Es kommt schon alles, wie es soll

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„Du siehst schrecklich aus“, bemerkte Franzi, die natürlich schon wieder frisch geduscht aus dem Fitnessstudio kam und somit meine Vermutung bestätigte.

„Na vielen Dank auch!“, gab ich gespielt beleidigt zurück.

„Ist das der Kater oder das Alter?“, zwinkerte Mara mir zu und ich musste zugeben, dass es sich wahrscheinlich um eine Mischung aus beidem handelte. Wir bestellten Cappuccino und Schokoladen-Tarte und suchten uns ein schönes Sonnenplätzchen. Meine Sonnenbrille konnte ich leider noch nicht abnehmen, dafür schmeckte der Kaffee wieder gut. Mara und Franzi waren aus irgendeinem unerfindlichen Grund topfit. Sie quatschten aufgeregt über die Party und ich musste Mara und Franzi noch genaustens erklären, wie wir Dorf-Mädels zueinander standen.

Ich war immer noch froh, dass meine Sorge unbegründet war, dass sich die Mädels untereinander vielleicht nicht so gut verstehen würden und sich zwei Lager bildeten, zwischen denen ich vermitteln musste. Aber Mara und Franzi hatten meine Mädels ordentlich aufgemischt, was diese auch sehr unterhaltsam fanden. Noch auf dem Heimweg schrieb Eva mir eine Nachricht, wie schön sie die Feier fand und wie glücklich sie war, dass es mir gut ging. Als ich die Nachricht nach dem Aufstehen las, freute ich mich besonders über die lieben Worte meiner alten Freundin. In letzter Zeit hatte ich sie alle viel zu selten gesehen. Ich musste mich erst einmal in meiner neuen Heimat zurechtfinden und brauchte etwas Abstand zu meinem alten Leben, wo mich immer noch alles an Mirko erinnerte. Und die Mädels aus dem Dorf zu locken war schon immer schwer gewesen. So war unser Kontakt gerade etwas eingeschlafen, was meine Liebe zu ihnen natürlich nicht veränderte.

Obwohl ich gerade Eva sehr vermisste. Nach meiner Trennung war ich oft bei ihr. Wenn die Kinder im Bett waren, tranken wir zusammen Tee und sie hörte mir einfach nur zu. Ich wusste nicht, warum, aber in dieser Zeit konnte ich mit ihr am besten reden. Auch wenn eigentlich Becci meine und Lena Evas beste Freundin war. Aber Eva verstand mich in diesem Punkt einfach, was die beiden anderen nicht wirklich taten. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Becci und Lena mich unterschwellig verurteilten, mein Leben mit Mirko leichtfertig weggeschmissen zu haben. In ihren Augen hätten wir uns einfach nochmal ordentlich aussprechen und es dann noch einmal miteinander versuchen sollen. Ich fand allerdings eindeutig, dass ich mehr als genug versucht und dass kein Mensch der Welt eine derartige Demütigung verdient hatte, die Mirko mir angetan hatte. Eva verstand mich da besser. Auch wenn sie meine Entscheidung zu gehen, traurig fand und sie sich das für sich selbst nie vorstellen konnte, hat sie mich immer unterstützt. An unseren gemeinsamen Abenden vertraute auch sie sich mir an. Sie würde sich neben ihrer Mutterrolle auch gerne ein bisschen mehr auf ihre Rolle als Frau konzentrieren.

Aus diesem Grund freute ich mich besonders, dass auch Eva offensichtlich eine schöne Zeit auf der Party hatte und auch einfach mal abschalten und Spaß haben konnte.

Ich merkte, dass Stille herrschte, während ich meinen Gedanken nachhing und wir alle lächelnd in unseren Kaffeetassen herumrührten. Die Sonne wärmte unsere Gesichter und die kühle Luft sorgte dafür, dass es meinem Kopf gleich besser ging.

„Herrlich!“, seufzte ich in die Stille. „Genau das, was ich heute brauchte!“

„Eindeutig“, pflichteten mir beide bei und wir genossen weiter glücklich schweigend unser kleines Nachmittagsfestmahl.

