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Из серии: Der Weg Der Vampire #7
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KAPITEL DREI

Caitlin stand vor der Hängebrücke nach Skye, Caleb neben ihr und Scarlet und Ruth hinter ihnen. Sie begutachtete die abgenutzten Seile, wie sie heftig hin und her schwangen, hörte den Wind zwischen den Felsen pfeifen und die Wellen über hundert Meter unter ihr gegen die Klippen schlagen. Die Brücke war nass und schlüpfrig. Abzurutschen würde für Scarlet und für Ruth sofortigen Tod bedeuten, und Caitlin hatte auch ihre eigenen Flügel noch nicht getestet. Diese Brücke zu überqueren war nicht wirklich etwas, was sie riskieren wollte – doch dann wiederum schien es offensichtlich, dass sie auf die Insel Skye mussten.

Caleb blickte zu ihr hinüber.

„Wir haben keine große Wahl“, sagte er.

„Dann bringt es nichts, zu warten“, antwortete sie. „Ich nehme Scarlet, du nimmst Ruth?“

Caleb nickte entschlossen zurück, dann hob Caitlin Scarlet hoch und schlang sie sich auf den Rücken, während Caleb Ruth in seinen Armen hielt. Ruth wehrte sich zuerst, wollte hinunter, doch Caleb hielt sie fest, und etwas an seinem Griff beruhigte sie schließlich.

Es gab keine andere Wahl, als hintereinander über die schmale Brücke zu gehen. Caitlin ging voran.

Sie setzte ihren ersten, unsteten Schritt auf die Brücke und konnte sofort spüren, wie rutschig die mit Wasser benetzten Planken waren. Sie streckte die Arme aus und packte nach dem Hand-Seil, um das Gleichgewicht zu halten, doch das brachte die Brücke nur zum Schwanken, und das Hand-Seil zerfiel in ihrer Hand in Stücke.

Sie schloss die Augen, holte tief Luft und sammelte sich. Sie wusste, sie konnte sich nicht rein auf ihre Augen verlassen, oder ihr Gleichgewicht. Sie musste etwas Tieferes hervorrufen. Sie dachte an Aidens Unterricht zurück, rief sich seine Worte ins Bewusstsein. Sie versuchte, die Brücke nicht länger als Gegner zu betrachten: stattdessen versuchte sie, sich mit ihr im Einklang zu fühlen.

Caitlin verließ sich auf ihre inneren Instinkte und trat einige Schritte nach vorne. Langsam öffnete sie die Augen, und beim nächsten Schritt brach ein Brett unter ihr durch. Scarlet schrie auf, und sie verlor einen Moment lang das Gleichgewicht – dann machte sie rasch einen weiteren Schritt und fand wieder Halt. Der Wind brachte die Brücke erneut zum Schaukeln. Es fühlte sich an, als wäre sie schon eine Ewigkeit unterwegs, doch als Caitlin hochblickte, sah sie, dass sie erst etwa drei Meter weit gekommen war. Sie wusste instinktiv, dass sie es niemals schaffen würden.

Sie drehte sich zu Caleb herum. Sie konnte seinen Blick sehen und wusste, dass er das Gleiche dachte. Sie wollte mehr als alles andere ihre Flügel ausbreiten und abheben, doch als sie nach ihnen spürte, fühlte sie etwas in der Luft und wusste, dass Caleb recht hatte: da war eine Art unsichtbares Energieschild um diese Insel herum, und uneingeladen hier zu fliegen würde nicht funktionieren.

Der Wind blies wieder gegen die Brücke, und Caitlin spürte langsam Verzweiflung aufsteigen. Sie waren zu weit gekommen, um umzukehren.

Sie traf eine sekundenschnelle Entscheidung.

„Auf drei, spring hinunter, pack das Handseil auf deiner Seite und schwing dich daran hinüber!“, rief sie Caleb plötzlich zu. „Es ist die einzige Möglichkeit!“

„Was, wenn es reißt?“, schrie er zurück.

„Wir haben keine Wahl! Wenn wir so weitermachen, werden wir sterben!“

Caleb widersprach nicht.

„EINS!“, schrie sie und holte tief Luft, „ZWEI! DREI!“

Sie sprang in die Luft, nach rechts hinüber, und sah Caleb nach links springen. Sie konnte Scarlet kreischen und Ruth winseln hören, als sie über die Kante fielen. Sie streckte sich aus und packte fest nach dem Handseil, betete zu Gott, dass es diesmal halten würde. Sie sah, wie Caleb dasselbe tat.

