Mansfield Park

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Mansfield Park
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Читает Benedict Cumberbatch, Cast Full, David Tennant
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2. Kapitel

Das kleine Mädchen legte die lange Reise glücklich zurück und wurde in Northampton von Mrs. Norris in Empfang genommen, die sich auf diese Weise den Ruhm errang, sie als Allererste willkommen zu heißen, um sie dann, im Bewußtsein der eigenen Wichtigkeit schwelgend, den anderen zuzuführen und ihrem Wohlwollen zu empfehlen.

Fanny Price war damals gerade zehn Jahre alt, und obwohl sie auf den ersten Blick nichts besonders Gewinnendes an sich hatte, lag doch in ihrem Persönchen nichts, was ihre Verwandten abstoßen konnte. Sie war klein für ihr Alter und weder durch strahlende Farben noch durch sonst eine auffallende Schönheit ausgezeichnet. Überaus schüchtern und ängstlich, schien sie sich geradezu in sich selbst zu verkriechen, doch ihr Benehmen war, wenn auch linkisch, so doch nicht vulgär, sie hatte ein süßes Stimmchen, und wenn sie sprach, wirkte sie beinahe hübsch. Sir Thomas und Lady Bertram nahmen sie sehr gütig auf. Sir Thomas, der bemerkte, wie dringend sie der Ermutigung bedurfte, tat sein möglichstes, um sie aufzumuntern, doch sein strenges, gewichtiges Wesen war ihm dabei sehr hinderlich. Lady Bertram, die sich nicht halb soviel Mühe gab und auf zehn seiner Worte höchstens eines äußerte, schien dem kleinen Mädchen dank ihrem gutmütigen Lächeln von vornherein die weniger schreckeinflößende Gestalt zu sein.

Die jungen Leute waren alle zu Hause und beteiligten sich sehr nett, mit viel Gutherzigkeit und Unbefangenheit an der Begrüßung, zumindest die beiden Söhne, die mit ihren sechzehn und siebzehn Jahren in den Augen der kleinen Cousine die ganze Erhabenheit erwachsener Männer besaßen. Verlegener wirkten die beiden Mädchen; als die Jüngeren empfanden sie mehr Scheu vor dem Vater, der sie bei diesem Anlaß recht ungeschickterweise durch längere Ansprachen auszeichnete, doch sie waren viel zu sehr an Gesellschaft und Bewunderung gewöhnt, um so etwas wie natürliche Schüchternheit zu besitzen. Der völlige Mangel an Selbstvertrauen ihrer kleinen Cousine erhöhte ihre eigene Zuversicht, so daß sie bald imstande waren, ihr Gesicht und ihr Kleid mit überlegener Gleichgültigkeit zu mustern.

Sie waren eine schöne Familie: die Söhne groß und gutaussehend, die Töchter ausgesprochen hübsch, alle prächtig gewachsen und für ihr Alter sehr gut entwickelt, so daß die jungen Verwandten sich in ihrem Äußeren nicht weniger auffällig unterschieden als in der gesellschaftlichen Gewandtheit, die sie ihrer Erziehung verdankten. Niemand hätte geglaubt, daß zwischen den Mädchen ein so geringer Altersunterschied bestand. Zwischen der Jüngeren und Fanny lagen nicht mehr als zwei Jahre. Julia Bertram war erst zwölf Jahre alt, Maria ein Jahr älter. Und über all dem fühlte sich der kleine Gast so unglücklich wie nur möglich. Angstvoll und in quälender Verlegenheit, voller Sehnsucht nach dem Elternhaus, das sie gerade erst verlassen hatte, wagte sie nicht, den Blick aufzuheben, und vermochte kaum ein hörbares Wort herauszubringen, ohne daß ihr die Tränen kamen. Mrs. Norris hatte auf der ganzen Fahrt von Northampton auf sie eingeredet, welch ein erstaunliches Glück ihr widerfahren sei und daß sie an Dankbarkeit und Artigkeit niemals genug tun könne, um sich dieser märchenhaften Fügung würdig zu zeigen. Ihr Kummer wurde noch durch das Bewußtsein gesteigert, daß es schlecht und verwerflich von ihr sei, sich nicht glücklich zu fühlen. Auch die Müdigkeit nach der langen, langen Reise war kein geringes Übel. Vergeblich war Sir Thomas’ gutgemeinte Herablassung, vergeblich die aufdringlichen Versicherungen von Mrs. Norris, daß sie doch bestimmt ein artiges Mädchen sein würde; umsonst lächelte Lady Bertram ihr zu und ließ sie sogar neben sich und Mops auf dem Sofa sitzen; ja selbst der Anblick einer Stachelbeertorte vermochte ihr keinen Trost zu bringen. Sie konnte kaum zwei Bissen hinunterwürgen, ehe die Tränen sie wieder überwältigten, und so wurde sie schließlich zu Bett geschickt, um im Schlaf ihren Kummer zu vergessen.

