Der Typ aus Evas Rippe

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Lasst uns an dem Bekenntnis festhalten!

Einmal wurde ich während eines Bewerbungsgesprächs gefragt, welcher Konfession ich angehöre, sofern ich überhaupt ein Bekenntnis hätte. Ich begriff nicht, welchen negativen oder positiven Einfluss die Religion auf eine Tätigkeit als Verkäuferin haben sollte; allenfalls hätte ich mir vorstellen können, dass man ihr, wäre die Bewerberin Muslimin oder zum Islam konvertiert, das tägliche, mehrmalige Beten von der Arbeitszeit abzuziehen gedächte und sie bereits jetzt darauf hinweisen wollte. Und so antwortete ich, obgleich es nicht stimmt, aus einer Laune heraus und mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken: „Ja, ich bin Atheist. Oder Atheistin, wenn Sie wollen.“

Mir war in dem Moment natürlich völlig bewusst, dass ich mir mit dieser Äußerung die geringe Chance, in der Filiale eine Anstellung zu finden, von vornherein verbaute, doch hatte ich aufgrund der eisigen Atmosphäre im bisherigen Gesprächsverlauf ohnehin nicht den besten Eindruck gewonnen. Und ich konnte es mir leisten, mit dem Feuer zu spielen, denn ich hatte – Gott sei Dank – noch mehrere Pfeile im Köcher.

Mein Gegenüber, eine korpulente, gestreng wirkende ältere Dame mit akkurater Hochsteckfrisur, der man die humorlose Chefin auch ohne Teleskop schon aus astronomischer Entfernung ansah, und die ihre nur als Rudimente vorhandenen, weiblichen Attribute mit Hilfe eines Damenbarts, Dauerstirnrunzelns und leicht vorgeschobenen Unterkiefers erfolgreich daran hinderte, wahrgenommen werden zu können, nahm die Brille ab, blinzelte ein paarmal und musterte mich schließlich mit einem verunsicherten Blick.

„Atheist?“

„Ja.“

„Wissen Sie, was das Wort bedeutet?“

„Ja, klar.“

„Nun?“

„Na“, sagte ich und setzte die unschuldigste Mine auf, zu der ich fähig war, „ein Atheist ist jemand, der nicht an Gott glaubt.“

„Aber, das – das – das ist doch keine Konfession!“

Ich stellte mich dumm. „Tatsächlich? Entschuldigen Sie, aber dies ist mir neu. Ich hatte bislang immer gedacht, Konfession würde Glaubensbekenntnis bedeuten, und wenn ich als Athe…“


„Das tut es auch.“

„Und Atheismus zählt nicht darunter?“

„Natürlich nicht!“

„Das ist seltsam“, sagte ich kopfschüttelnd und starrte auf das kleine Kreuz gegenüber, das sich vor meinem geistigen Auge zu vermehren begann, bis die ganze Wand damit übersät war. „Dabei habe ich ja einen Glauben.“

„Sie sagten doch gerade, dass Sie – dass Sie nicht an Gott glauben.“

„Richtig, das sagte ich.“

„Ja – woran glauben Sie denn dann?“ Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie an meiner geistigen Gesundheit zweifelte.

„Na, ich glaube eben, dass es keinen Gott gibt.“

Ihr leicht zur Seite geneigter Kopf, der offenstehende Mund und der starre Blick, welcher, der Welt entrückt, über meinen Kopf hinweg irgendwo in den Raum zielte, ließen meine Hand unwillkürlich über mein Haar streichen, um sicherzugehen, dass mir nicht etwa ein goldenes Geweih oder Schlimmeres wuchs.

Um es abzukürzen: Ich bekam die Stelle nicht. Auf eine offizielle Begründung warte ich heute noch.

Lass dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes …

Schon der Gedanke daran sollte unter Strafe stehen, wenngleich ich persönlich die diesbezüglich empfohlenen und auf „selbstkritischer Eigenexekutive“ beruhenden Repressalien der Evangelien des Neuen Testaments für „leicht“ übertrieben halte. So ruft Jesus von Nazareth die Galiläer in seiner Bergpredigt mit allem Nachdruck zur Selbstverstümmlung auf, sollten sie es, obgleich verheiratet, wagen, einer anderen Frau wollüstige Blicke zuzuwerfen. Es steht in Matthäus, Kapitel Fünf, Verse Siebenundzwanzig bis Dreißig der Einheitsbibel geschrieben, und ich zitiere – ohne Einfügen einer Fußnote – wörtlich:

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen! Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.

Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg (…).

Denn besser ist für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.“

Wohl dem, der damals Linkshänder war und so viel Geschick besaß, mit einem einzigen Hieb einen glatten Schnitt zustande zu bringen. Unterstellen wir mal, dass all dies wortwörtlich zu nehmen sei, warum dann eigentlich die Hand? Ich hätte ein ganz anderes Glied mit Strafe bedroht.

Mein Ex-Mann Marco war ein typischer Vertreter seines Geschlechts. Ich gehe natürlich davon aus, dass er es noch heute ist und seine derzeitige Flamme mit denselben männlichen Verhaltensweisen nervt, mit denen er mir jahrelang auf die Eierstöcke ging. Es gab Situationen, die man aushalten konnte, mitunter gar belustigend fand – zumindest im Nachhinein –, dann wieder solche, für die man ihm morgens etwas in die letzte Tasse Kaffee seines Lebens hätte tun mögen.

Marco hat(te), wie die meisten seiner Geschlechtsgenossen, einen ausgeprägten Tunnelblick und ein vorprogrammiertes, zielstrebiges Wesen. Wenn er sich beispielsweise in der Innenstadt befand, dann ausschließlich zu dem Zweck, ein besonderes Geschäft oder eine bestimmte Institution aufzusuchen, um danach ohne Verzögerung den Heimweg anzutreten. Während er vom Parkhaus aus auf sein Ziel zusteuerte, schaute er nicht nach links oder rechts, und so konnte es geschehen, dass er die eine oder andere Bekannte übersah und sich Vorhaltungen gefallen lassen musste. Von seinen männlichen Freunden, die ihm über den Weg liefen, hatte er das kaum zu befürchten; die nahmen ihn meist ebenso selten wahr wie er sie.

Merkwürdigerweise bekam es sein Unterbewusstsein aber mit, wenn er einer nach seinem Dafürhalten hübschen oder in sexueller Hinsicht akzeptablen Frau begegnete. Dann zwang es seinen Kopf, sich während des Weitergehens nach ihr umzudrehen. Das geschah und geschieht überall auf der Welt. Alle Männer sind so, habe ich mir sagen lassen. Das liegt wohl in ihrer Natur. Soll sogar experimentell nachgewiesen sein.

Bereits zu biblischen Zeiten erkannte man die Gefahren, in welche sich die Männer zu begeben drohten:

Schau nicht umher auf den Wegen zur Stadt,

streif nicht umher in ihren abgelegenen Winkeln!

Verhüll dein Auge vor einer reizvollen Frau,

blick nicht auf eine Schönheit, die dir nicht gehört.

Wegen einer Frau kamen schon viele ins Verderben,

sie versengt ihre Liebhaber wie Feuer.7

Meinetwegen hätte sich Marco ja versengen lassen, … also sich umdrehen können, nach wem er wollte. Ärgerlich war die Sache für mich nur, wenn er es in meiner Anwesenheit tat. Das nahm ich regelmäßig persönlich.

Einmal waren wir zusammen in der Stadt und gingen über den belebten Boulevard, als er es wieder tat. Ich kochte innerlich. Zu Beginn unserer Beziehung hatte ich mich zurückgehalten und so getan, als würde ich es nicht bemerken. Wir waren ja damals noch nicht derart „untrennbar“ liiert, sprich verheiratet, dass ich ihm hätte Vorhaltungen machen wollen. Doch nun fragte ich ihn: „Kennst du die Frau?“

„Welche Frau?“

„Die, nach der du dich gerade umgedreht hast.“

Er blieb stehen und wendete suchend den Kopf.

Ich beschloss ruhig zu bleiben. „Sag bloß, du kriegst das gar nicht mit. Du hast gerade die Brünette in dem hellblauen Kleid dort ins Visier genommen. Das hab ich genau gesehen.“ Ich deutete mit dem Kopf in die Richtung.

Er blinzelte und stand mit offenem Mund da wie ein begossener Pudel. Seine Augen stocherten in den Menschenmassen umher.

