Klein-Doritt

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Mr. Clennam setzte sich.

»Sie haben, wenn ich recht weiß«, sagte Mr. Barnacle, »mich auf dem Circumlocution –« das Wort schien in seinem Munde fünfundzwanzig Silben zu bekommen – »Office aufgesucht.«

»Ich nahm mir die Freiheit.«

Mr. Barnacle verbeugte sich feierlich, als wolle er sagen: »Ich leugne nicht, daß das eine Freiheit ist; nehmen Sie sich die weitere Freiheit und sagen Sie mir, was Ihre Angelegenheit ist.«

»Erlauben Sie mir zu bemerken, daß ich längere Jahre in China war, gänzlich fremd in der Heimat bin und kein persönliches Motiv oder Interesse mich zu der Frage veranlaßt, die ich an Sie zu richten im Begriff bin.«

Mr. Barnacle trommelte mit seinen Fingern auf dem Tisch, und als ob er jetzt einem neuen fremden Künstler zu seinem Porträt säße, schien er diesem zu sagen: »Wenn Sie so freundlich sein wollten, mich mit meinem gegenwärtigen feierlichen Ausdruck aufzufassen, würde ich Ihnen sehr verbunden sein.«

»Ich fand einen Schuldgefangenen im Marschallgefängnis mit Namen Dorrit, der seit vielen Jahren sich dort befindet. Ich möchte gern seinen verwickelten Verhältnissen etwas auf den Grund kommen und mich überzeugen, ob es nicht möglich wäre, nach dieser langen Zeit seine unglückliche Lage einigermaßen zu verbessern. Der Name Tite Barnacle wurde mir als solcher genannt, der unter seinen Gläubigern von großer Bedeutung sei. Bin ich recht unterrichtet?«

Da es einer der Grundsätze des Circumlocution Office war, nie, was immer auch die Frage sein mochte, eine direkte Antwort zu geben, so sagte Mr. Barnacle: »Möglich!«

»Darf ich fragen: für die Krone oder für sich selbst als Privatmann?«

»Das Circumlocution Office, Sir«, antwortete Mr. Barnacle, »hat vielleicht – vielleicht, sage ich, denn ich weiß nicht gewiß – darum angesucht, daß eine gerichtliche Forderung an eine insolvente Firma oder Kompanie, zu der diese Person gehört haben mag, gestellt werde. Die Frage mag im Verlauf der gerichtlichen Verhandlung an das Circumlocution Office zur näheren Erörterung zurückgegangen sein, und das Departement hat vielleicht einen Akt, der jene Forderung stellte, aufgesetzt oder bestätigt.«

»Ich nehme also an, daß dies der Fall war.«

»Das Circumlocution Departement ist für keines Gentlemans Annahmen verantwortlich«, sagte Mr. Barnacle.

»Darf ich fragen, wie ich offizielle Aufklärung über den wirklichen Stand der Sache erhalten kann?«

»Es ist jedem Glied des – Publikums«, sagte Mr. Barnacle, dieses dunkle Wesen als seinen natürlichen Feind nicht ohne Widerstreben nennend, – »jedem Glied des Publikums gestattet, sich an das Circumlocution Office schriftlich zu wenden. Die Formalitäten, unter denen dies zu geschehen hat, kann man erfahren, wenn man sich an die besondere Branche dieses Departements wendet.«

»Welches ist diese besondere Branche?«

»Ich muß Sie«, entgegnete Mr. Barnacle und läutete, »wegen einer genauen Antwort auf diese Frage an das Departement selbst verweisen.«

»Erlauben Sie mir zu erwähnen –«

»Das Departement ist dem – Publikum zugänglich« (Mr. Barnacle stieß sich immer etwas an diesem Wort von so impertinenter Bedeutung), »wenn das – Publikum sich in den offiziellen Formen an dasselbe wendet. Wenn das – Publikum sich nicht in den offiziellen Formen an dasselbe wendet, so hat das – Publikum sich selbst den Schaden zuzuschreiben.«

Mr. Barnacle machte, als ein verletztes Glied der Familie, als ein verletzter Beamter und als ein verletzter Bewohner eines vornehmen Hauses – alles in einem – eine ernste Verbeugung; der Fremde machte Mr. Barnacle seine Verbeugung und wurde durch den schlottrigen Diener in die Mews Street abgeschoben.

Nachdem er soweit gekommen, beschloß er zur Übung in Geduld und Beharrlichkeit, sich wieder nach dem Circumlocution Office zu begeben und zu sehen, wie man seinem Verlangen dort entsprechen würde. Er ging denn nach dem Circumlocution Office zurück und schickte abermals seine Karte durch einen Diener zu Barnacle junior hinauf. Dieser Diener nahm es sehr übel, daß er wiederkam, weil er hinter einem Verschlag an dem Korridorfeuer Kartoffelbrei mit Soße aß.

