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Münchhausen

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Nun, Gott beßre das deutsche Theater!

Melpomene sitzt, von der Szene verscheucht, unten im Keller, da wo die Arbeitsleute an den Versenkungen und Verwandlungen hantieren, der Dolch ist ihrer entkräfteten Hand entfallen und rostet im Moder, im Moder liegt die Maske, welche die gemeinen menschlichen Züge verschönernd bedecken soll; Schimmel überzieht dieselbe, und einer der Theaterarbeiter hat ihr die Nase platt getreten. Droben aber über ihrem Haupte, auf dem Podium, scharrwerkt der lärmende Emporkömmling mit seinen breitgerührten und doch hölzern gebliebenen Jamben. Ach, die Arme! Nicht einmal weinen kann sie mehr. Isidor hat sie mit dem Stockschnupfen angesteckt, und verlangt nun grausam spottend von ihr, sie solle Makuba schnupfen lernen, dadurch helfe er sich in allen Nöten.

Das alles ist weltbekannt. Nicht so bekannt ist aber der Umstand, daß der Tragöde alle die Stücke, die seitdem wie ein nie versiegender Spülicht zwischen den Kulissen hervorgebrodelt sind, bereits während seiner Beschäftigung mit Zöpfen und Frisuren in müßigen Nebenstunden verfertigte. Ja, meine Freunde, er hat sie sämtlich auf den Vorrat gearbeitet; die Manuskripte lagen in seinem Haaratelier geordnet zwischen den übrigen Fabrikaten und Sachen, ungefähr so: ein Zopf; »die Erdennacht«, eine Perücke; »Genoveva«, Pomade; »Rafaële«, der Puderbeutel; »Die Schule des Lebens«, und so weiter. Daher es ihm leicht war, hernachmals den Markt von Sand-Jerusalem mit seiner Ware zu überführen.

Doch meine Farben reichen bei diesem Bilde nicht aus und mein Pinsel ist zu stumpf; ich fühle das wohl. Solche tiefsinnige ästhetisch-poetische Seelenentwicklungsgemälde abzuwickeln, daß sie jedem so klar werden, wie baumwollnes Garn, müßte ich Hotho sein, der in den »Vorstudien des Lebens und der Kunst« an seiner eignen Geschichte »aufgewiesen« hat, daß man den »Don Ramiro« schreiben, an den ästhetischen Artikeln der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, herausgegeben von der Sozietät für wissenschaftliche Kritik, mitarbeiten, und dennoch sich wichtig vorkommen kann.

Man sang vor Zeiten, als Don Ramiro zur Welt gebracht wurde:

 
Don Ramiro, Don Ramiro!
Langes Leben spinn‘ dir Klotho;
Rühmen werden dich die Weisen,
Und dich lesen wird Herr Hotho.
Ich ahme diesem Volksliede nach und singe:
Don Ramiro, Grand zu Hotho,
Du allein, du könntest schildern
Hirsewenzels trag‘sches Werden
Dir gemäß mit Hegels Bildern.
 

Isidor näherte sich den sechs Gebrüdern Piepmeyer mit Kamm und Nadel bewaffnet. Er kniete nieder, lösete die Bänder, welche die sechs Haarwüchse fesselten, so daß sie in sechs Fluten von sechs Nacken herniederwallten, und nachdem er mit seinem Geräte in diesem Sechsgelock Ordnung gestiftet hatte, ging er daran, zu strählen und zu flechten.

In diesem Augenblicke empfing er in seiner melancholischhumoristischen Weltanschauung die Gestalt des Till.

Sie erinnern sich gewiß dieser wundersamen Figur, mit welcher unser damaliger Wachtfriseur, nunmehriger Dichter, so vielen genialen Spaß auszurichten sich bemüht hat. Meistens hat der Till es mit einem Barbierer, namens Schelle, er verschmäht aber auch Rätinnen und Polizeidirektoren nicht, nein! es ist zum Totlachen, was für Späße der Till angibt, der durchtriebene Vogel, der Till... und wenn ich an den Till denke, und an Till und Schelle, und Schelle und Till... und an Tell und Schille... und an alle die Späße von dem Till, so — — so — —«

Der Freiherr brach bei der lebhaften Erinnerung an Tills Späße in ein konvulsivisches Lachen aus, welches so klang, als wenn hölzerne Klötzchen in einer Büchse von Blech hin- und hergeschüttelt werden. Der alte Baron klopfte ihm den Nacken, Münchhausen erholte sich wieder und fuhr fort:

»... so kann ich nur bedauern, daß die »Meerrettiche«, die der Dichter auch in sechs Paar Trilogien auf seinem Krautfelde ziehen wollte, nicht fertig geworden sind. Doch vielleicht kommen sie noch nach, denn bei Hirsewenzel ist nichts unmöglich. Bis nun der Meerrettich zum Rindfleisch abgesotten sein wird, müssen wir uns mit dem Till behelfen, dem ich wohl eine Petersilie wünschen möchte, das gäbe eine Mariage von Küchenkräutern, worüber jeder Köchin das Herz im Leibe poppern würde.

