Бесплатно

Arena Eins: Die Sklaventreiber

Текст
Из серии: Trilogie Des Überlebens #1
Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Als erstes fällt mir auf, dass es warm ist. Vielleicht, weil es so klein ist und die Decke niedrig, und weil es direkt in den Bergstein gebaut ist. Oder vielleicht, weil vor dem Wind geschützt ist. Sogar, obwohl das Wetter durch die Fenster eindringt, sogar, obwohl die Tür nur angelehnt ist, muss es hier drinnen mindestens fünfzehn Grad wärmer sein – viel wärmer, als es im Haus meines Vaters jemals war, sogar mit brennendem Feuer. Das Haus meines Vaters war von Anfang an billig gebaut worden, mit papierdünnen Wänden und einer Plastikfassade, an der Ecke eines Hügels, der immer direkt in der Windrichtung zu liegen schien.

Aber dieser Ort hier ist anders. Die Steinwände sind so dick und gut gebaut, ich fühle mich sicher und gut aufgehoben hier. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie warm es hier drin werden könnte, wenn ich die Tür schließen, die Fenster vernageln und ein Feuer machen würde – der Kamin scheint in Ordnung zu sein.

Das Innere besteht aus einem großen Raum, und ich versuche, die Dunkelheit weiter zu durchdringen, den Boden abzusuchen, nach irgendetwas, das ich gebrauchen kann. Der Raum sieht wirklich aus, als hätte ihn seit dem Krieg keiner mehr betreten. Alle anderen Häuser, die ich gesehen hatte, hatten zerschmetterte Fenster, Müll lag herum, und ganz offensichtlich war alles Brauchbare bereits mitgenommen worden, sogar die Verkabelungen. Aber nicht in diesem Haus. Es sieht unberührt und sauber und ordentlich aus, als wäre der Besitzer einfach eines Tages aufgestanden und gegangen. Ich frage mich, ob das noch vor dem Krieg war. Die Spinnwegen und die unglaubliche Lage, so gut versteckt hinter den Bäumen, lassen darauf schließen. Hier war seit Jahrzehnten niemand.

An der anderen Wand hinten kann ich die Konturen eines Gegenstandes erkennen, und ich mache mich auf den Weg dorthin. Ich halte die Hände vor mir, taste mich in die Dunkelheit. Als ich anfasse, stelle ich fest, dass es eine Kommode ist. Ich fahre mit meinen Fingern über die glatte Holzoberfläche und kann den Staub fühlen. Ich ertaste mit meinen Fingern kleine Knäufe, von Schubladen. Ich ziehe vorsichtig eine nach der anderen auf. Es ist zu dunkel, um zu sehen, also fasse ich mit der Hand in jede Schublade. In der ersten ist nichts. Auch nicht in der zweiten. Jetzt öffne ich die anderen schnell, meine Zuversicht schwindet. In der fünften Schublade jedoch kann ich hinten, auf der Rückseite, etwas erfühlen. Langsam ziehe ich es heraus.

Ich halte es ins Licht hoch, und zuerst kann ich es nicht erkennen. Aber ich kann die verräterische Aluminiumfolie fühlen und mir wird klar: Ein Schokoriegel. Einige Bissen fehlen, aber er ist noch in seiner Originalverpackung, und das Meiste ist noch da. Ich packe ihn nur ein bisschen aus, halte ihn an meine Nase und rieche daran. Ich kann es nicht glauben: Echte Schokolade. Wir hatten seit dem Krieg keine Schokolade mehr.

Der Geruch bringt meinen stechenden Hunger zurück und ich brauche all meine Willenskraft, um den Riegel nicht aufzureißen und zu verschlingen. Ich zwinge mich, stark zu bleiben, verpacke ihn wieder sorgfältig und verstaue ihn in meiner Tasche. Ich werde warten und ihn gemeinsam mit Bree genießen. Ich lächle und freue mich schon auf ihren Gesichtsausdruck, wenn sie ihren ersten Bissen nimmt. Er wird unbezahlbar sein.

Schnell durchsuche ich die restlichen Schubladen in der Hoffnung, noch weitere Schätze zu finden. Aber alle anderen sind leer. Ich gehe wieder durch das Zimmer, gehe es der Länge und der Breite nach ab, in alle vier Ecken, aber da scheint nichts zu sein.

Plötzlich trete ich auf etwas Weiches. Ich knie mich hin und halte es hoch, ins Licht. Ich bin verblüfft: Ein Teddybär. Ziemlich abgenutzt, und ein Auge fehlt, aber trotzdem, Bree liebt Teddybüren und vermisst ihren von früher. Sie wird sich unglaublich über diesen freuen. Sieht aus, als wäre heute ihr Glückstag.

