Hüter der Schöpfung

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Es gibt ein Buch von Anthony Borgia, von dem ich erst im Sommer 2012 erfahren habe. In „Das Leben in der unsichtbaren Welt“ beschreibt der Sohn des Erzbischofs von Canterbury durch ein Medium das Leben nach dem Tod. Borgia war selbst katholischer Pfarrer und wollte mit Fehlinformationen aufräumen. Er berichtet, dass das Leben nach dem Tod ein durchaus echtes Leben sei und dass sich die Welt im Himmel einzig danach gestalte, wie sehr man auf Erden anderen Menschen geholfen habe. Insgesamt scheint der Mensch, nach seinen Übermittlungen, in eine Welt zu kommen, die der Art seiner Gedanken zu Lebzeiten entspricht. Es zähle jedoch nur das Gebende, das wirklich von Herzen komme, was man in Wirklichkeit denke. Egoisten würden die Rechnung insofern erhalten, als dass sie mit anderen Egoisten zusammen im Jenseits leben müssten und sich diese dort gegenseitig ärgern und schaden würden.

In seinem Buch schildert Borgia auch, dass Geistwesen zu feierlichen oder zeremoniellen Anlässen eher die Chance haben, Kontakt mit der irdischen Welt aufzunehmen. Denn das seien bekannte Zeitpunkte, bei denen man wisse, dass „die anderen“ wahrscheinlich anwesend sein würden. Es herrsche dann ein höheres Energieniveau, weil mehr Menschen gleichzeitig beten oder meditieren bzw. an dieselbe Sache denken.

MEINE REISEN ZU DEN LAKOTA

1988 – MEIN ERSTER SONNENTANZ

Im Sommer 1988, kurz nachdem ich Archie Lame Deer in Österreich kennengelernt hatte, flog ich mit meiner Schwester nach Los Angeles und fuhr dann zu Archie nach Santa Barbara. Mit mehreren Autos, seinen drei Kindern, seiner Frau und einigen Lakota sowie meiner Schwester fuhren wir quer durch Kalifornien, Arizona, Utah, Colorado und Wyoming nach Süd-Dakota.

In Arizona nahm mich Archie mit zum Sonnentanz bei den Navajo. Archie und Crow Dog hielten für diese einen Lakota-Sonnentanz ab. Dort stellte er mich Brad vor, der mir das „Handwerk“ des Feuermanns für Sonnentänze beibringen sollte. Danach fuhr ich in einem alten VW Käfer, den ich einem der Tänzer für 500 Dollar abgekauft hatte, über Wyoming und Nevada zurück nach Kalifornien. Die ersten Tage war noch ein Freund dabei, der die Rückkehr von Crazy Horse, also den „Mann in Schwarz“, ebenfalls gesehen hatte. Die ganze Tour war ein einziges Abenteuer: Wir schliefen im alten VW Käfer am Hafen von San Francisco, in San Remo ohne Zelt auf dem Rasen und manchmal neben dem Highway. Wir waren in den Redwoods bei ausgewanderten Deutschen, wir trieben uns in der Musikszene von San Francisco herum, und ich lernte Jan Sacek kennen, einen der Erfinder der Computertomografie. Wir saßen mit IT-Ingenieuren von der Stanford University im Silicon Valley, wo sie beim Programmieren die ganze Zeit Wasser-Bong-Pfeifen rauchten. Mit Archie waren wir im Death Valley, im Monument Valley und am Grand Canyon.

1997 – DAS ERSTE TREFFEN MITARVOL LOOKING HORSE

Neun Jahre danach, im Spätsommer 1997, reiste ich allein über Amsterdam nach Minneapolis und weiter nach Rapid City. Ich hatte Ärger mit Archie und wollte wissen, was los ist. Und mich trieb der „Mann in Schwarz“ um, den ich 1988 so deutlich gesehen hatte. Ich besuchte Stanley Looking Horse, den Vater von Arvol – er verwies mich an seinen Sohn. Bei dieser Reise fuhr ich durchs Reservat und besuchte in Nebraska Fort Robinson, den Ort, an dem Crazy Horse ermordet worden war. Ich wollte direkt an der Stelle der Ermordung von Crazy Horse für ihn bitten und hoffte, er würde sehen, dass sein Lebenswerk unvergessen ist. Erst danach las ich von der alten Prophezeiung eines Medizinmanns, dass Crazy Horse als „schwarzer Mann“ zurückkehren werde.

