Gesicht des Mordes

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Из серии: Ein Zoe Prime Fall #2
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KAPITEL ZWEI

Wenigstens dem Mittagessen konnte Zoe freudig entgegensehen. Es war lange her, dass sie ihre Mentorin persönlich hatte treffen können und sie hatte sich darauf gefreut. Das Wissen, dass etwas Schönes sie erwartete, hatte ausgereicht, um sie durch die Therapiesetzung zu bringen.

Dr. Francesca Applewhite, eine Mathematikprofessorin, die an Zoes College gelehrt hatte, war eine der besten Personen gewesen, denen Zoe in ihrem Leben je begegnet war. Damals, noch ein Teenager und mit der geselligen Atmosphäre im Studentenwohnheim überfordert, hatte es sie skeptisch gemacht, dass sie mit einer weiteren Expertin reden sollte. Aber es hatte sich herausgestellt, dass die Professorin sie völlig verstand – sah, dass sie eine besondere Gabe hatte; etwas, das gefördert werden musste. Sie hatten mit privatem Einzelunterricht angefangen, welcher ihre Fähigkeit auf die nächste akademische Stufe heben sollte. Alles andere hatte sich von da aus entwickelt.

„Doktor“, begrüßte Zoe sie, als sie ihren Tisch erreichte und sich auf den freien Stuhl fallen ließ. Dr. Applewhite war zweifellos schon einige Zeit dort, wenn man von der halbleeren Kaffeetasse und dem zerlesenen Taschenbuch in ihren Händen ausging. Zoe fiel auf, dass die grauen Strähnen allmählich die Überhand in ihrem einst dunklen Haar gewannen, ein starker Gegensatz zu ihrer Erinnerung an die Professorin bei ihrer ersten Begegnung.

Dr. Applewhite schob ein Lesezeichen zwischen die Seiten, legte das Buch hin und lächelte, als sie aufsah. „Meine Lieblingsabsolventin. Wie behandelt das FBI dich?“

Sie hatte guten Grund für diese Frage. Es war immerhin auf ihren Vorschlag hin geschehen, dass Zoe eine Karriere in der Strafverfolgung eingeschlagen hatte. Nachdem ihr Kollege, einer von Zoes Mathematiklehrern, sie kontaktiert hatte, hatte sich Zoes ganzes Leben geändert. Sie wusste genau, wem sie das zu verdanken hatte.

„Gut. Mit meiner neuen Partnerin komme ich zurecht“, sagte Zoe. Sie nahm ihre Speisekarte, um die Gerichte durchzusehen, auch wenn es kaum nötig war. Sie wusste schon, was sie bestellen wollte. Ein rascher Blick auf die Länge der Spalten und Zeilen zeigte ihr, dass nichts Neues hinzugefügt worden war, und sie trafen sich immer zum Mittagessen hier.

Dr. Applewhite lehnte sich vor, um einen Kellner auf sich aufmerksam zu machen, und während die Professorin ihm zusah, wie er hinüberkam, betrachtete Zoe stattdessen sie. Sie erinnerte sich an jene erste Begegnung. Wie Dr. Applewhite echtes Interesse an dem gezeigt hatte, was Zoe zu sagen gehabt hatte, einer der wenigen Menschen in ihrem Leben, der ihr tatsächlich zugehört hatte. Die ältere Frau hatte seitdem mehrere Kilo zugenommen, aber nie auch nur ein Gramm des Mitgefühls verloren, das sie einer jungen Frau gezeigt hatte, die nicht wusste, wo ihr Platz in der Welt war.

Ihre Beziehung war mit der Zeit gewachsen. Zoe brauchte lange, um ihr zu vertrauen, sie an sich heranzulassen. Aber letztlich hatte sie ein Risiko eingehen, ihr Geheimnis offenbaren müssen. Ihr von den Zahlen erzählen müssen.

