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Das Leben der Digital-Nomaden scheint uns von starken Ambivalenzen geprägt zu sein. Auf der einen Seite wollen sie die analoge Welt bereisen, können das aber nur, weil die digitale Welt ihnen die Möglichkeit eröffnet. Einerseits leben sie an Orten, an denen klassische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Urlaub machen, andererseits müssen sie sich dem Reiz dieser Orte immer wieder entziehen; denn es gilt, Projekte durchzuziehen und Kunden mit hohem Qualitätsanspruch zufriedenzustellen. Und obwohl man die meiste Zeit im Jahr nur »remote« zusammenarbeitet, ist es zwingend notwendig, in einen ganz engen persönlichen Kontakt zu kommen, der den an standortgebundenen Arbeitsplätzen bei Weitem übersteigt.

Durch das Gespräch müssen wir unser stereotypes Bild von einem IT-Unternehmen revidieren, doch Stefan Klumpp »beruhigt« uns beim Abschied: »Tief drinnen sind wir Mega-Nerds!«

Auch wenn wir das Arbeitsmodell eines Digital-Nomaden sehr interessant finden und viele positive Ansätze darin sehen, bleiben viele Fragen offen: Funktioniert das auch, wenn man schulpflichtige Kinder hat? Wie und wo ist man sozial abgesichert? Können wirklich Freundschaften entstehen, wenn man zwei Wochen pro Jahr im selben Haus zusammenarbeitet? – Was wir aber von Stefan Klumpp und der Zusammenarbeit bei Mobile Jazz gelernt haben, ist Folgendes: Damit Teams funktionieren können, muss es ihnen möglich sein, sich weitgehend selbst zu organisieren und ihre eigenen Spielregeln zu entwickeln. Man benötigt eine Basis, auf der man aufbauen kann. Nur dann haben unterschiedlichste Charaktere – vom stillen Computerfreak bis zum extrovertierten Verkäufer – eine Chance, in Abstimmung mit den anderen ihre Rolle im Team zu finden. Dazu gehört dann allerdings auch die Möglichkeit, sich zeitweise aus dem Team auszuklinken.

Bereits in den 1990er-Jahren hat der Psychologe Kevin Dunbar einen interessanten Versuch gestartet, in dem er in vier führenden Instituten für Molekularbiologie Kameras aufstellte, um die Wissenschaftler bei ihren Arbeitsprozessen zu beobachten. Dabei stellte er fest, dass es höchst selten zu »Heureka-Momenten« kam, in denen sie eine wichtige Entdeckung machten. Die Ideen der Wissenschaftler entsprangen eben nicht der individuellen Beobachtung und Untersuchung am Mikroskop, sondern ergaben sich in der vertrauten Umgebung der Teambesprechung, in der man sich gegenseitig half, ein Problem aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen.36 Hier zeigt sich der Vorteil sinnvoll geplanter Teamarbeit.

Es ist also nicht zwingend das Individuum, das eine Antwort auf die fehlende Kreativität der Großgruppe liefert, sondern die vertraute und selbst organisierte Gruppe.

Der Psychiater, Familientherapeut und Organisationsforscher Fritz B. Simon zeigt auf, dass Großgruppen psychoseähnliche Effekte bewirken. »Grenzen des Individuums scheinen sich aufzulösen, seine Orientierung geht verloren, die Komplexität steigt«, die Folge ist die Zuflucht in die Kleingruppe.37 Ein Phänomen, das man erleben kann, wenn man allein an einer Großveranstaltung teilnimmt. Zu Beginn oder in den Pausen fühlt man sich unwohl, bis man auf Bekannte trifft oder den Blick auf das Bühnengeschehen richtet und dadurch die Großgruppe sich in »einer Art Zweipersonenkommunikation zwischen einem und wenigen Protagonisten« auflöst.38

Bei Formaten wie Open-Space-Veranstaltungen oder Bar Camps sorgt ein hoher formaler Organisationsgrad für eine gewisse Rahmung. Durch die Festlegung von Zeit, Raum, Teilnehmerzahl und Moderatoren wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht verloren fühlen. Kreativität ist dann keine Folge der »großen Gruppe«, sondern entsteht in überschaubaren und geschützten Bereichen innerhalb der Großveranstaltung (etwa in Form von Einzelworkshops und Sessions).

