Wizzel Kien

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Hans Fallada   WIZZEL KIEN   Der Narr von Schalkemaren




1



Von Wizzel Kiens Stammbaum und wie er zu einem Vater kam



Mein Vater ist der Kienholzmann von Schalkemaren gewesen, meine Mutter aber eine liederliche Schlumpen. So soll ein Sohn wohl nicht von seiner Mutter sprechen: Haben mir doch aber die Leute all mein Lebtage Narrenfreiheit gegeben, einem jeden zu sagen, was ihm keiner sagte, und habe ich doch sogar meinen hohen und gestrengen Herren, den Ritter von Wetterplitz, selbst in seinem höchsten Zorn einen Wutknollen und Feuerausdemdach, einen Kochüberhansen, einen Scharlachhintern und roten Krähhahn heißen dürfen – warum sollt ich da mit der Wahrheit vor der eigenen Familie haltmachen? Ich gebe der Mutter nur zurück, was sie mir gab, denn sie hat mich auch von zartesten Kindesbeinen an einen Hans Buckel und Ast mit dem Knast geschimpft. Und war sie es doch, die mich klein Kindlein nackt und bloß auf dem Tisch liegen ließ und rasch einmal hinauslief in den Blauen Hahnen, sich die Gurgel anzufeuchten. Als sie aber heimkam, habe ich auf dem Steinboden gelegen, zwar noch mit dem Lebensfunken, aber von Stund an wuchs mir ein Buckel, wie er stattlicher weder in Schalkemaren noch in allen anstoßenden Liegenschaften, Dorfschaften, Landschaften vorzuweisen war.



Was aber meinen Vater angeht, der doch gar nicht mein Vater war, so widmete er sich viele Wochen ruhig und still seinem Geschäfte, das darin bestand, in der Forst Kiefernstubben zu suchen, in denen das Harz gestockt war. Die rodete er dann, spaltete sie fein säuberlich auf zu dünnen Hölzlein, und hatte er hinreichend beisammen, tat er’s in einen Tragekorb, bündelweis, und wanderte die Straßen und Gassen von Schalkemaren auf und ab, unermüdlich rufend: »Kien! Kien! Frischer Kien!« Da kauften die Bürgersfrauen von ihm, daß ihr Morgensuppenfeuer rasch in Hitze gerate. Hatte er dann aber ein artiges Geldlein im Hosensack, so erstand er sich kein Brot dafür, auch kein Schwein, keine Geiß, kein Wams, keine Stiefel, kein Haus, Hemd oder irdenen Hafen – freilich aber einen Mordsrausch.



Auf solcher Gurgellustfahrt hat er auch meine Mutter kennengelernt – wenn man’s kennen heißen kann, da vor seinen Augen doch nur noch Flaschenbäuche und runde Gläserbrüstlein lachten. Als er aber aufwachte aus seinem Rausch, lag er im Stroh vom Schweinekoben im Blauen Hahnen, und neben ihm raschelt es. »Bist du’s, Sau?« fragte mein Vater, denn sein Verstandeslicht brannte noch nicht wieder sehr helle. »Nein, ich bin’s, dein ehelich Weib!« klang’s recht schrill zurück, und dann wurde er derbe an den Haaren gerissen. »Nein, ich träum!« schrie mein Vater – aber da half ihm alles Schreien und Greinen nichts, er war und blieb kopuliert und versprochen durch einen eilig in seinen Rausch geholten Bettelmönch. Denn der Wirt und die Wirtin vom Blauen Hahnen, und meine Mutter dazu, hatten viel Verstand in Trinkenssachen, und ein unbescholten Männlein, wie mein Vater war, kam ihnen gerade zupasse.