„Sagt mal, Mädels“, unterbrach ich die wohlige Stille. „Habt ihr eigentlich einen richtigen Plan? Also ich meine, wisst ihr genau, was ihr wollt vom Leben?“ Ich hatte kurz Zweifel, ob das wirklich das richtige Gesprächsthema für uns war. Über so etwas hatten wir uns bis jetzt noch nie unterhalten und ich hatte plötzlich Bedenken, die beiden würden mich auslachen wegen meiner plötzlichen Zukunftsgedanken. Aber ich war wohl noch so in meiner Kater-Melancholie gefangen, dass ich die Frage schon ausgesprochen hatte, bevor ich darüber nachdachte. Meine Sorge war auch, wie so oft, unbegründet.

„Ja, eigentlich schon“, kam es prompt von Mara. Mara würde im Herbst ihre Jugendliebe John heiraten. Und es überraschte mich weniger, dass sie meine Frage bejahte. Als Paar machte man sich ja wahrscheinlich schon mal eher Gedanken über die gemeinsame Zukunft.

„Oh, erzähl, Mara, werden wir bald Tanten?“, war jetzt auch Franzi interessiert.

Mara lachte. „Nein, sorry, da muss ich euch enttäuschen.“

„Wie?“, fragte Franzi schockiert. „Wollt ihr etwa keine Kinder?“

„Doch natürlich, aber wir sind uns einig, dass das noch ein paar Jahre Zeit hat. Wir lieben Bielefeld, es ist toll hier. Wir möchten erst noch hier bleiben und das Stadtleben genießen. Wir wollen erstmal noch die Nächte durchtanzen und so viel wie möglich verreisen. Über kurz oder lang wollen wir aber schon wieder zurück aufs Dorf. So in fünf bis sechs Jahren vielleicht. Mal schauen, wie es läuft.“

„Wow, Mara, das hört sich nach einem filmreifen Plan an“, kam es von der verblüfften Franzi.

Mara lachte. „Naja, mal sehen, wie es wirklich kommt. Was ist denn eurer?“

„Ich will, so schnell es geht, hier weg.“, antwortete Franzi wie aus der Pistole geschossen und Mara und ich sahen uns an und mussten grinsen. Seit ich Franzi kannte, träumte sie von einem Leben am Strand. Sie wollte Sonne, Meer und Surferboys. Da ihr Lebensstil aber ähnlich ausschweifend war wie ihre Pläne, fehlte ihr noch das nötige Kleingeld dazu.

„Ach, Mädels, ich kann es gar nicht abwarten, bis ich auf meiner Terrasse mit Meerblick liege und den Wellen zuhören kann.“

„Und wann soll das sein?“, schmunzelte Mara.

Franzi bewarf sie für diesen Seitenhieb mit der Serviette und lachte. „So schnell wie möglich halt“, sagte sie mit einem Achselzucken.

„Jaja, ich weiß, dass ihr das für eine Spinnerei haltet. Aber ihr werdet schon sehen. Irgendwann werdet ihr mich in Portugal besuchen können und mich um meinen heißen Latino und unser kleines Strandhaus beneiden. Und dann werde ich als Personal Trainer durchstarten und muss niemandem mehr Büroräume aufquatschen.“

Franzi war im Gegensatz zu Mara und mir nicht so überzeugt von ihrem Job. Sie hatte sich auf den Verkauf und die Vermietung von Gewerbe- und Industrie-Immobilien spezialisiert. Sie war an sich auch eher der rationale Typ. Sie brauchte Bewegung und Sportklamotten, keine schicken Anzüge. Als wir uns kennenlernten, erzählte sie mir direkt, dass Wohnflächen als Objekte für sie nie infrage gekommen wären. Sie hatte keine Lust, ständig irgendwelche Wohnträume erfüllen zu müssen oder sich Familiengeschichten anzuhören. Sie wollte Abschlüsse haben und Geld verdienen, mehr nicht. Für sie war es die beste Möglichkeit, ausreichend zu verdienen, um weiter von ihren Auswanderplänen träumen zu können. Ich war da etwas anders gestrickt. Für mich waren die Geschichten meiner Kunden tatsächlich das, was ich so an meinem Job liebte.

„Auch kein schlechter Plan“, grinste Mara. „Was ist mit dir, Feli?“

„Ja, hört sich klasse an“, pflichtete ich ihr bei. „Ich kann es euch bei mir leider nicht sagen. Ich bin gerade glücklich so, wie es ist. Ich habe keinen weiteren Plan.“

„Aber ist das denn so schlimm?“, gab Franzi zu bedenken.

