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Gabriele

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»Die Eltern Fernands, der Abbé und die Dienerschaft nannten meinen kleinen Gespielen nicht anders rnehr als Graf und behandelten ihn mit aller seinem Stande zukommenden Berücksichtigung. Wäre ich erst jetzt auf das Schloß gekommen, so würde ich von diesem Allen wahrscheinlich nicht unangenehm berührt worden sein; aber wir hatten drei Jahre fast in völliger Gleichheit gelebt! Fernands Vater war einer von den edlen Geistern, die aus Großmuth Ansichten annehmen, die sie verderben, sie aber, wenn sie allgemein wären, vielleicht gerettet hätten. Ein Bewunderer von Montesquieu, Freund von Rousseau und correspondirend mit Voltaire, bot er die Hand zu allen Verbesserungen. Der Himmel wollte ohne Zweifel seinen guten Willen belohnen, denn er nahm ihn gegen das Ende des Jahres 1786 von der Welt. Er hatte Gutes gehofft und zu befördern gesucht und erlebte das Böse nicht! Sein Loos war glücklich! Er war es gewesen, der dieses Leben der Gleichheit, der freien und muntern Thätigkeit für seinen Sohn angeordnet hatte. Fernand befand sich wohl dabei, denn diese drei Jahre der Freiheit machten aus dem schwachen Wesen, das nicht hätte fortleben können oder nur ein klägliches Leben geführt haben würde, einen Knaben voll Kraft und Gewandtheit. Indessen, um die Wahrheit zu sagen, sein Verstand entwickelte sich nicht mit derselben Leichtigkeit. Es fehlte ihm nicht der Verstand, aber der Fleiß. Was er im Leben wußte, hatte er errathen, aber nicht gelernt, seine Gedanken gingen immer schnell, aber niemals weit; sie waren fein, aber nicht tief. Sein Geist war so rasch und heiter, daß alle Lektionen des Abbé von ihm mit einer Lustigkeit wiederholt wurden, über die wir Alle lachen mußten, der es oft an Vernunft fehlte, die aber doch mitunter etwas Originelles hatte, daß selbst der Ernst des Lehrers diesen Scherzen selten Stand halten konnte. Bald hatte er keinen andern Lehrer mehr als mich; der Abbé überließ mir dieses Geschäft, denn ich benutzte zu meinen Studien die Stunden, die der junge Graf bei seinen Eltern oder mit Unterricht in Künsten, Tanzen, Fechten und dergleichen, die ich nicht theille, zubrachte. Meinem wißbegierigen Geiste stand die Bibliothek des Schlosses zu Gebot, nebst den Lehren eines Predigers, der ausgedehnte und gute Kenntnisse besaß. Ich bemühte mich, Fernand die Kenntnisse, die ich mir auf diese Weise erwarb, mitzutheilen; aber weit entfernt, daß die Jahre dieser fröhlichen Natur einigen Ernst verliehen hätten, wurde er, je großer und alter er wurde, um so unempfänglicher für ernste Gedanken und arbeitsscheuer. Er war nur ein anmuthiges, reizendes Kind! Ach! ich sehe ihn noch . . . Eines Tages . . . Verzeihung,« sagte Simon, sich hier unterbrechend, »wenn ich mich bei Einzelheiten aufhalte und wenn die Scenen meiner Kindheit sich meiner Phantasie so lebendig darstellen! Ach! es sind die einzigen Tage, auf die ich ohne Entsetzen meine Blicke zurückwenden kann! Gern rufe ich mir diese süßen Augenblicke zurück! . . . Fernand . . . ja es sei mir noch erlaubt, diesen Namen zu nennen, den ich in diesen ersten unschuldigen Jahren mit so viel Liebe nannte und nennen hörte . . . Fernand gab dem Willen seiner Mutter und seines Hofmeisters nach, als sie von mir den Respect gegen ihn, der uns trennte, verlangten. Eine unaufhörliche Beobachtung verhinderte mich, es daran fehlen zu lassen, denn für die Zeit, wo der Abbé anderweit beschäftigt war, hatten wir einen Unterpräceptor, der uns nicht einen Augenblick verließ; aber Fernand erfand ein Mittel, uns wenigstens wahrend unserer Spaziergänge im Parke zuweilen der Sclaverei zu entziehen. Eine der Uebungen, die das Meiste zu der Entwicklung von Fernands Körperkräften beigetragen hatte, war, daß wir die höchsten Bäume erkletterten und bis in die Wipfel stiegen; im Anfange hatte ich die größte Geschicklichkeit in dieser Uebung gezeigt, bald aber hatte er mich darin übertroffen.

