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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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II.
Wo erklärt wird, wie und warum der Baron Michel sich entschlossen hatte, nach Nantes zu gehen

Wir haben die Abreise Michels nach Nantes gemeldet, aber wir haben die Ursache dieser Abreise und die Umstände, unter denen sie stattgefunden, nicht genügend erörtert.

Zum ersten Male in seinem Leben hatte Michel zur List seine Zuflucht genommen, zum ersten Male hatte er einige Falschheit gezeigt. Er war nicht nur durch die Worte Petit-Pierre’s, sondern auch durch die unerwartete Erklärung Marys, die ihm alle Hoffnung raubte, tief erschüttert worden; auch die Vorgänge bei Maître Jacques hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht.

Er sah wohl ein, daß die Neigung, die ihm Bertha ganz offen zu erkennen gegeben, eine größere Kluft zwischen ihm und Mary eröffnete, als die Abneigung der Letzteren. Er machte sich Vorwürfe, daß er Bertha durch sein Stillschweigen und seine alberne Schüchternheit ermuthigt hatte; aber er mochte immerhin mit sich zürnen, er fand in seiner Seele nicht die nöthige Kraft, eine Verwicklung zu lösen, die ihn in seinen theuersten Gefühlen verletzte. Es fehlte ihm der feste Entschluß, der eine offene, entschiedene Erklärung herbeiführen kann, und es schien ihm unmöglich, dem schönen Mädchen, dessen unerwartetes Erscheinen im Walde ihm vor einigen Stunden vielleicht das Leben gerettet hatte, frei und offen zu sagen: Mein Fräulein, Sie liebe ich nicht!

Es hätte ihm freilich an diesem Abende nicht die Gelegenheit gefehlt, Bertha sein Herz zu öffnen: sie wollte ihm ja durchaus persönlich die Wunde verbinden, welche sie selbst kaum beachtet haben würde; aber er konnte es nicht über sich gewinnen, einem mit jeder Minute peinlicher werdenden Verhältnisse ein Ende zu machen.

Er gab sich wohl Mühe, mit Mary zu sprechen, aber Mary wich ihm absichtlich aus, und er mußte die Hoffnung aufgeben, ihre Vermittlung in Anspruch zu nehmen.

Ueberdies klangen ihm die Schreckensworte: »Ich liebe Sie nicht!« beständig in den Ohren.

Er benützte daher einen Augenblick, wo er von Niemand, selbst nicht von Bertha beobachtet wurde, um sich in sein Zimmer zu entfernen oder vielmehr zu flüchten.

Er warf sich auf das Strohlager, das ihm Bertha mit ihren zarten Händen bereitet hatte; aber er war zu unruhig, sein Kopf glühte, sein Herz pochte heftig – er stand auf, legte eine nasse Serviette auf sein glühendes Gesicht und suchte seine Gedanken zu sammeln.

Endlich nach langem Besinnen entschloß er sich zu schreiben, was er nicht sagen mochte: er dachte, dieser Entschluß sey den Verhältnissen angemessen und seines Charakters würdig.

Um jedoch einigen Vortheil darin zu finden, mußte er abwesend seyn, während der Brief, der das Geheimniß seines Herzens enthüllen sollte, von Bertha gelesen würde.

Schüchterne Menschen mögen nicht nur selbst nicht erröthen, sie fürchten sich auch, Anderen eine Verlegenheit zu bereiten.

Michel hielt es daher für nothwendig, sich einstweilen von Banlœuvre zu entfernen; sobald er das Mißverständniß aufgeklärt, die Hindernisse beseitigt hatte, konnte er ja immer wieder zu seiner geliebten Mary zurückkehren.

Der Marquis von Souday hatte ihm die Hand Bertha’s zugesagt; warum sollte er ihm die Hand Mary’s verweigern, wenn er erfahren würde, daß Mary und nicht Bertha seine Erwählte sey?

Durch diese Hoffnung ermuthigt, warf Michel die Serviette weg, welche seinen Kopf abgekühlt und ihm dadurch vielleicht zu dieser guten Idee verholfen hatte. Er ging in den Hof hinunter und wollte den Thorweg öffnen; aber als er die eine Stange, welche das Thor schloß, weggenommen und an der Mauer niedergelegt hatte und die zweite Stange wegziehen wollte, bemerkte er unter einem Wagenschuppen einen Haufen Stroh, der sich regte. Ein Kopf schaute hervor – Michel erkannte Jean Oullier.

»Sie sind früh auf, junger Herr,« sagte der alte Waldhüter verdrießlich.

Es schlug im nächsten Dorfe eben zwei.