2001 – RUNDREISE DURCHS LAKOTA-LAND

Im Jahr 2001 lud ich meine spätere Frau Veronique ein und bereiste mit ihr zusammen das Land, wie ich es mir immer gewünscht hatte, ganz „normal“ als Tourist. Das erste Mal sah ich das Crazy Horse Monument – und war sprachlos. Wir waren zusammen bei Arvol Looking Horse, dann wieder in Fort Robinson und im Beaver Valley, wo Crazy Horse begraben sein soll. Und wir waren beim Sonnentanz in Crow Dog’s Paradise. Veronique hatte ich 1997 beim Pipeholder Meeting das erste Mal gesehen und war hingerissen von ihr. Ich kontaktierte sie per Telefon, wir begannen zu schreiben, und ich wusste: Sie ist meine Traumfrau. Aber erst 2001 kam sie schließlich mit in die USA. Dort „funkte“ es, wir wurden ein Paar und heirateten 2003. Heute haben wir zwei gemeinsame Kinder.

In diesem Jahr habe ich erneut Arvol Looking Horse, den Hüter der Weißen Büffelkalbpfeife, getroffen.

2006 – WIEDERSEHEN MIT ALTEN FREUNDEN

2006 war ich wieder mit Veronique und meinem damals dreijährigen Sohn in den USA. Schwerpunkt unserer Tour waren diesmal die Black Hills und die Badlands. Wir haben unsere alten Freunde im Coyote Blues Village in Hill City besucht und dort die meiste Zeit verbracht. Da das auch alte Freunde von Archie und der ganzen Lakotagruppe sind, haben wir dort andere alte Freunde getroffen und so alle Neuigkeiten erfahren.

DIE AUFGABE, DIE ICH ÜBERNOMMEN HABE

Als ich später einigen spirituellen Persönlichkeiten mein Erlebnis mit dem Geist von Crazy Horse berichtete, legten sie es so aus, dass Gott zu mir gesprochen habe. Die Auslegung des Erlebnisses liegt nach den Spielregeln der Lakota bei mir. Für mich persönlich gilt, dass mich ein Freund aus dem Himmel besucht hat. Crazy Horse hat über Zeit und Raum seine Freundschaft bewiesen, hat meine Arbeit als Pionier der Ökologie anerkannt und mir damit eine der großen Freuden meines Lebens bereitet (meine Kinder sind selbstverständlich die größte Freude in meinem Leben).

Dass ich von Archie Lame Deer als „communicator“ bestimmt wurde – damit konnte ich lange nichts anfangen. Ich wusste einfach zu wenig über die Kultur und den Glauben der Lakota, und ich wusste vor allem nicht, wie ich diese Aufgabe annehmen und ausfüllen sollte. Neun Jahre später wurde ich von Archie zwar als Heyoka initiiert, aber ich dachte nicht mehr daran, mit meinem „Auftrag“ an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich war der Meinung, mein berufliches Engagement, also die Marketingkommunikation in Sachen Ökologie, sei ausreichend.

