THE END – DIE NEUE WELT

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Из серии: The End #1
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Er wurde von seinem Gedankengang abgebracht, als Sebastian von der Toilette zurückkehrte.

»Hier, Bruderherz.« Sebastian drückte ihm ein neues Bier in die Hand.

Gordon richtete sich im Sessel auf und bedankte sich. »Hör mal, es tut mir leid, wenn es so wirkte, als würde ich dir nicht vertrauen. Ich halte sehr viel von dir und sehe in dir nichts weniger als einen erwachsenen Mann. Du weißt, was ich übers Korps und alles andere denke, was damit zusammenhängt. Ich will wirklich nicht wieder dort hineingezogen werden – und schon gar nicht, dass dir etwas zustößt.«

»Schon verstanden, aber sei dir gewiss: Ich befinde mich in guten Händen. Übrigens habe ich ganz vergessen, dir zu sagen, dass es einen neuen befehlshabenden Offizier gibt«, schob Sebastian mit einem Strahlen im Gesicht hinterher, nachdem er etwas Bier getrunken hatte.

Gordon wurde hellhörig. »Wer ist es?«

»Barone!«

»Major Barone?« Er machte große Augen.

»Ja, aber er ist mittlerweile Oberstleutnant.«

Wieder ließ sich Gordon zurück in die Vergangenheit kurz nach dem Einsatz in Falludscha reißen. Major Barone war einer seiner verbissensten Verteidiger gewesen. Er stand ihm bei, während alle anderen hochrangigen Militärs den Politikern und Medien gefällig sein wollten. Die Presse schlachtete die Story nach allen Regeln der Kunst aus und berichtete auf reißerische Art über den gefallenen Schuss. In der Öffentlichkeit galt er praktisch als verurteilt, noch ehe die Nachforschungen zu Ende gingen.

»Das sind tolle Neuigkeiten«, fand Gordon im Zuge dieser tröstlichen Erinnerung an einen treuen Freund. »Er ist ein großartiger Mann, und bei ihm befindest du dich definitiv in guten Händen.«

»Ich dachte mir schon, du würdest dich freuen, seinen Namen wieder zu hören. Bislang hatte ich noch keine Gelegenheit, ihn persönlich zu treffen, aber es heißt, er habe eine besondere Vorliebe für Scharfschützen. Ich bin schon ganz aufgeregt; jetzt muss ich nur noch aufgenommen werden.«

»Ich bin ausgesprochen froh darüber, dass er jetzt das Kommando hat und euch Jungs für den nächsten Auslandseinsatz in Erwägung zieht.«

Gordon empfand Erleichterung darüber, dass sein Bruder in so vertrauenswürdige Gesellschaft geraten sollte. Dieses Wissen machte ihn glücklich. Sein Bruder mochte noch so viel Selbstbewusstsein hervorkehren: Gordon würde sich immerzu um ihn sorgen und ihn im Auge behalten.

Was ihm außerdem Kummer bereitete, waren die gehäuft auftretenden Übergriffe von Terroristen auf Militäreinrichtungen rund um den Globus. Ferner verzeichneten seit den vergangenen paar Monaten auch die Anschläge gegen zivile Ziele in Europa einen Aufwärtstrend. Er hatte sich schon oft mit Samantha darüber unterhalten, wie seltsam es war, dass diese Organisationen solche Angriffe bisher nie in den Vereinigten Staaten gewagt hatten. In Anbetracht der arg durchlässigen Südgrenze des Landes hielt er diesen Glücksfall jedoch für zeitlich begrenzt. Über kurz oder lang, das war ihm klar, würden die Terroristen erneut hier zuschlagen, und die nächste größere Aktion könnte so verheerend sein, dass sie die Nation in die Knie zwänge.

Gordon verdrängte das Bild der grausamen Weltbühne und widmete sich wieder seinem Vorsatz, eine angenehme Zeit mit seinem Bruder zu verbringen. Noch einige Biere mehr, etwas Gelächter und ein bisschen Schwelgen in Erinnerungen, dann verabschiedeten sich die beiden voneinander.

Nachdem er Sebastian bis zur Haustür begleitet hatte, drückte Gordon ihn an sich und sagte: »Falls du je irgendetwas brauchen solltest, zögere nicht, mich anzurufen. Wir sind immer für dich da.«

»Das werde ich, Gordo. Bist der Beste, mein Bruder.« Sebastian fühlte sich stets unwohl, wenn er aufbrechen musste. Er hasste dieses Lebewohl-Gehabe.