Es war nicht einfach gewesen. Nach so vielen Jahren, in denen Zoes Mutter ihr gesagt hatte, dass ihre Gaben ihr vom Teufel verliehen worden waren, hatte sie oft festgestellt, dass die Worte ihr im Hals steckenblieben. Aber Dr. Applewhite war begeistert, nicht entsetzt, gewesen, von Zoes Fähigkeiten zu erfahren. Von da an war ihre Verbindung nur stärker geworden.

„Wie ist es mit Dr. Monk?“ fragte Dr. Applewhite, nachdem Zoe ihre Bestellung aufgegeben hatte. Ihre Augen funkelten schelmisch. „Sie sagte mir, dass du meiner Empfehlung gefolgt bist.“

Zoe konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Kontrollieren Sie mich?“

„Ich muss immer ein Auge auf meine Lieblinge haben“, lachte Dr. Applewhite. Es war ein ständiger Witz zwischen ihnen. Dr. Applewhite sollte natürlich keine Lieblinge haben. Aber Zoe hatte ihrer Karriere auf vielerlei Art geholfen, ebenso wie Dr. Applewhite Zoe beim Wählen ihrer Karriere unterstützt hatte. Dr. Applewhite hatte sich letztlich auf die Erforschung von Synästhesie im Hinblick auf Mathematik spezialisiert und war nun Mentorin für einige andere, die die gleichen Fähigkeiten wie Zoe hatten. Mehr oder weniger jedenfalls.

„Die Sitzungen laufen gut“, gab Zoe zu. „Dr. Monk hat einige gute Erkenntnisse. Ich kann verstehen, warum Sie sie mögen.“

„Sie hat einen ausgezeichneten Ruf. Irgendwelche Fortschritte, die du mir mitteilen kannst? Oder ist es alles zu persönlich?“

Zoe zuckte mit den Schultern, betrachtete die fünf Zentimeter Wasser am Boden der Vase auf ihrem Tisch, die nicht ausreichen würden, um die zwei Chrysanthemenstängel lange zu versorgen. Die inneren Berechnungen, wie lange es bis zum völligen Verwelken dauern würde, lenkten sie genug ab, dass sie ihre Gedanken aussprechen konnte. „Sie sagte, ich sollte auf mehr Verabredungen gehen.“

Dr. Applewhite grinste herzlich, ihr eigener Ehering funkelte im Sonnenlicht, als sie ihre Kaffeetasse an den Mund führte. „Sie könnte recht haben.“

„Ich glaube wirklich nicht, dass das die Lösung all meiner Probleme sein wird“, schnaufte Zoe, während sie die vom Kellner gebrachte frische Tasse Kaffee an den Mund führte.

„Vielleicht nicht aller, aber einiger“, sagte Dr. Applewhite, jetzt ernst. „Ich sage nicht, dass du dich dafür schlecht fühlen musst, wie du bist. Du funktionierst – noch mehr als das. Du hast es in einen Vorteil für deine Arbeit verwandelt. Andere sind nicht so leistungsfähig wie du. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Du weißt, dass ich das tue.“

Zoe nickte. „Das weiß ich zu schätzen“, sagte sie. Sie hatte begriffen, dass Dr. Applewhite alles in allem eventuell der einzige Mensch auf der Welt war, der sich tatsächlich Sorgen um sie machte. Wenigstens einen Menschen zu haben, war ein Trost.

Bevor sie den Gedanken beenden und sogar so weit gehen konnte, die Empfehlung, John anzurufen, ernst zu nehmen, klingelte ihr Handy in ihrer Tasche. Zoe holte es raus. Als sie Shelleys Namen auf dem Display sah, nahm sie den Anruf entgegen.

