Boëtius von Orlamünde

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Auf meinen Schrei sind in der Nachbarschaft im Schlafsaale der »Fünften« die Kameraden sehr still geworden. Wir beide, Titurel und ich, ängstigen uns davor, daß in dieses Schweigen sofort das grauenvolle Jammern des verbrannten Tieres hineinschallen werde, das seine Feuersucht mit Feuerwunden zahlen muß. Aber nichts davon. Wohl setzen sich die wütenden, wollüstigen Bewegungen des Katers unter dem Schutze des Hemdes fort, so stark, daß Titurel das Tier herauslassen muß. Aber es scheint über T., den richtigen Tod, zu triumphieren.

Wer möchte nicht mit einem so unerschrockenen Wesen tauschen? Das Feuer im Kamin flackert wieder auf, die Stimmen im Nachbarsaal werden lauter. Der Zigarettenrauch dringt zart zu uns.

Der Kater öffnet sein rosenrotes Maul, zeigt die rauhe, etwas milchig angehauchte Zunge und gähnt laut. Er schmeichelt uns beiden schnurrend um die Füße, gegen die er seine hohe, runde Stirn kräftig stößt, und hindert uns daran, auf geradem Wege zum Fenster zu gehen und die nach versengtem Haar scharf riechende Luft herauszulassen.

Kapitel

6

Dieser Abend mit der Feuerkatze war der letzte, den ich im Winter mit Titurel in meinem kleinen, schmalen Zimmer verbrachte. Kurz darauf erkrankte er, wurde dann zur Erholung nach Hause beurlaubt und kehrte im Spätfrühling noch nicht ganz geheilt zu uns zurück. Er hat den T. gestreift, man sieht es ihm an.

Nun ist es vielleicht Zeit, noch etwas zu sagen, das sich auch auf T. bezieht, aber ihm gerade entgegengesetzt ist. Ich habe es bereits angedeutet, als ich von der Feuerkatze sprach. Sie hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Mehr als das: darin war etwas, das in meiner Seele schon lange vorbereitet war und was dieses mutige, schmerzfreie, dem Leid trotzende, im wahrsten Sinne feurige Tier mir bestätigt hat. Es gibt nämlich Zeiten in meinem Leben, wo ich so von Mut, von Lebensdrang erfüllt bin, daß ich mich nicht weniger mutig als die Feuerkatze in Flammen stürzen möchte. In solchen Zeiten scheue ich keine Gefahr, kenne keine Bedenken, ich lebe mit einem so heißen Genuß, mit einer so vollkommenen Befriedigung aller Lebensgier, daß mich der nicht wiedererkennt, der mich nur in Tagen des T. gekannt hat. Wenn in diesen Tagen und Nächten des T. meine armselige Person verschwunden ist und annulliert worden ist, so war mit ihr auch sonst alles Lebende und Erstrebenswerte auf der ganzen Welt annulliert. Seit gestern, seit der kleinen Spazierfahrt zum See, hat sich aber in mir alles gewendet.

Nun bin ich auf dem Wege zu meinem kranken Freund. Ich atme so tief, daß die versilberten Knöpfe an meinem Uniformkittel sich vordrängen, ich trete fest auf den kiesbedeckten Weg zum Lazarett, daß es klingt wie Sporengeklirr (Sporen trage ich nie, auch nicht bei der Arbeit), ich springe die sehr helle, bläulich geweißte Treppe zu den Sälen des Lazarettes hinauf, werfe meine hechtgraue Mütze auf das Bett des kranken Titurel, die Handschuhe berge ich in deren Höhlung. In soldatischer Haltung stehe ich, als wäre ich wirklich der Rittmeister, den ich vertrete, an dem elfenbeinfarben emaillierten Krankenbett. Meine Hand berührt Titurels Stirn, die von senkrechten Falten durchzogen ist und an der man, scharf abgesetzt, den Mützenrand als Scheidegrenze zwischen dem mehr und weniger gebräunten Teil seiner sommersprossigen Haut wahrnimmt.