»Haben Sie eine Bestellung zu machen?« setzte Jean Oullier hinzu.

»Nein,« antwortete der junge Baron, denn es schien ihm, als ob das Auge des Vendéers sein Innerstes durchschaute, »nein, aber ich habe heftige Kopfschmerzen, und möchte sehen, ob es in der Nachtluft nicht besser wird.«

»Nehmen Sie sich in Acht,« warnte Jean Oullier, »wir haben draußen Schildwachen aufgestellt, und wenn Sie das Losungswort nicht wissen, so kann Ihnen leicht ein Unglück geschehen.«

»Mir?«

»Ja wohl, Ihnen so gut wie jedem Andern. Auf zehn Schritte kann man nicht sehen, daß Sie der Herr vom Hause sind.«

»Ihr kennet doch das Losungswort?«

»Das versteht sich.«

»Sagt es mir.«

Jean Oullier schüttelte den Kopf.

»Es geht den Marquis von Souday an.« erwiderte er. »Gehen Sie in sein Zimmer und sagen Sie ihm, daß Sie hinausgehen wollen und das Losungswort wissen müssen; er wird’s Ihnen sagen, wenn er’s für angemessen hält.«

Michel hatte keine Lust, dieses Mittel anzuwenden; er stand einige Augenblicke unschlüssig, seine Hand hielt noch immer die zweite Thürstange gefaßt.

Jean Oullier kroch wieder in den Strohhaufen.

Michel setzte sich auf einen umgekehrten Trog, der vor dem Hause als Bank benutzt wurde. Hier konnte er mit Muße nachsinnen. Der Strohhaufen rührte sich zwar nicht mehr, aber Michel glaubte zu bemerken, daß in der Mitte eine Oeffnung gemacht war und daß Oullier’s Auge durch dieselbe hervorschaute.

Glücklicherweise pflegte Michel, wenn er sich einmal zu ernstem, ruhigem Nachdenken entschloß, zu einem günstigen Resultate zu gelangen. Es handelte sich jetzt um einen Vorwand, den Meierhof ohne Aufsehen zu verlassen.

Während Michel diesen Vorwand noch suchte, begann der Tag zu grauen und die ersten Morgenstrahlen färbten das Strohdach der Meierei mit ihrem goldenen Licht und glänzten in den schmalen Fenstern.

Nach und nach wurde es auf dem Hofe lebendig; die Ochsen verlangten brüllend ihr Futter; die Schafe blöckten und steckten die Mäuler durch die Gitterthür des Stalles; die Hühner gackerten und suchten auf dem Mist ihr Futter; die Tauben flogen auf das Dach und girrten ihr ewiges Liebeslied, während die prosaischeren Enten, in einer langen Reihe vor dem Thorwege wartend, durch mißtöniges Geschrei ihre Ungeduld über das noch verschlossene Thor und ihre Sehnsucht nach dem Pfuhle erkennen gaben.

Während dieses rege Thierleben begann, that sich ein Fenster über dem von Michel gewählten Sitze auf und der Kopf Petit-Pierre’s kam zum Vorschein.

Aber Petit-Pierre bemerkte den jungen Gutsherrn nicht; er blickte zum Himmel auf und schien entweder mit seinen Gedanken beschäftigt oder durch den großartigen Anblick der Landschaft gefesselt.

Jedes Auge – und zumal das Auge einer Prinzessin, welche wohl selten einen Sonnenaufgang gesehen – wäre gewiß geblendet und entzückt worden durch die Millionen Thautropfen, die wie Diamanten an den Bäumen, Sträuchern und Kräutern schimmerten, während eine unsichtbare Hand sanft und langsam den über dem Thale ausgebreiteten leichten Nebelschleier aufhob und allmälig neue Schönheiten, neue Reize der Natur enthüllte.

Eine Weile überließ sich Petit-Pierre der Betrachtung dieses zauberischen Gemäldes, dann stützte er den Kopf auf die Hand und lispelte mit Wehmut:

»Ach! die Bewohner dieses ärmlichen Hauses sind glücklicher als ich!«

Diese Worte machten der Unschlüssigkeit des jungen Gutsherrn plötzlich ein Ende, als oder von einem Zauberstabe berührt worden wäre. Es schien seinem Geiste ein Licht aufzugehen, der so lange gesuchte Vorwand war endlich gefunden.

Er blieb dicht an die Mauer gelehnt, bis sich das Fenster über ihm wieder geschlossen hatte; dann stand er leise auf und ging auf den Schuppen zu.