DIE DISKREPANZ ZWISCHEN ANSPRUCH UND REALITÄT

Zur selben Zeit wurde mir jedoch auch bewusst, dass es in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht recht weiterging: Mein Bemühen, den Menschen ökologische Produkte nahe zu bringen, ja, sie zu einer Selbstverständlichkeit zu machen und so die Umwelt nicht nur zu schützen, sondern gemeinsam mit anderen für einen Umschwung im Denken zu sorgen, trug zwar Früchte. Doch es ging alles zu langsam voran, um wirklich effektiv Erfolge zu zeitigen. Die Bedrohungen unserer Welt durch den Klimawandel nahmen nicht ab. Im Gegenteil: Sie schienen größer zu werden. Alles schien darauf hinauszulaufen, dass wir Menschen das Problem nicht in den Griff bekommen würden. Selbst in Süd-Dakota war bei meinen Besuchen 1997 und 2001 das Flüsschen hinter der Hütte von Arvol Looking Horse in Folge des Goldabbaus in den Black Hills und wegen der Industrieabwässer in der Reservation noch so stark belastet, dass man nicht einmal hineinwaten durfte: Einige Kinder wurden schwer krank, weil sie darin gebadet hatten. Das Wasser war so verseucht, dass wichtige Pflanzen für die Heilungen mit natürlicher Medizin auszusterben drohten.

DIE LEGITIMATION DURCH DIE LAKOTA

Im selben Jahr, also 1997, beschäftigte ich mich das erste Mal ausführlich und intensiv mit Crazy Horse, recherchierte über sein Leben und seine Intentionen. Aus dem Buch von John Fire Lame Deer („Seeker of Visions“) lernte ich viel über die Spiritualität, die Weisheit und das Weltbild der Lakota. Das Thema begann mich mehr und mehr zu faszinieren, ich verstand nach und nach – wenn auch bei Weitem nicht alles –, was mir Archie, Arvol und die anderen weisen Männer der Lakota an Wissen vermitteln wollten. Es gehörte aber eben zu meinem Weg, im Hintergrund zu bleiben. Archie sagte mir einst, ich würde fünfundzwanzig Jahre brauchen – und die sind in diesem Jahr erreicht. Er wusste damals schon genau, was ich tun würde und müsste.

Vier Jahre später, also 2001, traf ich Arvol Looking Horse erneut. Der Hüter der Weißen Büffelkalbpfeife in der 19. Generation führte viele Gespräche mit mir. Und er sagte mir die Worte, die letztlich auch zu diesem Buch führten: „Go, tell them.“ Ihm verdanke ich meine „offizielle“ Legitimation (siehe rechts). Ich habe sie nicht für mich gebraucht, aber die Welt braucht so ein Stück Papier, um mich als einen Vertreter der Lakota zu akzeptieren. Meine Aufgabe, den Menschen zu berichten und ihnen etwas vom Lakota-Wissen nahezubringen, habe ich angenommen: in meiner Arbeit, bei der ich nach wie vor, wie seit gut 25 Jahren, ökologische und nachhaltige Produkte in Werbung und Marketing betreue. Und im Privaten genauso.

Arvol Looking Horse, Träger des Friedenspreises der Vereinten Nationen, beauftragte mich im Jahr 2001, das wertvolle Wissen der Indianer zu erklären. Damals gab er mir das Schreiben für ein WWF-Projekt. Ich übernahm die Legitimation für weitere Arbeiten und ließ das „Go“ für dieses Buch durch die Familie Lame Deer erneuern.

PRÄGENDE BEGEGNUNGEN MIT DEN LAKOTA

Ich hatte das große Glück, bei den Lakota weise und spirituelle Menschen kennenzulernen, manche ein Stück Wegs zu begleiten und von ihnen zu lernen.

ELMER „NORBERT“ RUNNING: VISIONEN MIT ZWEIERLEI GEISTWESEN

Im Jahr 1995, an einem Wochenende, bei dem ich eigentlich ein lockeres Camping mit indianischer Begleitung im Sinn hatte, traf ich den Medizinmann Elmer Running. Elmer war der Sundance Chief der Brulé Lakota, einer Untergruppe der Lakota, und damals weit über siebzig Jahre alt (er ist 2009 gestorben). Wegen seines hohen Alters war er schon sehr dünn und klein. Elmer war wirklich etwas Besonderes. Er erzählte uns, dass zwischen seiner Vision der Berufung zum Medizinmann und dem Tag, an dem er diesen Ruf wirklich annahm, siebzehn Jahre vergangen sind (also sind meine fünfundzwanzig Jahre gar nicht so ungewöhnlich). Er hatte die sehr seltene Vision, zwei Arten von Geistern anrufen zu können; nämlich die Heyoka-Geister, die mit Blitz und Donner verbunden sind, und die Iktome-Geister, die Spider spirits (Geister des Spinnenvolks). Er sagte, dass er nur zweimal in seinem ganzen Leben die Heyoka spirits gerufen habe, denn die würden keinen Fehler verzeihen. Wenn er nur die kleinste Abweichung am Aufbau des Altars habe oder den kleinsten anderen Fehler mache, würden die Heyoka spirits den ganzen Altar zerstören. Außerdem sei es Teil seiner Initiation gewesen, dass er erfahren habe: Wenn er seine Gabe missbrauche, für irgendetwas anderes gebrauche als für Gutes und für Heilungen, würden ihn die Geister in ewiger geistiger Verdammnis zurücklassen.

