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Nachtstücke

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Endlich öffnete Franz, nachdem wir eine Reihe kalter, finstrer Gemächer durchgangen, einen Saal, in dem ein hellaufloderndes Kaminfeuer uns mit seinem lustigen Knistern wie mit heimatlichem Gruß empfing. Mir wurde gleich, sowie ich eintrat, ganz wohl zumute, doch der Großonkel blieb mitten im Saal stehen, schaute ringsumher und sprach mit sehr ernstem, beinahe feierlichem Ton: »Also hier, dies soll der Gerichtssaal sein?« – Franz, in die Höhe leuchtend, so daß an der breiten dunklen Wand ein heller Fleck, wie eine Türe groß, ins Auge fiel, sprach dumpf und schmerzhaft: »Hier ist ja wohl schon Gericht gehalten worden!«

»Was kommt Euch ein, Alter?« rief der Onkel, indem er den Pelz schnell abwarf und an das Kaminfeuer trat. »Es fuhr mir nur so heraus«, sprach Franz, zündete die Lichter an und öffnete das Nebenzimmer, welches zu unsrer Aufnahme ganz heimlich bereitet war.

Nicht lange dauerte es, so stand ein gedeckter Tisch vor dem Kamin, der Alte trug wohlzubereitete Schüsseln auf, denen, wie es uns beiden, dem Großonkel und mir, recht behaglich war, eine tüchtige Schale nach echt nordischer Art gebrauten Punsches folgte. Ermüdet von der Reise, suchte der Großonkel, sowie er gegessen, das Bette; das Neue, Seltsame des Aufenthalts, ja selbst der Punsch, hatte aber meine Lebensgeister zu sehr aufgeregt, um an Schlaf zu denken. Franz räumte den Tisch ab, schürte das Kaminfeuer zu und verließ mich mit freundlichen Bücklingen.

Nun saß ich allein in dem hohen, weiten Rittersaal. Das Schneegestöber hatte zu schlackern, der Sturm zu sausen aufgehört, heitrer Himmel war's geworden, und der helle Vollmond strahlte durch die breiten Bogenfenster, alle finstre Ecken des wunderlichen Baues, wohin der düstere Schein meiner Kerzen und des Kaminfeuers nicht dringen konnte, magisch erleuchtend.

So wie man es wohl noch in alten Schlössern antrifft, waren auf seltsame altertümliche Weise Wände und Decke des Saals verziert, diese mit schwerem Getäfel, jene mit fantastischer Bilderei und buntgemaltem, vergoldetem Schnitzwerk. Aus den großen Gemälden, mehrenteils das wilde Gewühl blutiger Bären- und Wolfsjagden darstellend, sprangen in Holz geschnitzte Tier- und Menschenköpfe hervor, den gemalten Leibern angesetzt, so daß, zumal bei der flackernden, schimmernden Beleuchtung des Feuers und des Mondes, das Ganze in greulicher Wahrheit lebte.

Zwischen diesen Gemälden waren lebensgroße Bilder, in Jägertracht dahinschreitende Ritter, wahrscheinlich der jagdlustigen Ahnherren, eingefügt. Alles, Malerei und Schnitzwerk, trug die dunkle Farbe langverjährter Zeit; um so mehr fiel der helle kahle Fleck an derselben Wand, durch die zwei Türen in Nebengemächer führten, auf; bald erkannte ich, daß dort auch eine Tür gewesen sein müßte, die später zugemauert worden, und daß eben dies neue, nicht einmal der übrigen Wand gleich gemalte oder mit Schnitzwerk verzierte Gemäuer auf jene Art absteche. -

Wer weiß es nicht, wie ein ungewöhnlicher, abenteuerlicher Aufenthalt mit geheimnisvoller Macht den Geist zu erfassen vermag, selbst die trägste Fantasie wird wach in dem von wunderlichen Felsen umschlossenen Tal in den düstern Mauern einer Kirche o. s., und will sonst nie Erfahrnes ahnen.

Setze ich nun noch hinzu, daß ich zwanzig Jahr alt war und mehrere Gläser starken Punsch getrunken hatte, so wird man es glauben, daß mir in meinem Rittersaal seltsamer zumute wurde als jemals. Man denke sich die Stille der Nacht, in der das dumpfe Brausen des Meers, das seltsame Pfeifen des Nachtwindes wie die Töne eines mächtigen, von Geistern gerührten Orgelwerks erklangen – die vorüberfliegenden Wolken, die oft, hell und glänzend, wie vorbeistreifende Riesen durch die klirrenden Bogenfenster zu gucken schienen – in der Tat, ich mußt' es in dem leisen Schauer fühlen, der mich durchbebte, daß ein fremdes Reich nun sichtbar und vernehmbar aufgehen könne.