Trotz der zwei offenen Fenster riecht es in dem Krankenzimmer streng und säuerlich. Aber in mir schlägt die Wonne des Lebens mit solcher Gewalt, daß ich es nicht beschreiben und daß ich es auch nicht vor ihm verbergen kann. Gerade diese wilde, fast schmerzliche Lebensfreude macht mich ihm gegenüber mild. Mag immerhin aus seinem Munde dieser strenge, säuerliche Geruch kommen, nichts schreckt mich ab, mich über sein verfallenes Gesicht zu beugen und mit ihm zu sprechen, als wäre ich sein älterer Bruder. Er antwortet nicht. Ich danke ihm für den Dienst mit den Handschuhen, aber während ich spreche, kann ich es nicht vermeiden, den Blick zu seinen nackten Füßen mit den grobgekörnten, hornähnlichen Zehennägeln zu wenden. Die Füße der Menschen haben mich stets zum Lachen gereizt, sie erscheinen mir wie Karikaturen der menschlichen Hände. Über meine Lippen geht, ich mag mich dagegen wehren, wie ich will, ein Lächeln, das er sofort versteht. Denn er erblaßt vor Erregung, krümmt seinen langen Oberkörper, zieht die Knie an. Er umfaßt mich mit seinen metallisch funkelnden Fieberaugen und sagt mit teilnahmsloser Stimme, ohne jede Spur von Vertrautheit: »Gänzlich überflüssig. Ich bin unbeteiligt. Der Zeremonienmeister kennt deine Verhältnisse.« Und während er die Lippen zusammenkrampft, dabei aus männlicher Selbstbeherrschung seinem armen Körper die bequeme Lage nicht wiedergibt, fügt er ironisch hinzu: »Ihr beiden … «, spricht aber den Schluß nicht aus. Er schließt die Augen, holt ein Taschentuch unter dem Kissen hervor, faltet es zusammen, legt es auf den Nachttisch neben das Wasserglas, in welches das Thermometer eingetaucht ist. Ich bin nicht mehr für ihn da.

Er hat gestern mit dem Rücken zu mir auf dem Gig gesessen. Er hat den Meister gesehen, wie dieser sich nach meinen Handschuhen gebeugt hat. Heute hätte er, Titurel, es gerne gesehen, wie ich mich vor ihm, Titurel, beuge. Gut. Aber in mir ist eine solche Lebensfreude, ein so starkes Vibrieren der bis zum Rande heiß und wonnevoll gefüllten Adern, daß ich eben nichts als Freude, auch jetzt am Bette meines einzigen, kranken Freundes, empfinden kann. Aus seiner Beleidigung fühle ich seine Liebe.

Ich stehe auf, hole ihm frisches Wasser, stecke das Thermometer in die Metallhülle zurück, lasse die Vorhänge möglichst geräuschlos herab, überfliege die vom Anstaltsarzt (er ist gleichzeitig Lehrer der Naturgeschichte bei uns) sorgfältig angelegte Fieberkurve. Ich sehe meinen Titurel an. Ich ergreife seine Hände, die sich wie ein Stück heißes Fleisch anfühlen. Ich habe nur den Wunsch, ihn wie ein Kind zu behandeln, ein törichtes, unwissendes, unvollendetes, hilfloses, aber sehr geliebtes Wesen. Zu gern möchte ich ihm etwas Gutes tun, wogegen er sich nicht wehren kann. Er liegt still da, blickt durch mich hindurch.

Ich bin alt über meine Jahre, immer fühlte ich es, jetzt weiß ich es. Ich bin hier sehr allein. Immer wußte ich es, jetzt begreife ich es. Keine Eltern, keine Angehörigen wohnten mit uns in Onderkuhle. Wen sollte man lieben oder hassen? Kann der Freund Titurel mir einen Bruder ersetzen? Kann mir der Meister ein Vater sein?

Nirgends hat man recht Boden gefaßt. Man faßt erst Boden, wenn man eine Laufbahn einschlägt oder mit der Arbeit seiner Hände sein Brot verdient. Adel vereinsamt; wer weiß es besser als ich? Arbeit verbindet.

Nun aber lebe ich sorgenlos im Stift, ich bin diesem reichen Hause nicht eben zur Last.

Ich bin nicht ganz einsam, bin ein Stück von Onderkuhle, auch ich habe teil an den blauen Fahnen des Stiftes, an der Luft, an der Jugendluft, dem Knabenatem rings um unser Haus, an dem hohen schönen Wald bis an den See, der nicht mehr in unserem Gelände, sondern schon in der Nachbargemarkung des Gutsherrn P., eines ehemaligen Zöglings von Onderkuhle, liegt. Es sind die letzten Tage, man lasse mich hier verweilen.