„Jetzt steht sie vor dem Lotto-Laden, geht hinein. Siehst du sie?“

„Nach der soll ich geschaut haben?“, fragte er kopfschüttelnd. „Die ist gar nicht mein Typ!“

Das kam ihm so treuherzig über die Lippen, dass ich lachen musste.


Ob Laternenmast oder nicht, bleibt sich gleich …

Hundert Meter weiter das gleiche Spiel. Diesmal war es eine aufgetakelte Blondine in grüner Bluse mit gewagtem Ausschnitt und engen, verwaschenen Jeans. Er wendete sich nach ihr um und musterte sie eindringlich, während seine Beine wie im Selbstlauf auf ursprünglichem Kurs blieben. Unglaublich!

Ich hatte indes nur drei Sekunden lang Zeit, zu überlegen, auf welche Weise ich ihn rügen sollte. Dann nahm mir ein Laternenmast die Entscheidung ab.

Wenn einer Ohren hat zum Hören, so höre er!

Marco machte, wie mir seine Eltern zu Beginn unserer Beziehung während eines Gesprächs unter sechs Augen und unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit anvertrauten, auch auf andere Art schmerzhafte Erfahrungen. Weitaus gefährlicher als sein Tunnelblick und der mit latenter Verletzungsgefahr einhergehenden Neigung, sich während des Gehens von weiblichen Schönheiten ablenken zu lassen, war nämlich sein Unvermögen, aufmerksam zuhören zu können. Ich müsste das wissen, meinten sie, um gewappnet zu sein, und so sollte ich mich, bevor ich ihn direkt auf etwas ansprechen durfte, zunächst seiner ungeteilten Aufmerksamkeit versichern.

 

Schon Jesus Christus hatte seinen Jüngern unmissverständlich eingetrichtert:

Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird,

und nichts Geheimes, das nicht bekannt wird

und an den Tag kommt.

Gebt also acht, dass ihr richtig zuhört (…)8

Es war etwa ein Jahr, bevor ich ihn kennenlernte – also Marco, nicht Jesus. Er befand sich im dritten Lehrjahr und wohnte noch bei seinen Eltern, als er eines Nachts, zwar lädiert, doch offensichtlich nüchtern, von seinem Skatabend nach Hause gewankt kam. Die Jacke dreckig und zerrissen, ein ausgewachsenes Veilchen rund ums linke, geschwollene Auge, Schürfwunden an Handballen und Knien …

Vom entsetzten Vater zur Rede gestellt, erzählte er, es wäre gar nicht zum Skatspielen gekommen, weil ihr dritter Mann kurzfristig abgesagt hatte, und wie sie noch beratschlagten, was mit dem Abend weiter anzufangen sei, wären drei große, grobschlächtige Kerle hereingekommen und hätten sich an ihren Tisch gesetzt. Sein Freund Danny hatte kein Problem damit; er war mit den dreien gleich per Du – besonders mit dem, den sie „Breaker“ nannten. Der war Kran- oder Baggerfahrer oder etwas in der Art und schwärmte von seinem Job im Allgemeinen und von der Arbeit mit der Abrissbirne im Besonderen. Er schien sich in dieses Gerät regelrecht verliebt zu haben. Wer ihn mit glänzenden Augen und verklärtem Blick von dieser martialischen Stahlkugel reden hörte, traute ihm zu, seine tonnenschwere Angebetete abends am liebsten sogar mit ins Bett nehmen zu wollen, wenn es denn sowohl die Statik der Schlafstätte als auch die des Hauses zugelassen hätten.

Danny und die Kumpel des Breakers quiekten vor Vergnügen, als dieser nun eine Verwüstungs-Story nach der anderen zum Besten gab, nur Marco fand keinen Zugang zu seinen neuen Gesprächspartnern; ihn interessierte deren Thematik nicht. So saß er gedankenverloren auf seinem Stuhl, schlürfte sein Bier, starrte mit nach innen gerichtetem Blick vor sich hin und irgendwann auch in das Gesicht des Breakers, der irritiert ins Stocken geriet. Auf dessen Stirn erschienen vertikale Falten, und sein Unterkiefer schob sich nach vorn. „Was ist los, wieso glotzt du so dämlich?“

