Der Mann im Mond

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Wilhelm Hauff

Der Mann im Mond

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Der Ball

Ida

Schöne Augen

Der Fremde

Die Kirche

Das Souper

Das Urteil der Welt

Der Kotillon

Die Beichte

Das Dejeuner

Der Brief

Operationsplan

Die Mondwirtin

Der polnische Gardist

Der Hofrat auf der Lauer

Der selige Graf

Gute Nachricht

Der lange Tag

Der Tee

Das Ständchen

Die Freilinger

Feindliche Minen

Geheime Liebe

Emils Kummer

Der selige Berner

Entdeckung

Zweiter Teil

Die Heilung

Neue Entdeckung

Das Tête-à-tête

Das Unkraut im Weizen

Das Unkraut wächst

Trübe Augen

Die Gräfin agiert

Eifersucht

Der neue Nachbar

Trau – schau – wem?

Der Gram der Liebe

Feine Nasen

Der Herr Inkognito

Emil auf der Folter

Der Rittmeister

Unschuld und Mut

Noch einmal zieht er vor des Liebchens Haus

Das Duell

Fingerzeig des Schicksals

Licht in der Finsternis

Reue und Liebe

Versöhnte Liebe

Die Freiwerber

Fortsetzung der Freier

Das Soirée

Die Braut

Präliminarien

Zurüstungen

Hochzeit

Der Schmaus

Schluß

Nachschrift

Kontrovers-Predigt über H. Clauren und Den Mann im Monde

I

II

Erster Teil
Der Ball

Über Freilingen lag eine kalte, stürmische Novembernacht; der Wind rumorte durch die Straßen, als seie er allein hier Herr und Meister, und eine löbliche Polizeiinspektion habe nichts über den Straßenlärm zu sagen. Dicke Tropfen schlugen an die Jalousien und mahnten die Freilinger, hinter den warmen Ofen sich zu setzen, während des Höllenwetters, das draußen umzog. Nichtsdestoweniger war es sehr lebhaft auf den Straßen; Wagen, von allen Ecken und Enden der Stadt rollten dem Marktplatz zu, auf welchem das Museum, von oben bis unten erleuchtet, sich ausdehnte.

Es war Ball dort, als am Namensfest des Königs, das die Freilinger, wie sie sagten, aus purer Gewissenhaftigkeit, nie ungefeiert vorbeiließen. Morgens waren die Milizen ausgerückt, hatten prächtige Kirchenparade gehalten, und kümmerten sich in ihrem Patriotismus wenig darum, daß die Dragoner, welche als Garnison hier lagen, sie laut genug bekrittelten. Mittags war herrliches Diner gewesen, an welchem jedoch nur die Herren Anteil genommen und so lange getrunken und getollt hatten, daß sie kaum mehr mit dem Umkleiden zum Ball fertig geworden waren.

Auf Schlag sieben Uhr aber war der Ball bestellt, dem die Freilinger Schönen und Nicht-Schönen schon seit sechs Wochen entgegengeseufzt hatten. Schön konnte er diesmal werden, dieser Ball; hatte ihn doch Hofrat Berner arrangiert und das mußte man ihm lassen, so viele Eigenheiten er sonst auch haben mochte, einen guten Ball zu veranstalten, verstand er aus dem Fundament.

Die Wagen hatten nach und nach alle ihre köstlichen Waren entladen; die Damen hatten sich aus den neidischen Hüllen der Pelzmäntel und Shawls herausgeschält und saßen jetzt in langen Reihen, alle in unchristlichem Wichs, an den Wänden hinauf. Es war der erste Ball in dieser Saison. Der Landadel hatte sich in die Stadt gezogen; Kranke und Gesunde waren aus den Bädern zurückgekehrt, es ließ sich also erwarten, daß das Neueste, was man überall an Haarputz und Kleidern bemerkt und in feinem aufmerksamem Herzen bewahrt hatte, an diesem Abend zur Schau gestellt werden würde. Daher füllte die erste halbe Stunde eine Musterung der Coiffüren und Girlanden, und das Bebbern und Wispern der rastlos gehenden Mäulchen schnurrte betäubend durch den Saal. Endlich aber hatte man sich satt geärgert und bewundert, und fragt überall, warum der Hofrat Berner das Zeichen zum Anfang noch nicht geben wolle.