«Nun, das ist kein vielversprechender Anfang», bemerkte Mrs. Norris, sobald Fanny das Zimmer verlassen hatte. «Nach allem, was ich ihr unterwegs gesagt habe, hätte ich ein besseres Benehmen erwartet. Ich habe ihr erklärt, wieviel für sie davon abhängt, daß sie sich von Anfang an gut aufführt. Wir wollen nur hoffen, daß sie nicht bockig ist – ihre arme Mutter hatte einen sehr bockigen Charakter, aber mit einem Kind muß man nachsichtig sein – und ich weiß nicht, ob es tatsächlich gegen sie spricht, daß sie ungern ihr Elternhaus verläßt; mit all seinen Fehlern war es doch ihr Heim, und sie versteht noch nicht, was für einen guten Tausch sie gemacht hat. Immerhin darf man nichts übertreiben.»

Es dauerte jedoch länger, als Mrs. Norris zu gestatten geneigt war, bis Fanny sich mit der Neuheit von Mansfield Park und der Trennung von allen, an denen sie hing, abfand. Ihr Schmerz war tief, und da niemand ihn verstand, geschah auch nichts, um ihn zu lindern. Niemand meinte es böse mit ihr, doch es rührte auch niemand einen Finger, um es ihr behaglicher zu machen.

Der schulfreie Tag, der den Fräulein Bertrams eigens bewilligt wurde, damit sie sich in Muße mit ihrer Cousine bekannt machten, förderte die Freundschaft nur wenig. Nach der Entdeckung, daß Fanny nur zwei Schärpen besaß und niemals Französisch gelernt hatte, konnten sie nicht umhin, sie zu verachten; und als sie merkten, daß sie von dem Duett, das sie ihr liebenswürdigerweise vorspielten, sehr wenig beeindruckt war, blieb ihnen nichts übrig, als ihr großmütig ein paar unbeliebte Spielsachen zu schenken und sie sich selber zu überlassen, während sie ihrerseits sich der gerade im Schwange stehenden Lieblingsbeschäftigung zuwandten: künstliche Blumen verfertigen oder Goldpapier verwüsten.

Ob in der Nähe ihrer Cousinen oder fern von ihnen, ob im Schulzimmer, im Salon, im Garten – Fanny fühlte sich überall verlassen und verloren. Jeder Ort und jede Person flößten ihr Angst ein. Sie war entmutigt durch Lady Bertrams Schweigsamkeit, verängstigt durch Sir Thomas’ strenge Miene und ganz überwältigt von Mrs. Norris’ ständigen Ermahnungen. Die Cousinen demütigten sie durch Bemerkungen über ihre Kleinheit und verspotteten ihre Schüchternheit. Miss Lee staunte über ihre Unwissenheit, und die Stubenmädchen kicherten beim Anblick ihrer Kleider. Und wenn sich zu diesen Kränkungen die Erinnerung an ihre Geschwister gesellte, unter denen sie als Spielgefährtin, Lehrerin und Wärterin immer eine so wichtige Rolle gespielt hatte, wollte ihr das Herz verzagen.