Von dem, was ich die Merkzeichen des T. genannt habe, ist auch nichts mehr zu spüren, jetzt, da ich in den mit blaßroten, trockenen, sauberen Steinen gepflasterten Hof, mitten in die grelle Sonne hinaustrete.

Ich fühle mich so jung, so stark, daß es für mich in diesem Augenblick keinen T. gibt, auch nicht für meine Freunde, meine Lieben, weder für den Vater, den alten Fürsten mit der hängenden Unterlippe, noch auch für meine liebe, zarte, schüchterne, verspielte, kleine Mutter, noch für meinen guten Freund Titurel, für meine lieben Pferde, für meine Lehrer, für meine Mitschüler, bis zu den letzten, die ich kaum kenne. Sie sind eben erst eingetreten, sie hocken, von Heimweh verschüchtert und dauernd von der Angst vor nächtlichen »Proben« erfüllt, wie junge Ziegen, mürrisch und ängstlich alle zusammen. Ich nehme mir vor, sie besonders zart anzufassen, sie beim Florettfechten, beim Schwimmen und Reiten, wenn ich als Lehrer den erkrankten Rittmeister vertrete, mild zu behandeln.

In meiner Hand schmiegen sich meine frisch gewaschenen Handschuhe weich zusammen, sie liegen erwärmt neben der Mütze, die ich trotz des grellen Sonnenscheins nicht aufsetze. Ich schäme mich meines häßlichen Haares nicht mehr, so sehr bin ich hier zu Hause.

Von der Sonne geht heute etwas Berauschendes, Betäubendes aus, sie zieht mich an, sie reißt mich hinauf, dorthin, wo sie zwischen finsterem violettem Gewölke nur um so gleißender, ungeheurer und zugleich heimatlicher über mich und die Meinen herabbrütet an diesem unvergeßbaren Junitage.

Kapitel

7

Vor dem Lazarett begegnet mir der Meister. Er, das klügste Auge, der wirkende Wille in unserem Hause. Man kann es nicht einmal Anmaßung nennen, wenn er die eigentliche Leitung aller Angelegenheiten, vom Unterrichte natürlich abgesehen, übernommen hat, denn der Oberst (der Direktor) hat sie ihm ganz gern überlassen oder gar aufgedrängt. Jetzt steht der Meister vor mir. Faßt er es als Zeichen meiner besonderen Verehrung oder als Zeichen meiner inneren Überlegenheit auf, wenn ich zuerst meinen Kopf mit meiner hechtgrauen Mütze bedecke, um diese dann mit hohem Schwung vor ihm zu ziehen? Ich, ein Orlamünde, stehe also bloßen Hauptes da. Er wendet sich zu mir, bückt sich, obwohl ich ihn an Körpergröße fast erreiche. Zuerst fragt er mich, ob ich noch ein Jahr dem Stift Onderkuhle widmen könne. Mein Schweigen nimmt er als Zustimmung, und dies ist es auch. Dann kommt ein wichtiger Auftrag, wovon er zu sprechen beginnt. Ob ich es wage, das Pferd Cyrus an die Doppellonge zu nehmen, da es nach der Angabe des Stallbedienten sich keinem Zwange fügen will und bereits einen Bereiter (den ungeschicktesten freilich) mit solcher Gewalt heruntergerissen hat, daß er sich die Schulter ausgerenkt hat.

 

Es überfällt mich bei dieser Frage ein Zittern, ein inneres Beben der Glückseligkeit.

»Ich danke Ihnen«, sagte ich, »ich werde es versuchen.« Das Gespräch ist zu Ende, aber der Meister verläßt mich nicht. Er bleibt vor mir stehen und starrt mich an; ich bleibe vor ihm stehen und starre die Sonne an.

Die Sonne strotzt zwischen Wolken herab, welche die fettige Schwärze von Negerkörpern angenommen haben. Aber diese Wolken weichen der steigenden Sonne stets feige aus und bilden nur einen weiten, furchtbar düsteren Kranz um das gleißende Gestirn. Rings um mich breitet sich der Hof aus, totenstill. Es riecht außerordentlich stark, aber aromatisch nach erhitzten Steinen, gedörrten Lindenblüten, nach Hafer und Abfall, es ist, als locke die Sonne aus allem den Geruch in stärkster Verdichtung hervor.