Ich klemme den Teddy in meinen Gürtel, ertaste dann aber noch etwas Weiches auf dem Boden  Ich greife danach und halte es hoch, und bin begeistert: Es ist ein Schal. Er ist schwarz und voller Staub, aber als ich ihn an meinen Nacken und meine Brust halte, kann ich die Wärme schon spüren. Ich halte ihn aus dem Fenster und schüttele ihn durch, um den ganzen Staub abzubekommen. Ich besehe ihn mir im Licht, er ist lang und dick, nicht einmal Löcher hat er. Das ist pures Gold. Ich wickele ihn sofort um den Nacken und klemme ihn unter meinem Shirt fest, und mir ist gleich wärmer. Ich muss niesen.

Die Sonne senkt sich, und weil es aussieht, als hätte ich alles gefunden, was ich gesucht hätte, will ich mich auf den Weg machen. Auf dem Weg zu Fuß bleibe ich aber plötzlich mit meinem Fuß an etwas Hartem, Metallischem hängen. Ich knie mich hin, taste vorsichtig, falls es eine Waffe ist. Ist es nicht, es ist ein runder Eisenknauf, am Holzboden befestigt. Wie ein Klopfer. Oder ein Griff.

Ich ziehe nach links und rechts, nichts passiert. Ich versuche ihn zu drehen, wieder nichts. Dann gehe ich das Risiko ein und stelle mich ein Stück zur Seite und ziehe stark daran, geradeaus nach oben.

Eine Falltür öffnet sich und eine Staubwolke liegt in der Luft.

Ich sehe nach unten und entdecke einen Kriechkeller, vielleicht einen Meter und zwanzig Zentimeter hoch, mit einem Lehmboden. Mein Herz macht einen Sprung, was das für Möglichkeiten bietet. Wenn hier leben würden und es jemals ein Problem gäbe, könnte ich Bree hier unten verstecken. Dieses kleine Häuschen erscheint mir immer wertvoller.

Und nicht nur das. Als ich heruntersehe, sehe ich etwas glänzen. Ich schiebe die schwere Holztür ganz zurück und krieche schnell die Leiter hinunter. Es ist schwarz unten, und ich halte mir die Hände vors Gesicht, während ich mich vortaste. Als ich einen Schritt nach vorne mache, fühle ich etwas. Glas. In die Wand sind Regale eingebaut, und darauf stehen Glasgefäße. Und Steingefäße.

Ich ziehe eins heraus und ans Licht. Der Inhalt ist rot und weich. Es sieht nach Marmelade aus. Ich schraube schnell den Blechdeckel ab, halte ihn an meine Nase und rieche daran. Der durchdringende Geruch von Himbeeren schlägt mir entgegen. Ich stecke einen Finger hinein und halte ihn an meine Zunge. Ich kann es kaum glauben: Himbeermarmelade. Und sie schmeckt so frisch, als wäre sie gestern erst eingemacht worden.

Schnell verschließe ich das Glas wieder und eile zu den Regalen zurück, fasse hinein – da sind noch Dutzende Gläser mehr in der Dunkelheit. Ich greife nach dem nächsten, halte auch das ins Licht. Sieht aus wie Gurken.

Ich wünschte, ich könnte sie alle mitnehmen, aber meine Hände gefrieren. Ich habe nichts, womit ich die Gläser tragen könnte, und draußen wird es dunkel. Also packe ich die Gurken wieder zurück, klettere die Leiter hoch und schließe die Falltür fest hinter mir. Ich wünschte, ich hätte ein Schloss. Es macht mich nervös, all das hier ungeschützt liegen zu lassen. Aber dann erinnere ich mich selbst daran, dass hier jahrelang niemand war – und dass ich das Haus wahrscheinlich selbst nie bemerkt hätte, wäre der Baum nicht umgefallen.

Als ich gehe, schließe ich die Tür hinter mir, fühle mich schon, als wäre ich hier zu Hause.

Mit vollen Taschen eile ich wieder zum See zurück – erstarre aber plötzlich, als ich eine Bewegung spüre und ein Geräusch höre. Zuerst sorge ich mich, dass jemand mir gefolgt sein könnte, aber als ich mich langsam umdrehe, sehe ich etwas anderes: Ein Reh steht dort, drei Meter entfernt nur vielleicht, und starrt zurück. Das erste Reh, das ich seit Jahren gesehen habe. Seine großen, schwarzen Augen sehen mich direkt an, dann dreht es sich plötzlich um und läuft weg.

