Skizzen aus dem Londoner Alltag

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Neuntes Kapitel
London's Erholungsörter.

Nicht selten gibt das Streben gewisser Personen der niedern Stände, die Sitten und Gewohnheiten Solcher nachzuäffen, welche das Glück über sie gestellt hat, zu allerlei Bemerkungen und nicht selten sogar zu Klagen Anlaß.

Man darf ziemlich sicher annehmen, daß eine Neigung der Art unter den sich Aristokraten dünkenden Mitgliedern der Mittelstände fast durchgängig verbreitet ist. Krämer und Schreiber mit Familien, die fashionable Novellen lesen, und Töchtern, welche auf Leihbibliotheken abonnirt sind, besuchen kleine, den Almacks bescheiden nachgebildete Assembleen und stolzieren in dem unscheinbaren »großen Saale« irgend eines Gasthauses zweiten Ranges mit eben so viel Selbstgefälligkeit auf und ab, als die beneidenswerthen Wenigen, denen das Vorrecht gegönnt ist, ihre Pracht in jenen ausschließlichen Orten der Mode und der Thorheit zur Schau zu stellen. Hochstrebende junge Mädchen werden in Folge der Lectüre glühender Schilderungen irgend einer »Romanheldin aus den höhern Ständen« plötzlich verzweifelt wohlthätig gestimmt; Traumbilder von Anbetern und Heirath flimmern vor ihren Augen, von irgend einem über die Maßen hochverdienten Institute, von dem man durch den sonderbarsten Zufall von der Welt bisher nie ein Sterbenswörtchen gehört, wird die Entdeckung gemacht, daß es seinem Verfalle nahe sei; alsbald wird Thomson's großer Saal oder auch Johnson's Garten gemiethet, und die vorbesagten jungen Mädchen präsentiren sich hier, aus bloßer Wohlthätigkeit, drei Tage lang von zwölf bis vier Uhr um den geringen Eintrittspreis von einem Shilling die Person! Wir sind jedoch der Ansicht, daß, mit Ausnahme dieser Ständeklassen und etwa noch einiger weniger anderer, schwacher und unbedeutender Personen die erwähnte Nachahmungssucht in keinem namhaften Grade vorherrsche. Die Eigentümlichkeit der Erholungsweisen unter den verschiedenen Ständen hat uns bei unsern Spaziergängen und in sonstigen Mußestunden schon manche Unterhaltung gewährt; und wir haben daher eine kurze Schilderung derselben, in der Hoffnung, daß sie auch unsern Lesern einige Unterhaltung verschaffen werde, zum Gegenstande dieser Skizze gewählt.

Wenn man von dem eigentlichen Citybewohner, der Lloyds um fünf Uhr verläßt und nach Hackney, Clapton, Stamford-Hill, oder irgend einem andern Orte nach Hause fährt, je sagen kann, daß er außer seinem Mittagsessen noch irgend eine andere tägliche Erholung habe, so ist es sein Garten. Zwar arbeitet er in diesem nie etwas mit eigener Hand; dennoch setzt er seinen größten Stolze in denselben; und wer etwa einer seiner jüngern Töchter die Cour machen will, darf unter keiner Bedingung versäumen, über jede Blume, über jeden Strauch seines Gartens in Entzücken zu gerathen. Kommt man in den Fall, zwischen seinem Weine und seinem Garten eine Wahl zu bestimmen, und versteht es nicht, beide in gleichem Grade zu würdigen, so können wir unbedingt empfehlen, dem letztern den Vorzug vor jenem zu geben. Jeden Morgen macht er, ehe er sich in die City begibt, einen Spaziergang durch seinen Garten und trägt besonders dafür Sorge, daß der Fischbehälter ausnehmend reinlich gehalten wird. Besucht man ihn des Sonntags, etwa eine Stunde vor dem Mittagessen, so wird man ihn auf dem Grasplatze hinter seinem Hause, den Strohhut auf dem Kopfe und ein Sonntagsblatt in der Hand, in seinem Lehnstuhle sitzend treffen. In geringer Entfernung von ihm wird man, eher als nicht, einen hübschen Papagei in einem großen Messingkäfig bemerken. Zehn gegen Eins ist zu wetten, daß seine beiden ältesten Töchter, von ein paar jungen Leuten begleitet, welche Sonnenschirme über ihnen tragen – natürlich nur, um die Sonne abzuhalten – auf einem der Seitengänge lustwandeln, während die jüngern Kinder, unter Aufsicht der zweiten Kindsmagd, sich sorglos im Schatten herumtummeln. Außer dergleichen Veranlassungen scheint das Vergnügen an seinem Garten mehr aus dem Bewußtsein, ihn zu besitzen, als aus dem wirklichen Genuß, den er von demselben hat, zu entspringen. Wird man von ihm an einem Wochentage zum Mittagsessen mit nach Hause genommen, so findet man ihn von seinen Morgengeschäften ziemlich angegriffen und obendrein etwas verdrießlich; sobald aber der Tisch abgedeckt ist und er drei bis vier Gläser von seinem Lieblingswein getrunken hat, so läßt er die Jalousien in seinem Speisezimmer öffnen (dessen Fenster, wie sich von selbst versteht, nach dem Garten hingehen), legt ein seidenes Taschentuch über seinen Kopf, lehnt sich in seinem Armsessel zurück, und verbreitet sich mit unendlicher Weitläufigkeit über die Pracht seines Gartens und über die Kosten, welche seine Unterhaltung erfordert. Dieß geschieht natürlich nur, um seinem Gaste – einem jungen Freunde seiner Familie – einen richtigen Begriff von der Vortrefflichkeit seines Gartens und von dem Reichthume des Besitzers einzuprägen. Wenn er diesen Gegenstand hinlänglich erschöpft hat, so schläft er ein.