„Special Agent Zoe Prime.“

„Hey, Z. Ich hoffe, du machst gerade nichts Schönes.“

Zoe seufzte und sah auf ihre halb aufgegessene Mahlzeit hinunter. Sie hatte den Geschmack nicht wirklich wahrgenommen, da ihre Gedanken woanders waren. „Ich nehme an, wir haben einen Fall.“

„Ich treffe dich in dreißig Minuten im Hauptquartier. Der Chief sagt, es ist eine große Sache.“

Zoe lächelte Dr. Applewhite entschuldigend an, aber die Ärztin winkte sie schon fort. „Erfülle deine Pflicht, Agent. Aber es gibt noch eine Sache, die ich dir sagen möchte …“ Dr. Applewhite zögerte, holte Luft. Sie schien unwillig, zu reden, fuhr aber fort, sah dabei auf Zoes halbleeren Teller. „Einer der anderen in meiner Forschungsgruppe – ein anderer Synästhetiker. Wir dachten, es würde ihm besser gehen, aber … es tut mir leid, das zu sagen, aber er hat sich letzte Woche umgebracht. Er hatte außer mir niemanden, der ihn unterstützte und es somit schwer. Wir Menschen brauchen andere Menschen um uns herum, um uns emotional zu unterstützen. Alle von uns brauchen das. Auch die, die ein wenig anders denken.“

Zoe hielt inne, starrte hinunter in ihre Kaffeetasse, die ein paar Millimeter zu wenig gefüllt war, lehnte sich dann Unterstützung suchend gegen den Stuhl. Sie hatte nie Anstalten gemacht, jemanden aus Dr. Applewhites „Forschungsgruppe“ – Testobjekte nannte Zoe sie gedanklich, wenn sie in unfreundlicher Stimmung war – kennenzulernen, aber die Nachricht war trotzdem ein Schlag. Jemand wie sie, der aus dem einzigen Grund sterben wollte, dass er genauso war wie sie. Das war allerdings hart zu schlucken.

Sie hob mechanisch ihre Tasche hoch, ging weg, ohne ihre Umgebung wirklich wahrzunehmen. In ihrem Kopf richtete sie ihre Gedanken neu aus. Dachte zurück an Dr. Monks Bemerkungen. So arbeitet man auf seine Ziele hin. Ein Schritt nach dem anderen.

Was hatte sie wirklich in ihrem Leben? Eine Mentorin, die einer Mutterfigur ähnlicher war, als jede andere Person, die sie je finden würde. Eine Partnerin – Shelley – die einer Freundin noch am ähnlichsten war. Zwei Katzen, Euler und Pythagoras – und obwohl sie sie beide liebte, wusste sie, dass es in der Natur von Katzen lag, dass es ihnen genauso gut gehen würde, wenn sie weg war und sie bei jemand anderem lebten. Eine Karriere, die öfter auf der Kippe stand als sich weiterzuentwickeln, auch wenn momentan eine der besseren Phasen war. Eine kleine Wohnung für sich.

Und eine Störung, oder eine Fähigkeit, oder wie auch immer man es nennen wollte, die sie so anders machte, dass Leute wie sie sich selbst töteten.

Es war ein ernüchternder Gedanke.

KAPITEL DREI

Zoe ging durch die Flure des weitläufigen FBI-Hauptquartiers in Washington D.C. auf das Besprechungszimmer zu, wo Shelley warten würde. Solche Gebäude wirkten auf Zoe beruhigend: vor ausreichend langer Zeit gebaut, aber mit genug Planung und Präzision, dass man jede Etage gut einschätzen und sich dort zurechtfinden konnte.

Das J. Edgar Hoover-Gebäude war durchdacht gebaut worden. Obwohl es von außen viereckig und grau war, die Art  Architektur, die Leute als Bausünde bezeichneten, liebte Zoe genau diese blockartige geometrische Komposition. Die Flure zweigten auf genau die gleiche Art ab, ganz gleich, wo man den Aufzug verließ, und die Zimmer waren logisch nummeriert. Zimmer 406 war, ziemlich selbstverständlich, die sechste Tür, die man erreichte, wenn man im vierten Stock aus dem Aufzug ausgestiegen war. Das war unfassbar erfreulich. Nicht alle Gebäude waren gleich geschaffen.

Shelley saß tatsächlich bereits im Besprechungszimmer, sah  Notizen durch, sowie Farbfotografien, die in ordentlichen Abständen auf einem Besprechungstisch ausgelegt waren. Sie sah auf und lächelte, als Zoe eintrat.