»Jean Oullier,« sagte er, »Petit-Pierre ist schon auf.«

»Ich habe ihn wohl gesehen,« antwortete der Vendéer.«

»Er hat gesprochen; habt Ihr verstanden, was er sagte?«

»Es kümmerte mich nicht, und deshalb habe ich nicht zugehört.«

»Ich war ihm näher, und habe es daher verstanden, ohne es zu wollen. Unser Gast findet seine Wohnung unfreundlich und unbequem. Es fehlt hier auch wirklich an Allem, was für vornehme Leute ein Bedürfniß ist. Könntet Ihr ihm nicht Einiges verschaffen?«

»Wo denn?«

»In Machecoul oder in der nächsten Stadt.«

Jean Oullier schüttelte den Kopf.

»Unmöglich,« sagte er.

»Warum denn?« fragte Michel.

»Weil man durch den Einkauf von Luxusgegenständen gefährlichen Verdacht wecken könnte; hier in der Nähe lauern überall Kundschafter, denen nichts entgeht.«

»Könntet Ihr denn nicht nach Nantes gehen?« fragte Michel.

»Nein,« antwortete Jean Oullier, »die Lection, die ich in Montaigu bekommen, hat mich vorsichtig gemacht; ich will meinen Posten nicht mehr verlassen. Aber,« setzte er mit etwas spöttischem Tone hinzu, »Sie wollen ja gern in die frische Luft gehen, um Ihre Kopfschmerzen zu vertreiben: warum gehen Sie denn nicht nach Nantes?«

Michel erröthete bis über die Ohren, als er den überraschenden Erfolg seiner List sah, und gleichwohl wurde ihm bange, als der Augenblick kam, seinen Plan in Ausführung zu bringen.

»Ihr habt vielleicht Recht,« stammelte er, »aber ich fürchte mich auch —«

»Ein junger Herr wie Sie sollte sich nicht fürchten,« erwiderte Jean Oullier, indem er aus dem Stroh hervorkroch und auf das Hofthor zuging, als ob er dem jungen Baron nicht Zeit zum Besinnen lassen wollte.

»Aber Ihr müßt dem Herrn Marquis sagen, warum ich fortgehe, und entschuldiget mich bei —«

»Bei Fräulein Bertha,« sagte Jean Oullier höhnisch, »ich werde es schon bestellen.«

»Morgen komme ich wieder,« setzte Michel hinzu und ging aus der Thür.

»Nehmen Sie sich nur Zeit, Herr Baron; es schadet nichts, wenn Sie auch bis übermorgen ausbleiben,« erwiderte Jean Oullier, indem er das schwere Hofthor hinter dem jungen Gutsherrn schloß.

 

Michel konnte sich eines bangen Gefühles nicht erwehren, als das Thor hinter ihm verriegelt wurde: er dachte in diesem Augenblicke weniger an die Verlegenheit, der er sich entziehen wollte, als an die Trennung von Mary. Es schien ihm, als ob das wurmstichige Hofthor von Bronze wäre und ihn für alle Zukunft von der Geliebten trennen würde.

Statt sich zu entfernen, setzte er sich am Wege nieder und fing an zu weinen. Hätte er die Spöttereien Oulliers nicht gefürchtet, so würde er an das Hofthor geklopft haben und wieder ins Haus gegangen seyn, um Mary wenigstens noch einmal wiederzusehen; aber ein Gefühl der Scham hielt ihn zurück, und er entfernte sich, ohne recht zu wissen, wohin er sich wenden sollte.

Als er auf der Straße nach Légé fortging, hörte er das Rollen eines Wagens. Es war der Postwagen, der von Sables-d’Olonne nach Nantes fuhr. Michel fühlte wohl, daß seine Kräfte durch den Blutverlust aus der übrigens unbedeutenden Wunde zu sehr erschöpft waren, als dass er einen weiten Marsch hätte unternehmen können. Der Anblick des Wagens machte seiner Unschlüssigkeit ein Ende; er ließ ihn halten und stieg ein. – Einige Stunden nachher war er in Nantes.

Dort fühlte er erst recht tief das Traurige seiner Lage. Von Kindheit an gewöhnt, nur dem Willen Anderer zu folgen und sich gängeln zu lassen, war ihm die Freiheit so neu, so ungewohnt, daß er den Reiz derselben nicht empfand; er dachte nur an seine Verlassenheit.

Für tief verwundete Herzen gibt es keine peinlichere Einsamkeit, als in einer großen Stadt. Je größer und volkreicher die Stadt, desto einsamer und verlassener fühlt sich der Gemüthskranke, desto peinlicher berührt ihn die Freude oder Gleichgültigkeit der Menge.