Das hatte aber seine ganz eigenen Gründe; man sah ihm wohl die Unruhe an, aber niemand wußte, warum er, ganz gegen seine Gewohnheit, unruhig hin- und herlaufe, bald hinaus auf die Treppe, bald herein ans Fenster renne; sonst war er Punkt fünf Uhr mit seinem Arrangement fertig gewesen und hatte dann ruhig und besonnen den Ball eröffnet, aber heute schien ein sonderbarer Zappel das freundliche Männchen überfallen zu haben.

Nur er wußte, warum alles warten mußte; keinem Menschen, soviel man ihn auch mit Schmeichelwörtchen und schönen Redensarten bombardierte, vertraute er ein Sterbenswörtchen davon; er lächelte nur still und geheimnisvoll vor sich hin und ließ nur hie und da ein: »Werdet schon sehen« – »Man kann nicht wissen, was kommt« fallen.

Wir wissen es übrigens und können reinen Wein darüber einschenken: Präsidents Ida war vor wenigen Stunden aus der Pension zurückgekommen; er, der alte Hausfreund war zufällig dort, als sie ankam, er hatte nicht eher geruht, bis sie versprochen hatte, das ganze Haus in Alarm zu setzen, das Blondenkleid, in welchem sie bei Hofe war präsentiert worden, ausbiegeln zu lassen, und auf den Ball zu kommen. Wie spitzte er sich auf die langen Gesichter der Damen, auf die freundlichen Blicke der Herren, wenn er die wunderschöne Dame in den Saal führen würde; denn kennen konnte sie im ersten Augenblick niemand.

Wo hatte nur das Mädchen die Zeit hergenommen, so recht eigentlich bildhübsch zu werden? Als sie vor drei Jahren abreiste, wie besorglich schaute da der gute Hofrat dem Wagen nach; er hatte sie auf dem Arm gehabt, als sie kaum geboren war; bis zu ihrem vierzehnten Jahre hatte er sie alle Tage gesehen, hatte sie früher auf dem Knie reiten lassen, hatte sie nachher, trotz dem Schmollen der Präsidentin, zu allen tollen Streichen angeführt; er liebte sie wie sein eigenes Kind, aber er mußte sich vor drei Jahren doch gestehen, daß ihm angst und bange sei, was aus dem wilden Ding werden solle, das man da in die Residenz führe, um sie menschlich zu machen.

 

Denn wollte man ein Mädchen sehen, das zur Jungfrau und fürs Haus völlig verdorben schien, so war es Präsidents Wildfang; einen solchen Unband traf man auf zwanzig Meilen nicht.

Kein Graben war ihr zu breit, kein Baum zu hoch, kein Zaun zu spitzig; sie sprang, sie klimmte, sie schleuderte trotz dem wildesten Jungen; hatte sie doch selbst einmal heimlich ihren Damensattel auf den wilden Renner ihres Bruders, des Lieutenants, gebunden und war durch die Stadt gejagt, als sollte sie Feuerreiten! Dabei war sie mager und unscheinbar, scheute vor jeder weiblichen Arbeit, und der einzige Trost der gnädigen Mama war, daß sie Französisch plappere wie ein Stärchen, und daß, trotz ihrem Umherrennen in der Märzsonne, ihr Teint dennoch trefflich erhalten sei.

Aber jetzt –!

Nein! was war mit diesem Mädchen in den kurzen drei Jahren eine Veränderung vorgegangen! Wenigstens um einen Kopf war sie gewachsen, alles an ihr hatte eine Rundung, eine zarte Fülle bekommen, die man sonst nicht für möglich gehalten hätte; das Haar, das sonst, wie oft man es auch kämmte und an den Kopf hinsalbte, der wilden Hummel in unordentlichen Strängen und Locken um den Kopf flog, war jetzt der herrlichste Kopfputz, den man sich denken konnte. Die Augen waren glänzender, und doch fuhren sie nicht, wie ehemals, wie ein Feuerrädchen umher, alles anzuzünden drohend. Die Wangen bedeckte ein feines Rot, das bei jedem Atemzug in alle Schattierungen von zartem Rosa bis ins Purpurrote wechselte; das liebe Gesichtchen war oval und hatte eine Würde bekommen, über die der staunende Hofrat lächeln mußte, sosehr er sie bewunderte.

