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Siebentes Kapitel

So waren wieder zwei Tage verflossen. Der junge Mann fühlte seine Gesundheit allmählich hergestellt, des Balsams wunderbare Kraft hatte sich nun vollkommen bewährt, und er konnte bereits ohne Schmerz umherwandeln. Immer war ihm dies jedoch von der Indianerin strenge untersagt worden. Er hatte sich einigemal ins Dörfchen hinausgewagt; aber die Squaws waren ihm stets mit so unzweideutigen Beweisen feindlicher Gesinnung entgegengekommen, daß er immer umzukehren genötigt gewesen. Die Indianerin hatte ihm seine Mahle regelmäßig jeden Morgen und Abend gebracht, hatte jedoch kein Wort weiter gesprochen, und ein ruhig forschender Blick, während sie seinen Puls untersuchte, war alles gewesen, was einigermaßen nähere Teilnahme beurkundete.

Es war in der Nacht des zehnten Tages seit seiner Anwesenheit. Er hatte sich bereits auf sein Lager hingestreckt und soeben zu schlummern angefangen, als plötzlich der Widerschein heller Flammen durch die Öffnungen der Büffelhaut drang. Er sprang mit dem Ausrufe auf: »Das Dorf ist in Feuer!« stürzte zur Türe hinaus, durch die Hecken und Gebüsche der Flamme zu. Der Widerschein der Fackeln fiel auf eine ziemlich große, dem Anscheine nach niedliche Hütte. Es war die Wohnung des Miko. Soeben trat eine weibliche Gestalt aus der Türe und blieb vor derselben stehen. Sie horchte eine Weile und schien sich dann der Gegend zuwenden zu wollen, wo er sich im Gebüsche verborgen hatte. Langsam wandte sie sich jedoch der Ecke zu, von der sie eine Aussicht auf den von mehreren hundert Pechfackeln erglänzenden Wasserspiegel des Flusses hatte. Er hatte nun Gelegenheit, sie ins Auge zu fassen. Langsam und leise, Schritt für Schritt, als fürchtete er, die liebliche Erscheinung möchte zur Luftgestalt werden, näherte er sich ihr. Bloß eine Acacia Mimosa trennte ihn noch von ihr. Es war Rosa. Eine Weile stand er in Anschauung versunken, und dann trat er näher.

Der leise Fußtritt war von ihr gehört worden, sie wandte sich und schwebte auf ihn zu. »Fürchte dich nicht, Fremdling,« sprach sie in wohlklingendem Englisch, »unsere Weiber und Mädchen führen den Nachttanz auf.«

»Miß! ich bitte tausendmal um Vergebung wegen meiner Zudringlichkeit. – Sie werden vergeben, aber wirklich alles, was mir begegnet ist, ist so wunderbar.«

Das Mädchen sah ihn mit ihren klaren Augen forschend an. Ihr ängstlich werdender Blick schien beinahe fragen zu wollen, ob es auch in seinem Gehirn richtig sei, so befremdete sie die sonderbare, echt englische Anrede. Sie faßte seine Hand. »Vergeben meinem Bruder? Was soll ich dir vergeben, du hast mir nie etwas zuleide getan?«

»So täuscht mich denn meine Phantasie nicht, und was ich Traum wähnte, hat sich verwirklicht?« erwiderte er. Sie sah ihn betroffen an. »Hat mein Bruder einen Traum gehabt?«

Hatte des Mädchens ideale Schönheit und ihre leichte Feengestalt den jungen Mann in Verlegenheit gesetzt, die ihm in der Verwirrung die eben erwähnte Londoner Formel auf die Zunge brachte, so war ihre Antwort und nächste Frage eben nicht geeignet, diese Verwirrung zu mindern. Die melancholischen Töne eines Instrumentes, die sich nun hören ließen, brachen unterdessen die Unterhaltung ab. Er hörte befremdet den seltsamen, tiefen, grausen Tönen zu.

»Die Nacht ist kühl und feucht. Die Dünste ziehen mehr und mehr vom Flusse über das Wigwam. Mein Bruder darf nicht im Freien bleiben, sonst kommt das Fieber wieder; aber er kann«, fügte sie nach einer Pause hinzu, »die Mädchen in unserer Stube tanzen sehen.«

Mit diesen Worten reichte sie ihm ihre Hand, führte ihn in die Hütte und durch den Vorhang in ihr Stübchen, das ein kleines Fenster, welches auf das Ufer des Flusses sah, vollkommen erhellte. Es erfolgte nun eine Szene, die Salvator Rosas Pinsel eines der ergreifendsten Nachtstücke geliefert haben würde. – Rings um die Bucht herum, wo acht Tage zuvor das Birkenkanu gebaut worden, war eine Schar von nahe an zweihundert Mädchen, Weibern und jungen Wilden in einem weiten Ringe versammelt. Jeder und jede hielten in der einen Hand eine lange brennende Pechfackel, in der andern eine Schelle. Vier erwachsene Jungfrauen hatten ihren Platz unmittelbar auf dem erwähnten Uferkamme und spielten auf indianischen Trommeln und Flöten.