Als er schon über den Bürgersteig ging, rief Gordon hinterher: »Bleib auf Zack, Marine!«

4. Dezember 2014

Angst ist Schmerz aus der Erwartung des Bösen. – Aristoteles

San Diego, Kalifornien

»Wir unterbrechen das Programm für eine Sondersendung von CNN News. Mehrere Explosionen ereigneten sich im Century Link Field im Zentrum von Seattle, der Heimat des Footballteams Seahawks. Die Zahl der Verletzten bleibt bis auf Weiteres unbekannt. Wir schalten zu unserem Reporter vor Ort, der aus einem Helikopter über dem Stadion berichtet.«

»Oh mein Gott«, schnaufte Samantha und schlug sich entsetzt eine Hand vor den Mund.

»Mama, wo steckt Hunter?«, quengelte Haley.

»Er spielt oben in seinem Zimmer«, antwortete Samantha, ohne das Kind anzusehen. »Bist du mal kurz still, bitte?«

»Mama, Mama, ich will Saft«, bettelte Haley weiter, indem sie an der Hose ihrer Mutter zupfte.

»Sekunde, Kleines«, hielt Samantha sie hin.

Das Kind ging nicht auf die Beschwichtigung ein und gellte: »Mama!«

»Haley, bitte Liebes, nur ganz kurz!« Samantha wurde laut. »Mama schaut sich etwas ganz, ganz Wichtiges an.«

Sie konnte den Blick nicht von den Szenen losreißen, die über den Bildschirm flimmerten. Rauchsäulen schraubten sich über dem Stadion empor. Leider standen solche Bilder nunmehr an der Tagesordnung.

Seit dem 6. September kam es fortwährend an unterschiedlichen Orten im Land zu Anschlägen. Ob Autobomben, Selbstmordattentäter oder Amokschützen in Einkaufszentren – Gewalt war fast zur Normalität geworden. Von Miami ausgehend bis nun nach Seattle schien es in den USA keine sichere Gegend mehr zu geben. Der Präsident hatte noch am vorangegangenen Abend versucht, die Bürger in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehansprache zu beruhigen. Seinem Versprechen zufolge wurden alle verfügbaren Mittel angewandt, um jegliche weiteren Attacken zu vereiteln.

Unglücklicherweise jedoch erfolgten diese Attacken quer durchs Land in so unschöner Regelmäßigkeit, dass nicht wenige Mittel allmählich erschöpft waren. Die verschiedenen Geheimdienste hatten einige wenige Zellen aufhalten können, doch da diese nur sporadisch in Erscheinung traten, war es unmöglich, sie alle zu stoppen. Ganz Amerika war mit den Nerven am Ende. Viele Bürger frequentierten öffentliche Plätze mit möglichem hohen Personenaufkommen überhaupt nicht mehr. Samantha und Gordon zählten zu denjenigen, die das Ausgehen kategorisch mieden. Trauten sie sich dennoch vor die Tür, dann nur zur Beschaffung dessen, was man nicht online bestellen konnte, und niemals in Begleitung der Kinder. Die Lage war zu sehr angespannt, und die Wirtschaft litt unter den wiederholten Attentaten.

»Gordon!«, rief Samantha.

Eine Minute verging ohne Antwort. So erhob sie die Stimme noch lauter: »Gordon, komm her!«

»Was ist los?«, raunte er aus seinem Büro auf der anderen Seite des Hauses. Gordon besaß das Glück, als Webdesigner von daheim aus arbeiten zu können.

Nach seinem Austritt beim Marinekorps hatte er nichts mit sich anzufangen gewusst; wieder die Schulbank zu drücken war ihm zuwider, doch irgendeinem Job musste er nachgehen. Bevor er sich bei der Armee eingeschrieben hatte, studierte er auf einen Abschluss in Informatik hin, weshalb er sich sehr gut mit Computern auskannte. Schon auf dem College entwarf er Internetseiten, um seine Rechnungen bezahlen zu können, also lag es nahe, sich in diese Richtung auszustrecken.

Er verdingte sich gerne in der Branche, doch die Freiheit der Heimarbeit war ihm noch lieber. Dadurch konnte er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen, und jetzt im Zuge all dieser Angriffe schätzte er sich besonders glücklich, nicht zu irgendeiner Bürowabe pendeln zu müssen und sich dadurch als potenzielle Zielscheibe zu präsentieren.