Er wurde bei Mr. Barnacle junior vorgelassen und fand den jungen Mann noch immer damit beschäftigt, seine Knie zu wärmen und die langen Stunden bis vier Uhr wegzugähnen.

»Ja, sehen Sie! Sie hängen sich ja verteufelt an uns«, sagte Barnacle junior und sah ihn dabei von oben herab an. »Ich möchte wissen –«

»Sehen Sie. Bei meiner Seele, Sie müssen nicht hierherkommen und sagen, Sie möchten wissen, Sie verstehen«, warf Barnacle junior ein, indem er sich umwandte und sein Monokel aufsetzte.

»Ich möchte wissen«, sagte Arthur Clennam, der durch den kurz angebundenen Ton seinen Worten den Ausdruck der Beharrlichkeit gab, »ich möchte genau wissen, welcher Art die Forderung der Krone gegen einen Schuldgefangenen namens Dorrit ist.«

»Ja, sehen Sie! Sie gehen sehr rasch und entschieden zu Werke. Freilich, Sie haben keine Maßregeln erhalten«, sagte Barnacle junior, als wenn die Sache ernst würde.

»Ich möchte wissen«, sagte Arthur und wiederholte seine Frage.

Barnacle starrte ihn an, bis das Monokel herabfiel; er klemmte es wieder ein und starrte ihn an, bis es wieder herabfiel. »Sie haben kein Recht, so vorzugehen«, bemerkte er ungemein matt. »Sehen Sie. Was wollen Sie? Sie sagten mir ja, Sie wüßten nicht, ob es eine Staats- oder Privatangelegenheit sei.«

»Ich habe mich jetzt vergewissert, daß es eine Staatsangelegenheit ist«, versetzte der Bittsteller, »und ich möchte nur wissen«, – damit wiederholte er seine monotone Frage.

Der Erfolg derselben war, daß der junge Barnacle in seiner gleichmütig-gelangweilten Art wiederholte: »Sehen Sie! Bei meiner Seele, Sie sollten nicht hierherkommen und sagen, Sie möchten wissen, was Sie schon wissen.« Der Erfolg dieser Worte war, daß Arthur Clennam ihm seine Frage genau in denselben Worten und demselben Tone wie zuvor wiederholte. Der Erfolg seiner Worte auf den jungen Barnacle aber war, daß er ihm ein erstaunliches Schauspiel von Verlegenheit und Hilflosigkeit bot.

»Nun, ich will Ihnen etwas sagen. Sehen Sie, Sie würden sich weit besser an das Sekretariat wenden«, sprach er endlich, ergriff die Glocke und läutete, »Jenkinson«, sagte er zu dem Kartoffelbreidiener, »Mr. Wobbler!«

Arthur Clennam, der fühlte, daß er sich nun einem Sturmangriff auf das Circumlocution Office geweiht und nicht mehr zurück könne, folgte dem Diener nach einem andern Stockwerk des Gebäudes, wo ihm dieser das Zimmer Mr. Wobblers zeigte. Er trat ein und fand zwei Herren an einem großen und bequemen Schreibtisch einander gegenübersitzend, von dem der eine mit seinem Taschentuch einen Flintenlauf putzte, während der andere mit einem Papiermesser Marmelade aufs Brot strich.

»Mr. Wobbler?« fragte der Fremde.

Beide Herren sahen ihn an und schienen über diese Dreistigkeit erstaunt.

»Er ging«, sagte der Mann mit dem Flintenlauf, der ungemein bedächtig sprach, »er ging zu seinem Vetter und nahm den Hund auf der Eisenbahn mit. Ein unschätzbarer Hund. Der Hund fuhr den Pförtner an, als er in das Hundehaus gesperrt wurde, und fuhr den Wächter an, als man ihn herausließ. Sein Herr tat ein halbes Dutzend Burschen in eine Scheune und einen guten Zuschuß von Ratten und richtete den Hund ab. Und als der Hund imstande war, es mit einer tüchtigen Anzahl aufzunehmen, ließ er ihn sich messen und setzte eine große Summe auf den Hund. Als der Wettkampf heranrückte, wurde so ein verteufelter Bursche bestochen, Sir, der Hund besoffen gemacht, und der Herr des Hundes verlor die Wette.«

»Mr. Wobbler?« fragte der Supplikant.

