Trilogie des Mordens

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Trilogie des Mordens
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Ulrich W. Gaertner wurde 1943 in Oppeln O/S geboren. Nach Ausbildung und Tätigkeit als Buchdrucker trat er in die Schutzpolizei des Landes Niedersachsen sein. Es folgten der Wechsel zur Kriminalpolizei und der Aufstieg in den gehobenen Kriminaldienst. Er war Leiter des Fachkommissariats für Kapitalverbrechen, Leiter von zahlreichen Mordkommissionen und zeitweilig als Leiter des ZKD bei der PI Lüneburg tätig. Im Ruhestand nimmt Ulrich Gaertner kriminalistische Beratungsfunktionen u.a. für Drehbucherstellung und Filmstoffe dar.

Ulrich W. Gaertner

Trilogie des Mordens

Ein Kommissar am Limit

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Der Autor erklärt, dass Ähnlichkeiten von Personen oder Handlungen mit dem Inhalt des Romans nicht beabsichtigt, oder nur einem Zufall zuzuordnen sind.

Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Covergestaltung: Susanne Althöfer, Lauenburg/Elbe

Gestaltung Klappentext: Thomas Nolte vom Thono-Audio Verlag, Soderstorf

ISBN 978-3-95-488956-3

1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Zum Autor

Titel

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Prolog

Trilogie des Mordens

Nachwort

Für Beate,

die mir neue Kraft zur Vollendung meines Buches geschenkt hat.

Dafür bin ich ihr von Herzen dankbar.

Prolog

Der Mann aus der Drei-Flüsse-Stadt Hannoversch Münden, der hinter die dunklen Geheimnisse desjenigen gekommen ist, der ihn manipuliert und gleichzeitig Haupt einer Sekte ist, die Hydra ähnlich den Kontinent umspannt, sonnt sich im wohligen Gefühl des Siegers.

Nun wird sich alles wenden. Er, der Sieger, wird endlich die Karriereleiter hinaufklettern, deren Besteigung ihm bisher verwehrt geblieben war, und sein Leben genießen, wie er es sich immer in seinen Träumen ausgemalt hat. Gleichzeitig erfüllen den intelligenten Rechercheur Gedanken der Rache und der Befriedigung, als vor seinen Augen wiederholt die Szene abläuft, in der er den Lenker seines bisherigen Lebens von seinem hohen Ross stieß.

Doch er ahnt nicht, dass er den mächtigen Mann unterschätzt hat, und dass die geernteten Früchte bereits wie von einem unsichtbaren, herbstlichen Verwesungshauch umweht werden.

Der gut gekleidete Reisende, der den Komfort der weichen Polster genießt, schreckt aus seinen Gedanken hoch. Die trennende Glastür ist mit einem Ruck aufgeschoben worden. Im metallenen Türrahmen steht plötzlich ein großer Mann. Sein Gesicht verbirgt sich hinter einer ABC-Schutzmaske. Wie bei der Bundeswehr zu meiner Zeit, registriert der Überraschte. Das ist nicht normal.

Mit einer blitzschnellen Handbewegung wirft der Eindringling etwas Blinkendes auf den Fußboden des engen, beleuchteten Raumes und tritt mit einer ebenso schnellen Bewegung darauf. Der Sitzende nimmt verwundert ein leises Knirschen wahr. Er richtet seinen Blick auf die Stelle, von der der Eindringling seinen Fuß schon wieder zurückzieht und mit einer gleitenden Bewegung den Raum mit den gepolsterten Sitzreihen verlässt. Als er die Tür zuschiebt, steigt bereits von dem zerbrochenen Gegenstand ein bitterer Geruch auf und füllt sekundenschnell den Raum in seiner Gänze aus. Urplötzlich springt der Passagier auf und umfasst mit beiden Händen seinen Hals, der keine Luft mehr zu den Lungen durchlassen will. Er erkennt die tödliche Gefahr. Taumelnd, mit herausquellenden Augen und rasendem Puls erreicht er die Glastür, die den Weg zum Leben versperrt. Doch der Maskierte auf der anderen Seite muss nicht einmal besonders viel Kraft aufwenden, um sie verschlossen zu halten.