Für Franzi sicherlich nicht. Sie nahm das Leben locker und machte sich nicht zu viele Gedanken über die Zukunft, außer darüber, wie sie so schnell wie möglich von hier wegkommen konnte.

Aber war das bei mir auch so?

Für mich waren der Umzug nach Bielefeld und der Jobwechsel eine so krasse Veränderung in meinem bisherigen Leben, dass ich noch gar nicht viel weiter gedacht hatte. Die beiden wussten zwar auch von Mirko und der unschönen Trennung, aber Details hatte ich bisher nicht erzählt. Zum einen wollte ich die Zeit einfach vergessen, zum anderen glaubte ich immer noch nicht daran, dass irgendjemand verstehen konnte, wie schlimm diese Situation damals wirklich für mich war und was das alles mit mir und meinem Selbstbewusstsein gemacht hatte. Ich konnte es schließlich nach außen auch ganz gut verbergen.

Wir machten uns noch zu einem kleinen Schaufensterbummel durch die Altstadt auf und philosophierten über unsere Zukunft. Am frühen Abend verabschiedeten wir uns. Nach dem Partywochenende hatten wir dann doch alle ein festes Date mit unserem Sofa.

Als ich später im Bett lag, musste ich noch einmal über unser Gespräch nachdenken. Mara und Franzi waren wirklich so ganz anders als meine anderen Freundinnen. Ich mochte die beiden wirklich sehr und sie waren in der kurzen Zeit, die ich in Bielefeld lebte, schon unheimlich wichtig für mich geworden. Ich verbrachte sehr gerne Zeit mit ihnen und beneidete sie um ihre Coolness und ihre Leichtigkeit.

Mara war eine richtige Frohnatur. Sie war etwas kleiner als ich, fiel aber im Gegensatz zu mir überall auf. Sie hatte fast jede Woche eine andere Haarfarbe, die sie immer wieder anders aussehen ließ. Sie hatte den außergewöhnlichsten Geschmack, den ich kannte. Egal was sie trug, es war immer ein auffälliges Accessoire dabei. Wenn sie arbeitete, riss sie sich etwas zusammen, aber auch da war sie eher ein Paradiesvogel. Ein unglaublich intelligenter Paradiesvogel. Sie hätte tragen können, was sie wollte, sie würde aufgrund ihres Knowhows und ihres unglaublichen Wissens immer für voll genommen werden. Obwohl ich solche Klischees hasste, musste ich zugeben, dass ich nie gedacht hätte, dass auch sie vom Dorf kam und noch weniger, dass sie Ambitionen hatte, dahin zurückzugehen. Dazu kam sie mir viel zu lässig, zu draufgängerisch und auch ein bisschen zu alternativ vor. Irgendwie beneidete ich sie für ihre starke Persönlichkeit. Genauso wie Franzi. Franzi war ebenfalls locker und total tough. Sie war groß, hatte lange schwarze Haare und sah aus wie ein Model. Eine Rassefrau, würde mein Opa sagen. Sie kümmerte sich wenig darum, was andere von ihr erwarteten, und noch weniger, was sie von ihr hielten. In ihrem Businessoutfit sah sie aus wie dem Forbes-Magazin entsprungen und in ihrer Freizeit, als würde sie gleich auf eine coole Beachparty gehen. In jedem Fall aber absolut atemberaubend. Sie war eine richtige Sportskanone und verbrachte ihre Freizeit hauptsächlich im Fitnessstudio oder beim Beachvolleyball am See.

 

Mit meinem angeschlagenen Ego hätte ich mich niemals getraut, die beiden anzusprechen und auch nicht erwartet, dass sie es bei mir tun. Aber mittlerweile waren wir Freunde und dafür war ich sehr dankbar.