Es gibt aber auch noch eine andere, von der eben geschilderten sehr verschiedene Menschenrasse, deren Hauptvergnügen gleichfalls ihr Garten ist. Ein Individuum dieser Art wohnt in geringer Entfernung von der Stadt – etwa in Hampstead-Road, oder in Kilburn-Road, oder in irgend einer andern Straße, deren Häuser klein und niedlich sind, und Hintergärtchen haben. Er und seine Frau – ein eben so niedliches und compactes Persönchen, wie er selbst – bewohnen dasselbe Haus schon seit zwanzig Jahren, seit er sich nämlich von den Geschäften zurückgezogen. Sie haben keine Kinder – einst hatten sie wohl einen Sohn; er starb aber, als er kaum fünf Jahre alt war. Sein Porträt hängt über dem Kamingesims im schönsten Zimmer, und ein kleines Wägelchen, das er zu ziehen pflegte, wird sorgfältig als Reliquie aufbewahrt.

Bei schönem Wetter hält sich der alte Herr fast beständig in seinem Gärtchen auf, und wenn es zu naß ist, um in dasselbe gehen zu können, so sieht er stundenlang zum Fenster nach ihm hinaus. Er hat immer etwas darin zu thun, und man wird ihn ohne Unterlaß mit augenscheinlichem Behagen darin graben und hacken, schaufeln und pflanzen sehen. Zur Frühlingszeit nimmt das Säen und Einstecken kleiner Holzpflöckchen mit kleinen Papierstreifen, die sich über den beerdigten Sämereien gleich Epitaphien ausnehmen, kein Ende, und des Abends, wenn die Sonne untergegangen, ist es wahrhaft zum Erstaunen, mit welcher Beharrlichkeit er große Gießkannen voll Wasser herbeischleppt, um die neue Saat zu begießen. Seine einzige sonstige Unterhaltung sind Zeitungen, die er jeden Tag von Anfang bis zu Ende durchblättert, und woraus er beim Frühstücke seiner Gattin die interessantesten Neuigkeiten vorliest. Die alte Frau ist, wie die Hyacinthengläser im Wohnzimmer und die Geranientöpfe im kleinen Vorderhofe beweisen, eine große Blumenfreundin. Auch ist sie nicht wenig stolz auf ihren Garten, und wenn einer der vier Stachelbeerstöcke eine größere Frucht trägt, als gewöhnlich, so wird diese sorgfältig unter einem Weinglase auf einem Wandtischchen aufbewahrt, um die Besuche von dem Wunder zu überzeugen; indem man sie auf's Genaueste unterrichtet, daß Herr So und So, den Stock, der die Frucht erzeugt, mit eigenen Händen gepflanzt habe. An einem Sommerabend, wenn die große Gießkanne ungefähr vierzehnmal gefüllt und eben so oft ausgegossen worden ist, und das alte Paar sich durch Hin- und Hertrippeln erschöpft hat, kann man sie ganz glücklich bei einander in ihrem Gartenhäuschen sitzen sehen, an der Ruhe und dem Frieden des Zwielichts sich erfreuend, und die auf den Garten niederfallenden Schatten betrachtend, wie sie allmälig immer größer und ihre Umrisse düsterer werden, und den Farbenschimmer ihrer Lieblingspflanzen verdunkeln – kein übles Sinnbild der Jahre, die geräuschlos über ihren Häuptern dahingerollt und in ihrem Laufe die glänzendsten Farben früherer Hoffnungen und Gefühle – die seitdem längst abgestorben – verdüstert haben. Dieß sind ihre einzigen Erholungen, und weitere verlangen sie nicht; sie tragen die Mittel zur Annehmlichkeit des Lebens und zur Zufriedenheit in sich selbst; ihre einzige Sorge ist, daß das Eine vor dem Andern sterben möchte.

