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Kapitel zwei

Genevieve stolperte benebelt aus der Stadt und konnte kaum fassen, was in Altfors Schloss passiert war. Sie war voller Hoffnung dort angekommen, doch jetzt fühlte sie sich, als wäre sie komplett leer. Jetzt, nachdem die Streitkräfte des Herzogs besiegt waren, nachdem Royce gesiegt hatte, dachte sie, dass sie endlich zu ihm gehen könnte. Mit ihm zusammen sein könnte.

Stattdessen erinnerte sie sich an den Anblick des Rings an Olivias Finger, der die Verlobung zu dem Mann bestätigte, den sie liebte.

Genevieve stolperte, als ihr Fuß an einer steinigen Stelle am Boden hängen blieb und der Schmerz in ihren verdrehten Knöchel schoss. Sie humpelte weiter, denn wohin sollte sie sonst gehen? Es war nicht so, als würde ihr hier draußen auf dem Heideland irgendjemand helfen.

„Ich hätte auf die Hexe hören sollen“, sagte sie zu sich selbst, während sie weiterlief. Die Frau, Lori, hatte versucht sie davor zu warnen, dass sie im Schloss nur Kummer erwarten würde. Sie hatte Genevieve zwei Pfade gezeigt und versprochen, dass sie glücklicher mit dem Weg werden würde, der nicht zu Royce führte. Genevieve hatte ihr nicht geglaubt, doch jetzt… jetzt fühlte es sich so an, als würde ihr Herz zerbrechen.

Ein Teil von ihr fragte sich, ob es noch möglich war, den zweiten Pfad einzuschlagen, aber schon während sie darüber nachdachte, war ihr klar, dass diese Option verflogen war. Es war nicht nur, dass sie jetzt nicht in derselben Situation war. Es lag vor allem daran, dass sie gesehen hatte, was mit Royce passiert war, und nie wieder mit jemand anderem glücklich werden konnte.

„Ich muss nach Fallsport“, sagte Genevieve. Sie hoffte, dass der Weg sie zur Küste bringen würde. Früher oder später würde sie dort ankommen und ein Boot finden, das sie dorthin führen würde, wo sie hinmusste.

Sheila musste bereits in Fallsport sein. Genevieve könnte sie treffen und gemeinsam würden sie einen Weg finden, das Beste aus der Situation zu machen. Vorausgesetzt, dass es so etwas wie das Beste überhaupt gab. War es überhaupt möglich, etwas Positives darin zu finden, dass sie mit Altfors Kind schwanger war, von dem Mann verlassen worden war, den sie liebte, und das gesamte Herzogtum im Chaos versank?

Genevieve wusste es nicht, aber vielleicht konnte sie mit der Hilfe ihrer Schwester ihre Perspektive ändern.

Sie wanderte weiter über das Heideland, während ihr Hunger immer größer wurde und die Müdigkeit in ihren Knochen steckte. Vielleicht wäre es leichter zu ertragen, wenn sie wüsste, wie weit es noch war oder wann sie das nächste Mal etwas zu essen finden würde, aber stattdessen schien sich das Heideland vor ihr in die Unendlichkeit zu ziehen.

„Vielleicht sollte ich mich einfach hinlegen und sterben“, sagte Genevieve und obwohl sie es nicht wirklich meinte, wollte ein Teil von ihr… nein, so würde sie nicht denken. Würde sie nicht.

In der Ferne konnte Genevieve Menschen erspähen, doch sie entfernte sich von ihnen. Sie zu treffen, würde in keinem Fall gut ausgehen. Als Frau alleine in der Wildnis war sie durch jede Gruppe von Desserteuren, Soldaten oder sogar Rebellen bedroht. Als Braut von Altfor hatten die Truppen von Royces Armee auch keinen Grund sie zu verschonen.

Stattdessen ging sie in die entgegengesetzte Richtung, bis die Menschen aus ihrem Sichtfeld verschwunden waren. Sie würde es alleine schaffen.

Nur, dass sie nicht wirklich alleine war. Genevieve legte eine Hand auf ihren Bauch, als könnte sie spüren, wie das Leben in ihr heranwuchs. Altfors Baby, aber auch ihres. Sie musste einen Weg finden, um ihr Kind zu beschützen.