Ungeachtet der Erkenntnis, dass Kollektive nicht als Ganzes zur Entwicklung bahnbrechender Ideen fähig sind, erfreuen sich die Methoden, die uns das Gegenteil suggerieren, bis heute großer Beliebtheit.

Egal ob wir von Schwärmen oder Großgruppen sprechen, es geht immer auch um die Teilhabe an der Schaffung und Bewertung von (neuen) Realitäten im Sinne einer Enthierarchisierung und Demokratisierung ursprünglich elitär geführter Diskurse. Damit wird automatisch die Machtfrage neu gestellt. Im Kern geht es bei der altbekannten Gruppenarbeit in der Automobilindustrie oder in modernen Scrum-Teams der agilen Arbeitswelt wie auch bei internetbasierten »Liquid-Democracy«-Experimenten stets um das Bemühen, viele Menschen an der Ausgestaltung von Strukturen und Prozessen teilhaben zu lassen – ein Ansatz, der in der Politikwissenschaft als Deliberation bezeichnet wird. Demokratie ist, politisch betrachtet, ohne die Weisheit der vielen nicht zu denken.

Allerdings kann der »Strudel der Masse« auch dazu führen, dass demokratische Grundprinzipien wie der der Schutz von Minderheiten oder die Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen angetastet werden. Wenn paradoxerweise durch die Einbeziehung von Vielfalt genau diese zerstört wird und der Mainstream die Herrschaft übernimmt, kann von kollektiver Intelligenz nicht mehr die Rede sein. Die stets geforderte Innovationskraft ist dann gefährdet oder wird sogar verhindert – ein Phänomen, das wir gerade in den sozialen Medien beobachten. Diese bieten zunächst ein urdemokratisches Forum, auf dem jeder zu Wort kommen, jeder gehört werden kann. Menschen aus der ganzen Welt begegnen sich und nehmen an einer besonderen Form der Kommunikation teil. Doch dieser kollektive Raum ermöglicht unter dem Schutz der Anonymität auch Hetze und Verschwörung mit tätlicher Gewalt als möglicher Folge und Formen eines Gegeneinanders, das im direkten Austausch so eher nicht erreicht würde. Es kann eine das soziale Gefüge gefährdende Direktheit durchbrechen, die ungeahnte Probleme für die Gesellschaft, also das Kollektiv, erzeugt. Und die Selbstvermarktung – mit der sich die eingangs erwähnte Susan Cain kritisch auseinandersetzt – erhält hier eine noch bedeutendere Rolle als in der realen Welt.

Wenn wir die im Kollektiv vorhandene positive Kraft nicht verlieren wollen, müssen wir Räume schaffen auch für die Darlegung von still entwickelten Ideen Einzelner – selbst wenn sie nicht der Logik der gewieften Selbstvermarktung entsprechen.

Trotz anderslautender Versprechen ist die digitale Welt nur bedingt dafür geeignet, im Kollektiv starke Ideen entstehen zu lassen, wie das folgende Beispiel zeigt.

Als wir uns das erste Mal 2013 in der Schwabinger »Bar Giornale« trafen, erzählte uns Frank Roebers, Vorstandsvorsitzender der Synaxon AG, von einem Werkzeug namens Liquid Feedback (LQFB), das im Jahr zuvor in seiner Firma eingeführt wurde. Genau genommen ging es nicht um ein Werkzeug, sondern um Kulturarbeit, die mit einem durchdachten Instrument in Gang gesetzt werden sollte. Roebers und seine Kollegen in der Führung wollten einen entscheidenden Schritt in Richtung strategische Beteiligung der Mitarbeitenden und Demokratisierung von Entscheidungen gehen, da Initiativen bei entsprechender Mehrheit auch dann umgesetzt werden sollten, wenn der Vorstand gegen sie war. Im Ergebnis wurde das Unternehmen durch das Software-Tool LQFB, das als Experiment gestartet wurde, entscheidend vorangebracht. Die Arbeit mit LQFB lieferte viele Erkenntnisse und beeinflusste die Kultur maßgeblich – bevor die Plattform schließlich nach sieben Jahren nicht mehr benötigt und 2019 abgeschaltet wurde.