Als Gordon das Wohnzimmer betrat, hockte Samantha nach vorne gebeugt auf der Kante des Sitzpolsters ihrer Couch und stützte die Ellbogen auf den Knien ab, während sie sich mit beiden Händen den Mund zuhielt. Er kannte ihren verzweifelten Gesichtsausdruck, und ein Blick auf den Fernsehschirm gab ihm die Bestätigung: »Scheiße, ist das denn die Möglichkeit. Schon wieder ein Anschlag? Wo?«

Endlich löste sie ihre Hände vom Mund. »In Seattle.«

»Was genau ist passiert?«

»Gordon, sei still, ich verstehe nicht.« Samantha klang äußerst aufgeregt und wirkte überspannt.

Er ging zu ihr hinüber und setzte sich neben sie auf die Couch. Dann nahm er ihre Hand, woraufhin sie sich ihm zuwandte. Tränen schossen in ihre Augen; ihre Stimme brach. »Ich habe Angst, Gordon. Dieser Terror hört einfach nicht auf. Wir wussten ja, dass es uns treffen wird, aber die kennen wirklich kein Erbarmen!«

»Ich verstehe, dass du dich fürchtest, Schatz. Vertrau mir, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um uns zu schützen. Was auch immer dazu notwendig ist: Niemandem von euch wird ein Haar gekrümmt.« Gordon drückte beim Sprechen ihre Hand und sah ihr in die Augen. Gleichzeitig hob er seine andere Hand, um die Tränen abzuwischen, die nun über ihre Wangen liefen.

»Weiß ich doch, aber versprich mir, dass du gerade für die Kinder alles tun wirst, was sein muss.«

»Ich verspreche es.« Damit legte er eine Hand an ihren Hinterkopf und zog sie sanft zu sich, neigte sich nach vorne und küsste sie. Ihre Lippen schmeckten wegen der Tränen salzig.

»Daddy, wieso weint Mama?«, fragte Haley, die sich jetzt an ihren Vater schmiegte.

»Komm her, Liebes.« Gordon streckte sich nach dem Mädchen aus und nahm sie zu sich. Nun umarmte er beide und sprach: »Uns wird nichts geschehen, das schwöre ich. Egal was passiert, unsere Familie bleibt wohlbehalten.«

 

Im Fernsehen begann der Live-Reporter im Hubschrauber schließlich, die ersten konkreten Informationen preiszugeben.

»Allem Anschein nach haben sich Selbstmordattentäter an drei unterschiedlichen Stellen in die Luft gesprengt. Uns gibt man an, die erste Explosion habe sich an einer Sicherheitsschleuse ereignet. Offensichtlich war den Wachleuten jemand in der Warteschlange aufgefallen, doch als sie auf ihn zugingen, zündete er seine Bombe. Die beiden anderen Explosionen folgten innerhalb einer Minute nach der ersten. Die Zahlen der Todesopfer, die wir bislang erhalten, widersprechen einander und reichen von 50 bis zu geschätzten 150. Hier herrscht momentan ein einziges Chaos.«

Gordon drückte Samantha und Haley weiterhin an sich, als er die Nachrichtensendung wie gebannt verfolgte. Während immer mehr Qualm aus dem Stadion drang, packte ihn eine immense Wut. Obwohl er alle Register gezogen hatte, um sich vorzubereiten, blieb er in seinen Möglichkeiten doch eingeschränkt. Diese Offensive dauerte nun schon monatelang an.

Er hatte Samantha noch nichts darüber erzählt, doch in letzter Zeit erwog Gordon, mit der Familie in ihre Hütte nach McCall in Idaho umzusiedeln. Angesichts der Bedrohung spekulierte er darauf, dass die geringe Einwohnerzahl von ungefähr 2.500 die Kleinstadt als Ziel von Terroristen ausschloss.

Nach den ersten Wochen der Schreckenswelle befreite Gordon seinen Sohn vom Unterricht und ließ ihn im Übrigen auch nicht mehr anderswohin gehen. Er versuchte sein Bestes, um den Kindern zu erklären, was vor sich ging, ohne sie zu verstören, aber sie waren eben noch klein und begriffen deshalb nur wenig.

