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Der Doppelgänger

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Die Stunden dauerten unglaublich lange; endlich schlug es vier. Gleich darauf standen alle auf und begaben sich, dem Vorgange ihres Vorgesetzten folgend, zu sich nach Hause. Herr Goljadkin mischte sich unter den Schwarm; seine Augen waren wachsam und ließen denjenigen, auf den er es abgesehen hatte, nicht aus der Acht. Endlich sah unser Held, daß sein Freund zu den Kanzleidienern hinlief, die die Mäntel austeilten, und nach seiner häßlichen Gewohnheit in Erwartung des seinigen um sie herumschwänzelte. Dies war der entscheidende Augenblick. Herr Goljadkin drängte sich, so gut es ging, durch den Schwarm hindurch und bemühte sich, um nicht zurückzubleiben, ebenfalls um seinen Mantel. Aber dem Freunde des Herrn Goljadkin wurde der seinige zuerst gereicht, weil er es auch hier fertig brachte in seiner Weise sich einzuschmeicheln, den Liebenswürdigen zu spielen, verbindlich zu flüstern und sich unwürdig zu benehmen.

Nachdem Herr Goljadkin der jüngere seinen Mantel umgeworfen hatte, sah er Herrn Goljadkin den älteren ironisch an, mit der unverhohlenen, dreisten Absicht, ihn zu ärgern; dann blickte er mit der ihm eigenen Frechheit rings um sich, trippelte zu guter Letzt noch einmal bei den andern Beamten umher, wahrscheinlich um einen vorteilhaften Eindruck zu hinterlassen, sagte dem einen ein freundliches Wort, flüsterte einem andern etwas zu, widmete einem dritten eine Respektsbezeigung, spendierte einem vierten ein Lächeln, gab einem fünften die Hand und schlüpfte vergnügt die Treppe hinunter. Herr Goljadkin der ältere eilte hinter ihm her, holte ihn zu seiner größten Freude noch auf der letzten Stufe ein und faßte ihn am Mantelkragen. Herr Goljadkin der jüngere schien ein wenig zu erschrecken und blickte betroffen rings um sich.

„Wie soll ich das auffassen?“ flüsterte er endlich Herrn Goljadkin mit schwacher Stimme zu.

„Mein Herr, wenn Sie überhaupt ein anständiger Mensch sind, so hoffe ich, Sie werden sich an unsere gestrigen freundschaftlichen Beziehungen erinnern,“ sagte unser Held.

„Ah, ja! Nun also: haben Sie gut geschlafen?“

Die Wut benahm Herrn Goljadkin dem älteren für einen Augenblick die Sprache.

„Ich habe allerdings gut geschlafen … Aber erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, mein Herr, daß Ihr Spiel gründlich verdorben ist …“

„Wer sagt das? Das sagen meine Feinde,“ antwortete kurz derjenige, der sich Herr Goljadkin nannte, und befreite sich bei diesen Worten unerwartet aus den schwachen Händen des wirklichen Herrn Goljadkin. Nachdem er sich befreit hatte, eilte er hinaus, blickte um sich, sah eine Droschke, lief zu ihr hin, setzte sich hinein und war im nächsten Augenblicke den Augen Herrn Goljadkins des älteren entschwunden. Verzweifelt und von allen verlassen schaute der Titularrat sich nach allen Seiten um; aber es war keine andere Droschke da. Er machte den Versuch zu laufen; aber die Beine versagten ihm den Dienst. Mit niedergeschlagener Miene und offenem Munde, sich kraftlos zusammenkrümmend, lehnte er sich wie vernichtet an einen Laternenpfahl und blieb so einige Minuten lang auf dem Trottoir stehen. Man konnte glauben, daß es mit Herrn Goljadkin völlig aus sei.