Eine Sekunde später waren sie an das Seil geklammert und schwangen durch die Lüfte, mit Höchstgeschwindigkeit, das Salzwasser aus den Wellen hochsteigen und über ihnen zusammenschlagen. Einen Moment lang konnte Caitlin nicht sagen, ob sie noch schwangen oder geradewegs hinunterstürzten.

Doch nach einigen Sekunden konnte sie fühlen, wie das Seil sich in ihrer Hand anspannte, und spürte, dass sie nicht in die Tiefe stürzten sondern eher auf die Klippe gegenüber zuschwangen. Es hielt.

Caitlin spannte sich an. Das Seil hielt, und das war gut. Doch sie schwangen auch sehr schnell direkt auf die Klippen zu. In sie zu krachen, das wusste sie, würde schmerzhaft werden.

Sie drehte ihre Schulter herum und positionierte Scarlet so, dass sie selbst die gesamte Kraft des Aufpralls abfangen konnte. Sie sah zu Caleb hinüber, der dasselbe tat, Ruth mit einem Arm hinter sich hielt und seine Schulter vorstreckte. Sie beide bereiteten sich auf den Aufprall vor.

Eine Sekunde später krachten sie heftig in die Felswand, unter einer Flut von Schmerzen. Die Kraft des Aufpralls raubte Caitlin die Luft, und sie war einen Moment lang benommen. Doch sie hielt sich weiter am Seil fest und sah, dass auch Caleb das tat. Sie hing da, mehrere Sekunden lang wie betäubt, und versicherte sich, dass es Scarlet gut ging, und auch Caleb. Sie waren in Ordnung.

Caitlin hörte langsam auf, Sterne zu sehen, und schließlich griff sie hoch und fing an, sich am Seil entlang hochzuziehen, direkt an den Klippen entlang. Sie blickte hoch und stellte fest, dass etwa dreißig Meter vor ihr lagen, bevor sie oben ankommen würde. Dann machte sie den Fehler, nach unten zu blicken: es war gefährlich tief, und sie stellte fest: wenn das Seil nicht halten würde, würden sie über hundert Meter in die scharfkantigen Felsen unter sich stürzen.

Caleb hatte sich erholt und kletterte ebenfalls geradewegs an seinem Seil hoch. Die beiden kamen gut voran, selbst wenn sie auf den moosbewachsenen Klippen abrutschten.

Plötzlich hörte Caitlin ein Geräusch, bei dem ihr übel wurde. Es war das Geräusch eines reißenden Seils.

Caitlin machte sich einen Moment lang darauf gefasst, in den Tod zu stürzen, doch dann erkannte sie, dass sie ihr Seil nicht nachgeben spürte. Sie blickte sofort hinüber und sah, dass es Calebs war.

Sein Seil war am Reißen.

Caitlin sprang in Aktion. Sie stieß sich vom Felsen ab und schwang ihr Seil näher an seines, und streckte eine freie Hand aus. Sie schaffte es, Calebs Hand gerade zu packen, als er nach unten stürzte. Sie hielt ihn mit ihrer freien Hand eisern fest, während er frei in der Luft baumelte. Dann, mit übermäßiger Anstrengung, zog sie ihn mehrere Schritt weit hoch zu einem tiefen Spalt in der Klippe. Caleb, der immer noch Ruth festhielt, konnte sicher auf einem Vorsprung stehen und sich an einer natürlichen Halterung in der Felswand festhalten.

Nachdem er abgesichert war, konnte sie die Erleichterung auf seinem Gesicht lesen.

Doch es gab keine Zeit zum Nachdenken. Caitlin drehte sich sofort herum und eilte am Seil hoch. Auch ihr Seil konnte jeden Moment reißen, und sie hatte immer noch Scarlet am Rücken.

Endlich kam sie oben an. Rasch sprang sie auf die grasbewachsene Ebene und setzte Scarlet ab. Sie fühlte sich so dankbar, auf festem Boden zu stehen – doch sie verschwendete keine Zeit. Sie rollte sich herum, nahm das Seil und warf es kräftig ein paar Meter weiter, sodass es dort hinunterhing, wo Caleb unter ihr stand.

Sie blickte hinunter und sah, dass er achtsam danach Ausschau hielt, und als es auf ihn zukam, packte er es und hielt Ruth mit der anderen Hand. Auch er schaffte es, sich rasch hochzuziehen. Caitlin beobachtete sorgsam jeden Schritt von ihm, betend, dass es halten würde.

Endlich hatte er es nach oben geschafft und rollte sich direkt neben sie aufs Gras. Sie rappelten sich weit von der Kante weg, und dabei fielen Scarlet und Ruth einander in die Arme, und Caitlin und Caleb ebenso.