 

ELMER RUNNINGS ZEREMONIE

Für denselben Abend war eine Zeremonie angesetzt. Ich war nicht gerade glücklich darüber, denn ich leide mehr oder weniger an einer Spinnenphobie. Ich ging also vorher zu Elmer und sprach mit ihm über meine Angst vor Spinnen und dass ich sie eigentlich immer töte, wenn ich sie sehe. Elmer meinte: „You got to apologize to spiders.“ – „Du musst dich bei den Spinnen entschuldigen.“

Ein mittelgroßer Raum war völlig abgedunkelt worden, ganz und gar, bis zum letzten Lichtspalt. Etwa dreißig Personen nahmen an den Wänden entlang Platz. Zuvor hatte Elmer seinen Altar aufgebaut. Wie bei fast allen zeremoniellen Handlungen war vor dem Verdunkeln noch mit Salbei geräuchert worden. Dann begann Elmer seine Lieder zu singen. Plötzlich kamen kleine Lichtpunkte in den Raum geflogen, von allen Seiten. Sie knisterten teilweise, tanzten in der Luft, der eine oder andere flog durch das Dach. Jedenfalls betete ich ganz brav und bat die Spider spirits um Verzeihung. Letztendlich habe ich meine Angst vor Spinnen jetzt akzeptiert. Und hin und wieder helfen sie mir seitdem, indem sie mich warnen, wenn etwas Ungutes droht.

GEISTERERSCHEINUNG IM TV

Etwa ein Jahr später zappte ich eines Abends durchs TV-Programm und blieb bei einer dieser Wissenschaftssendungen hängen. Jemand hatte einen Geist filmen wollen – und was war auf dem Film zu sehen? Ein kleiner Lichtpunkt, der durch den Raum mal schwebte, mal flitzte, und ich erinnerte mich an die Zeremonie damals.

Bei dieser Zeremonie von Elmer Running baten wir unter anderem für einen jungen Mann um Heilung, der am Erblinden war. Als das Licht wieder anging, saß er an die Wand gelehnt. Nahe an dem Auge, in dem die Krankheit am schlimmsten war, lief eine für hiesige Breiten stattliche Spinne vorbei, aber das sah und wusste er nicht. Er sagte nur: „Da knistert etwas, etwas passiert in meinem Auge, ich sehe kleine Lichtblitze.“ Es passierte aber noch mehr. Eine Frau wollte sich für eine Heilung vor langer Zeit bedanken. Als das Licht wieder angegangen war, hatten die spirits die großen Fahnen vom Altar zu einem zweischichtigen, fünffach quer-, über- und untereinander gelegten Zopf geflochten und der Frau zugeworfen. Er war so akkurat und schön, dass man so etwas schon bei Licht kaum hinbekommen kann.

Bei dieser Zeremonie waren ganz verschiedene Leute anwesend, unter anderem auch ein Physiker, der eher zufällig jemanden begleitet hatte. Er wollte von Spiritualität vorher gar nichts wissen und war nach der Zeremonie fassungslos: Sein ganzes Weltbild war zusammengebrochen, und er stand da mit offenem Mund.