Ich habe immer, wenn ich die Tille sah, an einen Menschen denken müssen, den ich einmal in einem Dorfe zwischen Jüterbog und Treuenbrietzen, mich dünkt, es hieß Knippelsdorf, oder so ungefähr, kennenlernte. Die Gegend um Knippelsdorf ist etwas unfruchtbar, nur bei großen Überschwemmungen werden die Felder grün, dann gibt es große Festlichkeiten, wobei sich die Leute in Grütze satt essen. Aber hübsche Kiefern haben sie da, und Windhafer, soviel ihr Herz begehrt. Die Achse war mir am Wagen gebrochen; ich mußte ein paar Stunden im Kruge sitzen, bis der Stellmacher sie, nämlich die Achse, repariert hatte. Dieser Aufenthalt zeigte mir »Knippelsdorfer Zustände«. Es war neun Uhr morgens, und ein schöner heißer Julius, indessen schien der Tag durch die runden Fenster der Krugstube nicht absonderlich hell, sie waren gar zu verschmaucht. In der Stube gingen die Hühner spazieren, uneigennützig, denn zu essen gab es da nichts, wie ich erfuhr, als ich nachfragte. Zu trinken konnte ich bekommen, wenn ich bis zum folgenden Tage bleiben wollte, da würden sie Dünnbier von Zahne holen, sagten sie. Es roch abscheulich in der Stube, aber auf Reinlichkeit hielten sie doch, denn eine Magd im Negligé mit fliegendem Haar wischte gehörig den langen Tisch ab, und nachher mit demselben Tuche die irdenen Teller. Eine Anzahl von Fliegen summte in der Stube, und die schlug ein höhnischer, blasser, verdrossen-schläfriger Mensch tot, derselbe eben, an den ich mich nachmals immer bei den Tillen erinnerte. Er trug eine Nachtmütze schief überm Ohr, den tönernen Stummel hatte er im Munde, in herabgetretenen Pantoffeln schlorrte er auf und nieder. So oft er eine Fliege mit der Klatsche erlegt hatte, verzog er die schlaffen Lippen zu einem unangenehmen Lächeln und machte einen Spaß über die tote Fliege. Man konnte sich darauf verlassen, auf jede tote Fliege kam ein Spaß; ich habe sie aber sämtlich vergessen. Die Magd lachte nicht darüber, ich konnte auch nicht darüber lachen. Sie sagte mir, als ich mich nach ihm erkundigte, er sei der jüngere Bruder des Krugwirtes und habe nicht guttun wollen, deshalb müsse er jetzt das Gnadenbrot essen. Seine einzige Beschäftigung sei, sich über die Fliegen aufzuhalten, die er totgeschlagen habe.

Der Till also ging dem Hirsewenzel, wie gesagt, auf, als er die sechs Zöpfe der Gebrüder Piepmeyer einflechten wollte. »Halt«, dachte er, »hier kannst du sofort für diesen komischen Heros die Studien nach dem Leben machen. Laß uns eine Verwickelung bilden, die an grenzenloser Lustigkeit und kühner Laune alles hinter sich läßt, was Shakespeare, Holberg und Molière ersonnen haben. Ich werde die Zöpfe der Piepmeyers unentwirrbar zusammenflechten, und wenn sie dann aufstehn, und nicht voneinander können, und bei dem Ziehen und Zerren unter Schmerzen Gesichter schneiden, o welche Fülle von komischen Anschauungen werde ich dann haben, ich sehe schon ganze Dutzende von Tilliaden fertig.« Gesagt, getan; er flocht Peter mit Romeo, Romeo mit Christian, Christian mit Guido, Guido mit Ferdinand, Ferdinand mit Heinrich, Heinrich mit Karl zusammen, so daß vier Piepmeyers, ein jeder doppelseitig, linker und rechter Flügel aber einseitig gefesselt waren. Als Isidor sein Werk vollbracht hatte, steckte er sich hinter den Wachtofen, um die Wirkung dieser Intrige zu beobachten.

