Liebe ohne Hiebe

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 Millionenfacher Dank ist uns sicher.

 Du bist eine Erpresserin!

 Du bist ein Pedant!

 Immer deine blöden Retourkutschen!!

 Achtung, gleich kommen sie zu drei Ausrufungszeichen. Dann wird es gefährlich.

 °Au wei, ob sie sich wieder kloppen?

 Na warte, jetzt könnt ihr was erleben …!!!

 Merke: Harmonie ist, wenn sich alle prügeln …

(Und wenn das Vorspiel kein Happy-End haben müßte, harmonierten sie heute noch.)

Nerven nerven
Bericht und Gespräch über ein Buch, das den Preis der bedeutendsten Nichterscheinung des 20. Jahrhunderts erhielt

 Nach den Erfahrungen mit der »Gemeinsamen Erklärung« schlage ich vor, daß wir unsere Zusammenarbeit besser organisieren. Warum übernimmt nicht jeweils einer von uns die Federführung?

 Einverstanden. Willst du anfangen?

 Lieber nicht. Berichte über ungeschriebene Bücher zu verfassen, kostet mich immer zu viele Nerven. Besonders wenn es sich um preisgekrönte Wälzer handelt.

 Mir macht das nichts aus. Ich fände es am leserfreundlichsten, wenn wir nicht ein komplettes Referat bringen würden, sondern nur die für die Praxis wichtigen Ausschnitte. Den Rest punkten wir einfach weg …

 Dann kündige ich jetzt an: zehn Seiten bierernsten Text, enthaltend die nützliche Weisheit eines ungeschriebenen wissenschaftlichen Weltbestsellers von genau 999 Seiten allerbester Aufklärung in der Tradition der bedeu …

 Tausend! Tausend! Tausend!

 Ruhe im Karton!!!

»Nerven nerven« – Ungekürzte Auszüge eines Referates über ein nicht geschriebenes Buch

»›Bekommt er Nerven?‹ fragen Sportreporter manchmal, wenn ein Wettkämpfer in eine bedrohliche Situation gerät. Der stahlharte ›Mann ohne Nerven‹ ist durch nichts ›nervös‹ zu machen. Wer nie ›die Nerven verliert‹ hat offenbar keine, jedenfalls ›zeigt‹ er sie nicht. Sein ›Nervengerüst‹ ist unerschütterlich, sein ›Nervenkostüm‹ bleibt selbst unter extremer Belastung stabil. Die Sprache will es so: Der Mann ›ohne‹ Nerven ist derselbe, der ›gute‹, sogar ›eiserne‹ Nerven hat. Und das Verwirrspiel geht weiter. Wenn ich für etwas, mit dem mir jemand auf die Nerven geht, gerade absolut keinen Nerv habe, sage ich der Nervensäge: ›Du raubst mir noch den letzten Nerv!‹ Nervenaufreibende oder gar nervtötende Beschäftigungen können so viele Nerven kosten, wie sie wollen, es sind immer noch genug da, daß auf ihnen herumgetrampelt werden kann, bis sie bloßliegen. Und wenn die lieben Mitmenschen dich genug genervt haben, bist du entnervt, ein nervliches Wrack oder auch Nervenbündel, und jeder nervenzerreißende Nervenkitzel trifft genau deinen flatternden Nerv, obwohl der dir mit seinen Kollegen längst durchgegangen ist. Es ist eben alles Nervensache!«

Mit dieser nervigen Zusammenstellung von Ausdrücken der Umgangssprache beginnt das gewichtige Buch »Nerven nerven« Der erste Teil bringt eine gründliche Abrechnung mit althergebrachten Annahmen, die das Selbstverständnis auch des modernen Menschen noch weitgehend prägen Ein eigenes Kapitel ist dem »Nervenzusammenbruch« gewidmet, denn selbstverständlich können Nerven nicht »zusammenbrechen«. Es ist äußerst interessant, mitzuverfolgen, wie sich die Vorstellungen der Menschen – auch der Ärzte und Wissenschaftler – über die Funktionsweise des Zentralnervensystems, also kurz: des Gehirns, vom Mittelalter bis hin zur Gegenwart veränderten …

Seit der Erfindung des »Streß« kommen in der Medizin die »Nervosität« und verschiedene »Nervenkrankheiten« allmählich aus der Mode. Auch die »Psychosomatik« gewinnt ständig an Boden, also die medizinisch-psychologischen Erkenntnisse über das ganzheitliche Zusammenwirken von Körper, Seele und Geist des Menschen sowohl bei Krankheit als auch bei Gesundheit …

Unbeeindruckt von allen diesen revolutionären Entwicklungen der modernen Hirnforschung sprechen viele Menschen weiterhin davon, daß eine Person »starke Nerven hat«, eine andere Person dagegen »hat schwache Nerven«. Dieselbe Person kann auch einmal starke, ein andermal schwache Nerven »haben«. Es gibt zahlreiche Medikamente und Mittelchen zur »Nervenstärkung«, gegen »Nervenschwäche«, zur »Nervenberuhigung« und dergleichen.

Auf den ersten Blick ist kaum zu erkennen, welche schwerwiegenden Folgen dieser Sprachgebrauch und die ihm zugrundeliegenden Vorstellungen und Modelle für das Leben der einzelnen Menschen haben. Doch die Autoren des Buches »Nerven nerven« öffnen uns die Augen für einen zweiten Blick. Dann sieht man, daß die sprachlichen Bilder darüber hinwegtäuschen, wie die Vorgänge, die sie beschreiben, in Wirklichkeit Zustandekommen. Die dabei entscheidenden Funktionen des Gehirns, das Fühlen und das Denken, kommen nicht zu Sprache.

Das gleiche gilt für eine andere große Gruppe von Alltagsausdrücken wie »Den Kopf verlieren«, »Aus der Haut fahren«, »Sich nicht in der Hand haben«, »Sich zusammennehmen«, »Aus sich herausgehen«, »Sich beherrschen«, »Aggressionen herauslassen«, »Verklemmt sein« und so weiter.