»Am Ende des Parks war eine Eiche von bewunderungswürdiger Größe und Höhe . . . wir hatten eine Art Stufen in ihre knotige Rinde eingeschnitten, um bis zu dm Aesten kommen zu können und von da gelangten wir leicht zu dem buschichten Mittelpunkte, wo wir, das Laubwerk beschneidend, uns eine Art Nest gemacht hatten, in welchem wir gegen Sonne und Regen gleich geschützt waren. Wenige Tage, nachdem unser Umgang durch die neuen Gesetze so viel von seiner Annehmlichkeit verloren hatte, zog Fernand mich zu unserem lieben Baume und ehe man noch unseren Plan errathen konnte, hatten wir unser altes Asyl erreicht, wo wir alle Beide auf einem Zweige reitend, ein fröhliches Geschrei ausstießen.

»– Simon, sagte mir Fernand mit seinem süßen Lächeln, sieh doch die komische Miene, die der Abbé da unten macht! . . . ich will ihm erlauben, hier zu uns zu kommen und seine langweiligen Lectionen mitzubringen. Er soll es wohl bleiben lassen; hier bin ich der Meister! Dieser Baum ist mein Reich, und dieser Zweig mein Thron; ich theile ihn mit Dir, wie mit einem Bruder. Hier also keine Ceremome! nenne mich Fernand, wie ich Dich Simon nenne; sage Du zu mir, wie ich zu Dir! . . .« und er umarmte mich . . . Was in mir vorging, kann ich nicht beschreiben, ich war gerührt, erweicht bis zu Thränen . . . und wenn man mir damals gesagt hätte. . .«

Ein nervöses Zittern ergriff den schwachen Greis bei dieser Erinnerung so, daß seine Tochter ihn dieser lebhaften Bewegung erliegen zu sehen fürchtete, und daß Yves ungeachtet seiner Neugierde ihm zuredete, seine Erzählung ein anderes Mal fortzusetzen.

»Nein,« sagte er, »wer weiß, ob es mir aufbebalten ist, sie eines anderen Tages fortzusetzen, und Sie sollen Alles wissen! Ach! Sie werden erfahren, warum mir diese Erinnerungen so lieb und doch so grausam sind!

»Während unserer ganzen Kindheit, und bis zum Alter von fünfzehn Jahren, verließen wir Schloß Arnouville nicht, und fast jeden Tag suchten wir die Freiheit in unserer großen Eiche! Diese Stunde allein tröstete mich über Alles, was der Abbé mich täglich leiden ließ.

»Der Marquis und die Marquise von Fontenoy-Mareuil kamen wegen der Chargen, die sie bei Hofe hatten, nur sehr selten nach diesem Gute. Der Marquis war voll Güte, aber die Marquise war so stolz, wie eine häßliche Frau ohne Geist nur sein kann. Alles, was nicht zum höchsten Adel gehörte, gehörte in ihren Augen nicht zu der menschlichen Gesellschaft, Ach! wenn ich so rede von der, die mich unter ihr edles Dach aufnahm, ist es, weil die Schmerzen meiner Seele allein die Irrungen meines Geistes erklären können; weil ich der abscheulichste von allen Menschen wäre, wenn ich nicht der unglücklichste gewesen wäre.

»Der junge Graf war fünfzehn Jahre alt geworden, als wir nach Paris kamen. Damals fingen die wahren Qualen meiner Seele an. Von dem Tage meiner Ankunft an, fand die Frau Marquise, daß es nicht mehr passend sei, daß ich an ihrer Tafel speiste mit den Großen, die gewöhnlich eingeladen waren, und sie beschloß, daß ich in der Bedientenstube speisen solle? Mit dem jungen Grafen erzogen, seine Studien theilend, etwas älter als er, hatte mein Verstand sich solchergestalt entwickelt, daß die Gesellschaft und genaue Verbindung mit Leuten ohne Erziehung mir unerträglich gewesen wäre, wenn auch nicht eine solche Lage an sich meine Eitelkeit verletzt hätte. Es war mir also unmöglich, mich dieser Einrichtung zu fügen und ich verließ etwas vor dem Diner das Hotel.