9. Kapitel

Alles, sogar die Natur selbst, schien sich gegen Herrn Goljadkin verschworen zu haben; aber er stand noch auf seinen Füßen und war noch nicht besiegt; er fühlte, daß er nicht besiegt war. Er war bereit, weiter zu kämpfen. Als er nach der ersten Betäubung wieder zur Besinnung kam, rieb er sich mit einem solchen Gefühl der Energie die Hände, daß man schon bei seinem bloßen Anblick zu dem Schlusse kommen konnte, er werde nicht nachgeben. Übrigens war die Gefahr ihm nahe auf den Leib gerückt und offensichtlich geworden; auch dies fühlte Herr Goljadkin; aber wie sollte er ihr begegnen, dieser Gefahr? Das war die Frage. Für einen Augenblick schoß Herrn Goljadkin sogar folgender Gedanke durch den Kopf: „Wie wär’s, wenn ich die ganze Sache laufen ließe und einfach verzichtete? Was wäre dabei? Na, gar nichts. Ich werde still für mich leben, als ob ich es gar nicht wäre,“ dachte Herr Goljadkin; „ich werde alles fahren lassen; ich bin es nicht, Punktum. Er wird ebenfalls still für sich leben und vielleicht auch verzichten; er wird scherwenzeln, der Halunke, wird scherwenzeln und sich hin und her drehen; aber er wird doch verzichten. So muß es gemacht werden! Ich werde durch Demut siegen. Und wo ist denn eine Gefahr? Nun, was für eine Gefahr besteht denn? Ich möchte wohl, daß mir jemand nachwiese, wo bei dieser Angelegenheit eine Gefahr steckt. Das Ganze ist eine Lumperei, eine ganz gewöhnliche Geschichte! …“ Hier stockte Herr Goljadkin in seinen Überlegungen; die Worte erstarben ihm auf der Zunge; er schalt sich sogar für diesen Gedanken aus und klagte sich niedriger Gesinnung und arger Feigheit wegen dieses Gedankens an; aber seine Sache kam trotzdem nicht vom Fleck. Er fühlte, daß es im gegenwärtigen Augenblicke für ihn dringend notwendig war, sich zu irgend etwas zu entschließen; er hatte sogar die Empfindung, daß er demjenigen viel geben würde, der ihm sagte, wozu er sich eigentlich entschließen müsse. Na, aber wie sollte er das erraten? Übrigens hatte er auch keine Zeit, sich mit Raten abzugeben. Auf jeden Fall nahm er, um keine Zeit zu verlieren, eine Droschke und fuhr schnell nach Hause. „Nun? Wie fühlst du dich jetzt?“ dachte er bei sich; „wie ist dir jetzt zumute, Jakow Petrowitsch? Was wirst du machen? Was wirst du jetzt anfangen, du Schuft, du Halunke? Da hast du dich nun in die ärgste Lage gebracht, und jetzt weinst du, jetzt winselst du!“ So verhöhnte Herr Goljadkin sich selbst, während er auf dem Sitze der rüttelnden und stoßenden Equipage seines Rosselenkers auf- und niederhüpfte. Sich zu verhöhnen und in dieser Weise seine Wunden aufzureißen war in diesem Augenblicke für Herrn Goljadkin eine Art von hohem Genusse, ja beinah eine Wonne. „Na, wenn jetzt“, dachte er, „irgendein Zauberer käme oder es sich auf amtlichem Wege so gestaltete, daß man mir sagte: ‚Goljadkin, gib einen Finger von deiner rechten Hand her, dann sollst du quitt sein; es soll dann keinen andern Goljadkin geben, und du wirst glücklich sein; nur den Finger wirst du nicht mehr haben,‘ – dann würdest du den Finger hingeben; du würdest ihn unbedingt hingeben, würdest ihn hingeben, ohne die Stirn zu runzeln. Hol der Teufel diese ganze Geschichte!“ rief der verzweifelte Titularrat schließlich. „Wozu ist denn das alles passiert? Daß das alles auch passieren mußte, gerade das, ausgerechnet das, als ob nicht irgend etwas anderes hätte passieren können! Und alles war vorher gut; alle waren zufrieden und glücklich; aber nein, es mußte dies passieren! Übrigens ist mit Worten dabei nicht zu helfen. Da muß gehandelt werden!“