Das erste dieser Instrumente glich einem mit Klappern versehenen Tamburin. Die jungen Wilden hielten dieses Instrument hoch empor und schlugen mit kurzen, dicken Stäben darauf. Das zweite war eine Flöte mit drei Löchern, die einen ungemein tiefen, melancholischen Ton von sich gab.

Die Musik war anfangs schwach und gedämpft; obgleich kunstlos und ungeordnet, waren doch die Töne der Flöte nicht ohne Melodie und den Tönen eines Schweizer Alphorns zu vergleichen. Allmählich wurden sie in dem Maße stärker, als die Bewegungen der jüngern Squaws und Mädchen das Erwachen der Tanzleidenschaft verkündigten. Als nun die Tamburins einfielen, gab das Ganze eine zwar wilde, regellose, aber nicht unangenehme Musik. Es erhob sich jetzt eines der Mädchen, das mit den lieblichsten Gebärden sich in den Kreis wand und drehte, während aus dem gegenüberstehenden Bogen ein anderes ihr entgegenkam. Beide hatten Tamburins. Anfangs wirbelten sie im Kreise herum, sich zu den Mädchen herabbückend, und dann mit schlangenartiger Gewandtheit sich kreisend und wendend, tanzten sie in die Mitte, wandten sich einige Male im Kreise und fingen dann den eigentlichen Tanz an. Ihre Füße schienen sich nicht zu bewegen, während sie pfeilschnell nach den Schlägen des Tamburins im Kreise herumflogen, und ihre Fersen hebend sich immer und immer und immer fortbewegten, mit ihren Tamburins die graziösesten Pantomimen ausdrückend. Nichts konnte der Zartheit und dem Anmute dieser Tänzerinnen verglichen werden, die die natürlichen Leidenschaften der Wilden in so veredelter und reizender Mimik darzustellen wußten. Nachdem sie vielleicht zehn Minuten getanzt hatten, nahmen sie wieder ihre Sitze ein.

Zwei andere Mädchen folgten und führten denselben Tanz aus, doch war ihr Gebärdenspiel bei weitem nicht so sprechend, einfach und graziös, wie das der ersten. Als sie geendet hatten, trat ein Knabe mit einer Federkrone auf seinem Haupte ein. Sein Gesicht war mit den gewöhnlichen Kriegerfarben bemalt; den Schreck, den sie einzuflößen bestimmt waren, suchte er noch durch die wildesten Verzerrungen zu steigern, deren seine jugendlichen Züge fähig waren.

Ein zweiter, auf dieselbe wild phantastische Weise herausgeputzt, folgte ihm, und nun fingen beide den Kriegertanz an. Zu verschiedenen Malen warfen sie sich der ganzen Länge nach auf die Erde hin, daß man hätte glauben sollen, jeder ihrer Knochen sei aus dem Gelenke gerissen; dann krochen sie unglaublich schnell herum, krümmten ihre Schenkel, sprangen auf und fielen mit wütenden Gebärden aufeinander. Plötzlich wandten sie sich dem Halbkreise zu, wo ihre Gespielen saßen, rissen den beiden Trommelschlägern ihre Trommeln aus den Händen und waren kaum in die Mitte des Kreises zurückgesprungen, als dieser sich in zwei Hälften teilte, von denen die eine gegen die andere zu traben anfing. Squaw gegen Squaw, Mädchen gegen Mädchen, trabten einige Male vorwärts, dann rückwärts, schwenkten dann zuletzt ihre Fackeln, schüttelten ihre Schellen und rannten und trabten schneller und schneller, bis das Ganze zuletzt ein Knäuel der wildesten Verwirrung wurde.