 

Zoe konnte nicht ganz begreifen, wie Shelley, mit einem kleinen Kind zu Hause und keinem nennenswerten Vorteil hinsichtlich der Entfernung, vor ihr im Hauptquartier hatte sein können. Nicht nur das, aber wie konnte sie in ein Kostüm gekleidet sein, das ihre kurvige, aber schlanke Figur untermalte, die Winkel zwischen Hüfte, Taille und Brust akzentuierte, ohne einen Fleck des üblichen Schmutzes, der sich erwartungsweise im Umfeld eines Kleinkindes bildete. Und wie konnte sie so perfekt zurechtgemacht sein, mit einem leichten Hauch eines rosa Lippenstifts auf dem Mund und ihrem blonden Haar lässig in einem Chignon zurückgehalten. Aber so war es.

Ihr Vorgesetzter, Special Agent in Charge Leo Maitland, stand vorne im Zimmer und wartete mit der angespannten Ungeduld eines Jaguars auf der Jagd. Er war ein Army-Veteran mit soldatischer Haltung und nach einer erfolgreichen Karriere mit zahlreichen Beförderungen war er nach Hause zurückgekehrt, um in die Strafverfolgung zu wechseln. Das war alles fünfzehn Jahre zuvor geschehen, aber die ergrauenden Haare an seinen Schläfen waren kein Zeichen, dass er weniger Kämpfer als zuvor war. Er war 1,87 m groß, mit einem Brustumfang von hundertdreizehn Zentimetern und einem Bizeps von siebenunddreißigeinhalb Zentimetern, der die Säume seiner Uniform dehnte.

„Ah, Special Agent Prime“, sagte er. „Willkommen. Ich habe Ihrer Partnerin die Einsatzbesprechungsnotizen gegeben. Setzen Sie sich bitte und sehen sie sich an.“

Zoe gehorchte und stellte einen Kaffee zum Mitnehmen vor Shelley ab. Es war ihnen zur Gewohnheit geworden. Zoe steuerte den Kaffee bei und Shelley würde die gesamte höfliche Konversation beisteuern, die während des Falles gebraucht wurde. Jede von ihnen kümmerte um etwas, das sie tatsächlich auch fertigbrachte.

„Special Agent Rose hat die gesamten Informationen, aber ich gebe Ihnen einen Überblick. Wir haben schon zwei Leichen und es sieht nach einem hiesigen Fall aus, also werden Sie nicht reisen müssen.“

Maitland verschränkte seine Arme vor der Brust, woraufhin das Material seines Anzugs um seine Schultern herum sichtbar an seine Grenzen geriet. „Wir werden von der Lokalpresse ziemlich unter Druck gesetzt werden, da eines der Opfer recht bekannt war. Ihnen ist zweifellos bewusst, wie dringend ein dritter Todesfall und die Verwendung des Begriffs ‚Serienmörder‘ durch die Presse verhindert werden müssen.“

Zoe nickte. Eine solche Berichterstattung könnte Hysterie verursachen und letztlich die Fallaufklärung behindern. Auch würden dadurch die Nachrichten weiter verbreitet werden – und das bedeutete, dass sie es mit mehr nationaler oder sogar internationaler Presse zu tun bekommen würden. FBI-Agenten waren daran gewohnt, unter hohem Druck zu arbeiten, aber das bedeutete nicht, dass sie es schätzten. Besonders Zoe nicht, die Mikrofone zählen und die Längen der Fernsehkamerakabel analysieren würde, anstatt sich auf ihre Rede bei der Pressekonferenz zu konzentrieren.