So hatte Herr Goljadkin, als er seine Wohnung betrat, sich schon beinah zu irgend etwas entschlossen; ohne zu zaudern griff er nach seiner Pfeife, und aus Leibeskräften daran saugend und Rauchwolken nach rechts und links ausstoßend, begann er in großer Aufregung in seinem Zimmer hin und her zu laufen. Unterdessen fing Petruschka an, den Tisch zu decken. Endlich war Herr Goljadkin mit seinem Entschlusse ins reine gekommen; er warf plötzlich die Pfeife hin, zog sich den Mantel an, sagte, er werde nicht zu Hause zu Mittag essen, und lief aus der Wohnung. Auf der Treppe holte ihn Petruschka ganz atemlos ein, der den von ihm vergessenen Hut in der Hand hielt. Herr Goljadkin nahm den Hut hin und wollte sich so obenhin mit ein paar Worten vor Petruschka entschuldigen, damit dieser nicht auf irgendwelche besonderen Gedanken käme (er wollte sagen, es sei etwas Derartiges vorgefallen, daß es einem leicht passieren könne, den Hut zu vergessen usw.); aber da Petruschka ihn nicht einmal ansehen mochte, sondern sogleich wieder wegging, so setzte auch Herr Goljadkin ohne weitere Auseinandersetzungen seinen Hut auf und lief die Treppe hinunter. Er sagte sich, vielleicht werde alles sich gut gestalten und die Sache sich irgendwie zurechtschieben, und obwohl er die erfrorenen Stellen an seinen Fersen unangenehm fühlte, trat er auf die Straße hinaus, nahm sich eine Droschke und fuhr schnell zu Andrei Filippowitsch. „Wäre es übrigens nicht besser, es bis morgen zu lassen?“ dachte Herr Goljadkin, während er nach dem Klingelzuge an Andrei Filippowitschs Entreetür griff. „Was habe ich ihm denn auch eigentlich Besonderes zu sagen? Etwas Besonderes liegt hier überhaupt nicht vor. Die Sache ist ja so jämmerlich, wirklich jämmerlich, ekelhaft, d. h. beinah ekelhaft … so wie dies alles, dieser ganze Vorfall …“ Plötzlich zog Herr Goljadkin an dem Klingelzuge; die Klingel ertönte; von innen wurden Schritte vernehmbar … Nun verwünschte Herr Goljadkin sich geradezu wegen seiner Übereilung und Dreistigkeit. Die Unannehmlichkeiten, die er vor kurzem gehabt, aber über den amtlichen Dingen beinahe vergessen hatte, und sein Rencontre mit Andrei Filippowitsch kamen ihm jetzt sofort wieder ins Gedächtnis. Aber zum Davonlaufen war es bereits zu spät: die Tür wurde geöffnet. Zu Herrn Goljadkins Glücke wurde ihm geantwortet, daß Andrei Filippowitsch nicht vom Dienst nach Hause gekommen sei und nicht zu Hause zu Mittag gegessen habe. „Ich weiß, wo er zu Mittag gegessen hat; er pflegt bei der Ismailowski-Brücke zu Mittag zu essen,“ dachte unser Held und freute sich gewaltig. Auf die Frage des Dieners, wen er seinem Herrn als dagewesen melden solle, erwiderte er: „Schon gut; ich werde später noch einmal wiederkommen, mein Freund!“ und lief sogar mit einer gewissen Munterkeit die Treppe hinab. Als er auf die Straße hinaustrat, entschied er sich dafür, den Wagen zu entlassen und den Kutscher abzulohnen. Als der Kutscher um ein Trinkgeld bat, mit der Begründung: „Ich habe lange warten müssen, mein Herr, und habe meinen Traber für Euer Gnaden nicht geschont,“ da gab er ihm auch fünf Kopeken Trinkgeld, und sogar recht gern; er selbst ging zu Fuß.