Die Großartigkeit des Hauses beeindruckte sie, brachte ihr aber keinen Trost. Die Räume waren so groß und so hoch, daß sie sich nicht unbefangen darin bewegen konnte. Was sie berührte, fürchtete sie zu beschädigen. So schlich sie in ständiger Angst umher und verkroch sich oft in ihr eigenes Kämmerchen, um nach Herzenslust zu weinen. Das kleine Mädchen, über dessen unerhörtes Glück man sich abends, wenn es gute Nacht gesagt hatte, im Salon unterhielt, beschloß jeden kummervollen Tag damit, daß es sich in den Schlaf schluchzte. Auf diese Weise verging eine Woche, und ihr stilles, passives Wesen ließ nichts von ihrem Jammer ahnen, bis eines Morgens ihr Vetter Edmund, der jüngere der beiden Söhne, sie weinend auf der Treppe zum Dachboden kauern sah.

«Mein liebes, kleines Cousinchen», sagte er mit der ganzen Freundlichkeit eines vortrefflichen Charakters, «was ist denn passiert?» Er setzte sich zu ihr und gab sich alle Mühe, ihre Beschämung, in dieser Lage überrascht zu werden, zu überwinden und sie zum Sprechen zu bringen. War sie krank? Hatte jemand sie gescholten? Oder hatte es mit Maria und Julia Streit gegeben? Vielleicht verstand sie ihre Aufgabe nicht, und er könnte es ihr erklären? Gab es nichts, was er ihr bringen oder für sie tun könnte? Lange Zeit brachte er nichts anderes aus ihr heraus als abgerissene Worte: «Nein, nein – wirklich nicht –, danke, nein …» Doch er ließ nicht locker, und kaum hatte er begonnen, von ihrem Elternhaus zu sprechen, als ihr heftiger werdendes Schluchzen ihm den Grund ihres Kummers verriet. Er versuchte, sie zu trösten.

«Du bist traurig, weil du deine Mama verlassen mußtest, meine liebe, kleine Fanny», sagte er. «Das zeigt, daß du ein sehr liebes, gutes Mädchen bist. Aber denke daran, du bist hier bei deinen nächsten Verwandten, die dich liebhaben und glücklich machen möchten. Komm, gehen wir ein bißchen im Park spazieren. Du mußt mir von deinen Geschwistern erzählen.» Als er die Sache weiterverfolgte, entdeckte er, daß unter allen Geschwistern, an denen ihr kleines Herz hing, einer war, bei dem ihre Gedanken öfter als bei den übrigen weilten. Es war William, von dem sie immer wieder sprach und nach dem sie sich am meisten sehnte, William, der Älteste, ein Jahr älter als sie, ihr ständiger Gefährte und bester Freund, in jeder Not ihr Fürsprecher bei der Mutter (deren Liebling er war). William hätte nicht leiden wollen, daß sie wegginge – er hatte gesagt, es würde ihm bange nach ihr sein …

«Aber William wird dir doch sicher schreiben?» – Ja, das hätte er versprochen, aber gesagt, sie müsse zuerst schreiben. – «Und wann schreibst du ihm?» Sie ließ den Kopf hängen und antwortete zögernd, sie wisse nicht – sie habe kein Papier …

«Wenn das die ganze Schwierigkeit ist, werde ich dir Papier geben und alles, was du sonst brauchst, und du kannst schreiben, wann du Lust hast. Würde es dir Freude machen, ihm einen Brief zu schicken?»

«O ja – sehr!»

«Dann tun wir es gleich. Komm, gehen wir ins Frühstückszimmer, dort finden wir alles Nötige und bleiben ganz ungestört.»

«Aber – wird der Brief auch zur Post kommen?» «Verlaß dich auf mich. Er wird mit allen anderen Briefen zusammen abgeschickt werden, und William braucht nichts dafür zu bezahlen, weil dein Onkel ihn frankieren wird.»