So ging es Michel. Als er sich fast wider Willen auf dem Wege nach Nantes sah, hoffte er dort einige Zerstreuung zu finden; aber er hatte sich getäuscht, er fühlte seinen Schmerz tiefer als zuvor; das Bild Mary’s folgte ihm mitten unter der Menge; er glaubte sie in jeder ihm begegnenden weiblichen Gestalt zu erkennen, und er fühlte zugleich bitteren Kummer – und ungestümes Verlangen.

In dieser verzweifelten Stimmung eilte er bald in den Gasthof zurück, in welchem er eingekehrt war, schloß sich in seinem Zimmer ein und fing wieder an zu weinen, wie vor dem Hofthor der Meierei.

Er wollte sich sogleich nach La Banlœuvre zurückbegeben, Petit-Pierre zu Füßen fallen und ihn um Fürsprache bei den beiden Mädchen bitten. Er machte sich bittere Vorwürfe, daß er es in der Frühe nicht gethan, daß er gefürchtet hatte durch diese Mittheilung den Stolz Bertha’s zu verletzen.

Diese Gedankenreihe führte ihn natürlich auf den Zweck oder vielmehr auf den Vorwand seiner Reise, nämlich einige Luxusgegenstände zu kaufen, die seine Abwesenheit rechtfertigen sollten, und sodann den verhängnißvollen Brief zu schreiben. Dieser Brief war ja der eigentliche, der einzige Zweck seiner Reise. Er meinte sogar, daß er mit diesem Briefe den Anfang machen müsse.

Sobald er diesen Entschluß gefaßt hatte, setzte er sich, ohne eine Minute zu verlieren, an einen Tisch und schrieb folgenden Brief, auf welchen eben so viele Thränen fielen, als er Worte schrieb:

»Mein Fräulein!

»Ich sollte der glücklichste Mensch seyn, und doch ist mein Herz gebrochen, und doch frage ich mich, ob es nicht besser wäre todt zu seyn, als zu leiden was ich leide.

»Was werden Sie denken, was werden Sie sagen, wenn Sie durch diesen Brief erfahren, was ich Ihnen nicht länger verhehlen kann, ohne Ihrer Güte ganz unwürdig zu seyn; und gleichwohl muß ich mich auf das Lebhafteste Ihres Wohlwollens und Ihrer Seelengröße erinnern, gleichwohl muß ich bedenken, daß wir durch das Wesen, welches Ihnen am theuersten auf der Welt ist, getrennt werden, um mich zu diesem Schritte zu entschließen.

»Ja, ich liebe Ihre Schwester Mary, ich liebe sie mit der ganzen Innigkeit meines Gefühles, ich kann und will nicht ohne sie leben! Ein minder edles Gemüth als das Ihrige würde meine Erklärung als eine große Beleidigung aufnehmen; aber ich spreche vertrauensvoll die Bitte aus: lassen Sie mich hoffen, daß ich Sie künftig lieben darf, wie ein Bruder seine Schwester liebt.«

Erst als dieser Brief gesiegelt war, dachte Michel darüber nach, wie er ihn an Bertha senden könne. An diesem Briefe lag sehr viel, er setzte ja seine ganze Hoffnung darauf.

In Nantes konnte er ihn Niemanden anvertrauen: es konnte wie für den Boten so auch für den Absender gefährlich werden. Michel konnte indeß wieder auf das Land gehen, in der Nähe von Machecoul einen zuverlässigen Boten aufsuchen und im Walde die für seine Zukunft entscheidende Antwort erwarten.

Dies beschloß er zu thun. Abends kaufte er die verschiedenen Gegenstände, die seiner Reise als Vorwand dienen sollten, und packte sie in einen Mantelsack. Am andern Morgen wollte er ein Pferd kaufen, welches er nothwendig brauchte, um ferner an dem Kriegszuge theilzunehmen.

Am andern Morgen gegen neun Uhr bestieg er wirklich ein tüchtiges normännisches Pferd, um die Rückreise anzutreten.

III.
Wo sich das Schaf, welches in den Stall zurückzukehren meint, in einem Wolfseisen fängt

Es war Markttag und auf dem Quai zu Nantes waren viele Landleute versammelt. Als Michel an die Rousseaubrücke kam, war der Weg völlig versperrt durch eine Reihe von Lastwagen, Pferden, Maulthieren, Bauern und Bäuerinnen, die in ihren Säcken, Körben und blechernen Gefäßen die verschiedenen Lebensmittel in die Stadt brachten.

