßten noch gar nichts von der ganzen Sache, und jetzt…«

»Weiß ich mehr davon, als Ihr Christian Schultze, wie?« lachte Witte. »Ja, lieber Major, beruhigen Sie sich. Allerdings hatten Sie mit Ihrem Verdacht, daß in der Familie Wendelsheim falsches Spiel getrieben wäre, vollkommen recht; der einzige Fehler war nur, daß dieser Verdacht – und sehr natürlicher Weise – nach einem ausgetauschten Mädchen suchte. Sie wissen ja, wie wir damals selbst bei Baumanns nachgeforscht haben, aber wer dachte an so etwas?«

»O, mein Bein!« stöhnte der Major; »Christian, das zieht hier – wickelt mir doch die Decke um. Liese, die fünf Thaler hat Sie auf der Straße gefunden – o Gott, die Schmerzen!«

Frau von Bleßheim lag schon wieder ausgestreckt auf dem Sopha, und nur die Liese schien ihre Zahnschmerzen vergessen oder wenigstens für den Augenblick bei Seite geschoben zu haben, denn sie betrachtete sich immer verstohlen die fünf Thaler, die wahrscheinlich nicht so häufig in diesem Hause des Jammers abfallen mochten.

Witte hatte aber jetzt seinen Zweck erreicht, und der Rath Frühbach saß ebenfalls wie auf Kohlen, da er sich von seiner Neuigkeit einen ganz andern Erfolg versprochen. Ehe er sich aber nur so weit entschließen konnte, ob er gehen oder bleiben sollte, hatte Witte seinen Hut aufgegriffen, dem Major – der ihm aber gar nicht antwortete – einen kurzen Gruß zugerufen und war auch gleich darauf im Freien draußen, wo er tüchtig ausschritt.

Frühbach mußte es doch ebenfalls für das Beste gehalten haben, sich zu entfernen; als er aber auf die Straße trat, sah er den Staatsanwalt schon in weiter Ferne und mußte den Versuch aufgeben, ihn einzuholen und sich noch weiter mit ihm auszusprechen, denn auf sein Rufen drehte sich der Davoneilende gar nicht um.

8
Vor den Geschworenen

Am nächsten Morgen überraschte der Polizeidiener Christian Schultze den Rath Frühbach noch im Bett und jammerte und klagte, daß er aus dem Dienst gejagt wäre, und zwar nur seinetwegen. Er verlangte auch Schadenersatz, bekam aber natürlich nichts, brachte jedoch den Rath in eine unbeschreibliche Aufregung und verdarb ihm das ganze Frühstück.

Witte war indessen ungemein thätig, und als nach zwei Tagen ein Rescript des Justizministeriums eintraf, wonach der Frau Müller, als keiner Hauptschuldigen bei dem Betruge, völlige Straflosigkeit zugesichert wurde, falls sie frei und wahr Alles bekennen wolle, was sie über den Fall wisse, so stand auch nach dieser Seite nichts mehr im Wege.

Eine Scene hatte er allerdings noch im eigenen Hause, als seine Frau den wahren Thatbestand erfuhr; Ottilie wurde ohnmächtig, und die Frau Staatsanwalt würde ebenfalls Krämpfe bekommen haben, wenn das Mädchen nicht gleich bei der Hand gewesen wäre. Witte selber bekam aber dadurch Oberwasser. Seine Frau war nie so kleinlaut gewesen, als nach der Zeit; er konnte sie jetzt um den Finger wickeln und fühlte sich überzeugt, daß es eine heilsame Lehre für sie sein würde.

Indessen rückte der Tag heran, an welchem der Fall vor die Geschworenen gebracht werden sollte; denn Witte hatte sein Möglichstes gethan, um jede Schwierigkeit zu beseitigen, damit der Termin der Erbschafts-Auszahlung nicht versäumt wurde, was nachher nur noch wieder Umstände gemacht hätte. Von Bruno erhielt er ebenfalls einen Brief und schrieb ihm umgehend Tag und Stunde, in welcher er hier eintreffen müsse, und wie der Morgen endlich herannahte, läßt es sich denken, daß die Bevölkerung von Alburg einen lebhaften Antheil an der Sache nahm. Schon stundenlang vorher drängte sich das Publikum vor der Thür des Sitzungssaales, und die Polizei hatte nicht geringe Schwierigkeit, um nur einigermaßen Ordnung in die Masse zu bringen und Unglücksfälle zu verhüten.