»Das Hotel Fontenoy-Mareuil, das wir bewohnten, war in der Straße St. Dominique; ich streifte auf's Gerathewohl umher, ohne die Straßen zu kennen, in denen ich mich verirrte; ich befand mich bald vor der école de mèdicine und hörte die fröhlichen Stimmen der jungen Studirenden, die zusammen in einem Speisezimmer des Erdgeschosses, bei einem schlechten Restaurateur speisten. Ich trat hinein; sie bildeten Gruppen von acht bis neun Personen. Anfangs hatte ich mich allein an einen leeren Tisch gesetzt, doch redete ich bald einen der jungen Leute an, ihn fragend: ob ein Neuangekommener an ihrer Seite Platz nehmen könne? Man nahm mich freudig auf und ich machte der magern und knappen Mahlzeit Ehre, die ich, des köstlichen Tisches des Marquis gewohnt, hätte ungenießbar finden müssen, die mir aber durch das muntere und freimüthige Betragen der Tischgenossen zum köstlichsten Mahle wurde. Es war das schlechteste, aber lustigste Diner meines ganzen Lebens!

»Ich kam spät nach Hause; man hatte sich meinetwegen beunruhigt. Die Bekanntschaft der freien, glücklichen Studenten und ihre gute Aufnahme hatten mir Muth gemacht; ich vertraute dem jungen Grafen Alles, er erhielt von seiner Mutter, was er wünschte, denn er hatte sich ohne mich tödtlich gelangweilt. Es wurde also beschlossen, daß ich an gewöhnlichen Tagen meinen Platz wie auf dem Lande an Fernands Seite einnehmen und das Recht haben sollte, an Tagen, wo aristokratische Gesellschaft eingeladen war, zu essen, wo es mir gefallen würde.

»Ich erzähle so genau, um Ihnen zu zeigen, wie mein schon verletzter Stolz auf eine Höhe getrieben wurde, die das Unglück meines ganzen Lebens machte. Was meinen Geist vollends erbitterte, was endlich Meinen Gedanken ein reelles Ziel darbot und meinen unbestimmten Hoffnungen ein unbegränztes Feld öffnete, das war meine Bekanntschaft mit diesen glühenden, ehrgeizigen und ungestümen jungen Leuten, die schon diesen Haß der durch Rang und Würde ausgezeichneten Personen, dieses tiefe und bittere Gefühl für Ungerechtigkeit des Geschicks oder Einrichtungen, die ohne hinreichende Gründe gewähren ober versagen, kurz, alle die stürmischen Leidenschaften, die lange unterdrückt, sich damals in heftigen Worten, später aber durch schreckliche Handlungen Luft machten, mir mitteilten.

»Zuweilen halte ich Anfälle von Melancholie, in denen ich Himmel und Erde verwünschte, und zuweilen hoffte ich noch! Schon verbreiteten finstere Gerüchte Unruhe in der glänzenden Gesellschaft des Adels und als sie begannen sich zu beunruhigen, begann ich zu hoffen. Ich kam aus dem Hütet eines Großen, wo ich immer mit Geringschätzung, zuweilen mit Harte behandelt wurde, dahin, wo ich den Grundsatz von Freiheit und Gleichheit, der in jedes Menschen Seele ruht, erklären und entwickeln horte. Ich brachte mein Leben an der Seite eines unwissenden Kindes zu, das nie über etwas nachgedacht hatte, nichts verstand, in jedem Alter Kind bleiben mußte. Diesem Kinde hatte man die Anwartschaft auf das Gouvernement einer Provinz zugesichert, und ich, der ich meinen Geist durch Studium gebildet hatte, ich, der dachte und empfand, der kräftig hätte handeln können, ich erhielt vielleicht aus Gunst eine unbedeutende Stelle bei einer untergeordneten Behörde! Diese Gedanken kamen mir nicht so plötzlich und mit dem ersten Tage; sie drangen nach und nach und mit vielen andern ähnlichen in meinen für sie empfänglichen Geist ein. Sie erfüllten denselben besonders, als meine Bekanntschaft mit den Familien einiger der Studierenden das Feld meiner Beobachtungen erweitert hatte, und als ich einige Individuen kennen gelernt hatte, die in gleicher Lage mit mir waren. Es gab damals in fast allen Häusern der großen Herren junge Leute aus dem Bürgerstande, die die Erhebung der Kinder besorgten, oder die Geschäfte von Secretairen verrichteten. Dieser letzte Titel war mir beigelegt, als die Erziehung des jungen Grafen für beendigt betrachtet wurde. Diese jungen Leute, die auf diese Weise sogar in die Palais der Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses eingeführt waren, wurden gewöhnlich unter Denen des Bürgerstandes gewählt, deren Geist sich durch Bildung und Kenntnisse auszeichnet,, während sie in Hinsicht des Vermögens zu kurz gekommen waren. Oft halten sie im Kampfe gegen die Armuth und Verachtung gefährliche Kräfte gewonnen, und ihr der Macht so naher Standpunkt lehrte sie bald die Vortheile kennen, die sie beneideten, die Grade, die sie bestritten und die Mittel, die sich ihnen darbieten würden, eine Gewalt anzutasten, der sie zu gleicher Zeit so nahe und so fern standen.