Der Hilfesuchende knickt haltlos zusammen, sein Magen entlädt sich unkontrolliert. Die letzte Erkenntnis seines absterbenden Gehirns gilt seinem Mörder, den er trotz der Vermummung erkannt hat. Dann ist alles nur noch Dunkelheit um ihn herum und er nimmt nicht mehr wahr, dass der Maskierte gleichgültig über ihn hinweg steigt. Ein paar gezielte Handgriffe, und schon ist dessen Aufgabe erledigt. Die reglose Gestalt auf der grauen Auslegeware interessiert ihn schon nicht mehr, auch nicht der tödliche Dunst, den die Spezialfilter seiner Maske mühelos absorbieren. Auf seinem Weg in den Schatten der Nacht lässt er die Schiebtür geöffnet zurück. Sie hat ihren Zweck erfüllt.

Wie in einem Traum, beinahe lautlos, bewegen sich schemenhafte, fremde Gestalten – ab und zu in einen Lichtkegel getaucht – auf dem Weg in die Schatten. Auch ihre Gesichter sind dunkel maskiert. Gefahr geht von den Gestalten aus.

Die anderen beiden vertrauten Gestalten nehmen den Weg ins Licht. Ihre Schuhe erzeugen auf den rechteckigen Betonplatten des großen Bahnhofes ein dumpf stampfendes Geräusch. Mit Erstaunen nimmt der unsichtbare Beobachter eine weitere Gestalt im Augenwinkel wahr. Allzu Bekanntes spannt plötzlich den Bogen in die Erinnerung. Dann ist auch dieser Moment Vergangenheit.

Der vom Alkohol benebelte Mann realisiert noch nicht, was ihm seine Augen mit ihren Millionen von Sehzellen übermitteln Die dem Beobachter eigene Vorsicht rät ihm, dem Ort der zweigeteilten Handlung schleunigst den Rücken zu kehren. Nicht ahnend, dass sich das traumähnliche Vorkommnis zu einem Alptraum entwickeln wird.

Der Mitternachts-ICE ist schon mit Verspätung in Hamburg gestartet. Als er nun mit kreischenden Bremsen bei seinem außerplanmäßigen Halt auf Gleis 1 des leer gefegten Bahnhofes in Lüneburg zum Stehen kommt, sind der diensthabende Aufsichtsbeamte und die beiden Polizeibeamten in den dunkelgrünen Uniformen der Bundespolizei die einzigen, die gespannt das Eintreffen des Zuges erwarten. Nach einem Anruf des Zugbegleiters hat der Diensthabende seine Entscheidung getroffen. Der Triebkopfführer bringt den schnellen Zug mit der aerodynamischen cremefarbenen Nase so zum Stehen, dass die Wagen 28 und 29 direkt vor dem Ausgang zur erleuchteten Bahnhofshalle zum Stehen kommen. Der lange Rest des Fernreisezuges verliert sich am Ende des endlos scheinenden Bahnsteiges im Dunklen.

Der Bahnbeamte, der den zwei Bundespolizisten im Nachbargebäude die Eilt-Nachricht aus dem Dienstabteil des Zugführers persönlich übermittelte hatte, traf beide Beamte vor dem Fernseher dösend an. Die plötzliche Störung durch die unangenehme Nachricht hatte sofort hektische Aktivität ausgelöst.

Ein Toter im ICE 1403, in der Ersten Klasse, Wagen 28, Abteil 8, lautete der Text der Meldung.

Der frühlingskalte Nachtwind fegt von Westen über den Bahnsteig. Die Polizisten ziehen den Reißverschluss ihrer dunkelgrünen Einsatzjacken fast gleichzeitig hoch und blicken erwartungsvoll auf die Waggontür, die sich jetzt zischend öffnet. Dort erscheint der junge Zugführer in seiner dunkelblauen Dienstkleidung, darauf ein Namensschildchen.

Groß, schlank, dynamisch wirkend; eine ansprechende Erscheinung, wie auf den Werbeplakaten der Deutschen Bundesbahn, denkt Polizeihauptmeister Falkenberg, der ältere der beiden Polizisten und betrachtet wehmütig seinen leichten Bauchansatz.

Doch zu dem so souverän wirkenden Äußeren passt die Stimme des Mannes nicht. Blass und leicht krächzend wendet er sich an die drei Uniformierten, die auf dem Bahnsteig warten.

„Anja, meine Zugbegleiterin, kam kurz hinter Hamburg in mein Dienstabteil. Sie war völlig durcheinander. „In Abteil 8, Erste Klasse, vor dem Servicewagen, liegt ein Toter!“ Als wir der den Fundort erreichten, sah ich durch die offene Tür einen Mann auf dem Boden liegen. Es stank abscheulich nach Erbrochenem. Der Mann rührte sich auch nicht, als ich ihn einige Male mit dem Fuß anstieß.“

Aufgeregt unterbricht der Zugführer die lange Erklärung und wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Die beiden Polizisten blicken sich wortlos an.