Es ist dieß in der That keine ideale Skizze; nach dieser Zeichnung gab es sonst viele alte Leute, obgleich sich ihre Anzahl vermindert haben mag und vielleicht noch mehr abnehmen wird. Ob wohl die Richtung, welche die weibliche Erziehung heutzutage genommen, indem sie mehr nach schalen Frivolitäten und eiteln Nichtigkeiten haschen lehrt, ein Grund ist, warum unsere Weiber zu jenem stillen häuslichen Glücke, worin sie sich in weit größerem Glanze zeigen können, als in den geräuschvollsten Assembleen, unfähig sind? – Dieß ist eine Frage, die näher zu untersuchen wir keinen Beruf in uns fühlen: wir hoffen nicht.

Wir wollen uns nun zu einem anderen Theile der Londoner Bevölkerung wenden, deren Erholungen wieder eben so verschiedenartig sind, als man sie sich nur immer einbilden kann – wir meinen die Sonntagsfreuden; und somit bitten wir nun unsere Leser, sich einzubilden, als ob sie in einem wohlbekannten ländlichen »Theegarten« an unserer Seite ständen.

Die Hitze ist diesen Tag außerordentlich, und die Leute, die jeden Augenblick in großen Partien anlangen, sehen eben so erhitzt aus, als die frisch angestrichenen Tische, die ganz den Anschein haben, als ob sie rothglühend wären. Welcher Staub, welches Getümmel! Männer und Frauen, Knaben und Mädchen, liebendes und verheirathetes Volk – Püppchen auf dem Arme und Kinder in den Chaischen – Pfeifen und Krabben, Cigarren und Austern – Thee und Tabak! Dort gehen drei Gentlemen in schreienden Westen, mit stählernen Uhrketten Arm in Arm auf und ab spazieren, geben sich ein erstaunliches Air (oder, wie der Gentleman in der nächsten Hütte witzig bemerkt, »treten ungewöhnlich dick auf!«) – Damen, mit großen, langen, weißen Taschentüchern – von der Größe kleiner Tischtücher – in den Händen, jagen sich – in der Absicht, die Aufmerksamkeit vorerwähnter Herren zu erregen – auf das Possierlichste und Interessanteste in dem Grase umher. Ehemänner bestellen – in ihrer ungeheuern Verschwendung die Kosten gar nicht beachtend – Flaschen mit Ingwerbier für die Gegenstände ihrer Liebe, und die besagten Gegenstände drücken große Quantitäten Krabben und Austern hinunter, und denken eben so wenig an ihre eigene körperliche Gesundheit, als an die üblen Folgen. – Knaben mit großen, gerade nur auf ihren Köpfen balancirenden Seidenhüten rauchen Cigarren, und bemühen sich, auszusehen, als ob diese ihnen sehr gut bekämen – Herren mit blauen Westen und rothen Hemden, welche bald sich selbst, bald Anderen mit ihren langen Röcken zwischen die Beine kommen!

 

Ueber das gezierte Wesen einiger dieser Leute müssen wir zwar freilich ein wenig lächeln, Alle aber sind wenigstens reinlich gekleidet, glücklich, und eifrig bemüht, gesellig und guter Laune zu sein. Jene beiden mütterlich aussehenden Frauen mit den schreienden Kleidern, die so zutraulich plaudern und bei jedem vierten Wort ein »Ma'am« einschalten, haben seit ungefähr einer Viertelstunde Bekanntschaft geschlossen, die durch die Bewunderung entstanden ist, welche die Eine dem kleinen Knaben der Andern zollte – jenem kleinen Holden mit dem dreikantigen Rosasammthütchen und schwarzen Federn. Die beiden Männer in den blauen Röcken und kothfarbigen Beinkleidern, die dort auf- und abgehen und ihre Pfeifen rauchen, sind ihre Männer.