Der Gentleman, der die Marmelade auf das Brot strich, versetzte, ohne von dieser Beschäftigung aufzusehen: »Wie nannte er den Hund?«

»Liebling«, erwiderte der andere. »Er sagte, der Hund sei das vollkommene Ebenbild der alten Tante, von der er Geld zu erwarten hat. Er fand ihn ihr dann namentlich ähnlich, wenn er von ihr in seinen Erwartungen getäuscht war.«

»Mr. Wobbler?« fragte der Supplikant.

Beide Herren lachten eine Zeitlang. Der Herr mit dem Flintenlauf, der ihn bei näherer Prüfung in befriedigendem Zustande fand, übergab ihn dem andern: und als er seinen Befund bestätigt sah, legte er ihn an seinen Platz in den Kasten, der vor ihm stand, nahm den Schaft heraus und polierte diesen, indem er leise dazu pfiff.

»Mr. Wobbler?« sagte der Supplikant.

»Was soll's?« sagte endlich Mr. Wobbler, der den Mund voll hatte.

»Ich wünschte zu wissen –« begann Arthur Clennam und erklärte dann wieder ganz mechanisch, was er zu wissen wünschte.

»Kann's Ihnen nicht sagen«, bemerkte Mr. Wobbler, der offenbar mit seinem Gabelfrühstück beschäftigt war. »Ich hörte nie davon. Habe durchaus nichts damit zu tun. Besser, Sie wenden sich an Mr. Clive, zweite Tür links auf dem nächsten Gang.«

»Womöglich wird er mir dieselbe Antwort geben.«

»Sehr wahrscheinlich. Weiß nichts davon«, sagte Mr. Wobbler.

Der Fragesteller ging weg und hatte das Zimmer bereits verlassen, als der Herr mit der Flinte ihm nachrief: »Mister! Heda!«

Er sah sich wieder um.

»Schließen Sie die Tür hinter sich zu. Es zieht ja verflucht herein.«

Einige Schritte brachten ihn nach der zweiten Tür auf der linken Seite im nächsten Gang. In diesem Gang fand er drei Herren: Nummer eins ohne besondere Beschäftigung; Nummer zwei ohne besondere Beschäftigung; Nummer drei ohne besondere Beschäftigung. Sie schienen jedoch direkter als die andern bei der wirklichen Durchführung des großen Grundsatzes des Office beteiligt zu sein, sofern sich ein ehrwürdiges inneres Gemach mit einer Doppeltür dort befand, in dem die Weisen des Circumlocution zum Rat versammelt schienen und aus dem beinahe beständig eine imposante Menge Papier hineinspazierte, womit ein weiterer Herr, Nummer vier, beschäftigt war. »Ich möchte wissen«, sagte Arthur – und brachte seine Sache in demselben Drehorgelton vor wie früher. Da Nummer eins ihn an Nummer zwei wies und da Nummer zwei ihn an Nummer drei wies, so hatte er Gelegenheit, die Sache dreimal vorzubringen, ehe sie ihn alle an Nummer vier wiesen, der er dann die Sache noch einmal wiederholte.

 

Nummer vier war ein lebhafter, hübscher, gut gekleideter, angenehmer junger Mann – er war ein Barnacle, aber einer von der heiteren Seite der Familie, und er sagte in ungezwungenem Ton: »Sie würden besser daran tun, wenn Sie sich nicht um diese Sache bemühten, Sir.«

»Mich nicht um die Sache bemühen?«

»Nein! Ich rate Ihnen, sich nicht um die Sache zu bemühen.«

Das war wieder ein so neuer Gesichtspunkt, daß Arthur Clennam verlegen war, wie er es aufnehmen sollte.

»Sie können freilich dabei beharren, wenn's Ihnen beliebt. Ich kann Ihnen eine Menge von Formularen geben, die Sie nur auszufüllen brauchen. Da liegt ein ganzer Haufen. Sie können ein Dutzend haben, wenn Sie wollen. Aber es wird Ihnen nicht viel nützen«, sagte Nummer vier.