Die Ungeduld Michel’s war so groß, daß er kein Bedenken trug, durch dieses Gedränge zu reiten; aber als er sein Pferd antrieb, bemerkte er auf der andern Seite des Fahrweges eine junge Bäuerin, deren Anblick einen heftigen Eindruck auf ihn machte. Sie trug, wie die andern Bäuerinnen, einen roth und blau gestreiften Rock, einen kurzen Mantel von Kattun und eine gewöhnliche wollene Haube. Aber in dieser groben Kleidung hatte sie eine so auffallende Aehnlichkeit mit Mary, daß der junge Baron ganz erstaunt sein Pferd anhielt.

Er wollte umkehren, aber er brachte eine solche Verirrung in den Zug, dass er es nicht wagte den lauten Schimpfreden und Flüchen der Bauern zu trotzen; er ritt also weiter und murrte selbst über die Hindernisse, die ihm überall im Wege waren. Aber sobald er über die Brücke hinüber war, stieg er rasch ab und sah sich nach Jemand um, dem er sein Pferd anvertrauen könnte während er zurückeilen würde, um sich zu überzeugen, ob er sieh nicht geirrt und zu erfahren, was Mary in Nantes zu thun hatte.

Eine näselnde Stimme, wie die Bettler überall haben, bat ihn um ein Almosen.

Er sah sich um, denn die Stimme schien ihm nicht ganz unbekannt.

Er bemerkte nun zwei Gesichter, die zu characteristisch waren, als daß er sie hätte vergessen können. Aubin Courte-Joie und Trigaud, deren Gesellschaftsvertrag für den Augenblick keinen andern Zweck zu haben schien, als das Mitleid der Vorübergehenden in Anspruch zu nehmen; aber aller Wahrscheinlichkeit nach war ihre Anwesenheit den politischen und Handelsinteressen des Bandenführers Jacques keineswegs fremd.

Michel trat rasch auf sie zu.

»Erkennt Ihr mich?« fragte er.

Aubin Courte-Joie blinzelte mit den Augen.

»Mein lieber Herr.« sagte er, »haben Sie Mitleid mit einem armen Kärrner dem beide Beine an dem steilen Abhange in der Baugéschlucht zerschmettert worden sind.«

»Ja, ja, armer Mann,« sagte Michel, und steckte dem zerlumpten Riesen ein Goldstück zu.

»Ich bin auf Befehl Petit-Pierres hier,« sagte er leise zu dem wahren und dem falschen Bettler, »haltet mir einige Minuten mein Pferd, ich habe noch etwas vergessen.«

Aubin Courte-Joie nickte zustimmend. Der Baron Michel überließ ihm den Zügel seines Pferdes und eilte auf die Stadt zu.

Leider war es für einen Fußgänger fast eben so schwer wie für einen Reiter, sich durch das Gedränge einen Weg zu bahnen. Michel mochte immerhin seine angeborene Schüchternheit überwinden und sich mit den Ellbogen Platz machen und Rippenstöße austheilen und mit Nichtachtung aller Vorsicht zwischen den schweren Fuhrwerken hindurchschlüpfen, er mußte mit dem Strom gehen. Als er an die Stelle kam, wo er die junge Bäuerin bemerkt hatte, mußte sie offenbar schon einen großen Vorsprung haben.

Er dachte, sie müsse sich, wie die übrigen Bäuerinnem gegen den Marktplatz gewandt haben; er nahm daher diese Richtung und betrachtete alle Landmädchen, an denen er vorbei eilte, mit ängstlicher Neugierde, die einige derbe Späße und beinahe einen Streit zur Folge hatte. Aber keine dieser Bäuerinnen war die, welche er suchte.

Er eilte über den Marktplatz und durch die angrenzenden Straßen, ohne etwas zu bemerken, was ihn an die anmuthige Erscheinung auf der Rousseaubrücke erinnert hätte.

Ganz entmuthigt wollte er umkehren und sein Pferd wieder besteigen, als er an der Ecke der Schloßgasse in einer Entfernung von zwanzig Schritten das roth und blau gestreifte Röckchen und das kattunene Mäntelchen bemerkte.

Die junge Bäuerin hatte ganz den leichten anmuthigen Gang Mary’s; es war ihr schlanker zarter Wuchs, der in der groben Kleidung nicht zu verkennen war; es waren die schönen blonden Locken, die hinter der wollenen Haube hervorschauten.

Es war nicht zu verkennen: die junge Bäuerin war Mary, und Michel war so fest davon überzeugt, daß er sich nicht getraute an ihr vorbeizugehen, um sie in der Nähe zu betrachten, wie die übrigen Landmädchen; er ging auf die andere Seite der Straße.