„Die Sache ist allerdings von der Art,“ dachte Herr Goljadkin, „daß man sie nicht so weitergehen lassen darf; indessen, wenn man es überlegt, so recht überlegt, warum soll man sich denn eigentlich deswegen Mühe machen? Na ja, ich will nur sagen, warum soll ich mir deswegen Mühe machen? Warum soll ich mich plagen, mich quälen, mich peinigen, mir das Leben verderben? Erstens ist die Sache einmal geschehen und läßt sich nicht ungeschehen machen … nein, ungeschehen läßt sie sich nicht machen! Erwägen wir sie einmal so: da erscheint ein Mensch … es erscheint ein Mensch mit ausreichender Empfehlung; es heißt darin, er sei ein brauchbarer Beamter, habe sich gut geführt; er ist nur arm und hat allerlei Unannehmlichkeiten auszustehen gehabt, so Klatschgeschichten und Zänkereien; na, Armut ist ja keine Schande. Also was geht mich die Sache an? In der Tat, was ist das für dummes Zeug? Na, da trifft es sich nun, daß dieser Mensch so gestaltet ist, von der Natur selbst so gestaltet ist, daß er einem andern Menschen so ähnlich sieht wie ein Ei dem andern, daß er die vollkommene Kopie eines andern Menschen ist; soll er nun deswegen bei der Behörde keine Aufnahme finden? Wenn das Schicksal, wenn einzig und allein das Schicksal, wenn einzig und allein der blinde Zufall daran schuld ist, soll man ihn dann mißachten wie einen alten Lappen und ihm nicht gestatten, ein Amt zu verwalten … wo bleibt da bei solchem Verfahren die Gerechtigkeit? Er ist ein armer, verstörter, verängstigter Mensch; das Herz tut einem weh bei seinem Anblick; das Mitleid gebietet, daß man sich seiner annimmt! Ja! Das muß man sagen, das wäre eine nette Obrigkeit, wenn sie darüber so dächte wie ich herzloser Mensch! Nein, was habe ich für einen Kopf! Manchmal haben zehn Dummheiten zugleich darin Platz! Nein, nein! Sie haben gut getan, und es gebührt ihnen Dank dafür, daß sie sich des armen Teufels angenommen haben … Na ja, allerdings, zum Beispiel, daß wir so ähnlich sind, daß wir eine solche zwillingshafte Ähnlichkeit haben, das ist eine tolle Geschichte! Aber, was ist dabei? Einfach gar nichts! Die Beamten können sich alle daran gewöhnen; und ein Fremder, der in unser Bureau kommt, wird gewiß in einem solchen Umstande nichts Unziemliches und Anstößiges finden. Es ist sogar gewissermaßen etwas Rührendes dabei; er wird sich sagen: ‚Was liegt da für ein schöner Gedanke zugrunde? Die göttliche Vorsehung hat zwei ganz ähnliche Menschen geschaffen, und die edeldenkende Behörde hat sich, da sie sah, was die göttliche Vorsehung getan hat, der beiden Zwillinge angenommen.‘ Das ist gewiß,“ fuhr Herr Goljadkin fort, indem er tief Atem holte und die Stimme ein wenig senkte, „das ist gewiß, das beste wäre es, wenn all das nicht existierte, wenn nichts Rührendes da wäre und auch keine Zwillinge … Hole der Teufel diese ganze Geschichte! Und wozu war das denn nötig? Was war denn für eine besondere, keinen Aufschub vertragende Notwendigkeit vorhanden? Herr du mein Gott! Was hat uns da der Teufel für eine Grütze gekocht! Und dabei hat dieser Mensch so einen Charakter, so ein spaßhaftes, unangenehmes Wesen, ein solcher Schuft ist er, eine solche Wetterfahne, ein Liebediener und Schmarotzer, so ein echter Goljadkin! Am Ende wird er sich gar noch schlecht führen und meinen Familiennamen beflecken, der Schurke! Da heißt es nun jetzt auf ihn aufpassen, ihn beaufsichtigen! Ach, ist das eine Heimsuchung! Übrigens wieso denn? Es ist ja doch gar nicht nötig! Na, wenn er ein Schuft ist, dann mag er in Gottes Namen ein Schuft sein; aber dafür ist der andere ein ehrenwerter Mensch. Na, wenn er nun ein Schuft sein wird, ich aber ehrenwert, dann werden sie sagen: ‚Dieser Goljadkin hier ist ein Schuft; um den muß man sich nicht kümmern und darf ihn nicht mit dem andern verwechseln; der andere aber ist ehrenwert, tugendhaft, sanft, gutmütig, durchaus zuverlässig im Dienst und eines Avancements würdig. So ist das!‘ Na, gut … aber wie, hm … Aber wie werden sie, hm … und sie werden uns doch verwechseln! Es sieht ihm ganz ähnlich, daß er es darauf anlegt! Ach du mein Herrgott! … Und er gibt sich für einen andern Menschen aus, gibt sich für einen andern Menschen aus, dieser Schuft; als ob der andere ein alter Lappen wäre, gibt er sich für ihn aus und bedenkt nicht, daß ein Mensch kein alter Lappen ist. Ach du mein Herrgott! Ist das ein Unglück! …“

 

Unter solchen Überlegungen und Wehklagen lief Herr Goljadkin dahin, ohne auf den Weg zu achten, und beinah ohne selbst zu wissen, wohin. Erst auf dem Newski-Prospekte kam er zu sich, und zwar nur infolge des zufälligen Umstandes, daß er mit einem Passanten so geschickt und kräftig zusammenstieß, daß beiden die Funken aus den Augen sprühten. Herr Goljadkin murmelte, ohne den Kopf in die Höhe zu heben, eine Entschuldigung, und erst als der andere, der etwas nicht sehr Schmeichelhaftes zurückgemurmelt hatte, sich bereits in beträchtlicher Entfernung befand, richtete er den Kopf auf und sah sich um, wo er denn sei. Als er dabei bemerkte, daß er sich gerade vor dem Restaurant befand, in dem er sich zur Vorbereitung auf das Diner bei Olsufi Iwanowitsch erholt hatte, fühlte unser Held auf einmal ein Kneifen und Zwicken im Magen und erinnerte sich, daß er noch nicht zu Mittag gegessen hatte und nirgends zum Diner eingeladen war; ohne daher seine kostbare Zeit zu verlieren, lief er die Treppe zum Restaurant hinauf, um in aller Geschwindigkeit einen Bissen zu genießen und möglichst bald wieder fortzugehen. Und obgleich in dem Restaurant alles ein bißchen teuer war, so ließ sich Herr Goljadkin doch durch diesen unbedeutenden Umstand diesmal nicht zurückschrecken; er hatte keine Zeit, sich mit so unwichtigen Dingen aufzuhalten. In einem hellerleuchteten Zimmer stand eine ziemlich dichte Schar von Gästen um das Büfett herum, auf welchem eine Menge all solcher Speisen stand, wie sie von gutsituierten Leuten als Vorgericht genossen werden. Der Büfettkellner hatte alle Hände voll zu tun mit Einschenken, Hinreichen, Geldnehmen und – herausgeben. Herr Goljadkin wartete ein Weilchen, bis er herankonnte, und streckte dann bescheiden seine Hand nach einer kleinen Fischpastete aus. Darauf ging er in eine Ecke, wendete den Anwesenden den Rücken zu, aß mit gutem Appetite, kehrte dann wieder zu dem Büfettkellner zurück, stellte das Tellerchen auf den Tisch, zog, da er den Preis kannte, ein Zehnkopekenstück heraus und legte es auf den Schenktisch, wobei er den Blick des Kellners auffing, um ihn zu bedeuten: „Hier liegt das Geld; eine Pastete.“