Gordon selbst fühlte sich in ihrem Bezirk im North County von San Diego sicher. Sie lebten in einer geschlossenen Wohngemeinde, nur hatte er das Gefühl, seine Familie sei in ihrem eigenen Zuhause gefangen.

Seit der Serie von Attentaten pflegte Gordon enge Kontakte zu Samanthas Eltern. Diese wohnten in Kansas City in Missouri. Samanthas Vater war schwer krank, weshalb er intensiv ärztlich betreut werden musste, also konnte man sie schwerlich dazu bewegen, nach Idaho zu ziehen. Gordon bangte zwar um sie, doch Samantha, Hunter und Haley gingen ihm über alles.

Musa Qala, Provinz Helmand, Afghanistan

Sebastian war auf einem Beobachtungsposten am Südrand der vorgeschobenen Operationsbasis Musa Qala stationiert. Gerade hatte er von dem jüngsten Anschlag in Seattle erfahren. In mancher Hinsicht war es in der Provinz Helmand sicherer als in den Großstädten zu Hause. Er wusste, dass es Gordon und der Familie gut ging, doch viele seiner Kameraden hatten Angst um ihre eigenen Verwandten und wünschten sich, in die Staaten zurückzukehren, um sie zu beschützen.

Sebastian war sehr müde, sodass er das Ende seines Wachdienstes kaum erwarten konnte, um sich eine Mütze Schlaf zu gönnen. Seit dem ersten Tag im Land, Ende August, hatte sein Trupp Scharfschützen alle Hände voll zu tun. Die meisten von ihnen, auch er selbst, verzeichneten Dutzende bestätigter Abschüsse. Obschon es in Musa Qala nicht mehr so gewalttätig wie zuvor zuging, befanden sich die Schützen in einer Umgebung, wo es ihnen an Zielen nicht mangelte.

Sebastian gefiel sein neues Leben als Kundschafter-Schütze in der ersten Einheit des Zweiten Bataillons der Marine sehr; es erfüllte ihn zur Gänze. Sie unterstanden dem Kommando von Lieutenant Colonel Barone, einem Marine wie aus dem Lehrbuch, dem sein Ruf vorauseilte. Er achtete auf seine Männer und stand stets hinter ihnen.

Sebastian erinnerte sich an einen Vorfall, zu dem es kurz nach ihrer Ankunft im Land gekommen war. Sie hatten das Tal auf der Suche nach Spuren der Taliban erkundet. Während der Einweisung der Aufklärer ihres kleinen Kampfverbandes zweifelte ein Verwaltungsoffizier die Informationen an, die sein Trupp beschafft hatte. Barone lenkte zur Verteidigung seiner Mannschaft ein, indem er dem Kritiker zu verstehen gab, seine Scharfschützen seien die besten auf dem Feld, und wenn Corporal Van Zandt etwas über die Bewegungen der Taliban herausgefunden habe, entspreche dies verdammt noch mal der Wahrheit. Unvergesslich blieb für ihn, wie Barone dem Offizier – einem Major – sagte, Sebastian als Gefreiter wisse besser Bescheid über das, was an der Front vor sich ging, als der Mann selbst. Der Moment würde Sebastian auf ewig im Gedächtnis bleiben. Wegen dieser und ähnlicher Aktionen genoss Barone die unerschütterliche Loyalität der Marines in seinem Bataillon; sie alle waren bereit zu tun, was immer er verlangte.

Washington, D.C.

Als er das Bürogebäude Rayburn House verließ, trat der Vorsitzende Brad Conner mitten in eine Traube von Reportern, die sich gegen die Kälte an jenem Dezembertag mit warmer Kleidung und heißen Getränken gerüstet hatten und auf eine Gelegenheit warteten, ihm Fragen zu stellen. Er war in Eile, blieb jedoch stehen, um soweit wie möglich Antworten bezüglich des jüngsten Bombenanschlags in Seattle zu geben. Conners Statur wirkte nicht gerade imposant. Er war weder groß noch kräftig gebaut, weshalb man ihn kaum wahrnahm, wenn er irgendwo auftrat. Er hatte kurzes, schwarzes Haar, eine fliehende Stirn und eine dem konservativen Politiker geziemende Optik. Auf dem College, also etwa achtundzwanzig Jahre zuvor, war er noch aktiver gewesen, als Baseballspieler, doch die Tage des Trainings waren vielen Stunden hinter dem Schreibtisch gewichen. Er frotzelte oft, er habe sein Waschbrett gegen eine Wäschetrommel eingetauscht.