Wenn jemand nun leider einmal »schwache Nerven hat« oder »den Kopf« beziehungsweise »die Nerven verliert«, erscheint dies als Unglück. Wenn jemand »eiserne Nerven hat«, erscheint dies als Glück. Was die Menschen selbst dazu beitragen, ist irgendwie nicht ihre eigene Leistung, nicht ihre eigene Sache, sondern eben Nervensache. Da helfen nur noch Pillen … Wir bewundern Menschen, die in schwerer Stunde »die Fassung bewahren«, und wir bedauern Menschen, die »durchdrehen«. Wenn wir von einem »Nervenzusammenbruch« hören, stimmt uns dies mitleidig, beinahe andächtig, weil wir wissen: Wenn so etwas passiert, ist man machtlos.

Alle diese Erscheinungen wirken, als wären sie den Menschen von außen widerfahren, nicht Ergebnis ihrer eigenen Gehirntätigkeit. Aussagen wie: »Plötzlich ist es über mich gekommen«, oder: »Immer mehr geriet ich außer mir« stellen den Menschen als hilfloses Opfer äußerer Mächte oder innerer Dämonen dar. Ob man in Panik oder in einen Freudentaumel »gerät«, in eine »Nervenkrise« oder »außer Kontrolle«, immer sind es wörtlich genommene »Einflüsse« rätselhafter Art, die den Menschen steuern, nicht die Funktionen seiner eigenen Steuerzentrale, seines eigenen Gehirns.

Worin unterscheiden sich zwei ansonsten recht ähnliche Menschen in einer vergleichbaren Situation, wenn der eine »die Ruhe bewahrt«, der andere aber »ausrastet«? Sind es »die Nerven«, oder ist es die unterschiedliche Art und Weise, wie diese Menschen ihr Gehirn benutzen? Hat vielleicht der eine, der ausrastet, nur eine falsche oder weniger nützliche Vorstellung von der (wie Hirnforscher sagen:) »Denk- und Fühlfabrik« in seinem Kopf? Könnte er lernen, wie Gehirne funktionieren und wie man ihre Fähigkeiten so einsetzt, daß nichts anderes »herauskommt«, als man eigentlich wollte? …

Dieses Menschenhirn ist, wie die Autoren an vielen Beispielen zeigen, zu den eindrucksvollsten Höchstleistungen fähig, gleichzeitig aber auch zu den folgenschwersten Fehlleistungen. Eine solche Fehlleistung etwa besteht darin, an Programmierungen (Denkweisen, Theorien, Modellen, Sprachgewohnheiten und so weiter) festzuhalten, die den eigenen Interessen der jeweiligen Menschen nicht nützen, sondern schaden. Diese Behauptung wird mit erschütternd umfangreichem Anschauungsmaterial so zwingend bewiesen, daß wohl jeder Leserin und jedem Leser mehrfach der Atem stockt vor Erschrecken, Einsicht und Hilflosigkeit. Das menschliche Gehirn, das leistungsfähigste Überlebensorgan, das die Natur hervorgebracht hat, ausgerechnet dieses Wunderding scheint heute eher fähig, die Menschheit zugrunde zu richten und vielerlei tödliche Katastrophen zu produzieren, als seinem eigentlichen Zweck zu entsprechen, nämlich durch Erfahrungsverarbeitung und Vorausschau das Leben des und der Menschen samt der Mitwelt zu sichern und zu verbessern …

Einen weiteren Schwerpunkt des ersten Teils bilden die vielen Beispiele aus dem Alltag des einzelnen und kleiner Gruppen, die uns mit einem weinenden und einem lachenden Auge erkennen lassen, wie oft und hartnäckig wir selber in kleinen und großen Dingen unser Gehirn eher mißbrauchen, als es zu nutzen. Die Mutter, die ihrem Kind »schon hundertmal« etwas Wirkungsloses mitgeteilt hat und dem Kind die Verantwortung zuschiebt, der Vater, der das größere Kind schlägt, damit dieses das kleinere Kind nicht mehr schlägt, die Eltern, die auf ein Kind »böse« werden, damit das Kind »gut« wird, die Beziehungspartner, die sich versöhnen wollen und sofort wieder in Streit geraten – offensichtlich handeln viele Menschen in vielen Situationen gegen ihre eigenen Interessen und Wünsche. Und wenn sie es bemerken, dann sehen sie den Fehler nicht bei sich, sondern bei anderen. Oder sie machen »die Umstände«, »die Gesellschaft«, manchmal »das Wetter« und oft eben auch »die Nerven« dafür verantwortlich.

Ohne es so auszusprechen, legen die Autoren nahe, daß der Mensch nichts dringender braucht als eine korrekte und leicht verständliche »Betriebsanleitung« beziehungsweise »Gebrauchsinformation« für sein Zentralnervensystem, für sein eigenes Gehirn.

Im zweiten Teil des Buches entwickeln die Autoren dann ihre eigenen Ideen in Form eines Spiels, dessen Grundprinzipien und Spielregeln sie erklären. Wörtlich schreiben sie: »Das ›Harmonie-Spiel‹ beansprucht nicht, besser zu sein als das ›Nerven-Spiel‹ oder sonstige Spiele. Es ist nur anders, es ist eine zusätzliche Möglichkeit zu spielen. Kein Kartenspiel ›widerlegt‹ Monopoly oder Schach, kein neu erfundenes Spiel ›beweist‹, daß die älteren Spiele schlecht oder falsch sind. Ein neues Spiel braucht lediglich funktionierende Regeln, und es muß genügend Spielfreude in Aussicht stellen. Unser Spiel verspricht nicht mehr und nicht weniger als ungetrübte Lebensfreude und, für Fortgeschrittene, Lebenslust, solange es gespielt wird.«

 

Das neue Spiel kann allein und mit beliebig vielen Partnern gespielt werden. Bevor man es allerdings mit Partnern spielen kann, muß man im Alleinspiel schon etwas Erfahrung und Übung gewonnen haben.

Das erste Grundprinzip des Spiels ist von abenteuerlicher Einfachheit. Es besteht in einer radikalen Unterscheidung zwischen dem Denken und dem Fühlen. Das Denken des Spielers wird einer bestimmten Instanz zugeordnet, dem sogenannten »Verstand« (im Gehirn grob dem Großhirn beziehungsweise »Neo-cortex«). Der Verstand ist für alle Denkfunktionen des Spielers zuständig, sowohl für seine jeweils bewußten Gedanken als auch für die übrigen Denkvorgänge und gedanklichen Erinnerungen im Gehirn. Außerdem ist der Verstand für die Phantasie verantwortlich, also für das Vorstellungsvermögen des Spielers.