Caitlin konnte spüren, wie die Erleichterung ihren Körper durchflutete, so wie bei ihm auch.

„Du hast mir das Leben gerettete“, sagte er. „Schon wieder.“

Sie schoss ihm ein Lächeln zu.

„Du hast meines viele Male gerettet“, sagte sie. „Ich schulde dir zumindest ein paar.“

Er lächelte zurück.

Sie alle blickten sich in ihrer neuen Umgebung um. Die Insel Skye. Sie war wunderschön, atemberaubend, mystisch, karg und dramatisch zugleich. Die Insel wogte in einer Reihe von Bergen und Tälern und Hügeln und Hochebenen, manche von ihnen felsig und karg, andere von grünem Moos überwachsen. Alles war in einen himmlischen Nebel gehüllt, der in die Ritzen und Furchen kroch und in der Morgensonne orange und rot und gelb beleuchtet wurde. Diese Insel wirkte wie ein Ort in einem Traum. Und sie wirkte auch wie ein Ort, an dem Menschen unmöglich jemals leben konnten.

Während sie den Horizont betrachtete, kamen plötzlich, wie eine Erscheinung, ein Dutzend Vampire aus dem Nebel hervor, über den Hügel, langsam erscheinend, direkt auf sie zusteuernd. Caitlin konnte es nicht glauben. Sie bereitete sich zum Kampf, doch Caleb streckte ihr eine beruhigende Hand entgegen, während sie alle aufstanden.

„Keine Sorge“, sagte Caleb. „Ich kann es spüren. Sie sind freundlich gesinnt.“

Als sie näherkamen, konnte Caitlin ihre Gesichtszüge sehen und spürte, dass er recht hatte. Tatsächlich war sie schockiert von dem, was sie sah.

Da, vor ihr, standen einige ihrer alten Freunde.

KAPITEL VIER

Sam hielt sich fest, während ihr Boot unter heftigem Schaukeln unaufhaltsam dem felsigen Ufer entgegenschnellte. Er konnte Pollys Anspannung spüren, als dutzende Vampirkrieger die steilen Klippen hinunter auf sie zu geklettert kamen.

„Was jetzt?“, fragte Polly, ihr Boot nur wenige Schritte vom Ufer entfernt.

„Wir haben keine Wahl“, sagte Sam. „Wir stellen uns ihnen entgegen.“

Mit diesen Worten sprang er aus dem Boot, hielt Pollys Hand und zog sie mit sich. Die beiden sprangen ein paar Meter hoch in die Luft und landeten am Rande des Wassers. Sam fühlte den Schock des eiskalten Wassers auf seinen nackten Füßen; es jagte ihm einen Schauer über den Rücken und sorgte dafür, dass er völlig wach war. Er erkannte, dass er immer noch in seine Kampfkleidung aus London gekleidet war – enge schwarze Hosen und Hemd, dick gepolstert um die Schultern und Arme, und er blickte hinüber und sah, dass auch Polly so gekleidet war.

 

Doch es blieb nicht viel Zeit, sonst viel anderes zu bemerken. Als Sam ans Ufer blickte, sah er dutzende Menschenkrieger auf sie zu stürmen. Von Kopf bis Fuß in Kettenrüstung gekleidet, Schwerter schwingend, Schilde tragend, waren sie der klassische Anblick von Rittern in strahlender Rüstung, die Sam seine gesamte Kindheit lang in Bilderbüchern gesehen hatte –Ritter, wie er einst selbst einer werden wollte. Als Kind hatte er sie vergöttert. Doch nun, da er ein Vampir war, wusste er, dass er so viel stärker war, als sie je sein würden. Er wusste, dass sie niemals die Stärke oder Geschwindigkeit erreichen konnten, die er besaß; niemals an seine Kampffertigkeiten herankommen würden. Also hatte Sam keine Angst.

Doch er fühlte sich sehr stark als Pollys Beschützer. Er war nicht ganz sicher, wie weit Pollys Kampffertigkeit entwickelt war, und diese Menschenwaffen gefielen ihm gar nicht. Sie waren anders als andere Schwerter und Schilde, die er gesehen hatte. Er konnte jetzt schon daran sehen, wie sie in der Morgensonne glänzten, dass sie scheinbar Silberspitzen hatten. Gefertigt, um Vampire zu töten.

Er wusste, dass er die Bedrohung ernst nehmen musste.