„Na, dann lassen Sie uns mal ran, Herr Kollege.“

„Wird schon nicht so schlimm sein, oder haben Sie noch nie ’ne Leiche gesehen?“

Der Zugführer fasst sich ein Herz:

„Vielleicht habe ich mich ja auch getäuscht und der Mann lebt noch. Und außerdem müssen wir gleich weiterfahren.“

 

Polizeihauptmeister Falkenberg blickt den Gesprächspartner irritiert an und schüttelt ablehnend den Kopf.

„Ich glaube, da wird nichts draus, wenn Ihre Beobachtungen zutreffend sind“, dröhnt seine kräftige Stimme mit deutlich niederdeutschem Einschlag.

„Nu geih mol voran, Jung, dormit wi in Gang komen deien.“

Kommissar Brüning muss grinsen. Wenn es ernst wird, fällt der Kollege in seine plattdeutsche Mundart. Eilig steigen die drei Bundesbediensteten in den langen Abteilkorridor des kaum belegten Waggons. Eine Abteiltür wird geöffnet, und eine helle Frauenstimme fragt aufgeregt, was denn da los sei. Nach wenigen Schritten kommt den Männern schon der penetrante Geruch von Erbrochenem entgegen. Vor der offenen Tür des hellerleuchteten Abteils bleiben sie wie angewurzelt stehen.

„Bleibt bitte mal zurück.“

Polizeikommissar Brüning macht einige Schritte vorwärts, beugt sich über die auf dem Bauch liegende, zusammengekrümmte Gestalt. Vorsichtig dreht er den Mann auf die rechte Körperseite. Zielsicher ertastet er die Arterie an der linken Halsseite, verharrt eine Weile und schüttelt den Kopf.

„Sie haben jetzt ein echtes Problem, Herr Kollege. Sie werden den Mitreisenden klarmachen müssen, dass dieser Zug in den nächsten Stunden nicht weiterfahren wird."

Mit einem Ruck zieht Polizeikommissar Brüning die Abteiltür hinter sich zu.

„Hier darf jetzt nichts verändert werden. Können Sie die Tür verschließen, Herr …, ah Berkemüller?“

Er blickt den Zugführer erwartungsvoll an und greift nach seinem Notizbuch.

„Höchste Zeit für ein paar Daten. Was war eigentlich das Reiseziel?“

„Frankfurt/Main; Frankfurt Hauptbahnhof über Hannover, Göttingen, Fulda …

Sein Kollege unterbricht die Aufzählung.

„Halt, halt, das genügt. Ich werde schon mal den Notarzt verständigen.“

„Und gleich die Kripo dazu. Mein Bauchgefühl sagt, das könnte ein Fall für die Mordkommission werden.

„Die Mordkommission?“

Die krächzende Stimme des Zugführers klingt erschrocken.

„Auch das noch. Die hatten wir noch nie an Bord.“

„Einmal ist immer das erste Mal.“ Das ist die knappe Entgegnung von Falkenberg, der mit raschen Schritten den üblen Gestank hinter sich lässt und mit einem tiefen Atemzug die kalte Nachtluft des Bahnsteiges einsaugt.

Dort steht ungeduldig und frierend der Aufsichtsbeamte. Knapp zehn Minuten sind vergangen.

„Und wie geht es weiter, Herr Falkenberg?“

„Ja, wie wohl? Da habt ihr uns eine vollgekotzte Leiche serviert. Absolut erste Klasse, muss ich schon sagen. Der Zug bleibt stehen, bis Kripo und Notarzt hier sind.“

„Ach, du lieber Himmel. Ich muss sofort die Zentrale in Hamburg benachrichtigen. Die müssen entscheiden, wie es weitergeht. Wahrscheinlich werden die den Fahrplan komplett umstellen und einen Ersatzzug schicken.“

Bewegung kommt in den korpulenten Aufsichtsbeamten, der nun im Laufschritt in seine Diensträume eilt. Von dort vernimmt Polizist Falkenberg das schrille Läuten eines Telefons. Das wird eine unruhige Nacht. Ein Blick auf die große Bahnhofsuhr. Null Uhr zwanzig. In seinem Büro greift er zum Telefon und wählt die Nummer der Kriminalpolizei Lüneburg. Scheunen Schiet dat, denkt der gebürtige Heidjer.