Die Gesellschaft in jener gerade gegenüberliegenden Hütte aber bietet uns das genaueste Bild der Mehrzahl der anwesenden Gäste dar. Hier sind Vater und Mutter, die alte Großmutter, ein junger Mann und ein junges Frauenzimmer, und eine Person, die stets bei dem wohllautenden Namen »Onkel Bill« gerufen wird – augenscheinlich der Witzbold der Gesellschaft – bei einander versammelt. Sie haben etwa ein halbes Dutzend Kinder bei sich; aber es ist kaum nöthig, dieses Umstandes zu erwähnen, da er hier eine zu natürliche Sache ist. Jede Frau in »den Gärten« muß, wenn sie eine Zeitlang verheirathet ist, wenigstens zwei- oder dreimal Zwillinge geboren haben, denn sonst wäre es unmöglich, daß die jugendliche Bevölkerung so zugenommen haben könnte. Man beobachte, welch' unaussprechliches Vergnügen der Großmutter Onkel Bill's glänzender Witz macht: »Thee für vier und Brod und Butter für vierzig Personen«; und was für ein lauter Ausbruch von Fröhlichkeit, wenn er ein Papier zusammenwickelt und es dem Aufwärter als »Zopf« am Kragen befestiget! Der junge Mann ist augenscheinlich »der Verlobte« von Onkel Bill's Nichte, und Onkel Bill's Winke: – »Vergessen Sie meiner bei dem Mittagsessen nicht, Sie wissen schon« – »Ich werde mich wohl nach dem Hochzeitkuchen umsehen müssen, Sally« – »Ich bitte mir die Taufpathenstelle bei deinem Erstgeborenen aus« – »Ich wette, es ist ein Knabe,« und so weiter, brachten die jungen Leute eben so sehr in Verwirrung, als sie den Alten Vergnügen machten. Was die alte Großmutter betrifft, so lebt sie in völligem Entzücken und lacht in Einem fort fast zum Ersticken, bis man endlich mit dem Wachholder und Wasser gehörig »den Magen erwärmt« hat, worauf Onkel Bill vorschlägt, nach dem Thee das Glas noch einmal herumgehen zu lassen, blos um sich gegen die Abendluft zu schützen und einen so erstaunlich heißen Tag »comfortabel, und wie es sich gehört, zu beschließen.«

Es ist nun finster geworden und die Leute fangen an, aufzubrechen. Das Feld nach der Stadt hin ist völlig von ihnen übersäet; die Kinderchaischen werden langsam nachgeschleppt; die Kinder sind müde und unterhalten sich und die Gesellschaft durch Schreien, oder wenden sich zu einem angenehmeren Auskunftsmittel – sie schlafen; die Mütter wünschen, wenn sie nur schon zu Hause wären; die Liebhaber werden sentimentaler als je, denn die Zeit der Trennung naht heran; bei der Beleuchtung von zwei Laternen, die zur Bequemlichkeit der Raucher an den Bäumen hängen, sehen die Gärten gewaltig düster aus – und die Aufwärter, die während der letzten sechs Stunden unaufhörlich hin und her jagten, fühlen sich ein wenig ermüdet, wenn sie endlich ihre Gläser und ihre Einnahme zählen.

Zehntes Kapitel
Der Fluß.

»Sind sie ein Freund von Wasserpartien?« wird man in heißen Sommertagen von wahrhaft amphibienähnlich aussehenden jungen Leuten gefragt. »Ein großer«, ist die gewöhnliche Antwort; »Sie nicht auch?« – »So oft es mir möglich ist,« hört man erwiedern, »bin ich auf dem Wasser.« Und dann kommen allerlei Redensarten, welche des Sprechers außerordentliche Bewunderung und Vorliebe für dieses Element ausdrücken. Haben wir nun auch alle Achtung vor den Wasserpartien im Allgemeinen, und vor denen der Kutter-Clubbs im Besondern, so können wir doch die leise Bemerkung nicht unterdrücken, daß gewiß Jedem, der sich schon zuweilen der Themse anvertraut hat, von derlei Wasserpartien einige schmerzliche Erinnerungen geblieben sind. Wer hat je von einer vollkommen glücklich ausgefallenen Wasserpartie gehört? – oder, um die Frage noch verständlicher zu stellen – wer hat je eine gesehen? Wir haben unzähligen solchen Wasserausflügen mit angewohnt, können aber auf das Feierlichste versichern, daß wir uns auch nicht Einer Veranlassung dieser Art erinnern, die nicht mit mehr Unannehmlichkeiten verknüpft gewesen wäre, als man in einem so kleinen Zeitraume von acht oder neun Stunden billigerweise hätte erwarten sollen. Irgend etwas ist stets dabei schlimm abgelaufen. Entweder ist der Kork aus der Salatiere herausgesprungen, oder das sehnsüchtigst erwartete Mitglied der Gesellschaft nicht gekommen, oder hat sich ein höchst widerwärtiger Mensch angeschlossen, oder sind ein paar Kinder in's Wasser gestürzt; oder der Herr am Steuerruder hat die ganze Fahrt über Alles in die größte Lebensgefahr gebracht; oder die Herren, die sich freiwillig zum Rudern erboten, konnten nicht damit umgehen und machten in der That ganz gefährliche Evolutionen, stießen ihre Ruder in's Wasser und konnten sie nicht mehr herausbringen, oder machten erschreckliche Schläge, ohne daß sie diese etwas genützt hätten, purzelten aber in jedem Falle gewaltsam hinterrücks hinein, und streckten den Uebrigen im Boote auf höchst unhöfliche Weise ihre Schuhsohlen entgegen.