ARVOL LOOKING HORSE: HÜTER DER WEISSEN BÜFFELKALBPFEIFE

Arvol Looking Horse ist der derzeitig wohl bekannteste spirituelle Führer der Lakota. Er initiierte 1996 den World Peace and Prayer Day (WPPD), der mittlerweile in allen Teilen unserer Welt stets am 21. Juni stattfindet, 2013 in Santa Ynez in Kalifornien. Auch dafür erhielt er 2007 als spiritueller Führer der Lakota den Friedenspreis der Vereinten Nationen. Ich lernte Arvol 1997 später kennen, im selben Jahr, als ich zum Heyoka wurde. Arvol ist in 19. Generation der Hüter der Weißen Büffelkalbpfeife – er erhielt diese Aufgabe bereits im Alter von zwölf Jahren. Noch kurz vor der Jahrtausendwende war er der Überzeugung, dass die Katastrophe, auf die die Menschheit zusteuert, unausweichlich sei. Alle Prophezeiungen würden dies voraussagen, dieses Mal geschähe es durch Wind und Wasser. Arvol ist ein großer Mann – dennoch hoffe ich, dass er sich hier getäuscht hat.

ARVOLS WUNSCH: „GEH UND BERICHTE!“

Noch Mitte der 1990er-Jahre erklärte Arvol Looking Horse vor einer Versammlung des AIM (American Indian Movement): „White Man can‘t have visions.“ – „Der weiße Mann kann keine Visionen haben.“ Manch einer jubelte ihm zu. Ich habe das erst nach meinem Besuch bei ihm erfahren. Jedenfalls habe nicht nur ich, sondern haben auch ein paar wenige andere Weiße eine indianische Vision erlebt. Ich kann Arvol in seiner Sicht der Dinge verstehen, doch ich stimme nicht mit ihm überein: Indianer sind keine besseren Menschen; wir sind alle gleich gut und gleich schlecht. Gott schenkt auch Weißen Spiritualität.

Als ich vier Jahre danach wieder mit Arvol Looking Horse zusammentraf, erhielt ich von ihm das Legitimationsschreiben und den „Auftrag“: „Go, tell them!“ Wobei ich darauf hinweisen muss, dass solch eine Aufgabe (wie auch andere bei den Lakota) nicht angeordnet oder befohlen wird. Stets werden die Entscheidungsfreiheit und der Wille des Einzelnen beachtet und respektiert. „Go, tell them!“ – diese Worte aus Arvols Mund allerdings waren in meinem Leben ein weiterer Anstoß. Arvol ist bei den Lakota – als Hüter der von Gott durch die Weiße Büffelkalbfrau überbrachten Pfeife, dem höchsten bekannten Heiligtum der Lakota – so etwas wie der Papst für die katholische Kirche.

ARCHIE FIRE LAME DEER: LEHRER UND MEDIZINMANN

Die meisten unserer kleinen Gruppe, die in Europa den Weg der Lakota gehen, nennen Archie, unseren Lehrer, in Lakota-Tradition „Onkel“.

Archie Fire Lame Deer wurde etwa 1935 geboren und starb 2001. Sein Urgroßvater unterzeichnete zusammen mit Red Cloud und Spotted Tail 1868 die Verträge mit der amerikanischen Regierung in Fort Laramie.

Erst nach seinem vierzigsten Lebensjahr war Archie ein Heiler, anerkannt als Wicasa Wakan, als heiliger Mann und Medizinmann der letzten Stufe.

Von Archie Fire Lame Deer wurde ich in diverse Riten eingeweiht, vor allem in das Grundwissen der Lakota über den Kosmos und seine Wunder.

SPÄT BERUFENER BEWAHRER DER LAKOTA-TRADITIONEN

Sein Leben davor war mehr als abwechslungsreich: Er hatte den schwarzen Gürtel in Karate, bestritt drei Schwergewichts-Profi-Boxkämpfe, wurde 184-mal wegen Schlägereien und Trunkenheit verhaftet. Wie so viele Lakota war Archie oft im Gefängnis. Aber er war auch Soldat im Koreakrieg, Ausbilder der Green Berets und Fallschirmspringer. Als er in Deutschland in Baden-Baden stationiert war, teilte er sein Zimmer mit Elvis Presley, den er auch vom Film kannte. Nach dem Krieg arbeitete Archie als Chef-Stuntman in Hollywood, kannte viele Filmstars und war nicht nur Mitwirkender in vielen Wildwestfilmen, sondern später – als man sich eher auf die tatsächlichen historischen Ereignisse besann – Berater für die Filmindustrie. Gegen Ende der 1960er-Jahre beschloss er, sich und sein Leben für die indianische Kultur einzusetzen.