Doch dies Gefühl glich dem Frösteln, das man bei einer lebhaft dargestellten Gespenstergeschichte empfindet und das man so gern hat. Dabei fiel mir ein, daß in keiner günstigeren Stimmung das Buch zu lesen sei, das ich so wie damals jeder, der nur irgend dem Romantischen ergeben, in der Tasche trug. Es war Schillers »Geisterseher«. Ich las und las und erhitzte meine Fantasie immer mehr und mehr.

Ich kam zu der mit dem mächtigsten Zauber ergreifenden Erzählung von dem Hochzeitsfest bei dem Grafen von V.– Gerade wie Jeronimos blutige Gestalt eintritt, springt mit einem gewaltigen Schlage die Tür auf, die in den Vorsaal führt. – Entsetzt fahre ich in die Höhe, das Buch fällt mir aus den Händen. Aber in demselben Augenblick ist alles still, und ich schäme mich über mein kindliches Erschrecken.

Mag es sein, daß durch die durchströmende Zugluft oder auf andere Weise die Tür aufgesprengt wurde. – Es ist nichts – meine überreizte Fantasie bildet jede natürliche Erscheinung gespenstisch! – So beschwichtigt, nehme ich das Buch von der Erde auf und werfe mich wieder in den Lehnstuhl – da geht es leise und langsam mit abgemessenen Tritten quer über den Saal hin, und dazwischen seufzt und ächzt es, und in diesem Seufzen, diesem Ächzen liegt der Ausdruck des tiefsten menschlichen Leidens, des trostlosesten Jammers – Ha! das ist irgendein eingesperrtes krankes Tier im untern Stock. Man kennt ja die akustische Täuschung der Nacht, die alles entfernt Tönende in die Nähe rückt – wer wird sich nur durch so etwas Grauen erregen lassen. – So beschwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in der entsetzlichen Angst der Todesnot ausgestoßen, sich hören lassen, an jenem neuen Gemäuer.

»Ja, es ist ein armes eingesperrtes Tier – ich werde jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuß tüchtig auf den Boden stampfen, gleich wird alles schweigen oder das Tier unten sich deutlicher in seinen natürlichen Tönen hören lassen!«– So denke ich, aber das Blut gerinnt in meinen Adern – kalter Schweiß steht auf der Stirne, erstarrt bleib' ich im Lehnstuhle sitzen, nicht vermögend aufzustehen, viel weniger noch zu rufen.

Das abscheuliche Kratzen hört endlich auf – die Tritte lassen sich aufs neue vernehmen – es ist, als wenn Leben und Regung in mir erwachte, ich springe auf und trete zwei Schritte vor, aber da streicht eine eiskalte Zugluft durch den Saal, und in demselben Augenblick wirft der Mond sein helles Licht auf das Bildnis eines sehr ernsten, beinahe schauerlich anzusehenden Mannes, und als säusle seine warnende Stimme durch das stärkere Brausen der Meereswellen, durch das gellendere Pfeifen des Nachtwindes, höre ich deutlich: »– Nicht weiter – nicht weiter, sonst bist du verfallen dem entsetzlichen Graus der Geisterwelt!«

Nun fällt die Tür zu mit demselben starken Schlage wie zuvor, ich höre die Tritte deutlich auf dem Vorsaal – es geht die Treppe hinab – die Haupttür des Schlosses öffnet sich rasselnd und wird wieder verschlossen. Dann ist es, als würde ein Pferd aus dem Stalle gezogen und nach einer Weile wieder in den Stall zurückgeführt dann ist alles still! In demselben Augenblick vernahm ich, wie der alte Großonkel im Nebengemach ängstlich seufzte und stöhnte, dies gab mir alle Besinnung wieder, ich ergriff die Leuchter und eilte hinein. Der Alte schien mit einem bösen, schweren Traume zu kämpfen.