„Angesichts Ihrer Verspätung …“ fuhr Maitland fort. Zoes Mund öffnete sich zum Protest, aber sie klappte ihn zu. Sie hatte sich an diesem Morgen für ihren Brunch freigenommen, als Ausgleich zu den vielen, vielen unbezahlten Überstunden, die sie geleistet hatte. Sie war kaum zu spät. Aber man widersprach dem Special Agent in Charge des J. Edgar Hoover-Gebäudes nicht. „Ich habe Ihre Partnerin schon informiert. Ich werde es ihr überlassen, Ihnen die Einzelheiten mitzuteilen. Angesichts Ihrer Neigung für Mathematik waren wir der Meinung, dass dieser Fall perfekt zu Ihren Fähigkeiten passt. Lassen Sie mich nicht hängen.“

Maitland rauschte aus dem Raum, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Zoe bemerkte, wie seine Hand direkt in seine Tasche griff, als er den Raum verließ und nahm an, dass die zweieinhalb Zentimeter dicke Ausbeulung wahrscheinlich ein Handy war. Er war ein beschäftigter Mann, der Anrufe zu machen und weitere Informationen weiterzugeben hatte. Sie würden ihn wahrscheinlich nicht oft sehen, bis der Fall erledigt war – sofern sie keinen Mist bei irgendetwas bauten, dann würde er wie eine Tonne Ziegelsteine auf sie herniederstürzen.

In Anbetracht von Maitlands Größe und der Tatsache, dass eine Tonne eintausend Kilo beinhaltete, war er nicht wirklich wie eine Tonne Ziegelsteine. Eher ein Zehntel davon.

„Zwei Opfer“, sagte Shelley und sicherte sich Zoes Aufmerksamkeit ohne eine höflich-triviale Einleitungsbemerkung. Sie begann, Zoe besser kennenzulernen und musste mittlerweile bemerkt haben, dass solche Bemerkungen keine positive Wirkung auf ihre Beziehung hatten. Seit Beginn ihrer Zusammenarbeit hatte Zoe eine mindestens siebzigprozentige Verminderung von Plauderei bemerkt. „Beide in unserem eigenen Hinterhof. D.C. Metropolregion.“

„Ich hoffe, nicht in einem unserer tatsächlichen Hinterhöfe. Man sollte meinen, dass wir als Bundesagenten es bemerken würden.“

Shelleys Augen blitzten auf, als sie Zoe einen leichten Rippenstoß gab. „War das ein richtiger Witz? Was ist in dem Kaffee?“

„Ich habe mich heute Morgen mit einer alten Freundin getroffen. Ich nehme an, es hat mich in gute Stimmung versetzt.“

„Dann tut es mir leid, das unterbrochen zu haben.“ Shelley deutete auf die zwei Akten zu den Opfern, sorgfältig ausgebreitet und absichtlich auseinandergehalten. „Das ist das erste Opfer, vor ungefähr einer Woche. Er war ein junger Masterstudent, der auf dem Campus von Georgetown gefunden wurde. Sein Kopf war mit einem schweren Gegenstand eingeschlagen worden – die Gerichtsmedizin meint, dass es wahrscheinlich ein Baseballschläger war.“

„Sechs Tage“, murmelte Zoe, während ihre Augen die Akte überflogen. Sie las seine Daten: 1,80 m groß, zweiundachtzig Kilo, dreiundzwanzig Jahre alt.

„Entschuldige, ja.“ Shelley musste sich offensichtlich noch an die Präzision gewöhnen, die Zoe erwartete, auch wenn sie es einfach fanden, sich in anderen Bereichen aufeinander einzurichten. „Das zweite Opfer ist von gestern Abend. Ein Englischprofessor aus Georgetown, sein Kopf wurde mehrfach gegen sein eigenes Auto geschlagen, bis irreparable Schädelverletzungen entstanden waren.“

„Das College ist die Verbindung.“

„Nicht nur das.“ Shelley sah die Fotografien durch, zog Aufnahmen von oben heraus, die den gesamten Tatort zeigten. „Beiden war das Hemd aufgerissen worden – und ich meine aufgerissen, mit einiger Gewalt. Es scheint, als ob der reine Mordakt nicht reichte, um die Wut des Mörders zu befriedigen. Dann sind da diese … nun, sieh es dir selbst an.“

Zoe riss die Fotos fast aus Shelleys Händen. Sie hatte die Form der auf die Brustkörbe der beiden Männer geschriebenen Zeichen schon fast erkannt und ein genauerer Blick bestätigte es. Sie waren beide mit komplizierten mathematischen Gleichungen beschriftet worden – kompliziert genug, dass Zoe sich einen Stuhl hervorzog und sich setzte, ohne die Augen abzuwenden.