Nie in meinem bisherigen Leben habe ich so nach Gefahren gehungert, in die ich mich stürzen könnte, nach Schmerzen, um ihnen zu widerstehen kraft meines unbändigen, rasenden Lebensgefühles. Vielleicht lachen andere Menschen, wenn sie so etwas in ihrem Innern fühlen, ich beherrsche mein Gesicht, ich schweige und halte meinen Mund ruhig. Ich starre bloß in die Sonne, unverschämt, unermüdet, unerschrocken. Dort oben wogt die Lichtmasse in einem flachen, unabsehbaren Bette. Keine Grenze, kein Ufer ist zu erreichen, es steigt, es flutet, es bricht eine Überschwemmung von oben über die lichttriefenden, ziegelroten Dächer der Stallungen herab, in prassender Fülle schießt es durch die stillen, starrenden jungen Lindenzweige herab in meine aufgerissenen Augen. Nennt man es Blendung, wenn meine Augen heute die Sonnenfülle klarer als je zuvor aufzufangen vermögen? Das Auge beginnt mir zu kreisen. Wohin es sich wendet, nirgends findet es jetzt etwas Faßbares, nirgends einen Himmel mehr, nirgends den schwarzen Haufen von Gewölk, jetzt auch nirgends mehr das niedere Dach der Pferdeställe oder das noch steilere des Schulgebäudes, noch auch das Geäst der Bäume der Allee, die zum See führt.

Ganz vergessen habe ich, was mich so oft erschreckt hat, die ungeheure Entfernung, die Millionen Meilen, die in der Allee von unserer armen Erde bis zu den Lichtseen der Sonne kein Menschenfuß durchwandert. Unbedeutend, ganz belanglos erscheint mir jetzt die »irrsinnige« Temperatur von dreiundzwanzigtausend Hitzegraden, die dort oben herrschen soll, herrschen im wahrsten Sinne des Wortes, über uns, die wir kaum den demütigsten Blick zu dem unerträglich mächtigen Gestirn zu erheben wagen. Wer ist Aristokrat der Sonne gegenüber? Aber jetzt wage ich es. Kein Schauder trifft mich. Kein Schmerz läßt mich zusammenzucken. Keine Angst flüstert mir zu: »Verkrieche dich!« Und doch hat einmal nachts schon die blasse Vorstellung von diesem ungeheuren Gestirn genügt, um mich, ein Kind damals, alle Schrecken des Todes und der Vernichtung fühlen zu lassen. Es war eine helle Schneenacht. Hilflos und wehrlos war ich im halbdunklen Zimmer zu Hause dem Gedanken an die Unendlichkeit ausgeliefert. Vergebens krampften sich meine unfertigen, überlangen, hellen Hände zwischen den schwärzlichen Portieren aus billigem, stacheligem Samt fest. Ich wollte Halt gewinnen in der bodenlosen Tiefe dieser Million Meilen, die sich unter uns allen in einem nie geahnten Abgrund auftun. Denn jetzt, in dieser Nachtstunde, ist die Sonne unter uns. Die ganze Endlosigkeit des Universums ist bereit, uns zu verschlingen. Ja, sie hat uns bereits verschlungen, die Leere nimmt kein Ende, nur unser Leben einst. Vergebens stelle ich meine Füße steil auf den unteren Bettrand, eine nur um so schaurigere Kälte macht den schlaflosen, erbärmlich schwachen Knaben zittern.

Es war noch die Zeit, da ich bei meinen lieben Eltern schlafe, zwischen den Betten des Vaters und der Mutter gelagert, denn wir haben nur einen geheizten Schlafraum, die anderen Zimmer (neun!) dienen Besuchszwecken. Ist es nicht sehr kalt, dann wird mir daheim im Speisezimmer von dem alten flämischen Diener David auf einem halbmondförmigen Sofa das Bett gemacht, aber in so kalten Nächten wie in dieser wird es mir in dem »temperierten« Schlafzimmer aufgestellt. Brav ist der Ofen, heimatlich, vertraut, nie überheizt, gut anzugreifen.