Das Fühlen wird der sogenannten »Seele« zugeordnet (im Gehirn grob dem Zwischenhirn beziehungsweise dem »Limbischen System«). Die Seele – hier natürlich ohne religiöse Bedeutung – ist für alle Gefühle des Spielers zuständig, auch für die körperlichen. Wiederum betrifft das nicht nur aktuelle und bewußte, sondern auch alle anderen Fühlvorgänge und -inhalte im gesamten Gehirn. Außerdem steuert die »Seele« die Vorgänge im Innern des Spieler-Organismus (was grob der Funktion des Kleinhirns oder »Hirnstamms« entspricht) und ist zuständig für die Entstehung und Ausführung der Handlungsimpulse: Sie produziert einerseits Gelüste, Wünsche, Motive für bestimmte Spielzüge, bedient andererseits die Schaltstellen zum Bewegungsapparat, der Muskulatur. Beides geschieht in der Tierwelt rein instinktiv und automatisch; beim menschlichen Spieler hat die Seele die zusätzliche Möglichkeit, den Verstand einzuschalten, zu Hilfe zu nehmen, als Werkzeug zu benutzen, um ihren Interessen erfolgreicher nachzugehen. Die Seele ist also definiert als Zentralnervensystem (Gehirn) minus Verstand. Die Autoren betonen mehrfach, daß bei ihrem für die Spiel-Praxis entwickelten Modell, dem sogenannten »Seele/Verstand-Modell« (S/V-Modell), der Verstand weder einen direkten Zugang und Zugriff zum Körper hat, noch haben Informationen aus den Sinnesorganen direkten Zugang zum Verstand. Allerdings bildet der Verstand durch wiederholte Erfahrungen im Auftrag der Seele Denkgewohnheiten, die dann unmittelbar an den Wahrnehmungsvorgängen beteiligt sind, oft zum Nachteil für die ursprünglichen seelischen Absichten.

Nach dem ersten Grundprinzip des Harmonie-Spiels gibt es also keine Konkurrenz zwischen Seele und Verstand des Spielers, weil ihre Tätigkeiten unvergleichbar sind: »Der Verstand denkt, und die Seele lenkt.« Die Seele produziert zum Beispiel Gefühlssignale nach dem Lust/Unlust-Prinzip, der Verstand produziert Gedanken, die einerseits die Seelensignale möglichst richtig verstehen, andererseits die übrige Spielwirklichkeit daraufhin untersuchen, wie der Seele möglichst viel Lust, Freude, Erfolgsgefühl verschafft und Unlust, Leiden, Mißerfolg erspart werden kann (»Genuß ohne Reue«). Jeder Spielzug ist Ergebnis eines Anstoßes und einer Entscheidung der Seele, häufig begleitet von Signalen der Lust, Vorfreude, Hoffnung, Neugier und so weiter, mindestens der Zufriedenheit.

Die Unterscheidung von Gefühlen und Gedanken bedeutet natürlich keine Trennung von Seele und Verstand. Man kann bei Menschen Größe, Gewicht, Haarfarbe, Alter und tausend weitere Aspekte unterscheiden, ohne damit ihre Ganzheit zu bestreiten oder anzutasten…

Im Spiel-Alltag und auch in der Sprache sind die Beiträge von Seele und Verstand normalerweise so eng miteinander verschränkt, daß die Autoren es für nötig halten, einige Beispiele für »reine« Gefühle und »reine« Gedanken zu geben. Als reines Gefühl nennen sie etwa das selige Lächeln eines satten Säuglings und das reflexhafte Erschrecken Erwachsener bei einer plötzlichen Bedrohung – während die normale Angst, das Gefühl, bedroht zu sein, bereits gedankliche Anteile enthält. (»Dieses Ereignis ist für mich gefährlich«.) Als Beispiel für reine Gedanken wird auf die Mathematik verwiesen: vier plus vier gleich acht, unabhängig davon, ob dem Spieler dieses Ergebnis sympathisch ist – allerdings löst kein Spieler Rechenaufgaben, ohne dafür seelisch motiviert zu sein, und sei es nur durch die Angst vor dem Finanzamt oder anderen unerwünschten Folgen, falls er es nicht täte. (Der Seele diese Folgen zu demonstrieren ist wiederum ein Beitrag des Verstandes.)

Das zweite Grundprinzip des Harmonie-Spiels ist aus dem ersten abgeleitet und schnell erklärt. Es besteht darin, daß die Seele nichts falsch machen kann. Es gibt bei diesem Spiel keine »Fühlfehler«. Falsche Spiel-Züge werden grundsätzlich auf Denkfehler zurückgeführt.

Selbstverständlich lassen es die beiden Grundprinzipien des Harmonie-Spiels nicht zu, daß die Seele des Spielers irgendwelchen Spielregeln unterworfen wird. Die Seele ist ein Signalsystem zur Selbst- und Arterhaltung und -entfaltung, das einfach signalisiert, was es signalisiert.

Desto strengere Regeln gelten für den Verstand des Spielers. Der Verstand darf niemals die Seele eines Mitspielers kritisieren und in erster Linie nicht die Seele des Spielers selbst. Mißachtet ein Spieler diese Hauptregel, so bedeutet das unmittelbar, daß der Spieler aus dem Spiel ausgestiegen ist. Er kann allerdings jederzeit wieder einsteigen, sobald er die Hauptregel wieder beachtet. Vor jedem Spielzug treten Seele und Verstand des Spielers in einen mehr oder weniger ausführlichen Dialog, den »Seele/Verstand-Dialog« (S/V-Dialog). Die Seele signalisiert ihre Gefühle, Wünsche und Befürchtungen, je nach Spielsituation, und der Verstand geht nun nach folgenden Regeln vor:

1 Er versucht, die Gefühlssignale zu verstehen, das heißt herauszufinden, worauf die Seele reagiert und was sie »will«;

2 er versucht, die Signale richtig einzuordnen (die Seele sendet oft viele verschiedene, auch sich widersprechende und unterschiedlich dringende Signale);

3 er untersucht die Spiel-Wirklichkeit auf Chancen, die Aufträge der Seele auszuführen;