Der grelle Widerschein von mehreren hundert Fackeln, unter dem Nebelsaume des Flusses hinabflackernd, gab diesem das Ansehen eines glühenden Höllenflusses; die alten Squaws, die mit aufgelösten Haaren und welken knochigen Gesichtern in ungeschlachten Kreuz- und Quersprüngen sich umhertrieben und mit ihren Feuerbränden mehr Kobolden als menschlichen Wesen glichen; das durchdringend gellende Geheul, das die Luft zittern machte und wieder plötzlich innehielt, um die melancholischen Töne der Flöte und die dumpfen Schläge der Trommel hervorbrechen zu lassen, gaben dem Ganzen mehr den Charakter eines Hexentanzes, als den weiblicher Wesen. Plötzlich wurde noch ein wütender Schrei, wie aus tausend Kehlen, gehört; die Fackeln versammelten sich in einen Klumpen, verloschen, und tiefe Finsternis herrschte. Und nach dem langen, schweigsamen Dahinstarren zu schließen, in welches unsern Briten dieser Auftritt versetzt hatte, schien es wirklich zweifelhaft, ob er nicht etwas Höllisches im Hintergrunde sehe. Die plötzlich eintretende Finsternis mochte nicht wenig dazu beitragen, die Sinne des jungen Menschen zu verwirren.

»Das sind ja verdammte – Bitte um Vergebung, Miß – das sind wirklich furchtbare Gestalten«, rief er aus. »Wo sind wir nur, ums Himmels willen?«

»Im Wigwam des Miko«; versetzte das Mädchen.

»Miko? Miko? Was ist dieser Miko?«

»Der Häuptling der Oconees«; lispelte sie mit bebender Stimme.

»Der Miko ist ferne,« sprach eine Stimme hinter ihnen, die die Gegenwart der Indianerin verriet, »aber wird sein Geruch nicht die Spur des Fremdlings wittern? Meine Schwester sollte nie vergessen, daß sie zugleich die Tochter des Miko und sein Gast ist.«

»Um Gottes willen!« rief diese, »mein Bruder muß gehen, er darf nicht länger in der Hütte des Miko verweilen. Wenn der Miko –.«

»Nur ein Wort, dieser Miko?«

»Mein Bruder«, sprach das Mädchen dringender, »muß wirklich gehen. Meine roten Schwestern sind sehr mißtrauisch, und ihre Augen würden sich verfinstern, wenn sie ihn mit Rosa in dem Wigwam fänden.«

»Wohl! Wohl! Ja, ja gewiß«; erwiderte der junge Mann, ihre Hand plötzlich fahren lassend. »Gute Nacht, Gott segne dich, du lieblichstes aller Wesen!«

»Gute Nacht, mein Bruder!« lispelte sie ihm nach.

Er fing den Ton ihrer Stimme auf, als er durch den Vorhang eilte. Er rannte durch die äußere Stube, durch die Türe und beinahe über die Indianerin. Himmel und Erde tanzten vor seinen Augen. Er suchte seine Hütte, sie war unsichtbar. Der silberartige Flor hatte sich über den ganzen Uferkamm hingelagert. Kein Dach, kein Haus, kein Licht war zu ersehen. Alles war in tiefe Nacht begraben. Die Dünste, die kalt und feucht von dem Strome herüberkamen, fingen an, seine Hitze zu kühlen, eine Fieberkälte begann seinen Rücken herabzurieseln.

 

»Mein Bruder«, sprach eine sanft melodische Stimme, während eine Hand die seinige ergriff, »ist zu viel gerannt. Will er nicht in seine Hütte zurückkehren?«

Er blickte auf und sah die Indianerin vor sich.

»Meine Schwester scheint mich sehr im Auge zu behalten«; erwiderte er nicht ohne Mißmut. Sie blickte ihn an, ohne den Sinn seiner Worte zu begreifen. »Meine Schritte zu bewachen«, fuhr er in demselben Tone fort.

»Unsere jungen Männer sind mit dem Miko auf der Jagd, Canondah ist die Tochter des großen Häuptlings«; sprach sie ernsthaft.

»Du bist also die Tochter des Indianerhäuptlings?« fragte er mit etwas mehr Interesse. Sie nickte und sprach: »Canondah hat es bereits ihrem Bruder gesagt; die Nacht ist kühl, mein Bruder muß in das Wigwam, oder mit der frischen Sonne wird er das Fieber haben.« Mit diesen Worten deutete sie vorwärts und schlüpfte voran. »Hier«, sprach sie auf die Hütte deutend, »wird mein Bruder Rast und Ruhe finden; und die Büffelhaut aufhebend, ließ sie ihn hindurch und entfernte sich eilends.