Ruhig schliefen die Opfer Hirsewenzelscher Komik, träumten von Brot und Fleisch und doppeltem Traktament und hatten kein Arg. Als nun der Tag höher zu steigen begann, und die Strahlen der Sonne den Ordensstern an der Bildsäule Landgraf Friedrichs des Zweiten auf dem Platze vor dem Schlosse vergoldeten, mit einem Worte, als es sechs geschlagen hatte, trat der Feldwebel zu der Piepmeyerschen Pritschabteilung, um die Farbenstriche über den Nasen der Brüder aus seinem Vorrate zu erneuen, denn die ganze Strenge des Dienstes sollte nun bald wieder beginnen. Als er indessen einen Blick über die Pritsche hinaus in ihr Jenseits tat, und die seltsame Verflechtung der brüderlichen Hinterhaupthaare wahrnahm, da entsank ihm vor Erstaunen der aufgehobene Malerpinsel und er starrte die Erscheinung einige Sekunden lang lautlos an. In der Tat war diese auch verwunderlich genug anzuschauen; Piepmeyers sahen von hinten aus wie ein kurhessischer Garderattenkönig.

Indessen kommt ein Feldwebel immer bald wieder zu sich selber. Auch der unsrige gewann nach kurzer Ratlosigkeit seine ganze Fassung sich zurück, und fuhr die Verbündeten mit den wackern Worten an: »Kerls! Euch soll ja ein Kreuzsternschockmillion-Donnerwetter sechstausend Klafter tief unter den Winterkasten in die Erde schlagen!«

Von diesem biedern Zurufe des tüchtigen Manns fuhren Piepmeyers gleichzeitig aus dem Schlummer auf, und wollten sich gleichzeitig erheben. Da ihnen aber dies Schmerzen verursachte, so sanken sie zurück, tasteten gleichzeitig nach ihren Zöpfen, entdeckten die Ursache der Schmerzen und sagten gleichzeitig wie aus einem Munde, kalten Blutes: »Herr Feldwebel, es muß sich, derweil wir schliefen, ein dummer Junge in die Wacht geschlichen und einen Jux mit uns verübt haben.« — »Auf Ehre, so ist es«, sprach der Fähnrich von Zinzerling, der herzugetreten war. »Feldwebel, machen Sie den einen Mann los, und der kann wieder seinen Brüdern helfen. Wo bleibt der Schelm, der Hirsewenzel?« —

Der Feldwebel löste Karl Piepmeyer von Heinrich Piepmeyer ab, Karl trennte demnächst Heinrich von Ferdinand, Heinrich schied Ferdinand von Guido, Ferdinand dismembrierte Guido und Christian, Guido setzte Christian mit Romeo auseinander, Christian endlich stellte den Dualismus zwischen Romeo und Peter her. Nachdem die sechs Brüder solchergestalt wieder in das Fürsichsein getreten waren, vollendeten sie ihre reale Existenz durch wechselseitige Herstellung von sechs schlechthin gesonderten Zopfindividualitäten. Hiemit hatte das Ereignis seinen Kreis absolut mit Inhalt erfüllt, war der Begriff des Vorfalls zum Von-Sich-Wissen gekommen, oder deutlicher zu reden, das Ding hatte nun ein Ende. Denn dem Feldwebel, welcher sich an den Fähnrich mit der Frage, ob der Vorfall gemeldet werden solle? wendete, erwiderte von Zinzerling gedankenvoll: »Nein! Wir leben in bewegten Zeiten, und wollen die Gärung nicht fortleiten. Der dient den Königen nicht, der ihrem Argwohne dient. Die Sache bleibt ungemeldet, und ich nehme die Verantwortung auf mich.«

 

Wie Hirsewenzel unbemerkt hinter dem Ofen entkommen, ist Wachtgeheimnis geblieben.«

Fünfzehntes Kapitel

Zwei Zuhörer sind in ihren Erwartungen so getäuscht, wie die Leser, der dritte Zuhörer fühlt sich dagegen höchst befriedigt. Der Freiherr teilt einige dürftige Familiennachrichten mit