Wir müssen übrigens zugeben, daß die Ufer der Themse sehr schön sind, insbesondere bei Richemond, Twickenham und andern entfernteren Orten, wohin man oft will, aber selten kommt; auch ist von »Red-us« rückwärts bis zu der Blackfriars-Brücke ein prachtvoller Wechsel der Scenerie. Das Penitentiary ist ohne Anstand ein stattliches Gebäude, und die fröhliche Jugend, welche diese Flußpartie an Sommerabenden besonders gerne zum Baden erwählt, mag sich von Ferne gar nicht übel ausnehmen; wenn man aber bei der Heimfahrt sich hart am Ufer zu halten genöthigt ist, und die jungen Damen erröthen und beharrlich auf die andere Seite sehen, die verheiratheten Ditto's aber ein wenig zu hüsteln anfangen und ganz starr auf das Wasser blicken, so fühlt man sich gewiß recht unbehaglich – besonders wenn man es sich etwa seit ein paar Stunden nur entfernt hat beigehen lassen, den Sentimentalen zu spielen.

Obwohl nun aber Erfahrung und manche ausgestandene Widerwärtigkeiten uns zu diesem Resultate gebracht haben, so sind wir doch keineswegs für das eigenthümliche Vergnügen und für den Spaß blind, den man als bloßer Zuschauer bei den Freuden der Wasserpartien haben kann. Was kann man wohl Unterhaltenderes finden, als Searle's Yard an einem schönen Sonntagmorgen? Die Fluth ist günstig nach Richmond, und ein Dutzend Boote rüstet sich zur Aufnahme der Gesellschaften, von denen sie bestellt worden sind. Zwei oder drei Burschen in weiten groben Beinkleidern und Guernseyhemden treffen Vorbereitungen zur Abfahrt, ohne sich übrigens sehr zu beeilen, sie kommen mit ein paar Rudern und einem Kissen den Hof herab, treiben dann Possen mit dem »Jack«, der, wie Alle seines Gleichen, zu nichts als zum Herumlungern nütze zu sein scheint, gehen hierauf zurück, und bringen eine Ruderleine und einen Fußstock, treiben abermals neue Possen und stehen dann herum, die Hände in ihren weiten Taschen, und wundern sich, wo die Herren wohl bleiben, die den Sechsruderer bestellt haben. Einer von ihnen, der Oberbootsmann, der seine Beinkleider sorgfältig unten aufgestülpt hat – wie wir vermuthen, um das Wasser zuzulassen, denn in diesem Elemente ist er weit mehr zu Hause, als auf dem Lande – ist ein Charakter ganz wie der dahingeschiedene Austernverschlinger Dando, dessen berühmten Namen er auch führt. Man beobachte ihn nur, wenn er einige Minuten von seinen Beschwerden ausruht, sich dazu nachlässig in einen Winkel des Bootes setzt, und seine breite, behaarte Brust mit einer kaum halb so zottigen Mütze fächelt. Man sehe seinen stattlichen, wenn gleich etwas röthlichen Bart, und gebe auf seinen, ihm gewissermaßen angeborenen Humor Acht, mit dem er die Jungen und Lehrlinge neckt, oder von den Gentlemen listig etwas zu einem Glase GeneverA6 herauszulocken weiß, von dem er, wie wir wohl annehmen dürfen, so viel in einem Tage zu sich nimmt, als sechs gewöhnliche Menschen, ohne daß es im Geringsten schlimmer um ihn stände.