Dieses Götterkind, diesen Ausbund von Liebenswürdigkeit erwartete der Hofrat; dem guten alten Junggesellen pochte das Herz beinahe hörbar, wenn er an sein Gold-Idchen dachte. Wie mußte sie erst im Ballkleide aussehen, wenn sie ihn in dem Reiseüberröckchen und in der Haube à la jolie femme beinahe närrisch machte; wie mußte sie erst strahlen, wenn sie, wie sie ihm versprochen, die Haare nach dem aller-nagel-funkel-neuesten Geschmack, die schöne Stirne und den schlanken Hals, die wie aus Wachs geformten Partien, welche die handbreiten Brüßler Kanten umziehen werden, mit dem Amethystschmuck schmückte, den sie von ihrer Pate, der Fürstin Romanow geschenkt bekommen hatte. Ihm, ihm hatte sie mit all jener Herzlichkeit, mit der sie früher versprochen, einen Spaziergang mit ihm zu machen, oder ihn, den Einsamen, zu besuchen, wenn er krank war, jetzt, als Königin des Festes die erste Polonaise zugesagt. –

Immer verdrießlicher wurden die Damen, immer ungestümer mahnten die Herren den alten Maître de plaisir, schon seit einer halben Stunde stimmten die Musikanten, daß man vor dem Quieken der Klarinette, vor dem Brummen der Bässe sein eigenes Wort nicht hörte – er gab nicht nach. Da rasselte ein Wagen über den Marktplatz her und hielt vor dem Flügeltor des Museums.

»Das sind sie«, murmelte der Hofrat und stürzte zum Saal hinaus; bald darauf öffneten sich die Flügeltüren und der kleine freundliche Alte schritt am Arm einer jungen Dame in den Saal.

Ida

Aller Augen waffneten sich mit Lorgnetten und Brillen; wer konnte das wunderschöne Mädchen sein, so hoch und schlank, mit dem königlichen Anstand, mit dem siegenden Blick, mit der kräftigen Frische des jugendlichen Körpers? Sie nickte so bekannt nach allen Seiten, als käme sie alle Tage auf Freilinger Bälle und Assembleen; und doch kannte sie niemand. Doch ja! da kommt ja auch der alte Präsident, wahrhaftig! es kann niemand anders sein, als Präsidents Ida.

Aber wie herrlich war dieses Knöspchen aufgegangen, »Welcher Anstand!« bemerkten die Herren, »Welche Figur, welcher Nacken, wahrhaftig! man möchte ein Mückchen oder noch etwas Wenigeres sein, nur um darauf spazierenzugehen.« »Welcher Schmuck, welche Spitzen, welche Stickerei an dem Kleid«, bemerkten die Damen und wünschten sich weit weg, denn wie sollten sie ihre Fähnchen, die sie doch ihr gutes Geld gekostet, ihre Blumen, die sie selbst gemacht und für wundervoll gehalten hatten, neben diesen italienischen Rosen und Astern, die eben erst aus den Gärten der Hesperiden gepflückt zu sein schienen, neben diesen Kanten sehen lassen, von welchen die Elle vielleicht mehr wert war, als eines ihrer Ballkleider nebst Schneiderskonto und Façon! Nein, Berner, der arge Berner hätte ihnen keinen schlimmern Streich spielen können, als diese Ida gerade heute einzuführen. Aber man mußte sich Gewalt antun; der Präsident machte das erste Haus in der Stadt, war der gewaltige Herrscher der Provinz, eine glänzende Aussicht auf Thés dansants, Soupers, Hausbälle und dergleichen eröffnete sich vor den schnell berechnenden Blicken der Damen; wehe der, die dann nicht mit Ida bekannt war, oder sie sogar kalt empfangen hatte. Man wußte, daß dies die Frau Mama Präsidentin nie verzeihen würde; man nahm sich zusammen, und in kurzem war die Gefeierte von allen jungen und alten Damen umringt, welche Glück wünschten, alte Bekanntschaft erneuerten und nebenbei dies und jenes von dem hoffähigen Anzug spickten. Alle redeten zumal, keine wurde verstanden, und die Herren fluchten und schimpften ein Donnerwetter über das andere, daß sich eine so dichte Wolke vor dieser kaum aufgegangenen Sonne gedrängt und sie ihrem Anblick entzogen habe.