Der Schulmeister Agesilaus hatte schon während des letzten Teils dieser Erzählung deutliche Zeichen hergestellter Zufriedenheit von sich gegeben. Vergnügt hatte er seine Hände gerieben, sich auf dem Stuhle hin- und hergewiegt, ein Hm! Hm! Ja! Ja! So! So! Ei! Ei! dazwischen geworfen, und den Freiherrn mit einer Schalkhaftigkeit angesehen, welche eine Schattierung von Tiefsinn durchschimmern ließ. Nachdem nun Münchhausen zu Ende gekommen war, sprang der Schulmeister auf, lief zu dem Erzähler, schüttelte ihm die Hand, und rief: »Verzeihung, mein hochzuverehrender Gönner, daß ich die Standesunterschiede nicht achte, und Ihnen so geradezu mich nähere, aber wie Not kein Gebot hat, so achtet die Begeisterung keiner Schranke. Erlauben Sie mir, Ihnen auszusprechen, wie mich Ihre diesmalige Diatribe, in die Form einer historischen Novelle gegossen, erquickt hat. So fahren Sie fort, dann sind Sie des Dankes aller Edeln gewiß. Endlich doch einmal Nahrung für Geist und Herz!«

»Ich verstehe Sie nicht«, versetzte ernsthaft der Freiherr.

»O! O! O! aber ich verstehe Sie, mein Hochgeschätzter«, rief der Schulmeister. »Ja, ja, Erleuchteter, das kommt bei den Übertreibungen heraus! Das haben wir davon, daß wir alles auf die Spitze stellen, von allem und jeglichem das Höchste, Überschwenglichste begehren! Nicht wahr, mein Verehrtester, Sie wollten mit Ihrer anscheinlichen Ironie gegen jenen so oft verkannten und angefeindeten Mann sagen: Seht, zu solchen maßlosen Extravaganzen gelangt man, so überspringt der Spott sich selbst, so fallen die stärksten Hiebe, wenn Leidenschaft sie führt, immer über den zu Hauenden hinaus in das Leere, und darum lernt Euch begnügen, Ihr Leute, mit dem Vorhandenen, geht zwischen Haß und Enthusiasmus die Mittelstraße, die von den Weisen aller Zeiten immer die goldne genannt wurde! Diese und ähnliche Lehren wollten Sie durch Ihren ausschweifenden Angriff einschärfen, wenn ich sonst, nicht oberflächlich an der Oberfläche Ihrer Reden haftend, deren inneren Sinn richtig aufgefaßt habe.«

Auf diese Anrede erwartete der Schulmeister etwas Schmeichelhaftes. Der Freiherr sah ihn jedoch nur mit weitgeöffneten Augen starr an, und sagte nach einem langen Schweigen nichts, als: »Herr Professor, Sie sollten uns doch auch noch einen Kommentar über den »Faust« schreiben.« — Dann wandte er ihm den Rücken und suchte die Blicke des Fräuleins auf, die ihn aber mieden.

Diese liebte eigentlich im stillen den Helden der Novelle, weshalb ihr auch der Vorschlag, seiner unerschrocknen Wirksamkeit ein Ziel zu setzen, nicht vom Herzen gekommen war. Sie pflegte sich in ihren erregtesten Stunden seine lombardischen Chausseepappelverse zu ihrer Aufrichtung laut vorzusagen. Nun hatte sie jedoch auch, wie alle Damen, eine unglaubliche Furcht vor dem Lächerlichen, und da sie denn doch während Münchhausens Erzählung sich mit ihrem Lieblinge in dieser Beleuchtung zu einer Gruppe vereinigt sah, so fühlte sie sich in ihrem Bewußtsein völlig vernichtet, und rang vergebens nach einem Anker für ihre ratlose Seele. Zugleich aber ängstigte sie das Schweigen, welches nach den Verhandlungen zwischen dem Freiherrn und dem Schulmeister in der Gesellschaft entstanden war, und nicht weichen wollte. Denn ihr Vater schnitzte, wie er zu tun pflegte, wenn er gänzlich verstimmt war, mit seinem Federmesser Einkerbungen in den schlechten hölzernen Tisch, um welchen alle saßen, und murrte nur halblaut vor sich hin: »Der Schulmeister schnappt noch gar über! Es war ja die pure, blanke Gottes-Satire auf den Hirseschwenzel, oder Schmirsehenzel, oder wie der Mensch sonst heißen mag! Denn Dichterei und Romanenwesen ist meine Sache nicht, sondern Natur- und Völkerkunde.«

Der Schulmeister aber saß schweigend und zornrot da. Er hatte zwar Münchhausens Antwort nicht eben ganz verstanden, fühlte jedoch, daß darin ein Stich liegen müsse. In diesem Punkte war nun nicht mit ihm zu scherzen, denn seine Eitelkeit war nur seiner unbegrenzten Vorliebe für die Sitten der alten Sparter gleich.