Endlich kommt die Gesellschaft, und Dando wird aus seiner Ungewißheit gerissen und in Thätigkeit versetzt. Die Herren rücken in vollständigem Wassercostüme an – mit runden, blauen Jacken, gestreiften Hemden, und Mützen von allen möglichen Größen und Formen, von der schlafkappenähnlichen Sammetmütze französischen Fabrikats, bis zu der leichten Kopfbedeckung, welche, wie denen bekannt, die sich noch des alten Abcbuchs bedient, nach Maßgabe des vorgesetzten Porträts einen Theil von dem Costüme des ehrwürdigen Mr. Dilworth ausgemacht hat.

Dieß ist die amüsanteste Zeit, um eine der regelmäßigen Sonntags-Wasserpartien mit anzusehen. Ohne Zweifel haben bisher Alle sehr mit ihren Kenntnissen vom Schifffahrtswesen geprahlt; plötzlich kühlt aber der Anblick des Wassers ihren Muth, und es ist nun höchst ergötzlich anzusehen, mit welcher Selbstverläugnung Jeder den Andern auffordert, ein Ruder zur Hand zu nehmen. Wenn endlich, nach vielem Wechseln und Hin- und Herrennen, die Wahl der Ruderer getroffen ist, kann der Eine nicht auf dieser, der Andere nicht auf jener Seite, und ein Dritter gar nicht rudern; aber die Mannschaft sitzt einmal. »Abgestoßen!« ruft nun der Bootsmann, und sieht eben so unbefangen und behaglich aus, als ob er in der Bai von Biscaya steuerte. Der Befehl wird befolgt; das Boot dreht sich alsbald völlig rund um und dahin geht es durch die Westmünsterbrücke mit einem so unerhörten Spritzen, Ringen und Wogen, wie man noch nie gesehen, außer wenn der Royal George die Themse hinabfährt. »Rückwärts gerudert, Sir!« schreit Dando; »rückwärts, Sir, Sie dahinten;« worauf Jeder glaubt, er sei gemeint, und das Boot geht nun rückwärts, den Stern voran, gerade dem Platze zu, den sie soeben verlassen haben. – »Rückwärts gerudert, Sie, Herr, da hinten; wenden Sie, Sir, vorne; können Sie nicht?« schreit Dando, halb rasend. »Wenden Sie doch, Tom, können Sie denn nicht?« ruft Einer aus der Gesellschaft. »Nein, er kann nicht,« sagt ein Anderer. – »Ja, ja, jetzt geht's,« ruft ein Dritter; und der unglückliche junge Mann rudert, auf die Gefahr hin, ein Blutgefäß zu zersprengen, unaufhaltsam darauf los, bis das Boot endlich ganz hübsch die Richtung nach der Vauxhall-Brücke hat. »So ist's recht – nun lustig zugerudert!« ruft Dando wieder, und sagt leise zu Einem neben ihm: »Ich will des Henkers sein, wenn ich je so muffige Kerls gesehen habe.« Und fort juckt das Boot im Zickzack, während jedes der sechs Ruder zu verschiedenen Zeiten in's Wasser kommt. Der Hof ist nun leer, bis wieder eine neue Gesellschaft anlangt.

Ein gut ausgeführtes Wettrennen auf der Themse mit Ruderbooten ist ein hübscher und interessanter Anblick. Das Wasser ist mit Fahrzeugen jeder Art übersäet – alle Kohlenbarken auf den verschiedenen Werften sind mit Zuschauern angefüllt – Bier und Tabak in Hülle und Fülle – Männer, Weiber und Kinder sehen dem Beginnen in athemloser Erwartung entgegen – sechs- und achtruderige Kutter gleiten leicht und zierlich hin und her, und warten nur darauf, ihre Protégés während des Rennens zu begleiten – Musikbanden tragen viel zur Belebung, wenn auch nicht zur Harmonie der Scene bei – zahllose Schiffleute stehen gruppenweise auf den zu den Docks führenden Treppen bei einander und handeln die verschiedenen Verdienste der Canditaten ab – und das Preisboot, das langsam von ein paar Bootsleuten herumgerudert wird, ist der Gegenstand des allgemeinen Interesses.

Es schlägt zwei Uhr, und Jedermann sieht ängstlich nach der Brücke hin, durch welche die Preiscanditaten kommen sollen – halb drei Uhr – die allgemeine Aufmerksamkeit, die sich so lange erhalten hat, beginnt nachzulassen, als man plötzlich einen Kanonenschuß und mit ihm den Lärm des entfernten Hurrahrufens auf beiden Ufern des Flusses hört – Alles reckt die Köpfe – der Lärm kommt näher und näher – die Fahrzeuge, die an der Brücke gewartet haben, werden plötzlich lebendig – eine wohlbemannte Galeere fährt durch den Bogen und ruft den Booten hinter ihr, die man noch nicht sehen kann, ermunternd zu.