Die Tribünen waren natürlich überfüllt; was an Menschen in den Saal hineinging, preßte hinzu, und selbst hochstehende Damen wurden trotz ihrer Crinolinen zu einem Minimum zusammengedrückt. Es war aber auch in der That ein Fall, der in alle Schichten der Bevölkerung eingriff, und der ärmste Handwerker nahm nicht minder Theil daran als die »Crême« der Gesellschaft, denn er war eben so viel bei dem Erfolge betheiligt und freute sich dazu schon im voraus auf den Entscheid der Richter, während die haute volée dadurch daß solche »Schwächen« der höheren Stände vor die Oeffentlichkeit gebracht wurden, einen noch größeren Widerwillen gegen das überhaupt zu liberale Institut der Geschworenengerichte faßte. Aber hingehen mußten sie trotzdem; sie hätten nicht um die Welt, die Untersuchung versäumen mögen!

Und wie lange dauerten ihnen die Vorbereitungen, bis die Geschworenen gewählt waren und ihre Plätze eingenommen hatten und der Richter die Verhandlung mit einer kurzen Einleitung eröffnete! Dann erst trat Staatsanwalt Witte als Kläger auf und beschuldigte in kurzer, aber kerniger Rede den Baron von Wendelsheim und dessen Schwester, Fräulein Aurelia von Wendelsheim, mit Hülfe der damaligen Hebamme, der bekannten Frau Heßberger, zwischen der Frau des Schlossers Baumann und der Frau Baronin die Kinder vertauscht zu haben. Er legte dabei klar das Motiv der ersten Anregung dazu vor: die Furcht des Barons, keinen männlichen Erben zu bekommen und dadurch der Erbschaft verlustig zu gehen, während er sich, da er wußte, daß seine Gemahlin nie ihre Einwilligung dazu geben würde, der Hülfe seiner Schwester versicherte, ja, möglicherweise von dieser erst dazu getrieben wurde. Daß die Heßberger nachher, als sie sich durch die unerwartete Geburt eines Sohnes der Gefahr ausgesetzt sah, den versprochenen, bedeutenden Lohn zu verlieren, nicht allein die Mutter des Kindes, sondern nun auch den Vater und dessen Schwester betrog, indem sie die Thatsache, daß es ein Sohn sei, verheimlichte und sie in dem Glauben bestärkte, es sei wirklich ein Mädchen gewesen, war leicht zu erklären.

Die Heßberger täuschte dann auch später nochmals den Baron, indem sie ihn durch irgend einen gleichgültigen Todtenschein eines weiblichen Kindes glauben machte, seine Tochter sei gestorben. Dadurch vermied sie jede, sonst doch mögliche Nachforschung des Vaters. Der Todtenschein hatte sich unter den Papieren des Fräuleins von Wendelsheim gefunden und Witte nach genauer Untersuchung herausbekommen, daß jenes Kind auf einem entfernten Dorfe von völlig unbescholtenen Eltern geboren und auch dort kurze Zeit danach verblichen sei. Bei dessen Geburt waren die Schwiegermutter und zwei Verwandte zugegen gewesen, und das Kind, vom ersten Moment an kränkelnd, von dem dortigen Wundarzte behandelt und die ganze Zeit, bis zu seinem Tod, nicht aus den Augen gelassen worden.

Ruchbar sei die That durch die Frau Baumann selber geworden, die, von Gewissensbissen gepeinigt und in der Angst, den damals auf falschen Verdacht hin gefänglich eingezogenen Erben an seinem Leben geschädigt zu sehen, ein offenes Bekenntniß abgelegt habe. Es gehe daraus hervor, daß sie selber nur höchst ungern und halb von ihrer Schwester gezwungen, fast unmittelbar nach der Geburt ihres Kindes, jedenfalls innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden, ihren Sohn in der Hoffnung hergegeben habe, ihn und die Familie, in die er eingeführt wurde, glücklich zu machen. Als ihr ein Sohn, aber nicht der ihrige, dafür zurückgebracht wurde, gerieth sie außer sich; es war jedoch zu spät. Die Heßberger drängte in sie, und sie schwieg – schwieg bis jetzt.

Daß die Heßberger die Hauptschuldige sei, habe sie nicht allein auf dem Criminalamt, nach dem dort aufgenommenen Protokoll, was nachher verlesen werden solle, selber erklärt, sondern auch durch ihren Selbstmord, weil sie die Strafe fürchtete, erhärtet. Gleich schuldig mit ihr sei wohl der Vater des Kindes, der Baron von Wendelsheim, aber von Gott selber außer den Bereich menschlicher Strafe gebracht, da sein Geist wandere und völlige Besinnung ihm, nach dem Ausspruche der Aerzte kaum je wieder zurückkehren würde.