Wer hat nicht einmal die Last solcher Windstillen in der Gesellschaft erfahren? Die gesamte Sozietät sitzt wie eine Flotte, die sich auf dem unbewegten Meeresspiegel nicht zu rühren vermag. Schlaff hangen die Segel herab, verzweiflungsvoll schaun alle Blicke nach ihnen hinauf, ob nicht ein frisches Lüftchen sie endlich schwellen wolle. Umsonst! Das ist, als ob ein Rad in der Schöpfung gebrochen, und die ganze Maschine mit Sonne, Mond und Fixsternen in Stockung geraten sei. So sucht eine in Windstille versetzte Gesellschaft auch verzweiflungsvoll nach einem Gedanken, nach einer Vorstellung, ja nur nach einer Redensart, um sie in die Segel der Konversation zu hauchen; vergebens! Nichts will über die Lippen, nichts hörbaren Laut gewinnen. Der Mythus sagt, in solchen Zeiten fliege ein Engel durch das Zimmer, aber nach der Länge derartiger Pausen zu urteilen, müssen zuweilen auch Engel diese Flugübungen anstellen, deren Gefieder aus der Übung gekommen ist. Endlich pflegt einer sich zum Opfer für das Gemeinwesen darzubringen, er fährt mit einer ungeheuren Dummheit heraus, und damit ist der Zauber gelöset, das Band der Zungen entfesselt; die Ruder klatschen, die Segel sausen, der Kiel schwirrt lustig durch das Meer von Kunst, Stadtneuigkeiten, Politik, Krankheits- und Gesundheitsumständen, Religion und Karnevalsbällen.

Nachdem das Schweigen in der Gesellschaft, von welcher hier die Rede ist, etliche Minuten gedauert hatte, und die verschiednen Affekte der Schweigenden in die heiße Sehnsucht, ein menschliches Wort zu vernehmen, übergegangen waren, sagte das Fräulein zu Münchhausen plötzlich, wie von einem guten Geiste erleuchtet: »Es pflegt doch immer im Sommer schöneres Wetter zu sein, als im Winter.«

Nach dieser Explosion atmeten alle frei auf und fühlten sich von dem Zauber erlöset, der über ihnen gelastet zu haben schien, nachdem von unsrem Nationaltragöden so viel die Rede gewesen war. Münchhausen aber küßte dem Fräulein die Hand und versetzte: »Sie haben da eine tiefsinnige Wahrheit ausgesprochen, meine Gnädigste, und ich kenne außer Ihnen nur noch eine Dame, welche diese großartige Naturbetrachtung fest im schönen Gemüte ergriffen hat, und sie einem Dichter zu äußern pflegt, jederzeit, wo er das Glück hat, ihr zu nahn. Vergebens, daß der Dichter manches ausgehen ließ, was der Welt nicht unbekannt blieb, daß man überhaupt mit ihm von allem und jedem sprechen kann, weil er so ziemlich für alles und jedes sich interessiert, und über die Dinge, von denen er nichts versteht, gern Belehrung empfängt — vergebens alles dieses, sage ich — die Dame äußert, so oft er das Glück hat, ihr zu nahen, nur ihre Überzeugung, daß im Sommer das Wetter schöner zu sein pflege, als im Winter.«

»Unmöglich!« rief der alte Baron.

»Vielleicht unmöglich, aber gewiß wahr«, versetzte Münchhausen. »Der Dichter ist mein Freund und hat mir die Tatsache bei seinem Ehrenworte beteuert.« — Münchhausen fuhr heiter fort: »Ich wollte Ihnen einige kurze Nachrichten über meine Familie geben; hier sind sie. Der sogenannte Lügenmünchhausen ist mein Großvater, wenn unser Stammbaum in Bodenwerder recht hat. Adolph Schrotter in Düsseldorf hat ihn jüngst gemalt, wie er unter Jägern und Pächtern sein Pfeifchen schmaucht, und diesen Leuten seine Geschichten erzählt. Ein dicker Mann sitzt ihm gegenüber und hat den Rock ausgezogen, um besser zuhören zu können, in seinem Gesichte spricht sich die gläubigste Hingebung aus, und sein großer Hund, der neben ihm liegt, sieht ihm sehr ähnlich.