 

»Auch waren die glühendsten und geschicktesten unter Denen, die die Revolution ansingen, fast lauter Männer, die auf solche Weise in der untergeordneten Stellung wie ich, in den Häusern der Großen gewesen waren. Aber Viele haben auch diese Macht, die sie an sich gerissen hallen, theuer bezahlt, indem sie nur in ihre Hände überging, um sie in denselben Abgrund hinunter zu ziehen, in den sie die früheren Besitzer derselben gestoßen hatten.

»Mehrere berühmte Familien öffneten aus Neugierde, aus Mode, zum Zeitvertreib ihre Salons auch ihren rauhesten Widersachern. Ich sah deren zu dem Marquis kommen, die sich zu den gefährlichsten Grundsätzen bekannten und deren Meinungen die Marquise auf das Aeußerste erschreckten und erzürnten. Scheinbar war nichts feiner und ehrfurchtsvoller, als das Betragen des Marquis gegen seine Gemahlin, nichts war sanfter und liebevoller als das der Marquise gegen ihren Gemahl; aber alle ihre Ansichten und ihr Geschmack waren vollständig entgegengesetzt, und es bestand unter ihnen ein kleiner heimlicher und fortgesetzter Krieg, den nur eine ganz genaue Bekanntschaft, oder eine mit großem Antheil geführte Beobachtung in seinem ganzen Umfange erkennen lassen konnte.

»Dem Hange zu den neuen Meinungen und Grundsätzen, dem der Marquis sich hingab, setzte die Marquise eine übertriebene Ergebenheit an das Gegentheil entgegen. Jedes Mal wenn der Marquis einen Schritt that oder ein Verhältniß in dem Sinne seiner Ansichten anknüpfte, that die Marquise dasselbe im entgegengesetzten Sinne. Je mehr der Eine seine Freundschaften unter Denen, die für Freiheit und Philosophie glühten, ausdehnte, je mehr beschränkte die Andere die ihrigen auf die Personen, welche ein übertriebener Rigorismus auszeichnete. Zuweilen standen sich sogar die beiden Parteien einander gegenüber, auf eine Weise, die die Marquise ergötzte, den Marquis ängstigte, mich lebhaft interessierte und den jungen Grafen von Herzen lachen machte, wie er denn in seinem ganzen Leben alle Dinge nur von der scherzhaften Seite nahm.

»So hatte die Marquise zuweilen einige Mitglieder der höchsten Geistlichkeit, bekannt durch die Strenge ihrer Meinungen und die Unduldsamkeit ihrer Grundsätze, zum Diner eingeladen. Dem Marquis machte es Vergnügen, ohne sie davon zu benachrichtigen, von seiner Seite Diderot, d'Alembert, Lalande u.s.w. einzuladen. Schon ihre bei der Ankunft genannten Namen empörten die Gäste und Freunde der Marquise, und es bedurfte nichts Geringeren als des hohen Ranges und des Ansehens des Marquis, um denen, die sich auf diese Weise vereinigt sahen, die Verpflichtung, zu bleiben, aufzuerlegen. Dennoch habe ich oft gesehen, wie auf jeder Seite der beiden feindlichen Parteien mit Freude der Wunsch und die Hoffnung erwachte, durch die Gewalt und Kraft der Beweisgründe das feindliche Schlachtfeld zu zerstören. Anfangs waren es Scharmützel von Scherzen, die hin und wieder flogen; dann erhitzte der Kampf sich allmählig; bald mischte sich aber Bitterkeit hinein und man endigte wider Willen mit dem Angriff persönlicher Interessen, und auf diesem Punkte angelangt, wollte Keiner nachgeben, wenn auch die allgemeinen Angelegenheiten sie Anfangs alle vereinigt hatten.