Was war der Auslöser für die Einführung dieses Instruments? »Vor ein paar Jahren haben meine Kollegen aus der Geschäftsleitung und ich mit viel Mühe ein neues Leitbild geschrieben«, so Roebers bei unserem Treffen. »Während des Prozesses, über den wir die Mitarbeiter stets informierten, erhielten wir eine Rückmeldung, die erfreulich und ernüchternd zugleich war. 85 bis 90 Prozent der Kolleginnen und Kollegen fanden sich in dem Leitbild wieder, waren also der Meinung, dass geschriebener Text und reales Erleben irgendwie zusammengingen.« Es passte zu dem Westfalen Roebers, dass er den Rest der Rückmeldungen ungeschönt darstellte: »Dummerweise mussten wir akzeptieren, dass zehn bis 15 Prozent der Mitarbeiter offenbar in einem ganz anderen Unternehmen arbeiten als der Rest. Die Kultur, die wir gerade so nett im Leitbild beschrieben hatten, existierte für diesen Teil der Belegschaft überhaupt nicht. In der Geschäftsleitung diskutierten wir daraufhin intensiv, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen sollten.«

An dieser Stelle des Gesprächs von 2013 gingen wir insgeheim im Kopf unsere Kunden und Forschungspartner durch. Andere Unternehmen, so unsere Überzeugung, kämen vermutlich gar nicht auf die Idee, über eine derartige Diagnose weiter nachzudenken. Wo sollte auch das Problem liegen, wenn man nur etwas mehr als ein Zehntel der Menschen verloren hat? Doch das Führungsteam der Synaxon AG, der inzwischen größten IT-Verbundgruppe Europas mit mittlerweile 210 Angestellten, 3800 Verbundpartnern und über drei Milliarden Euro Außenumsatz, wollte sich auch mit vergleichsweise geringen »Verlusten« nicht abfinden und stellte sich zwei entscheidende Fragen: Wie schaffen wir es, dass sich auch diejenigen Kollegen äußern und einbringen, die mit unserer Kultur unzufrieden sind? Und wie gelingt es, dass wir dieses »Outing« unter den Schutz der Anonymität stellen? Während Roebers dies erzählte, wurden wir hellhörig. Wir dachten uns im Stillen: »Wie ernsthaft kann man an einer Kultur arbeiten, wenn der Mut fehlt, Ross und Reiter zu benennen? Lohnt es sich, nach einem Werkzeug zu suchen, wenn die Menschen noch nicht einmal zu einem offenen und persönlichen Austausch in der Lage sind?« Wir verpackten unsere Vorbehalte gegenüber dem in der Online-Welt gängigen Modus der Anonymität in eine moderate Frage, die uns nicht als ewiggestrig-analog erscheinen ließ. Frank Roebers antwortete knapp – und nachvollziehbar: »Es ist ein schöner Gedanke, dass man – wäre die Kultur ideal – gar kein Tool bräuchte. Aber es ist wohl ein bisschen viel verlangt, alle Konflikte offen auszutragen. Vor allem dann, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter davon ausgehen kann, dass die Führungskraft einen Sachverhalt anders einschätzt als sie oder er.«

 

Das LQFB wurde wie folgt umgesetzt: Wann immer ein Synaxon-Mitarbeiter ein Anliegen positionieren wollte, konnte es im Liquid-Feedback-System beschrieben werden – ohne Nennung des Namens. Wichtig war nun, für diese Initiative Unterstützung von anderen im Unternehmen zu erhalten. Denn damit eine Initiative überhaupt zur Abstimmung gelangen konnte, musste sie von zehn Prozent derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich für ein Themenfeld angemeldet hatten, befürwortet werden. Diese Hürde sei ganz bewusst eingebaut worden, damit das Unternehmen von einer Unzahl von Initiativen verschont bleibe, so Frank Roebers damals. »Sie können sich vorstellen, dass es bei den Initiativen dicke und dünne Bretter gibt. Je nachdem, wie dick ein Brett, wie anspruchsvoll also ein Thema ist, geben wir kürzere oder längere Bedenk- und Diskussionszeit. Das hat sich bewährt.«