Adolph Schrotter hat meinen Großvater getroffen, wie kein anderer vor ihm. Das ist aber auch kein Wunder, denn mein Großvater ist ihm im Traume erschienen, er hat eine Vision von ihm gehabt. Die frommen Maler haben nicht allein Visionen, nein! die andern haben die ihrigen auch. Es malt keiner ein paar Kinder, die von zwei schlechten Kerlen totgemacht werden sollen, oder eine Kegelbahn, oder auch nur ein Porträt, ohne daß er eine Vision von diesen Dingen gehabt hätte. Und das ist der Vorteil dieser weltlichen Gesichte: Man kann immer da die Vergleichung anstellen, und urteilen, ob die Erscheinungen richtig gewesen sind, denn überall gibt es unschuldige Kinder und schlechte Kerle und Kegelbahnen, und Leute, die sich porträtieren lassen; aber bei den frommen Visionen kann man das nie, und man weiß daher auch nicht, ob die lieben Engelein und Heiligen und die Mutter Gottes so ausgesehen haben, wie die Leute behaupten, daß sie ihnen vorgekommen seien.

Daß Adolph Schrotter eine richtige Vision gehabt, bestätigte noch letzthin ein alter eisgrauer Jäger von Bodenwerder, der jetzt mit Ratten- und Mäusepulver handeln geht, und der denn endlich auch an den Rhein gewandert war. Er kam auf die Kunstausstellung, weil er glaubte, dort Geschäfte machen zu können und rief, als er das Bildchen sah: »Das ist der alte Herr, wie er leibte und lebte, wenn er von den zwölf Enten erzählte!« Das Bildchen soll jetzt, Figuren über Lebensgröße, al fresco für ******** ausgeführt werden.

Meinem Vater tat die Abstammung von diesem Manne Zeit seines Lebens den größten Schaden. Wenn er Geld erborgen wollte und auf Kavalierparole die Rückzahlung versprach, sobald sie sich tun lasse, sagten die Wucherer, mit denen er unterhandelte: »Wir bedauern sehr, aber wir können nicht dienen, denn Sie sind der Herr von Münchhausen.« Er trat in Kriegsdienste und machte als Stabsrittmeister einst einen allerdings unwahrscheinlich lautenden Rapport; der General glaubte ihm nicht, und davon war die Folge, daß eine große Schlacht verlorenging. Kabale über Kabale wurde gegen ihn gespielt; man drehte die Sache ganz herum, er erhielt in Ungnaden seinen Abschied. Nun widmete er sich dem Finanzfache, da entdeckte er ein geheimes Mittel, die edeln Metalle zu vervielfältigen, wollte es dem Staate verkaufen, aber der Staat wies ihn zurück und sagte, es sei schon gut, man wisse, daß er Münchhausen heiße. Auch aus dem Finanzfache wurde er ungnädig dimittiert, weil er ein Schwindler sei, wie es in dem Entlassungsreskripte hieß. Was hat der Staat von seiner Zurückweisung gehabt? Papiergeld mußte er machen.

Mein Vater aber hatte von seinem Geheimmittel auch nichts; er konnte es für sich nicht in Anwendung bringen, die Kosten der ersten Auslagen waren für einen Privatmann zu bedeutend. Bei zwölf Fräuleins hielt er nacheinander um ihre Hand an, aber

 
Die erste sagte scheu,
Die zweit‘ — ein Leu —
Die dritte spitzig,
Die vierte witzig,
Die fünfte hitzig,
Die sechste zornwinkend,
Die siebente borntrinkend,
Die achte stickeiferig sehr,
Die neunte blickschweiferig mehr,
Die zehnte rücksteiferig-hehr,
Die eilft‘, ein Bärbchen, schnipp‘sch, zwar weichend, doch gütig,
Die zwölft‘, ein Körbchen hübsch darreichend, hochmütig:
 

»Herr von Münchhausen, wir danken für die uns zugedachte Ehre; Sie führen uns doch nur an.«

So schlugen alle meine zwölf projektierten Mütter dem armen Manne sein Begehr ab, bloß wegen seines Namens und wegen der Erinnerung an den Großvater. Ich wäre ohne Mutter geblieben, wenn er nicht zuletzt noch bei einer dreizehnten Gehör gefunden hätte, bei einer Denkerin, die in des Großvaters Lügenbuche einen geheimen Sinn ahnete, und alles allegorisch und theosophisch auslegte. Sie gab meinem Vater ihr Jawort, nicht aus Liebe zu ihm, wie sie ihm bei der Verlobung offen sagte, sondern aus Achtung für den Großvater.

 

Über diese Ehe darf ich mich nicht aussprechen. Sie birgt Geheimnisse, die wieder tief in andre Geheimnisse meines tiefsten Seins verflochten sind, und welche mit mir zu Grabe gehen werden. Nur so viel mag ich Ihnen vertrauen: Eine Ehe aus Achtung für den Vater des Gatten ist für diesen die unglückseligste unter den unglückseligen Ehen. »Die unglückliche Ehe aus Delikatesse« von Schröder bedeutet gar nichts dagegen, und die Heirat durch ein Wochenblatt gründet ein Paradies, mit der Achtungs-Ehe verglichen.