4 er prüft die voraussehbaren Folgen aller möglichen Züge;

5 er zeigt der Seele diese voraussichtlichen Folgen mehrfach mittels der Vorstellungskraft (kurz-, mittel-, langfristige Folgen). Er wiederholt diesen Vorgang, bis die Seele eindeutig ablehnende Signale sendet oder sich für einen Zug entscheidet. Ist der Zug erfolgreich, zeigt die Seele Zufriedenheit oder Freude, Begeisterung, Glück. Ist er nicht erfolgreich, zeigt die Seele Unzufriedenheit, Arger, Enttäuschung, Verzweiflung. In diesem Fall geht der Verstand nach folgenden Regeln vor:

1 War das Scheitern unvorhersehbar, tröstet der Verstand die Seele und »baut sie wieder auf«, indem er all seine Phantasie aufwendet, dem Ereignis erfreuliche Seiten abzugewinnen, zum Beispiel Zuwachs an Erfahrung, Vorfreude auf eine nächste Gelegenheit, die besser genutzt werden kann. Im Notfall zeigt er der Seele nochmals die Ausgangslage vor dem Zug. Sie erkennt dann wieder ihre gute Absicht, ihre damals subjektiv berechtigte Hoffnung.

2 War das Scheitern vorhersehbar, übernimmt der Verstand in aller Selbstverständlichkeit die volle Verantwortung und versucht, seinen Fehler herauszufinden. (Das Gefühlssignal Enttäuschung weist immer auf eine Täuschung hin, der der Verstand vor dem Zug unterlag.)

3 Der Verstand versucht, seinen Fehler zu korrigieren, den Schaden wiedergutzumachen, schlägt dazu neue Züge vor.

4 Solange die Unlustsignale der Seele andauern, sucht der Verstand nach Möglichkeiten, die Folgen des verfehlten Zuges so umzudeuten, daß sie der Seele möglichst wenig Leid verursachen – falls die Seele nicht selbst, zum Beispiel in Trauerfällen, ein gewisses Maß an Leiden für angemessen, sogar »wohltuend« hält. Beispielsweise kann der Verstand ihr den Gedanken vorführen, daß alles noch viel schlimmer hätte kommen können, daß das Ereignis bald einen interessanten Gesprächsstoff abgeben wird, daß viele andere Spieler noch viel schlechter stehen und dergleichen

Sobald ein Spieler die Regeln des Harmonie-Spiels im Alleinspiel beherrscht, also seine eigene Seele unter keinen Umständen mehr kritisiert, kann er das Spiel ausweiten und auch Menschen einbeziehen, die es selbst nicht kennen.

Das Grundprinzip des erweiterten Harmonie-Spiels ist wiederum denkbar einfach: Der Spieler geht mit den Menschen, die er in sein Spiel einbeziehen will, genauso um wie mit sich selbst. Praktisch bedeutet das, daß er alle seelischen Beweggründe (Motive), Gefühle, auch Gefühlsausbrüche dieser Menschen mit Respekt, ja Hochachtung, jedenfalls kritiklos zur Kenntnis nimmt. Er billigt diesen Menschen nicht nur eine körperliche, sondern auch eine seelische Intimsphäre zu. Wenn diese Menschen Aussagen machen und Handlungen ausführen, unterscheidet der Spieler diese nach den seelischen und den gedanklichen Aspekten. Auf die seelischen Aspekte reagiert er unbedingt mit Verständnis (andernfalls ist er aus dem Spiel ausgestiegen), die gedanklichen Aspekte darf er in Frage stellen, auf ihre Richtigkeit, Logik, Wahrheit, Nützlichkeit und so weiter prüfen. Wenn der Verstand des Spielers eine Möglichkeit findet, gedankliche Fehler des anderen auf eine seelenfreundliche (gefühlsbejahende), mindestens aber seelenschonende (gefühlsakzeptierende) Weise zur Sprache zu bringen, ist er nach den Regeln sogar verpflichtet, seine Kritik zu äußern, sein besseres Wissen und klügeres Denken dem anderen zur Verfügung zu stellen, sofern die Seele des Spielers dem anderen wohlwollend gegenübersteht …

Geradezu begeistert berichten die Autoren von »Nerven nerven« über das große Vergnügen, das ihr Spiel im Umgang mit Kindern bereitet. Ein wörtliches Zitat: »Die üblichen Streitigkeiten, Konflikte und Kräche zwischen Eltern und Kindern, gegen die bis dahin weit und breit kein Kraut gewachsen schien, sind in den Augen und nach den Erfahrungen von geübten Spielern so überflüssig wie ein Kropf. Das seelische Signalsystem von Kindern ist ursprünglich auf Harmonie angelegt und arbeitet bereits bei ihrer Geburt fehlerfrei und zuverlässig. Die Entwicklung des kindlichen Verstandes auf seelenfreundliche Weise zu unterstützen und zu begleiten ist für Harmonie-Spieler Tag für Tag und Jahr für Jahr eine einzigartige Lust. Kinder sind die idealen Harmonie-Spiel-Partner, ohne überhaupt etwas von der Existenz dieses Spieles zu ahnen!«

 Halt! Unterbrechung! Stop!

 Was ist los?

 Los ist, daß dein Zitat in den Ohren normaler Eltern heute völlig unglaubwürdig klingt. Wenn wir ehrlich sind, habe ich mit meinen und hast du mit deinen Kindern dieses Spiel auch nicht immer durchgehalten.