Ich bin sprachlos. Monatelang habe ich nach einem Reh gesucht, in der Hoffnung, ich käme nahe genug an eines heran, um mein Messer danach zu werfen. Aber ich konnte keins finden, nirgends. Vielleicht habe ich nicht weit genug oben gesucht. Vielleicht haben sie die ganze Zeit hier oben gelebt.

Ich beschließe, gleich morgen früh wiederzukommen und den ganzen Tag zu warten, wenn es nötig ist. Wenn das Reh einmal hier war, kommt es vielleicht wieder. Nächstes Mal werde ich es töten. Von diesem Reh könnten wir monatelang leben.

Voll neuer Hoffnung eile ich zum See zurück. Als ich näher komme, klopft mein Herz höher: Die Rute ist fast zur Hälfte heruntergebogen. Zitternd vor Aufregung rutsche und schlittere ich über das Eis. Ich greife die Schnur, die sich wild bewegt, und bete, dass sie hält.

Ich ziehe fest daran. Ich kann die Kraft eines großen Fisches spüren, der sich widersetzt, und bete, dass die Schnur nicht reißt, der Haken nicht bricht. Ein letztes Mal ziehe ich, und der Fisch fliegt aus dem Wasser. Ein riesiger Lachs, so groß wie mein Arm. Er landet auf dem Eis und zappelt, rutscht. Ich reiche herüber und will ihn greifen, aber er rutscht mir aus den Händen und fällt wieder aufs Eis. Meine Hände sind zu glitschig, um ihn festzuhalten, also ziehe ich meine Ärmel hoch, beuge mich hinunter und greife dieses Mal fester zu. Noch etwa dreißig Sekunden zappelt er in meinen Händen, dann schließlich stirbt er.

Ich bin verblüfft. Es ist mein erster Fang seit Monaten. Ekstatisch rutsche ich über das Eis und lege ihn am Ufer ab, verpacke ihn in Schnee, weil ich Angst habe, dass er irgendwie wieder zum Leben erwacht und in den See zurückspringt. Ich nehme die Angel und die Schnur in eine Hand, dann greife ich mit der anderen den Fisch. Ich kann das Marmeladengefäß in einer Tasche spüren und den Thermosbecher mit Saft in der anderen, zusammengepackt mit dem Schokoriegel, und den Teddy an meiner Taille. Bree wird heute Abend Reichtümer besitzen.

Nur eins muss ich noch mitnehmen. Ich gehe zu dem Stapel von trockenem Holz hinüber, balanciere die Rute in meinem Arm, und mit der freien Hand hebe ich so viele Holzstücke auf, wie ich halten kann. Ich lasse ein paar fallen, und kann nicht so viele nehmen, wie ich gerne möchte, aber ich kann mich nicht beschweren. Ich kann immer noch wiederkommen und den Rest holen.

 

Mit vollen Händen, Armen und Taschen rutsche und schlittere ich den steilen Berghang im letzten Tageslicht wieder hinunter, achtsam, nichts von meinem Schatz zu verlieren. Im Gehen kann ich das Häuschen nicht aus dem Kopf bekommen. Es ist perfekt, und mein Herz schlägt schneller beim Gedanken an die Möglichkeiten. Das ist genau das, was wir brauchen. Das Haus unseres Vaters ist zu auffällig, an einer Hauptstraße gebaut. Schon seit Monaten mache ich mir Sorgen, dass wir da zu verwundbar sind. Alles, was es bräuchte, wäre, dass zufällig ein Sklaventreiber vorbeikäme, und schon hätten wir ein Problem. Ich wollte schon lange, dass wir umziehen, aber ich hatte keine Ahnung, wohin. Hier oben gibt keine anderen Häuser.

Dieses kleine Häuschen, so weit oben und so weit weg von jeglicher Straße – im wahrsten Sinne in den Berg hineingebaut – ist so gut verborgen, fast, als wenn es für uns gebaut worden wäre. Keiner könnte uns hier jemals finden. Und selbst wenn, mit einem Fahrzeug würden sie nicht einmal in die Nähe kommen. Sie müssten zu Fuß kommen, aber von dort oben aus würde ich sie schon aus einem Kilometer Entfernung sehen.

Außerdem hat das Haus eine frische Wasserquelle, ein kleiner Bach direkt vor der Tür. Ich müsste Bree nicht mehr jedes Mal allein lassen müssen, um mich auf die Wanderung zu machen, um zu baden und unsere Kleidung zu waschen. Und ich müsste nicht mehr die Wassereimer einzeln vom See hochtragen, jedes Mal, wenn ich koche. Ganz zu schweigen davon, dass wir durch dieses riesige Baumzelt verborgen genug wären, um jeden Abend Feuer im Kamin zu machen. Wir wären sicherer, uns wäre wärmer, und das an einem Ort, wo es Fische und Wild gibt – und einen Keller voller Essen. Ich habe einen Plan: Ich bringe uns morgen schon dort hin.