Dieses strategische Manöver war wirklich genügend, ihn zu überzeugen, daß er sich nicht geirrt hatte.

Was hatte Mary in Nantes zu thun? Warum hatte sie sich verkleidet? Dies war für Michel ein Räthsel. Er faßte einen herzhaften Entschluß und ging schneller, um sie anzureden. Aber als Mary vor das Haus Nr. 17 in der Schloßgasse kam, ging sie in die offene Thür, welche sie hinter sich zuschlug.

Michel wollte ihr nacheilen, aber nun war die Thür verschlossen.

Er blieb ganz bestürzt vor dieser Thür stehen; er glaubte zu träumen und wußte nicht, was er thun sollte.

Plötzlich fühlte er einen leisen Schlag auf seiner Schulter; er erschrak, denn seine Gedanken waren anderswo, und sah sich um.

Es war der Notar Loriot.

»Was, Sie hier?« fragte der Notar sehr erstaunt.

»Warum soll ich denn nicht in Nantes seyn, Maître Loriot?« fragte Michel.

»Sprechen Sie leise, und bleiben Sie nicht vor dieser Thür stehen – ich rathe es Ihnen als wohlmeinender Freund.«

»Was fällt Ihnen denn ein, Maître Loriot? Ich weiß wohl, daß Sie vorsichtig sind, aber nicht in solchem Grade.«

»Man kann nie zu vorsichtig seyn. Kommen Sie, wir werden sonst bemerkt, – Ach Gott, da werde ich wieder schrecklich compromittirt!« seufzte Loriot, indem er sich mit dem Schnupftuch den Schweiß von der Stirne wischte.

»Ich verstehe Sie nicht,« erwiderte Michel.

»Sie verstehen mich nicht? Wissen Sie denn nicht, daß Sie auf der Liste der Verdächtigen stehen und daß man Befehl gegeben hat, Sie zu verhaften?«

»Nun, mir liegt nichts daran,« sagte Michel mit Ungeduld, und wollte den Notar wieder vor das Haus führen, in welches Mary gegangen war.

»Sie nehmen die Sache sehr leicht, Herr Baron. Sie scheinen philosophisch zu denken; aber ich muß Ihnen sagen, daß diese Nachricht, die Ihnen so gleichgültig scheint, auf Ihre Frau Mutter einen so tiefen Eindruck gemacht hat, daß ich Sie nach meiner Rückkehr aufgesucht haben würde, wenn ich Sie nicht zufällig in Nantes gefunden hätte.«

»Meine Mutter!« erwiderte der junge Baron den der Notar an der empfindlichsten Stelle seines Herzens getroffen hatte, »was ist ihr denn geschehen.«

»Es ist ihr nichts geschehen; sie befindet sich, Gott sey Dankt so wohl, wie es bei so viel Kummer und Sorgen möglich ist; denn ich kann Ihnen nicht verschweigen, daß sich Ihre Frau Mutter sehr härmt und kümmert.«

»Mein Gott, was muß ich hören!« klagte Michel.

»Sie wissen, was Sie ihr waren, Herr Baron; Sie haben nicht vergessen, wie zärtlich sie stets um Sie besorgt war, obgleich Sie bereits in einem Alter waren, wo man den Mutterhänden zu entschlüpfen pflegt. Sie können daher denken, was sie empfinden muß, da sie die Gefahren kennt, von denen Sie umgeben sind. Ich darf Ihnen nicht verschweigen, daß ich es für meine Pflicht hielt, sie von den muthmaßlichen Absichten des Herrn Sohnes in Kenntniß zu setzen.«

»Was haben Sie ihr denn gesagt, Maître Loriot?«

»Ich habe ihr geradeheraus gesagt, daß Sie Fräulein Bertha von Souday lieben —«

»Er glaubt es also auch!« sagte Michel.

»Und daß Sie,« fuhr der Notar fort, »daß Sie aller Wahrscheinlichkeit nach beabsichtigen, sich mit besagtem Fräulein zu vermählen.«

 

»Und was hat meine Mutter geantwortet?« fragte Michel mit sichtlicher Spannung.