»Sie ist die Tochter des Miko, des großen Häuptlings der Oconees«; rief der Brite, den die kühle Nachtluft und die drohende Gestalt der Indianerin plötzlich aus seiner Phantasmagorie zurückgebracht hatte. »Fürwahr! würde nicht geglaubt haben, daß unsere Schildkröten- und Austernexkursion uns die Ehre so hoher Bekanntschaften zuwege bringen würde«, fuhr er lachend fort. »Wenn nur der Tom da wäre. Was würde der zu dem herrlichen Engel sagen? Wohl, wohl, Hodges, da könntest du so eine Art Roman spielen, und wenn es gut geht, von der Liste weggestrichen werden oder wenigstens für vierzehn Tage alle Sterne am Himmel abzählen. Ich möchte nur wissen, was unser alter Brummbär sagen wird?«

Der Morgen, der auf die etwas unruhige Nacht folgte, war schön und hell. Die Strahlen der Dezembersonne gossen über Dorf und Flur eine milde Wärme, die Fluß- und Hüttenbewohner neu belebte. Tausend wilde Enten, Gänse und Schwäne trieben ihr Wesen auf dem prachtvollen Strome, während Spottvögel, Paroquets und Bluebirds ihre harmonischen Töne aus den Gebüschen hören ließen. Herüber von dem Waldende hörte man den Gesang einer Schar Mädchen, die um eine kleine Herde gezähmter Büffelkühe beschäftigt waren; und etwas näher dem Strome zu war ein großes Feuer zu sehen, um das ein großer Haufe von Jungen und Mädchen sich herumtrieb. Sie verbrannten jauchzend eine lange, dicke, mit Stroh ausgefüllte Figur, deren weißes Gesicht einen Yankee vorstellen sollte und in dessen Wamse zahllose Pfeile steckten.

Aus der Hütte, in der unser Midshipman der indianischen Gastfreundschaft genoß, kam Canondah, ein Körbchen am Arme. Sie hatte sich bereits der Wohnung ihres Vaters genähert und schien eilig zu sein, als die Büffelhaut der Hütte sich öffnete und der junge Mann ihr nachgelaufen kam. Sein schneller, fester Schritt bezeugte, daß er sich beinahe gänzlich erholt habe. Das Äußere des jungen Mannes verriet jenes humoristisch waghalsige und derbe Wesen, das einen jungen Seekadetten so wohl kleidet, in dem der spaßhafte Geist des Matrosen mit dem ernsten, herrischen Wesen des Offiziers und den halb geschliffenen Manieren des Landjunkers noch immer um die Oberhand streiten. Die bleiche Jammergestalt war zum kräftigen, rotbackigen Sprossen John Bulls geworden, in dessen muntern blauen Augen sich ein gewisses behagliches Gefühl, mit viel gesundem Menschenverstand, abspiegelten, während der um sein Kinn aufgesprossene ziemlich lange Flaum und die Adlernase dem noch immer wettergebräunten Gesichte einen Ausdruck von Kraft und Männlichkeit gaben. Mit diesem anziehenden Äußern jedoch stach seine Garderobe nur zu sehr ab, die, die Wahrheit zu sagen, nichts weniger als einladend war. Zu geschweigen des Halskragens, der seit mehreren Wochen der Seife entbehrt haben mochte, war seine Jacke stellenweise durchlöchert, und ein Stück Kottontuches verbarg nur kümmerlich den Schaden, den die Zähne des Alligators an seinen Beinkleidern angerichtet hatten.

Die Indianerin hatte kaum die Fußtritte des Nahenden gehört, als sie sich umwandte und ihm freundlich entgegenging. In ihrer Miene lag nichts von jener kalten Härte, die früher an ihr sichtbar gewesen; im Gegenteil, sie war heiter und fröhlich.

»Mein Bruder«, rief sie ihm von weitem lachend zu, »hat den Schlaf eines Bären, den weder die Wasservögel, noch die schreienden Squaws aufwecken können. Die Sonne ist bereits hoch, und doch hat er seine Schwester nicht gehört.«

»Ja doch,« versicherte er, »und der beste Beweis davon ist, daß ich mich sogleich aufmachte, um den Besuch zu erwidern.«

Das Kompliment schien von dem Mädchen wieder nicht verstanden zu werden, und sie drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Mein Bruder spricht wieder mit einer Doppelzunge.«