 

«Der Onkel!» wiederholte Fanny erschrocken. «Ja, wenn du den Brief geschrieben hast, werde ich ihn meinem Vater bringen, damit er ihn frankiert.» Fanny hielt das für ein kühnes Unterfangen, leistete aber

keinen weiteren Widerstand, und gemeinsam gingen sie ins Frühstückszimmer, wo Edmund ihr einen Bogen zurechtmachte und linierte – mit nicht geringerer Hilfsbereitschaft, als ihr eigener Bruder hätte zeigen können, und sehr wahrscheinlich mit größerer Präzision. Während sie schrieb, saß er die ganze Zeit neben ihr und kam ihr, je nach Bedarf, bald mit seinem Federmesser, bald mit seiner Orthographie zu Hilfe. Doch außer diesen Aufmerksamkeiten, die sie tief empfand, erwies er ihrem Bruder eine Freundlichkeit, die sie mehr als alles andere hinriß: er fügte mit eigener Hand Grüße an seinen Vetter William hinzu und sandte ihm beigeschlossen eine halbe Guinee. Fanny war von ihren Gefühlen so überwältigt, daß sie es für ausgeschlossen hielt, ihnen Ausdruck zu verleihen; doch ihre glückstrahlende Miene und ein paar naive Worte genügten, um ihre ganze Dankbarkeit und Freude zu offenbaren, und ihr Vetter begann sie interessant zu finden. Er plauderte weiter mit ihr, und alles, was sie sagte, überzeugte ihn von ihrem zärtlichen Gemüt und ihrem ernsthaften Streben, recht zu tun; ihre große Schüchternheit und ein sehr feines Empfinden für ihre Stellung empfahlen sie noch mehr seiner Aufmerksamkeit. Er hatte sie niemals wissentlich gekränkt, doch jetzt sah er, daß man ihr mit zu wenig tätiger Freundlichkeit entgegengekommen war. Er bemühte sich vor allem, ihre Angst vor sämtlichen Hausbewohnern zu zerstreuen, und gab ihr eine Menge gute Ratschläge, wie sie mit Maria und Julia spielen und fröhlich sein sollte.

Von diesem Tag an begann Fanny sich wohler zu fühlen. Sie wußte jetzt, daß sie einen Freund besaß, und die Freundlichkeit ihres großen Vetters verlieh ihr den anderen gegenüber mehr Mut. Das Haus schien ihr nicht mehr so fremd und seine Bewohner weniger furchterregend; wenn es unter ihnen auch welche gab, die ihr immer Angst einflößen würden, begann sie doch wenigstens, sich an ihre Art zu gewöhnen und sich damit abzufinden. Die kleinen Ungeschicklichkeiten und Tölpeleien, die anfangs auf alle Hausbewohner und nicht zuletzt auf sie selber so peinlich gewirkt hatten, verschwanden von selbst. Sie zitterte nicht mehr vor Angst, wenn sie vor ihrem Onkel erscheinen mußte, und Tante Norris’ Stimme ließ sie nicht mehr ganz so heftig aufschrecken. Ihren Cousinen wurde sie mit der Zeit eine ganz annehmbare Spielgefährtin. Wenn sie auch an Alter und Kräften nicht an sie heranreichte und daher unwürdig war, bei allem mitzutun, gab es doch Spiele, bei denen man gut eine Dritte brauchen konnte, besonders wenn diese Dritte von nachgiebigem, gefälligem Wesen war, so daß die Mädchen, wenn Tante Norris sich nach Fannys Sünden erkundigte oder Bruder Edmund für Fannys Rechte eintrat, großmütig erklären konnten, daß Fanny «ein ganz gutes Ding» sei.

Edmund selbst war unveränderlich lieb und gut zu ihr, und von Tom hatte sie nichts Schlimmeres zu erdulden als die Scherze, die jeder junge Mann von siebzehn Jahren einem zehnjährigen Mädelchen gegenüber für angebracht hält. Er trat gerade in die Welt ein und befand sich in der zuversichtlichen Hochstimmung und der großmütigen Laune eines ältesten Sohnes, der einzig zum Zweck des Amüsierens und Geldausgebens geboren zu sein meint. Die Aufmerksamkeiten, mit denen er seine kleine Cousine beehrte, entsprachen ganz seiner privilegierten Stellung: er machte ihr hübsche Geschenke und lachte sie aus.