»Sollte das eine so hoffnungslose Sache sein? Entschuldigen Sie: ich bin fremd in England.«

»Ich sage nicht, daß es eine hoffnungslose Sache sei«, entgegnete Nummer vier mit einem offenen Lächeln. »Ich äußere keine Meinung in Beziehung auf die Sache, nur in Beziehung auf Sie. Ich glaube nicht, daß Sie damit Erfolg haben. Aber Sie können natürlich tun, was Ihnen beliebt. Ich vermute, daß es an der Erfüllung eines Kontraktes gemangelt hat, oder etwas dergleichen, nicht wahr?«

»Ich weiß wirklich nicht.«

»Nun, das werden Sie schon herausbringen. Dann werden Sie auch herausbringen, in welchen Bereich dieser Kontrakt gehört, und dann werden Sie überhaupt alles herausbringen.«

»Ich bitte um Entschuldigung. Wie soll ich das herausbringen?«

»Nun, Sie werden – Sie werden so lange fragen, bis man's Ihnen sagt. Dann werden Sie (nach den gesetzmäßigen Formen, die Sie herausfinden werden) bei jenem Departement um Erlaubnis nachsuchen, sich bittschriftlich an dieses Departement zu wenden. Wenn Sie diese Erlaubnis haben (was nach einiger Zeit der Fall sein wird), muß die Bittschrift an jenes Departement eingesandt, dann bei diesem Departement einregistriert, dann an jenes Departement zum Signieren geschickt und zum Kontrasignieren an dieses Departement gesandt werden, worauf endlich die Sache nach allen Formen vor jenem Departement verhandelt wird. Wann die Sache durch jeden von diesen Graden gelangt ist, werden Sie erfahren, wenn Sie bei den einzelnen Departements nachfragen, bis sie es Ihnen sagen.« »Aber das ist sicherlich nicht der Weg, zum Ziele zu kommen«, sagte Arthur Clennam unwillkürlich.

Den lustigen jungen Barnacle amüsierte die Einfalt des Fremden, der einen Augenblick hatte glauben können, daß es der Weg sei. Es liegt auf der Hand, daß der junge Barnacle wohl wußte, daß es nicht der Weg war. Dieser kluge junge Barnacle hatte im Departement sich in ein Privatsekretariat eingenistet, um für jeden kleinen fetten Bissen, der abfiele, bereit zu sein; und er sah ganz gut ein, daß das Departement ein Stück politisch-diplomatischer Hokus-Pokus-Maschinerie zur Unterstützung der Dummköpfe gegen die Philister sei. Nach alledem hatte der junge Barnacle die wohlberechtigte Aussicht, ein Staatsmann zu werden und eine Rolle zu spielen.

»Wenn die Sache in der gehörigen Form vor das Departement, gleichgültig vor welches, gelangt ist«, fuhr der heitere junge Barnacle fort, »dann können Sie sie von Zeit zu Zeit auf ihrem Weg durch das Departement beobachten. Kommt sie dann nach der Regel vor dieses Departement, so müssen Sie sie von Zeit zu Zeit auf dem Wege durch dieses Departement verfolgen. Wir werden sie nach rechts und links zum Referat zu verweisen haben; und wo wir sie auch hinsenden, müssen Sie Ihr aufmerksames Auge darauf haben. Sooft sie an uns zurückkommt, müssen Sie Ihr Augenmerk wieder auf uns richten. Stockt die Sache irgendwo, so müssen Sie ihr einen Stoß zu geben suchen. Wenn Sie an das eine Departement wegen der Sache schreiben und dann wieder an ein anderes, und Sie erhalten keine bestimmte Antwort, so tun Sie am besten, – wenn Sie das Schreiben fortsetzen.«

Arthur Clennam schien nicht zu wissen, was das alles bedeuten sollte. »Ich bin Ihnen jedenfalls für Ihre Güte sehr verpflichtet«, sagte er.

»Durchaus nicht«, versetzte der verpflichtende junge Barnacle. »Versuchen Sie es einmal und sehen Sie, wie's Ihnen bekommt. Sie können es ja zu jeder Zeit wieder aufgeben. Sie nehmen besser gleich einen Packen Formulare mit. Geben Sie ihm einen Haufen Formulare.« Nach diesem Wink für Nummer zwei nahm der junge witzige Barnacle eine neue Handvoll Papiere von Nummer eins und drei und trug sie in das Heiligtum, um sie den den Vorsitz führenden Bonzen des Circumlocution Office vorzulegen.

Arthur Clennam steckte die Formulare ziemlich mißvergnügt in die Tasche und ging durch den langen steinernen Gang und über die lange steinerne Treppe hinab. Er war an das Gattertor gekommen, das auf die Straße führte, und wartete, nicht gerade sehr geduldig, bis die beiden Herren, die sich zwischen ihm und jenem befanden und hinter denen er ging, hinaus wären, als die Stimme des einen vertraut an sein Ohr schlug. Er sah den Sprechenden an und erkannte Mr. Meagles. Mr. Meagles war ganz rot im Gesicht – röter, als die Reise ihn gemacht haben konnte – und rief, indem er einen kleinen Mann, der mit ihm war, beim Kragen packte: »Komm heraus. Schuft, komm heraus!«