In der Villa auf dem großen Areal in Blankenese mit Elbeblick verbreitet die abgedimmte Stehlampe im Jugendstil im Herrenzimmer mit den hohen Bücherwänden ein angenehmes Licht. In einem bequemen Ledersessel, dem englischen Kamin mit den müde flackernden Flammen zugewandt, sitzt der einzige wache Bewohner des Hauses. Der Mann mit den eisgrauen Haaren, dem energischen Gesicht lauscht dem leisen Knistern und der Melodie, die den Raum leise durchströmt. Er summt sie leise vor sich hin, während er gedankenverloren das geschliffene Kristallglas mit dem Single Malt aus der Familienbrauerei auf den Hebriden an die Lippen führt. Dabei verzerren sich seine Gesichtszüge vor Hass. Seine linke Faust ballt sich unwillkürlich. Ein Blick zur Kaminuhr, einem Erbstück seines Großvaters. Mitternacht ist lange vorbei.

Es war an der Zeit gewesen, den Schritt zu tun. Ein letzter Schluck des bräunlich gelben Lebenswassers, so wie die Schotten ihren Whisky nennen, weich und leicht rauchig mit dem Geschmack und der Farbe der Bachläufe auf der Insel. Zufrieden lehnt sich der Mann im Sessel zurück. Seine Züge glätten sich, der Puls findet zur normalen Frequenz. Nach einer Weile erhebt er sich geschmeidig, trotz seines über die Lebensmitte hinausreichenden Alters. Er lauscht in den hohen Raum und nach oben. Doch alles bleibt still. Seine Ehefrau, die schon lange ein eigenes Schlafzimmer hat, bleibt unsichtbar. Egal, sie wird jederzeit beschwören, dass ich die Villa nicht verlassen habe. Sie braucht schließlich mein Geld.

Bevor der Mann das herunterbrennende Kaminfeuer sich selbst überlässt, wirft er noch einen Blick in den kleinen Wandtresor hinter dem wertvollen Kandinsky.

Der Anblick der vielen gebündelten Scheine mit den vierstelligen Zahlen macht ihn zufrieden. Der Ist-Zustand ist wieder hergestellt. Mit leichten, fast beschwingten Schritten gelangt er über die breite Marmortreppe in die obere Etage, in denen sich seine Räume befinden. Heute werde ich wieder besonders gut schlafen, denkt der Mann, als er die Schlafzimmertür öffnet.

Der Anruf von der Polizeiwache erreicht Kriminalhauptkommissar Kluge in seiner ersten Tiefschlafphase, kurz nach ein Uhr morgens. Wenig später ist er hellwach, nachdem er mit dem schnurlosen Telefon in der Hand das Schlafzimmer verlassen hat.

„Tu mir einen Gefallen und sprich langsamer und leiser Kollege, ja?“

„Okay, Bernhard. Ich bin in einem ICE-Waggon auf einem Abstellgleis am hiesigen Bahnhof. Wir haben einen Toten in der Ersten Klasse, der nicht so gut aussieht.“

„Wie, was heißt das? Kannst du das etwas konkreter beschreiben, Kollege Bauer?“

„Also, männliche Leiche in Bauchlage, voll mit Erbrochenem und rosarote Hautverfärbung. Keine sichtbaren Verletzungen. Leichenstarre eingetreten. Könnte eventuell eine Vergiftung vorliegen.“

„Na, das ist doch schon eine ganze Menge.“ Kluge zögert.

„Gibt es sonst etwas Auffälliges im Abteil? Habt Ihr vielleicht schon Personaldaten?“

„Nein, darauf haben wir zunächst verzichtet. Ich gehe davon aus, dass wir die bei der Leiche oder dem Gepäck finden. Wir wollten aber nichts verändern, bis …

„Mit anderen Worten: Ich soll kommen!“

„Das ist unsere Bitte. Torsten und ich nehmen schon den äußeren Tatortbefund auf.“

„Das ist sehr vernünftig. Benachrichtigt schon mal den Erkennungsdienst. Den werden wir brauchen. Ach, noch was: War der Notarzt schon an der Leiche?“

„Nein; wir wollten erst mal …“

„Schon gut, dann gebt dem Erkennungsdienst Kenntnis.“

„Okay Bernhard, das veranlasse ich sofort. Du findest uns über die Kollegen von der Bahn … Äh, ich meine natürlich Bundespolizei. Die erwarten dich in ihrem Büro.“

„Bis gleich, Jürgen.“

Kluge beendet das Gespräch und betritt sein Arbeitszimmer. Im Schrank hängt immer eine komplette Garnitur, für den Fall, dass er plötzlich in den Dienst gerufen wird. Flink schlüpft er in die Hose, dann kurz ins Bad, fertig angezogen und runter in die Küche.