Danny, der im Eifer gar nicht auf seinen Freund geachtet hatte, erschrak, begriff die Situation jedoch sofort, verpasste Marco einen Rippenstoß mit dem Ellbogen und zischte: „Los, Mann, nun sag du auch mal was!“ Und Marco erwachte aus seiner Starre, griente den Breaker an und stellte die alles entscheidende, verhängnisvolle Frage: „Ja, eh – was machst du eigentlich beruflich so?“

Der Breaker, der wohl noch nie etwas ohne seine vergötterte Abrissbirne auseinandergenommen hatte, beschloss spontan, hier eine Ausnahme zu machen. Im letzten Moment gelang es Marco, aus den Klauen des Gewalttäters zu fliehen, bevor er schwerere Verletzungen als Hämatome und Schürfwunden davontragen konnte. Auch Danny nutzte die Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen, um nicht als Äquivalent herhalten zu müssen.


„Um Himmels Willen, Breaker – das ist nicht die Ruine – das ist der Neubau!

Es ist nun einmal das Los der Männer, sich nicht auf mehrere Sachen gleichzeitig konzentrieren zu können und manchmal kann das, wie man sieht, sogar lebensgefährlich sein.

Und wenn ihr dem Herrn wollt ein Dankopfer tun …

Männer haben im Allgemeinen eine völlig anders geartete Verdauung als Frauen. Keine Angst, ich komme jetzt nicht – zumindest nicht ausführlich – auf das leidige Thema der Flatulenzen und die damit verbundenen Geräusche und Gerüche zu sprechen, die uns Frauen den Magen umzudrehen vermögen.

Ein Mann ist, soviel kann ich aus eigener Erfahrung mit dem meinigen berichten, ernährungstechnisch mit einem Stoffwechsel gesegnet, der noch aus der Steinzeit zu stammen scheint. Da gibt es kaum Ausnahmen. Womit ich nicht sagen möchte, dass er es fertig brächte, Steine im Sinne des Wortes zu verdauen (obgleich ich Marco diesbezüglich durchaus für befähigt halte).

Es ist vielmehr so, dass Männer in der Lage sind, abgelaufene, ja leicht verdorbene Lebensmittel zu sich nehmen zu können, ohne Nebenwirkungen fürchten zu müssen – zumindest in den meisten Fällen. Als Jäger der Urzeit mussten sie stets bei Kräften bleiben und das Wild auf große Strecken verfolgen können, ohne an dem, was sie unterwegs fanden und zu sich nahmen – tödlich giftige Pflanzen mal ausgeklammert –, ernsthaft zu erkranken. Lunchpakete für tagelange Jagdausflüge gab es ja damals nicht. Allerhöchstens Trockenfleisch.

Es gab auch noch keine Vakuumverpackungen, Konservendosen, Kühlschränke oder Tiefkühltruhen, und so nimmt es nicht wunder, dass dieser Umstand in den Zehn Geboten des Herrn Berücksichtigung findet, heißt es doch hier wörtlich:

Und wenn ihr dem Herrn wollt ein Dankopfer tun,

so sollt ihr es opfern, dass es ihm gefallen könne.

Ihr sollt es desselben Tages essen,

da ihrs opfert und des anderen Tages;

was aber auf den dritten Tag übrigbleibt,

soll man mit Feuer verbrennen.9

Achtung, jetzt wird’s interessant:

Wird aber jemand

am dritten Tag davon essen,

so ist er ein Gräuel,

und wird nicht angenehm sein.10

Gott hätte auch sagen können: So wird es ihm ein Gräuel sein und nicht mit Annehmlichkeiten verbunden. Nämlich was Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Brechattacken und andere unschöne Symptome betrifft.

Klar, eine Eiweißvergiftung wäre wohl das Mindeste gewesen, und dass es sich bei den Opfergaben im Wesentlichen um Fleischernes gehandelt haben dürfte, welches ja bekanntermaßen schneller als vegetarische Kost zum Verderben neigt, wird einem jeden klar, der sich den Grund für Abels Tod ins Gedächtnis ruft:

Es begab sich aber nach etlicher Zeit,

dass Kain dem Herrn Opfer brachte

von den Früchten der Feldes

und Abel brachte auch von den Erstlingen

seiner Herde und von ihrem Fett.

Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer,

aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an (…).11

Da erschlug Kain seinen Bruder wenig später aus Wut und Zorn. Und das war beileibe kein Handeln im Affekt, sondern geschah aus niederen Beweggründen!