Ihren Gesichtern nach zu schließen war es diesen Menschen sehr ernst, und er konnte an ihrer soliden, koordinierten Formation sehen, dass sie gut ausgebildet waren. Für Menschen waren dies die wahrscheinlich besten Krieger dieser Zeit. Sie waren auch gut organisiert, griffen aus beiden Richtungen an.

Sam würde ihnen nicht den Vorteil des ersten Schlags überlassen.

Sam stürmte selbst auf sie zu, spurtete los und kam plötzlich schneller auf sie zu, als sie auf ihn.

Das hatten sie sichtlich nicht erwartet. Er konnte ihr Zögern sehen, unsicher, wie sie reagieren sollten.

Doch er ließ ihnen keine Zeit. Mit einem fliegenden Satz sprang er über ihre Köpfe hinweg, seine Flügel einsetzend, um ihn vorwärtszutreiben, bis er über die gesamte Truppe hinweg war und hinter ihnen landete. Dabei fasste er nach unten und schnappte sich eine Lanze von einem der hinteren Krieger. Im Landen schwang er sie in weitem Bogen und warf so mehrere von ihnen mit einem Schwung von ihren Pferden.

Die Pferde wieherten und traten aus, rannten in die restliche Truppe hinein und sorgten so für Chaos.

Dennoch, diese Ritter waren gut ausgebildet und ließen sich nicht aus der Fassung bringen. Jeder andere menschliche Kriegertrupp wäre sofort auseinandergestoben, doch dieser, zu Sams Überraschung, drehte sich herum und formierte sich neu, bildete eine einzelne Reihe und stürmte auf Sam los.

Sam war davon überrascht und fragte sich, wo genau er war. War er in einer Art Königreich der Elite-Krieger gelandet?

Sam hatte keine Zeit, es herauszufinden. Und er wollte diese Menschen nicht töten. Ein Teil von ihm ahnte, dass sie nicht darauf aus waren, zu töten; er hatte das Gefühl, sie waren hier, um sie zu konfrontieren und möglicherweise gefangen zu nehmen. Oder, wahrscheinlicher, sie zu prüfen. Immerhin waren sie auf ihrem Revier gelandet: er spürte, dass sie sehen wollten, aus welchem Zeug sie geschnitzt waren.

Zumindest war es Sam gelungen, sie von Polly abzulenken. Nun gingen sie auf ihn los.

Er holte mit der Lanze aus und zielte auf das Schild ihres Anführers, mit der Absicht, ihn zu betäuben, aber nicht zu töten. Er warf.

Ein Volltreffer. Er schlug ihm das Schild direkt aus der Hand und warf ihm vom Pferd. Der Ritter landete unter lautem Krachen von Metall.

Sam sprang vor und packte das Schwert und Schild aus der Hand des Ritters. Genau rechtzeitig, als mehrere Hiebe auf ihn niederprasselten. Er blockte sie alle und riss dabei einem anderen Ritter einen Morgenstern aus der Hand. Er packte den langen Holzgriff, holte aus und schwang die tödliche Metallkugel an der Kette in weitem Bogen. In allen Richtungen krachte Metall, als es Sam gelang, dutzenden Kriegern die Schwerter aus den Händen zu schlagen. Er schwang weiter, traf mehrere von ihnen an den Schildern und warf sie so zu Boden.

Doch wiederum wurde Sam überrascht. Alle anderen menschlichen Krieger hätten sich bestimmt in Chaos zerstreut, doch nicht diese Männer. Diejenigen, die vom Pferd geworfen worden waren, waren benommen, formierten sich neu, hoben ihre Waffen vom Sand hoch und kreisten Sam ein. Diesmal hielten sie größeren Abstand, genug, dass Sam sie mit seinem Morgenstern nicht erreichen konnte.

Was noch besorgniserregender war: sie alle zogen, in allen Richtungen, plötzlich Armbrüste vom Rücken und zielten direkt auf ihn. Sam konnte sehen, dass sie mit Bolzen mit Silberspitzen geladen waren. Alle dazu gedacht, zu töten. Vielleicht war er zu nachsichtig mit ihnen gewesen.

Sie feuerten nicht, doch sie hatten ihn alle auf ihr tödliches Korn genommen. Sam wurde klar, dass er in der Klemme steckte. Er konnte es nicht glauben. Jede unüberlegte Bewegung konnte seine letzte sein.

„Lasst die Waffen fallen“, ertönte eine kalte, stählerne Stimme.

Die Menschen drehten langsam ihre Köpfe herum, und auch Sam drehte sich herum.