 

Daß die Frau Baronin selber nichts von dem Tausche der Kinder gewußt, stehe fest; desto stärkerer Verdacht, ja, fast die Gewißheit der That ruhe aber dagegen auf jenem Fräulein von Wendelsheim, die, in der Furcht, den alten Glanz des Hauses erlöschen zu sehen und selber ohne hinreichende Mittel, das Zusammenbrechen desselben zu verhindern, zu diesem Verbrechen ihre Zuflucht genommen habe, um es abzuwenden. Sie allein sei auch strafbar, da sich die Hauptschuldige der Strafe entzogen; denn sie, als hochstehende, gebildete Frau wußte genau, was sie that, und handelte dabei mit vollem Vorbedacht. Die Geschworenen ersuche er daher, die Rechte des wirklichen Erben, des bisher von dem Schlosser Baumann unter dem Namen Friedrich erzogenen Sohnes, zu prüfen, und er hoffe, der Gerichtshof werde dann jener Dame die härteste Strafe zuerkennen, die das Gesetz überhaupt in diesem Falle gestatte.

Witte hatte außerordentlich ruhig gesprochen, und die einzelnen Thatsachen, die übrigens schon seit den letzten Tagen im Publikum ziemlich genau bekannt waren, nun so klar und deutlich als möglich vorgelegt. Er wollte jedenfalls erst den Advocaten des Gegenparts veranlassen, dagegen aufzutreten. Das Publikum selber achtete aber nur wenig auf seine Rede, denn Aller Blicke hingen an den beiden Angeklagten, der Schlossersfrau und dem gnädigen Fräulein, die ihren Platz auf der Seite der Verklagten hatten, und ein größerer Unterschied wäre zwischen zwei weiblichen Wesen kaum denkbar gewesen, als die Beiden zeigten.

Die Frau Baumann, in ein blaues, einfaches Kattunröckchen gekleidet, eine schneeweiße Haube auf, das milde, gute Gesicht bleich und eingefallen, die Augen niedergeschlagen in Scham und Angst, saß auf der Bank, während neben ihr, hoch aufgerichtet und stolz, aber bis auf's Innerste über den Schimpf empört, der ihr hier angethan, in Putz und Schmuck von Sammet und Seide strotzend und aus den bös blickenden Augen giftige Blitze nach allen Seiten, besonders aber auf den Staatsanwalt Witte schleudernd, das gnädige Fräulein stand. In dem Zuschauerraume, wo besonders eine Gruppe von Handwerkern beisammen standen, flüsterten die Leute auch schon miteinander, und manche Bemerkung wurde laut: »Das ist die Rechte, das ist ein böser Drachen; seht nur, wie hoch sie die Nase trägt; sie schämt sich gar nicht – und wie sie die Leute daheim behandelt – ein Hund hat's besser, als ihre Dienstboten!«

»Pst! Pst!« flüsterten indessen wieder Andere, denn jetzt begann der von dem gnädigen Fräulein angenommene Advocat nicht allein seine Clientin zu vertheidigen, sondern die ganze Klage als einen aus der Luft gegriffenen Verdacht anzufechten. Das gnädige Fräulein schilderte er dabei wie eine Heilige, die, während sie noch nie einem Menschen Ursache zur Klage gegeben, hier auf eine unwürdige Weise angegriffen und verdächtigt würde. Aus der Selbstanklage der Frau Baumann geht allerdings hervor, daß eine Täuschung in der Familie beabsichtigt gewesen sein könne, obgleich auch selbst darüber jetzt, nach dem Tode jener Heßberger, der Beweis fehle. Es sei die Unwahrscheinlichkeit aber auf das Höchste gesteigert, wenn man annehmen wolle, daß zwei Knaben gegen einander ausgewechselt wären. Ein Resultat würde die Sache nicht weiter gehabt haben, als daß sich zwei Mütter von ihren Kindern trennten, und die Anklage mache der Phantasie seines geehrten Vorredners allerdings viel Ehre, aber an dem gesunden Verstand der Geschworenen würde sie machtlos abprallen.

Als er das gnädige Fräulein so außerordentlich lobte, wurden von mehreren Seiten höhnische Rufe laut, als: »Hoho! Jawohl, so sieht sie auch aus!« – Die Beamten stellten aber augenblicklich die Ruhe wieder her, und als er endlich damit schloß, indem er nur noch in einer längeren Phrase das Motiv der Frau Baumann hervorhob, jetzt, durch eine solche Erklärung, ihrem eigenen Sohn die reiche Erbschaft zuzuwenden, bat er die Geschworenen, den Fall ruhig zu überlegen, und sie würden dann selber zu der Ueberzeugung gelangen, daß die ganze Klage – als zu absurd zur Verhandlung – zurückgewiesen werden müsse.