Eine Last fällt von meinen Schultern. Ich fühle mich wie neugeboren. Zum ersten Mal, so lange ich mich erinnern kann, habe ich nicht mehr das Gefühl, dass der Hunger an mir nagt und die Kälte in meine Fingerspitzen sticht. Sogar der Wind scheint in meinem Rücken zu sein, als ich herunterklettere, mir zu helfen, und ich weiß, dass die Dinge sich endlich gewendet haben. Zum ersten Mal, so lange ich mich erinnern kann, weiß ich heute, dass wir es schaffen können.

Jetzt können wir überleben.

ZWEI

Als ich in der Dämmerung beim Haus meines Vaters ankomme, sinkt die Temperatur, der Schnee beginnt zu härten und unter meinen Füßen zu knirschen. Ich verlasse die Wälder und sehe das Haus, wie dort steht, so auffällig auf der Seite der Straße, und bin erleichtert zu sehen, dass alles ruhig aussieht, genauso, wie ich es verlassen habe. Sofort überprüfe ich den Schnee auf Fußspuren – oder Spuren von anderen Tieren, aber da sind keine.

Im Haus sind keine Lichter an, aber das ist normal. Ich wäre besorgt, wenn es so wäre. Wir haben keinen Strom, und Lichter würden bedeuten, dass Bree Kerzen angemacht hätte – das würde sie ohne mich nicht tun. Ich halte inne und lausche einige Sekunden lang, alles ist ruhig. Keine Kampfgeräusche, keine Hilferufe, keine Rufe einer Kranken. Ich atme erleichtert aus.

Ein Teil von mir hat immer Angst, dass ich zurückkehre und die Tür weit offen steht, das Fenster zerschlagen ist, und Fußspuren in das Haus führen, und Bree entführt wurde. Diesen Alptraum hatte ich schon mehrmals, und jedes Mal bin ich schwitzend aufgewacht und ins andere Zimmer gegangen, um sicher zu gehen, dass Bree dort ist. Immer schläft sie dann tief und fest, und ich mache mir Vorwürfe. Ich sollte einfach aufhören, mir Sorgen zu machen, nach all diesen Jahren. Aber aus irgendeinem Grund kann ich das nicht: Jedes Mal, wenn ich Bree alleinlassen muss, ist das wie ein kleiner Messerstich in mein Herz.

Immer noch auf der Hut, alles um mich herum spürend, prüfe ich unser Haus im schwächer werdenden Licht. Es war wirklich noch nie besonders hübsch. Eine typische Ranch in den Bergen, steht es da, ein Quader ohne jeden Charakter, verbrämt mit billigen Plastikfassaden, die am ersten Tag schon alt aussahen und jetzt einfach verfault wirken. Die Fenster sind klein und weit auseinander und nur wenige, auch aus billigem Kunststoff. Es sieht aus, als würde es auf einen Campingplatz gehören. Vielleicht viereinhalb Meter breit und neun Meter tief, war das Haus ursprünglich für ein Schlafzimmer gedacht, aber wer auch immer es gebaut hat, hat in seiner unendlichen Weisheit beschlossen, es in zwei kleine Schlafzimmer und ein noch kleineres Wohnzimmer aufzuteilen.

Ich erinnere mich daran, dass ich es als Kind besucht habe, vor dem Krieg, als die Welt noch normal war. Wenn unser Vater zu Hause war, nahm er uns am Wochenende oft hierher mit, um aus der Stadt rauszukommen. Ich wollte nicht undankbar erscheinen, und tat immer so, als würde es mir Freunde machen, aber im Stillen mochte ich es nie. Es fühlte sich immer dunkel und beengt an, und es roch muffelig. Als Kind konnte ich es gar nicht abwarten, bis das Wochenende vorbei wäre, um endlich von hier wegzukommen. Ich erinnere mich, wie ich im Stillen geschworen habe, als ich älter wurde, dass ich nie wieder hierher zurückkehren würde.