Sie ging immer noch weiter, als die Sonne hinter dem Horizont zu verschwinden begann und das Heideland in feuriges Rot tauchte. Doch es war kein Feuer, dass Genevieve warmhalten würde, und sie konnte bereits sehen, wie ihr Atem kleine Dunstwolken hervorbrachte. Es würde eine kalte Nacht werden. Im besten Fall würde sie eine Höhle oder einen Graben finden, in dem sie sich zusammenkauern konnte, während sie mit gefundenem Torf oder Unkraut versuchte, ein echtes Feuer zu machen.

Im schlechtesten Fall würde es ihren Tod bedeuten, erfroren in einem Moor, das seinen Besuchern keine Gnade entgegenbrachte. Vielleicht war das noch besser, als ziellos hindurchzuwandern, bis sie verhungerte. Ein Teil von Genevieve wollte sich einfach hinsetzen und den Lichtern beim Tanzen zusehen bis…

Auf einmal wurde Genevieve klar, dass nicht alle orangen und roten Farbklekse auf der Moorlandschaft eine Reflektion des Sonnenlichts waren. Dort, in der Ferne, konnte sie ein Licht sehen, das so aussah, als käme es aus einer Art Gebäude. Dort waren Menschen.

Gerade noch hatte sie der Anblick von Menschen zum Umkehren gebracht, doch das war, als Tageslicht und Wärme vorhanden waren und andere Leute nur eine reine Gefahr dargestellt hatten. Jetzt, in der Dunkelheit und der Kälte waren diese Gefahren durch die Hoffnung eines Zufluchtsorts ausgeglichen.

Genevieve humpelte auf das Licht zu, obwohl jeder weitere Schritt sich wie ein Kampf anfühlte. Sie spürte, wie ihre Füße tiefer in den torfigen Untergrund des Heidelands sanken und die Disteln dabei an ihren Beinen kratzten. Es fühlte sich wie eine natürliche Barriere an, in der sich Wanderer verwickeln und zerkratzen sollten, um schlussendlich ihren Willen zu verlieren, sie zu durchqueren. Trotz allem hörte Genevieve nicht auf zu gehen.

Langsam kamen die Lichter näher und während der Mond den Himmel erklomm und die Landschaft erhellte, erblickte sie eine Farm. Genevieve ging ein wenig schneller und bewegte sich so schnell sie trotz ihrer Schmerzen und Erschöpfung konnte darauf zu. Sie näherte sich und jetzt kamen Menschen aus dem Gebäude.

Einen Moment lang schreckte Genevieve zurück und wollte wieder davonlaufen. Sie wusste jedoch, dass sie das nicht mehr konnte, und so stolperte sie weiter, bis sie den Bauernhof erreichte. Ein Mann und eine Frau standen auf dem Hof mit Ackergeräten in den Händen, als erwarteten sie einen Angriff. Der Mann hielt eine Mistgabel hoch, während die Frau eine Sichel trug. Als sie erkannten, dass Genevieve alleine war, nahmen sie die Werkzeuge herunter.

Das Ehepaar war älter, verwittert und sah so aus, als würde es das Land bereits seit Jahrzehnten bearbeiten, Gemüse anbauen und ein paar Tiere auf dem Weideland grasen lassen. Die beiden trugen simple Kleidungsstücke und als sie Genevieve begutachteten, wandelte sich ihr Ausdruck von Misstrauen in Mitgefühl.

„Oh, sieh sie dir an, Thom“, sagte die Frau. „Die Arme muss halberfroren sein.“

„Jawohl, das sehe ich, Anne“, antwortete der Mann. Er streckte eine Hand nach Genevieve aus. „Komm mit, Mädchen, wir bringen dich besser nach drinnen.“

Er führte sie in ein Bauernhaus mit niedriger Decke, in dessen Ecke ein großer Kessel mit Eintopf vor sich hin köchelte. Der Mann führte Genevieve zu einem Sitzmöbel vor dem Feuer und sie klappte darauf zusammen, bis sie tief darin versunken war. Der Komfort ließ sie noch mehr spüren, wie müde sie tatsächlich war.

„Bleib sitzen und erhole dich ein wenig“, sagte die Frau.

„Hier“, sagte der Mann. „Sie kommt mir bekannt vor, nicht wahr, Anne?“

„Ich bin ein Niemand“, erwiderte Genevieve schnell. Im Dorf hatte man sie schon alleine deshalb gehasst, dass sie Altfors Ehefrau war, obwohl sie keinen Einfluss darauf hatte, was der Sohn des Herzogs tat.