»Herr Vorsitzender, Mr. Conner, verfügen Sie über die notwendigen Stimmen, um das Überwachungsgesetz zu verabschieden?«

»Ich schließe mich regelmäßig mit den Meinungsmachern kurz, und wir unterweisen jedes einzelne Parteimitglied, zumal ich weiß, dass der Oppositionsführer das Gleiche tut. Wie viele meiner Kollegen mache ich mir Gedanken über das Gesetz, weiß jedoch auch um die akuten Probleme, die vor uns liegen und die durch den letzten Anschlag in Seattle noch dringlicher geworden sind.« Conner führte dies mit ruhiger, aber entschlossener Stimme aus, während er seine Lederhandschuhe anzog.

»Herr Vorsitzender«, rief ein Journalist aus der hinteren Reihe, wobei er sich durch Winken bemerkbar machte. »Soweit wir es verstehen, verlangte der Präsident eine gemeinsame Kongresssitzung beider Parteien, um sich Ihnen und der Nation gegenüber zu den Angriffen zu äußern. Wird es dazu kommen?«

»Ich habe die förmliche Bitte des Präsidenten erhalten und werde ihr morgen Abend Rechnung tragen.«

»Werden Sie nach dem, was Ihrem Sohn in Oklahoma zugestoßen ist, bei dieser gemeinsamen Sitzung anwesend sein?«, wollte der nächste Reporter wissen, der sein Mikrofon nach Conner ausstreckte.

»Wie Sie alle wissen, hatte mein Sohn heute Morgen in Oklahoma City einen Autounfall. Seine Mutter ist jetzt bei ihm, und auch ich werde abreisen, um ihm beizustehen. Allerdings habe ich vor, morgen Abend pünktlich zur Rede des Präsidenten zurück zu sein. Deshalb bringen Sie hoffentlich auch Verständnis dafür auf, dass wir es auf dieser letzten Frage beruhen lassen. Ich danke Ihnen vielmals.« Damit drängelte er sich hastig durch die Menge und nahm die Treppe hinunter zu seiner Limousine.

Nachdem er eingestiegen war und die Tür geschlossen hatte, sagte sein persönlicher Berater, der bereits im Wagen wartete: »Ihr Flug geht laut Plan, Sir, und von Ihrer Frau hörten wir zuletzt, der Zustand Ihres Sohnes habe sich stabilisiert.«

Ian McLatchy war nicht nur Conners oberste Hilfskraft, sondern in vielerlei Hinsicht auch seine rechte Hand. Er hatte während seiner Zeit auf der Hochschule als Laufbursche begonnen und sich zum Vertrauten des drittmächtigsten Mannes der Welt hochgearbeitet. Dylan war klein, maß weniger als 1,60 Meter, und bildete sich etwas auf sein Aussehen ein, wobei er dazu neigte, sich herauszuputzen und dennoch bieder zu wirken. Das schwarze Brillengestell, das er trug, sah zu groß für sein Gesicht aus, die pechschwarzen, gepflegten Haare hielt er stets kurz. Conner mochte Dylan sehr, weil er ständig verfügbar war. Egal, zu welcher Zeit er ihn anrief: Der Mann stand ihm mit Rat und Tat zur Seite.

»Danke sehr, Dylan. Ich möchte, dass wir uns beeilen, bitte«, sagte er laut vernehmlich für den Chauffeur.

Die Limousine brauste los, die C Street entlang, Richtung Flughafen.

5. Dezember 2014

Die Hölle ist leer, und alle Teufel sind hier. – William Shakespeare, »Der Sturm«