»Ich wiederhole es nochmals, diese Streitigkeiten, wo die Vernunft und Gerechtigkeit die neuen Ansichten, denen die Beredsamkeit ihre Macht lieh, zu schmücken schienen, können allein die Richtung meines Geistes, und das Aufbrausen desselben, als die Revolution ausbrach, erklären.«

»Ach!« rief Yves, Simon unwillkürlich unterbrechend, »ich erkenne, ich verstehe diese Gedanken, diese Leiden, diese Unmöglichkeiten, sie bestehen noch jetzt! Aber für Andere, für mich zum Beispiel! Bin ich nicht, wie Sie damals, von Allem ausgeschlossen und in Alles eingeweiht, ohne Antheil zu haben? Mein Schneider ist Officier und beordert mich zur Schildwache; mein Buchhändler gibt in der Deputirtenkammer Gesetze, die ich befolgen muß; meinem Hofmeister ist soeben eine Pairie verliehen worden, und ich, ich bin nichts, ich kann nichts ausrichten, ich, der Enkel dieses Mannes, der in unserem Vaterlande Alles war und Alles konnte!«

Der Greis bedeckte langsam die Augen mit den Händen und sagte bitter:

»Ja, es ist wahr! Aber wenn der Herr Herzog nichts durch seine Titel ist, so kann er durch seine Talente etwas sein, und dahin strebten wir so glühend, Indessen würden dennoch weder die allgemeinen noch meine Privatinteressen mich je dahin gebracht haben, wohin mein verfluchtes Geschick mich fortriß, wenn nicht ein lebhafteres Gefühl, eine Leidenschaft meines Alters, eine unglückliche Liebe ein Meer von Bitterkeit und Haß in meine Seele ausgegossen hätte.

»Der Marquis war nach langem Kränkeln gestorben, seinem Sohne ein unermeßliches Vermögen und seine Hofchargen hinterlassend. Der neue Marquis von Fontenoy-Mareuil lebte bei seiner Mutter und sollte sich nach Beendigung der Trauerzeit vortheilhaft verheirathen.

»Bald nachdem sie Witwe geworden war, nahm die Marquise die Tochter eines königlichen Rathes in dem Bezirke. . . der der Familie einst in einer wichtigen Prozeßsache große Dienste geleistet hatte, zu sich. Dieses junge Mädchen besaß einiges Vermögen und ihr Vater war durch seinen Dienst geadelt gewesen; es war eine viel zu hohe Parthie für mich, eine viel zu geringe für den jungen Marquis. Wir brachten die Trauerzeit in der Einsamkeit des Schlosses zu und verliebten uns alle Beide in Mademoiselle Lucie.

»Lucie war außerordentlich fröhlich, doch war ihre Lebhaftigkeit mehr sanft als lärmend, denn es war mehr Lebhaftigkeit des Geistes als der Person. Irre immer lebendige Einbildungekraft ließ sie die Gegenstände sehr malerisch auffassen und schildern, sie unterhielt ein beständiges Gefecht von Scherzen und Witzen, nicht um zu glänzen, sondern um sich zu vergnügen. Sie verbrauchte ihren Geist, wie die Verschwender das Geld, ohne etwas dabei zu denken.

»Sie war liebenswürdig und entweder durch Gleichheit oder durch Ungleichheit für Jeden anziehend.

»Nach einigen Monaten glaubte ich mich vorgezogen; ich kannte die Liebe des jungen Marquis, er die meinige, obgleich wir einander keine Mitheilungen gemacht hatten. Er sollte sich bald verheirathen, und seine Liebe war nicht von der Art, daß sie seinen Planen hinderlich war, er konnte sie also nicht gestehen. Ich mußte die meinige verbergen; man hätte meine sehr aufrichtige Zuneigung für einen Anschlag des Eigennutzes halten können, obgleich sie um so stärker war, als ich sie bekämpfte und mir unaufhörlich Vorwürfe darüber machte.

»Auch war die Hoffnung, die zuweilen meine Seele belebte, von selbst entstanden oder vielleicht erweckt, ohne daß ich sie hervorgerufen hatte, durch die naive Sprache des Herzens, die Luciens Züge ohne ihr Wissen zuweilen zu mir redeten. Oft, wenn wir im Park lustwandelten, beeilte Lucie ihre Schritte, oder hielt sie an, um mit mir allein zu bleiben, und dann verscheuchte ihre lebhafte, muntre Unterhaltung alle meine trüben Gedanken. Ohne daß ich sie ihr jemals mitgetheilt halte, schien sie dieselben alle errathen zu haben, denn sie fand immer Mittel, mich zu trösten und zu heilen, wenn zuweilen ein, wenn auch nicht an mich gerichtetes Wort der Marquise mich kränkte und verletzte. Die Geringschätzung der Armuth in meiner Gegenwart gezeigt, die Verachtung untergeordneter Verhältnisse, der Haß der Grundsätze, zu dem ich mich innerlich bekannte, mochten noch so oft meine Traurigkeit erregen, Lucie wußte das Wort, welches mich tröstete. Oft sah sie selbst das Unangenehme voraus und leitete durch einen Scherz oder eine geschickte Wendung die Unterhaltung, die mir verwundend werden konnte, auf angenehmere Gegenstände. Kurz, ich empfand, seil sie da war, den Einfluß einer schützenden Hand, die die Stöße abwendete, oder die Wunden meiner Seele heilte und sich immer so geschickt zwischen den Kummer und mich stellte, daß ich ihn kaum mehr bemerkte.