»Ich bin gekommen, meiner freundlichen, guten Schwester meinen Morgengruß anzubieten,« erwiderte er, sich die Lippen beißend, »aber was die Doppelzunge betrifft, so muß ich zu meinem Leidwesen gestehen, daß ich nur die schlichte, ehrliche Zunge von meinem Altengland spreche. Mein weniges Französisch habe ich seit meinem achtzehnmonatigen Schiffsleben so ziemlich wieder vergessen.« Die unbekümmert behagliche Weise, mit der er diese Worte sprach, und das ganze Wesen des vollen, blühenden Jünglings, in dem kein Arges zu sein schien, brachten sichtlich einen günstigen Eindruck auf die Indianerin hervor. Ihre Augen hingen mit Wohlgefallen an ihm; sie sann einige Augenblicke nach, ergriff plötzlich seine Hand, und auf seine Hütte deutend, sprach sie: »Mein Bruder wird da seine Schwester erwarten.«

Sie flog dann zur Türe ihres Häuschens, stellte das Körbchen nieder und eilte zur zweiten größern Hütte, aus der sie nach einer Weile mit einem ziemlich großen Bündel kam. Mit diesem flog sie der Hütte des Briten zu.

»Meines Bruders Gürtel und Hemd sind sehr schmutzig und zerrissen«; sprach sie. »Hier wird er finden, was ihn besser kleiden wird.«

»Was ist das, liebe Schwester?« versetzte er, der sich allmählich an ihre Phraseologie gewöhnte.

»Meines Bruders Schwester wird wieder kommen, wenn er dieses mit seinen unsaubern, häßlichen Kleidern vertauscht hat«; sprach sie, durch die Türe schlüpfend.

Neugierig untersuchte er nun das Päckchen. Es war ein vollkommener Anzug mit frischer Wäsche. Ein Überrock von blauem Tuche, ganz im Schnitte britischer Seeoffiziere, Pantalons, Weste und Stiefel. Das sonderbare Geschenk war nicht geeignet, die Zweifel zu beschwichtigen oder ihn über seine Lage aufzuklären. Woher hatte die Indianerin diese Kleidung? Der Seeräuber fiel ihm von neuem ein. Durfte er, ein britischer Offizier, von dieser Kleidung Gebrauch machen? Sein Auge fiel auf seine abgetragene Garderobe, die, nur mühsam zusammenhaltend, jeden Augenblick eine furchtbare Blöße androhte. Not kennt kein Gebot. »Es ist nicht die erste Kriegslist, durch die ein ehrlicher britischer Midshipman in eines andern Stelle schlüpfte«; rief er lachend, seine Fragmente abwerfend und sein neues Kostüm mit den Kenneraugen eines Newbondstreet-Costumers prüfend.

Die Umwandlung war wirklich zu seinem Vorteile ausgefallen. Der knapp anliegende blaue Rock, die eleganten Pantalons, die lichtgelbe, echt britische Weste kleideten ihn trefflich. Mit einer Art komischen Abscheus stieß er die Reste seines vormaligen äußern Menschen zur Türe oder vielmehr zur Büffelhaut hinaus, um sie im nahe gelegenen Gebüsche jedem menschlichen Auge zu entziehen.

Mitten in dieser Beschäftigung überraschte ihn Canondah. Einen Augenblick hing ihr Auge an dem wohlgebildeten, nun wirklich schönen Jünglinge, und dann ergriff sie lächelnd seine Hand, ihn rasch mit sich fortziehend. Vor der Türe ihrer Hütte angelangt, winkte sie ihm bedeutsam, schlüpfte dann in die Stube und kehrte Hand in Hand mit Rosen zurück und flog hernach dem brennenden Scheiterhaufen zu.

Achtes Kapitel

Die betroffen staunende und halb verlegene Miene, mit der er sich ihr näherte und die erst allmählich in den freien Anstand überging, die einer guten Erziehung und gutem Umgang eigentümlich sind, hatte seinem ganzen Wesen einen so zarten Anstrich von Aufmerksamkeit und Überraschung gegeben, daß das Mädchen bis zur Nagelspitze errötete. Es war das erstemal, daß sie auf eine so zarte Weise den Triumph ihrer idealen Schönheit genoß und das wohltuende Gefühl fremder Anerkennung schien ihren Busen zu heben und ihrem ganzen Wesen eine veredelte Gestalt zu geben.