Schnell einen Pulverkaffee zubereitet, in der Zwischenzeit die Schuhe angezogen, ach ja und seinen Rauhaardackel Felix in den Garten gelassen. Als er hastig den heißen Kaffee trinkt, hört er Felix an der Terrassentür kratzen und gleichzeitig seine müde Frau die breite Steintreppe hinunter kommen.

„Ach, mein Lieber, musst du schon wieder zu einer Leiche? Die mögen dich wohl? Wie schröcklich, nöch?“

Ninette-Elaine, seine manchmal geplagte Ehefrau elsässischer Herkunft, schüttelt sich ein bisschen geziert. Kluge nimmt seine Frau zärtlich in die Arme und küsst sie sanft.

„Ich war so leise, und nun bist du doch wach geworden, mein Lieb.“

„Gräm’ dich nicht, ich bleib’ ja hier und kann weiter schlafen.“

Ihre dunklen Augen strahlen.

„Aber nun musst du mich endlich los- und deinen Jagdhund wieder hereinlassen, bevor er sämtliche Nachbarn weckt.“

In der Tat, so hört es sich an. Kluge hat das immer lauter werdende Knurren überhört. Gerade noch rechtzeitig öffnet er die Tür zur Terrasse. Flink wie ein Wiesel ist der kleine Hund im Warmen und springt um seine Rudelführer herum, als hätten sie ihn aus größter Not befreit. Beide blicken sich an und lachen.

„Felix, du hast es wirklich am besten, weil du jetzt mit Frauchen kuscheln kannst. Sehr wahrscheinlich in meinem Bett, ob wohl es dir mehrfach untersagt wurde.“

Der kluge Hund blickt seinen Herrn aufmerksam an, als wollte er sagen, Nun verschwinde endlich. Dann hat Kluge die Tasse leergetrunken und ergreift zur Einsatztasche. Kurz nach halb zwei. Auf geht’s.

„Schlaf noch gut. Notfalls erreichst du mich auf dem Bahnhof in Lüneburg.“

Elaines Blick ist fragend.

„Nein, nein, ich verlasse dich nicht, auch nicht mit dem ICE.“

Die beiden Eheleute, deren Kinder bereits aus dem Haus sind, geben sich einen Abschiedskuss, der schon dienstlich knapp ausfällt. Dann klappt die Haustür. Die Hausbeleuchtung erlischt. Wenig später brummt das Auto ab in Richtung Bahnhof Lüneburg. Kluge ahnt nichts Gutes von dem gerade beginnenden Tag.

In der gepflegten Doppelhaushälfte im ruhigen Viertel am Werrapark, unweit des Flusses gleichen Namens, gehen zur annähernd gleichen Zeit die Lichter an. Karin Lindholm, eine hübsche Vierzigerin und Büroleiterin in der ehrwürdigen Kanzlei Schubert & Schubert am Markt der kleinen Stadt Hann. Münden, in der die Touristen die Statue des Dr. Eisenbart bestaunen, greift zum wiederholten Mal zu ihrem Wecker. Zwei Uhr durch; Hans-Georg ist nicht nach Haus gekommen. Ein unbekanntes Angstgefühl macht sich breit. Bei ihrem letzten Telefonat nach 21.00 Uhr hat er glücklich und erleichtert geklungen. Es hat alles geklappt in der Besprechung. „Ich habe den Auftrag an Land gezogen. Nun werden wir unsere Schulden los, mein Herz.“ Sie hatte große Erleichterung verspürt, so wie sie jetzt unerklärliche Angst hat. Quatsch, denkt sie. Alles nur Einbildung. Der ICE aus Berlin hat nur Verspätung. Das kommt häufig vor. Doch dann wird ihr plötzlich heiß; ihr Herz fängt an zu rasen. Es ist etwas Schlimmes passiert mit Hans, sie fühlt es. Nun hält sie nichts mehr im Bett. Mit ein paar Schritten ist sie im Badezimmer, dreht den Wasserhahn weit auf und lässt sich kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Das verschafft ihre deutliche Erleichterung. Mit einem Handtuch trocknet sie sich flüchtig ab und schleicht leise die Treppe hinab. Nicht leise genug. Die Tür von Timms Zimmer öffnet sich.

„Was is’n los Mama? Ist Papa schon da?“ Timm reibt sich in der Tür stehend die Augen. Sie zuckt erschrocken zusammen.