Es war ein so unerwartetes Wort und ein so unerwarteter Anblick, Mr. Meagles das Gattertor aufstoßen und den kleinen Mann, der ein höchst unschuldiges Aussehen hatte, auf die Straße hinausziehen zu sehen, daß Clennam für den Augenblick noch immer mit dem Portier Blicke des Erstaunens wechselnd dastand. Er folgte jedoch rasch und sah Mr. Meagles mit seinem Feinde an der Seite die Straße hinabgehen. Er hatte seinen alten Reisegenossen bald eingeholt und klopfte ihm auf die Schulter. Das zornige Gesicht, das Mr. Meagles nach ihm hinwandte, bekam einen milderen Ausdruck, als er sah, wer es war, und er bot ihm freundlich die Hand.

»Wie geht es Ihnen?« sagte Mr. Meagles. »Wie befinden Sie sich? Ich bin eben erst von der Reise zurückgekehrt und freue mich, Sie zu sehen.«

»Auch ich bin sehr glücklich, Sie zu finden.«

»Danke, danke!«

»Mrs. Meagles und Ihre Tochter –?«

»Befinden sich den Umständen nach wohl«, sagte Mr. Meagles. »Ich wünschte nur, Sie hätten mich in einer minder aufgeregten Stimmung getroffen.«

Obwohl es nichts weniger als ein heißer Tag war, befand sich Mr. Meagles doch in einem so erhitzten Zustand, daß die Vorübergehenden aufmerksam wurden, namentlich als er sich mit dem Rücken an einen Bretterzaun lehnte, Hut und Krawatte abnahm und seinen dampfenden Kopf, sein glühendes Gesicht, seine geröteten Ohren und den Nacken ohne die geringste Rücksicht auf die Meinung des Publikums tüchtig zu reiben begann.

»Uff!« sagte Mr. Meagles und zog sich wieder an. »Das ist angenehm. Nun bin ich etwas kühler.«

»Sie wurden aus der Fassung gebracht, Mr. Meagles. Was ist die Ursache?«

»Warten Sie ein wenig, und ich werde Ihnen die Sache erzählen. Haben Sie Zeit zu einem Gang in den Park?«

»Soviel Sie wollen.«

»So kommen Sie. Ah! sehen Sie sich ihn nur an.« Er hatte zufällig einen Blick auf den Beleidiger geworfen, den Mr. Meagles so zornig am Kragen gepackt. »Es lohnt sich wohl der Mühe, den Burschen anzusehen.«

Es lohnte sich aber weder in Hinsicht auf die Gestalt noch in Hinsicht auf die Kleidung der Mühe, ihn anzusehen; denn er war ein kleiner, vierschrötiger, werktätig aussehender Mann, mit grauem Haar, in dessen Gesicht und Stirn langes Nachdenken tiefe Furchen gegraben, die aussahen, als ob sie in hartes Holz geschnitten wären. Er war ganz schwarz gekleidet; sein Anzug trug jedoch die Spuren von Flecken: der kleine Mann schien ein geschickter Handwerker zu sein. Er hatte ein Brillenfutteral in der Hand, das er in einem fort hin und her drehte, solange von ihm die Rede war, wobei er den Daumen auf eine Art brauchte, wie man es nur bei einer an Werkzeuge gewöhnten Hand findet.

»Sie bleiben bei uns«, sagte Mr. Meagles in drohendem Ton, »ich werde Sie sogleich vorstellen – vorwärts denn.«

Clennam war sehr begierig, als sie den nächsten Weg nach dem Park einschlugen, zu erfahren, was dieser Unbekannte (der aufs bereitwilligste gehorchte) getan haben mochte. Seine Erscheinung rechtfertigte durchaus nicht den Verdacht, daß er bei einem Angriff auf Mr. Meagles' Taschentuch ertappt worden.12 Auch hatte er nichts weniger als das Aussehen eines streitsüchtigen und heftigen Menschen. Es war im Gegenteil ein ruhiger, einfacher Mann voller Haltung. Er machte keinen Fluchtversuch und schien etwas gebeugt, aber weder Grund zur Scham noch zur Reue zu haben. War er ein Verbrecher, so war er entschieden ein unverbesserlicher Heuchler; war er kein Verbrecher, warum hatte ihn dann Mr. Meagles im Circumlocution Office am Kragen gepackt? Er bemerkte, daß der Mann nicht bloß für ihn ein schwieriger Punkt war, sondern auch für Mr. Meagles; denn das Gespräch, das sie auf dem kurzen Weg bis zum Park miteinander führten, hielt sich nur schwer im Gange, und Mr. Meagles' Augen richteten sich immer wieder auf den Mann, auch wenn er von ganz anderen Dingen sprach.