»Erwachen Sie – erwachen Sie«, rief ich laut, indem ich ihn sanft bei der Hand faßte und den hellen Kerzenschein auf sein Gesicht fallen ließ. Der Alte fuhr auf mit einem dumpfen Ruf, dann schaute er mich mit freundlichen Augen an und sprach: »Das hast du gut gemacht, Vetter, daß du mich wecktest. Ei, ich hatte einen sehr häßlichen Traum, und daran ist bloß hier das Gemach und der Saal schuld, denn ich mußte dabei an die vergangene Zeit und an manches Verwunderliche denken, was hier sich begab. Aber nun wollen wir recht tüchtig ausschlafen!«

Damit hüllte sich der Alte in die Decke und schien sofort einzuschlafen. Als ich die Kerzen ausgelöscht und mich auch ins Bette gelegt hatte, vernahm ich, daß der Alte leise betete.

Am andern Morgen ging die Arbeit los, der Wirtschaftsinspektor kam mit den Rechnungen, und Leute meldeten sich, die irgendeinen Streit geschlichtet, irgendeine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags ging der Großonkel mit mir herüber in den Seitenflügel, um den beiden alten Baronessen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns, wir mußten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein sechzigjähriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Mütterchen, die sich das Kammerfräulein der gnädigen Herrschaft nannte, in das Heiligtum geführt.

Da empfingen uns die alten, nach längst verjährter Mode abenteuerlich geputzten Damen mit komischem Zeremoniell, und vorzüglich war ich ein Gegenstand ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beisteheenden Justizmann vorstellte. In ihren Mienen lag es, daß sie bei meiner Jugend das Wohl der R..sittenschen Untertanen gefährdet glaubten.

Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte überhaupt viel Lächerliches, die Schauer der vergangenen Nacht fröstelten aber noch in meinem Innern, ich fühlte mich wie von einer unbekannten Macht berührt, oder es war mir vielmehr, als habe ich schon an den Kreis gestreift, den zu überschreiten und rettungslos unterzugehen es nur noch eines Schritts bedürfte, als könne nur das Aufbieten aller mir inwohnenden Kraft mich gegen das Entsetzen schützen, das nur dem unheilbaren Wahnsinn zu weichen pflegt. So kam es, daß selbst die alten Baronessen in ihren seltsamen hochaufgetürmten Frisuren, in ihren wunderlichen stoffnen, mit bunten Blumen und Bändern ausstaffierten Kleidern mir statt lächerlich, ganz graulich und gespenstisch erschienen.

In den alten gelbverschrumpften Gesichtern, in den blinzenden Augen wollt' ich es lesen, in dem schlechten Französisch, das halb durch die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die spitzen Nasen herausschnarrte, wollt' ich es hören, wie sich die Alten mit den unheimlichen, im Schlosse herumspukenden Wesen wenigstens auf guten Fuß gesetzt hätten und auch wohl selbst Verstörendes und Entsetzliches zu treiben vermochten.

 

Der Großonkel, zu allem Lustigen aufgelegt, verstrickte mit seiner Ironie die Alten in ein solches tolles Gewäsche, daß ich in anderer Stimmung nicht gewußt hätte, wie das ausgelassenste Gelächter in mich hineinschlucken, aber wie gesagt, die Baronessen samt ihrem Geplapper waren und blieben gespenstisch, und der Alte, der mir eine besondere Lust bereiten wollte, blickte mich ein Mal übers andere ganz verwundert an.

Sowie wir nach Tische in unserm Zimmer allein waren, brach er los:

»Aber, Vetter, sag' mir um des Himmels willen, was ist dir? – Du lachst nicht, du sprichst nicht, du issest nicht, du trinkst nicht?

Bist du krank? oder fehlt es sonst woran?«

Ich nahm jetzt gar keinen Anstand, ihm alles Grauliche, Entsetzliche, was ich in voriger Nacht überstanden, ganz ausführlich zu erzählen. Nichts verschwieg ich, vorzüglich auch nicht, daß ich viel Punsch getrunken und in Schillers »Geisterseher« gelesen. »Bekennen muß ich dies«, setzte ich hinzu, »denn so wird es glaublich, daß meine überreizte arbeitende Fantasie all die Erscheinungen schuf, die nur innerhalb den Wänden meines Gehirns existierten.«

Ich glaubte, daß nun der Großonkel mir derb zusetzen würde mit körnichten Späßen über meine Geisterseherei, statt dessen wurde er sehr ernsthaft, starrte in den Boden hinein, warf dann den Kopf schnell in die Höhe und sprach, mich mit dem brennenden Blick seiner Augen anschauend: »Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder seinem, noch dem Geist des Punsches hast du jenen Geisterspuk zu verdanken. Wisse, daß ich dasselbe, was dir widerfuhr, träumte. Ich saß, so wie du (so kam es mir vor), im Lehnstuhl bei dem Kamin, aber was sich dir nur in Tönen kundgetan, das sah ich, mit dem innern Auge es deutlich erfassend.