„Nein, ich erkenne dich“, sagte Anne. „Du bist Genevieve, das Mädchen, das der Sohn des Herzogs mitgenommen hat.“

„Ich—“

„Du musst dich nicht verstecken“, sagte Thom. „Wir verurteilen niemanden dafür, gestohlen worden zu sein. Wir haben in unserem Leben schon viele Mädchen gesehen, die von den Adeligen mitgenommen wurden.“

„Du bist hier sicher“, sagte Anne und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

Genevieve wusste gar nicht, wie sie sich für diese Worte bedanken konnte. Als ihr der Bauer einen Teller mit Eintopf überreichte, aß sie ihn mit großem Hunger und spürte erst jetzt, wie ausgezehrt sie war. Sie deckten sie zu und Genevieve war sofort eingeschlafen, tief in einer traumlosen Dunkelheit, die sie sich bitterlich erhofft hatte.

Als sie erwachte, floss das Tageslicht bereits durch die Fenster des Bauernhauses und Genevieve erahnte, dass es bald Mittag sein würde. Anne war hier, doch ihr Ehemann schien verschwunden.

„Ah, du bist wach“, sagte sie. „Es gibt Brot und Käse, und ein kleines Bier, falls du es möchtest.“

Genevieve ging zum Küchentisch und füllte ihren hungrigen Bauch.

„Es tut mir leid“, sagte sie.

„Was tut dir leid?“, fragte Anne.

„Dafür, dass ich einfach so aufgetaucht bin“, antwortete Genevieve. „Und einfach in euer Haus gekommen bin. Wenn mich jemand hier findet, seid ihr wahrscheinlich auch in Gefahr. Und… für alles, was passiert ist, während Altfor an der Macht war.“

„Du musst dich dafür nicht entschuldigen“, beharrte Anne. „Denkst du, ich weiß nicht, wie es abläuft, wenn der Adel die Mädchen entführt? Denkst du, dass ich immer schon alt war?“

„Du…“, begann Genevieve.

Anne nickte. „Unter dem ehemaligen König liefen die Dinge besser, aber sie waren alles andere als perfekt. Es gab immer schon die Adeligen, die sich einfach nahmen, was sie wollten. Das soll einen Keil zwischen sie und ihn getrieben haben, soviel ich weiß.“

„Das tut mir leid“, sagte Genevieve, als ihr klar wurde, was die alte Frau damit sagen wollte.

„Hör auf damit“, antwortete Anne. „Es gibt nichts, für das du dich entschuldigen musst. Ich will nur, dass du weißt, dass du hier in Sicherheit bist.“

„Dankeschön“, sagte Genevieve, denn Sicherheit schien gerade so rar zu sein, dass sie ihr kaum jemand anbieten konnte. Sie sah sich um. „Wo ist dein Ehemann?“

„Oh, Thom kümmert sich um die Schafe. Nicht, dass sie viel Pflege bedürfen. Man gibt ihnen einen Platz zum Grasen und Schlafen und schon sind sie zufrieden. Menschen sind komplizierter, sie wollen immer mehr.“

 

Genevieve fiel es leicht, das zu glauben. Es gab immer Menschen, die glaubten, sie hätten ein Recht auf alles und wollten dann immer noch mehr. Wie viel Chaos hatten diese Menschen bereits verursacht?

„Hast du dir überlegt, wo du als Nächstes hinmöchtest?“, fragte Anne.

„Ich dachte… meine Schwester ist in Fallsport in Sicherheit“, sagte Genevieve. „Ich dachte, ich würde vielleicht zu ihr gehen.“

„Das ist eine weite Reise“, erwiderte Anne. „Es liegt über dem Ozean. Und ich schätze, dass du wahrscheinlich nicht gerade das nötige Kleingeld für eine Überfahrt per Schiff hast.“

Genevieve schüttelte den Kopf. Je mehr sie begann, über die Idee nachzudenken, desto unwahrscheinlicher erschien sie ihr. Sheila aufzusuchen, war eine offensichtliche Reaktion, aber auch töricht. Es würde bedeuten, dass beide ihr Leben lang auf der Flucht sein müssten, immer darauf wartend, dass in der Dunkelheit ein Messer auf sie lauerte.