Als sie endlich unter den Bäumen angekommen waren, blieb Mr. Meagles plötzlich stehen und sagte:

»Mr. Clennam, wollen Sie die Güte haben und sich diesen Mann ansehen? Sein Name ist Doyce, Daniel Doyce. Sie werden wohl nicht glauben, daß dieser Mann ein notorischer Schuft ist, nicht wahr?«

»Gewiß nicht.« Es war eine sehr fatale Frage in Gegenwart des Mannes.

»Nein. Sie würden es nicht; ich weiß, Sie würden es nicht. Sie würden nicht glauben, daß er ein Staatsverbrecher ist; nicht wahr?«

»Nein«.

»Nein. Aber er ist es dennoch. Er ist ein Staatsverbrecher. Was ist sein Verbrechen? Mord, Totschlag, Mordbrennerei, Fälschung, Gaunerei, Einbruch, Straßenraub, Diebstahl, Verschwörung, Betrug? Was meinen Sie?«

»Ich meine«, entgegnete Arthur Clennam, indem er ein flüchtiges Lächeln auf Daniel Doyces Gesicht bemerkte, »keines von allen.«

»Sie haben recht«, sagte Mr. Meagles. »Aber er war erfinderisch und wollte seinen Scharfsinn im Dienst seines Vaterlandes verwenden. Das macht ihn geradezu zum Staatsverbrecher, Sir.«

Arthur sah den Mann selbst an, der nur den Kopf schüttelte.

»Dieser Doyce«, sagte Mr. Meagles, »ist ein Schmied und Maschinenbauer. Er betreibt sein Geschäft nicht im großen, aber er ist als ein sehr erfinderischer Kopf weit und breit bekannt. Vor einem Dutzend Jahre vollendet er eine Erfindung (der ein äußerst merkwürdiges geheimes Verfahren zugrunde liegt) von großer Wichtigkeit für sein Land und seine Nebenmenschen. Ich will nicht sagen, wieviel Geld ihn die Sache kostete oder wie viele Jahre seines Lebens er damit zubrachte; aber er vollendete das Werk vor ungefähr zwölf Jahren. Werden es nicht zwölf Jahre?« sagte Mr. Meagles, sich an Doyce wendend. »Der Mensch könnte einen zur Verzweiflung bringen; er beklagt sich nie.«

»Ja, wohl mehr als zwölf Jahre.«

»Wohl mehr?« sagte Mr. Meagles. »Sie wollen sagen, leider mehr als zwölf Jahre. Nun, Mr. Clennam. Er wendet sich an die Regierung. In dem Augenblick, in dem er sich an die Regierung wendet, wird er ein Staatsverbrecher! Sir«, sagte Mr. Meagles, Gefahr laufend, sich wieder zu erhitzen, »er hört auf, ein unschuldiger Bürger zu sein, und wird ein Verbrecher. Er wird von dem Augenblick an als ein Mann behandelt, der eine höllische Tat begangen. Man glaubt ihn betrügen, herumstoßen, mit anmaßenden, unverschämten Behauptungen niederschlagen zu dürfen, der eine junge oder alte Gentleman von vornehmen Beziehungen liefert ihn an den andern jungen oder alten Gentleman von vornehmen Beziehungen aus: so wird er beständig an der Nase herumgeführt. Er hat nicht mal mehr ein Recht auf seine Zeit oder sein Eigentum; er ist ein völlig rechtloser Mensch, bei dem es gerechtfertigt ist, wenn sich jeder von ihm lossagt, ein Mann, der auf jede mögliche Weise gequält werden muß.«

Es war nicht so schwierig, das alles zu glauben, wie Mr. Meagles meinte, wenn man solche Erfahrungen gemacht, wie Arthur Clennam diesen Morgen.