Jetzt zog Hofrat Berner das weiße Sacktuch, schwenkte es in der Luft und gab dem Kapellmeister und Stabstrompeter der Dragoner das Zeichen, und eine herrliche Polonaise begann. Im Nu stoben die Glückwünschenden auseinander und machten Raum für die Assessoren, Lieutenants, Sekretärs, jungen Kaufherrn, Jagdjunkern, die glücklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen Walzer, Ekossaise oder gar Kotillon mit Ida die Hälse brechen wollten. Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu versagen, hüpfte dem Hofrat entgegen und reichte ihm die kleine Hand.

Selig, gerührt, begeistert stellte er sich mit seinem holden Engelskind an die Spitze der Kolonne und marschierte unter den mutigen, lockenden Tönen der Polonaise, stolzen Schrittes gegen das wohlunterhaltene feindliche Tirailleurfeuer, das von vorn, von den Flanken, überallher aus den Mündungen der Lorgnetten auf seine Tänzerin sprühte. Aber diese, war sie kurzsichtig, hatte sie statt des Korsettchens einen Kürassierpanzer vom feinsten Stahl mit der Musketenprobe um das Herzchen, oder war sie das Feuer so gewohnt, wie die alte Garde, die, Gewehr im Arm, im Paradeschritt durch das Kartätschenfeuer marschierte? ich weiß nicht, aber sie schien gar nicht auf die schrecklichen Ausbrüche der gebrochenen Herzen, auf die Knallseufzer der Verwundeten zu hören, das Plappermäulchen ging so ruhig fort, als ginge sie, drei Jahre jünger mit dem guten Hofrätchen im Wald spazieren.

Da kamen alle die Streiche, die der leichte Springinsfeld losgelassen, alle jene tausend Schwieten des kleinen Übermuts aufs Tapet; Lust und Lachen blitzte wie ehemals aus ihrem Auge, wenn sie sich erinnerte, wie sie einer Spanferkel Kindszeug angezogen und sie dem Hofrat als Fündling vor die Türe gelegt, wie sie dem Oberpfarrer die Waden voll Stecknadeln gesetzt, daß sie aussahen wie der Rücken eines Stachelschweins, alles ohne daß er es merkte, denn er trug falsche. Der Hofrat wollte seinen Ohren nicht trauen; es war ja dasselbe lustige, naive Ding wie früher und doch so wunderherrlich, so groß, mit so unendlich viel Anstand und Würde! Er hätte sie auf der Stelle am Kopf nehmen und recht abküssen mögen, wie früher, wenn sie einen rechten Ausbund von Schelmenstreich gemacht hatte.

Es ging über seine Begriffe! »Wie können Sie nur so hartherzig sein, Idchen!« sagte er, »und nicht einen Blick auf unsere jungen Herren werfen, die zerschmelzen wie Wachs am Feuer? Nicht einmal einen Blick für alle diese Exklamationen und Beteurungen, welche Sie doch gehört haben müssen?«

»Was gehen mich Ihre jungen Herren an«, plapperte sie mit der größten Ruhe fort, »die sind hier, wie überall unverschämt wie die Fleischmücken im Sommer; das könnte kein Pferd aushalten, wollte man darauf achten; sie pfeifen in der Residenz ebenso, das wird man gewohnt; so von Anfang macht es ein wenig eitel; wenn man aber sieht, wie sie dieser und jener dasselbe zuflüstern, vor der Ursel ebenso, wie vor der Bärbel sterben möchten, so weiß man schon, was solche schnackische Redensarten zu bedeuten haben.«

Die muß eine gute Schule durchgemacht haben, dachte der Hofrat; siebzehn Jahre alt und spricht so mir nichts, dir nichts von der Farbe, als wäre sie seit zwanzig Jahren in den Salons von Paris und London umhergefahren. Er ärgerte sich halb und halb über Mamsell Neunmalklug und Übergescheit, denn es waren just keine unebene junge Männer, die ihre Seufzer so hageldicke losgelassen hatten, und ihn, der in seiner Jugend wohl so zwanzig Amouren und Amürchen gehabt hatte, konnte nichts mehr ärgern, als ein fühlloses Herz.