Theophilus, Freiherr von Münchhausen, (so heißt der Mann, welcher vor der Welt mein Vater heißt;) ergab sich ganz den ernstesten Studien, nachdem es ihm im Leben und in der Ehe so äußerst schlecht gegangen war. Er wurde ein großer Wassertrinker, und ich habe ihn, während ich in Bodenwerder verweilte, nur dreimal lächeln sehen.

Meine früheste Jugend verlebte ich durch eine seltsame Verkettung von Zufall, Schickung und Leidenschaft unter dem Vieh, und zwar bei einer Ziegenherde am Öta. Was ich da erfahren, will ich Ihnen späterhin erzählen, für jetzt nur so viel, daß ich meine Knabenjahre, abermals durch eine seltsame Verkettung von Zufall, Schickung und Leidenschaft im väterlichen Hause zubringen durfte. Da trieb ich denn nun alles und jedes mit dem Manne, dem ich, die Geheimnisse mögen nun sein, welche sie wollen, doch immer meine Tage verdanke.

Vormittags: Philologie, Geographie, Alchimie, Technologie, Spezialhistorie, Generalhistorie, Physik, Mathematik, Statik, Hydrostatik, Aerostatik;

nachmittags: Literatur, Poesie, Musik, Plastik, Drastik, Phelloplastik, gemeinnützige Kenntnisse;

abends: Gymnastik, Hippiatrik, Medizin, insonderheit Anatomie, Physiologie, Pathologie, Semiotik, Biotik, Materia medica;

nachts: repetierten, experimentierten, disputierten wir.

Bei diesem Lehrplane konnte ich denn allerdings manches aufschnappen.«

»Und wann schliefen Sie?« fragte das Fräulein.

»Hin und wieder eine Viertelstunde bei den leichteren Doktrinen«, versetzte der Freiherr. »Ich war Schnellschläfer, wie man Schnelläufer hat. In wenigen Minuten konnte ich den Gehalt von Schlafstunden gewöhnlicher Menschen zusammendrängen. Von Schlaf kann überhaupt für jemand, der sich auf der Höhe des Jahrhunderts halten will, nach der großen Ausdehnung, welche die Wissenschaft gewonnen hat, heutzutage wohl nicht mehr viel die Rede sein. — Neben dieser intellektuellen Bildung, die ich auf Bodenwerder erhielt, wurde mein Charakter, mein Gemüt nicht verabsäumt. Ganz besonders brachte mir mein sogenannter Vater den heftigsten moralischen Widerwillen gegen das Lügen bei, weil der Großvater durch dieses Laster das ganze Familienglück zerstört hatte. Er folgte in manchen Dingen seinen eigenen Grundsätzen, mein sogenannter Vater, und hielt erstaunlich viel auf die Gewalt der ersten sinnlichen Eindrücke in der Jugend. Ich bekam daher alle Sonn- und Feiertage eine allegorische Figur der Wahrheit, aus Honigkuchenteig gebacken, zu verzehren, nämlich, eine unbekleidete Person, die Augen zwei Rosinen, die Nase eine Bamberger Pflaume, auf der Brust eine Sonne von Mandelkernen. Hatte ich nun diese Allegorie mit Wollust verspeiset, so wurde mir dabei unaufhörlich wiederholt: »Süß, wie der Honigkuchen, ist die Wahrheit.« Wenn ich mir aber den Magen verdorben hatte und Rhabarber einnehmen mußte, so hieß es im einschärfendsten Tone: »Das ist der bittre Trank der Lüge.«

Die Richtigkeit der Methode bewährte sich an mir. Ich bekam wirklich einen unbesieglichen Abscheu gegen das Lügen und kann wohl sagen, daß aus meinem Munde nie ein unwahres Wort gegangen ist, mit einer einzigen Ausnahme, die aber sofort sich bitter an mir rächte. Lange Zeit konnte ich der Wahrheit oder gewisser Wahrheiten nicht denken, ohne daß mir Honigkuchen, Rosinen und Mandelkerne und Bamberger Pflaumen einfielen, endlich erhob ich mich freilich zu gereinigteren Vorstellungen.