 

»Stehen Sie doch nicht so da, Doyce, und drehen Sie nicht Ihr Brillenfutteral in einem fort in der Hand herum«, rief Mr. Meagles, »sondern sagen Sie Mr. Clennam, was Sie mir bekannt haben.«

»Man verfuhr allerdings mit mir«, sagte der Erfinder, »als wenn ich ein Verbrechen begangen. Bei meinen demütigen Aufwartungen auf den verschiedenen Bureaus wurde ich immer mehr oder weniger behandelt, als drehte es sich um ein großes Verbrechen. Ich mußte wirklich oft selbst zu meiner eignen Beruhigung mich innerlich vergewissern, daß ich in der Tat nichts begangen, was mich in das Gefängnis-Register bringen könnte, sondern daß ich nur eine große Ersparnis und Verbesserung ins Leben rufen wollte.«

»Da!« sagte Mr. Meaglee. »Urteilen Sie selbst, ob ich übertreibe! Nun werden Sie imstande sein, mir zu glauben, wenn ich Ihnen das übrige sage.«

Mit diesem Vorspiel ging Mr. Meagles zur Geschichte selbst über, einer Geschichte, die nach und nach ermüdend geworden, einer alltäglichen Geschichte, die wir alle auswendig kennen. Wie nach endlosem Aufwarten und Korrespondieren, nach unaufhörlichen Impertinenzen, Unwissenheiten und Beleidigungen die Herren ein Protokoll aufnahmen, Nummer dreitausendvierhundertundzweiundsiebenzig, und dem Verbrecher gestattet wurde, auf seine eigenen Kosten Versuche mit seiner Erfindung zu machen. Wie diese Versuche in Gegenwart eines Kollegiums von sechsen angestellt wurden, von denen zwei alte Mitglieder zu blind waren, um zu sehen, zwei andere alte Mitglieder zu taub, um zu hören, ein anderes altes Mitglied zu lahm, um näher zu kommen, und das letzte alte Mitglied zu eigensinnig, um sich die Sache genauer zu betrachten. Wie wieder mehrere Jahre darüber hingingen: der Erfinder neue Impertinenzen, Unwissenheiten und Beleidigungen zu erdulden hatte. Wie die Herren ein Protokoll machten, Nummer fünftausendeinhundertunddrei, wonach sie die ganze Sache an das Circumlocution Office übertrugen. Wie das Circumlocution Office im Verlauf der Zeit die Sache in die Hand nahm, als wäre es eine funkelnagelneue Sache, von der man nie zuvor gehört, und darin herumwühlte, sie unfruchtbar machte und zuletzt in eine nasse Decke hüllte. Wie die Impertinenzen, Unwissenheiten und Beleidigungen das Einmaleins durchmachten. Wie die Erfindung an drei Barnacles und einen Stiltstalking verwiesen wurde, die, nichts davon wußten und deren Köpfe gar nicht darüber nachzudenken imstande waren, die sich aber doch durcharbeiteten und in ihrem Bericht erklärten, daß die Sache tatsächlich unmöglich sei. Wie das Circumlocution Office in einem Reskript Nummer achttausendsiebenhundertundvierzig »keinen Grund sah, weshalb die Entscheidung, zu der Mylords gekommen waren, umzustoßen sei«. Wie das Circumlocution Office, als man ihm bedeutete, daß Mylords zu gar keiner Entscheidung gekommen, die Sache ad acta legte. Wie am heutigen Morgen eine letzte Unterredung mit dem Vorstand des Circumlocution Office stattgefunden und was diese eherne Stirn gesprochen und wie sie im ganzen, und unter allen Umständen und von den verschiedensten Gesichtspunkten aus betrachtet, der Meinung gewesen, daß einer von den beiden Wegen in Beziehung auf diese Sache eingeschlagen werden müsse: entweder sie für immer auf sich beruhen zu lassen oder ganz von vorne zu beginnen.

»Worauf ich dann«, schloß Mr. Meagles, »als ein praktischer Mann Doyce in Gegenwart der Herrn am Kragen packte und ihm sagte, es sei mir klar, daß er ein infamer Schuft und verräterischer Störer des Friedens der Regierung sei, und ihn mit mir fortnahm. Ich schleppte ihn am Kragen zur Tür des Bureaus hinaus, damit der Portier erfuhr, daß ich ein praktischer Mann sei, der die Stellung eines solchen Charakters gegenüber einem öffentlichen Amte zu würdigen wisse: und so sind wir da!«

Wäre der lustige junge Barnacle zugegen gewesen, er würde ihnen vielleicht offen erklärt haben, daß das Circumlocution Office seine Funktionen alle erfüllt; daß es die Aufgabe der Barnacles sei, sich auf dem Staatsschiff solang als möglich zu halten, daß das Schiff aufzutakeln, zu erleuchten, auszubaggern, sich herausjagen hieße; daß sie nur einmal herausgejagt werden könnten, und daß, wenn das Schiff untergehe, während sie noch darauf festhielten, es des Schiffes Sache, nicht die ihre sei.