„Es ist alles in Ordnung. Der ICE hat Verspätung. Deshalb ist Papa nicht mehr von Göttingen wegkommen. Er hat mich gerade angerufen“, lügt sie tapfer und streicht ihrem Sohn liebevoll über die Haare.

„Geh nur wieder schlafen, mein Großer.“

Damit schiebt sie ihn sanft in sein Zimmer zurück.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“

„Alles in Ordnung. Und nun schlaf gut, mein Schatz.“

Als sie den Lichtschalter betätigt und die Tür leise hinter sich zugezogen hat, kann sie sich kaum noch beherrschen. Wie ferngesteuert gelangt sie hinunter ins Wohnzimmer. Tränen rinnen unkontrolliert über ihre Wangen. Als sie sich wieder gefasst hat, greift sie zum Telefon. Wenig später meldet sich die freundliche Stimme einer Frau von der Auskunft.

„Geben Sie mir die Nummer des Bahnhofes in Göttingen, nein, besser verbinden Sie mich bitte gleich.“

Der Ruf geht raus, Karin Lindholm zählt die Frei töne mit. Beim neunten Mal ist die Verbindung da.

„Deutsche Bahn in Göttingen. Mit wem darf ich Sie verbinden?“

„Bitte geben Sie mir den diensthabenden Stationsvorsteher, es ist dringend.“

Eine Weile tut sich gar nichts. Dann Geräusche und eine weitere Frauenstimme.

„Bahnhof Göttingen, Leitstelle Christina Schäfer. Was kann ich für Sie tun?“

„Karin Lindholm, Kanzlei Schu…, äh ich meine aus Hann. Münden. Frau Schäfer, können Sie mir sagen, ob der Intercity 403, Abfahrt 22.01 Uhr in Berlin Hauptbahnhof, pünktlich um 02.10 Uhr in Göttingen angekommen ist?“ Nach der Frage bleibt es still. Nur ein kurzes Räuspern.

„Frau Schäfer, haben Sie mich verstanden oder soll ich die Frage wiederholen?“

 

Lindholms Stimme hat an Schärfe zugenommen, so wie manchmal in der Kanzlei, wenn vergessliche Klienten nach neuen Terminen fragen. Gespannt wartet sie, hört aber nur ein mechanisches Summen und dann zwei Stimmen. Das andere ist eine Männerstimme. Dann nur noch das Summen. Die Leitung ist unterbrochen.

„Frau Schäfer, bitte antworten Sie. Es ist dringend. Es geht um meinen Mann.“

Doch in der Leitung bleibt es stumm. Karin Lindholm zittert die Hand. Da stimmt was nicht. Nochmal dieselbe Nummer. Besetzt. Nochmal. Endlich der Frei ruf.

Und dann die Automatenstimme: „Leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Wir sind von 08.00 Uhr bis 22.00 Uhr für Sie da. Außerhalb dieser Zeit haben Sie die Möglichkeit, uns Ihre Wünsche auf Band zu sprechen. Wir bedienen Sie dann in der Reihenfolge Ihrer Anrufe“, erklärt eine weibliche Stimme.

„Hat sich was mit Reihenfolge.“ Wütend knallt Lindholm den Hörer auf. Dann ist das Handy dran. Mit Druck auf die Speichertaste geht der Ruf an ihren Mann, den Abteilungsleiter des großen Pharmaunternehmens, der spezielle Kunden persönlich betreut. Mit dem beruflichen Aufstieg hat sich das Leben ihrer kleinen Familie verändert. Es ist wieder Geld geflossen. Die Darlehen bei verschiedenen Banken konnten zum Teil abbezahlt werden. Und dann die überraschende Nachricht gestern Abend über den großen Auftrag. „Wir haben es geschafft, mein Herz!“

Karin Lindholm hört im Geiste noch die vor Freude vibrierende Stimme ihres Mannes. Zurück in die Wirklichkeit: „The person you have called is temporarily not available.” Hans-Georgs Handy ist ausgeschaltet. Das ist ungewöhnlich. Wieder spürt sie die Angst in sich hochsteigen. In den vergangenen zwei Wochen wirkte er oft gereizt, ohne einen erkennbaren Grund. Wahrscheinlich ist er doch noch in Berlin aufgehalten worden. Vielleicht hat er mit seinen Mitarbeitern einen Kudamm-Bummel gemacht oder ist mit ihnen „Unter den Linden“ versackt. Grund zum Feiern gab es ja.