„Sie haben einen Rubel zehn Kopeken zu zahlen,“ sagte der Kellner mürrisch.

Herr Goljadkin war höchst erstaunt.

„Meinen Sie mich? … Ich … ich habe ja wohl nur eine Pastete genommen.“

„Sie haben elf genommen,“ erwiderte der Kellner im Tone sicherer Überzeugung.

„Sie irren sich wohl … meines Erachtens irren Sie sich … Ich habe ja wohl wirklich nur eine Pastete genommen.“

„Ich habe gezählt; Sie haben elf Stück genommen. Da Sie sie genommen haben, müssen Sie sie auch bezahlen; umsonst wird bei uns nichts verabfolgt.“

Herr Goljadkin war wie betäubt. „Was widerfährt mir da für eine Zauberei?“ dachte er. Unterdessen wartete der Kellner auf Herrn Goljadkins Entschluß; man umdrängte neugierig Herrn Goljadkin; dieser griff schon in die Tasche, um einen Rubel herauszuholen und unverzüglich zu bezahlen und nur ja keine Sünde auf sein Gewissen zu laden. „Na, wenn es elf Stück gewesen sind, meinetwegen!“ dachte er und wurde rot wie ein Krebs. „Na, was ist denn dabei, daß jemand elf Pasteten gegessen hat? Der Mensch ist eben hungrig gewesen, und da hat er elf Pasteten gegessen; möge es ihm wohl bekommen; zu wundern ist dabei nichts und auch nichts zu lachen …“ Auf einmal war es Herrn Goljadkin, als ob er einen Stich bekäme; er blickte auf und verstand mit einem Male das Rätsel, begriff die ganze Zauberei; mit einem Male waren alle Zweifel gelöst … In der nach dem anstoßenden Zimmer führenden Tür, fast gerade hinter dem Rücken des Büfettkellners und mit dem Gesichte nach Herrn Goljadkin zu, in dieser Tür, die unser Held übrigens bis dahin für einen Spiegel gehalten hatte, stand ein Mensch – stand er, stand Herr Goljadkin selbst – nicht der alte Herr Goljadkin, nicht der Held unserer Erzählung, sondern der andere Herr Goljadkin, der neue Herr Goljadkin. Dieser andere Herr Goljadkin befand sich anscheinend in ganz vorzüglicher Stimmung. Er lächelte Herrn Goljadkin den ersten an, nickte ihm mit dem Kopfe zu, blinzelte mit den Augen, trippelte ein bißchen mit den Füßen und nahm eine Haltung an, als ob er, sobald es nötig wäre, Reißaus nehmen wolle, in das anstoßende Zimmer und dann vielleicht durch den hinteren Ausgang und so weiter, wobei dann alle Verfolgung vergeblich sein mußte. In der Hand hatte er das letzte Stück der zehnten Fischpastete, das er vor den Augen des Herrn Goljadkin, vor Vergnügen schmatzend, in seinen Mund schob. „Er hat sich für mich ausgegeben, der Schurke,“ dachte Herr Goljadkin und fuhr vor Empörung auf wie eine Feuerflamme. „Er hat sich vor der Öffentlichkeit nicht gescheut! Ob man ihn wohl sieht? Wie es scheint, bemerkt ihn niemand …“ Herr Goljadkin warf einen Rubel hin, als hätte er sich an ihm die Finger verbrannt, und ohne des Büfettkellners vielsagendes, dreistes Lächeln, ein Lächeln des Triumphes und ruhigen Machtbewußtseins, zu beachten, arbeitete er sich durch die Menge hindurch und stürmte hinaus, ohne sich umzusehen. „Gott sei Dank, daß er mich nicht noch viel ärger kompromittiert hat!“ dachte der ältere Herr Goljadkin. „Dank dem Verfahren des Gauners und dank dem Geschick ist alles noch gut abgelaufen. Nur der Kellner war ein bißchen grob. Aber das durfte er; er war ja in seinem Rechte! Er hatte einen Rubel zehn zu bekommen; also war er in seinem Rechte. Er sagte: ‚Umsonst wird bei uns nichts verabfolgt.‘ Er hätte nur etwas höflicher sein sollen, der Schlingel! …“