»Ein herrliches Bild«, sprach er endlich mit Feuer und Rührung, »schwebt meinem trüben Blicke vor. Es ist ein Engelsbild, das mich liebend umschlang, als mich das Ungetüm in seinen Rachen faßte. Es kam, als mich die Nacht des Todes umfing, und wärmte mich, als Fieberfrost meine Glieder schüttelte. Es hat mich gepflegt und heilenden Balsam auf meine Wunde gegossen. Wahrlich Miß, wäre es nicht heller Tag, ich glaubte zu träumen.« Sie hatte schweigend ihr Auge auf die Erde geheftet. »Sie sind es denn,« fuhr der Jüngling fort, »der ich mein Leben, meine Gesundheit danke, die mich gepflegt, die mich liebreich gewartet?«

»Der Arm Rosas ist schwach, mein Bruder,« fiel sie ein, ihm mild und vertrauensvoll ins Äuge blickend, »sie würde ihren Bruder nicht aufrechterhalten haben können. Es ist Canondah, die dich aus dem Rachen der Wasserschlange gerettet. Es ist sie, die dich in die Baumhöhle, in dieses Wigwam getragen. Sie ist es, die Winondah vermochte, das Fieber zu vertreiben.«

»Die Indianerin!« rief der Jüngling. »Dieselbe, die mich so unbarmherzig auf die Folter spannt, jeden meiner Schritte belauert?«

Der Blick des Mädchens ruhte beinahe wehmütig auf ihm. »Canondah ist die Tochter des Miko, sie ist die Mutter der Oconees, sie ist der Trost und die Hoffnung aller; aber der Miko und sein Volk sind rot«; sprach das Mädchen bedeutsam und unwillkürlich schaudernd.

»Ich verstehe«; sprach der Brite.

»Sie sind sehr gut, aber sie haben vieles von unsern weißen Brüdern gelitten.«

»Den Yankees?« versetzte der Jüngling. »Aber wie kommen Sie, Miß, hierher; darf ich bitten, mir hierüber Aufklärung zu geben?«

»Der Miko nahm Rosa aus der Hütte des weißen Zwischenhändlers.«

»Aber wer ist dieser Miko, dieses Dörfchen hat doch gar keinen wilden Anstrich. Beinahe alles, was man bei uns sieht. – Wo sind denn die Männer?«

»Sie sind mit dem Häuptlinge auf die Herbstjagd ausgezogen.«

Die Augen des Briten zuckten, seine Miene heiterte sich auf. »Können Sie mir sagen, teure Miß, wo wir sind?« fuhr er zutraulich fort, ihre Hand ergreifend. Es schien beinahe, als ob das Zartgefühl des Mädchens das Selbstische, das in seiner Frage lag, geahnt hätte. – Sie sah ihn mit ihren klaren Augen forschend an und sprach: »Wir sind weit von den Weißen. Weit vom großen Flusse gegen die untergehende Sonne. Wir hatten vierzig Tage diesen überschritten und noch immer waren wir nicht am Ziele.«

Der junge Mann schüttelte sein Haupt. »Verzeihen Sie, das kann nicht sein. Ich war bloß acht Tage von dem Blockhause des Piraten weg, und die Golfströmung konnte mich unmöglich so weit vom Mississippi weggetrieben haben. – Wissen Sie nicht den Namen dieses Flusses?«

Sie verneinte es. »Am jenseitigen Flusse oberhalb wohnen die Coshattaes und weiter oben die Sabineindianer.«

»Sabine? dann sind wir am Sabine.«

»Der andere Fluß mag so heißen. Hier«, fuhr sie fort, »sind wir ringsum eingeschlossen. Nur auf dem Strome oder von jenseits gelangt man zu uns. Auf dieser Seite würde auch der Wolf vergebens zu uns zu dringen versuchen. Mein Bruder muß nicht auf Flucht denken.«

Der junge Mann war in tiefes Nachdenken versunken. »Sabine,« murmelte er, »das ist die Grenze der Vereinigten Staaten gegen Mexiko. Zu Lande höchstens vierhundert Meilen, nicht unmöglich –.«

»Mein Bruder«, wiederholte sie, »muß nicht auf Flucht denken. Der Miko ist gut, wenn du«, fuhr sie zögernd fort, »ein Feind der Yankees bist. – Er wird dir mit Freuden die Hand reichen, wenn –«

»Wenn?« fragte der Jüngling gespannt.

»Wenn du nicht als Späher gekommen bist«; fuhr sie zögernd heraus.

»Späher, Spion? Pfui! – Wie können Sie, Miß, so Arges von mir denken?«

Das jungfräuliche Kind hatte ihn mit den klaren, ruhigen Augen kindlicher, aber tief dringender Unschuld angesehen.