Was aber die einzige Lüge meines Lebens und ihre Folgen betrifft, so ging es damit folgendermaßen zu. Ich sitze eines Tages in meinem Zimmer am Schreibepult und habe eine sehr notwendige Arbeit vor. Der Bediente meldet mir einen Besuch. »Geh‘ hinaus«, sage ich, »ich wäre nicht zu Hause.« Der Herr wäre nicht zu Hause, sagt er draußen. Sowie der Mensch seine Botschaft ausgerichtet hat, und ich höre, daß mein Besuch abzieht, spüre ich eine Unruhe, die mich am Pult nicht weilen läßt; ich muß aufspringen, es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird mir so, dann wird mir so; der Rhabarber fällt mir ein aus meinen Jugendjahren und dessen allegorische Deutung, die Phantasie tritt in ihre ungeheuren Rechte, die geheimen Bezüge zwischen Seele und Leib fangen an zu ziehen, immer wesenhafter, kreatürlicher wächst die Idee des Rhabarbers in mir, bald bin ich vom Kopf bis zur Fußzehe jeder Zoll Rhabarber, die Natur folgt der Vorstellung, das Übel bricht aus — — Sie erraten das übrige! —

Die Folgen meiner Lüge, durch Rhabarber-Allegorie-Erinnerung bedingt, treten mit einer Stärke auf, vor welcher die Wissenschaft scheu zurückweicht. Vierundzwanzig Ärzte gab es in der Stadt; alle kommen nach und nach zu der leidenden Kreatur. Vierundzwanzig Ansichten werden laut, vierundzwanzig verschiedene und entgegengesetzte Mittel werden verordnet. Der erste hält die Krankheit für eine Schwäche, der zweite für Hypersthenie, der dritte für eine neue Form der Schwindsucht. Der vierte verschreibt Sinapismen, der fünfte Kataplasmen, der sechste Blähungen; der siebente Adstringentia, der achte Mitigantia, der neunte Corroborantia; Ipekakuanha! ruft der zehnte, nein, Hyosciamus! schreit der eilfte; keines von beiden, sondern Meerzwiebel, sagt ruhig der zwölfte; dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebenzehn operieren, skarifizieren, amputieren, evakuieren, trepanieren; Nummer achtzehn hat in der Diagnose recht, Nummer neunzehn findet die Prognose schlecht; der zwanzigste gibt Borax, der einundzwanzigste Storax, der zweiundzwanzigste findet des Übels Sitz im Thorax; der dreiundzwanzigste mir Frankenwein bot, der vierundzwanzigste macht mich Kranken scheintot.

Aus diesem Zustande erweckt mich ein Homöopath mit 1/6000000 Gran Arsenik. »Herr Medizinalrat«, flüstre ich ihm, entkräftet von vierundzwanzigfacher allopathischer Behandlung zu, »Herr Medizinalrat, ich hab‘s vom Lügen!« — »Vom Lügen?« versetzt er. »Nichts leichteres dann, als die Heilung. Similia similibus. Sie müssen verleumden d. h. lügen mit feindseliger Absicht, dann gibt sich die Krankheit sofort!«

Ein Blitz fährt durch meine Seele. »Nach Schwaben!« rufe ich; »nach Stuttgart! Doktor Nachtwächter ist ein Menschenfreund, er wird mir die Liebe erzeigen, und mich zu meiner Herstellung einige Zeit lang am Literaturblatte mitarbeiten lassen.« — Ich werde in Betten eingepackt, in den Wagen gesetzt, erreiche Stuttgart halbsterbend. Der Herausgeber des Literaturblattes kommt eben aus der Ständekammer, worin er von dem Drucke, unter dem die Kirche schmachte, redete, bei der Beratung der Kammer über das Moststeuergesetz. »Edler Mann«, sage ich, »Sie, aus dessen Antlitz Güte und Redlichkeit leuchten, Nachtwächter Sie Germaniens, der immer abtutet, wie hoch es an der Zeit sei, wenn die Stunde vorüber ist, so und so geht mir‘s.« Ich erzähle ihm den Kasus und trage ihm mein Anliegen vor. »Gern gewährt«, versetzt Nachtwächter, »was schiert mich die Literatur?« Er erteilt mir seine Instruktionen für einen Artikel des Blattes, ich fange danach an zu schreiben. Bei der ersten Seite verspüre ich schon Linderung, bei der zweiten Minderung, bei der dritten sammle ich Kräfte, bei der vierten bessern sich meine Säfte, mit der fünften kommt den abgemagerten Gliedern die vorige Rundheit, und die sechste schenkt mir die vollkommene Gesundheit, so daß ich nicht nötig hatte, von Autoren und Büchern, denen etwas versetzt werden sollte, weiter zu schreiben, und Nachtwächtern die Vollendung des Artikels überließ.

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