All dies sagte sich Herr Goljadkin, während er die Treppe hinunterstieg und auf die Stufen vor der Haustüre trat. Auf der letzten Stufe indes blieb er wie angenagelt stehen und errötete auf einmal so stark, daß ihm in einem Anfalle von gekränktem Ehrgefühl sogar die Tränen in die Augen traten. Nachdem er etwa eine halbe Minute wie ein Pfahl dort gestanden hatte, stampfte er auf einmal entschlossen mit dem Fuße auf, sprang mit einem Satze auf die Straße hinunter und rannte, ohne sich umzusehen, atemlos, ohne Müdigkeit zu verspüren, zu sich nach Hause nach der Schestilawotschnaja-Straße. Zu Hause ließ er sich nicht einmal Zeit, seinen Uniformrock auszuziehen (ganz gegen seine Gewohnheit, es sich zu Hause bequem zu machen), ja er nahm nicht einmal zur Vorbereitung die Pfeife zur Hand, sondern setzte sich sofort aufs Sofa, zog sich das Tintenfaß heran, ergriff eine Feder, suchte sich einen Bogen Briefpapier heraus und machte sich daran, mit einer Hand, die vor innerer Aufregung zitterte, das nachstehende Schreiben aufs Papier zu werfen:

„Mein geehrter Herr,

Jakow Petrowitsch!

„Ich würde nicht die Feder ergreifen, wenn mich nicht meine Lage und Sie selbst, mein Herr, dazu zwängen. Glauben Sie mir, daß nur die Notwendigkeit mich dazu gebracht hat, mit Ihnen in derartige Erörterungen einzutreten, und daher bitte ich Sie vor allen Dingen, dieses mein Verfahren nicht als wohlüberlegte Absicht, Sie, mein Herr, zu beleidigen, sondern vielmehr als die notwendige Folge der jetzt zwischen uns bestehenden Beziehungen aufzufassen.“

„Es scheint, so ist es gut, anständig und höflich, wiewohl nicht ohne Kraft und Festigkeit? … Ich möchte meinen, er hat keinen Anlaß, sich dadurch beleidigt zu fühlen. Zudem bin ich in meinem Rechte,“ dachte Herr Goljadkin, indem er das Geschriebene durchlas.

„Ihr unerwartetes, seltsames Erscheinen, mein Herr, in jener stürmischen Nacht, nachdem meine Feinde, deren Namen ich aus Verachtung gegen sie verschweige, sich so roh und unanständig gegen mich benommen hatten, war der Keim aller der Mißverständnisse, die gegenwärtig zwischen uns bestehen. Ihr hartnäckiges Verlangen, mein Herr, Ihren Willen durchzusetzen und gewaltsam in den Kreis meines Daseins und aller meiner Lebensverhältnisse einzudringen, überschreitet alle Grenzen, die schon durch die Höflichkeit und die einfachste gesellschaftliche Rücksichtnahme gezogen sind. Ich glaube, ich brauche hier nicht daran zu erinnern, mein Herr, wie Sie mir mein Aktenstück und meinen eigenen ehrlichen Namen entwendet haben, um von der vorgesetzten Behörde ein Lob einzuernten, das Sie nicht verdienten. Ich brauche hier auch nicht daran zu erinnern, daß Sie absichtlich in beleidigender Form es ablehnten, sich auf die bei diesem Falle nötig gewordenen Auseinandersetzungen einzulassen. Um schließlich alles zu sagen, erwähne ich auch Ihr letztes seltsames, ja, man kann sagen, unbegreifliches Verhalten mir gegenüber im Kaffeehause nicht. Weit entfernt, mich darüber zu beklagen, daß ich einen Rubel unnütz ausgegeben habe, kann ich doch nicht umhin, meine ganze Entrüstung zum Ausdruck zu bringen bei der Erinnerung an Ihr offenkundiges Attentat auf meine Ehre, mein Herr, und noch dazu in Gegenwart mehrerer Personen, die mir zwar unbekannt sind, aber viel gute Lebensart besitzen …“