„Nun, wir haben auch kein Geld, mit dem wir helfen können“, sagte Anne. „Aber du kannst eine Weile hierbleiben, wenn du möchtest. Wir können die zusätzliche Hilfe am Hof gebrauchen und hier wird dich niemand finden.“

Die Großzügigkeit war mehr, als Genevieve ertragen konnte. Sie spürte sogar, wie sich ihre Augen bei dem Gedanken mit Tränen füllten. Was würde wohl passieren, wenn sie einfach hierbleiben und ihrer Flucht ein Ende setzen würde?

Nun erfüllte das Bild von Olivias Ring ihre Gedanken. Sie dachte, dass sie mit Royce glücklich werden würde, und schließlich war das auch nicht besonders gut ausgegangen. Eine friedliche Lösung war nicht für sie bestimmt.

Außerdem hatte sie bereits einen Plan geschmiedet. Sie hatte ihn gemeinsam mit Sheila gemacht, doch überwältigt von ihren Emotionen während der Flucht, hatte sie alles komplett vergessen. Nun hatte sie die Chance gehabt, sich zu erholen, zu schlafen und sogar wieder zu denken. Nun kam der gesamte Plan wieder zurück. Es war schon damals die beste Idee gewesen und war auch jetzt noch die beste.

„Ich kann nicht bleiben“, sagte Genevieve.

„Wo willst du hin?“, fragte Anne. „Was wirst du tun? Bist du dir sicher, dass du nach deiner Schwester suchen möchtest?“

Genevieve schüttelte ihren Kopf, denn sie wusste selbst, dass darin keine Hoffnung bestand. Nein, sie konnte nicht zu ihrer Schwester. Sie musste nach ihrem Ehemann suchen. Sie musste ihn finden und, wenn sie es verkraften konnte, versuchen sich ihrem Schicksal zu fügen und seine Frau zu sein. Würde sie es aushalten, bis das Kind geboren und anerkannt war, so könnte sie sich Altfors entledigen und als die Mutter seines Nachkommens regieren. Damit wäre allen ein Gefallen getan.

Es war ein verzweifelter Plan, doch es war der einzige, den sie hatte. Ihn umzusetzen, war der schwierige Teil. Sie wusste nicht, wo Altfor war. Sie wusste jedoch, wohin er gehen würde: Er hatte verloren und musste sich deshalb Unterstützung suchen. Er war auf dem Weg zum König. Genevieve wusste also, wohin sie gehen musste.

„Ich muss an den königlichen Hof“, sagte sie.

Kapitel drei

Royce klammerte sich an die Reling des Schiffs und wünschte, sie würden schneller vorankommen. Seine Aufmerksamkeit lag auf den Wellen in der Ferne, die er durch Embers Augen sehen konnte. Über ihm kreiste der Falke, seine grellen Rufe über den Wellen hallend, und stürzte immer wieder auf das Wasser hinab, wenn er einen kleinen Meeresvogel entdeckte, der einfach zu verlockend war.

Doch Royces Fokus lag auf etwas anderem. Er tauchte so tief er konnte in Embers Unterbewusstsein ein, auf der Suche nach irgendeinem Zeichen von Lori, irgendeiner Chance, mit der Hexe zu sprechen, die ihn auf die Reise zu seinem Vater geschickt hatte. Doch er fand nichts außer dem bewegten Meer und dem Leuchten der Sonne.

„Du stehst hier schon seit Stunden“, sagte Mark und gesellte sich zu ihm.

„Stunden bestimmt nicht“, protestierte Royce.

„Seit Sonnenaufgang“, erwiderte Mark mit sorgenvoller Miene. „Du und der Wolf.“

Gwylim schnaubte neben Royce und es war offensichtlich, dass der Bhargir nicht gerne als Wolf bezeichnet wurde. Royce hatte sich während der Reise schon mehrmals gefragt, wie viel die Kreatur tatsächlich verstand. Einige Male war Ember neben ihm gelandet und es erschien Royce, als würde eine lautlose Kommunikation zwischen ihnen stattfinden.

„Gwylim ist kein Wolf“, sagte Royce. „Und ich hatte gehofft, dass Lori noch eine weitere Nachricht für mich hat.“

„Ich weiß“, sagte Mark.

„Hat es dir Probleme verursacht?“, fragte Royce.

„Es hat bedeutet, dass ich die Streitigkeiten der anderen klären musste.“

„Von denen gibt es genügend“, schätze Royce.