Der Herr dürfte also, sofern er nicht inzwischen mit der Zeit geht, kaum Vorlieben für Vegetarisches haben, was nicht verwundert, wenn man sich ihn als „Mann“ denkt. Das wieder nur am Rande.

Worauf ich nun eigentlich hinaus will: Marco konnte problemlos einen nach vier Tagen trotz ununterbrochener Kühlung unangenehm riechenden, an der Oberfläche schon leicht schmierigen Hackbraten oder eine ganze säuerlich-süße, bereits in alkoholische Gärung übergegangene Ananas oder Melone verdrücken, ohne befürchten zu müssen, spätestens eine halbe Stunde danach von Krämpfen geschüttelt zu werden, im Gesicht blass-grün anzulaufen, Herpes zu bekommen und stundenlang das Klo mit einem Eimer zwischen den Knien zu blockieren, wie es mir an seiner Stelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegangen wäre, sofern ich nicht gleich das Zeitliche gesegnet hätte.


Einerseits bewunderte ich ihn ob dieser seiner Veranlagung – wie einen die Fähigkeit eines Typen fasziniert, mit nacktem, mehlbestäubtem Hintern vor laufender Kamera eine Melodie furzen zu können, ohne dass man selbst mit derartigem Talent gesegnet und öffentlich zur Schau gestellt sein möchte –, andererseits riefen sie Mordgelüste in mir wach, wenn sich nach dem Genuss solcher „Delikatessen“ zu nachtschlafender Zeit öfter als üblich seine Bettdecke hob.

Ich bin heilfroh, einen gewissen Geschmack zu besitzen und nicht alles wahllos in mich hinein schaufeln zu können oder zu wollen. Man hat als Frau schließlich Stil, nicht wahr? Marco sprach mir selbigen allerdings ab, denn wenn ich wirklich einmal sein seltsames, um nicht zu sagen abartiges Essverhalten zum Thema machte, unterbrach er jegliche meiner weiteren Argumentationen regelmäßig mit der weit hergeholten, ja geradezu provokativen Frage: „Und was ist mit deiner Vorliebe für Hamburger?“

Ich weiß bis zum heutigen Tage nicht, wieso er gerade diese ins Spiel brachte. Ich habe noch nie einen Burger bei Mc-Soundso oder Hast-du-nicht-gesehen-King verdrückt, der einen Verwesungsgeruch wie ein drei Wochen lang vor sich hin gammelnder Wildschweinkadaver verbreitet hätte.

Merkwürdigerweise sind es gerade die als Gourmets verschrieenen Franzosen, die „gut abgehangenes Wildbret“ bevorzugen und die die stinkende, grünlich verfärbte Silberhaut der „gereiften“ Wildkeule als Hautgout schätzen, welche man vor der Zubereitung maximal mit Wasser abspülen, doch des späteren „Wohlgeschmacks“ wegen keinesfalls entfernen sollte.

Aber es gibt ja auch in China glasige, wochenlang fermentierte Eier und in Schweden verfaulten Fisch in gewölbten Dosen, dem sogenannten „Surströmming“ (der Übersetzung nach eine Art saurer Hering, was in dem Fall so passend ist, als würde man sagen, Zitronen wären so etwas wie Mandarinen, nur herber im Geschmack). Jedenfalls duftet in Silos gereifte Silage dagegen wie Rosenöl. Ach ja, und da wäre dann noch der Eishai, den man gezielt verwesen lässt, und der ganze Heerscharen von Feinschmeckern in blankes Entzücken zu versetzen vermag, während sich die „Otto Normalverbraucher dieser Welt“, die neunundneunzigkommaneun Prozent der Menschheit ausmachen dürften, beim bloßen Geruch – und das zehn Meter gegen den Wind – in Krämpfen winden und ihren Mageninhalt von sich geben, bis ihnen die Tränen in den Augen stehen. Genug der „lukullischen“ Beispiele!

Angesichts dieser Veranlagung frage ich mich, ob die Männer vielleicht zu einem gewissen Grade selbst für die schleichende Verkümmerung ihres Y-Chromosoms verantwortlich zeichnen?!

Mache dir einen Kasten von Tannenholz!