Nun bin ich ironischerweise dankbar für diesen Ort. Das Haus hat mein Leben gerettet – und das von Bree. Als der Krieg ausbrach und wir aus der Stadt fliehen mussten, hatten wir keine Wahl. Wenn es diesen Ort nicht gegeben hätte, ich weiß nicht, wo wir hätten hingehen können. Und wenn dieser Ort nicht so schon so abgelegen und so hoch liegen würde, dann hätten uns die Sklaventreiber wahrscheinlich schon vor langer Zeit gekriegt. Es ist seltsam, wie sehr man Dinge als Kind hassen kann, die man als Erwachsener schließlich zu schätzen weiß. Naja, als fast Erwachsene. Mit 17 halte ich mich selbst jedenfalls für eine Erwachsene. Wahrscheinlich bin ich in den letzten Jahren jedenfalls überdurchschnittlich gealtert.

Wenn dieses Haus nicht direkt an der Straße stehen würde, so exponiert – wenn es nur ein bisschen kleiner wäre, etwas geschützter, tiefer in den Wäldern, dann würde ich mir nicht so viele Sorgen machen, denke ich. Natürlich müssten wir dann immer noch mit den papierdünnen Wänden leben, dem leckenden Dach und den Fenstern, durch die der Wind zog. Es wäre nie ein komfortables, warmes Haus. Aber wenigstens wäre es sicher. So aber habe ich jedes Mal, wenn ich es ansehe und die herrliche Aussicht dahinter, das Gefühl, dass es die reinste Zielscheibe ist.

Meine Füße knirschen im Schnee, als ich unsere Kunststofftür öffne und drinnen ein Bellen zu hören ist. Sasha tut, was ihr beigebracht habe: Bree beschützen. Ich bin ihr so dankbar. Sie passt so gut auf Bree auf, bellt beim leisesten Laut; damit habe ich gerade genug Seelenfrieden, um sie allein zu lassen, wenn ich jagen gehe. Obwohl mich ihr Bellen zugleich auch manchmal beunruhigt, denn sie könnte uns verraten: Ein bellender Hund bedeutet in der Regel, dass es auch Menschen gibt. Genau deshalb würde ein Sklaventreiber das hören.

Schnell gehe ich ins Haus und beruhige sie. Ich schließe die Tür hinter mir, balanciere die Holzscheite in meiner Hand und trete in das abgedunkelte Zimmer. Sasha wird ruhiger, wedelt mit dem Schwanz und spring an mir hoch. Ein schokofarbener Labrador, sechs Jahre alt. Sasha ist der treueste Hund, den ich mir vorstellen kann – und die beste Gesellschaft. Wenn es sie nicht gäbe, wäre Bree schon lange depressiv geworden, glaube ich. Ich vielleicht auch.

Sasha leckt mein Gesicht, winselt, und scheint aufgeregter als sonst zu sein; sie schnüffelt an meiner Taille, an meinen Taschen, sie spürt schon, dass ich etwas Besonderes mit nach Hause gebracht habe. Ich lege die Holzscheite ab, um sie streicheln zu können, und dabei kann ich ihre Rippen spüren. Sie ist viel zu dünn. Ich empfinde wieder ein schlechtes Gewissen. Dann aber denke ich wieder, Bree und ich sind auch zu dünn. Was wir an Essen haben, teilen wir immer mit ihr, wir behandeln uns alle drei gleich. Dennoch wünschte ich, ich könnte ihr mehr geben.

Sie steckt ihre Nase an den Fisch, und dabei fliegt er mir aus der Hand und auf den Boden. Sasha stürzt sich sofort darauf, schleudert ihn mit ihren Pfoten quer über den Boden. Dann springt sie wieder darauf, dieses Mal beißt sie zu. Aber offenbar mag sie den Geschmack von rohem Fisch nicht, denn sie lässt los. Stattdessen spielt sie damit, greift wieder danach und lässt ihn wieder über den Boden rutschen.

„Sascha, hör auf!“ Ich spreche leise, um Bree nicht zu wecken. Außerdem habe ich Angst, wenn sie zu viel damit spielt, reißt sie vielleicht die Verpackung ab und verschwendet etwas von dem wertvollen Fleisch. Gehorsam hört Sasha auf. Ich kann jedoch sehen, wie aufgeregt sie ist, und ich möchte ihr etwas geben. Ich lange in meine Tasche, drehe den Verschluss vom Marmeladengefäß auf, nehme mit meinem Finger etwas von der Himbeermarmelade heraus und halte ihn ihr hin.

Ohne etwas auszulassen, leckt sie meinen Finger ab, und nach drei Malen hat sie die ganze Portion aufgegessen. Sie leckt sich immer noch die Lippen und sieht mich mit großen Augen an, offensichtlich will sie noch mehr.

Ich streichele ihren Kopf, gebe ihr einen Kuss und stehe dann wieder auf. Jetzt frage ich mich, ob es nett war, ihr etwas zu geben, oder einfach nur grausam, ihr so wenig zu geben.