Für die Abstimmung galt dann: Alle Initiativen mit einfacher Mehrheit sollten umgesetzt werden. »Wir haben uns als Unternehmensleitung dazu verpflichtet, erfolgreiche Initiativen konsequent umzusetzen. Einige fand ich persönlich absolut sinnlos«, so Roebers. »Aber ich bin Bestandteil dieses Systems und würde beim LQFB nur dann von meinem Vetorecht Gebrauch machen, wenn Synaxon als Ganzes gefährdet wäre. Insofern schreite ich nur in Ausnahmefällen ein. Ich muss und will mit der Demokratie leben.« Der Mut, den Frank Roebers und die anderen Vorstände hatten, beeindruckte uns.

Nach sieben Jahren stellte sich heraus, dass eine Software, die Anonymität garantierte, nicht mehr benötigt wurde. Der CEO sagt heute: »In den ersten vier Monaten waren wir mit LQFB schwach gestartet, dann konnten wir vier Jahre ganz herausragende Ergebnisse erzielen und seit drei Jahren benötigen wir das Tool nicht mehr.« In der Anfangszeit war die Beteiligung nicht sonderlich groß. Man vermutete, dass es damals an einer unzureichenden Nutzerführung der Software lag. Auch die Qualität der ersten Vorschläge enttäuschte: So wurde etwa die Anschaffung eines Firmenfahrrads und eines Getränkeautomaten vorgeschlagen. Mit der Zeit besserte man die Software nach, und die Vorschläge wurden mutiger. »Die Mitarbeitenden hatten wirklich bahnbrechende Ideen. Es wurden uns gewünschte Karriereoptionen aufgezeigt, neue Modelle bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsort wurden entwickelt. Die Geschäftsleitung wurde bei Personalentscheidungen kritisiert und Gegenvorschläge wurden gemacht. Außerdem konnten wir immer gleich nachvollziehen, wie groß die Zustimmung für diese Initiativen in der Belegschaft war, denn das bildete ja das System ab«, sagt Roebers. »Mittlerweile brauchen wir den Umweg über LQFB nicht mehr. Die Kolleginnen und Kollegen schreiben ihre Vorschläge direkt ins Wiki oder melden sich mit ihren Anliegen bei der Vertrauensperson. Und wenn ich will, dass sich meine Mitarbeitenden zu strategischen Themen einbringen, dann mache ich einen Workshop, in dem sich Menschen in die Augen schauen können. Darum haben wir die Software mittlerweile abgestellt. Und zwar mit mehrheitlicher Zustimmung der Mitarbeiter. Wir hatten vorstandsseitig diesbezüglich eine LQFB-Initiative gestartet, die eine Mehrheit fand. Und zwar schlicht deswegen, weil die Aktivitäten komplett erlahmt waren. Es gab einfach keinen Bedarf mehr an Anonymität im Entscheidungsprozess.« Wir werfen in das Gespräch ein, dass das ja ein sehr gutes Zeichen sei. Roebers antwortet mit einem knappen »Ja« und fährt fort: »Was ich auch gemerkt habe: Je schlechter es uns wirtschaftlich ging, desto mehr wurde die Möglichkeit genutzt, anonym Initiativen zu starten. Je besser es uns ging, desto weniger Initiativen wurden gestartet. Ich weiß noch nicht, wie ich das einordnen muss. Sollte irgendwann wieder der Wunsch nach Anonymität bestehen, dann können die Mitarbeitenden, die diesen Bedarf sehen, sich einfach an die Vertrauensperson wenden, dann wird das System wieder eingeführt. Es wird dafür auch keine Mehrheit mehr benötigt.« Roebers macht eine kurze Pause und fährt dann fort: »Im Gegensatz zum LQFB nutzen wir unser Wiki immer noch sehr intensiv.«