„Wurden die hier schon irgendwelchen potentiellen Zeugen gezeigt? Freunde, Fakultätsmitglieder, Studenten?“

„Im Fall des ersten Opfers ja. Die örtlichen Polizisten haben das Bild herumgezeigt. Natürlich stark beschnitten, um nur die Formel selbst zu zeigen. Sie haben diesen Morgen gerade das andere Bild in Umlauf gebracht, obwohl wir immer noch einige weitere Spuren finden werden, nehme ich an.“

„Und?“

Shelley zuckte mit den Schultern. „Niemand weiß, was es bedeutet.“

Zoe wusste nur zu gut, dass die Mathematikabteilung von Georgetown über viele gute Spezialisten verfügte. Wenn diese es nicht herausfinden konnten, bedeutete das, dass es eine hochkomplizierte Gleichung war. „Es sieht aus wie Quantenmathematik.“

„Das haben einige der Professoren auch gesagt. Aber sie erkennen es nicht als irgendetwas, das einer von ihnen je zuvor gesehen oder mit dem einer von ihnen je gearbeitet hätte.“

Zoe starrte weiter auf die Gleichung, ihre Gedanken rasten vorwärts und durch alle komplexen Zeichen und Zahlen und Buchstaben, versuchten, zumindest einen Eingang in das Muster zu finden. „Welche anderen Spuren haben wir?“

Shelley sah einige weitere Seiten durch. „Ich war gerade dabei, als du hereinkamst. Lass mal sehen … die Mitbewohner und Freunde des Studenten wurden alle befragt, ebenso seine Familie und das Lehrpersonal. Er war in einer nicht von Kameras überwachten Gegend des Campus, direkt in einem toten Winkel.“

„Bequem“, seufzte Zoe. Sie wünschte sich, dass sie nur ein einziges Mal einen Fall bekommen würden, bei dem die Tat vor Zeugen begangen oder von einer Kamera gefilmt worden war. Natürlich riefen sie das FBI normalerweise nicht zu Fällen hinzu, die einfach lösbar waren.

„Was den Professor betrifft, da sieht es aus, als ob nur am Eingang zur Parkgarage Kameras waren. So viele Leute kommen den ganzen Tag lang herein und heraus und wir haben überhaupt keine Überwachung der Fußgängerausgänge. Die Kameras haben nichts Verdächtiges aufgenommen.“

„Überhaupt keine Spuren“, stellte Zoe fest, stützte ihr Kinn in eine Hand, während sie sich zum siebzehnten Mal die Gleichung ansah. Langsamer, schneller, es machte keinen großen Unterschied. Es ähnelte nichts, das sie je gesehen hatte. Weit über den Level hinaus, bis zu dem sie in ihrer eigenen Collegezeit studiert hatte.

Sie widmete sich der anderen Gleichung, beim Professor. Es schien genau das Gleiche. Was war das?

„Was möchtest du zuerst tun?“ fragte Shelley, beendete ihre Aktendurchsicht.

„Nur eine Sekunde.“ Zoe hatte sich noch nicht einmal die Zeit genommen, die Daten des zweiten Opfers zu überprüfen, aber dafür war noch Zeit. Sie holte ihr Notizbuch und ihren Stift hervor und begann, zu schreiben, machte rasche und deutliche Abdrücke auf dem Papier, als sie einen ersten Lösungsansatz skizzierte. Griechische Buchstaben, Linien, Klammern, nach unten zeigende Dreiecke – alle Symbole in der Quantenmathematik hatte eine identische Bedeutung, die eine Zahl enthüllen würde. M geteilt durch t” minus t’, eins geteilt durch s’, dann addiert zu eins geteilt durch s” und so weiter und so fort, alles, um den Wert von B1 zu finden, der später in eine andere Zeile der Gleichung eingefügt werden könnte, um den Wert eines anderen Zeichens herauszufinden.