San Diego, Kalifornien

Ein weiterer schöner Dezembermorgen war in Südkalifornien angebrochen. Anders als in weiten Teilen des Landes war es hier unter strahlend blauem Himmel milde 16° Celsius warm – perfektes Wetter also zum Frühsport. Gordon ließ nichts über seinen täglichen Lauf kommen. Gerade einmal zwanzig Minuten genügten, um einen klaren Kopf zu bekommen, während die Nachbarschaft zur Arbeit aufbrach, und diese Minuten spendeten ihm ein Gefühl von Zufriedenheit, ja sogar Überschwang. Während er joggte, ließ er seine Unterhaltung mit Samantha vom Vorabend Revue passieren. Er hatte ihr sein Vorhaben unterbreitet, die Familie nach Idaho zu bringen, um das Ende der andauernden Attentate in einem Umfeld abzuwarten, das sicher war und Entspannung gestattete. Sie hatte ihm ohne Vorbehalt zugestimmt und traf bereits erste Vorbereitungen für die Reise. Obwohl das bedeutete, San Diegos traumhaftem Klima zugunsten von Schnee den Rücken zu kehren, wäre er lieber schon jetzt in Idaho gewesen. Samantha und er würden nur wenige Tage zum Planen und Kofferpacken benötigen, sodass sie es bis zum Wochenende schaffen sollten. Heute Morgen hatten sie den Kindern den Umzug mit der Aussicht auf weiße Weihnachten schmackhaft gemacht. Die beiden waren sehr aufgeregt, auch weil sie Idaho liebten und sich darauf freuten, im Schnee zu spielen.

An einer stark befahrenen Kreuzung musste Gordon anhalten. Er betätigte den Schalter an der Ampel und wartete geduldig darauf, dass sie für Fußgänger umsprang. Diese Zeit nutzte er zum Stretching, indem er sich auf Hüfthöhe nach vorne bückte und die Hände zum Pflaster ausstreckte, um sein Kreuz und die rückseitige Oberschenkelmuskulatur zu dehnen. Dann richtete er sich wieder auf und sah auf die Ampel. Sie war erloschen, weder rot noch weiß. Plötzlich kollidierten vor ihm zwei Autos, und bevor er den Schock darüber verwinden konnte, krachte ein drittes hinein. Daraufhin musste er zusehen, wie immer mehr Fahrzeuge aufeinanderprallten. Es war eine Weile her, dass er einen Unfall gesehen hatte. Gordon stand da und glotzte auf die Wracks, bis es ihm allmählich eigenartig vorkam, wie ruhig es auf der ansonsten verkehrsreichen Straße geworden war. Dann realisierte er, dass keine der Ampeln in diesem Bereich mehr funktionierte; sie blinkten nicht einmal rot wie sonst üblich bei einem Stromausfall. Als er links die Straße hinaufschaute, hatten die Fahrzeuge dort entweder angehalten oder rollten langsam vorwärts. Der Blick nach rechts bot ihm das gleiche Bild. Stutzend runzelte er die Stirn.

»Was geht hier vor sich?«, fragte ein sichtlich verärgerter Autofahrer, nachdem er ausgestiegen war, die Tür zugeschlagen hatte und um sich blickte.

»Mein Wagen ist gerade ausgegangen und will nicht mehr anspringen«, sagte ein zweiter zu ihm.

Gordon stand da und ließ alles einfach auf sich wirken.

»Was ist das?«, rief jemand laut und deutete in den Himmel gen Osten.

Als Gordon der Richtung mit den Augen folgte, in welche der Mann zeigte, machte er eine Lichtquelle aus, die kleiner als die Sonne und nicht ganz so hell war.

Beim Starren auf diese glühende Kugel bekam er die Bemerkungen der anderen mit, während die am Unfall Beteiligten durcheinander schrien. Mancher beschwerte sich über nicht mehr funktionierende Mobiltelefone und liegengebliebene Autos.

»Oh mein Gott, es wird auf uns herabstürzen!«, kreischte eine Frau weiter unten auf der Straße, die neben ihrem Wagen stand.

Gordon drehte sich zu ihr um und folgte ihrem Blick hinauf zum Himmel. Dort befand sich ein Flugzeug im freien Fall. Es war noch weit entfernt, aber schon tief genug, um es als Verkehrsflugzeug zu identifizieren. Es sah wie ein Spielzeug aus, während es nach unten sauste. Das gesamte Szenario mutete surreal an. Er stand wie erstarrt da und verfolgte den Absturz, bis der Flieger an einem Hang in der Ferne aufschlug und in einem roten Feuerball explodierte.

 

Schreie des Entsetzens folgten auf den Crash. Viele der Menschen rings um Gordon waren wie vom Blitz getroffen durch das, was sie gerade erlebt hatten. Endlich überwand er seine vorübergehende Lähmung und lief los – nach Hause. Er wollte so schnell er konnte zurückkehren.

Auf dem Weg nach Hause besann sich Gordon seiner militärischen Ausbildung. Er begann, die Lage einzuschätzen, wobei seine Anhaltspunkte zusehends ein Bild ergaben. Sein Herz klopfte heftig. Wohin er sah, standen Leute vor ihren Autos und hielten ihre Handys in die Luft. Alles erschien so unwirklich, doch er hatte das Gefühl, zu wissen, was geschehen war.