»So!« sagte Mr. Meagles, »jetzt wissen Sie alles, was Doyce betrifft. Nur das eine, ich gestehe es, will mich nicht beruhigen, daß Sie bis diesen Augenblick noch keine Klage aus seinem Munde vernommen.«

»Sie müssen große Geduld besitzen«, sagte Arthur Clennam und sah ihn recht bewundernd an, »große Gelassenheit.«

»Nein«, sagte er, »ich wüßte nicht, daß ich mehr besäße als sonst jemand.«

»Bei Gott, Sie haben doch mehr als ich!« rief Mr. Meagles.

Doyce lächelte und sagte zu Clennam: »Sie sehen, meine Erfahrung in solchen Dingen beginnt nicht bei mir. Ich hatte Gelegenheit, bisweilen von solchen Geschichten zu hören. Mein Fall ist kein besonderer. Man ist nicht schlimmer mit mir umgegangen als mit hundert andern, – ich wollte sagen, als mit allen, die in dieselbe Lage gekommen.«

»Ich weiß nicht, ob ich das für einen Trost halten würde, wenn ich in diesem Falle wäre, aber es freut mich, daß Sie es tun.«

»Verstehen Sie mich recht! Ich sage nicht«, erwiderte er in seiner ruhig überlegenden Art und sah in die Ferne vor sich, als ob sein graues Auge diese messen wollte, »ich sage nicht, daß das eine Entschädigung für die Mühe und Hoffnung eines Mannes ist. Aber es ist doch eine Art Erleichterung, zu wissen, daß ich darauf hätte rechnen können.«

Er sprach in der ruhigen, umsichtigen Weise und in dem halblauten Ton, den man so oft bei Mechanikern beobachtet, die mit großer Genauigkeit zu erwägen und abzuwägen gewöhnt sind. Es war das ebenso charakteristisch für ihn, wie seine Gewandtheit mit dem Daumen oder seine eigentümliche Manier, dann und wann seinen Hut hinten in die Höhe zu rücken, als ob er über ein halbvollendetes Werk seiner Hand nachgrübelte.

»In meinen Erwartungen getäuscht?« fuhr er fort, als er so zwischen den beiden unter den Bäumen einherging. »Ja, kein Zweifel, ich bin in meinen Hoffnungen getäuscht. Zu Schaden gebracht? Ja. Kein Zweifel, ich bin zu Schaden gebracht. Das ist ganz natürlich. Aber was ich meine, ist, daß Leute, die sich selbst in dieselbe Lage versetzen, meist in derselben Weise behandelt werden –«

»In England«, sagte Mr. Meagles.

»O natürlich, in England, meine ich. Wenn Sie Ihre Erfindung in fremde Länder nehmen, so ist das ganz etwas anderes. Und das ist der Grund, weshalb so viele fortgehen.«

Mr. Meagles war schon wieder sehr heiß.

»Was ich meine, ist, daß, obwohl dies auch das gewöhnliche Verfahren unserer Regierung geworden sein mag, es nun eben einmal das gewöhnliche Verfahren ist. Haben Sie je von einem Entdecker oder Erfinder gehört, der die Regierung nicht völlig unzugänglich gefunden und den sie nicht auf jede Weise entmutigt und schlecht behandelt hätte?«

»Ich gestehe, nein.«

»Haben Sie sie je bei Annahme einer nützlichen Sache vorangehen gefunden? Haben Sie je gesehen, daß sie in irgendeiner Sache ein nützliches Beispiel gegeben?«

»Ich bin ein gutes Stück älter als mein Freund hier«, sagte Mr. Meagles, »und ich will diese Frage beantworten: Niemals!«

»Aber wir alle drei haben, wie ich erwarte«, sagte der Erfinder, »eine große Menge von Fällen gekannt, in denen sie fest entschlossen war, Meile um Meile und Jahr um Jahr hinter uns andern zurückzubleiben, und in denen man sie bei der Ausübung längst außer Brauch gesetzter Dinge beharren sah, selbst nachdem das Bessere bekannt und allgemein angenommen war?«

Sie stimmten alle mit dieser Ansicht überein.

»Nun gut«, sagte Doyce mit einem Seufzer, »wie ich weiß, was mit einem gewissen Metall bei einer bestimmten Temperatur und mit einem gewissen Körper bei einem bestimmten Druck vorgeht, so muß ich wissen (wenn ich einfach darüber nachdenken will), wie diese großen Lords und Gentlemen eine Sache, wie die meinige, behandeln werden. Ich habe kein Recht, überrascht zu sein – sobald ich einen Kopf auf den Schultern trage und ein Gedächtnis darin habe –, daß ich mit allen meinen Vorgängern in eine Linie gestellt werde. Ich hätte die Sache einfach unterlassen sollen. Ich war, glaube ich, genugsam gewarnt.«

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