Den Ruf, Nachfolger seines Vaters John Fire Lame Deer zu werden, nahm er also erst sehr spät an. Zunächst begann er mit großem Erfolg mit der Therapie von Alkoholikern (Alkoholismus ist nach wie vor ein Hauptproblem in den indianischen Reservaten). Zusammen mit Leonhard Crow Dog baute er die Sonnentanzreligion wieder zu dem auf, was sie heute ist. Es war – da bin ich sicher – nicht leicht für ihn, die Nachfolge eines großen Medizinmanns anzunehmen: Sein Vater John war nämlich der Letzte einer der größten spirituellen Familien der Lakota und der ganzen Welt. Archie hat diese Linie mit Erfolg weitergeführt, und sein Sohn John hat 2001 wiederum seine Nachfolge angetreten.

VERRÄTER ODER VISIONÄR?

Es gab viele, die Archie kritisiert und beschimpft haben. Es gab Vorwürfe wie Plastic Medicine Man, also Betrüger, Vortäuscher. Man warf ihm vor, er würde indianische Geheimnisse verraten. Doch wir können dankbar für das sein, was er getan hat. Heute wissen sehr viele, dass er einer der größten Medizinmänner aller Zeiten war. Archies Einsatz für die Sache seines Volkes und die Selbstlosigkeit, mit der er Menschen heilte und das Lakota-Wissen weitergab, sind unumstritten.

Archie war der Freund nicht nur von Elvis Presley, Bob Dylan und Montgomery Clift. Er hatte auch Kontakt zu den großen spirituellen Führern unserer Zeit: Der Dalai Lama suchte ihn auf und seinen Rat, er hatte eine Audienz beim Papst. Auch der 16. Gyalwa Karmapa und der Maharishi Yogi schätzten seine Freundschaft. Archie sagt in seinem Buch, er habe viel von seinem Freund, dem Gyalwa Karmapa, gelernt. In unserer Gruppe von Weißen, die in Europa den Lakota-Weg gehen, sagte er einmal: „We all know each other from former times.“ – „Wir kennen uns alle aus früheren Zeiten.“

Archie hat mir auf meinen Weg alles mitgegeben, was ich brauchte. Heute, fast ein Vierteljahrhundert nach meinem ersten Treffen mit ihm, verneige ich mich vor Archie Fire Lame Deer und seiner spirituellen Kapazität. Er lebte letztendlich in der Linie einer vielleicht dreitausendjährigen Familientradition von Medizinmännern, die zugleich immer auch Häuptlinge des Zweiges der Mnikowoju der Lakota waren. Archies Vorfahren waren, ich glaube das so sagen zu dürfen, die größten Krieger, Häuptlinge und Medizinmänner zugleich. Dennoch nannte er Crazy Horse den größten aller Lakota-Krieger – das verdeutlicht wohl am besten Archies Bescheidenheit. Die Familie Lame Deer besitzt genau jenen bis zum Boden reichenden Federschmuck, der unser Indianerbild so geprägt hat. Ich wüsste nicht, wer außerdem einen so prächtigen langen Federschmuck hat.

Nach dem Tod von Archie Fire Lame Deer besuchte ich Treffen der Lakota nur noch ganz sporadisch, für einige Jahre sogar überhaupt nicht. Ich führte meine Arbeit fort, indem ich weiter Verhaltensforschung und Marketing für ökologische Produkte und Projekte betrieb – meine Weise, die Zusagen bei den Lakota zu erfüllen, so gut es mir eben möglich war und ist.