Staatsanwalt Witte ließ jetzt den gefangenen Heßberger als Zeugen vorrufen, und ein traurigeres Bild menschlicher Erniedrigung konnte es kaum geben, als der Verbrecher zeigte. Die kurze Zeit seiner Haft hatte ihn bleich und hohlwangig gemacht; die Augen starrten wild und fast blödsinnig umher, und eingeschüchtert durch die vielen Menschen, kroch er ordentlich zusammen unter der Last seiner Sünde, seines Jammers. Er machte auch als Zeuge keinen besondern günstigen Eindruck auf die Geschworenen; trotzdem mußte er gehört werden, und von dem Vorsitzenden befragt, legte er denn auch ein unumwundenes Geständniß ab. Er verheimlichte oder beschönigte nichts. Er erzählte, daß er den neugeborenen Sohn der Baumann, warm in wollene Tücher eingeschlagen, in das zu dem Zweck geheizte Gartenzimmer des Parks getragen, bis seine Frau ihm durch ein in ein bestimmtes Fenster gestelltes Licht ein Zeichen gegeben habe. Dann sei er zu dem Schlosse gegangen, wo er sein Weib mit dem fremden Kinde getroffen hatte. Sie nahm ihm das, was er gebracht, dort ab, gab ihm das andere und flüsterte ihm dabei zu, er solle nur ihrer Schwester sagen, er brächte ihr Kind wieder mit, der Tausch sei nicht nöthig gewesen. Aber seine Schwägerin habe gleich gesehen, daß es ein fremdes Kind sei, und geweint und geschrieen, und er hätte sie kaum beruhigen können.

Der Advocat des Gegenparts fragte jetzt den Schuhmacher, ob er beschwören könne, daß er nicht wieder dasselbe Kind zurückgetragen, was er mitgenommen, und woher er wissen wolle, daß es ein anderes gewesen sei, noch dazu, da ihm seine Frau selber gesagt hätte, es wäre das nämliche.

Heßberger, der jetzt im Reden etwas mehr Muth faßte, erwiederte, wenn seine Frau nicht die Kinder austauschen wollte, so würde sie das dem Baron gehörige nicht aus dem Wochenzimmer auf die kalte Treppe hinuntergetragen haben. Ueberdies hätte er deutlich genug gefühlt, wie ihm das getragene weggenommen und ein anderes dafür gegeben sei; das zweite sei auch leichter gewesen, als das erste.

Der Advocat des gnädigen Fräuleins, dem der ungünstige Eindruck nicht entgehen konnte, welchen Heßbergers ganze Erscheinung auf die Geschworenen gemacht, benutzte den augenblicklich, um die Aussage des Zeugen zu verdächtigen. Er war außerdem, wie alle Welt wußte, ein Dieb und Einbrecher, und sein Zeugniß verlor dadurch jedenfalls an Werth. Die dagegen von seiner Seite aufgerufene Zeugin Frau Barbara Müller aus Vollmers, als Amme des Kindes, trat desto respectabler auf, denn sie machte gleich von vorn herein den Eindruck einer achtbaren, durchaus rechtlichen Frau, und Alles, was sie über die Wendelsheim'sche Familie sagte, zu der sie fast unmittelbar nach der Geburt des Kindes als Amme gerufen, klang außerordentlich lobenswerth. Auch über die »Tante« äußerte sie sich; sie sei wohl ein bischen »scharf und knapp« gewesen, aber sonst ganz gut, und was das alberne Gewäsch von einem Umtausch der Kinder betreffe, so wisse sie wohl, woher das komme, und die Gesellschaft sei auch schon bei ihr gewesen; aber sie sollten nur wiederkommen, sie wolle ihnen heimleuchten.

»Ich ersuche den Vorsitzenden,« sagte Witte, »die Frau zu fragen, zu welcher Stunde sie auf Schloß Wendelsheim eingetroffen ist.«

Die Antwort lautete: »Morgens halb sieben Uhr.«

»Gut,« sagte Witte, »dann habe ich nur zu bemerken, daß die von Heßberger angegebene Zeit des Tausches zwischen zwölf und ein Uhr in der Nacht fällt.«

Andere Zeugen wurden jetzt noch herbeigerufen. Einer, der Gärtner, hatte, wie er aussagte, Heßberger im Garten gesehen und wollte das Schreien eines Kindes gehört haben; aber ganz sicher fühle er sich darin nicht. Andere hatten nur darüber reden und die Vermuthung aussprechen hören, daß nicht Alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Weitere, schlagende Beweise wurden aber nicht vorgebracht. Der Advocat für das gnädige Fräulein schien sich schon auf die Schlußrede vorzubereiten, indem er den frevelhaften Uebermuth des Gegenparts hervorhob, auf solch nichtige Beweisgründe hin ein altes, edles Haus mit Koth zu besudeln, und dazu auch noch den Zeitpunkt zu benutzen, wo der Träger desselben, der alte Baron, durch den Tod seines zweiten Sohnes unnatürlich aufgeregt, gerade augenblicklich von einem Kopfleiden befallen sei und nicht selber hier erscheinen könne, um seine Rechte zu vertheidigen.

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