Aber ich habe ihn verlassen; von Müdigkeit überwältigt, bin ich verlassen. Man klammert die Hände an die Fransen der Portieren, die eine Tür verkleiden, aber der Gedanke an T. bricht immer fürchterlicher hervor, von innen wächst er und ist nicht zu ersticken. Was nützt es, wenn die Eltern ebenmäßig atmend neben mir ruhen? Sie haben sich in alles gefunden, sie haben auch ihr »fürstliches Elend« hingenommen, leiden weniger als der Diener David, der drei Geschlechtern von Orlamünde gedient hat. Freilich ist er Protestant, exklusiv und zänkisch, meine Eltern sind weich, sie haben alles »zu gut verstanden«. So mögen sie auch diese Furchtbarkeit des Weltalls als unabwendbar längst hingenommen haben. Sie haben sie vielleicht nie geahnt. Vielleicht bin ich der einzige, den diese Furchtbarkeit von Sonne, Nacht, unauszählbarem Sternenhimmel wie ein Lindenblatt zusammendrückt, welches ein fallender Felsen von dreiundzwanzigtausend Tonnen Gewicht unter sich zusammenpreßt zu absolutem Nichts. Aber wenn schon dieser Fels, dieses tote, schwere, maßlose Gestein über mich niedergestürzt ist, weshalb vernichtet er mich nicht völlig mit diesem einen Schlage? Weshalb muß ich die ganze kommende Zeit meines Lebens dem T. und der absoluten Nichtigkeit meiner Existenz ins Auge sehen und kann es doch nie?

Heute aber kann ich es. Heute erst verstehe ich es, am 19. Juni 1913, elf Uhr, jetzt, da ich über dem T. hoch erhaben dastehe, wo ich der Sonnenglut ungeschützt mit dem äußersten Lebensmute entgegenstarre. Laß sie rasen und stürmen, laß sie überfließen, sage ich mir, mag sie wie ein Milchtopf am Herd überschäumen mit ihrem Licht und ihrer Hitze, sie mag größer sein als ich, aber nicht stärker, heute nicht.

Der Meister ist neben diesem ungeheuren Sonnengebilde zum durchsichtigen Schatten geworden. Meine aufgerissenen Augen lassen die Sonne nicht mehr heraus, mein Haupt beginnt zu funkeln, die rötlichen Strähnen in meinem Haar wollen brennen, die gelblichen wollen sich kräuseln – oder werden sie verbleichen in dieser nie wiederkehrenden Stunde? Ich beherrsche mich. Bei Selbstbeherrschung fängt jede Herrschaft an. Ich rühre mich nicht. Mag ich ganz und gar in diesen Sonnenflammen aufgehen. So soll mich das Unvermeidliche im Jugendkampf verzehren. Besser so, als feig dem T. zu unterliegen, der mit Schattenhänden auch den sich Verkriechenden faßt. Alles besser, als sich feig dem hämischen Tode zu unterwerfen. Muß einer Reiter sein und einer Roß, so will ich reiten und Sporen nicht schonen.

Kapitel

8

Längst ist der Meister verschwunden, um dem Stallpagen den Befehl zu geben, er möge das Pferd Cyrus doppelt longieren und mir in die »grüne« Reitschule bringen.

Noch stehe ich da, auf dem stillen Lazaretthofe, ich atme Sonne ein und berausche mich an ihr, wie ich mich nie an Wein berauscht habe. Es drängt sich mir wie eine süße Schwere in die Kniekehlen.

Mit metallisch surrendem Laut hat sich mir jetzt die Feuerkatze genähert. Sie hat sich mit ihrem fahlen Fell der Länge nach über beide Schuhe gelegt. Nun sind die Löcher in ihrem Pelze wieder ganz ausgefüllt, das Haar, steil in unzähligen Spitzen aufgerichtet, knistert unter der prallen, greifbar heißen Sonne, es bebt der kräftige Körper der Katze, das Schnurren wird lauter, als koche es in dem prächtigen, feurigen, jungen Wesen. Dumpf klingen jetzt die Stimmen der jungen Schüler, die in dem Hauptgebäude ihre Aufgaben hersagen, aus den offenen Fenstern der Lehrsäle über den menschenleeren Hof.

Das Schulhaus, das jenseits der Linden wie über langsam abebbenden Wassern auftaucht, hebt sich hoch und höher im Sonnenrausche über den an sich ganz unbedeutenden Hügel. Die Wolken bilden einen schwarzen, schweren, düsteren Kranz um das heimatliche Haus. Die Sonne haben sie nun ganz in ihre Mitte genommen. Man ahnt sie nicht mehr, sie ist wie mit Erde zugeschaufelt. Es weht kühler von den aufrauschenden Lindenbäumen her, vom Anfang der italienischen Allee. Ein Brunnen beginnt zu plätschern, frisches Wasser wird für die Pferde gepumpt. Zwei Truthähne kämpfen in dem Nachbarhofe des Komplexes gegeneinander, kreischen laut, stürzen übereinander her, als wolle der eine auf dem andern reiten, sie schlagen mit den Flügeln, wirbeln Staub auf, und durch den Staub fliegen Federn, zackig und bunt.