 Ist das ein Wunder? Wir hatten doch keine Ahnung von den Spielregeln! Wir hatten damals Gedanken über das Wesen des Menschen im Kopf, die zum großen Teil auf überlieferten Vorurteilen und Mißverständnissen beruhten. Danach galten Kinder als egozentrische, asoziale, passiv größenwahnsinnige und machtgeile Triebmonster. Solche Ansichten über die menschliche »Natur«, sprich: Seele, bestimmten damals weitgehend auch das Selbstverständnis von Erwachsenen. Wir hatten über unsere eigenen Seelen oft verächtliche, respektlose, mißtrauische Gedanken. Erst die moderne Säuglingsforschung hat diese Vorurteile endgültig widerlegt. Wie sozial und aktiv der Säugling schon ist, was er alles schon wahrnimmt und unterscheiden kann, wie oft er instinktiv die erwachsene Betreuungsperson steuert, statt ihr passiv ausgeliefert zu sein, wie kommunikativ und kooperativ bereits der neugeborene Mensch ist, das weiß man eben erst, seit Forscher gefilmt haben, was da wirklich vorgeht. Denn vieles läßt sich nur erkennen, wenn man die Aufnahmen in Zeitlupe abspielt oder sogar Einzelbildanalysen vornimmt. Da ist kein asozialer Perversling zugange, und niemand muß da irgendwie ein verpfuschtes Geschöpf »nachbessern« oder »sozialisieren«, sondern von Anfang an ist ein harmonisches Wechselspiel möglich, ein echter Dialog und vertrauensvolle Gemeinschaft.

 Haben die amerikanischen Säuglingsforscher den Begriff vom »kompetenten Säugling« nicht erst 1973 geprägt? Ich dachte, daß du das alles schon 1965 von deiner ersten Tochter gelernt hättest.

 Doch, schon. Aber ich weiß noch genau, wie lange Lisas Mutter und ich ziemlich allein standen unter all den Leuten, die nicht ihren eigenen Augen trauten, sondern den, wie man heute weiß, falschen Theorien irgendwelcher Experten. In bezug auf unsere Kinder waren wir da schlauer, aber in bezug auf uns selbst und auf den Umgang miteinander hatten wir die ganz normalen Probleme. Das ist ja das Gute an dem neuen Spiel, daß man durch die gleichen Regeln auch mit sich selbst in Harmonie leben kann und mit allen Menschen, die das ebenfalls wollen.

 

 Das klingt nicht viel glaubwürdiger, wenn wir das jetzt schon verkünden.

 Dann lassen wir es eben weg. Wir behaupten ja nicht, das Harmonie-Spiel müßte immer durchgehalten werden. Wir erklären nur die Regeln. Wer diese Regeln, aus welchen Gründen auch immer, nicht beachtet, ist aus dem Spiel ausgestiegen. Und wenn er wieder Lust hat, steigt er wieder ein. Es ist kein Risiko dabei. Nur eine Chance.

 Okay. Ich dachte, das könnte vielleicht bei manchem in Vergessenheit geraten sein. Wir schlagen das Spiel nur als zusätzliche Möglichkeit vor, nicht als eine Art neuer Norm. Abgesehen davon ist es höchste Zeit für praktische Beispiele. Also einzelne Spielzüge. In der Gebrauchsinformation eines neuen Spiels gibt es immer solche Beispiele! Meistens.

 Eigentlich ist aber die Buchbesprechung, ich meine der Bericht über das »Nerven-Buch«, noch nicht zu Ende. Das Harmonie-Spiel ist ja nicht nur eine private Spielerei, sondern auch im Großen möglich, als Demokratie-Spiel, Vernunft-Spiel, Friedens-Spiel, Überlebens …

 Warum sprichst du nicht aus?

 Weil du mich nicht aussprechen läßt. Du willst doch erst einmal ein Bei-Spiel, und dann noch eins und …

 Aber du willst angeblich noch deinen Bericht fortsetzen. Obwohl du keine einzige Zeile mehr vorbereitet hast.

 Alte Petze! Mußt du immer alles ausplaudern? Niemand hätte etwas gemerkt.

 Ich will nicht, daß die Leute denken, ich hätte dich unterbrochen und meinetwegen würden ihnen nun irgendwelche goldenen Worte von dir entgehen.

 Aber das war doch deine Idee! Du wolltest mich nach »Überlebens…« unterbrechen, damit wieder etwas Abwechslung in unser Buch kommt. So war das abgemacht, auf deinen Wunsch.

 Was hast du? Ich habe mich genau an die Abmachung gehalten.

 Aber jetzt wissen alle Millionen Leser, daß das gar keine echte Unterbrechung war.

 Na und? Wir spielen doch sowieso mit offenen Karten. Denkst du denn, die Leser denken, wir hätten hier immerzu ein Tonband laufen und würden sonst nicht darüber reden, was wir schreiben? Halte deine Kundschaft nie für doof, sagte einst ein weiser Mann.

 Dann stell jetzt mal das Tonband ab, bitte. Mir fällt im Augenblick nichts mehr ein.

 Bitte gern, bitte gleich. Deuten wir dann wieder diskret eine Prügelei an, oder schreiben wir »Drei Tage später« oder so was?

 Wenn es nicht drei Tage dauert, bist du die Stoptaste findest!

 Meiner Meinung nach wäre es … (Privatpause)

Erste Nachfrage von Frau Erna F. aus K.

 Frau Erna F. aus K. hat eine erste Nachfrage. Bevor sie sich ein Urteil darüber bilden will, ob ihr dieses Spiel gefällt, möchte sie wissen, welchen Zug sie als Harmonie-Spielerin machen könnte, wenn ihre Tochter sich danebenbenimmt, zu spät nach Hause kommt, an der Mutter herummeckert, nicht aufräumt, nicht auf die Mutter hört und alle diese Sachen. Was bedeuten die Harmonie-Spielregeln für solche konkreten Alltagssituationen?

 Wieso fragt sie das? Was »bedeuten« die Regeln? Die Regeln sind doch eindeutig!

 Komm, Blödi, wenn wir jetzt aufhören, kriegen wir das Buch nie voll.

 Okay, das sehe ich ein. Du mußt nur Frau Erna daran erinnern, daß sie ihre Tochter nicht in das Spiel einbeziehen kann, solange sie noch nicht genug im Alleinspiel geübt ist. Sieht sie das ein?

 Ja, notgedrungen. Wenn das zur Regel gehört -

 Wunderfeinlein! Dann können wir ihr zeigen, was sich im Gehirn einer Alleinspielerin nach den Harmonie-Regeln etwa abspielt, wenn etwas Unerfreuliches geschieht wie in ihrer Nachfrage.

 Nun mach schon!