„Mehr als genug“, sagte Mark. „Neave und Mathilde haben beschlossen, darüber zu diskutieren, wie sie ihre Liebe am besten deklarieren sollten. Bolis ist so eingebildet und alleine die Anwesenheit einer Picti reicht schon aus, um ihn zu reizen.“

„Und du, Mark?“, fragte Royce. „Was denkst du über die anderen?“

„Ich denke, es ist gut, sie an unserer Seite zu haben“, sagte Mark. „Das Picti-Mädchen wirkt mutig und es ist offensichtlich, dass Mathilda eine Kämpfernatur ist. Bolis mag ein Ritter sein, doch zumindest weiß er mit seinem Schwert umzugehen. Aber sie funktionieren nur gemeinsam, solange du sie anführst, Royce, und du bist schon den ganzen Tag hier oben.“

Das stimmte. Er hatte gehofft, einen Blick auf seinen Vater zu erhaschen oder zumindest einen Weg zu finden, sich mit der Hexe in Verbindung zu setzen, die ihn auf die Suche nach ihm geschickt hatte. Dazu hatte er seinen Fokus auf den Weg vor ihnen gelegt und nicht mehr darauf geachtet, was an Deck passierte. Zumindest schien alles gut zu laufen, denn sie waren auf dem Weg in die richtige Richtung.

„Glaubst du, dass zuhause alles in Ordnung ist?“, fragte Royce Mark.

„Machst du dir Sorgen um deine Brüder?“, fragte Mark.

Royce nickte. Lofen, Raymond und Garet waren tapfer und würden alles dafür tun, um den Kampf zu unterstützen, aber auch sie hatten beschränkte Kräfte und wurden schließlich schon einmal festgenommen.

„Sie und Olivia“, sagte er. Er erwähnte nicht, dass sich die Gedanken an seine Verlobte mit Bildern von Genevieve vermischten, nicht einmal bei Mark, denn diese Gedanken fühlten sich an wie ein Betrug an jemanden, der so gut und rein war, und dessen Vater ihnen so viel gegeben hatte.

„Wir kommen bald zu ihr zurück“, sagte Mark, während er Royce auf die Schulter klopfte, und für einen Moment konnte sich Royce nicht erinnern, wen von beiden er mit „ihr“ meinte.

„Das hoffe ich“, sagte er. Er schickte seine Aufmerksamkeit wieder in Embers Augen und konnte die Sieben Inseln in der Ferne bereits vor allen anderen sehen.

Sie waren in dicken Nebel gehüllt, der sich mit dem Wasser mitbewegte. Schroffe Felsen stachen rund um sie aus dem Meer, wie die Zähne einer großen Bestie. Es gab große Bestien, denn Royce sah, wie ein Wal die Wasseroberfläche durchbrach, und sein schwerer Körper mit einem Sprühregen aus den Fluten glitt. An den Felsen hingen noch die Überreste zahlreicher Schiffe, die keine sichere Route gefunden hatten. Royce war umso dankbarer, einen Kapitän gefunden zu haben, der bereit war, sie zu überführen.

Die Inseln selbst wirkten wie ein Mix aus grüner Landschaft und schwarzen Steinen. Sie waren alle um eine zentrale Lagune positioniert, in deren Herzen eine weitere Insel lag. Die meisten von ihnen waren mit Torf, Bäumen und einem Sand überzogen, der so dunkel war, dass er von den Granit- und Basaltwänden der Inseln abgetragen worden sein musste. Die zentrale Insel schien ein Vulkan zu sein, der mit einem finsteren, roten Leuchten vor sich hinblubberte und erst jetzt wurde Royce klar, dass der Dunst rund um die Inseln kein Nebel war. Stattdessen handelte es sich um Rauch, der sich absenkte und eine Art Heiligenschein um die Inseln formte.

Der Spiegel der Weisheit musste hier irgendwo sein und wenn er nach ihm suchen würde, so hoffte Royce, würde er auch seinen Vater finden.

„Land in Sicht“, rief er den anderen zu und deutete in die Richtung.

Der Schiffskapitän kam zu ihnen und lächelte. „Wo?“

Durch Royce eigene Augen waren die Inseln nur eine Reihe kleiner Punkte, die ganz langsam größer wurden.

„Wir haben es geschafft“, sagte der Kapitän. Er zog eine kleine Flasche aus seinem Gürtel. „Darauf müssen wir trinken und die Geister der See besänftigen.“

Er streckte sie Royce entgegen, der sie annahm und höflich daran nippte. Die Flüssigkeit brannte in seiner Kehle. Mark nahm sie auch, obwohl er offensichtlich lieber abgelehnt hätte, doch der Kapitän bestand darauf. Nach einem kleinen Schluck hustete er stark.