Ja, so wird es sein. Das ist zwar nicht unbedingt seine Art, aber bei einem so großen Auftrag schon mal möglich. Er wird in Berlin übernachten. Die Firma hat immer ein Platzkontingent im „Plaza“ zur Verfügung. Morgen früh rufe ich dort an. Dann wird Hansi ausgeschlafen sein und froh und glücklich nach Hause kommen. Aufgeräumt schaltet sie das Handy ab. In der Küche trinkt sie ein Glas Mineralwasser. Kühl sprudelnd vertreibt es die Trockenheit in ihrem Mund.

Auf dem Weg ins obere Stockwerk horcht sie an Timms Tür. Alles ist ruhig. Bevor sie sich endgültig zum Schlafen hinlegt, hängt sie übertrieben sorgfältig ihren Hausmantel auf, bürstet ihr fülliges, dunkelbraunes Haar und klopft das aufgewühlte Bett zu Recht.

Nach letztem Blick auf die Uhr rollt sie sich auf die Seite. Suchend streicht ihre Hand über das leere Kopfkissen.

„Komm’ bitte wieder nach Hause, mein Hansi, lass mich nicht allein“, flüstert sie leise. Die beruhigenden Geräusche des plätschernden Flusses, die durch das gekippte Fenster hereindringen, lassen sie schnell einschlafen.

Im Erste Klasse Abteil des leeren Waggons 28 des ICE haben die weiß gekleideten Männer der Spurensicherung alle Hände voll zu tun. Die Leiche des unbekannten Mannes, bekleidet mit einem teuren, dunklen Anzug, liegt nun in Rückenlage auf einer ausgebreiteten Plane, direkt unter dem hellen Licht einer hohen Halogenlampe des Bahnsteigs. Rund 20 Meter entfernt parkt der dunkle Mercedes-Kombi der Bestatter Firma. Die Träger warten im Auto auf einen Wink von Kriminalhauptkommissar Kluge. Der steht mit beiden Kollegen vor dem Toten. In den weißen Schutzanzügen ähneln die drei übergroßen Schmetterlingsraupen in ihren Kokons. Der junge Notarzt des Rettungsdienstes richtet sich gerade wieder auf.

„Ich heiße Kluge“, sagt der Kriminalhauptkommissar.

„Carstensen, Dr. Carstensen“, antwortet der Mediziner.

„Sind Sie neu?“, fragt Kluge

„Ich bin schon einige Zeit dabei.“

„Aber ich habe noch nie was von Ihnen gehört.“

Carstensens Gesicht verfärbt sich im Licht der Bahnhofslampe.

„Ich von Ihnen auch noch nichts. Und außerdem arbeite ich meistens nachts.“

„Na gut, meinetwegen. Was ist mit dem Toten hier?“

„Ach ja. Erstens: Der Mann ist eindeutig tot. Zweitens: Zur Todesursache noch nichts Genaues. Der Mann hat sich vermutlich kurz vor seinem Tod erbrochen. Äußerliche Verletzungen sind zumindest jetzt nicht zu erkennen.“

„Das sind ja überzeugende Erklärungen. Könnten von mir stammen.“

Die Ironie in der Stimme des Ermittlers ist nicht zu überhören. Die beiden Kollegen blicken erwartungsvoll. Sie kennen Kluge.

„Also natürlicher Tod, oder auch eine Vorerkrankung als Todesursache, Doktor?

Kluge blickt den Mediziner forschend an.

„Das ist durchaus möglich. Auch mit einem Angina-Pectoris-Anfall kann Erbrechen einhergehen. Aber ich denke, Sie sollten eine Leichenöffnung veranlassen. Das habe ich auch in den Totenschein geschrieben.“

„Wann war die Todeszeit?“

„Ungefähr vor zwei bis drei Stunden“ „Genauer geht’s nicht, Doktor?“

„Da müssen Sie wohl die Obduktion abwarten, Herr Hauptkommissar. Sind Sie doch, oder?“

Kluges Ermittler müssen grinsen. Das macht ja richtig Freude zuzuhören.

„Ist Ihnen sonst noch etwas an der Leiche aufgefallen, Doktor?“

Der Mediziner überlegt und blickt Kluge verdutzt an.

„Wenn Sie mich so fragen, Herr Hauptkommissar. Da war etwas Auffälliges. Fast hätte ich es vergessen. Als ich im Abteil bei der Leiche war, glaubte ich einen ganz leichten Geruch nach Mandeln wahrzunehmen. Aber das war sofort wieder vorbei.“

„Nach Mandeln? Meinen Sie etwa Bittermandelgeruch?“ Kluge spannt sich deutlich.