Ja! ich erblickte den greulichen Unhold, wie er hereintrat, wie er kraftlos an die vermauerte Tür schlich, wie er in trostloser Verzweiflung an der Wand kratzte, daß das Blut unter den zerrissenen Nägeln herausquoll, wie er dann hinabstieg, das Pferd aus dem Stalle zog und in den Stall zurückbrachte. Hast du es gehört, wie der Hahn im fernen Gehöfte des Dorfes krähte? Da wecktest du mich, und ich widerstand bald dem bösen Spuk des entsetzlichen Menchen, der noch vermag, das heitre Leben grauenhaft zu verstören.«

Der Alte hielt inne, aber ich mochte nicht fragen, wohlbedenkend, daß er mir alles aufklären werde, wenn er es geraten finden sollte. Nach einer Weile, in der er, tief in sich gekehrt, dagesessen, fuhr der Alte fort: »Vetter, hast du Mut genug, jetzt nachdem du weißt, wie sich alles begibt, den Spuk noch einmal zu bestehen? und zwar mit mir zusammen?«

Es war natürlich, daß ich erklärte, wie ich mich jetzt dazu ganz entkräftigt fühle. »So wollen wir«, sprach der Alte weiter, »in künftiger Nacht zusammen wachen. Eine innere Stimme sagt mir, daß meiner geistigen Gewalt nicht sowohl, als meinem Mute, der sich auf festes Vertrauen gründet, der böse Spuk weichen muß, und daß es kein freveliches Beginnen, sondern ein frommes, tapferes Werk ist, wenn ich Leib und Leben daran wage, den bösen Unhold zu bannen, der hier die Söhne aus der Stammburg der Ahnherrn treibt. -

Doch! von keiner Wagnis ist ja die Rede, denn in solch festem redlichen Sinn, in solch frommen Vertrauen, wie es in mir lebt, ist und bleibt man ein siegreicher Held. – Aber sollt' es dennoch Gottes Wille sein, daß die böse Macht mich anzutasten vermag, so sollst du, Vetter, es verkünden, daß ich im redlichen christlichen Kampf mit dem Höllengeist, der hier sein verstörendes Wesen treibt, unterlag! – Du! – halt dich ferne! dir wird dann nichts geschehen!«

Unter mancherlei zerstreuenden Geschäften war der Abend herangekommen. Franz hatte, wie gestern, das Abendessen abgeräumt und uns Punsch gebracht, der Vollmond schien hell durch die glänzenden Wolken, die Meereswellen brausten, und der Nachtwind heulte und schüttelte die klirrenden Scheiben der Bogenfenster. Wir zwangen uns, im Innern aufgeregt, zu gleichgültigen Gesprächen. Der Alte hatte seine Schlaguhr auf den Tisch gelegt. Sie schlug zwölfe. Da sprang mit entsetzlichem Krachen die Tür auf, und wie gestern schwebten leise und langsam Tritte quer durch den Saal, und das Ächzen und Seufzen ließ sich vernehmen.

Der Alte war verblaßt, aber seine Augen erstrahlten in ungewöhnlichem Feuer, er erhob sich vom Lehnstuhl, und indem er in seiner großen Gestalt, hochaufgerichtet, den linken Arm in die Seite gestemmt, den rechten weit vorstreckend nach der Mitte des Saals, dastand, war er anzusehen, wie ein gebietender Held.

Doch immer stärker und vernehmlicher wurde das Seufzen und Ächzen, und nun fing es an abscheulicher als gestern an der Wand hin und her zu kratzen. Da schritt der Alte vorwärts, gerade auf die zugemauerte Tür los, mit festen Tritten, daß der Fußboden erdröhnte. Dicht vor der Stelle, wo es toller und toller kratzte, stand er still und sprach mit starkem, feierlichem Ton, wie ich ihn nie gehört:

»Daniel, Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!« Da kreischte es auf grauenvoll und entsetzlich, und ein dumpfer Schlag geschah, wie wenn eine Last zu Boden stürzte. »Suche Gnade und Erbarmen vor dem Thron des Höchsten, dort ist dein Platz! Fort mit dir aus dem Leben, dem du niemals mehr angehören kannst!«

So rief der Alte noch gewaltiger als vorher, es war, als ginge ein leises Gewimmer durch die Lüfte und ersterbe im Sausen des Sturms, der sich zu erheben begann. Da schritt der Alte nach der Tür und warf sie zu, daß es laut durch den öden Vorsaal widerhallte.