„Jetzt wo wir näher sind“, fing der Kapitän an, „könntest du uns vielleicht etwas mehr darüber erzählen, was ihr hier wollt. Du bist auf der Suche nach deinem Vater, nicht wahr?“

Royce brauchte einen Moment, um zu realisieren, was der Mann gesagt hatte.

„Das habe ich niemals gesagt“, erwiderte Royce.

„Oh, sei nicht schüchtern“, sagte der Kapitän. „Dachtest du wirklich, die Gerüchte würden nicht durch die Dörfer wandern? Du bist Royce, der Junge, der den alten Herzog gestürzt hat. Du bist auf der Suche nach deinem Vater und wenn du mich für den langen Weg zu den Sieben Inseln angeheuert hast, dann muss er hier irgendwo sein.“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, sagte Royce, „wir sind nur—“

„Reisende Gaukler, ich weiß“, sagte der Kapitän. „Nur, dass ihr das nicht seid. Denkst du wirklich, ein wenig Schlamm auf dem Schild deines Ritters würde als Verkleidung dienen oder dass du das Zeichen auf deiner Hand loswerden kannst? Du bist Royce, keine Chance das zu leugnen.“

Der Mann starrte ihn erwartungsvoll an und Royce erahnte, dass es keinen Zweck hatte, es weiter abzustreiten. Trotzdem behagte es ihm nicht, die Wahrheit einzugestehen.

„Warum willst du das überhaupt wissen?“, fragte Mark von der Seite.

„Weil ich helfen möchte“, sagte der Kapitän. „Ihr habt nur gesagt, dass ihr zu den Sieben Inseln wollt, aber das ist ein großes Areal. Ich kann euch zu jeder von ihnen bringen. Wo wollt ihr hin?“

„Das weiß ich nicht“, gab Royce zu. Wüsste er die Antwort auf diese Frage, wäre es deutlich einfacher.

„Sei nicht schüchtern“, sagte der Kapitän. „Ich will helfen. Sag mir einfach, wo dein Vater ist, und ich führe dich direkt zu ihm. Sag mir, wo er ist.“

In der Stimme des Kapitäns lag eine Härte, die Royce überraschte. Er sah ihn an und versuchte mit Hilfe von Embers Sinnen herauszufinden, was dahintersteckte. Er zog sie zurück zum Schiff und sah es von oben an. Seitdem sie das Land verlassen hatten, hatte er nicht mehr von hier auf das Deck geblickt, denn er war zu beschäftigt damit gewesen, nach den Inseln zu suchen oder Lori durch Ember zu erreichen.

Hätte er auf das Schiff zurückgeblickt, so hätte er seine gefesselten Freunde im hinteren Teil des Schiffs gesehen. Ihre Hände waren hinter ihre Rücken gebunden und ihre Waffen und Rüstungen lagen auf der anderen Seite des Schiffs, während sie von einigen Seemännern bewacht wurden.

„Was soll das?“, sagte Royce. „Lass meine Freunde sofort frei!“

Der Kapitän wirkte offensichtlich überrascht, als er bemerkte, zu was Royce in der Lage war.

„Magie!“, sagte der Kapitän und machte einen Schritt zurück.

Royce griff nach seinem Kristallschwer und taumelte. Zu spät wurde ihm klar, wie unsicher und wackelig er sich auf seinen Beinen fühlte. Die kleine Flasche! Da war etwas in der Flasche! Mark lehnte bereits kraftlos an der Reling.

„Wir bringen dich zu deinen Freunden“, sagte der Kapitän, „und vielleicht finden wir einen Weg, dich zum Reden zu bringen, wenn wir ihnen ein bisschen wehtun. Der König wird gut für dich bezahlen, aber für sie… sie können wir aufschneiden, so viel wir wollen.“

Er klatschte in die Hände und ein paar Seemänner traten hervor, um Mark und Royce zu schnappen und sie zum Heck des Schiffs zu schleifen.

„Warum tust du das?“, forderte ihn Royce auf, doch die Worte kamen aus einem Nebel, der so dick war, wie die Luft rund um die Sieben Inseln.