 

»Da kommen sie,« schreit Alles – und wie ein Pfeil schießt das erste Boot – dessen Bemannung fast bis auf's Hemde entkleidet ist und jede Muskel anstrengt, um den bereits erlangten Vorsprung nicht zu verlieren – durch den Brückenbogen – vier weitere Boote folgen hart nach ihm – kaum zwei Bootslängen hinter dem ersten – das Geschrei ist fürchterlich und die Theilnahme allgemein. »Fahr' zu, Nelke!« – »Stich' sie, Rother!« – »Sullivin, hoch!« – »Bravo, George!« – »Nun, Tom, nun, – warum ist denn dein Kamerad so faul?« – »Zwei Krüge Porter gegen eine Pinte, der Gelbe gewinnt« – und so weiter. Jede Kneipe am Strand feuert ihre Böller ab und hißt ihre Flagge auf, und wen der Durst hineintreibt, der kommt mitten in einen wahren Teufelslärm und in eine Verwirrung sonder Gleichen, welche sich Niemand, der sie nicht selbst mit angesehen hat, denken kann, und von der jede Schilderung nur ein schwaches Bild zu geben vermag.

Zu den amüsantesten Plätzen, die wir kennen, gehört unstreitig die Dampfschiffwerft an der London-Bridge, oder der Kay der St. Katharinens-Dock-Compagnie, an einem Sonnabendmorgen zur Sommerszeit, wo die Gravesend- und Margate-Dampfboote gewöhnlich bis zum Uebermaße angefüllt sind; und da wir eben einen Blick über die Brücke auf den Fluß geworfen haben, so hoffen wir, unsere Leser werden nichts dagegen haben, uns an Bord eines Gravesend-Packetschiffes zu begleiten.

Jeden Augenblick halten Kutschen am Eingange des Kay's, und es ist fast zum Todtlachen, wenn man sieht, in welch verblüfftem Staunen sich die Passagiere darin ergeben, wenn ihnen die Träger ohne Weiteres, als wenn sich dieß von selbst verstände, ihr Gepäck entreißen und damit fortrennen, der Himmel weiß wohin. Ein Margateboot hat an dem Werft angelegt, das Gravesendboot (das zuerst abgeht) liegt unmittelbar an diesem, und da durch übergelegte Planken mit einem Geländer einstweilen eine Verbindungsbrücke zwischen beiden Booten hergestellt ist, so trägt dieß nicht wenig dazu bei, die Verwirrung der Scene, welche ohnedieß schon groß genug ist, noch zu erhöhen.

»Gravesend?« fragte der starke Vater einer nicht minder starken Familie, die ihm unter dem Schutze der Mutter und einer Magd nachfolgt, wobei kein kleines Risico ist, daß nicht zwei oder drei von den Kindern in der Verwirrung verloren gehen. »Gravesend?«

»Gehen Sie nur gefälligst zu, Sir,« erwiederte der Aufseher. – »Das zweite Boot, Sir.«

Der Herr Papa, der nun eigentlich erst nicht weiß, woran er ist, und die Frau Mama, die eigentlich vor Besorgniß um ihre Küchlein ganz weg ist, sammt der ganzen Gesellschaft lassen sich nun in dem Margate-Boote nieder, wünschen sich Glück, daß sie noch so bequeme Sitze erhalten haben, und dann eilt der besorgte Vater zu dem Dampfkamine, um nach seinem Gepäcke zu sehen, von dem ihm eine dunkle Erinnerung vorschwebt, daß er es irgend einmal einem Manne gegeben habe, um es irgend wohin zu tragen. Aber kein Packet, das auch nur die entfernteste Aehnlichkeit mit dem seinigen weder in Größe noch Gestalt hätte, kann er entdecken, worauf der starke Vater sich sehr laut an einen Angestellten des Boots wendet und ihm den Fall in Gegenwart des Vaters einer andern Familie vorträgt, der ein kleiner schmächtiger Mann ist und vollkommen mit ihm (dem starken Vater) derselben Meinung ist, es sei hohe Zeit, daß endlich einmal etwas mit diesen Dampfboot-Compagnien geschehe, und wenn es die Corporationsbill nicht thun wolle, so müsse es Jemand anders thun; denn wahrlich, so dürfe man mit dem Eigenthum der Leute nicht umgehen; wenn das Gepäck nicht im Augenblick zur Stelle geschafft würde, so wolle er Sorge tragen, daß es in den Zeitungen bekannt gemacht werde, denn das Publikum brauche sich nicht zum Opfer solcher Monopolien machen zu lassen; worauf der Angestellte erwiedert, daß die Compagnie stets, seit sie als St. Kat'rine's Dock Company bestehe, Leben und Eigenthum in Schutz genommen hatte; wenn es die London-Bridge-Wharf-Company gewesen wäre, dann würde es ihn freilich nicht Wunder nehmen, denn er wisse leider wohl, daß die Moralität dieser Compagnie gar keine Garantie darbiete (sie sind nämlich Konkurrenten); er sei indeß überzeugt, daß hier nur ein Mißverständniß obwalte, und erbiete sich, einen feierlichen Eid abzulegen, daß der Herr sein Gepäcke finden werde, noch ehe er nach Margate komme.