In seiner Sprache, in seinen Gebärden lag etwas Übermenschliches, das mich mit tiefem Schauer erfüllte. Als er sich in den Lehnstuhl setzte, war sein Blick wie verklärt, er faltete seine Hände, er betete im Innern. So mochten einige Minuten vergangen sein, da frug er mit der milden, tief in das Herz dringenden Stimme, die er so sehr in seiner Macht hatte: »Nun, Vetter?« Von Schauer – Entsetzen – Angst – heiliger Ehrfurcht und Liebe durchbebt, stürzte ich auf die Kniee und benetzte die mir dargebotene Hand mit heißen Tränen. Der Alte schloß mich in seine Arme, und indem er mich innig an sein Herz drückte, sprach er sehr weich: »Nun wollen wir auch recht sanft schlafen, lieber Vetter!«

Es geschah auch so, und als sich in der folgenden Nacht durchaus nichts Unheimliches verspüren ließ, gewannen wir die alte Heiterkeit wieder, zum Nachteil der alten Baronessen, die, blieben sie auch in der Tat ein wenig gespenstisch, mit ihrem abenteuerlichen Wesen, doch nur ergötzlichen Spuk trieben, den der Alte auf possierliche Weise anzuregen wußte.

Endlich, nach mehreren Tagen, traf der Baron ein mit seiner Gemahlin und zahlreichem Jagdgefolge, die geladenen Gäste sammelten sich, und nun ging in dem plötzlich lebendig gewordenen Schlosse das laute wilde Treiben los, wie es vorhin beschrieben.

Als der Baron gleich nach seiner Ankunft in unsern Saal trat, schien er über unsern veränderten Aufenthalt auf seltsame Weise befremdet, er warf einen düstern Blick auf die zugemauerte Tür, und schnell sich abwendend, fuhr er mit der Hand über die Stirn, als wolle er irgendeine böse Erinnerung verscheuchen. Der Großonkel sprach von der Verwüstung des Gerichtssaals und der anstoßenden Gemächer, der Baron tadelte es, daß Franz uns nicht besser einlogiert habe, und forderte den Alten recht gemütlich auf, doch nur zu gebieten, wenn ihm irgend etwas in dem neuen Gemach, das doch viel schlechter sei, als das, was er sonst bewohnt, an seiner Bequemlichkeit abginge.

Überhaupt war das Betragen des Barons gegen den alten Großonkel nicht allein herzlich, sondern ihm mischte sich eine gewisse kindliche Ehrfurcht bei, als stehe der Baron mit dem Alten in verwandtschaftlichem Respektsverhältnis. Dies war aber auch das einzige, was mich mit dem rauhen, gebieterischen Wesen des Barons, das er immer mehr und mehr entwickelte, einigermaßen zu versöhnen vermochte. Mich schien er wenig oder gar nicht zu beachten, er sah in mir den gewöhnlichen Schreiber.

Gleich das erstemal, als ich eine Verhandlung aufgenommen, wollte er etwas in der Fassung unrichtig finden, das Blut wallte mir auf, und ich war im Begriff, irgend etwas Schneidendes zu erwidern, als der Großonkel, das Wort nehmend, versicherte, daß ich denn nun einmal alles recht nach seinem Sinne mache, und daß dieser doch nur hier in gerichtlicher Verhandlung walten könne.

Als wir allein waren, beschwerte ich mich bitter über den Baron, der mir immer mehr im Grunde der Seele zuwider werde. »Glaube mir, Vetter!« erwiderte der Alte, »daß der Baron trotz seines unfreundlichen Wesens der vortrefflichste, gutmütigste Mensch von der Welt ist. Dieses Wesen hat er auch, wie ich dir schon sagte, erst seit der Zeit angenommen, als er Majoratsherr wurde, vorher war er ein sanfter, bescheidener Jüngling. Überhaupt ist es denn doch aber nicht mit ihm so arg, wie du es machst, und ich möchte wohl wissen, warum er dir so gar sehr zuwider ist.«

Indem der Alte die letzten Worte sprach, lächelte er recht höhnisch, und das Blut stieg mir siedend heiß ins Gesicht. Mußte mir nun nicht mein Innres recht klar werden, mußte ich es nicht deutlich fühlen, daß jenes wunderliche Hassen aufkeimte aus dem Lieben, oder vielmehr aus dem Verlieben in ein Wesen, das mir das holdeste, hochherrlichste zu sein schien, was jemals auf Erden gewandelt?