Es begann einfach genug. Wenn der Wert von M dem Wert von r’ entsprach, dann ergaben die zwei ersten Zeilen absolut Sinn; aber dann zerstörte die dritte Zeile alles und schien einen völlig verschiedenen Wert für M zu ergeben. Gut, sie probierte es auf andere Weise. Vielleicht entsprach M tatsächlich dem doppelten Wert von r’, was dort immer noch genügend Sinn ergab und die dritte Zeile aufgehen ließ – aber in der sechsten Zeile musste der Wert von M Null erreichen und dann ergab es alles erneut keinen Sinn.

Als Zoe wieder aufsah, wusste sie nicht, wie viel Zeit vergangen war. Irgendwann hatte Shelley sich ihr gegenüber gesetzt und sah sich etwas auf ihrem Handydisplay an.

„Das ergibt keinen Sinn“, verkündete Zoe.

Shelley sah auf, hob eine sorgfältig in Form gezupfte Augenbraue. „Du kannst sie nicht lösen?“

Zoes Lippen wurden zu einer dünnen Linie, bevor sie sich selbst überwinden konnte, es zuzugeben. „Ich kann sie noch nicht lösen“, sagte sie. „Vielleicht übersehen wir irgendeinen Hinweis. Das ist definitiv alles? Es stand nicht noch etwas auf ihren Rücken, oder Armen oder sonst wo?“

„Ich weiß nicht mehr als du“, sagte Shelley. „Ich habe einiges über den Professor nachgelesen. An seinem akademischen Werdegang sticht nichts heraus, auch nichts von dem, was ich online über sein Privatleben finden kann.“

„Prüf die Fotos noch einmal“, schlug Zoe vor, reichte ihr ein Bündel und nahm sich selbst einige. Sie betrachtete die Aufnahmen, ihre Augen nahmen den Winkel der Knochen auf, den Beugegrad des Beines im Tod, die Längen der Risse in ihren Hemden, unter Berücksichtigungder sichtbaren Stärke des Materials und der Nähte. Sie konnte nirgendwo irgendeine Verbindung erkennen. Nicht in ihrer jeweiligen Größe, ihrem Gewicht, ihrem Alter – und keine Spur von weiterer Tinte auf ihrer Haut.

Der besorgniserregende Aspekt war natürlich, dass mathematische Muster einfacher vorherzusehen waren, je mehr Daten man hatte. Zwei Zahlen konnten ohne Verbindung sein, die Möglichkeiten zwischen ihnen unendlich, zu viele, um sich für ein bestimmtes Vorgehen zu entscheiden. Drei Zahlen, nun, das würde einem eher erlauben, gezielter vorzugehen, eine Formel anzufangen. Aber das würde einen weiteren Todesfall erfordern.

Und sie wollten ganz sicher keinen weiteren Todesfall.

„Ich habe nichts“, sagte Shelley, schüttelte ihren Kopf.

„Tauschen wir“, schlug Zoe vor, reichte ihren Packen rüber und nahm dafür Shelleys. „Das einzig Bemerkenswerte ist der Winkel der Wunde auf dem Kopf des ersten Opfers. Der Angreifer war ein wenig kleiner, wahrscheinlich 1,75 m.“

 

Und wieder war es das Gleiche. Das gleiche frustrierende Nichts. Keine Spur von Tinte auf der Kleidung, kein Abdruck der Zahlen unter dem Stoff, nichts in der Umgebung. Die Parkplätze der Parkgarage waren nicht nummeriert, es waren auch keine Zahlen auf den Mauern, den die Decke stützenden Betonsäulen, oder in der Nähe des Fundortes des Studenten auf dem Gras.

Nichts.

Zoe gab auf, schüttelte ihren Kopf. „Ich muss die Leiche des Professors sehen“, sagte sie. „Es ist die einzige Möglichkeit, etwas zu entdecken, das uns die Fotografien nicht schon verraten.“

„Klasse“, sagte Shelley. Vielleicht war sie sarkastisch, Zoe fiel es immer schwer, den Unterschied festzustellen. „Dann lass uns mal einen toten Typen näher betrachten.“

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