Nun, mein Vater ist wieder in seinen wilden, weiten Wald gegangen, in den ihm kein Weib nachfolgen konnte, und hat seinen Kien gehackt. Kam er aber in die Stadt, gleich war auch meine Mutter da, und nahm er einen Sechserling ein, wechselte sie ihm den gerne in zwei Dreier um, von denen sie freilich den einen behielt. Das mochte noch angehen, aber wie ward meinem Vater, als ihn eines Tages der Wirt vom Blauen Hahnen in eine Kammer führete, ihm ein klein Kindlein wies und also sprach: »Hier ist dein Sohn, lieber Kienmichel! Heute nacht ist er gekommen, und nun spare auch fein ordentlich und arbeite doppelt, daß die Blöße von Mutter und Kind warm bedecket sei.« Mein Vater war kein fixer Rechner, aber bis neun konnt er doch zählen. Er zählt die eine Hand rauf und die andere runter … »Ei!« sprach er erstaunt. »Tragen denn jetzt die Kirschbäume im Feber Früchte?«



»Oh, du wüster Waldschrat!« rief meine Mutter da aus ihrem Winkel. »Willst du jetzt dem Herrgott vorschreiben, wann er die Früchte reifen läßt?!«



»Wohl, wohl!« sprach mein Vater. »Aber an den ersten Kirschen haben die meisten Stare gepickt!« sagt es und ging wieder in den Wald.



Doch es half ihm nichts: Als er das andere Mal ins Schalkemaren hineinkam, standen sie schon hinter der Mauer mit vollen Flaschen und Humpen für ihn bereit, das Tauffest seines Sohnes feierlich zu begehen – und einem gut vollen Glase hat mein Vater nie nein sagen können. Er griff zu und sprach: »Wohl bekomm’s!«



»Wohl bekomm’s auch dir, Vater Kienmichel!« riefen sie, und so zechten sie munter den ganzen Tag. Als es aber gegen den Abend ging, geriet mein Vater auf der Suche nach einer anderen Gelegenheit durch Zufall in die Kammer, in die man mich weggestellt. Im Dämmer sah er mich kaum, aber er sah den Weidenkorb, in den sie mich gelegt, hielt sich stracks am Türrahmen fest und sprach also:



»Mein Sohn, der du nicht mein Sohn bist! Manche sagen, alles Übel dieser Welt komme vom Gelde – sorge dich darum nicht! Das Geld ist rund, und ohne Beschwer wird es dir wegrollen. Stockt es aber wirklich einmal in deinen Taschen, so schneide ein Loch in sie, und du wirst keinen Kummer von ihm haben. Andere wieder meinen, das Weib sei die Wurzel alles Übels. Diese sind schon näher an der Wahrheit, denn es ist einem Manne manchmal schwer, einem schelmischen Blick und wohlgerundeten Formen zu widerstehen. Doch hier liegt die Heilung des Übels beim Übel selbst: Gib ihm nur recht fleißig nach, und du wirst seiner rasch überdrüssig werden. Mein Sohn, der du nicht mein Sohn bist! Dein Vater, der nicht dein Erzeuger ist, sagt dir, der Übel größtes ist der Soff! So viele Flaschen du auch leerest, es winkt dir noch immer eine volle! So schnell du auch den Wein durch die Kehle gluckern läßt, der Durst schlägt noch viel schneller zurück in deinen Mund! Sei mäßig, mein Sohn, ich rate dir gut, und trinke lieber gar nichts als zuviel!«



Indem brach die ganze Kumpanei, welche die Abwesenheit meines Vaters gemerkt, mit Lichtern und Humpen in die Kammer. Da sahen sie mich schlafend in meinem Korbe liegen; weil aber die Mutter über dem Getöse der Zechenden mein Geschrei nach der Milchbrust nicht vernommen hatte, so hatte ich den Schwanz der Hauskatze, die eben auf meinem Kissen ihr Lager aufgeschlagen hatte, zum Nuckeln in den Mund gesteckt, und so war der Säugling als der einzig Ungetränkte unter so viel Trinkern schlafen gegangen.




2



Wie Wizzels Vater die Mutter um einen Zuckerzopfaustrieb und wie sich kein Stand seiner annahm



Als ich ein Jahr alt war, kam mein Vater eines Abends nach seinem Kienverkauf zu uns auf die Kammer. Meine Mutter färbte sich eben für ihren abendlichen Männerfang in den Schenken schön die Wänglein mit Ziegelrot und wusch das weiße Hälselein, indes ich mich in meinem Dreck sühlte. Aus seiner Taschen zog mein Vater einen stattlichen Zopf, aus rotem Zucker geflochten, und sagte sehr liebreich zu mir: »Hier, mein Sohn!« Meine Mutter aber, die auch ein Leckermaul war, faßte rasch zu und hatte das längere Ende vom Zopf zwischen den Zähnen, ehe mein Vater noch husch! sagen konnte. Er sprach böse: »Laß das, Weib!«, denn er zürnte ihr aus vielen Gründen sehr, vor allem aber darum, weil sie mich so in Dreck und Unflat hausen ließ. Doch änderte sein Zorn gar nichts, der mehrste Zucker war schon verschluckt, und so bot er mir wenigstens das Ende vom Zopf. Meine Mutter aber, nicht faul, griff wiederum zu und schleckte alleine.