»Wie hätte ich diesen schützenden Engel nicht lieben sollen? Mochte ihre Güte sie zu solchen Wohlthaten anregen, oder eine geheime Neigung zu mir sie leiten, ich war ihr gleich dankbar und glücklich, ich ein so einsames Wesen in der Welt! Die Gewohnheiten und Sitten meiner Lebensart trennten mich fast ganz von meinen Angehörigen, und als ich sie wieder sah, war mein Herz befriedigt, mein Geist aber unzufrieden. Ich hätte bei ihnen nicht leben können, wenn auch nicht die Verhältnisse mir einen andern Standpunkt angewiesen hätten, und ich empfand das gewöhnliche Unbehagen Derer, die das Geschick zu rasch verpflanzt hat; ich paßte nicht mehr zu den Meinigen, und die, mit denen ich lebte, kümmerten sich nicht um mich. Nur in den ungestümen jungen Leuten, denen die Gesellschaft noch keinen Platz angewiesen halte und die nach dem höchsten strebten, hatte ich meines Gleichen gefunden. Das Schloß lag fünf Meilen von der Stadt M ****; auch dort hatten sich jene lärmenden Vereine gebildet, in denen alle öffentlichen Angelegenheiten berathen wurden. Arnouville angelangt, hatte ich gleich mit den Vorstehern dieser Vereine Verbindungen angeknüpft; die allgemeinen Interessen bilden eine Art Verbrüderung, die Verhältnisse stiftet, ehe man noch die Absicht hatte, sich in dieselben einzulassen.

»Zwei oder drei Mal nach unserer Rückkehr nach Arnouville war ich mit Theilnahme und großem Eifer nach der Stadt gegangen; aber als die zarte Neigung in meinem Herzen alle Empfindungen des Hasses und der Unzufriedenheit in demselben auslöschte, ging ich nicht mehr hin. Lucie's Bild, der Gedanke an sie, verdrängte alles Andere in meiner Seele; die Welt schien mir auf das Schloß beschränkt, wo sie wohnte, und ihre sanften und reizenden Vorstellungen schienen mir alle zum Glücke nöthigen Gedanken einzuschließen!

»Ich glaubte, daß der junge Graf seiner Laune hinsichtlich Lucie's entsagt habe, denn für mehr als Laune hatte ich die Art Neigung, die ihn zu ihr zog, nie gehalten. Ueberdies war er für tiefe, starke Bewegungen nicht empfänglich und ich konnte glauben, daß der erste Eindruck schnell erloschen sei.

»Dennoch war diese Süßigkeit, dieser Reiz, der sich über mein Leben ergoß, nicht ohne Unruhe. Oft dachte ich über die Unsicherheit der Zukunft nach; ich überlegte, ob es mir nicht gelingen möchte, mir einen Wirkungskreis zu schaffen, der mir eine ehrenvolle Unabhängigkeit und die Hand der Geliebten sicherte. Oft diesem neuen Plane ganz hingegeben, vergaß ich Alles um mich her. So blieb ich eines Abends, als Lucie den Salon verließ, in demselben zurück, wo mehrere Personen waren, deren Unterhaltung mir gleichgültig wurde, sobald sie nicht mehr zugegen war, und ich setzte mich träumend in die Vertiefung eines großen Fensters im Erdgeschoß, welches nach dem Parke ging. Durch dieses Fenster kam mit der süßen reinen Luft eines Sommerabends der köstliche Duft des Jasmins, der die Mauer schmückte und das Fenster umgab. Da hatte ich ohne Zweifel lange geträumt, von dem Himmel, der für Alle gleich ist, von der Natur die ihre Gaben Keinem versagt, von der Gesellschaft, die weder den Himmel, noch die Erde nachahmt. Die Nacht war angebrochen, es war kein Gegenstand mehr zu erkennen; ich hörte ein lautes Geräusch neben mir, eine kleine Hand berührte meinen Arm und die süßeste aller Stimmen sagte zu mir: »Sie irren sich, das Glück ist Allen beschieden!« Es war Lucie.