 

„Gehe ich auch nicht zu weit?“ überlegte Herr Goljadkin. „Wird das auch nicht zu stark sein? Ist das auch nicht zu beleidigend, diese Hindeutung auf die gute Lebensart zum Beispiel? … Na, es schadet nichts! Man muß ihm Charakterfestigkeit zeigen. Übrigens kann man ihm zur Besänftigung ein bißchen schmeicheln und ihm zum Schluß etwas Honig um den Mund streichen. Nun, wir wollen sehen!“

„Aber ich würde Sie, mein Herr, mit meinem Briefe nicht belästigen, wenn ich nicht fest überzeugt wäre, daß der Edelmut Ihrer Herzensempfindungen und Ihr offener, gerader Charakter Ihnen selbst die Mittel zeigen werden, alle begangenen Versehen wieder gutzumachen und alles in den früheren Stand zurückzuversetzen.

„Ich bin der festen Hoffnung und Überzeugung, daß Sie meinem Briefe nicht eine für Sie beleidigende Deutung geben werden, und gleichzeitig, daß Sie sich nicht weigern werden, über diesen Fall eine eingehende briefliche Erklärung abzugeben. Mein Diener hat Auftrag, diese zurückzubringen.

„In dieser Erwartung, mein Herr, habe ich die Ehre, zu sein

Ihr ergebenster Diener
J. Goljadkin.“

„Na, so ist alles schön! Die Sache ist besorgt; es ist also schon zu brieflichen Auseinandersetzungen gekommen. Aber wer ist daran schuld? Er ist selbst daran schuld; er selbst versetzt einen Mitmenschen in die Notwendigkeit, briefliche Erklärungen zu verlangen. Und ich bin in meinem Rechte …“

Nachdem Herr Goljadkin den Brief zum letzten Male durchgelesen hatte, faltete er ihn zusammen, siegelte ihn zu und rief Petruschka. Petruschka erschien, nach seiner Gewohnheit mit verschlafenen Augen und sehr ärgerlicher Miene.

„Nimm diesen Brief hier, mein Lieber … verstehst du?“ Petruschka schwieg.

„Nimm ihn und trage ihn nach der Kanzlei; da suche den dejourierenden Beamten, den Gouvernementssekretär Wachramejew. Wachramejew hat heute Dejour. Verstehst du auch?“

„Ja.“

„‚Ja‘! Kannst du nicht sagen: ‚Jawohl, Herr‘? Frage nach dem Sekretär Wachramejew und sage ihm: ‚So und so, mein Herr läßt sich Ihnen empfehlen und bittet Sie ganz ergebenst, in dem Adressenverzeichnis unserer Behörde nachzusehen, wo der Titularrat Goljadkin wohnt.‘“

Petruschka schwieg, und es kam Herrn Goljadkin so vor, als ob er lächelte.

„Na, also erkundige dich bei ihm nach der Adresse und bringe in Erfahrung, wo der neueingetretene Beamte Goljadkin wohnt!“

„Sehr wohl.“

„Frage nach der Adresse und bestelle dann diesen Brief an die Adresse; verstehst du?“

„Ja.“

„Wenn du da bist … nämlich da, wo du den Brief hinträgst, dann wird der Herr, dem du diesen Brief abgibst, also Herr Goljadkin … Was lachst du denn, du Tölpel?“

„Worüber sollte ich lachen? Was geht’s mich an? Ich kümmere mich um nichts. Unsereiner hat nichts zu lachen …“

„Na also, wenn der Herr dich fragen sollte, wie es deinem Herrn geht, wie er sich befindet, und so weiter … na, irgend so etwas wird er dich wohl fragen, – dann schweige du und antworte: ‚Meinem Herrn geht es ganz gut, und er läßt Sie um eine eigenhändige Antwort bitten.‘ Verstehst du?“

„Jawohl, Herr!“

„Na also, sage: ‚Meinem Herrn geht es ganz gut, und er ist gesund, und er wird gleich einer Einladung Folge leisten; aber Sie läßt er um eine briefliche Antwort bitten.‘ Verstehst du?“

„Ja.“

„Na, dann geh!“

„Nein, was hat man mit diesem Dummkopf für Mühe! Er lacht sich was; weiter kann er nichts. Worüber lacht er denn? Was habe ich mit ihm schon für Ärger erlebt! Übrigens wird es sich vielleicht noch gut gestalten … Dieser Schurke wird sich jetzt gewiß ein paar Stunden lang herumtreiben und irgendwohin verschwinden … Man kann ihn nirgends hinschicken. Ist das ein Elend! … Dieses Elend ist doch gar zu arg geworden!“