Auch was ihre Zukunftsplanung anging, hatten die beiden eine andere Einstellung als die, die ich von Zuhause kannte. Der grundlegendste Unterschied war der, dass ihre Pläne so zwanglos waren. Klar machten sie sich auch Gedanken und hatten Ziele, doch sie gingen die ganze Sache positiv an. Das war wirklich entspannend. Wenn ich den beiden zuhörte, wie sie über ihre Pläne sprachen, war ich hin- und hergerissen. Ich konnte mir beide Lebensweisen dann auch so für mich vorstellen. Sich wie Mara erst noch auszuleben, aber langfristig zurück nach Hause zu gehen, wo meine Freunde und meine Familie waren, schien mir logisch und vereinte alles, was ich bisher eigentlich so liebte. Wenn ich dann aber Franzis verrückten Träumereien zuhörte, wurde ich irgendwie unruhig und dachte, dass mein Leben vielleicht zu langweilig wäre, wenn ich nicht auch so krasse Auslandspläne aufzuweisen hatte. Obwohl ich mein Leben eigentlich ganz und gar nicht langweilig fand, verwirrte mich das alles etwas. Bei meinen Mädels zuhause hingegen gab es diese Verwirrung nicht. Von da kannte ich nur eine Option: Heirat und Kinder und das am besten so schnell wie möglich. Bei ihnen war es immer klar, was sie wollten. Ich fand es toll, wenn sie ihr persönliches Glückskonzept gefunden hatten. Oder zumindest glaubten, es zu haben. Ich konnte mich aber damit nicht wirklich identifizieren. Manchmal glaubte ich sogar, zumindest bei Becci, dass auch ihr vielleicht ein anderes Glückskonzept besser stehen würde, sie aber gar keine Optionen zulassen wollte. Sie war schon immer speziell und etwas egoistisch. In letzter Zeit kam sie mir aber einfach nur noch verbittert vor. Sie führte sich ständig vor Augen, dass sie gerade nicht das Leben führte, das sie sich eigentlich ausgemalt hatte. Dabei lebte sie nur noch in Vergleichen und fand immer wieder welche, bei denen sie schlechter dastand als andere. Ich konnte nicht verstehen, wie man sich selbst so in sein Unglück stürzen konnten und war ehrlich gesagt auch froh, dass ich von diesen Ansichten gerade etwas Abstand nehmen konnte. Meine eigene Zukunftsvision machte das allerdings nicht klarer.

5 - Back to work

Ich schlief über meine Gedanken ein und wachte erst wieder auf, als mich die Sonne in der Nase kitzelte und mich zum Niesen brachte. Oh Mist, ich hatte verschlafen. Schnell sprang ich aus dem Bett und machte mich zuerst auf den Weg zur Kaffeemaschine. So spät war es dann doch noch nicht, dass ich ohne Kaffee aus dem Haus ging. Das konnte ich nur in den allergrößten Notfällen. Tatsächlich war es 7:00 Uhr. Zwar hatte ich meinen ersten Termin heute erst um 11:00 Uhr und würde immer noch die Erste im Büro sein, aber gerade montags hatte ich um diese Zeit gerne schon alle Anfragen und Mails beantwortet. Sonntagabends waren Immobilienportale gut besucht und die Konkurrenz schlief schließlich auch nicht.

Ich sprang schnell unter die Dusche, schlüpfte in Hosenanzug und Bluse und schwang mich auf mein Rad. Nur fünf Minuten später saß ich an meinem Schreibtisch. Gerade an Tagen wie diesen liebte ich meinen kurzen Arbeitsweg. Wie erwartet war tatsächlich noch keiner da und so machte ich mich, während mein PC hochfuhr, daran, unseren Eingangsbereich einladend zu gestalten. Ich stellte die Blumenkübel raus und dazu die Dropflags, auf denen groß unser Logo prangte. Immer, wenn ich unser Logo sah, war ich wieder einmal unendlich stolz, für dieses gefragte Immobilienbüro arbeiten zu dürfen. Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch machte ich noch einen kurzen Stopp an der Kaffeemaschine und öffnete dann neugierig meine Mails.

Tatsächlich hatte ich derzeit einige Mietobjekte im Angebot, wobei die Nachfrage gerade in Stadtnähe durch die Decke ging. Singles, junge Paare und auch zwei Familien waren an der wunderschönen Altbauwohnung in Stadtnähe interessiert, und ich lud sie alle zu einem Termin für Donnerstag ein. Ich mochte diese Massentermine zwar nicht, aber es machte die Vorauswahl leichter. Erfahrungsgemäß sagten so auch viele von alleine ab, was mir sehr zugute kam. Absagen waren nicht meine Stärke. Am meisten nützte mir aber die Zeitersparnis, die mir so ein Termin einbrachte, denn die konnte ich gut gebrauchen. Mietobjekte waren nicht so lukrativ und deshalb war es immer besser, die Abschlüsse schnell hinter sich zu bringen. Ich hatte wirklich viel zu tun und dafür war ich sehr dankbar. Im Vergleich zu anderen Kollegen hatte ich mit meinen Mietwohnungen zwar die weniger lukrativen Objekte, aber im Gegensatz zu ihnen war mir das egal. Vielleicht musste ich ein bisschen mehr für mein Geld arbeiten, aber das war in Ordnung. Schließlich war aller Anfang schwer und ich liebte meinen Job. Außerdem war ich sicher, wenn ich mich erstmal etabliert hatte, würden auch größere Aufträge kommen. Alles zu seiner Zeit.