 

»– Gewiß,« sagte ich ihr, »wenn Sie wollen!«

»– Muth denn . . . und keine Traurigkeit mehr!« sagte sie: »der Ruhm einer Frau ist die Freude dessen, den sie liebt.«

»Was ich empfand, zu beschreiben, ist unmöglich, aber meine Bewegung war so lebhaft, daß ich noch jetzt nicht mit Ruhe an dieselbe zurück denken kann; das Leben hat mir so wenig solche Augenblicke gegeben. in denen das Herz das ganze Glück, dessen es fähig ist, genießt. Außer diesem unbeschreiblichen Augenblicke, und dem, wo die Seele des kleinen Fernand Freundschaft für mich zu empfinden schien, hatte mein trauriges Dasein keine ähnlichen. O! Lucie, wie sehr liebte ich Dich! . . .

»Als meine Bewegung mir erlaubte, zu antworten, war sie schon nicht mehr da; sie hatte sich den andern Personen, die im Salon waren, angeschlossen, ich folgte ihr. Man brachte Licht; für mich war Alles verändert. Ich sah nicht mehr die Geringschätzung der Marquise; ich wunderte mich, ohne mich darüber zu betrüben und ohne den geringsten Verdruß darüber zu empfinden, daß der junge Marquis mit sehr übler Laune von einer Promenade zurückkehrte und dieselbe an mir ausließ, was Alle überraschte, indem sein sorgloser, fröhlicher Charakter nie solche sonderbare Heftigkeiten zeigte. Aber mich konnte an diesem Abende nichts traurig machen; das Überschwängliche Glück, das ich empfand, tröstete mich über Alles!

»Man trennte sich spät . . . aber ich freute mich, als ich endlich allein in meinem Zimmer war, wo ich mir in meiner tollen Freude ganz laut die Worte wiederholte, die Lucie ausgesprochen hatte. Plötzlich wurde ich zu der Marquise gerufen, die mich sogleich zu sprechen verlangte.

»Sie entschuldigte sich mit der Wichtigkeit des Dienstes,, um den sie mich bitten wollte, daß sie mich zu dieser Stunde noch störe; aber die Angelegenheit, um die es sich handle und die mir schon bekannt sei, leide durchaus keinen Aufschub. Ich müsse mit Anbruch des Tages nach Paris abreisen, ein Prozeß über eine unermeßliche Besitzung im südlichen Frankreich werde den folgenden Tag vor dem Parlament von Paris entschieden. Die Marquise hatte ein entscheidendes Dokument gefunden, welches sie Niemand als mir anvertrauen konnte, und die mündlichen Anweisungen, mit denen sie mich beauftragte, machten meine Reise unumgänglich nothwendig. Vor Ende einer Woche hoffte ich zurückkehren zu können; ich reiste ab, ohne Lucie noch einmal gesehen zu haben.

»Auf einander folgende Briefe der Marquise hielten mich noch länger als einen Monat nach dem Gewinn ihres Prozesses in Paris zurück. Endlich kehrte ich nach Arnouville zurück. . . Lucie war leidend, sie kam nur auf wenige Augenblicke in den Salon; ich konnte niemals Gelegenheit finden, mit ihr allein zu reden und bemerkte bald, daß sie mich sorgfältig vermied. Nach einigen Tagen wurde es mir klar, daß ihre Gesinnungen gegen mich sich geändert hatten.

»Der Unruhe folgten Kummer und Verzweiflung; ich beschloß einen Schritt bei der Marquise zu thun. Seit dem Gewinn ihres Prozesses behandelte sie mich bewunderungswürdig gut; ich wagte, ihr meine Liebe zu Lucien zu gestehen; aber wie sehr mußte ich dieses unvernünftige Vertrauen bereuen, denn mit Stolz stieß sie den Antrag einer solchen Heirath für ihre Schutzbefohlene zurück, und ich bezweifelte nicht mehr, daß ihr Rath, ihr Befehl vielleicht die Gesinnungen Lucie's geändert, oder sie gezwungen halten, sie zu verbergen

»Ich sank in meine frühere Melancholie zurück, die ein Strahl von Glück auf einen Augenblick zerstreut hatte.