Das Haus ist dunkel, als ich hindurchstolpere, wie immer bei Nacht. Ein Feuer mache ich nur selten. So sehr wir die Wärme brauchen, ich will das Risiko nicht eingehen, Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Aber heute Abend ist es anders: Bree muss gesund werden, körperlich und emotional, und ich weiß, dass ein Feuer alles ist, was sie braucht. Außerdem habe ich das Gefühl, dass wir heute mal etwas unvorsichtiger sein dürfen, wenn wir morgen sowieso hier weg sind.

Ich gehe durch das Zimmer zu dem Schrank und nehme ein Feuerzeug und eine Kerze hinaus. Eines der besten Dinge an diesem Haus war der große Vorrat an Kerzen, einer der ganz wenigen guten Nebeneffekte der Tatsache, dass mein Vater ein Marine war und so ein Überlebenskämpfer. Wenn wir als Kinder zu Besuch waren, ging der Strom bei jedem Sturm aus, also lagerte er Kerzen, um die Elemente zu schlagen. Ich erinnere mich, dass ich mich darüber lustig gemacht habe, ihn einen Hamsterer genannt habe, als ich seinen ganzen Schrank voller Kerzen entdeckte. Jetzt, wo nur noch so wenige übrig sind, wünschte ich, er hätte mehr gehortet.

Ich habe unser einziges Feuerzeug am Leben erhalten, indem ich es selten benutze, und indem ich alle paar Wochen ein ganz bisschen Benzin aus dem Motorrad abzweige. Ich danke Gott jeden Tag für das Motorrad unseres Vaters, und ich bin auch sehr dankbar, dass er es ein letztes Mal aufgetankt hat: Das ist die eine Sache, von der ich denke, wir haben noch einen Vorteil, wir verfügen über etwas wirklich Wertvolles, eine Chance, zu überleben, wenn es ganz schlimm wird. Papa hatte das Motorrad immer in der kleinen, mit dem Haus verbundenen Garage, aber als wir nach dem Krieg das erste Mal hierher kamen, haben wir es zuerst dort herausgenommen und den Hügel hinaufgerollt, in die Wälder, und es unter Büschen und Ästen und Dornen versteckt, so gut, dass niemand es jemals finden könnte. Ich dachte, wenn unser Haus entdeckt werden sollte, würden sie als erstes die Garage prüfen.

Ich bin auch dankbar dafür, dass mir mein Vater beigebracht hat, wie man es fährt, als ich noch klein war, trotz der Proteste meiner Mutter. Es war schwieriger zu lernen als die meisten anderen Motorräder, wegen des Beiwagens. Ich erinnere mich, dass ich zwölf war und Angst hatte, als ich fahren lernte. Mein Vater saß im Beiwagen und bellte mir jedes Mal Kommandos zu, wenn ich ins Stocken geriet. Ich habe das Fahren auf diesen steilen, ungnädigen Bergstraßen gelernt, und ich erinnere mich an das Gefühl, wir müssten sterben. Ich erinnere mich, wie ich in den Abgrund geschaut habe und geweint und darauf bestanden, dass er fährt. Aber das verweigerte er. Stur saß er dort, eine Stunde lang, bis ich endlich nicht mehr weinte und es noch einmal versuchte. Und irgendwie habe ich gelernt, es zu fahren. Das war meine Erziehung, kurz zusammengefasst.

Ich habe das Rad nicht angefasst seit dem Tag, an dem ich es versteckt habe, und ich riskiere nicht, hochzugehen und nachzusehen, wenn ich nicht das Gas brauche – und sogar das mache ich nur nachts. Ich denke, wenn wir eines Tages ein Problem haben und schnell hier wegmüssen, dann kann ich Bree und Sasha in den Beiwagen packen und uns alle in Sicherheit bringen. Aber in Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, wohin wir noch gehen sollten. Nach allem, was ich gesehen und gehört habe, ist der Rest der Welt ein Ödland, voller gewalttätiger Krimineller, Gangs und wenigen Überlebenden. Die wenigen Gewalttätigen, die es geschafft haben, zu überleben, haben sich in den Städten zusammengerottet, sie entführen und versklaven jeden, den sie finden können, entweder für ihre eigenen Ziele oder für die Todesspiele in den Arenen. Ich glaube, Bree und ich gehören zu sehr wenigen Überlebenden, die noch frei leben, selbständig, außerhalb der Städte. Und zu den ganz wenigen, die noch nicht verhungert sind.