Er konnte es nicht glauben. Da außerhalb des Kreises stand Polly. Sie hielt einen der Soldaten in einer tödlichen Umarmung, ihren Unterarm um seine Kehle gedrückt und ihm einen kleinen silbernen Dolch an den Hals gesetzt. Der Soldat stand erstarrt da, unbeweglich in Pollys Griff, die Augen vor Angst weit aufgerissen; der Blick eines Mannes, der kurz vor dem Tod steht.

„Wenn nicht“, fuhr Polly fort, „wird dieser Mann sterben.“

Sam war über ihren Tonfall völlig erstaunt. Er hatte Polly nie als Kriegerin betrachtet, sie noch nie so kalt und beinhart gesehen. Es war, als würde er eine völlig neue Person betrachten, und er war beeindruckt.

Die Menschen waren scheinbar ebenso beeindruckt. Langsam und widerwillig ließen sie ihre Armbrüste, eine nach dem anderen, in den Sand fallen.

„Von den Pferden“, befahl sie.

Langsam gehorchten sie alle und stiegen vom Pferd. Die dutzenden menschlichen Krieger standen da, ganz in Pollys Gewalt, die den Mann als Geisel hielt.

„So ist das also. Das Mädchen rettet den Jungen, wie?“, kam plötzlich eine laute, fröhliche Stimme. Es folgte ein tiefes, herzliches Lachen, und alle Köpfe drehten sich herum.

Aus dem Nichts heraus erschien ein menschlicher Krieger auf einem Pferd, in Felle gehüllt, eine Krone auf dem Kopf und von dutzenden weiteren Soldaten flankiert. Dem Aussehen nach war es eindeutig ihr König. Er hatte wildes, orangerotes Haar, einen dichten orangeroten Bart und funkelnde, schelmische grüne Augen. Er lehnte sich zurück und lachte herzhaft, während er die Szene vor ihm ansah.

„Beeindruckend“, fuhr er fort, sichtlich amüsiert von der ganzen Angelegenheit. „In der Tat äußerst beeindruckend.“

Er stieg ab und seine Männer bildeten umgehend eine Gasse, die ihn in den Kreis führte. Sam spürte, wie er rot wurde, als ihm klar wurde, dass es aussehen musste, als wäre er alleine nicht zurechtgekommen – als wäre er ohne Polly hilflos gewesen. Was, wie er erkannte, zumindest teilweise der Wahrheit entsprach. Doch er konnte sich nicht zu sehr aufregen, denn zur gleichen Zeit war er so dankbar dafür, dass sie ihn gerettet hatte.

Was zu seiner Beschämung beitrug, war, dass der König ihn ignorierte und direkt auf Polly zuschritt.

„Du kannst ihn jetzt freilassen“, sagte der König immer noch lächelnd zu ihr.

„Warum sollte ich?“, fragte sie und blickte immer noch alarmbereit zwischen ihm und Sam hin und her.

„Weil wir euch nie Leid zufügen wollten. Es war nur eine Prüfung. Um zu sehen, ob ihr würdig wärt, auf Skye zu sein. Immerhin“, lachte er, „seid ihr auf unserem Ufer gelandet!“

Der König brach wieder in herzhaftes Gelächter aus, und einige seiner Männer traten vor und reichten ihm zwei lange, juwelenbesetzte Schwerter, die in der Morgensonne funkelten, mit Rubinen und Saphiren und Smaragden besetzt. Der Anblick raubte Sam den Atem: es waren die schönsten Schwerter, die er je gesehen hatte.

„Ihr habt unsere Prüfung bestanden“, verkündete der König. „Und die hier sind für euch. Ein Geschenk“

Sam ging zu Polly hinüber, die langsam ihre Geisel freiließ. Sie griffen beide nach einem Schwert und nahmen es hoch, und begutachteten die juwelenbesetzten Griffe. Sam bewunderte die Handwerkskunst.

„Für zwei äußerst würdige Krieger“, sagte er. „Es ist uns eine Ehre, euch willkommen zu heißen.“

Er wandte ihnen den Rücken zu und fing an, davonzugehen, und es war klar, dass Sam und Polly ihm folgen sollten. Während er ging, dröhnte er hinaus:

„Willkommen auf unserer Insel Skye.“

KAPITEL FÜNF

Caitlin und Caleb, gefolgt von Scarlet und Ruth, wanderten schnellen Schrittes über die Insel Skye, flankiert von Taylor, Tyler und einigen anderen aus Aidens Clan. Caitlin war überglücklich, sie zu sehen. Nach dem anfänglichen Mühsal, in dieser Zeit zu landen, verspürte sie endlich ein Gefühl von Frieden und Leichtigkeit, und sie wusste, sie waren genau da, wo sie sein sollten. Taylor und Tyler, und alle von Aidens Leuten, waren ebenso erfreut gewesen, sie zu sehen. Es war so seltsam, sie hier an diesem anderen Ort zu sehen, in diesem kalten Klima, auf dieser kargen und schroffen Insel mitten im Nirgendwo. Caitlin begann, zu verstehen, dass die Zeiten und Orte sich änderten, doch die Leute waren zeitlos.