Wenn Männer sich daran machen, Do-it-yourself-Projekte zu verwirklichen, muss alles perfekt und zuvor hundertmal durchdacht sein. Schließlich will man(n) sich ja was beweisen und auch anderen zeigen, dass man(n) ’s drauf hat.

Die kreativsten Mannsbilder werden versuchen, sich die benötigten Teile im Baumarkt zusammenzustellen, während sich ihre, mit geringfügig weniger Talent gesegneten Geschlechtsgenossen immerhin noch trauen, einen Schrank oder ein Regal einer bekannten schwedischen Möbelkette nach der mehr oder weniger fehlerhaft ins Deutsche übersetzten Anleitung innerhalb eines überschaubaren, mittelfristigen Zeitraums und, sofern ihnen das Glück hold ist, mittels vollständiger Schrauben, Dübel und sonstiger Einzelteile aus der Originalverpackung zusammenzuschustern.

Als Noach die Weisung Gottes erhielt, eine Arche zu bauen, bekam er es mit schwerwiegenderen Problemen zu tun, als lediglich einen lumpigen Sechs-Millimeter-Querverbinder in eine beidseitig gefaste Proportionalnut nach Abbildung A-25-3 handfest zu flanschen. Selbst wenn man unterstellt, dass er sich mit der Materie auskannte, ursprünglich vielleicht sogar Zimmermann gelernt hatte, so musste er doch eine Aufgabe bewältigen, die heutigen Tags geeignet wäre, Heerscharen von Schiffsbauern in den Wahnsinn zu treiben.

Die Genesis sagt nichts darüber aus, in welcher Zeit, mit welchen Hilfsmitteln, Werkzeugen und Arbeitskräften Noach sein Werk vollendete. Wenn man dazu noch annimmt, dass er das Baumaterial nicht vom Herrn frei Haus geliefert bekam und sicherlich nur seine Frau, die drei Söhne und deren Frauen als ungelernte Gehilfen einspannen konnte, musste es angesichts der Dimensionen des Projekts mehrere Jahre, was sage ich, Jahrzehnte gedauert haben.

 

Die Arche war in etwa hundertfünfzig Meter lang, fünfundzwanzig breit und fünfzehn hoch, sofern man für das Maß einer Elle der damaligen Zeit, derer es ja verschiedene gab, knapp fünfzig Zentimeter veranschlagt. Der Lastkahn musste innen und außen mit Pech wasserdicht kalfatert werden und neben drei Decks auch ein Dach, eine große, seitliche Ladeluke und zahlreiche Kammern besitzen.

Den Stapellauf wollte der Herr immerhin in eigener Regie besorgen, sodass Noach wenigstens der langwierige Bau eines Trockendocks oder einer schiefen Ebene mit Rollen und Schienen in Richtung des Flusses erspart blieb. Vielleicht drängte am Schluss auch nur die Zeit.

Irgendwann hatte unser Schiffsbauer die Riesenaufgabe gelöst, da kam schon die nächste: Der Herr wollte nicht nur Noach mit seiner Familie vor den Wasserfluten schützen, mit denen er die übrige Menschheit zu vernichten gedachte, nein, auch die Tiere sollten in die neue Welt hinübergerettet werden, und zwar je sieben Paare aller reinen und je ein Paar aller unreinen Arten, die zu diesem Zeitpunkt auf der Erde herum wuselten. Warum Gott angesichts dieses Mischungsverhältnisses überhaupt auf die Errettung der unreinen Arten Wert legte, bleibt sein Geheimnis.

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, zu überschlagen, auf welche Summe sich das Ganze belaufen könnte – es musste sich inklusive Insekten, Kerbtieren und anderem Kleingetier um zig Millionen handeln. Dazu kamen Lebensmittel für die Menschen und Futter nebst Streu für die Tiere, sowie Trinkwasser für die Zeit eines reichlichen Jahres, während dessen die Arche auf den alles Leben verschlingenden Fluten umher dümpelte. Und dafür hatte Noach gerade mal eine Woche lang Zeit! Nur gut, dass sämtliche Fische, Meeressäuger und anderes Wassergetier im wahrsten Sinne des Wortes außen vor bleiben konnten; nicht auszudenken, welche Schiffsdimensionen und welches Know-how erforderlich gewesen wären, hätte Noach allein die verschiedenen Walarten mit ins Boot nehmen müssen.