Hier glaubt nun der starke Vater einen kapitalen Einwurf zu machen, wenn er erwiedert, daß er zufällig gar nicht im Sinne habe, nach Margate zu fahren, und daß auf dem Gepäcke mit schönen großen Buchstaben geschrieben stehe: »Passagiersgut nach Gravesend,« worauf der Angestellte hastig das Mißverständniß auseinandergesetzt und die Mutter, Magd und Kinder mit aller möglichen Eile an Bord des Gravesend-Boots spedirt werden, welches sie gerade noch zeitig genug erreichen, um die Entdeckung zu machen, daß wohl ihre Effecten aber die bequemen Sitze nicht mehr da sind. Jetzt ertönte die Glocke, welche das Zeichen zur Abfahrt des Gravesend-Bootes gibt, wie rasend, und es ist die höchste Zeit für die Leute, im Doppelschritt hinein oder heraus zu rennen; die Glocke schweigt, das Boot fährt ab; Leute, die von ihren Bekannten an Bord Abschied nehmen wollten, werden gegen ihren Willen mit fortgenommen, und andere, die sich von ihren Bekannten am Ufer verabschiedet haben, finden, daß dieß eine sehr unnöthige Ceremonie war, denn sie werden gar nicht mitgenommen. Die regelmäßigen Passagiere, welche Billete für die ganze Saison haben, gehen zum Frühstücke hinab; wer Morgenblätter gekauft hat, schickt sich an, sie zu lesen; und wer vorher noch nie den Fluß hinabgefahren ist, denkt, daß sowohl die Schiffahrt als das Wasser in der Ferne sich doch um ein Ziemliches besser ausnähmen.

Sind wir aber endlich in die Gegend von Blackwall gekommen, wo die Bewegung lebendiger zu werden beginnt, so ermuntern sich auch allmälig die Lebensgeister der Passagiere. Alte Frauen mit großen geflochtenen Handkörben gehen ernstlich an's Werk, tüchtigen Butterbroden den Garaus zu machen, und lassen dazwischen ein Weinglas herumgehen, welches häufig aus einer wie ein Magenwärmer aussehenden Flasche wieder gefüllt wird, wobei dann nicht wenig Fröhlichkeit herrscht; sie reichen es zuerst dem Gentleman mit der Fourragiermütze, der die Harfe spielt, theils zum Zeichen ihrer Zufriedenheit mit seinen bisherigen Leistungen; theils damit er dem »Alick,« der darnach tanzen möchte, den Dumbeldumdery spiele. Dieß geschieht sofort auch, und Alick in rothen wollenen Socken macht, zur unaussprechlichen Zufriedenheit des ganzen Familienzirkels, einige schwerfällige Sprünge auf dem Decke.

Junge Frauenzimmer, die den ersten Band eines neuen Romans im Arbeitsbeutel mitgebracht haben, werden außerordentlich sentimental, und verbreiten sich gegen Herrn Brown oder den jungen Herrn O'Brien, der ihnen über die Schulter gesehen, in sehr weitläufigen Redensarten über den blauen Himmel und die Klarheit des Wassers, worauf Herr Brown oder Herr O'Brien, wie es sich gerade trifft, in schmachtendem Tone erwiedert, daß er gegenwärtig kein Gefühl für die Schönheiten der Natur habe, und daß alle seine Gedanken und Wünsche sich nur in Einem Gegenstand concentrirten, worauf die junge Dame aufsieht, da ihr aber der Versuch, sich den Anschein zu geben, als merke sie nicht, was jener damit sagen wolle, nicht gelingt, so sieht sie wieder auf ihr Buch und kann das folgende Blatt nur mit großer Schwierigkeit umwenden, um Gelegenheit zu geben, ihre schöne Hand noch länger bewundern zu lassen.

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