„Warum tut man überhaupt irgendetwas?“, sagte der Kapitän mit einem Schulterzucken. „Geld! Ich könnte dich bis zu den Sieben Inseln bringen und mein Schiff bei der Durchfahrt durch die Felsen riskieren oder ich könnte dein Geld nehmen und dann auch noch die Belohnung einkassieren, wenn ich dich bei König Carris abliefere.“

„Hilf mir und ich finde einen Weg, dich ebenfalls zu belohnen“, brachte Royce hervor. Das klang sogar in seinen Ohren armselig.

Der Kapitän lachte. „Mit was? Du hast kein Geld. Oder planst du, selbst König zu werden? Es lohnt sich nicht, einen Krieg anzufangen, mein Junge. Ich komme gut um die Runden damit, ein paar Leute über das Meer zu bringen, diejenigen auszuliefern, die etwas wert sind oder das ein oder andere Schiff zu überfallen, das alleine am Ozean liegt. So mache ich mir ein schönes Leben.“

 

Royce wollte den Mann niederstrecken, doch die Seemänner hielten ihn nun an den Handgelenken fest und die Müdigkeit in seinen Knochen machte es schwieriger, sie abzuwehren.

„Oh, du möchtest kämpfen?“, fragte der Kapitän. „Vertrau mir, nach dem Aufwand, den ich mit dir hatte, würde ich das nicht tun. Den ganzen Weg… Ich habe dich nur soweit gebracht, weil ich dachte, ich könnte den alten König gemeinsam mit dir ausliefern. Aber ich zerstöre mein Schiff nicht an diesen Felsen.“

Ein Gedanken kam Royce; ein verzweifelter, gefährlicher Gedanke.

„Du wirst meinen Vater niemals finden, wenn du nicht dorthin gehst“, sagte er.

„Also erzählst du uns, wo er ist?“, fragte der Kapitän.

„Ich…“, täuschte Royce ein erschöpftes Stottern vor. „Ich kann es euch zeigen.“

Der Kapitän rieb seine Hände zusammen und nickte den Seemännern hinter sich zu. Er führte sie zu der Brücke des Schiffs, auf der Mathilde, Neave und Bolis gefesselt waren und ein Matrose das Ruder steuerte. Die Seemänner warfen Mark neben ihnen zu Boden, während Gwylim hinter ihnen her trottete.

Der Kapitän zog einen Dolch hervor und kam auf Mark zu. „Also, dein Freund wird uns sagen, wo wir den alten König finden, und sollte er Ärger machen, dann schneide ich dich in Stücke, bis er spurt.“

„Das musst du nicht tun“, sagte Royce. Mit dem Messer so nahe an Mark war die Situation noch brenzliger, doch er hatte keine andere Chance. „Ich führe euch.“

Er blickte durch Embers Augen und sah auf die Felsen und die Schiffswracks vor der ersten Insel herunter. Mit Hilfe ihres Blickes begann er die ersten Anweisungen zu geben.

„Ein bisschen nach links“, sagte er.

„Du glaubst, wir lassen uns von dir sagen, wohin wir fahren?“, brüskierte sich der Kapitän.

„Soll ich euch zu meinem Vater führen oder nicht?“, fragte Royce. Er fühlte sich so schwach. Hätte er seine Kräfte, würde er sich einfach durch die Crew des Schiffs prügeln und seine Freunde retten. So wie es war… so wie es war, schien das aussichtslos. „Wenn du mir nicht glaubst, dann beobachte einfach den Vogel. Ember führt uns an.“

Als der Kapitän aufsah, warf Royce Gwylim einen Blick zu und fragte sich, wie viel die wolfsartige Kreatur verstand. Er deutete mit einer Augenbewegung zu dem Kapitän und hoffte, er verstand genug. Dann spähte er wieder durch Embers Augen und ließ das Schiff näher an die Landfläche herankommen, in der Hoffnung, seine Chance zu bekommen…

„Jetzt!“, schrie Royce auf und der Bhargir sprang auf den Kapitän zu. Royce schnappte nach dem Steuerrad und verdrehte es so, dass sie auf die Felsen zusteuerten.

Das Schiff schwankte, doch Royce stürzte sich bereits auf seine Freunde. Die Drogen in seinem Blut gaben ihm das Gefühl, alles würde in einer Zeitlupe ablaufen. Geräusche und Bilder waren verzerrt, als er die Klänge eines brutalen Kampfes in seiner Nähe hören konnte. In seiner Verfassung hatte er keine Chance, an diesem Kampf teilzunehmen, doch er konnte versuchen, seine Freunde zu befreien. Er zog sein Kristallschwert und lehnte sich herab, um die Fesseln an Mathildes Händen zu durchtrennen.