»Was jede Mutter antwortet, wenn man von einer Heirath spricht, welche sie mißbilligt. Aber ich selbst möchte einige Fragen an Sie richten, mein junger Freund; meine Stellung als Notar bei der Familie sollte mir wohl einigen Einfluß bei Ihnen geben. Haben Sie wohl bedacht, was Sie thun wollen?«

»Theilen Sie die Vorurtheile meiner Mutter?« entgegnete Michel, »oder wissen Sie etwas Nachtheiliges über das Fräulein von Souday?«

»Keineswegs, mein junger Freund,« antwortete Maître Loriot, während Michel zu den Fenstern des Hauses, in welches Mary gegangen war, unruhig hinaufschaute. »Im Gegentheil ich halte die beiden jungen Mädchen, die ich seit ihrer Kindheit kenne, für die reinsten und tugendhaftesten im Lande, ich kümmere mich weder um das Geschwätz einiger Lästerzungen, noch um den lächerlichen Spottnamen, den man ihnen gegeben.«

»Wie kommt es denn,« fragte Michel, »daß Sie mein Verhalten ebenfalls mißbilligen?«

»Mein junger Freund,« erwiderte der vorsichtige Notar, »bedenken Sie, daß ich mich jedes Urtheiles enthalte; ich glaube Ihnen nur große Vorsicht anrathen zu müssen. Sie brauchen dreimal mehr Energie, um einen Wunsch zu erreichen, der in gewisser Hinsicht – erlauben Sie mir den Ausdruck – eine Thorheit seyn dürfte, als Sie brauchen würden, um ein zärtliches Verhältniß abzubrechen, welches allerdings durch die vortrefflichen Eigenschaften der jungen Mädchen ganz gerechtfertigt erscheint.«

»Lieber Herr Loriot,« erwiderte Michel, der fern von seiner Mutter die Gelegenheit ergriff, sich jede Umkehr unmöglich zu machen, »der Herr Marquis von Souday hat mir die Hand seiner Tochter zugesagt, es ist also nichts mehr daran zu ändern.«

»Das ist etwas Anderes,« erwiderte Maître Loriot, »wenn’s schon so weit gekommen ist, so habe ich nur noch hinzuzusetzen, daß es immer mißlich ist, ohne Zustimmung der Eltern ein Ehebündniß zu schließen. Bleiben Sie bei Ihrem Entschlusse, aber gehen Sie zu Ihrer Frau Mutter, geben Sie ihr nicht das Recht, sich über Ihren Undank zu beklagen, suchen Sie ihr ungerechtes Vorurtheil zu beseitigen —«

»Ha!« sagte Michel, der die Richtigkeit dieser Bemerkungen nicht verkannte.

»Versprechen Sie es mir?« fragte Loriot.

»Ja, ja,« antwortete der junge Baron, der sich den Notar gern vom Halse schaffen wollte, denn er glaubte ein Geräusch ins dem Hause gehört zu haben und er fürchtete, Mary könne herauskommen, während er noch mit Maître Loriot redete.

»Gut,« sagte dieser. »Bedenken Sie überdies, daß Sie zu La Logerie am sichersten sind. Das Ansehen, in welchem Ihre Frau Mutter steht, kann Sie am besten schützen vor den Folgen Ihres Benehmens. Sie werden selbst gestehen, junger Freund, daß Sie seit einiger Zeit viele Unbesonnenheiten begehen, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte.«

»Ja, ich leugne es nicht,« sagte Michel ungeduldig.

»Mehr verlange ich nicht. Ein Bekenntniß ist schon halbe Reue. – Jetzt verlasse ich Sie, ich muß um elf Uhr fort.«

»Sie gehen nach Légé zurück?«

»Ja, mit einer jungen Dame, die man jetzt in meinen Gasthof führen wird; ich will ihr in meinem Cabriolet einen Platz einräumen, den ich sonst Ihnen angeboten haben würde.«

»Aber Sie werden wohl einen kleinen Umweg machen, um mir einen Gefallen zu thun?«

»Mit dem größten Vergnügen, lieber Herr Baron,« antwortete der Notar.

»Dann halten Sie bei meiner Meierei La Banlœuvre an und übergeben Sie diesen Brief an Fräulein Bertha.«

»Gut; aber um Gottes willen!« sagte der Notar erschrocken, »geben Sie mir ihn doch mit einiger Vorsicht! Sie vergessen immer die Umstände, in denen wir uns befinden, und diese Vergessenheit macht mir Todesangst.«

»Sie sind ja unaufhörlich in Bewegung, lieber Herr Loriot; wenn Ihnen manche Leute begegnen, so weichen Sie ihnen aus, als ob Sie fürchteten, die Pest zu bekommen. Was fehlt Ihnen denn? Reden Sie, Herr Notar.«

»Ich würde in diesem Augenblicke meine Schreibstube gern gegen das elendeste Notariat im Sarthe- oder Eure-Département vertauschen. Wenn diese unaufhörlichen Gemüthsbewegungen noch lange dauern, so wird mein Leben verkürzt. – Denken Sie sich, Herr Baron,« setzte der Notar leise hinzu, »man hat mir— vier Pfund Pulver in die Taschen gesteckt, und ich zittere bei jedem Tritt und Schritt; jede Cigarre, die mir begegnet, macht mir Nervenzucken – Adieu, befolgen Sie meinen Rath, und gehen Sie nach La Logerie.«

Michel, der ebenfalls immer unruhiger wurde, freute sich, dass der Notar fortging. Er hatte nun die Gewißheit, daß der Brief richtig abgegeben würdet und mehr verlangte er nicht.