„Felicitas, schön, dich schon zu sehen! Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag! Hattest du eine schöne Feier?“ Unser Geschäftsstellenleiter stand, wie aus dem Nichts, mit einem riesigen Blumenstrauß vor mir.

„Oh, hallo Matthias, ich habe dich gar nicht gehört. Vielen, vielen Dank! Die Blumen sind wunderschön! Ja, das hatte ich!“

„Das freut mich. Und wie ich sehe, ist das mit der abfallenden Power ab 30 ein Mythos. Du bist fleißig wie eh und je! Läuft es gut?“

Ich musste lachen, dass auch er auf diesen „Ab 30 geht’s bergab“-Zug aufsprang. Eigentlich war er ganz und gar nicht der Typ dafür. Matthias war ein typischer Erfolgsmensch. Charismatisch, steile Karriere, schöne Frau, tolles Haus, zwei süße Kinder. Und dabei noch nett, witzig und gar nicht abgehoben. Er war jetzt Mitte 40 und weit weg davon, dass sein guter Lauf ein Ende nahm. Aber naja, sicherlich wollte er auch nur einen kleinen Witz machen.

„Ja, läuft gut. Mietwohnungen gehen ja weiterhin weg wie warme Semmeln.“

„Ach, Felicitas, ich bewundere dich dafür, dass du die Drecksarbeit machst und dabei auch noch Spaß hast! Unter uns, ich verstehe, dass du als blutige Anfängerin alles nimmst, was du kriegen kannst. Aber lass dich nicht zum Deppen machen. Nicht von deinen Kollegen und nicht von irgendwem sonst. Nettigkeit ist gut und schön, aber du musst auch an dich denken. Wenn das nächste große Ding reinkommt, ist es deins. Versprich mir, dass du es dir unter den Nagel reißt.“

Er hatte sich richtig in Rage geredet und kam mir vor wie einer dieser Motivationscoaches. Deshalb war er wohl auch der Chef. Ich war allerdings ein bisschen unsicher. Ich fand doch alles gut, so wie es war. Ich hatte immer genug zu tun, verdiente genug und das Verhältnis zu meinen Kollegen war bestens. Warum also etwas ändern? Und Ellenbogenausfahren war noch nie mein Ding. Matthias bemerkte mein Zögern und schmunzelte.

„Genau das habe ich mir gedacht. Ok, pass auf. Die nächste große Anfrage, die ich bekomme, werde ich dir weiterleiten. Das ist mein Geburtstagsgeschenk für dich. Du wirst den Kunden begeistern und, vertrau mir, dich selbst auch. Dann sehen wir mal weiter, ob du nicht Blut leckst und endlich mal die Krallen ausfährst.“ Er zwinkerte mir zu. Ich starrte ihn verblüfft an.

„Wow.“ Mehr brachte ich nicht heraus. „Danke!“

„Nichts zu danken. Hauptsache, es bleibt unter uns! Dafür bestell ich heute Abend auch noch einen Extra-Nachtisch“, witzelte er und schon war er in seinem Büro verschwunden.

Oh, da war ja was. Matthias hatte mich glücklicherweise unbewusst daran erinnert, dass ich ja versprochen hatte, meine Kollegen heute Abend zum Essen einzuladen. Natürlich hatte ich noch keinen Tisch reserviert, aber an einem Montag sollte es nicht so schlimm sein. Zumindest nicht bei denen, die keinen Ruhetag hatten. Innerlich verdrehte ich die Augen und speicherte mir schnell eine Erinnerung für 12 Uhr in mein Handy, mich dringend um einen Tisch zu kümmern. Jetzt würde ich eh noch niemanden erreichen. Da konnte ich mich besser wieder an die Arbeit machen. Obwohl das leichter gesagt war als getan, denn das Gespräch hatte mich etwas aus der Bahn geworfen.