ARCHIE FIRE LAME DEERS WARNUNG

„And if you got that power and you abuse it, you will wish that you would never have been born. At first all your friends will back off from you, and then your family will leave. And then you will cry. And then your whole world will drown… And if you think that you can do better than the Medicine Man, you will see.“

„Und falls du die Gabe, die du bekommen hast, missbrauchst, wirst du wünschen, niemals geboren worden zu sein. Zuerst werden sich all deine Freunde zurückziehen, dann wird deine Familie dich verlassen. Und dann wirst du weinen. Und dann wird deine ganze Welt untergehen … Und wenn du denkst, du kannst es besser machen als der Medizinmann, wirst du sehen …“

Das waren die Worte, die Archie Fire Lame Deer an mich richtete. Im härtesten Tonfall, der je zu mir gesprochen wurde. Und das nach meinem Initiationsritus zum Heyoka im Jahr 1997 an einem heiligen Platz in Österreich. Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, was er damit meinte. Archie war wie mein Onkel, mein Freund, wir haben zusammen gelacht und geweint. Ich war sein Feuermann bei einer Sonnentanzzeremonie der Lakota und bei vielen Schwitzhüttenritualen. Ich bin mit seiner Familie durch den Westen der USA gereist. Und dann diese harten Worte? Aber ich lernte zu verstehen. Erst Jahre später begriff ich, dass die Versuchung, mein Wissen zu missbrauchen, doch manchmal da war; umso mehr bin ich Archie zu Dank verpflichtet, dass er mich gewarnt hatte.

An einem Geburtstag meiner Tochter. Ich war damals Mitte 40 und wohnte in Heidelberg.

WAS ICH GELERNT HABE

Ich habe religions- und politikfrei fast ein Vierteljahrhundert lang zur Verbreitung des Umweltbewusstseins beigetragen. Durch Marketingkommunikation und Verhaltensforschung, Public Relations und Verbandsarbeit. Ich war vom Anbeginn der ökologischen Bewegung spezialisiert darauf, jeweils die nachhaltigsten Produkte ihrer Sparte einzuführen und zu vermarkten. Das war für mich die Übertragung der indianischen Haltung in die heutige Zeit, ohne dabei für Indianer Werbung zu machen. Meine Verbindung zu den Lakota habe ich so gut wie nie erwähnt.

 

Im Grunde war ich der Ansicht, mit meiner letzten Präsentation auf dem ESOMAR-Weltkongress 2009 in Montreux hätte ich meine Arbeit getan. Aber ich habe mich geirrt. Denn wieder und wieder ging mir dieses Thema im Kopf herum; ich suchte, was ich übersehen haben könnte. Und ich verstand langsam, dass ich etwas zu Ende bringen musste. Dass all meine Erlebnisse, die Erfahrungen mit anderen, mit Archie Fire Lame Deer und Arvol Looking Horse, mit weiteren Lakota, aber auch anderen spirituellen Menschen, endlich geteilt werden sollten. Dieses Buch ist meine „Botschaft“. Ich habe dafür das Einverständnis der Lakota-Familie in Europa und von John Fire Lame Deer, Archies Sohn und Nachfolger, sowie seiner ältesten Tochter, Josephine Fire Lame Deer.

EIN KREIS SCHLIESST SICH

1988 bin ich das erste Mal mit Archie Fire Lame Deer zusammengetroffen – 111 Jahre nach dem Tod von Crazy Horse. 1997 jährte sich dessen Todestag zum 120. Mal, und ich nahm die Aufgabe an, die spirituellen Aspekte der Lakota in Bezug auf unsere heutige Zeit, auf unsere Umweltprobleme, ja sogar auf den Klimawandel zu veröffentlichen. In meiner „normalen“ Arbeit war Ökologie von Anfang an ein Thema gewesen, die „Aufklärung“, ja: Heilung durch Kommunikation wurde mir im Laufe der Jahre ein immer dringenderes Anliegen. Die Aussage von Arvol Looking Horse, die eigenen Erlebnisse seit meinem ersten Zusammentreffen mit Archie Fire Lame Deer – all das führte dazu, dass ich mich mit dem Thema Indianer nachdrücklicher befasste. Dieses Wissen möchte ich mit Ihnen teilen.


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