Je mehr sich Fannys Aussehen und Benehmen besserten, mit desto größerer Befriedigung betrachteten Sir Thomas und Mrs. Norris ihr gutes Werk. Sie waren sich einig, daß sie zwar nichts weniger als gescheit, aber ein lenksames, kleines Geschöpf wäre, das ihnen keinen wesentlichen Ärger verursachen würde. Diese geringe Meinung von Fannys Fähigkeiten wurde auch von anderen geteilt. Fanny konnte lesen, schreiben und handarbeiten, aber mehr hatte man ihr nicht beigebracht. Ihre Cousinen hielten sie für unerhört dumm, weil sie von vielen Dingen, die ihnen längst vertraut waren, keine Ahnung hatte, und in den nächsten Wochen brachten sie ständig neue Berichte über Fannys Unwissenheit in den Salon. «Mama, denken Sie nur, sie kann die Landkarte von Europa nicht zusammenstellen – sie kennt nicht einmal die wichtigsten Flüsse Rußlands – sie hat nie etwas von Kleinasien gehört – sie weiß den Unterschied zwischen Aquarell und Pastell nicht! – Wie komisch! – Haben Sie je so etwas gehört?»

«Liebe Kinder», sprach dann wohl die feinfühlige Tante, «das ist wirklich arg, aber ihr könnt auch nicht erwarten, daß jeder so begabt ist und soviel gelernt hat wie ihr selber.»

«Aber, Tante, sie weiß rein gar nichts! Denken Sie nur, gestern abend haben wir sie gefragt, wie sie von hier nach Irland fahren würde, und sie hat gesagt, über die Insel Wight! Sie kennt nichts als die Insel Wight und nennt sie einfach ‹die Insel›, als ob es sonst auf der Welt keine Insel gäbe. Ich hätte mich geschämt, so dumm zu sein, als ich noch viel jünger war als sie. Ich kann mich überhaupt an keine Zeit erinnern, wo ich nicht schon eine Menge Dinge wußte, von denen sie keine Ahnung hat. Denken Sie nur, wie lang es her ist, daß wir die Könige von England in der richtigen Reihenfolge aufsagen gelernt haben, mit dem Datum der Thronbesteigung und den wichtigsten Ereignissen ihrer Regierung!»

«Ja», fiel die andere ein, «und die römischen Kaiser bis zu Severus hinunter und dazu noch die ganze heidnische Mythologie und alle Metalle, Halbmetalle, Planeten und berühmten Philosophen!»

«Das stimmt, mein Herzchen, aber ihr seid mit einem wunderbaren Gedächtnis begnadet, und eure arme Cousine hat wahrscheinlich überhaupt keines. Wie in allen anderen Dingen gibt es auch bei dem Gedächtnis der einzelnen Menschen große Unterschiede, und darum müßt ihr Mitleid mit euerer Cousine haben und sie nachsichtig behandeln. Vergeßt nicht, gerade weil ihr so gescheit und begabt seid, müßt ihr Bescheidenheit üben, denn soviel ihr auch schon wißt, habt ihr doch noch viel zu lernen.»

«Ja, ich weiß, bis wir siebzehn Jahre alt sind. Aber ich muß Ihnen noch etwas von Fanny erzählen, es ist zu komisch. Denken Sie nur, sie sagt, sie möchte weder Musik noch Zeichnen lernen!»

«Das ist wirklich sehr dumm von ihr und beweist einen großen Mangel an Ehrgeiz und Talent, mein Herzchen. Aber ich weiß nicht, ob es nicht im Grunde besser so ist, denn ihr wißt ja (ich selbst habe es euch gesagt), wenn eure guten Eltern auch so edel sind, sie mit euch zusammen zu erziehen, so ist es doch durchaus nicht nötig, daß sie so gebildet wird wie ihr. Im Gegenteil, es ist viel wünschenswerter, daß ein Unterschied bestehenbleibt.»