Aber dieser Ärger konnte bei seinem Idchen nicht in ihm aufsteigen. Wenn er in ihr volles, glühendes Auge sah, wenn er den süßgewölbten Mund betrachtete, da dachte er: Nein, dir traue dieser und jener, aber ich nicht, weiß ich doch von früher her, wie du gerne Flausen machst, und dem guten ehrlichen Berner gerne ein X für ein U unterschiebst. Jetzt willst du dein Schach verdeckt spielen und mir irgendeinen blauen Dunst vorschwefeln und das Herzchen ist am Ende doch in der Residenz geblieben und Fräulein Stahlherz ist nur darum so spröde gegen die Freilinger Stadtkinder. Aber basta! der Hofrat Berner hat auch gelebt und geliebt und wettet seinen Kopf, dieses Auge weiß, was Liebe ist, diese frischen Purpurlippen haben schon geküßt, aber anders als nur solche Hofratsküsse!

Der gute Alte äußerte etwas von diesen Gedanken gegen Ida, sie aber sah ihm ganz ruhig ins Gesicht und versicherte lächelnd, gefallen habe ihr schon mancher, geliebt habe sie aber bis diese Stunde noch keinen Mann, als ihren Vater und ihn.

Schöne Augen

»Aber sagen Sie, Idchen«, fragte der Hofrat, als er sie wieder an ihren Platz geführt hatte, »ist das etwa ein Cousin oder dergleichen, der da mit Ihnen kam?«

»Ich kam mit Papa«, antwortete die Gefragte, »und sonst war niemand dabei. Wen meinen Sie denn?«

»Nun, der Bleiche dort kam ja doch wohl mit Ihnen, es kennt ihn niemand im Saal und mit Ihnen trat er herein, sonst müßte er ja, Sie wissen, daß das Museum geschlossene Gesellschaft ist, sonst müßte er ja eingeführt sein. Sehen Sie, der dort.« Er zeigte hin. An eine Säule gelehnt, stand unbeweglich mit übergeschlagenen Armen eine schlanke Gestalt. Noch konnte Ida das Gesicht nicht sehen, nur die glänzenden schwarzen Locken des Haares fielen ihr auf; sie wollte sich eben besinnen, wo sie schon solche gesehen habe, da wandte jener sich um und unwillkürlich schrak Ida zusammen; gespensterhafte Blässe lag auf diesem feinen, schönen Gesicht, geheimer Gram oder verschlossenes Kämpfen mit finsterem Leiden schien das muntere, jugendliche Leben aus diesen tiefen, im schönsten Ebenmaß geformten Zügen hinweggewischt zu haben, und ein gemischtes Gefühl drängte sich bei seinem Anblick auf, neugieriges Mitleid schien sich mit zweifelhafter Furcht streiten zu wollen.

Kaum hatte des Fremden glühendschwarzes Auge Ida getroffen, als sie ihren Blick abwandte. Überraschung und Verlegenheit machten sie stumm auf einige Augenblicke; von dem Diadem auf der schönen Stirne, über den Liliensamt der blühenden Wange, bis herab auf den jungfräulichen Alabasterbusen flog ein brennendes Rot, das der Hofrat nicht unbemerkt ließ. Er wollte sie eben mit dem pfiffigsten Gesicht nach der Ursache ihres Rotwerdens fragen, aber eine Unzahl Herren drängten sich zu, um sie um einen Tanz zu bitten; Vettern und Basen freuten sich, sie wiederzusehen und gafften das Wunderkind an. Der Hofrat aber, welchem daran lag, die Spur, die er aufgefunden zu haben meinte, zu verfolgen, machte seine Bewegungen wie ein geübter Feldherr; er fragte sie so laut als möglich, ob es ihr jetzt, wie sie gewünscht, gefällig sei, zu ihrem Herrn Vater zu gehen, der im dritten Zimmer sich zu einem Whistchen gesetzt habe? und Pfiffköpfchen verstand gleich, wo der gute Alte hinauswollte; sie beurlaubte sich also mit großer Hast von dem ungeheuren Kometenschweif, in welchem sie als Kern gesessen und ging mit Berner durch den Saal.