Dieses Wesen war niemand als die Baronesse selbst. Schon gleich als sie angekommen und in einem russischen Zobelpelz, der knapp anschloß an den zierlich gebauten Leib, das Haupt in reiche Schleier gewickelt, durch die Gemächer schritt, wirkte ihre Erscheinung auf mich wie ein mächtiger unwiderstehlicher Zauber. Ja, selbst der Umstand, daß die alten Tanten in verwunderlicheren Kleidern und Fontangen, als ich sie noch gesehen, an beiden Seiten neben ihr her trippelten und ihre französischen Bewillkommnungen herschnatterten, während sie, die Baronin, mit unbeschreiblich milden Blicken um sich her schaute und bald diesem, bald jenem freundlich zunickte, bald in dem rein tönenden kurländischen Dialekt einige deutsche Worte dazwischen flötete, schon dieses gab ein wunderbar fremdartiges Bild, und unwillkürlich reihte die Fantasie dies Bild an jenen unheimlichen Spuk, und die Baronesse wurde der Engel des Lichts, dem sich die bösen gespenstischen Mächte beugen.

Die wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Geistes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neunzehn Jahre zählen, ihr Gesicht, ebenso zart wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der höchsten Engelsgüte, vorzüglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein unbeschreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesstrahl ging darin eine schwermütige Sehnsucht auf; so wie in ihrem holdseligen Lächeln ein ganzer Himmel voll Wonne und Entzücken. Oft schien sie ganz in sich selbst verloren, und dann gingen düstre Wolkenschatten über ihr holdes Antlitz.

Man hätte glauben sollen, irgendein verstörender Schmerz müsse sie befangen, mir schien es aber, daß wohl die düstere Ahnung einer trüben, unglücksschwangeren Zukunft es sei, von der sie in solchen Augenblicken erfaßt werde, und auch damit setzte ich auf seltsame Weise, die ich mir weiter gar nicht zu erklären wußte, den Spuk im Schlosse in Verbindung.

Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, versammelte sich die Gesellschaft zum Frühstück, der Alte stellte mich der Baronesse vor, und wie es in solcher Stimmung, wie die meinige war, zu geschehen pflegt, ich nahm mich unbeschreiblich albern, indem ich auf die einfachen Fragen der holden Frau, wie es mir auf dem Schlosse gefalle u.s., mich in die wunderlichsten sinnlosesten Reden verfing, so daß die alten Tanten meine Verlegenheit wohl lediglich dem profunden Respekt vor der Herrin zuschrieben, sich meiner huldreich annehmen zu müssen glaubten und mich in französischer Sprache als einen ganz artigen und geschickten jungen Menschen, als einen »garcon tres joli« anpriesen.

Das ärgerte mich, und plötzlich mich ganz beherrschend, fuhr mir ein Witzwort heraus in besserem Französisch, als die Alten es sprachen, worauf sie mich mit großen Augen anguckten und die langen spitzen Nasen reichlich mit Tabak bedienten.

An dem ernsteren Blick der Baronesse, mit dem sie sich von mir ab zu einer anderen Dame wandte, merkte ich, daß mein Witzwort hart an eine Narrheit streifte, das ärgerte mich noch mehr, und ich verwünschte die

Alten in den Abgrund der Hölle.

Die Zeit des schäferischen Schmachtens, des Liebesunglücks in kindischer Selbstbetörung hatte in mir der alte Großonkel längst wegironiert, und wohl merkt' ich, daß die Baronin tiefer und mächtiger als noch bis jetzt eine Frau mich in meinem innersten Gemüt gefaßt hatte. Ich sah, ich hörte nur sie, aber bewußt war ich mir deutlich und bestimmt, daß es abgeschmackt, ja wahnsinnig sein würde, irgendeine Liebelei zu wagen, wiewohl ich auch die Unmöglichkeit einsah, wie ein verliebter Knabe von weitem zu staunen und anzubeten, dessen ich mich selbst hätte schämen müssen.