 Um das Spiel kennenzulernen, braucht man natürlich Zeit. Ein Anfänger muß es unbedingt erst in der Phantasie spielen, nicht gleich im richtigen Leben. Sag also Frau Erna F. aus K., sie könnte sich eine Szene vorstellen, am besten eine echte aus der Vergangenheit, in der ihre Tochter irgendwie nicht nach ihren Wünschen funktioniert hat. Diese Szene führt sie ihrem geistigen Auge vor, in Farbe, mit Ton und allem Drum und Dran. Dann hält sie den Film an einer Stelle an, an der sie etwas anders machen möchte, und führt den Seele/Verstand-Dialog. Ist sie bereit?

 Ich denke schon.

 Wunderbar. Jetzt kommt es auf das erste Signal der Seele an. Fühlt sie so etwas wie Überraschung, Enttäuschung, Arger?

 Nein. Sie fühlt Wut und Verzweiflung. Sie könnte das Kind an die Wand klatschen!

 Verstehe. Dann spielt Frau Erna aber das übliche Elternspiel mit allen seinen Denkfehlern.

 Das weiß ich doch! Ich will es dir jetzt nicht so leicht machen. Frau Erna fühlt Verzweiflung und Wut, weil ihre Tochter immer wieder den gleichen Mist baut, rücksichtslos ist und so. Aber jetzt ist der Film angehalten, und sie will wissen, was der Verstand eines Harmonie-Spielers anstellen würde, um wieder in das Spiel hineinzukommen.

 Das »wieder« ist falsch. Aber gut, ich verstehe, sie will es wissen. Dann mußt du der Erna F. aber sagen, daß der folgende S/V-Dialog nicht ein Vorschlag für sie ist, sondern nur eine Demonstration, wie es in einem ähnlichen Fall einmal funktioniert hat. Sonst fühlt sie sich zu sehr betroffen und denkt gegen statt mit. So machen das Gehirne eben. Ist sie einverstanden?

 Ich wette, jetzt kommt die Geschichte von Lotte.

 Natürlich. Tu nicht so, als hätten uns schon Tausende von ihren Erfahrungen erzählt. Also Lotte war eine Mutter, die ihren zwölfjährigen Sohn Tim sehr liebte, die aber doch manchmal ziemlich ausrastete. Sie kannte die Harmonie-Regeln schon, hatte aber noch nicht genug Übung. Beim Alleinspiel ging es zwar schon ganz gut, aber mit Tim hatte sie das Spiel noch nicht probiert.

 Mach’s kurz! Eines Tages hatte sie für Tim etwas besonders Schönes und Aufwendiges vorbereitet. Als das Kind dann aber an allem herummeckerte, geriet Lotte sehr schnell in Empörung und Wut. Was hatte sie da für ein anspruchsvolles Monster herangezogen! Als Tim dann noch einige passende Beschimpfungen losließ (zum Beispiel: »Eigentlich geht es dir gar nicht um mich! Du denkst immer nur an dich und dein Vergnügen!«), da wollte Lotte schon mit voller Kraft zuschlagen. Der Junge stand so herausfordernd vor ihr, als hätte er es darauf angelegt. Im letzten Augenblick besann sich Lotte eines anderen – warum eigentlich?

 Sie fühlte Angst vor sich selbst, hat sie später erzählt.

 Jedenfalls schloß sie sich in ihr Zimmer ein, rief sich die S/V-Prinzipien und Regeln ins Gedächtnis zurück und führte einen längeren Dialog zwischen Seele und Verstand. Komm, jetzt bist du dran.