Das waren die Ratschläge, die Mrs. Norris zur Erziehung ihrer Nichten beisteuerte, und es ist nicht verwunderlich, daß es ihnen bei all ihren vielversprechenden Talenten und Kenntnissen doch völlig an einigen weniger verbreiteten Fertigkeiten mangelte, wie etwa Selbsterkenntnis, Großmut und Bescheidenheit. Alles an ihnen wurde vortrefflich ausgebildet – bis auf das Gemüt. Sir Thomas wußte nichts von diesem Mangel, denn obwohl er ein wahrhaft treubesorgter Vater war, verstand er es nicht, seine Zärtlichkeit zu zeigen, und seine zurückhaltende Art dämpfte jeden Gefühlserguß.

Lady Bertram kümmerte sich überhaupt nicht um die Erziehung ihrer Töchter. Dazu hatte sie keine Zeit. Sie verbrachte den Tag hübsch angezogen auf ihrem Sofa über einer endlosen Handarbeit, die weder nützlich noch schön war, und interessierte sich mehr für Mops als für ihre Kinder, zeigte sich aber diesen gegenüber sehr duldsam, solange sie nicht ihre Bequemlichkeit störten. In allen wichtigen Angelegenheiten ließ sie sich von Sir Thomas, in den minder bedeutenden Fragen des Alltags von ihrer Schwester leiten. Auch wenn sie mehr Zeit gefunden hätte, sich ihren Töchtern zu widmen, wäre ihr dies überflüssig erschienen. Sie waren der Obhut einer Gouvernante und den richtigen Lehrern anvertraut, und mehr brauchten sie ja nicht. Was Fannys vermeintliche Dummheit beim Unterricht betraf, konnte Lady Bertram nur sagen, das sei schade, aber manche Menschen wären eben dumm, und Fanny müsse sich mehr Mühe geben; sie wüßte nicht, was man sonst tun könnte; und abgesehen von ihrer Dummheit könne sie dem armen, kleinen Ding nichts vorwerfen – im Gegenteil, sie fände sie sogar sehr flink und anstellig, wenn sie ihr etwas auszurichten oder zu holen auftrüge.

So lebte sich Fanny mit allen ihren Fehlern, als da sind Unwissenheit und Schüchternheit, in Mansfield Park ein, lernte ein gut Teil ihrer Anhänglichkeit an das Elternhaus auf ihr neues Heim zu übertragen und wuchs nicht gerade unglücklich neben ihren Cousinen auf. Maria und Julia waren nicht bösartig, und wenn sie Fanny auch oft überheblich behandelten, so dachte diese doch zu gering von sich, um sich beleidigt zu fühlen.

Etwa um die Zeit, als Fanny in die Familie eintrat, fühlte sich Lady Bertram durch leichte Kränklichkeit und große Trägheit bewogen, das Haus in London aufzugeben, wo sie bisher jedes Jahr einige Frühlingsmonate verbracht hatten. Sie blieb nun ständig auf dem Land und überließ es Sir Thomas, seine Pflichten im Parlament zu erfüllen, ohne sich viel den Kopf zu zerbrechen, ob ihre Abwesenheit zu seinem Behagen beitrug oder es schmälerte. Auf dem Lande fuhren die jungen Damen also fort, ihr Gedächtnis und ihre Duette zu üben und dabei unversehens zu großen, stattlichen Mädchen heranzuwachsen. Ihr Vater sah mit Befriedigung, daß ihr Aussehen, ihr Benehmen und ihre Bildung durchaus seine Erwartungen erfüllten. Sein ältester Sohn war leichtsinnig und verschwenderisch und hatte ihm schon viele Sorgen gemacht, doch von seinen anderen Kindern durfte er sich das Allerbeste versprechen. Solange seine Töchter den Namen Bertram trugen, würden sie ihm neuen Glanz verleihen, und wenn sie ihn einmal ablegten, durfte er hoffen, daß sie standesgemäße Verbindungen eingingen. Edmunds Charakter, sein ausgezeichneter Verstand und sein aufrechter Sinn sprachen dafür, daß er ein nützliches, geachtetes und glückliches Dasein führen würde. Er war zum Geistlichen bestimmt.