Taylor und Tyler hatten ihnen eine rasche Führung um die Insel angeboten, und sie spazierten schon seit Stunden. Caitlin hatte sofort gefragt, ob sie etwas von Sam oder Polly gehört hatten; als sie verneint hatten, war sie geknickt gewesen. Sie hoffte verzweifelt, dass auch sie es in die Vergangenheit geschafft hatten.

Unterwegs erklärte ihnen Taylor die Rituale, Bräuche, neuen Trainingsmethoden und alles andere, was Caitlin nur wissen wollte. Caitlin stellte fest, dass Skye umwerfend war, einer der schönsten Orte, an dem sie je gewesen war. Es fühlte sich steinalt an, ursprünglich, mit Felsen, die aus der Landschaft hochragten, von Moos überwachsenen Hügeln, Bergseen, die die Morgensonne widerspiegelten, und einem wunderschönen Nebel, der über allem zu hängen schien.

„Der Nebel verlässt uns nie“, sagte Tyler lächelnd, Caitlins Gedanken lesend.

Caitlin wurde rot, wie immer verlegen, wie einfach andere ihre Gedanken lesen konnte.

„Genau daher kommt auch eigentlich ihr Name: Skye heißt „die neblige Insel““, sagte Taylor. „Er verleiht allem hier eine ziemlich dramatische Kulisse, findest du nicht?“

Caitlin nickte und betrachtete die Landschaft.

„Und er kommt uns gelegen im Kampf gegen unsere Feinde“, stimmte Tyler mit ein. „Und doch wagt es niemand, sich unseren Küsten auch nur zu nähern.“

„Das kann ich ihnen nicht verübeln“, sagte Caleb. „Das war wohl kaum ein einladender Zugang.“

Taylor und Tyler grinsten.

„Nur die Würdigen können sich nähern. Das ist unsere Prüfung. Es ist Jahre her, dass jemand versucht hat, herüberzukommen – und noch mehr Jahre, seit jemand die Prüfung bestanden und es lebend an unsere Ufer geschafft hat.“

„Nur die Würdigen können hier überleben und trainieren“, sagte Taylor. „Aber das Training ist das Beste der Welt.“

„Skye ist ein erbarmungsloser Ort“, fügte Taylor hinzu, „ein Ort der Extreme. Aidens Clan steht sich hier so nahe wie nie zuvor. Wir verlassen die Insel kaum. Wir trainieren fast den ganzen Tag lang zusammen, und in den extremsten Umständen – Kälte, Nebel, Regen, Klippen, in den Bergen, auf zugefrorenen Seen, auf felsigen Ufern – manchmal sogar im Meer. Es gibt nur sehr wenige Trainingsmethoden, die er uns nicht hat durchmachen lassen. Und wir sind kampfgestärkter als wir es je waren.“

„Und wir trainieren nicht alleine“, fügte Tyler hinzu. „Hier leben auch menschliche Krieger, angeführt von ihrem König McCleod. Sie haben eine Burg und ihre eigene Krieger-Legion, und wir alle leben und trainieren gemeinsam. Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Vampire und Menschen gemeinsam trainieren. Doch wir stehen uns nahe hier. Wir sind alle Krieger, und wir alle respektieren den Kodex der Krieger.“

„Obwohl, natürlich“, sagte Tyler, „wir die Seiten streng getrennt halten. Viele von ihnen hätten gerne unsere Vampirfertigkeiten, doch Aiden hat strenge Regeln darüber aufgestellt, Menschen zu wandeln. Also haben sie sich alle damit abgefunden, dass sie nie einer von uns sein werden. Wir leben und trainieren in Harmonie miteinander. Wir schärfen ihre Künste über alles hinaus, was ein Mensch sich erträumen könnte. Und sie gewähren uns Unterschlupf und Schutz. Sie haben ein Arsenal von silberbewehrten Waffen, und falls ein feindlicher Clan je angreifen sollte, stehen sie bereit, uns zu verteidigen.“

 

„Eine Burg?“, fragte Scarlet plötzlich. „Eine echte Burg?“

Taylor blickte hinunter und fing breit zu grinsen an. Sie nahm Scarlets freie Hand in ihre, und sie spazierten weiter.