In tiefem Dunkel liegt das Innere der »grünen« Reitschule. Grün heißt sie zum Unterschiede von der andern, die man die spanische nennt. Auch die ältesten Schüler wissen den Grund nicht. Es ist verboten zu fragen. Der Meister hat allen untersagt, die Lehrer ungefragt anzusprechen, und dieses Verbot ist der eigentliche Grund, weshalb wir Schüler so fest zusammenhalten.

Innen sehen die beiden Reitschulen fast gleich aus. Die Wände sind bis über Manneshöhe mit Holz verkleidet und außerdem mit dicken Zöpfen schon tiefgelb gewordenen Strohes austapeziert. Der Grundriß ist oval im grünen Reitsaal, rechteckig im spanischen. Jetzt im Sommer werden die gedeckten Reitschulen wenig benutzt, in meinem Falle ist es aber nicht zu umgehen. Das Haupttor ist geschlossen, den Schlüssel hat der Meister in Verwahrung. Der wachehaltende Stallpage führt mir das Pferd unter einer aufgehobenen Portiere durch einen Nebeneingang hinein. Schon das Rascheln des dicken, weichen Stoffes macht das starke, hohe Pferd unruhig. Es tritt bereits mit kleinen, gespannten Sprüngen auf die Gerberlohe, die den Boden der Schule bedeckt. Ich kenne natürlich das Pferd, einen etwa hundertfünfundsiebzig Zentimeter hohen, mausgrauen, schönen Hengst mit einer Blesse, einer handförmigen weißen Stelle an der Stirn und mit gesprenkelten Vorderbeinen. Er sieht aus, als wäre er in Milch getreten. Er hat gute Rasse, Halbblut, seine mächtigen, steinharten Muskelmassen überzieht locker eine sehr feine Haut, die man mit der Nadel ritzen könnte. Stolz trägt er auf seinem schwanenartig aufgerichteten, etwas langen Halse einen dreieckigen, vorn sehr spitz in kleine zarte Nüstern auslaufenden Schädel mit aufgestellten, unruhigen, flügelartigen Öhrchen, die beim leisesten Geräusch, auch dann, wenn sein eigener Huf einen Kiesel trifft oder sein Schweif zischend die Portiere streift, aufzucken. Auffallend ist die breite, vorgebaute Brust mit den weit voneinander eingesetzten Vorderläufen und im Gegensatz dazu der zusammengepreßte, wie mit dem Hammer zusammengeschlagene Rumpf mit der ausladenden, riesigen Kruppe.

Das Pferd hält jetzt den Kopf ruhig. Es wiehert nicht, beißt auch nicht in das Gebiß. Die Augen sind fast starr. Die obere Reihe der Wimpern ist wunderbar geformt, seidenweich liegt Wimper neben Wimper, jede leicht aufgerollt wie bei einem jungen, schönen Menschen. Die untere Reihe ist aber lückenhaft, da stehen bloß ein paar starre, borstenartige Wimpern, unregelmäßig in den schwarzen Lidrand eingefügt. Der Blick des Pferdes ist auf meine Hand gerichtet. Wir machen jetzt zu zweien dem Pferd die Doppellonge fertig.

Jeder Reiter weiß, daß die einfache Longe aus Riemen besteht, die an der Brust des longierten Pferdes leicht, aber sicher befestigt werden, um das Pferd im Kreise gleichsam an der Leine laufen zu lassen. So gewöhnt man es an eine regelmäßige, taktfeste Gangart und an eine bestimmte Körperhaltung, wobei die Gliedmaßen unter dem Leib des Pferdes »versammelt« werden. Von da aus sollen die »Gänge« mit der äußersten Präzision hervorschnellen, Raum fassen im weitesten Ausgreifen; besonders die rechte Hinterhand, die von Natur aus leicht auswärts tritt, soll herangeholt und geregelt werden, damit das Reitpferd ohne Steifheiten im Genick, Rücken und Hinterhand das Reitergewicht tragen kann bei jedem Tempo und jeder Gangart. Dies ist in den Grenzen der Anlagen des Tieres und auch des Lehrers meist ohne nennenswerte Schwierigkeit im Laufe eines geregelten Dressurganges zu erreichen.