Über allen Sorgen und Freuden, die ihm seine eigenen Sprößlinge bereiteten, vergaß Sir Thomas die Kinder seiner armen Schwägerin nicht. Er unterstützte sie großzügig bei der Erziehung und Versorgung ihrer Söhne, sobald diese alt genug waren, einen Beruf zu wählen. Obwohl Fanny von ihrer eigenen Familie fast völlig abgeschnitten war, empfand sie jedesmal tiefste Befriedigung, wenn sie von der Güte ihres Onkels gegenüber ihren Brüdern oder von einer günstigen Wendung in deren Leben hörte. Ein Mal, ein einziges Mal in all den Jahren, ward ihr das Glück zuteil, mit William zusammenzukommen. Die übrigen bekam sie nie zu Gesicht; niemandem schien es in den Sinn zu kommen, daß sie einmal die Ihrigen besuchen könnte, und daheim schien niemand nach ihr zu verlangen. Doch William, der sich bald nach ihrer Übersiedlung entschlossen hatte, zur See zu gehen, wurde eingeladen, eine Woche bei seiner Schwester zu verbringen, ehe er seinen Dienst antrat. Man kann sich die Zärtlichkeit des Wiedersehens, die Seligkeit des Beisammenseins, die Stunden übermütiger Fröhlichkeit und die Augenblicke ernsthafter Beratung, die es mit sich brachte, lebhaft ausmalen – die zuversichtliche Zukunftsfreude und strahlende Laune des Bruders bis zum letzten Augenblick und den Schmerz der Schwester, als er endgültig gegangen war. Zum Glück fiel der Besuch in die Weihnachtsferien, so daß sie sich wenigstens bei ihrem Vetter Edmund Trost holen konnte; und er erzählte ihr so bezaubernd von Williams künftigen Taten und Ehren, daß sie nach und nach einzusehen begann, daß die Trennung auch ihre guten Seiten haben könnte. Edmunds Freundschaft versagte nie. Auch als er Eton verließ, um nach Oxford zu gehen, änderte sich nichts an seiner Zuneigung, und er fand eher noch häufiger Gelegenheit, sie zu beweisen. Ohne je zu betonen, daß er mehr für sie tat als die übrigen Familienmitglieder, oder zu befürchten, daß er zuviel tun könnte, trat er stets treulich und mit großer Feinfühligkeit für Fanny ein. Er bemühte sich, die anderen von ihren wertvollen Eigenschaften zu überzeugen und gleichzeitig Fannys Schüchternheit zu überwinden, die das Zutagetreten dieser guten Eigenschaften erschwerte. Ihm verdankte sie Rat, Trost und Ermutigung.

Da sie von allen anderen zurückgesetzt wurde, reichte seine Unterstützung allein nicht aus, sie in die erste Reihe zu stellen, doch ansonsten waren seine Bemühungen von unschätzbarem Wert für die Ausbildung ihres Geistes. Er wußte, daß sie klug war und eine rasche Auffassung sowie Vernunft und Feingefühl besaß. Allein ihre Leseleidenschaft mußte, unter der richtigen Leitung, zu wahrer Bildung führen. Miss Lee lehrte sie Französisch und hörte ihr die tägliche Geschichtslektion ab, doch Edmund wies sie auf die Bücher hin, die ihre Mußestunden verzauberten; er bestärkte sie in ihrem Geschmack und gab ihr ein sicheres Urteil. Erst durch ihn wurde das Lesen zur nützlichen Beschäftigung, weil er mit ihr über das Gelesene sprach und die Schönheiten eines Buches ins rechte Licht setzte. Zum Dank dafür liebte sie ihn mehr als jeden anderen Menschen auf Erden, William ausgenommen. Ihr Herz war zwischen beiden geteilt.

 
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