 

Ich zünde die Kerze an, und Sasha folgt mir, als ich langsam durch das abgedunkelte Haus gehe. Ich nehme an, Bree schläft, und das beunruhigt mich: Sie schläft normalerweise nicht so viel. Ich halte vor ihrer Tür an und frage mich, ob ich sie wecken soll. Wie ich dort stehe, sehe ich hoch und erschrecke vor meinem eigenen Spiegelbild in dem kleinen Spiegel. Ich sehr viel älter aus, wie jedes Mal, wenn ich mich selbst sehe. Mein Gesicht, dünn und eckig, ist rot von der Kälte, mein hellbraunes Haar fällt auf meine Schultern, rahmt mein Gesicht ein, und meine stahlgrauen Augen starren zu mir zurück, als würden sie zu jemandem gehören, den ich nicht erkenne. Es sind harte, intensive Augen. Mein Vater sagte immer, es wären die Augen eines Wolfs. Meine Mutter sagte immer, sie wären wunderschön. Ich wusste nicht, wem ich glauben sollte.

Schnell sehe ich weg, ich will mich nicht selbst sehen. Ich beuge mich vor und drehe den Spiegel um, damit das nicht wieder vorkommt.

Langsam öffne ich Brees Tür. Sofort stürmt Sasha hinein und eilt an Brees Seite, legt sich hin und ihr Kinn auf Brees Brust, während sie ihr das Gesicht leckt. Es erstaunt mich immer wieder, wie nah die beiden sich sind – manchmal habe ich das Gefühl, sie sind sich noch näher als wir es sind.

Langsam öffnet Bree die Augen und blinzelt in die Dunkelheit.

„Brooke?“, fragt sie.

„Ich bin es“, sage ich sanft. „Ich bin zu Hause.“

Sie setzt sich auf und lächelt, als ihre Augen mich erkennen. Sie liegt auf einer billigen Matratze auf dem Boden und wirft ihre dünne Decke weg, beginnt, aufzustehen, noch in ihrem Schlafanzug. Sie bewegt sich langsamer als üblich.

Ich lehne mich herunter und umarme sie.

„Ich habe eine Überraschung für Dich“„, sage ich, weil ich meine Aufregung kaum verbergen kann.

Mit großen Augen sieht sie mich an, dann schließt sie ihre Augen und öffnet ihre Hände, wartend. Sie glaubt an mich, sie vertraut mir, das erstaunt mich. Ich frage mich, was ich ihr zuerst geben soll, dann entscheide ich mich für die Schokolade. Ich fasse in meine Tasche, ziehe den Riegel heraus und legen ihn langsam in Ihre Handfläche. Sie öffnet die Augen und schaut auf ihre Hand, blinzelt im Dunkeln, unsicher. Ich halte die Kerze davor.

„Was ist das?“, fragt sie.

„Schokolade“, antworte ich.

Sie sieht hoch, als wollte ich sie veralbern.

„Wirklich“, sage ich.

„Aber woher hast Du die?“, fragt sie, verständnislos. Sie sieht ihre Hand an, als wäre ein Asteroid darauf gelandet. Ich kann es ihr nicht verübeln: Es gibt keine Geschäfte mehr, keine Menschen in der Nähe, und keinen Platz in einem Umkreis von hundert Kilometern, wo ich so etwas hätte auftreiben können.

Ich lächele sie an. „Santa hat sie mir gegeben, für Dich. Ein frühes Weihnachtsgeschenk.“

Sie runzelt die Augenbrauen. „Nein, wirklich“, insistiert sie.

Ich atme tief ein, mir wird klar, dass es Zeit ist, ihr von unserem neuen Zuhause zu erzählen, davon, dass wir morgen hier fortgehen. Ich überlege, wie ich es am besten formulieren kann. Ich hoffe, sie wird sich genauso freuen wie ich – aber bei Kindern weiß man das nie. Ein Teil von mir sorgt sich, dass sie dieses Haus mag und nicht weggehen will.

„Bree, ich habe große Neuigkeiten“, sage ich, beuge mich hinunter und halte ihre Schultern. „Ich habe heute den herrlichsten Platz entdeckt, hoch oben. Ein sicheres kleines Steinhäuschen, es ist einfach perfekt für uns. Es ist gemütlich und warm und sicher, und es hat einen unheimlich schönen Kamin, den wir jeden Abend anmachen können. Und am besten ist es, dass es dort alle möglichen Lebensmittel gibt. Wie diese Schokolade.“

Bree sieht auf die Schokolade herunter, studiert sie geradezu und ihre Augen werden zwei Mal so groß, als ihr klar wird, dass sie echt ist. Sanft zieht sie die Verpackung auf und riecht daran. Sie schließt die Augen und lächelt, dann beugt sie sich vor, um einen Bissen zu nehmen – hält aber plötzlich inne. Besorgt sieht sie zu mir hoch.