So von dem Gefühle seines Unglücks ganz erfüllt, entschloß sich unser Held, sich in Erwartung der Rückkehr Petruschkas zwei Stunden lang passiv zu verhalten. Etwa eine Stunde lang ging er im Zimmer auf und ab und rauchte; dann warf er die Pfeife beiseite und setzte sich mit einem Buche hin; dann legte er sich auf das Sofa; dann griff er wieder zur Pfeife; dann fing er wieder an im Zimmer hin und her zu laufen. Er wollte nachdenken; aber über irgend etwas nachzudenken war er schlechterdings außerstande. Schließlich stieg die Pein dieses seines passiven Zustandes bis zum äußersten Grade, und Herr Goljadkin entschloß sich, lieber etwas Bestimmtes zu tun. „Petruschka wird erst nach einer Stunde zurückkommen,“ dachte er; „ich kann den Schlüssel dem Hausknecht geben und selbst unterdessen, hm, hm … ich will die Sache untersuchen, will meinerseits die Sache untersuchen.“ Ohne Zeit zu verlieren, ergriff Herr Goljadkin, der es eilig hatte, die Sache zu untersuchen, seinen Hut, verließ das Zimmer, schloß die Wohnung zu, ging zum Hausknecht heran, händigte ihm den Schlüssel nebst einem Zehnkopekenstück ein (Herr Goljadkin war außerordentlich freigebig geworden) und machte sich auf den Weg dahin, wohin er sich zu begeben vorhatte. Herr Goljadkin ging zu Fuß, zuerst nach der Ismailowski-Brücke. Dieser Weg dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Als er zum Ziele seiner Wanderung gelangt war, ging er geradezu auf den Hof des ihm wohlbekannten Hauses und sah zu den Fenstern der Wohnung des Staatsrates Berendejew hinauf. Außer drei Fenstern, die mit roten Vorhängen verhängt waren, waren alle übrigen dunkel. „Olsufi Iwanowitsch hat heute gewiß keine Gäste,“ dachte Herr Goljadkin; „sie sitzen gewiß jetzt alle allein zu Hause.“ Nachdem er einige Zeit auf dem Hofe gestanden hatte, war unser Held schon im Begriffe, sich zu etwas zu entschließen. Aber es war seinem Entschlusse anscheinend nicht beschieden, zustande zu kommen. Herr Goljadkin wurde anderen Sinnes, machte eine resignierende Handbewegung und ging wieder zurück auf die Straße. „Nein, ich hätte nicht hierher gehen sollen. Was kann ich denn hier tun? … Ich will jetzt lieber … hm … und die Sache in eigener Person untersuchen.“ Nachdem Herr Goljadkin diesen Entschluß gefaßt hatte, machte er sich auf den Weg nach seinem Bureau. Der Weg war nicht nah, und überdies war ein furchtbarer Schmutz, und feuchter Schnee fiel in ganz dicken Flocken. Aber für unsern Helden schien es jetzt keine Hindernisse zu geben. Er wurde allerdings ganz durchnäßt und gehörig schmutzig; aber er sagte sich: „Das geht nun alles in einem hin; dafür werde ich meinen Zweck erreicht haben.“ Und wirklich näherte sich Herr Goljadkin schon seinem Ziele. Die dunkle Masse des riesigen staatlichen Gebäudes hob sich schon in der Ferne vor ihm ab. „Halt!“ dachte er, „wohin gehe ich denn, und was will ich hier tun? Allerdings werde ich in Erfahrung bringen, wo er wohnt; aber unterdessen ist Petruschka gewiß schon zurückgekommen und hat mir eine Antwort gebracht. Ich verliere nur unnütz meine kostbare Zeit; ich habe so schon viel Zeit verloren. Na, es tut nichts; das läßt sich alles noch wieder gutmachen. Aber soll ich wirklich nicht zu Wachramejew herangehen? Na, ich will es nicht tun. Ich kann es ja auch später noch tun … Ach! Ich hätte überhaupt nicht auszugehen brauchen. Aber das liegt nun einmal in meinem Charakter! Das ist so ein Drang bei mir: ob es nun nötig ist oder nicht, immer strebe ich danach, schnell vorzugehen … Hm! … Was mag die Uhr sein? Es ist gewiß schon neun. Petruschka kommt vielleicht zurück und findet mich dann nicht zu Hause. Ich habe eine arge Dummheit damit begangen, daß ich ausgegangen bin … Ach wahrhaftig, das ist eine schwere Aufgabe!“

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