 Okay. Lottes Seele fühlte Verzweiflung und Wut. – Lottes Verstand hatte jetzt umgeschaltet und versuchte, Lottes Seele zu verstehen. Er sagte zur Seele ungefähr: Klar, liebe Seele, bist du jetzt verzweifelt und wütend. Ich habe so viele falsche Gedanken gedacht, daß deine Reaktionen völlig logisch sind. Ich bin dir richtig dankbar, daß die Lotte diesem wunderbaren Kind in der Empörung vorhin nicht wirklich etwas angetan hat. Jetzt meckere ich garantiert nicht mehr an dir herum. Weißt du noch, wie ich eben, als ich deine Wutsignale bemerkte, dich da noch hineinsteigerte, als ich dachte: »Eine gute Mutter hat solche Gefühle nicht zu haben!«? – Lottes Seele fühlte sich schon etwas besser verstanden und sandte, neben den leicht verminderten Verzweiflungs- und Wutsignalen, auch leise Signale der Hoffnung. – Sicher, sagte der Verstand, deine Hoffnung ist berechtigt. Ich habe mich gerade an dieses neue Spiel erinnert und verstehe jetzt, wie dumm ich war, dich früher nicht zu verstehen, sondern mir Urteile über dich anzumaßen. Kein Wunder, daß du dich immer mehr aufgeregt hast. – Lottes Erregung ging weiter zurück, ihre Hoffnung wuchs. – Bitte glaube mir, liebe Seele, sagte der Verstand dann mit Nachdruck, du bist völlig in Ordnung. Du hast nicht den kleinsten Fehler gemacht. Ich bin ganz allein an allem schuld. Zum Beispiel habe ich dir mit meiner Phantasie immer nur vorgeführt, wie riesig sich Tim über unseren Plan freuen würde, und kein bißchen daran gedacht, daß er vielleicht ganz anders reagieren könnte. So war das wie ein Schock für dich, als Tim nicht so funktionierte, wie ich es gedacht hatte. – Lottes Seele verminderte die Stärke der Verzweiflungssignale in Richtung Hilflosigkeit, die Wutsignale waren fast verklungen. – Hätte ich rechtzeitig daran gedacht, so der Verstand weiter, daß Lotte erst einmal herausbekommen muß, wie Tim drauf ist, bevor sie ihn mit ihrem tollen Plan überfällt, dann wäre das alles nicht passiert. Du, liebe Seele, hast absolut nichts falsch gemacht. Deine Begeisterung und Vorfreude war eine natürliche Folge deiner Liebe. Es ist mein Fehler, der typische Fehler eines Mutterverstandes, zu glauben, daß ich mir die Gedanken von zwei verschiedenen Menschen machen müßte oder könnte. Immer wieder vergesse ich, daß Tim wie jeder Mensch seinen eigenen Kopf hat. Aber jetzt werde ich immer, wenn du Unlustsignale wegen Tim produzierst, daran denken, daß ich etwas falsch gemacht, falsch gedacht habe, statt Tim oder dir die Verantwortung zuzuschieben. Ich weiß doch, daß du es mit dem Kind nur gut meinst und nur die besten Absichten hast. – Lottes Seele fühlte sich immer besser, jetzt ohne Verzweiflung und Wut. Signale der Hilflosigkeit und Hoffnung mischten sich. – Wie dumm ich doch war, fuhr der Verstand fort. Als Tim Lotte beschimpfte, habe ich nur gedacht: »Das darf ich mir nicht gefallen lassen. Dieses undankbare Kind!« So habe ich dich richtig gegen Tim aufgehetzt, anstatt zum Beispiel auf den Gedanken zu kommen, wie stolz eine Mutter auf sich selbst und ihr Kind sein kann, wenn das Kind keine Angst vor ihr hat und so etwas überhaupt zu sagen wagt. Du wirst sehen, ich werde in Zukunft noch viele nützliche Gedanken finden, die dir so heftige Reaktionen ersparen. – Die Hilflosigkeit blieb noch bestehen, die Hoffnung wurde stärker. Zusätzlich meldeten sich Signale der Neugier, aber auch des Zweifels. – Alles in Ordnung, sagte der Verstand. Du reagierst wunderbar. Ich habe bisher wirklich einen schlechten Job gemacht. So ganz allgemein. Ein besonders schlimmer Fehler von mir war es sicher, dir immer wieder Erinnerungsbilder aus Lottes Kindheit zu zeigen, wenn es in Wirklichkeit um Tim ging. Natürlich hast du dann Impulse gekriegt, das Kind genauso zu behandeln, wie Lotte als Kind behandelt wurde. Oder auch gerade umgekehrt. Wäre ich klug gewesen, hätte ich daran gedacht, daß beides ja überhaupt nichts mit der Wirklichkeit unseres Sohnes zu tun hat. Ich hätte dir immer wieder zeigen müssen, daß Tim ein anderer Mensch ist, ein neuer, eigener, liebenswerter Mensch, der nicht dafür da ist, alte Rechnungen zu begleichen. Ich allein bin dafür verantwortlich, daß du manchmal das Gefühl hast, Lotte sei keine gute Mutter, oder nicht gut genug. Denn ich habe dich angemeckert, wenn Lotte sich mal überfordert fühlte, statt meine eigenen größenwahnsinnigen Ideen zu korrigieren. Ich war es, der dachte, eine Mutter müsse oder könne perfekt sein, und eine Mutterseele dürfe nicht alles fühlen, was sie eben fühlt. Auf der anderen Seite habe ich oft gedacht, Tim sei »nur ein Kind« und deshalb irgendwie noch nicht ganz richtig. Ich habe dir vorgegaukelt, eine Mutter dürfe die Gefühle ihres geliebten Kindes nicht immer mit Hochachtung und Verständnis aufnehmen, weil es sonst verwöhnt und lebensuntüchtig würde. Inzwischen ist mir klar, daß nicht nur du, sondern auch jede andere Seele den dringenden Wunsch hat, von den geliebten Menschen verstanden zu werden. Erst dann erlaubt die Seele eines Menschen ja auch seinem Verstand, frei zu arbeiten und vernünftige Einsichten zu akzeptieren. Bisher habe ich leider genau das bei unserem Kind häufig verhindert, indem ich kleinste Probleme aufbauschte, so daß du dich aufgeregt hast und Lotte dem Kind nicht mehr freundlich und lieb einfach sagte, was zu sagen war. Und dann war Tim natürlich uneinsichtig, und ich dachte, der Fehler liege bei ihm, und du wurdest immer erregter. Wenn ich gleich daran gedacht hätte, daß wir das Kind doch lieben; wie liebenswert und wunderbar dieser Junge doch insgesamt gesehen ist; wie wenig eine schlechte Schulnote bedeutet im Vergleich zu Tims Freude am Lernen und einer guten Beziehung zwischen Mutter und Sohn; wenn ich auf nützlichere Gedanken gekommen wäre und meine Phantasie benutzt hätte, dir die guten Seiten des Kindes zu zeigen, statt die paar Schönheitsfehler ins Zentrum zu rücken; wenn ich früher auf andere Ideen gekommen wäre, dann würden sich Lotte und Tim schon lange ganz anders verstehen und vertragen. – Nun sandte die Seele Signale der Trauer, der Reue und auch des Ärgers über den mangelhaften Verstand, der sie so schlecht beraten hatte. – Und wieder verstand der Verstand diese Gefühle, kommentierte sie als berechtigt und fragte die Seele, ob er nach erfreulichen Gesichtspunkten der gegenwärtigen Lage suchen solle. Als die Seele nach einer Weile diesen Auftrag erteilte – durch weitere Hoffnungs- und Neugiersignale –, dachte der Verstand den Gedanken: »Besser spät als nie!« und benutzte seine ganze Vorstellungskraft, um der Seele ein wunderschönes Bild von der nun bevorstehenden gemeinsamen Zukunft zwischen Mutter und Sohn zu zeigen. Zusätzlich sagte der Verstand sinngemäß etwa: Tut mir leid, liebe Seele, ich verstehe, daß du nicht stolz bist auf meine bisherigen Fehlleistungen. Schließlich mußtest du es ausbaden und auch unser Kind. Aber andererseits, schau, vielleicht geht es dir besser, und du wirst sogar stolz auf mich, wenn ich denke, daß ich ein Verstand bin, der seine Fehler eingesteht, korrigiert und nun mächtig am Lernen ist. Ich wußte es halt vorher nicht besser. Es ist doch keine Schande, nicht als Meister vom Himmel gefallen zu sein. – Die Seele fühlte noch etwas Trauer, aber keine Reue mehr und nur noch leisen Arger. Am stärksten waren die Hoffnungssignale. – Der Verstand dachte an Tim im Nebenzimmer. – Die Seele produzierte wieder schwache Signale der Verzweiflung und starke der Unsicherheit. – Komm, sagte der Verstand, wir führen jetzt mal einen Dialog darüber, wie wir die Sache mit Tim gleich in Ordnung bringen können. Wie wäre es – wie fühlt sich das für dich an? -, wenn Lotte sich erst mal bei dem Kind entschuldigen würde? Dann könnte sie ihm sagen, daß sie Tims Reaktion von vorhin gut versteht, daß Tim im Recht war, daß Lotte nicht richtig vorausgedacht hatte. Dann wird es möglich sein, ganz seelenfreundlich Tim anzuregen, darüber nachzudenken, was er selbst vielleicht gedanklich mißverstanden hat und so.