Vor der Einführung von Liquid Feedback gab es bereits – und gibt es seit nun 13 Jahren – ein Synaxon-Wiki, das alle Prozesse und Zuständigkeiten des Unternehmens enthält, also das gesamte Firmenwissen. Jeder Mitarbeiter hat das Recht, Änderungen vorzunehmen, also beispielsweise den Einkaufsprozess neu zu strukturieren. »Seit der Einführung 2007 gab es über 500 000 Änderungen. Es war kein einziger Missbrauch dabei«, betonte Roebers bereits bei unserem ersten Treffen in Schwabing durchaus mit etwas Stolz. Nach nun weiteren sieben Jahren sind nochmals 200 000 Änderungen dazugekommen. Der Missbrauch blieb konstant bei Null. Dann erzählt er uns: »Was euch vielleicht interessieren könnte, in ein paar Monaten löschen wir das gesamte Wiki wieder.« Wir müssen kurz schlucken und fragen uns, warum das? Es müssten doch alle Prozesse optimal sein. »Wir fangen komplett neu auf einem weißen Blatt Papier an. Alle müssen mitentscheiden, was von dem alten Wissen rübertransportiert wird. Wir haben mittlerweile über 80 000 Artikel im Wiki und wollen nicht den gleichen Fehler machen wie die EU und uns überreglementieren, weil wir nicht in der Lage sind, alte Regeln zu löschen – entweder weil wir sie vergessen haben, oder weil sich keiner traut, sich davon zu trennen. Aktivitäten, mit denen wir experimentiert haben, wie zum Beispiel ›Löschtage‹ oder Ähnliches haben sich nicht als sinnvoll erwiesen. Also haben wir gesagt, wir schmeißen eine Bombe rein und fangen von vorne an. Und wer etwas retten will, der muss sich die Mühe machen, die Inhalte rüberzuschaffen. Vor 13 Jahren, als wir mit dem Wiki begonnen haben, sind wir von 120 000 Artikeln auf 4000 runtergekommen. Darum erwarte ich, dass wir dieses Mal von 80 000 auf 3000 kommen.«

Wir finden den Mut spannend, mit dem Roebers immer wieder Neues ausprobiert, sind aber erleichtert, als wir hören, dass für die wirklich wichtigen Themen die klassischen Gespräche von Angesicht zu Angesicht dringend benötigt werden. Die analoge Welt hat sich einen Teil der digitalen wieder zurückerobert.

Der Frage, ob er nach vielen Jahren agilen Arbeitens in der digitalen Welt auch glaube, dass echte Führung gerade in diesen Zeiten viel analoger denken müsste, stimmt Roebers sofort zu. »Digitale Systeme haben unser Arbeiten als Führungskräfte massiv erleichtert. Aufgrund von sehr guten Videokonferenz- und Instant-Messaging-Diensten haben wir zum Beispiel bedeutend mehr Zeit, einfach weil wir nicht mehr so viel reisen müssen.« Im agilen Projektmanagement habe man sogar einen Quantensprung gemacht. Es sei aber nie die Technik selbst, sondern es hänge auch hier davon ab, wie man im analogen Leben unterwegs sei. Wer gut organisiert sei, der profitiere massiv; wer nicht, verliere sich in der digitalen Welt.

Roebers bringt es abschließend auf den Punkt: »Durch die Effizienzsteigerung aufgrund der digitalen Möglichkeiten habe ich für die essenziellen Themen mehr Zeit. Darum ist tatsächlich die Hauptlast in meinem Führungsalltag ›analoger‹ geworden.«

Was bedeuten die gewonnenen Erkenntnisse für die zeitgemäße Ausgestaltung der Führungsaufgabe? Sie wird zweifellos schwieriger und intensiver – und sie sollte ganz in Roebers’ Sinne »analoger« werden. Die Beziehung der Führungskraft zum Mitarbeitenden, zu seinen Ideen, aber auch zu seinen Problemen, rückt in den Vordergrund und kann maximal digital unterstützt, niemals aber durch Digitalität ersetzt werden.

In allen Fällen geht es darum, das unterschiedliche Naturell von Menschen zunächst einmal anzunehmen.