Ich konnte es immer noch nicht ganz fassen. Matthias war wirklich super, er müsste das schließlich nicht für mich tun. Und direkt meldete sich auch schon mein schlechtes Gewissen meinen Kollegen gegenüber. Normalerweise verstieß das Zuschustern von Aufträgen gegen unseren Ehrenkodex im Büro. Was, wenn das rauskommen würde? Andererseits war Matthias der Chef und als dieser hatte er auch das Sagen. Und auch, wenn wir darüber nicht in aller Ausführlichkeit redeten, konnte ich mir ausrechnen, dass meine Kollegen im Vergleich über meinen umgerechneten Stundensatz lachen würden. Die Vorfreude überstieg meine aufkommenden schlechten Gedanken und ich entschied, dass ich mir meinen Tag heute nicht davon vermiesen lassen würde. Schließlich hatte ich es ja auch verdient, nach den ganzen Mietwohnungen mal ein tolles Verkaufsobjekt zu ergattern. Ich freute mich schon jetzt auf meinen ersten richtig großen Auftrag und konnte es kaum erwarten. Ich war offensichtlich immer noch am Grinsen, als meine Kollegen eintrudelten.

„Die 30 steht dir aber gut, Feli!“, begrüßte mich Timo, unser Sunnyboy, und nahm mich in die Arme.

„Alles Liebe, Feli“, beglückwünschten mich auch Sina, meine andere Kollegin und Maren, unsere Telefonistin.

„Heute Abend lassen wir die Sau raus, wir freuen uns schon! Wo geht’s hin?“

„Überraschung“, log ich in der Hoffnung, dass wir überhaupt noch irgendwo einen Platz bekamen. Wir tranken alle zusammen einen Kaffee und sprachen über unsere Wochenenden, dann mussten Sina und Timo auch los zu ihren Terminen.

Maren nahm mich noch einmal in die Arme. „Ach Feli, ich bin froh, dass du hier bist. Alleine mit den beiden war es schon immer etwas anstrengend. Seit du hier bist, reißen sie sich wenigstens etwas zusammen.“

Ich drückte Maren an mich. Ich wusste genau, was sie meinte. Timo und Sina waren super-lieb und witzig, hielten sich aber oft für etwas Besseres und ließen Maren das auch spüren. Sina hatte.offensichtlich auch ein Auge auf Timo geworfen. Dadurch wurde die ganze Sache nicht besser. Manchmal dachte ich, dass sie wohl am liebsten jeden Tag mit ihm alleine im Büro wäre. Obwohl weder von mir noch von Maren eine Gefahr in Sachen Timo ausging. Mir war Timo eindeutig zu glatt und Maren sicherlich eindeutig zu jung. Maren war ein richtiges Goldstück. Sie war Anfang 50, modisch unterwegs wie Anfang 20 und ein absoluter Gutmensch. Deshalb konnte sie sich oft aber nicht durchsetzen oder wollte es auch einfach nicht. Und in manchen Situationen wurde ihr das zum Verhängnis, noch schlimmer als mir. Und ich hatte mir ja jetzt eh vorgenommen, daran zu arbeiten.

Ich hatte Glück und ergatterte für 18 Uhr noch einen Tisch im Mellow Gold. Das war gar nicht so selbstverständlich, denn das Mellow Gold war ein relativ kleines Lokal. Es strahlte moderne Gemütlichkeit aus und war genau das Richtige für meine Kollegen. Wir machten uns direkt nach der Arbeit zusammen auf den Weg. Timo war wieder in seinem Element und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Er erzählte von seinen letzten Dates und den „heißen Weibern“, die er aufgerissen hatte. Jetzt hatte er zwei Mädels am Start und wusste nicht, für wen er sich entscheiden sollte. Timo hatte keine Hemmungen. Das Letzte, was mir einfallen würde, wäre, mein Liebesleben vor meinem Chef auszubreiten, aber ihn störte das offensichtlich gar nicht. Er trug sein Herz auf der Zunge und trug damit immer bestens zu unserer Unterhaltung bei. Was von seinen Erzählungen stimmte und was er mal eben dazu erfand, um die Geschichte spannender zu machen oder einen Nutzen daraus zu ziehen, musste man allerdings immer genau abwägen. Timo war eben ein richtiger Verkäufer und zwar ein sehr erfolgreicher.