»Ich suchte eine Erklärung, ich schrieb, aber Lucie antwortete nicht und schien weder meinen Brief erhalten zu haben, noch meinen Kummer zu bemerken. Ich konnte nichts begreifen, als daß ich unglücklich war. Und als der Prozeß der Marquise von Neuem aufgenommen und vor das Parlament von Toulouse gebracht war und folglich neue Berücksichtigung bedürfend, mich zu einer neuen Reise veranlaßte, beschloß ich nochmals eine Erklärung zu suchen und dann für immer abzureisen.

»Lucie kannte den Reiseplan, ich hatte absichtlich in ihrer Gegenwart davon gesprochen; endlich sah ich, daß auch sie Gelegenheit suchte, mit mir zu reden und erst da fiel es mir auf, daß der junge Marquis sowohl als seine Mutter Lucien nicht eine Minute aus den Augen und sie überhaupt nie allein ließen.

»Eines Tages indessen, wo Lucie im Salon, von acht bis neun Menschen umgeben, Tapisserie arbeitete und einen Arbeitskorb neben sich stehen hatte, gelang es ihr, von allen Anwesenden unbemerkt, mich auf eine in dem Arbeitskörbchen befindliche Schreibtafel aufmerksam zu machen, worauf sie, aufstehend, den Marquis mit sich in ein Fenster zog, um ihm irgend etwas im Garten zu zeigen. Ich näherte mich dem Arbeitskorbe und bemächtigte mich unbemerkt der Schreibtafel.

»Sie enthielt folgende Antwort:

»– Es ist Alles verändert; aber Sie müssen abreisen . . . später . . . finden wir uns wieder! . . .«

»So war ich denn wieder in Begriff, mich von ihr zu trennen, die ich liebte . . . und meine Abwesenheit verlängerte sich gegen meine Wünsche. In Toulouse erfuhr ich, daß der Marquis sich vermählt habe und mit seiner Mutter nach Paris zurückgekehrt sei, folglich war Lucie auch in Paris; ich brannte vor Verlangen, auch dort zu.sein. Von allen Seiten brach die Revolution aus; aber die Hoffnungen, die sie erweckte, waren für mich jetzt einer süßeren Hoffnung untergeordnet.

»Endlich rief die Marquise selbst mich zurück; ich kam an; sie empfing mich mit Anschein von Freundschaft, der mir an ihr ganz fremd war, sprach zuerst mit mir von Lucien, von meinen früheren Wünschen, von meinen ihr geleisteten Diensten, die ihren früheren Widerstand besiegt hätten, kurz, sie gewährte mir Lucie's Hand, ja, bot sie mir sogar an. . . Ich glaubte zu träumen bei so viel Güte, bei der Gewährung solchen Glückes, und war trunken vor Freude! . . . Lucie war bei der Marquise geblieben; ich wollte sie sogleich sehen, . . . Sie befand sich nicht wohl, sagte man mir; ich bestand so sehr darauf, zu ihr zu gehen und ihr zu danken, daß endlich die Marquise selbst mich in Lucie's Zimmer führte. Sobald sie mich sah, wurde sie verlegen und bei den Worten der Marquise verlor sie das Bewußtsein.

Als sie sich erholt hatte, verlangte Lucie, mit mir allein zu bleiben. Die Marquise entfernte sich mit einer Unruhe, die sie nicht verbarg und die nur zu sehr gerechtfertigt wurde.

»Was soll ich Ihnen sagen? Wir blieben zwei Stunden allein; ich kann und will Ihnen die Klagen eines armen, unverständigen, gefallenen jungen Mädchens nicht wiederholen, deren Herz aber noch Adel genug hatte, um den Gedanken an Betrug nicht ertragen zu können und die ein Mittel, ihre Ehre auf Kosten der Wahrheit zu retten, mit Schaudern zurückgestoßen hatte.

»Im Anfange waren der Marquise weder die Liebe noch die Pläne ihres Sohnes bekannt. Bloß die Sorge für Lucie's Vortheil hatte sie bewogen, mich zu entfernen und mich in den Augen meiner Geliebten zu verkleinern; auch stellte sie ihr vor, daß eine Heirath mit mir weit unter den Ansprüchen sei, die Lucie billig machen könne. Lucie war unbesonnen, leicht, ein wenig ehrgeizig; sie wußte nicht, daß der Marquis verliebt war; sie sah in der Bemühung, mich zu entfernen und in den Worten der Marquise, den Plan einer reichen Heirath für sie; und ihre Gedanken waren auf ihren Sohn gefallen, den sie von dem Herzen der Mutter für sich bestimmt glaubte . . . Acht Monate waren sie auf dem Lande allein gewesen . . .

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