Dass seine Heimatstadt Opfer eines Anschlags geworden war, wusste er, doch er konnte nicht einschätzen, ob es noch schlimmer kam. Nachdem er die Anhöhe hinaufgelaufen war, von der aus er den Bezirk meilenweit überblicken konnte, entdeckte er in der Ferne Rauch sowie gewaltige Flammen, die in den Himmel züngelten. Es brannte zwar in weiter Entfernung, doch was dort geschehen war, hatte weitreichende Auswirkungen. An der Kreuzung, die in sein Wohngebiet führte, war die Straße mit defekten Fahrzeugen verstopft und von Glassplittern und Schrott im Zuge zahlloser Unfälle übersät. Die Beleuchtung funktionierte ebenfalls nicht, und die Wachposten an der Schranke vor dem Bezirk waren in Gespräche mit den Besitzern der geschädigten Wagen vertieft. Sonst war niemand zu sehen.

Im Vorbeilaufen bekam Gordon die nüchterne Schilderung eines Wachmanns mit: »Ma'am, es handelt sich nur um einen Ausfall des Strom- und Telefonnetzes. Ich bin mir sicher, dass man das Problem schnell beheben wird, also bewahren wir einen kühlen Kopf.«

Am Eingang für Fußgänger öffnete Gordon mit seinem Zahlencode und lief weiter. Endlich erreichte er seine Straße, wo die Nachbarn vor ihren Häusern standen und mit ihren Mobiltelefonen beschäftigt waren. Sie tippten darauf herum, wohl in der Hoffnung, sie irgendwie wieder einzuschalten.

Ohne sein Lauftempo zu verringern, rief er. »Geht zurück in die Häuser! Verschwindet nach drinnen und bleibt in Deckung!«

Niemand hörte auf ihn; alle standen wie angewurzelt herum, schauten verwirrt und fassungslos drein. Nach mehreren anstrengenden Meilen hatte Gordon es nun bis zu seiner eigenen Haustür geschafft. Er keuchte, zitterte und musste sich um einen klaren Blick bemühen, als er seine Schlüssel zückte. Seine Handflächen und Finger waren schweißfeucht, was es nicht einfacher machte, den richtigen Schlüssel zu finden.

»Komm schon, verdammt!«

Während er noch mit dem Schlüsselbund haderte, machte Samantha ihm auf. Sie verharrte im Türrahmen, Haley an einer Seite und Hunter auf der anderen, wo er sich an ihr Bein klammerte.

»Was geschieht hier? Nichts funktioniert mehr!«, begann sie in dringlichem Ton. Sie war eindeutig nervös. Die Anschläge der vergangenen Monate hatten sie aufgekratzt, und dies nun gab ihr den Rest.

Gordon trat ein. »Folgt mir«, gebot er streng, als er sie auf der Schwelle streifte.

Sie gehorchte ohne Zögern, pochte aber auf eine Antwort. »Was ist los?«

»Samantha, ich habe keine Zeit, das alles zu erklären. Bitte hör einfach auf mich.« Gordon führte sie zu den eingebauten Arbeitsplatten in der Küche. »Ich will, dass ihr euch darunterlegt und wartet, bis ich zurückkomme.«

»Gordon, warum? Bitte weih mich ein.« Samantha riss die Augen weit auf, ihr Gesichtsausdruck zeugte von Angst. Ihre Anspannung und Hast entgingen den Kindern nicht, weshalb Haley zu weinen anfing.

Samantha küsste sie und redete sanft auf sie ein: »Alles wird gut, Liebes. Versprochen.«

»Ich hab Angst, Mama«, schluchzte das Mädchen, verbarg sein Gesicht an ihrer Schulter und schlang die Ärmchen um ihren Hals.

»Ich auch, Mama«, druckste Hunter kurz darauf. Er weinte zwar nicht, doch die Beklommenheit stand auch ihm ins Gesicht geschrieben.

»Bitte Sam, folge meinen Anweisungen und vertrau mir. Taucht dort unter und wartet auf mich.«

»Wohin gehst du? Weshalb lässt du uns allein?«, drängte Samantha und weigerte sich, seinen Arm loszulassen.