Anders die Doppellonge. Hier ist beiderseits eine Fessel um das Tier gelegt, die zwangläufig mit dem Gebiß, also dem Kopf und der Halswirbelsäule, in Verbindung steht, und zwar ist ein Teil des Riemenwerkes rechts vom Maule bis zur Brusthöhe geführt, geht von hier in meine Hand und von da zurück zum Hinterteil des Gaules. Der andere Teil der Doppellonge ist links ebenso befestigt. Er ist nutz- und kraftlos, solange das Pferd gehorcht. Versagt es aber den Gehorsam, dann tritt dieser Teil in Aktion und erzwingt sich die Gewalt über das Pferd dank einer ungeheuren Hebelkraft. Nach Ansicht des Reiters hat das Pferd ebenso Pflichten wie der Mensch, und das Tier begreift dies auch und lernt dies genauso, wie wir unsere Aufgaben und Pflichten in Onderkuhle lernen. Manchmal ist beim Pferd wie beim Menschen Zwang nötig. Wer weiß das besser als ich? Lange versucht man es mit Güte, denn das Pferd ist an sich kein wildes Tier, mit dem man kämpfen muß. Das Pferd weiß anfangs nicht, was eine Peitsche ist, und weicht vor dieser auch nicht zurück. Also im Anfang keine Peitsche! Jedes Pferd erschrickt in der Jugend vor dem ihm unbekannten Gebißdruck und versucht mit verängstigtem Gesichtsausdruck zurückzudrehen, wie man es nennt. Man versucht es daher immer vorerst im guten. Man weiß, das Maul eines jungen Tieres ist weich, sein Wesen unerfahren, kindlich naiv. Man wendet zuerst eine »bittende, weiche Hand« an, vergebens bei Cyrus. Der Rittmeister hat ganze Beete von Karotten ausgerupft und sich oft die Taschen mit Zucker gefüllt. Nichts wollte fruchten. Er hat sich heiser gesprochen. Das Tier hat sich nicht gefügt. Will es nicht? Kann es nicht? Was bleibt jetzt als Zwang? Wenn man diesen aber braucht und wo er unbedingt am Platze ist, da darf man vor keinem Mittel zurückscheuen. Bei mir persönlich könnten sich in Zeiten des T. vielleicht trotzdem Bedenken gegen die »Qual« des Bezwingens erheben, auch habe ich solche gewaltsame Mittel früher nie nötig gehabt.

 

Hier aber hilft Milde nichts. Jetzt im Augenblicke des höchsten Lebensglanzes werde ich erreichen, was ich will. Ich beherrsche mich, daher auch andere. Wenn je, jetzt weiß ich, daß es Kräfte gibt, denen kein lebendes Wesen sich widersetzen kann. Erleidet das Pferd Unannehmlichkeiten – man vergesse nicht, ich liebe Pferde, ich hänge mit dem ganzen Herzen an ihnen –, und doch: erleidet das Pferd Unannehmlichkeiten, Zwang und Schmerzen, so hat es sie sich in diesem Falle selbst zugefügt.

Endlich ist die Anschirrung, die durch die Unruhe des Pferdes erschwert ist und doppelt zart und schonungsvoll vorgenommen werden muß, vollendet. Ich kann den Stallpagen hinauslassen. Ich liebe Zeugen nicht. Ich muß mich mit dem Pferd allein wissen. Ich bleibe also mit Cyrus, so heißt der Gaul – sagte ich es schon? –, allein.

Es ist ziemlich dunkel in der Halle, bloß von der Decke bricht wie aus einem Kirchenfenster ein Lichtstrahl durch eine Lüftungsluke. Die Sonne hat das schwarze Negergewölk wieder verlassen. Ich begebe mich in die Mitte der Reitschule und treibe Cyrus an, erst durch Schütteln der locker gehaltenen Longenzügel, dann durch Zurufe, auf die Cyrus nur mit Spitzen der Öhrchen reagiert, und endlich durch festes Aufstampfen mit den Absätzen, die dem Gaul den Takt vormachen sollen, sich zu bewegen und mit der Arbeit zu beginnen. Das Pferd ist nicht »am Zügel«. Zwar setzt es sich in schnellen, unregelmäßigen, holpernden Trab, aber nicht rechtsherum, wie es soll, sondern nach ein paar richtigen Schritten an der Wand wendet es sich blitzschnell herum, wie es will, und versucht in der entgegengesetzten Richtung auszubrechen.