„Was ist mir Dir?“, fragt sie. „Gibt es nur einen Riegel?“

Das ist meine Bree, immer so rücksichtsvoll, sogar noch, wenn sie hungert. „Du zuerst“, sage ich. „Es ist in Ordnung.“

Sie zieht die Verpackung zurück und nimmt einen großen Bissen. Ihr Gesicht, ausgehöhlt vom Hunger, verzieht sich in Ekstase.

„Kau langsam“, warne ich sie. „Du willst keine Magenschmerzen.“

Sie kaut langsamer, genießt jeden Bissen. Dann bricht sie ein großes Stück ab und legt es in meine Handfläche. „Jetzt Du“, sagt sie.

Ich nehme es langsam in den Mund, nur einen kleinen Bissen, und lasse ihn auf meiner Zungenspitze liegen. Ich lutsche daran, kaue es dann langsam und genieße jeden Moment. Der Geschmack und der Geruch der Schokolade füllen all meine Sinne. Wahrscheinlich das Beste, was ich je gegessen habe.

Sasha winselt, kommt mit ihrer Nase nah an die Schokolade heran, und Bree bricht ein Stück für sie ab und bietet es ihr an. Sasha schnappt es ihr aus ihren Fingern und verschlingt es in einem Stück. Bree lacht, begeistert von dem Hund, wie immer. Dann packt Bree in einem beeindruckenden Anfall von Selbstbeherrschung die verbleibende Hälfte des Riegels wieder ein und packt ihn oben auf den Schrank, wo Sasha nicht herankommt. Bree sieht immer noch schwach aus, aber ich kann sehen, wie ihre Geister zurückkehren.

„Was ist das?“, fragt sie und zeigt auf meine Hüften.

Einen Moment lang ist mir nicht klar, was sie meint, dann schaue ich nach unten und finden den Teddy. In all der Aufregung hatte ihn schon fast vergessen. Ich greife danach und gebe ihn ihr.

„Ich habe ein neues Zuhause für ihn gefunden“, sage ich. „Der ist für Dich“.

Brees Augen öffnen sich weit vor Aufregung, als sie den Teddy nimmt, an ihre Brust hält und ihn schaukelt.

„Ich liebe ihn!“, ruft Bree aus, mit leuchtenden Augen. „Wann können wir umziehen? Ich kann es kaum erwarten!“

Ich bin erleichtert. Bevor ich reagieren kann, beugt sich Sasha vor und presst ihre Nase gegen Brees neuen Teddy, sie schnüffelt daran. Bree reibt ihn spielerisch an der Hundeschnauze, und Sasha schnappt zu und rennt damit aus dem Zimmer.

„Hey!“, ruft Bree und bricht in hysterisches Gelächter aus, als sie ihr nachjagt.

Beide rennen ins Wohnzimmer, schon mitten in einem Tauziehen um den Bären. Ich bin mir nicht sicher, wer es mehr genießt.

Ich folge ihnen, decke die Kerze sorgfältig ab, so dass sie nicht ausgeht, und bringe sie direkt zu meinem Haufen Brennholz. Ich packe erst ein paar der kleineren Zweige in den Kamin, dann nehme ich eine Handvoll trockene Blätter aus einem Korb neben dem Kamin. Ich bin froh, dass ich davon im letzten Herbst einige als Anzünder gesammelt habe. Sie funktionieren wie ein Zauber. Ich platziere die trockenen Blätter unter den Zweigen, zünde sie an, und die Flamme steigt schnell hoch und leckt am Holz. Weiter füttere ich den Kamin mit Blättern, bis die Zweige schließlich brennen. Ich puste die Kerze aus, um sie für einen anderen Zeitpunkt aufzusparen.

„Wir machen ein Feuer?“, fragt Bree aufgeregt.

„Ja“, sage ich. „Heute feiern wir. Es ist unsere letzte Nacht hier.“

„Hurra!“, ruft Bree, springt auf und ab, und Sasha bellt neben ihr, weil er ihre Aufregung teilt. Bree rennt herüber und nimmt etwas von dem Brennholz, sie hilft mir, es ins Feuer zu legen. Wir füttern das Feuer sorgfältig, lassen genug Luft, und Bree bläst hinein, entfacht die Flammen weiter. Als das Holz schließlich gut brennt, platziere ich einen dickeren Ast obenauf. Weiter stapele ich größere Holzscheite, bis wir endlich ein loderndes Feuer haben.

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»