»Liebes, ich werde nicht aus dem Haus gehen, sondern bereite nur etwas vor. Es dauert nur ein paar Minuten.«

»Bitte verlass uns nicht, Gordon«, flehte sie und packte seinen Unterarm vor schierer Verzweiflung noch fester.

Er kniete sich zu ihnen und umarmte alle drei. »Ich schwöre, ich bin gleich wieder zurück.« Nachdem er Samantha noch einmal geküsst hatte, sprang er auf und schritt zügig durch den Raum.

Gordon stöpselte den Abfluss zu und ließ Wasser ins Spülbecken laufen, derweil er ins nächste Bad rannte und auf der dortigen Toilette das Gleiche tat. So verfuhr er im gesamten Haus – Abläufe verschließen und Wasserhahn aufdrehen. Als er in die Küche zurückkehrte, kauerte seine Familie noch immer artig unter der Arbeitsfläche und hielt aneinander fest. Sie blickten zu ihm auf, wobei ihre Bestürzung offensichtlich war.

»Bin fast fertig, hört ihr?«, rief er ein wenig zu ausgelassen, in dem Versuch, sie zu beruhigen, als er die Vorratskammer betrat.

Von dort trug er jede Kanne, alle Gefäße und Gläser in der Küche zusammen, um sie mit Wasser zu füllen. Seine Hände zitterten. Auch er fürchtete sich, wusste aber, dass hieran kein Weg vorbeiführte. Er musste so viel Wasser wie möglich sammeln. Seine Vorahnung bezüglich des Attentats schloss mit ein, dass Wasser demnächst knapp werden würde.

Gordon sann über die unzähligen Male nach, da er versucht gewesen war, einen 2.000-Liter-Trinkwassertank zu kaufen, es aber nie getan hatte. Ehe er sich Vorwürfe machen konnte, verdrängte er den Gedanken. In einer solchen Situation durfte man nicht reuig zurückblicken, sondern musste geistesgegenwärtig sein und auf die Zukunft hinarbeiten. Als alle Behälter gefüllt waren, kehrte er zu seiner Familie zurück.

Er setzte sich neben sie auf den Boden, woraufhin Samantha seine Hand packte und um Ruhe bemüht erneut fragte: »Gordon, was ist los?«

So gerne er seiner Frau die Angst nehmen und Zuversicht ausstrahlen wollte, erachtete er es doch als seine Pflicht, ehrlich zu sein. »Wir erleben wohl gerade einen Anschlag, der die Elektrizität und alle technischen Geräte lahmgelegt hat. Normalerweise geht so etwas einem Atomangriff voraus.«

Sie drückte fest seine Hand und suchte seinen Blick. »War es das etwa? Soll es so zu Ende gehen?«

»Ich …« Gordon stockte. »Sam, im Ernst: Ich weiß es nicht. Ich kann nur aus dem schließen, was ich gelesen habe, und mich auf eine Ausbildung berufen, die ich vor Jahren absolviert habe. Ich liebe euch, und falls es nun soweit ist, sterben wir wenigstens gemeinsam.«

Sie umarmten einander, schwiegen und lauschten dabei in die Stille hinein, die sie umgab.

So verging eine Stunde, ohne dass ihnen etwas Bemerkenswertes auffiel. Gordon ging davon aus, dass die Bombe nicht fallen wird.

»Ich schätze, die Luft ist rein«, sagte er, und sie krochen unter der Arbeitsfläche hervor, um sich zu strecken.

»Was nun?«, fragte Samantha.

»Mama, ich muss aufs Klo«, quengelte Haley und fasste sich in den Schritt.

»Sicher, Liebes. Geh nur«, entgegnete ihre Mutter, indem sie den Kopf des Mädchens tätschelte.

»Passt auf, ich lasse das jetzt noch durchgehen, aber wir dürfen die Toiletten nicht mehr benutzen«, mahnte Gordon.

»Wieso?«, wunderte sich Samantha sichtlich verdutzt.

»Wenn passiert ist, was ich vermute, werden die Rohre bald verstopfen, sodass das System nicht mehr richtig funktioniert. Außerdem sollten wir mit dem Wasser haushalten.«

»Und was schlägst du stattdessen vor?«, drängte Samantha, nicht ohne kritischen Unterton.

»Hey Sam, ich mag das genauso wenig wie du, aber eventuell müssen wir eine Latrine im Garten bauen.«

»Was, du willst dein Geschäft draußen machen?«

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