 

Und jetzt nahm sie Berner ins Gebet; zuerst setzte er die Daumenschrauben des Spottes an, dann untersuchte er die vermeintliche Herzenswunde seines Gold-Idchens mit der langen Sonde des väterlichen Ernstes, indem er ihr vorwarf, sehr unklug getan zu haben, ihre Residenzliebhaber mit nach Freilingen zu nehmen. Sie aber lachte dem Ratgeber, welcher meinte, seine Sache recht gut gemacht und sie ganz im Netz zu haben, ins Gesicht und witschte ihm aus.

»Sie geben sich vergebliche Mühe, Hofrätchen«, kicherte das lose Ding, »ganz vergebliche Mühe, ich habe diesen Menschen in meinem ganzen Leben, auf Ehre, noch nie gesprochen; doch gesehen«, setzte sie, ernster werdend, hinzu, »gesehen habe ich ihn, und deswegen kam ich auch vorhin etwas in Verlegenheit.«

»Was da! zwischen sehen und sehen ist ein großer Unterschied«, antwortete Berner mit einem völlig ungläubigen Kopfschütteln; »da müssen Sie ihm doch ein wenig gar scharf in die Augen gesehen haben?«

»So hören Sie mich doch, Sie böser Mann!« unterbrach ihn Ida, »wer wird denn auch gleich auf den Schein hin verdammen; ich sage noch einmal, ich weiß nicht, wer er ist, aber das innigste Mitleid habe ich mit ihm. Als wir gestern durch den Lanzinger Wald kamen, fuhren wir einer Equipage vor, die ganz langsam im Schritt hinging. Es war ein prachtvoller Landau mit einem großen Bock, worauf ein alter Diener in reicher Livree saß; am Wagen zogen vier Postpferde; das Dach war zurückgeschlagen, und es saß niemand darin, als ein großer Hund. Sie wissen wie man auf der Reise ist, man interessiert sich um die Mitreisenden, besonders wenn man glaubt, auf einerlei Station mit ihnen zu wohnen oder zu speisen. So dachte ich mir jetzt, die Reisenden, denen der Wagen gehört, seien vorausgegangen, und lassen ihn langsam nachfahren. Ich sah daher alle Augenblicke aus unserm Wagen, ob ich noch keine reisenden Engländerinnen oder Französinnen gewahr werden konnte, aber immer vergebens. Endlich, als wir um eine Waldecke bogen, sah ich auf einmal einen Mann, der unter einer Eiche saß und zu dem Wagen gehören mußte.«

»Und war es derselbe, der dort an der Säule steht?« fragte der Hofrat.

»Derselbe; er war auch ganz schwarz gekleidet wie jetzt, sein Hut lag neben ihm im Gras, seinen Kopf stützte er in die hohle Hand. Das Geräusch unseres Wagens, der jetzt, weil es bergauf ging, auch langsam fuhr, schien ihn aufzuschrecken; ohne aufzusehen, ging er mit gesenktem Haupt bis an unsere Wagentüre. Da richtete er sich auf, und Sie können sich meinen Schrecken denken, Hofrat, als ich das nämliche geisterbleiche Gesicht sah, das auch Ihnen aufgefallen ist. Er mußte heftig geweint haben, denn Tränen hingen in den langen schwarzen Wimpern und gaben dem glühendschwarzen, sinnigen Auge einen ganz eigenen Reiz!«

»So, so? einen ganz eigenen Reiz!« antwortete lächelnd der Hofrat, »wer hat denn meinem Mädchen erlaubt, über Männeraugen Betrachtungen anzustellen? Hat Sie das auch bei Madame La Truiaire in der Residenz gelernt?«

Das lustige Amorettenköpfchen, das sich da, es wußte nicht wie, verbebbert hatte, schlug die Augen nieder und sagte: »Legen Sie nicht alles so bös aus, Bernerchen, Sie verstanden ja doch sonst Ihre Ida nicht immer falsch.