„Wenn du dich nicht für eine entscheiden kannst, sind vielleicht einfach beide nicht die Richtigen für dich.“ Das kam wohl schnippischer als geplant aus Sinas Mund und sie nahm direkt einen großen Schluck Wein hinterher. Timo, der tausendprozentig wusste, dass Sina auf ihn stand, nahm es gelassen. Tatsächlich hatte er nicht nur in Sina eine Verehrerin gefunden, sondern in bestimmt 90 Prozent der Frauen. Timo sah klasse aus. Er war groß, muskulös, hatte eine offene, lustige, aber nicht zu arrogante Art an sich und wickelte jeden um den Finger. Ich konnte verstehen, warum sich die Frauen um ihn rissen. Sina war eben leider nur eine von ihnen. Und irgendwie tat sie mir leid. Auch wenn sie ein Selbstbewusstsein hatte, von dem ich nur träumen konnte, waren ihre sehnsüchtigen Blicke Timo gegenüber sehr verräterisch. Timo, der sich auch sonst keine Gelegenheit entgehen ließ, wenn eine Frau sich an ihn heranmachte, hätte leichtes Spiel gehabt. Ich hatte noch nicht herausgefunden, warum er gerade bei der schönen Sina nicht zugriff. Sie war nämlich eigentlich genau sein Beuteschema. Ein richtiges Püppchen – von außen wie von innen. Blond, schlank, immer top geschminkt und top gestylt. Sie war nett, aber unsere Gesprächsthemen bewegten sich halt auch nur an der Oberfläche. Ich war mir relativ sicher, dass das nicht nur bei uns der Fall war. Aber das schreckte Timo normalerweise auch nicht ab. Es blieb also ein Rätsel für Maren und für mich, wie wir schon einmal in einer gemeinsamen Kaffeepause philosophiert hatten. Vielleicht besaß Timo doch noch ein kleines bisschen Anstand und riss sich wenigsten bei seinen Kollegen zusammen. Ich nahm mir vor, das noch weiter zu beobachten und bei Gelegenheit noch einmal Maren, die Tratschtante, zu befragen, vielleicht hatte sie ja schon neue Informationen.

 

„Da hast du recht, Sina. Dann muss ich wohl weiter testen, wie schade.“, gab er mit einem leicht ironischen Unterton zurück und zwinkerte uns zu. Glücklicherweise kam das Essen und die brisante Situation war entschärft. Sina fand auch recht schnell zu ihrer Fassung zurück und konzentrierte sich lieber darauf, das beste Instagram-Foto unseres Festmahls aufzunehmen, als Timos Liebesleben zu hinterfragen. Bevor wir allerdings anfingen zu essen, hob Matthias sein Glas. Ich wusste, dass mir das nicht erspart bleiben würde, schließlich hatte ich nun schon ein paar Geburtstage aus dem Team mitfeiern dürfen und Matthias ließ es sich nicht nehmen, immer ein paar persönliche, fast väterliche Worte zu verlieren. Trotzdem war es mir unangenehm, so im Mittelpunkt zu stehen.

„Felicitas, danke für deine Einladung! Und danke, dass du in unser Team gekommen bist. Wir sind alle sehr glücklich, dich zu haben, und wünschen dir von Herzen alles Liebe für dein neues Lebensjahr.“ Er machte eine Pause und kramte umständlich in seiner Jacke.

„Natürlich haben wir auch noch eine Kleinigkeit für dich!“ Er überreichte mir ein kleines Päckchen und ich machte mich ans Auspacken. Ich traute meinen Augen nicht, als ein wunderschönes, goldenes Armband zum Vorschein kam. Es war sehr filigran und in der Mitte war ein kleiner dunkelroter Stein eingefasst. Es war wunderschön.

„Gefällt es dir?“, fragte Maren aufgeregt und erst jetzt bemerkte ich, dass mich alle anstarrten. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte vielleicht einen Gutschein erwartet, aber keinesfalls so ein persönliches Geschenk.