 

»Mein Bruder,« sprach sie mit naiver Einfalt und einer Miene, die um Aufklärung zu bitten schien, »mein Bruder sagt, daß sein Volk nicht im Kriege gegen den Häuptling der Salzsee begriffen, und es ihn doch an einen Baum hängen würde, im Fall es ihn in seine Hände bekäme.«

Ein unwillkürlich ironisches Lächeln überflog den Mund des Briten bei Anhörung dieser sonderbaren Rede; aber ein Blick auf das Mädchen, das in edler Einfalt und natürlicher Würde vor ihm stand, machte ihn über seine Gemeinheit erröten. »Wir sind, und wir sind nicht im Kriege mit dem Seeräuber, liebe Miß«, sprach er. »Nicht im Kriege, weil der eigentliche Krieg bloß zwischen zwei Nationen, die legitime Regierungen haben, geführt werden kann; was Sie aber den Häuptling nennen, ist bloß ein Seeräuber, ein Seedieb, ein Elender, der mit dem Auswurfe des menschlichen Geschlechtes Schiffe plündert, Weiber, Kinder und Männer ermordet. Gegen solche Räuber ziehen wir nicht in den Krieg; wir senden aber Schiffe aus, sie aufzusuchen und einzufangen, und dann werden sie zum Lohne ihrer Verbrechen gehängt.«

Der junge Mann hatte nicht bemerkt, wie das Mädchen während seiner Erklärung leichenblaß geworden war. »Der Häuptling der Salzsee ein Dieb?« fuhr sie erschrocken heraus.

»Wissen Sie dies nicht?« erwiderte er. »Er ist schlechter als ein Dieb. Er ist ein Räuber, ein Mörder, mit einem Worte ein Seeräuber.«

Erst jetzt bemerkte er mit Verwunderung den Eindruck, den seine Worte auf sie gemacht hatten. Sie war totenblaß geworden. Zitternd bedeckte sie mit beiden Händen das Gesicht, sie schwankte und eilte der Türe der Hütte zu. Ehe sie jedoch diese erreicht hatte, sank sie bewußtlos auf der Schwelle nieder. Er war herzugerannt, um die liebliche Gestalt vom Sinken zu bewahren, als ein Schrei des Entsetzens sich hören ließ und die Indianerin mit einem Sprunge an seiner Seite stand. Ohne ihn nur eines Blickes zu würdigen, umfaßte sie ihre Freundin mit beiden Armen, drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Lippen und trug sie in ihre Wohnung.

Der junge Brite hatte den beiden Mädchen mit der Miene eines Mannes nachgesehen, der einer fürchterlichen Entdeckung auf die Spur gekommen. Sein Auge hing mit Scheu an der Türe, als ob sie ein schauderhaftes Geheimnis verschlösse. Unwillkürlich wandten sich seine Schritte zuerst langsam und dann schneller und schneller, als ob er der furchtbaren Entwicklung entfliehen wollte, die der befremdenden Szene folgen müsse. Verstört eilte er in seine Hütte und warf sich auf das Lager. Es lag etwas Gräßliches in dem namenlosen Schmerze, der in dem Busen des Mädchens bei seiner Erklärung rege geworden. Ein erschütterndes Geheimnis! Diese Teilnahme in einem solchen Wesen für einen solchen Menschen – war grauenhaft.

Dem Selbstgespräch machte die eintretende Indianerin ein Ende. Ernst und prüfend schritt sie auf ihn zu. Ihr Blick war beinahe feierlich. Sie hob ihre Hand auf und winkte ihm, als sie bemerkte, daß die Speisen noch unberührt standen. Er war aufgestanden, um ihr entgegenzukommen.

»Mein Bruder muß essen,« sprach sie; »wenn er es getan hat, dann will ihm seine Schwester etwas in das Ohr wispern.« Mit diesen Worten ließ sie sich am entgegengesetzten Ende des Ruhelagers nieder.

»Ich habe keinen Hunger, meine Schwester,« erwiderte der junge Mann, »und bin bereit, dich anzuhören. Wie ist's der weißen Rosa?« fragte er in sichtbarer Verlegenheit.

»Meine Schwester«, erwiderte die Indianerin, »ist krank; aber sie ist nicht krank wie mein Bruder, sie ist krank im Herzen. Mein Bruder kann die weiße Rosa gesund machen. Sie ist Canondah sehr lieb, mehr als ihr Leben.«

Sie zitterte, sie suchte augenscheinlich nach Worten, allein sie konnte keines hervorbringen. Sie war sichtlich sehr angegriffen. Ihr Busen hob sich, ihr ganzes Wesen drückte die innigste Teilnahme für ihre Freundin aus. Der Jüngling sah sie mit Verwunderung an.

»Will mein Bruder sie gesund machen?« fragte sie leise.