Zudem sollte Führung sich der Nebenwirkungen moderner Großgruppenveranstaltungen – sowohl in analogen als auch digitalen Varianten – bewusst werden und den Mut besitzen, bei der Wahl des passenden Settings gesundes Augenmaß walten zu lassen.

•Musterbrecher nutzen die Analyse- und Bewertungskraft von Kollektiven. Sie haben eine genaue Vorstellung von den Möglichkeiten und Grenzen des Schwarms.

•Musterbrecher zerren stille Genies nicht ins Rampenlicht. Sie drängen die Lauten aber auch nicht in den Schatten.

•Musterbrecher involvieren nicht pro forma. Wenn sie sich dazu entschließen, das Kollektiv mitbestimmen zu lassen, dann ohne Netz und doppelten Boden.

•Musterbrecher verstehen es, die digitale Welt zu nutzen, um dem analogen Denken und Handeln mehr Raum zu geben.

Anmerkungen

23 Martenstein, H.: »Der Sog der Masse«, in: Die Zeit, 10.11.2011.

24 Vgl. Dueck; G.: Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam, Frankfurt am Main 2015.

25 Vgl. Cain, S.: Quiet – The Power of Introverts in a World That Can’t Stop Talking, New York 2012.

26 Die Diskussion um die Begriffe »Gruppe«, »Schwarm« und »Kollektiv« war eine Zeit lang in vollem Gange. Gesichert ist, dass sie nicht als Synonyme aufgefasst werden können. Beim Schwarm ist von der Anonymität der Schwarmmitglieder auszugehen. Die Mitglieder einer Gruppe kennen einander, es kommen deshalb bekannte Phänomene wie Gruppendynamik, Rollen- und Machtverteilung zum Tragen. Wenn hier von kollektiver Intelligenz gesprochen wird, gehen wir von der Annahme aus, dass ein Unternehmen auf der Makroebene als Schwarm gelten kann – und gleichzeitig auf der Gruppenebene analysiert werden muss. Insofern bildeten die Teilnehmer unserer Konferenz zu Beginn der Veranstaltung einen Schwarm, später arbeiteten sie in Gruppen.

27 Vgl. Münker, S.: »›Ideen entstehen nicht durch Schwarmintelligenz‹ – Intellektuelle und das Internet«, Interview in: INDES, Herbst 2011, S. 102.

28 Vgl. Lorenz, J. et al.: »How social influence can undermine the wisdom of crowd effect«, in: Proceedings in the National Academy of Sciences in the United States of America, Vol. 108, No. 22/2011, S. 9020–9025.

29 Grams, T.: »Schwarmintelligenz – Herrschaft des Mittelmaßes«, 2012 (PDF-Dokument verfügbar über: http://www2.hs-fulda.de/~grams/hoppla/wordpress/?p=575) [letzter Abruf 01.03.2020].

30 Martenstein, H.: »Der Sog der Masse«, in: Die Zeit, 10.11.2011.

31 Vgl. Haun, D./Tomasello, M.: »Conformity to Peer Pressure in Preschool Children«, in: Child Development, 11/12-2011, Vol. 82, No. 6, S. 1765.

32 Hüther, G.: Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Göttingen 2009, S. 53.

33 Vgl. Stroebe, W./Nijstad , B. A.: »Warum Brainstorming in Gruppen Kreativität vermindert: Eine kognitive Theorie der Leistungsverluste beim Brainstorming«, in: Psychologische Rundschau, Jg. 55, Nr. 1/2004, S. 9.

34 Vgl. Simon, F. B.: Gemeinsam sind wir blöd? Die Intelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten, 5. Aufl., Heidelberg 2019, S. 142 ff.

35 Vgl. Cain, S.: Still – Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt, München 2011, S. 117 f.

36 Vgl. Johnson, S.: Wo gute Ideen herkommen – eine kurze Geschichte der Innovation, 2. Aufl., Bad Vilbel 2013.

37 Vgl. Simon, F. B.: Gemeinsam sind wir blöd? Die Intelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten, 5. Aufl., Heidelberg 2019, S. 282 f.

38 Ebd.

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