„Ehhm, ja klar. Ja, es ist superschön. Vielen Dank!“

„Ach, zum Glück“, freute sich Maren. „Du hattest vor Kurzem ja mal gesagt, dass du auf der Suche nach einem schönen Armband bist, aber noch keins gefunden hast.“

Ich hatte nicht gewusst, so aufmerksame Kollegen zu haben, und ich war gerührt von so einem persönlichen Geschenk. Tatsächlich war ich etwas sprachlos. Mehr als „Vielen, vielen Dank!“ brachte ich nicht über die Lippen. Und direkt wurde mir wieder bewusst, dass Bielefeld genau die richtige Entscheidung war. Entgegen aller Warnungen von meiner Familie ging ich in der Stadt nicht unter, ganz im Gegenteil. Ich wurde wahrgenommen. Meine Arbeitskollegen hörten mir zu, was ich sagte, und nahmen es ernst. Mir war schon bewusst, dass es hier nur um ein Geburtstagsgeschenk ging, aber ich war unglaublich gerührt von der Geste. Manchmal glaubte ich, dass ich in dieser großen Stadt mehr wahrgenommen wurde als in meinem kleinen Dorf. Oder zumindest anders. Während Timo mir das Armband direkt aus der Hand nahm und es mir anlegte, fragte ich mich, wo sie es wohl gefunden hatten. Es sah nämlich nicht wirklich nach einem 0815-Modeschmuck-Stück aus.

„Toll“, klatschte Maren in die Hände. „Kompliment, Matthias. Da hattest du wohl den richtigen Riecher.“ Matthias nickte nur und lächelte. Ich stand auf und umarmte alle. Dann konnten wir endlich essen. Es war super-lecker und Timo unterhielt uns dabei noch mit einigen Details, dieses Mal zum Glück von seinem letzten Auftrag. Die Stimmung war ausgelassen und wir hatten alle sehr viel Spaß. Auch Matthias, der sich oft ganz vorbildlich zurückhielt, amüsierte sich prächtig.

Wir waren alle so satt, dass wir den Nachtisch ausließen und lieber einen Käsekuchen-Schnaps bestellten. Die ausgefallenen Schnapssorten waren auch ein Grund, warum ich das Mellow Gold so mochte. Es folgten noch ein paar mehr Desserts, bis die Kellnerin uns mitteilte, dass sie bald schließen würde. Da war es halb 1 Uhr. Ich zahlte und wir machten uns auf den Nachhauseweg. Wieder einmal war ich froh, mitten in der Stadt zu wohnen. Die Unabhängigkeit, die damit einherging, gab mir ein Gefühl von Freiheit, das ich aus meinem Dorf nicht kannte. Auch dieses Gefühl war es, warum ich mein „neues Leben“ so genoss.

Zu Hause bestaunte ich noch einmal mein schönes Geschenk. Als ich es ablegte und zurück in die Schachtel legen wollte, sah ich, dass da noch ein kleiner Zettel drin lag. Ich faltete ihn auseinander und hielt die Luft an, als ich las:

„Der Pyrop gibt Energie, Mut und Willenskraft und stärkt so das Selbstvertrauen.“

Glaub an dich, Felicitas!

Matthias

Ich las den kleinen Zettel bestimmt zehn Mal. Matthias?! Was hatte das zu bedeuten? Also ich wusste schon, dass er immer die Geschenke besorgte, die wir vorher im Team besprachen. Aber setzte er auch immer so eine persönliche Nachricht dazu? Was hatte das zu bedeuten?

Meine Müdigkeit war wie verflogen. Ich hatte keine Ahnung, was ein Pyrop war, aber es hörte sich so an, als wäre es kein Modeschmuck. Meine Google-Suche ergab, dass der Pyrop zu den Granaten gehörte, was mich auch nicht wirklich weiterbrachte. Ich betrachtete das Armband und wurde unruhig. Ich hoffte inständig, dass es wirklich nur ein ganz normales Geschenk von Kollegen war. Erst jetzt sah ich den kleinen Stempel neben dem Verschluss. 585 stand darauf. Langsam wurde ich wirklich nervös. Meine weitere Online-Recherche ergab, dass vergleichbare Armbänder um die 500 Euro lagen. Da hatte der Normalbetrag von 20 Euro pro Kopf aber bei Weitem nicht gereicht, den wir standardmäßig einsammelten. Wieder fragte ich mich, was das wohl zu bedeuten hatte.

Offensichtlich hatte Matthias den Betrag aufgestockt. Machte er das immer so? Wussten das die anderen? Warum machte er das? Und vor allem: Was sollte ich davon halten? Ich war verwirrt und aufgewühlt und machte mir wahrscheinlich schon wieder viel zu viele Gedanken wegen einer einfachen, nett gemeinten Geste. Zumal 500 Euro für Matthias wohl genauso viel Wert hatten wie 10 Euro für mich. Trotzdem war ich verwirrt.

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