»Und meine Schwester fragt?« erwiderte er. »Was in meinen Kräften steht, will ich gerne tun.«

»Mein Bruder hat etwas in das Ohr der weißen Rosa geflüstert, das sie krank gemacht hat.«

»Das tut mir leid; hätte ich auch nur entfernt ahnen können, daß dieses liebliche Wesen an dem Ungeheuer den leisesten Anteil nimmt, nie würde ein Wort über meine Zunge gekommen sein.«

Die Indianerin sah ihn kopfschüttelnd an. Sie trat einige Schritte zurück und sprach forschend: »Würde mein Bruder es gerne sehen, wenn der Häuptling der Salzsee die weiße Rosa in sein Wigwam führte?«

»Gott bewahre!« rief der junge Mann. »Dieses wüste Ungeheuer das engelreine Wesen.« Er sprach die Worte mit Heftigkeit, mit Abscheu.

Das Mädchen fuhr freudig auf, seine Hand ergreifend. »Mein Bruder hat wohl gesprochen. Mein Bruder hat etwas in das Ohr der weißen Rosa geflüstert. Hat er keine Lüge gesagt?«

»Lüge?« entgegnete er rasch. »Nein, liebes Mädchen, kein Gentleman sagt eine Lüge.«

»Und der Häuptling der Salzsee ist ein Dieb, ein Räuber?« fragte sie. Sie blickte ihn an und nickte. »Er ist ein Panther der Salzsee, der rote Hund, die Mokassinschlange?« Ihre Augen blitzten vor Wut und Verachtung.

»Er ist wirklich ein Dieb, mit allen den Seinigen, der Auswurf des Menschengeschlechtes, der raubt, stiehlt, mordet. Er ist vogelfrei, und wenn wir ihn heute erwischen, so hängt er morgen in Ketten«, sprach der junge Mann.

»Und mein Bruder ist kein Yankee?« fragte sie.

»Nein«, sprach er, sich stolz in die Brust werfend. »Gott sei Dank, ich habe die Ehre, ein Engländer zu sein; von der Nation, die den Ozean beherrscht und alle Könige und Kaiser in ihrem Felde hält und tausend Schiffe auf allen Meeren hat.«

Der Ausdruck des jungen Mannes, der Indianerin gegenüber, hatte jene hier ziemlich alberne Prahlerei angenommen, der sich jedoch auch der sonst vernünftige Brite so gerne und nie mehr als dann überläßt, wenn es sein Vorteil zu erheischen scheint, Fremden eine recht große Idee von seinem Lande und so gelegentlich von sich selbst beizubringen.

Diesmal schien die Indianerin nicht ohne Vergnügen die Lobpreisungen seines Landes anzuhören.

»Mein Bruder«, sagte sie, »ist kein Späher, dies ist nicht die Zunge eines Spähers. Nein, mein Bruder ist ein junger Krieger. Und will er dem Miko sagen, daß der Häuptling der Salzsee ein Dieb ist?«

»Und der Miko weiß dies nicht?« fragte er.

Die Indianerin verneinte es. »Wenn der Miko es mir erlaubt, dann will ich ihm bald Beweise liefern. Der Seeräuber wird es nicht lange mehr treiben. Sein letzter Streich hat das Maß gefüllt. Wahrscheinlich ist er bereits eingefangen.«

»Mein Bruder«, erwiderte sie, »wird den Miko sehen, der Miko wird die Palme seiner Hand öffnen, und ihm ein Wigwam geben und Rosa zur Squaw schenken. Er wird meinen Bruder lehren, die Wasserschlange töten und den schlafenden Bären und den schnell springenden Panther schießen. Mein Bruder wird ein großer Krieger werden. Und Rosa«, flüsterte sie ihm zu, »wird einst sein Wildbret kochen und sein Jagdhemde nähen, und der Dieb soll sie nicht haben.« Mit diesen Worten eilte sie von dannen.

»Verfluchte Robinsonade!« schrie der Brite, als die Indianerin den Rücken gekehrt hatte, und ein lautes Hohngelächter entfuhr ihm. »Glaubt sie mich zum Ersatze für den abscheulichen französischen Hund zu nehmen? Wahrlich, James, du müßtest dich trefflich in den Mokassins und Wampums, rot bemalt, ausnehmen. Ins Wigwam ziehen! Wildbret kochen! Nein, es ist zum Tollwerden!«

Und wahrlich für einen jungen, kaum zwanzigjährigen Midshipman, der die Liebe höchstens aus Romanen kannte, mußte der Vorschlag, sein Leben in einem indianischen Wigwam zwischen Wilden zuzubringen, eben nicht sehr erfreulich klingen.

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