„Was soll das sein, Noach? Ist das etwa ein Schiff?“ „Wieso Schiff, oh Herr? Du sprachst von einem Kasten …“

Und bevor jetzt ein ganz Schlauer kommt und fragt, was denn aus den Fischarten geworden ist, die nicht auf Salz, sondern Süßwasser angewiesen waren (es liegt ja auf der Hand, dass alle Teiche, Tümpel, Seen, Flüsse und Bäche in Mitleidenschaft gezogen wurden, wenn sich die Erde für die Dauer eines knappen Jahres in eine einzige Salzwasserkugel verwandelte), so sage ich nur: Gott allein weiß es.

Ich möchte auch nicht darüber nachdenken, wie Noach und seine Familie die Hinterlassenschaften ihrer Passagiere entsorgt haben und welche Arbeit sie damit hatten, verfügte die Arche doch dem Bibeltext zufolge nur über ein einziges Fenster. Die große Ladeluke hatte Gott, der Überlieferung nach, nämlich von außen verschlossen, bevor er des Himmels Schleusen öffnete, und aus dem Bibeltext geht lediglich hervor, dass Noach nach erfolgter Strandung im Ararat-Gebirge erst das Verdeck seines hölzernen Lastkahns entfernen musste, um sich einen Überblick verschaffen zu können. Er öffnete also nicht einfach bloß mal so eine Tür oder ein Schott, sondern „entfernte das Verdeck“, was immer man sich darunter vorzustellen vermag.

Der Grund für meine recht ausführliche Beschreibung der Widrigkeiten, mit welchen Noach zu kämpfen hatte, liegt darin, dass sich Marco beim Verwirklichen seiner, im Gegensatz zu unserem biblischen Schiffsbauingenieur äußerst bescheiden wirkenden Vorhaben meist sehr schwer tat.

Natürlich wollte er, wie Männer so sind, alles ohne fremde Beteiligung realisieren. Wenn er einmal an seine Grenzen stieß und nicht umhin kam, mich hinzuzuziehen, beschränkte sich meine Hilfe lediglich darauf, ihm einen Pfosten zu halten, an dem er herumbastelte oder ein bestimmtes Werkzeug zu reichen, an das er ohne akrobatische Höchstleistung und zeitlichen Mehraufwand nicht gelangen konnte.

Wir hatten damals gerade unsere Dreiraumwohnung in einem Altbau-Mehrfamilienhaus bezogen und eingerichtet, die Hochzeit stand unmittelbar bevor, und ich war überdies in anderen Umständen, da kam er auf den glorreichen Gedanken, im zukünftigen Kinderzimmer ein Zwischenpodest zu errichten. Ein Zimmer im Zimmer sozusagen. Die Raumhöhe von fast dreieinhalb Metern ließe das zu, meinte er. So könne unser Sprössling, sofern dem Laufgitter entwachsen, auf diesem überdimensionierten Hochbett schlafen, während darunter genügend Raum zum Spielen und Erledigen der Hausaufgaben blieb.

Ich konnte mir das Ganze nicht recht vorstellen und meinte, ein Hochbett aus dem Möbelhaus würde es ebenfalls tun, und selbst das hätte noch ein paar Jahre lang Zeit, doch er war Feuer und Flamme für seine Idee, und so stimmte ich schließlich schulterzuckend zu und dachte bei mir: Lass ihn nur machen, da hat er was zu tun und ist weg von der Straße.

Die nächsten zwei Wochen über war nun der Gliedermaßstab Marcos ständiger Begleiter. Er stellte Berechnungen an, klapperte die Heimwerkermärkte ab, um so preiswert wie möglich an die Bauteile zu kommen und fertigte handgezeichnete Skizzen an, die er „technische Zeichnungen“ nannte, und die mich, als ich sie zufällig zu Gesicht bekam, an alles mögliche erinnerten, nur nicht an das Bauprojekt eines hölzernen Zwischenpodests, eher an ein Dutzend übereinander kopierte Strickmuster. Als ich ihn darauf ansprach und vorsichtig äußerte, dass ich nicht ansatzweise etwas Hochbettartiges zu erkennen vermochte, reagierte er ungehalten und knurrte, ich solle ihn nur machen lassen; Frauen könnten die Größe eines solchen Projekts eh nicht erfassen, würde ihnen doch das räumliche Vorstellungsvermögen fehlen.