„Mein Kollege hat von einer auffälligen Hautverfärbung im Gesicht des Toten berichtet. Rosarot. Ich hatte es der Bauchlage zugeschrieben. Aber es könnte vielleicht eine andere Bedeutung haben.“

Die beiden Männer, der jüngere Mediziner und der ältere Kriminalist, schauen sich an. Jetzt sind sie auf Augenhöhe. Jetzt zählen nur noch die Fakten.

„Lassen Sie uns noch einmal genau das Gesicht betrachten, Doktor. Es ist möglich, dass das Kunst licht hier die Hautfarbe beeinflusst.“

Dr. Carstensen beugt sich konzentriert über den Oberkörper des Toten. Aus seiner Tasche zieht er eine kleine Maglite Taschenlampe. Der helle Lichtstrahl gleitet langsam über Wangen und Stirn des Toten. Nun erkennen Kluge und seine Kollegen sehr deutlich: Die Gesichtshaut des Mannes weist einen rosaroten Farbton auf, der sich zum Halsbereich erweitert, als der Arzt die Krawatte lockert und den Kragen öffnet.

„Ziemlich eindeutig.“ Der Mediziner lässt die kleine Lampe verschwinden.

„Was meinen Sie damit, Doktor? Passt es zu Ihrer Vermutung mit dem Geruch?

„Vermutlich ja. Nach den jetzigen Feststellungen kann ich sagen, dass der Mann vermutlich vergiftet wurde. Durch Blausäure. Wie, weiß ich nicht – ich meine, wie das Gift in seinen Körper gelangt sein könnte. Das müssen Sie herausfinden.“

Die drei Kriminalisten blicken sich eine Weile sprachlos an.

„Auf jeden Fall ist Blausäure ein äußerst wirksames und absolut schnell tötendes Gift. Man kann es oral verabreichen, aber auch durch Inhalation der freiwerdenden Cyan-Dämpfe.“

Die Ermittler staunen.

„Donnerwetter, Doktor, woher …?“

„Ja, Herr Kluge, ich hatte während meiner AIP-Zeit im Krankenhaus die Möglichkeit, mit einem Pathologen zusammen zu arbeiten, der eine Koryphäe in Toxikologie war. Von dem habe ich viel gelernt. Aber nun sind Sie mit Lernen dran, Herr Kommissar.“

Der Arzt blickt zufrieden lächelnd auf die Uhr; fast zeitgleich beginnt sein Rufmelder zu summen.

„Also, tschüss die Herren Kriminalisten. Die Arbeit ruft. Ich stelle Ihnen einen neuen Totenschein mit der wahrscheinlichen Todesursache aus: Tod durch Intoxikation, vermutlich einer Cyanid Verbindung.“

Mit eiligen Schritten verschwindet der weiß Gekleidete in Richtung Bahnhofsgebäude und lässt drei ratlose Kriminalisten zurück.

„Den Schein können Sie heute Vormittag im Städtischen abholen lassen“, hallt es über den leeren Bahnsteig.

„Na, das ist ein tolles Ding, Bernhard, was?“

Jürgen Bauer blickt nachdenklich auf die Leiche des Mannes, dem die Aussage des Mediziners gilt. Was mag dem grausamen Tod vorangegangen sein?

„Dann war es doch richtig, dass wir dich aus dem Bett geholt haben!“

Bauer grinst ironisch.

„Mord oder Selbstmord, das ist hier die Frage, die uns auch heute noch der Staatsanwalt stellen wird. Aber erst mal muss jetzt die Leiche weg, danach sehen wir uns nochmal den Fundort an, okay?“

Kluge reibt sich unruhig die Nase.

„Außerdem ist mir noch etwas aufgefallen, Kollegen.“

„Ich glaube, ich habe diesen Mann schon mal irgendwo gesehen. Vor längerer Zeit. Aber mir fällt im Moment nicht ein, wo.“

Der zweite Beamte, Torsten Wender, auch Kriminaloberkommissar, nickt zustimmend.

„Dann sollten wir uns unbedingt das Gepäck ansehen. Vielleicht bringt uns das weiter, Bernhard.“

Kluge winkt den Bestattern zu. Wenig später kommen die zwei grau gekittelten Männer mit einem ebenfalls grauen Transportsarg aus Kunststoff heran geeilt. Vorsichtig wollen sie die Leiche mitsamt der Plane in den Sarg betten.

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