„Danke“, sagte sie und rieb sich ihre Handgelenke. „Ich… hinter dir!“

Royce schwang herum und trieb seine Klinge in die Brust eines Seemanns, der auf ihn zukam. Trotz seiner wackeligen Beine, die kaum stehen konnten, hatte Royce die Kraft, sein Kristallschwert durch den Mann hindurchzustoßen. Das Schwert des Matrosen fuhr auf ihn herab und Royce konnte den Schlag noch auf seiner Rüstung spüren, bevor der Seemann erstarrte und zu Boden fiel.

Royce fing erneut an, die anderen aus ihren Fesseln zu schneiden, als ein weiterer Seemann auf sie zukam. Dieses Mal stürzte sich Ember auf ihn und schlug ihre Krallen lange genug in sein Gesicht, dass Bolis ihn kraftvoll über Bord treten konnte.

Das Schiff prallte mit einem so lauten Krachen der Holzplanken auf die Felsen, als würde ein ganzer Wald entwurzelt werden, und das gesamte Deck kippte zur Seite.

Die Männer schrien, als sie in das Wasser darunter stürzten. Royce sah etwas aus dem Ozean kommen, eine lange schlangenartige Kreatur, deren Fächerflossen und messerscharfe Zähne sie da unten trafen. Das Wesen wuchs wie ein Turm aus dem Wasser und der Mann, der aus seinem Mund hing, schrie laut auf, als sich die Zähne wie Nadeln in sein Fleisch bohrten. Ein anderer war in seinem eingedrehten Schlangenkörper verwickelt und Royce konnte die Knochen brechen hören, als die Bewegungen der großen Bestie ihn zerquetschten.

Für einen Moment lang starrte Royce einfach nur auf die Grausamkeit des Todes, dann rutschte er über das Deck bis zur Kannte, wo der Schlund des Seeungeheuers wartete.

Er griff nach der Reling und konnte sich kaum an Ort und Stelle halten. Neben ihm kämpften Mark, Mathilde, Bolis und Neave um ihr Leben, während sich das Schiff weiter in Stücke schlug.

„Was genau ist ein Plan?“, fragte Mark.

„Das ist so ziemlich alles“, gab Royce zu. Das Schiff zerstören und danach herausfinden, was sie als Nächstes tun sollten. Es war ein Spielzug, der auf nichts als Hoffnung basiert hatte, und nun waren sie auf einem Schiff, das langsam in zwei Teile zerbrach und sie schon bald gegen die Felsen schleudern, oder noch schlimmer, in die Tiefen des Meeres ziehen würde.

„Was sollen wir jetzt machen?“, fragte Neave. Sie hatte einen Arm um die Reling geschlungen, den anderen um Mathilde.

„Ich denke…“, sagte Royce und versuchte den Nebel in seinem Kopf zu verdrängen. „Ich denke, wir müssen springen!“

„Hier hinunterspringen?“, erwiderte Bolis. „Bist du verrückt geworden?“

„Wenn wir hierbleiben, wird uns das Schiffswrack in die Tiefe zerren“, sagte Royce. „Wir müssen hier raus und das ist der einzige Weg!“

Es gab noch einen anderen Grund, um zu springen. Zu viele Männer kamen über das Deck gelaufen und in seinem schwachen Zustand konnte er nicht alle bekämpfen. Oder in irgendeinem Zustand. Gwylim war hier und das Blut tropfte noch aus seinem Mund als er knurrte, aber was konnte eine Kreatur wie er in seiner Situation machen?

Es blieb nur eine Wahl und Royce hatte sie für seine Freunde getroffen. Ohne zu zögern, stieß er Bolis und Mark über den Rand. Mathilde sah so aus, als würde sie lieber bleiben wollen, doch Neave zerrte sie über die Reling. Gwylim wirkte furchtlos. Der Bhargir brüllte laut auf, bevor er sich hinabstürzte. Jetzt gab es nur noch eine Sache zu tun. Royce klettere auf die Reling und blickte hinab auf die schäumenden, tosenden Fluten. Er schob das Kristallschwert in seine Halterung, hoffte, dass die Rüstung, die er im Turm gefunden hatte, so leicht war, wie sie sich anfühlte…

…und sprang.

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