„Ja, meine Liebe. Wir bringen dich gerade dorthin. Tatsächlich“, sagte sie, als sie um einen Hügel bogen, und deutete, „ist es gleich dort drüben.“

Sie alle blieben stehen und starrten, und Caitlin bestaunte den Anblick. Vor ihnen bot sich ein weiter Blick auf sanfte Hügel, Berge, Seen, und in der Ferne, auf ihrer eigenen kleinen Klippe sitzend, lag eine uralte Burg, eingebettet an den Rand eines riesigen Sees.

„Dunvegan Castle“, verkündete Taylor. „Seit Jahrhunderten schon Heimat schottischer Könige.“

„OOH!“, schrie Scarlet. „Mami, wir wohnen in einer Burg!“

Caitlin musste lächeln, so wie die anderen, so ansteckend war Scarlets Enthusiasmus.

„Kann Ruth mitkommen!?“, fragte Scarlet. Caitlin blickte zu Taylor, die zurücknickte. „Natürlich kann sie das, meine Liebe.“

Scarlet quietschte vor Vergnügen, knuddelte Ruth, und die Gruppe eilte den Hang hinab auf die ferne Burg zu.

Als Caitlin die Burg betrachtete, spürte sie, dass in ihren Mauern tiefe Geheimnisse verborgen lagen, Geheimnisse, die ihr auf der Suche nach ihrem Vater weiterhelfen konnten. Einmal mehr spürte sie, dass sie genau am richtigen Ort war.

„Ist Aiden hier?“, fragte Caitlin Tyler.

„Das fragen wir uns nun schon seit einer Weile“, antwortete Tyler. „Ich habe ihn schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Manchmal verschwindet er für eine Weile. Du weißt ja, wie er ist.“

Das wusste Caitlin nur zu gut. Sie erinnerte sich an all die Zeiten zurück, all die Orte, an denen sie bei ihnen gewesen war. Sie wollte nun unbedingt mit ihm reden, mehr darüber erfahren, warum sie an diesem Ort und in dieser Zeit gelandet waren, herausfinden, ob es Sam und Polly gut ging, mehr über den letzten Schlüssel erfahren – und vor allem anderen, ob ihr Vater jetzt hier war. Sie hatte so viele brennende Fragen, die sie ihm unbedingt stellen wollte. Zum Beispiel, was in London passiert war, bevor sie alle zurückgeschickt worden waren? Hatte Kyle überlebt?

Während sie sich der Burg näherte, blickte Caitlin hoch und bewunderte die Architektur – sie erhob sich fünfzehn Meter hoch über viele Stockwerke, in rechteckiger Form, mit mehreren quadratischen Türmen und Zinnen. Sie saß stolz und kühn auf den Klippen, überblickte den ausgedehnten See und weiten Himmel, und anders als andere Burgen war diese hell und luftig, mit dutzenden Fenstern. Der Zugang zu ihr war eindrucksvoll gestaltet, mit einer breiten Steinstraße, die zu einem Eingangstor und einem imposanten gewölbten Torbogen führte. Dies war eindeutig kein Ort, an den man sich leicht annähern konnte, und als Caitlin hochblickte, sah sie menschliche Wachen auf allen Türmen, die sie wie Habichte beobachteten.

Als sie sich dem Eingang näherten, ertönten plötzlich Trompeten, gefolgt vom Donnern von Pferdehufen.

Caitlin drehte sich herum. Über den Horizont galoppierten, direkt auf sie zustürmend, dutzende menschliche Krieger in Rüstung. Sie wurden angeführt von einem imposanten Mann, der in Felle gekleidet war, mit einem großen orangeroten Bart, flankiert von Dienern, und mit der Haltung eines Königs. Er hatte weiche Gesichtszüge und schien der Typ zu sein, der leicht lächelte. Er hatte ein großes Gefolge von Kriegern, und Caitlin hätte sich angespannt, wenn Taylor und Tyler nicht so entspannt gewesen wären. Sichtlich waren dies Freunde.

Als die Soldaten vor ihnen hielten und eine Gasse bildeten, blieb Caitlin wie angewurzelt stehen.

Da in der Mitte der Truppe, vom Pferd steigend, waren zwei der Menschen, die sie auf der Welt am meisten liebte. Sie konnte es nicht glauben. Sie blinzelte mehrmals. Sie waren es wirklich.

Vor ihr stehend und sie angrinsend waren Sam und Polly.