Ich hielt mich also im Weiteren aus seinem Bauvorhaben heraus, welches wenig später in die „heiße Phase“ überging. Nun hörte man, sofern Marco in der Woche mal einen oder zwei Tage frei bekam, im ganzen Haus von morgens bis abends nichts anderes als ein nerviges Sägen, Bohren, Hämmern und Schleifen. Desgleichen in den Stunden nach Feierabend. Ich hatte meine liebe Not damit, meinen Bauwütigen davon abzuhalten, auch während der polizeilich verordneten Ruhezeiten den Hammer zu schwingen und selbst Sonn- und Feiertags Geräusche über Zimmerlautstärke von sich zu geben, war es doch wie ein Rausch, der ihn erfasst hatte und nicht mehr zur Ruhe kommen ließ.

In den Tagen unmittelbar vor und nach unserer Hochzeit konnten die Mieter aufatmen, denn da herrschte Baustopp. Die Flitterwochen allerdings mussten aus beruflichen sowie organisatorischen Gründen verschoben werden, und so wurde die Baustelle schon bald wieder eröffnet.

Ich dürfe mir die Teilerfolge, derer sich mein frischgebackener Ehemann rühmte, natürlich nicht vor der Zeit betrachten, das hatte er mir nachdrücklich ans Herz gelegt; schließlich wollte er mich mit unverhohlenem Staunen im Gesicht dastehen sehen und mir das Ganze als Überraschung und fertiges Produkt präsentieren. Ich hielt mich daran; die Baustelle war für mich tabu.

Das änderte sich schlagartig, als eines Tages – Marco war auf Arbeit – die Verdunstungsröhrchen unserer Heizkörper abgelesen wurden und der Mitarbeiter, der damit beauftragt worden war, völlig verzweifelt an der Küchentür klopfte, um meinen Rat einzuholen, wie er wohl im Zimmer nebenan zum Heizkörper gelangen könnte. Was er meinte, wurde mir klar, als ich einen Blick in den Raum warf. Marco hatte es doch tatsächlich fertig gebracht, eine komplette Tischlerwerkstatt mit elektrischen Geräten, Werkzeugen, Metallwinkeln, Beschlägen, Schraubenkartons und umfangreichem Baustofflager auf fünfzehn Quadratmeter zu schrumpfen. Woher er die nötige Bewegungsfreiheit zum Arbeiten nahm, war mir ein Rätsel.

Der Kollege der Stadtwerke schmunzelte nur, als ich ihm – nach erfolgreichem Vordringen zum Heizkörper unter Zuhilfenahme all unserer Kräfte – mein Leid klagte. Ich weiß bis heute nicht, ob dieses Schmunzeln eher Verständnis für meine Lage oder Marcos Bauwut signalisieren sollte. Was war ich auch so vermessen, mich diesbezüglich einem Mann anzuvertrauen?!

Marco sagte ich natürlich nichts davon, dass ich seine Baustelle inspiziert hatte. Ich ging sogar noch einen Schritt weiter und enthielt ihm gänzlich den Besuch des Ablesers vor; es lag in der Natur der Sache, dass mein Mustergatte mit anderen Gedanken beschäftigt war, um danach zu fragen, obgleich er den Termin ebenso hätte kennen müssen.

Apropos vermessen: Es wäre töricht, zu glauben, dass sich alles, was Marco im Zusammenhang mit seinem Bauvorhaben anpackte, automatisch in Gold verwandelte. Ich hörte ihn ab und an fluchen. Seine Kraftausdrücke, meist ein gewisses Stoffwechselendprodukt betreffend, übertönten sogar das schrille Kreischen der Handkreissäge, was meinem Nervenkostüm zum Ende des siebten Schwangerschaftsmonats nicht besonders zuträglich war, sah ich doch regelmäßig abgetrennte Finger vor meinem geistigen Auge. Auf die Idee, Marco könnte sich einfach nur „im Holz versägt“ haben, kam ich verständlicherweise erst, nachdem ich mit bleichem Gesicht auf der Schwelle zur Baustelle stand und er mich anfuhr, es sei alles in Ordnung, ich solle ihn in Ruhe lassen und die Tür schließen.

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