 

Der herrlichen Frau näherzutreten, ohne ihr nur mein inneres Gefühl ahnen zu lassen, das süße Gift ihrer Blicke, ihrer Worte einsaugen und dann fern von ihr, sie lange, vielleicht immerdar im Herzen tragen, das wollte und konnte ich. Diese romantische, ja wohl ritterliche Liebe, wie sie mir aufging in schlafloser Nacht, spannte mich dermaßen, daß ich kindisch genug war, mich selbst auf pathetische Weise zu haranguieren und zuletzt sehr kläglich zu seufzen: »Seraphine, ach Seraphine!« so daß der Alte erwachte und mir zurief: »Vetter! Vetter! ich glaube, du fantasierst mit lauter Stimme! Tu's bei Tage, wenn's möglich ist, aber zur Nachtzeit laß mich schlafen!«

Ich war nicht wenig besorgt, daß der Alte, der schon mein aufgeregtes Wesen bei der Ankunft der Baronin wohl bemerkt, den Namen gehört haben und mich mit einem sarkastischen Spott überschütten werde, er sagte am andern Morgen aber nichts weiter, als bei dem Hineingehen in den Gerichtssaal: »Gott gebe jedem gehörigen Menschenverstand und Sorglichkeit, ihn in gutem Verschluß zu halten. Es ist schlimm, mir nichts, dir nichts sich in einen Hasenfuß umzusetzen.« Hierauf nahm er Platz an dem großen Tisch und sprach: »Schreibe fein deutlich, lieber Vetter! damit ich's ohne Anstoß zu lesen vermag.«

Die Hochachtung, ja die kindliche Ehrfurcht, die der Baron meinem alten Großonkel erzeigte, sprach sich in allem aus. So mußte er auch bei Tische den ihm von vielen beneideten Platz neben der Baronesse einnehmen, mich warf der Zufall bald hier-, bald dorthin, doch pflegten gewöhnlich ein paar Offiziere aus der nahen Hauptstadt mich in Beschlag zu nehmen, um sich über alles Neue und Lustige, was dort geschehen, recht auszusprechen und dabei wacker zu trinken.

So kam es, daß ich mehrere Tage hindurch ganz fern von der Baronesse, am untern Ende des Tisches saß, bis mich endlich ein Zufall in ihre Nähe brachte. Als der versammelten Gesellschaft der Eßsaal geöffnet wurde, hatte mich gerade die Gesellschafterin der Baronin, ein nicht mehr ganz junges Fräulein, aber sonst nicht häßlich und nicht ohne Geist, in ein Gespräch verwickelt, das ihr zu behagen schien. Der Sitte gemäß mußte ich ihr den Arm geben, und nicht wenig erfreut war ich, als sie der Baronin ganz nahe Platz nahm, die ihr freundlich zunickte.

Man kann denken, daß nun alle Worte, die ich sprach, nicht mehr der Nachbarin allein, sondern hauptsächlich der Baronin galten. Mag es sein, daß meine innere Spannung allem, was ich sprach, einen besondern Schwung gab, genug, das Fräulein wurde aufmerksamer und aufmerksamer, ja zuletzt unwiderstehlich hineingezogen in die bunte Welt stets wechselnder Bilder, die ich ihr aufgehen ließ.

Sie war, wie gesagt, nicht ohne Geist, und so geschah es bald, daß unser Gespräch, ganz unabhängig von den vielen Worten der Gäste, die hin und her streiften, auf seine eigene Hand lebte und dorthin, wohin ich es haben wollte, einige Blitze sandte. Wohl merkt' ich nämlich, daß das Fräulein der Baronin bedeutende Blicke zuwarf, und daß diese sich mühte uns zu hören. Vorzüglich war dies der Fall, als ich, da das Gespräch sich auf Musik gewandt, mit voller Begeisterung von der herrlichen, heiligen Kunst sprach und zuletzt nicht verhehlte, daß ich, trockner, langweiliger Juristerei, der ich mich ergeben, unerachtet, den Flügel mit ziemlicher Fertigkeit spiele, singe und auch wohl schon manches Lied gesetzt habe.