Er begann natürlich wieder das Haus zu beobachten, insbesondere ein Fenster, an welchem er sein Gesicht zu bei merken glaubte. Da er vermuthete, daß sein verweilen vor dem Hause Aufsehen machen könne, so entfernte er sich und versteckte sich hinter einer Hausecke, so daß er Alles sehen konnte; was in der Schloßgasse vorging.

Bald that sich die Hausthür auf und die junge Bäuerin erschien wieder.

Aber sie war nicht mehr allein. Ein junger Mann in einem langen Kittel und mit bäuerischen Manieren begleitete sie.

Wie schnell die Beiden auch an ihm vorübergingen, so bemerkte Michel doch, daß der Begleiter Mary’s jung war, und daß sein edles, geistreiches Gesicht mit seiner Kleidung in seltsamsten Widerspruche stand. Er sah, daß er mit Mary ganz vertraulich scherzte, und daß sie sich lachend weigerte, ihm ihren Korb zu geben, den er ihr wahrscheinlich abnehmen wollte.

Die tausend Schlangen der Eifersucht bissen Michel ins Herz, und zumal das leise Flüstern Mary’s weckte in ihm den Verdacht, daß diese doppelte Verkleidung, vielleicht eben so gut eine Liebesintrigue als eine politische verbarg. Er wollte, nicht mehr sehen, und eilte in Verzweiflung auf die Rousseaubrücke zu. Das von ihm beobachtete Paar hatte sich in entgegengesetzter Richtung entfernt.

Das Gedränge war nicht mehr so groß wie vorhin, er ging daher rasch über den Quai; aber als er an die Brücke kam, sah er sich vergebens nach Courte-Joie, nach Trigaud und seinem Pferde um – alle drei waren verschwunden.

Michel war so bestürzt, daß es ihm gar nicht einfiel, sie in der Nähe zu suchen. Nach der Versicherung des Notars war es überdies gefährlich, eine Anzeige bei der Behörde zu machen; denn sein Einverständniß mit den beiden Bettlern konnte dabei an den Tag kommen und seine eigene Verhaftung zur Folge haben.

Er faßte daher den Entschluß, sich zu Fuß aus den Weg zu machen, und entfernte sich auf der nach St. Philibert führenden Straße.

Er verwünschte Mary und ihre Treulosigkeit, und beschloß den Rath des Notars zu befolgen, nämlich nach La Logerie zu eilen und seiner Mutter in die Arme zu sinken. Denn was er gesehen hatte, bestärkte ihn in diesem Entschlusse noch weit mehr als die Vorstellungen Loriot’s.

Er befand sich bereits in der Nähe von St. Colombin und war so in Gedanken vertieft, daß er zwei hinter ihm herkommende Gendarmen nicht hörte.

»Ihre Papiere, mein Herr?« fragte der Brigadier, nachdem er ihn vom Kopf bis zu den Füßen gemustert hatte.

»Meine Papiere?« erwiderte Michel erstaunt, denn; eine solche Frage wurde zum ersten Male an ihn gerichtet, »ich habe keine Papiere.«

»Warum nicht.«

»Weil ich keines Passes zu bedürfen glaubte, um mich von meinem Schlosse nach Nantes zu begeben.«

»Wie heißt Ihr Schloß?«

»La Logerie.«

»Und Ihr Name?«

»Ich bin der Baron Michel.«

»Der Baron Michel de La Logerie?«

»Ja wohl, der Baron Michel de La Logerie?«

»Dann verhafte ich Sie,« sagte der Gendarm.

Und ehe der junge Baron ein Wort erwiedern konnte, faßte ihn der eine Gendarm beim Kragen, und der andere, die Gleichheit vor dem Gesetz geltend machend, legte ihm Handschellen an.

Nach Beendigung dieser Förmlichkeit, die bei der Bestürzung des Gefangenen und bei der Gewandtheit des Gendarmen nur einige Secunden dauerte, führten die beiden Agenten der bewaffneten Macht den Baron Michel nach St. Columbia und sperrten ihn in eine Art Keller, der zu dem Posten der im Orte liegenden Truppen gehörte, und als provisorisches Gefängniß diente.

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