*

Caitlin und Sam traten beide vor die beiden großen Kriegertrupps und nahmen einander fest in die Arme. Caitlin fühlte sich so erleichtert, ihren Bruder im Arm zu halten, ihn zu drücken, zu sehen und spüren, dass er am Leben war, und wirklich hier. Dann ging sie zu Polly und umarmte sie, während Caleb selbst vortrat und sowohl Sam als auch Polly umarmte.

„Polly!“, schrie Scarlet auf und lief herüber, mit Ruth, die an ihrer Seite bellte. Polly kniete nieder und nahm sie fest in den Arm, und hob sie hoch.

„Ich habe schon geglaubt, ich sehe dich nie wieder!“, sagte Scarlet.

Polly strahlte. „So schnell wirst du mich nicht los!“

Ruth bellte, und Polly kniete nieder und drückte sie, während Sam Scarlet umarmte.

Caitlin badete in dem warmen Gefühl, ihre Familie und ihre Liebsten wiedervereint zu sehen. Sie dachte an London zurück, als alle krank und am Sterben waren, an die Zeit, in der sie sich nicht mehr vorstellen konnte, dass eine glückliche Szene wie diese je wieder möglich sein würde. Sie fühlte sich so dankbar, dass alles wiederhergestellt zu sein schien, und staunte darüber, wie viele Lebzeiten sie schon durchlebt hatte. Es machte sie so dankbar für ihre Unsterblichkeit. Sie konnte sich nicht vorstellen, was sie mit nur einem Leben machen würde.

„Was ist mit euch passiert?“, fragte Caitlin Sam. „Als ich euch zuletzt gesehen habe, habt ihr mir versprochen, Caleb und Scarlet nicht von der Seite zu weichen. Und als ich zurückkam, wart ihr weg.“

Caitlin war immer noch verärgert über ihren Verrat.

Sam und Polly blickten beschämt zu Boden.

„Es tut mir so leid“, sagte Sam. „Es war meine Schuld. Polly war entführt worden, und ich bin weg, um sie zu retten.“

„Nein, es ist meine Schuld“, sagte Polly. „Sergei hatte behauptet, dass es ein Heilmittel gab, und dass ich mit ihm gehen musste, um es zu bekommen. Ich war so dämlich – ich habe ihm geglaubt. Ich dachte, ich würde sie retten. Aber ich habe mein Versprechen an dich gebrochen. Kannst du mir je vergeben?“

„Und mir?“, fragte Sam.

Caitlin blickte ihnen beiden ins Gesicht und konnte ihre absolute Ernsthaftigkeit sehen. Ein Teil von ihnen war immer noch gekränkt, dass sie ihr Wort gebrochen hatten und Scarlet und Caleb einem Angriff so ausgeliefert zurückgelassen hatten. Doch ein anderer Teil von ihr, der Teil, der sich entwickelte, sagte ihr, sie solle ihnen vollständig vergeben und es gut sein lassen.

Sie holte tief Luft und konzentrierte sich darauf, es gut sein zu lassen. Sie atmete aus und nickte.

„Ja, ich vergebe euch beiden“, sagte sie.

Sie beide lächelten zurück.

Du magst ihnen vielleicht vergeben“, sagte König McCleod plötzlich, während er vom Pferd stieg und vor sie schritt, „aber ich vergebe ihnen nicht dafür, dass sie meine Männer so bloßgestellt haben!“, sagte er und stieß ein herzhaftes Lachen aus. „Besonders Polly. Ihr beiden bringt Schande über meine feinsten Krieger. Wir haben sichtlich viel von euch zu lernen, so wie wir von den anderen gelernt haben. Vampire gegen Menschen. Ist nie fair“, sagte er, und schüttelte den Kopf mit einem weiteren herzhaften Lachen.

McCleod trat auf Caitlin und Caleb zu. Caitlin mochte ihn sofort. Er lächelte so bereitwillig, hatte ein tiefes, tröstliches Lachen, und schien jeden um sich dazu zu bringen, sich wohl zu fühlen.

„Willkommen auf unserer Insel“, sagte er, nahm Caitlins Hand und küsste sie mit einer Verbeugung. Dann schüttelte er herzhaft Calebs Hand. „Die Insel Skye. Es gibt auf Erden keinen anderen Ort wie diesen. Verzweifelte Heimat der größten Krieger. Diese Burg ist schon seit hunderten Jahren im Besitz meiner Familie. Ihr könnt hier wohnen. Aiden wird begeistert sein. So wie meine Männer. Ich heiße euch offiziell willkommen!“, rief er aus, und seine Männer jubelten.

Caitlin fühlte sich von seiner Gastfreundschaft überwältigt. Sie wusste kaum, wie sie reagieren sollte.

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