Man war in den andern Saal getreten, um Kaffee und Liköre zu nehmen, da stand ich unversehens, selbst wußte ich nicht wie, vor der Baronin, die mit dem Fräulein gesprochen. Sie redete mich sogleich an, indem sie, doch freundlicher und in dem Ton, wie man mit einem Bekannten spricht, jene Fragen, wie mir der Aufenthalt im Schlosse zusage u.s., wiederholte. Ich versicherte, daß in den ersten Tagen die schauerliche Öde der Umgebung, ja selbst das altertümliche Schloß mich seltsam gestimmt habe, daß aber eben in dieser Stimmung viel Herrliches aufgegangen und daß ich nur wünsche, der wilden Jagden, an die ich nicht gewöhnt, überhoben zu sein.

Die Baronin lächelte, indem sie sprach: »Wohl kann ich's mir denken, daß Ihnen das wüste Treiben in unsern Föhrenwäldern nicht eben behaglich sein kann. Sie sind Musiker, und täuscht mich nicht alles, gewiß auch Dichter! Mit Leidenschaft liebe ich beide Künste! – ich spiele selbst etwas die Harfe, das muß ich nun in R..sitten entbehren, denn mein Mann mag es nicht, daß ich das Instrument mitnehme, dessen sanftes Getön schlecht sich schicken würde zu dem wilden Halloh, zu dem gellenden Hörnergetöse der Jagd, das sich hier nur hören lassen soll! – O mein Gott! wie würde mich hier Musik erfreun!«

Ich versicherte, daß ich meine ganze Kunst aufbieten werde, ihren Wunsch zu erfüllen, daß es doch im Schlosse unbezweifelt ein Instrument, sei es auch nur ein alter Flügel, geben werde. Da lachte aber Fräulein Adelheid (der Baronin Gesellschafterin) hell auf und frug, ob ich denn nicht wisse, daß seit Menschengedenken im Schlosse keine andern Instrumente gehört worden, als krächzende Trompeten, im Jubel lamentierende Hörner der Jäger und heisere Geigen, verstimmte Bässe, meckernde Hoboen herumziehender Musikanten.

Die Baronin hielt den Wunsch, Musik und zwar mich zu hören, fest, und beide, sie und Adelheid, erschöpften sich in Vorschlägen, wie ein leidliches Fortepiano herbeigeschafft werden könne. In dem Augenblick schritt der alte Franz durch den Saal. »Da haben wir den, der für alles guten Rat weiß, der alles herbeischafft, selbst das Unerhörte und Ungesehene!«

Mit diesen Worten rief ihn Fräulein Adelheid heran, und indem sie ihm begreiflich machte, worauf es ankomme, horchte die Baronin mit gefalteten Händen, mit vorwärts gebeugtem Haupt, dem Alten mit mildem Lächeln ins Auge blickend, zu. Gar anmutig war sie anzusehen, wie ein holdes, liebliches Kind, das ein ersehntes Spielzeug nur gar zu gern schon in Händen hätte. Franz, nachdem er in seiner weitläufigen Manier mehrere Ursachen hergezählt hatte, warum es denn schier unmöglich sei, in der Geschwindigkeit solch ein rares Instrument herbeizuschaffen, strich sich endlich mit behaglichem Schmunzeln den Bart und sprach: »Aber die Frau Wirtschaftsinspektorin drüben im Dorfe schlägt ganz ungemein geschickt das Clavizimbel, oder wie sie es jetzt nennen mit dem ausländischen Namen, und singt dazu so fein und lamentabel, daß einem die Augen rot werden wie von Zwiebeln und man hüpfen möchte mit beiden Beinen.«

»Und besitzt ein Fortepiano!« fiel Fräulein Adelheid ihm in die Rede. »Ei, freilich«, fuhr der Alte fort, »direkt aus Dresden ist es gekommen – ein -« »O das ist herrlich«, unterbrach ihn die Baronin »ein schönes Instrument«, sprach der Alte weiter, »aber ein wenig schwächlich, denn als der Organist neulich das Lied: >In allen meinen Taten< darauf spielen wollte, schlug er alles in Grund und Boden, so daß-«

»O mein Gott«, riefen beide, die Baronin und Fräulein Adelheid, »so daß«, fuhr der Alte fort, »es mit schweren Kosten nach R – geschafft und dort repariert werden mußte.« »Ist es denn nun wieder hier?« frug Fräulein Adelheid ungeduldig. »Ei freilich, gnädiges Fräulein! und die Frau Wirtschaftsinspektorin wird es sich zur Ehre rechnen.«

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