Sehen Sie, was die Augen betrifft, da habe ich nun einmal meinen eigenen Geschmack. Schöne blaue oder schwarze Augen, mitunter auch recht glänzendbraune sehe ich an jedermann gern. Daher sind mir auch alle junge Herren so zuwider, weil sie selten schöne Augen haben; sie haben ihnen durch die Lorgnetten, Brillen und Gott weiß durch was sonst den schönsten Glanz benommen und stieren uns an wie gestochene Böcke; desto mehr freue ich mich, wenn ich einmal eine solche Ausnahme treffe. Eine ganz eigene Freude macht mir auch das Aufschlagen der Augen, das man unter Tausenden kaum einmal so recht anmutig, sinnig, und, wie man es gerne haben möchte, trifft. Beides sah ich nun an dem Fremden, darum hatte er mir auch so ge–«

Da hatte sich das schnelle Schnäbelchen schon wieder verplappert! der Hofrat horchte noch immer, aber Idchen blieb still, biß die Lippen zusammen und spielte mit dem Amethystkreuz am Kollier, das unter dem Tanzen sich zwischen den Schneehügeln hinabgeschoben hatte und ganz glühend heiß geworden war.

»Ei, ei!« warnte der Hofrat, »ich habe da in zwei Minuten Dinge gehört, wovor einem die Haut schaudern könnte; nimm dich um Gottes willen in acht, Kind, wenn du deine Augenbeobachtungen anstellst; ich weiß es aus meiner Jugend, daß in gewissen Augen Häkchen sitzen, die uns, wenn man allzu tief schaut, festhalten, daß an kein Entrinnen zu denken ist; hast du nie etwas von der Augensprache gehört?«

»Doch«, entgegnete der kleine Übermut, »ich glaube sie auch zur Not zu verstehen.« –

»Ist gar nicht vonnöten; man spricht sie zwar vom Rhein bis zum Mississippi, vom Don bis zum Ohio, lerne aber nie mehr, als etwas kauderwelsch parlieren; denn wer sich so gar geläufig ausdrückt und mit zwanzig zumal in dieser Sprache spricht, gilt nicht mit Unrecht für eine Erzgeneralkokette.«

»Nun für eine solche werden Sie mich doch nicht halten«, sagte Ida etwas empfindlich.

»Dazu kenne ich mein süßes Mädchen zu gut«, entgegnete der Hofrat traulich und drückte ihr das weiche Samthändchen. »Was aber den bleichen Patron dort drüben betrifft, so kann er über allerlei geweint haben; er kann zum Beispiel seine Mutter, seine Schwester, oder gar sein Mädchen verloren haben.«

»Meinen Sie?« antwortete Ida gedehnt und unmutig; »doch nein! da würde er ja nicht auf den Ball gehen«, setzte sie freudig hinzu; »da würde er zu Haus trauern und nicht die Freude aufsuchen.«

»Oder«, fuhr jener fort, »es gingen ihm vielleicht seine Wechsel aus und er hat im Augenblick kein Geld, um seine Reise weiter fortzusetzen.«

»Nicht doch«, fiel sie ein, »wie mögen Sie nur diesem interessanten Gesicht einen so gemeinen Kummer andichten. Sieht er nicht nobler aus, als alle unsere Assessoren, Lieutenants und so weiter zusammen, und er sollte mit vier Postpferden in einem herrlichen Landau fahren, und weinen, weil er kein Geld hat? Pfui!«

»Ei, wie sich der kleine Advokat vereifert und verdisputiert; das Mäulchen geht ja, als sollte es einen Prozeß vor den Assisen führen! Übrigens wollen wir bald sehen, wer der Patron ist; habe ich doch den Ball arrangiert und daher auch das Recht, Fremden, die sich eindrängen, auf den Zahn zu fühlen.«

»Nun ja, tun Sie das, liebes Hofrätchen; aber ja recht artig und delikat«, setzte das errötende Mädchen mit den süßesten Schmeichelworten hinzu: »wer so tiefen Kummer hat, wie jener zu haben scheint, muß unter Fremden wie unter Freunden zart behandelt werden!«

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