 Entschuldige bitte die Unterbrechung, aber wie lange willst du Lottes Geschichte noch ausspinnen? Daß Lotte sich erst gar nicht entschuldigen konnte, weil Tim sofort die ganze Schuld auf sich nahm? Und wie sie dann heulten und redeten und lachten und redeten und seitdem wirklich und wahrhaftig keinen Krach mehr haben? Ich weiß nicht, ob Frau Erna F. aus K. das alles überhaupt nachvollziehen kann.

 Das frage ich mich auch. Wem das S/V-Modell noch nicht richtig vertraut ist, der kann wahrscheinlich nur ahnen, was bei diesem Dialog wirklich gelaufen ist. Du hast ja mit deiner »Wut und Verzweiflung« das Pferd vom Schwanz her auf gezäumt. Damit hast du nicht nur mir das Erklären schwergemacht, sondern auch den Leuten das Verstehen.

 Ich denke, es war trotzdem richtig. Ich fand es nur zu lang. Mehr als eine Ahnung, wie das Gehirn beim Harmonie-Spiel benutzt werden kann, ist fürs erste gar nicht nötig.

 Du hast Nerven! Hättest du das nicht vorher sagen können?

 Wenn ich gewußt hätte, was du alles in die Lotte-Geschichte hineinpackst, hätte ich es vorher gesagt.

 Immer bist du die Unschuldige, und ich bin der Blödi! Dabei bin ich ganz sicher, daß es besser gewesen wäre, mit einem leichten Beispiel anzufangen. Also Erna ärgert sich ein bißchen, der Verstand denkt ein paar seelenfreundliche Gedanken, und der Arger löst sich auf. Das wäre auch ganz kurz gegangen. Vorbeugen ist bekanntlich viel leichter als Heilen.

 Aber das weiß sowieso jeder. Dafür ist das Harmonie-Spiel nicht nötig. Kein Mensch steigert sich bei jedem kleinen Ärgernis in eine abgrundtiefe Verzweiflung hinein. Ich denke, das Vorbeugen ist zwar leichter, dafür ist das Heilen eindrucksvoller. Auch wenn man zunächst nur ahnen kann, wie das funktioniert.

 Mag sein. Vielleicht. Hat denn Frau Erna F. aus K. jetzt wenigstens so eine Ahnung?

 Erstaunlich. Sie hat den Lotte-Dialog sehr gut verstanden. Nach der zweiten Lektüre schon, sagt sie. Aber sie spürt ein starkes Unbehagen. Sie hat absolut keine Lust, das Spiel mit ihrer Tochter zu spielen. Sie will sich einfach von der nicht alles gefallen lassen.

 Ach du dickes Ei! Ist das bei ihr so angekommen? Da siehst du mal wieder, wie schwierig es ist, sich eindeutig auszudrücken.

 »Mit links« wolltest du das machen!

 Ja, wirklich? Nun, dann hebe ich jetzt eben meinen linken Zeigefinger und sage, daß Frau Erna völlig recht hat. Wenn sie ihre Tochter vor sich sieht, die sich gerade schlecht benommen hat, und dann stellt sie sich vor, das Ergebnis eines S/V-Dialoges wäre, daß sie sich bei ihrer Tochter entschuldigt – das kann ja wirklich nicht wahr sein.

 Wäre das eventuell auch ohne Zeigefinger gegangen? Zeigefinger kriege ich immer in den falschen Hals. Zum Kotzen!

 Gut, dann lasse ich ihn weg und gebe noch, ganz ohne Zeigefinger, einen Fingerzeig: Beim Harmonie-Spiel gibt der Klügere nie nach. Das wäre ja unklug, würde nicht der Vernunft und Lebensfreude dienen, sondern den Dümmeren das Feld überlassen. Der Spieler regt sich nur über Dummheiten und Fehler nicht auf, wenn er das nicht will. Ihm »passiert« nichts, ihm können keine Wörter »herausrutschen«, auch Hände »rutschen« ihm nicht durch die Landschaft. Ein Harmonie-Spieler ist und bleibt Chef in seinem eigenen Gehirn. Er läßt sich von niemandem etwas gefallen, was ihm nicht gefällt. Niemand kann ihn ärgern, beleidigen, aufregen, in Wut, zur Verzweiflung oder zum Lachen bringen, niemand kann ihn rühren, traurig machen, erheitern oder sonst etwas in seinem Gefühlsleben anrichten, wenn der Spieler selbst das nicht will.

 O je, das kam jetzt etwas früh. Ich glaube nicht, daß uns das viele Leute glauben werden.

 Also bitte! Wer soll uns denn was glauben? Ich habe nur auf einen Einwand von deiner Frau Erna reagiert. Unser Fehler ist eben, daß wir den Trick noch nicht gefunden haben, alles auf einmal zu erklären. Bei einer echten Landkarte kann man sich auf einen Blick orientieren. Wir müssen die Sätze aneinanderreihen. Vielleicht wäre es überhaupt besser gewesen, nicht mit »Nerven nerven« anzufangen, sondern mit den vielen verschiedenen Abteilungen im Gehirn. Wie man’s macht, ist es verkehrt.

 Du wirst doch jetzt nicht depressiv werden!

 Nein danke. Ich tue nur so, weil ich im Augenblick nicht weiterweiß. Es dauert wohl doch noch ziemlich lang, bis wir das Puzzle zusammengesetzt haben.

 Vergiß mal die Gehirnkämmerlein und laß uns beim Harmonie-Spiel bleiben. Hier müssen wir unbedingt noch auf die automatischen, instinktiven, reflexhaften Gefühlsreaktionen zu sprechen kommen. Die hast du vorhin vergessen.

 Ich habe sie ausgelassen, das stimmt. Wie wäre es, wenn wir für dieses Thema noch mal den Bericht über das Nerven-Buch aufwärmen würden? Das ginge kürzer als im Gespräch.

 Aber wir müßten es erst schreiben. Wird das nicht zu lange dauern?

 Keine Sorge, das ist Minutensache.

(Vier Tage später)

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