Wären wir jetzt auf der Straße, etwa auf dem Wege zum See, zwischen den Feldern, wo unerwartet Menschen, Automobile, Weidetiere auftauchen können, dann müßte ich nachgeben und Cyrus seinen Willen lassen. Denn einen Willen hat er. Er blickt mich mutig an, wendet mir seine milchfarbene Stirn zu, blinzelt mit seinen großen, steingrauen, wie geschliffenen Augen, er hebt seine weiß gefesselten Beine nur um so höher, er spritzt, während er den buschigen Schweif hoch aufgerichtet wie eine graue Fahne hinter sich herführt, seine prächtigen Bewegungen unter dem geschmeidigen, von links nach rechts sich rhythmisch zusammenpressenden Körper hervor und geht, leicht auf die Lohe klopfend, beständig den falschen Weg.

Warum ihn nicht gewähren lassen? Lohnt es sich, den Willen eines so schönen, stolzen Tieres zu brechen? Das ist die Frage jeder Erziehung, auch der meinen. Warum nicht den falschen Gang des T. hinnehmen, der doch nur uns, den Opfern, falsch erscheint, und es dabei bewenden lassen? Aber bleibt wenigstens dann dem widerspenstigen Menschen oder Tier Ruhe? Cyrus nicht. Es wird und muß dann mit ihm folgenden Weg gehen. Muß ich jetzt nachgeben, so lernt das Tier nie. Es ist, im Zuge sowohl wie unter dem Sattel, unbrauchbar, und selbst das schönste Tier wird in unserer kaufmännischen Zeit nicht nur der Schönheit wegen mit einem so großen Aufwand an Mühe und Kosten erhalten. Sondern es ist so, daß das Pferd von dem ökonomisch rechnenden Meister erschossen wird, wenn es sich nicht fügen will und wenn mein Versuch mißlingt.

Der Meister wird dann das herrliche Pferd an einen grasbedeckten kleinen Abhang führen lassen, wird einen handlichen, kaum daumengroßen Revolver aus dem Futteral ziehen, den das neugierige, mausgraue, stolze Wesen vorerst beschnuppert. Der Stallpage, zitternd vor Angst und schweißtriefend vor Erregung, wird dem Tier eine letzte Karotte vor die Zähne halten, um seine Aufmerksamkeit abzulenken, inzwischen hat der Obermeister die Waffe vorsichtig, um die Haare des Ohres nicht zu berühren und Cyrus unruhig zu machen, in das flügelartig aufgestellte Körpertor eingeführt – und während das Pferd nach der Rübe schnappt, geht mit zartem, trockenem Knall die Waffe im Ohre los. Das Tier blickt sich verwundert nach dem Schall um. Der Page glaubt, die Waffe hätte versagt. Er faßt wieder nach den Zügeln. (Man hat dem Pferd aus Sparsamkeit bloß ein elendes, abgebrauchtes Krepierhalfterwerk umgetan.) Der Meister stößt ihn aber mit Gewalt Zurück, denn schon stürzt der Gaul auf allen vieren zusammen, gleitet wie ein Stück Butter auf einem heißen Messer den Grasabhang hinab und bleibt unten so liegen, daß er den schönen, weißgestirnten, dreieckigen Kopf auf die schlank gefesselten milchweißen Vorderfüße legt, wie eine tote Heuschrecke die Glieder noch hoch aufgerichtet, wenn auch geknickt. In dieser unnatürlich gespreizten Haltung endet das Tier. Ein benachbartes Gut hat eine Knochenmehlfabrik. Man ist über alles bereits einig geworden. Der Preis für die Knochen soll die Futterkosten ersetzen. Von diesem Gute kommt ein zweirädriger, offener, langgestreckter Karren. Das Tier stirbt, der Meister rechnet.

Dieses Ende ist für ein tierfreundliches Herz schwer zu ertragen. Soll ich nicht tausendmal lieber einen Augenblick meiner höchsten Lebenslust benützen und Gewalt über das Tier erringen, damit es am Leben bleiben kann?

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