Da ergrimmte mein Vater in seinem schwersten Grimm, ergriff einen Reiserbesen und hub an, meine Mutter unbarmherzig zu streichen und zu stäupen, daß sie schreiend aus der Kammer fuhr, bei den Nachbarn Hilfe und Unterschlupf zu suchen. Mein Vater aber lief so rasch hinterdrein, daß sie auf die Gasse hinaus mußte, und hier setzte er ihr mit so trefflichen Schlägen, Knüffen und Hieben zu, daß sie immer schneller vor ihm her lief, aus der Gasse in die Straße hinein. Der Vater aber war ein großer und starker Mann und konnte es wohl erzwingen; mit dem Reiserbesen blieb er auf ihren Fersen und schlug wieder und noch einmal, daß ihre Flucht und seine Verfolgung ständig an Schnelligkeit zunahmen. Da blieb manch würdige Bürgerin schreckgebannt stehen ob solch liederlichem Volk, für manchen behäbigen Bürger fiel ein Puff oder Hieb ab, daß er fast in die Straßenwand fuhr vor Angst. Die Gassenjungen aber liefen barfüßig hinterdrein, so schnell sie nur konnten, und was an räudigen, krätzigen, stinkenden, faulen Hunden in der Stadt lebte, fuhr dazwischen, bellend und jachternd.



Indem löste sich das Rockband meiner Mutter, ein Hund schnappte nach dem Ende und zog. Da fiel der Rock zur Erde, und ehe sie ihn noch wieder erraffen konnte, war mein Vater über ihr und servierte ihr eine solche Prügelsuppe, daß sie laut aufschreiend weiterlief. Und jetzt beflügelte nicht nur die Angst, sondern auch die Scham ihre Schritte, denn unter dem Rock war nur ein Hemde gewesen, und wenn der Rock auch prächtig gewesen war, das Hemde war löcherig. So liefen die beiden dahin, schreiend und stäupend, ein Ärgernis für jeden Ehrbaren in der Stadt Schalkemaren. Aber mein Vater war in seinem Zorn über das Weib blind für alles um sich.



Nun aber sah meine Mutter am Ende der Straße das Stadttor und die Scharwache, die sich gerade bereitmachte, das Tor zu schließen, denn die Sonne ging unter. Sie verdoppelte ihre Anstrengungen, denn sie hoffte wohl, draußen Frieden und Zuflucht zu finden, und wischte gerade zwischen den Torflügeln noch hinaus. Da aber war’s erst recht vertan, denn mein Vater stieß so gewaltig in die von der Scharwache, daß sie durcheinanderfielen wie die Kegel, wenn der Neunerwurf getan wird. Er warf das Tor wieder auf und sprang nun frei und ungehemmt hinter ihr drein und gab ihr Schlag auf Schlag, wobei er rief: »Den für die Buhlerei! Den für den Soff! Den für den geschleckten Zuckerzopf! Den für die betrügerische Trauung! Den für das eingebrachte Kind! Den für die gestohlenen Dreier! Den für dein lügenhaft Maul! Den für deinen Zankteufel! Den für den Dreck am Kinde! Und den für seinen Buckel!« Und er hätte diese Litanei wohl immer weitergebetet, bis meine Mutter für tot umgefallen wäre, denn der Zorn machte sein langsam Hirn witzig und seinen Arm nimmermüde, hätte meine Mutter nicht hinter einem Buschwerk ein Feuer erspäht, auf das sie frischweg zugesprungen.

 



An dem Feuer aber saßen vier oder fünf Marodebrüder, die sich als Atzung ein Rehkitz gefangen, das sie über der Glut schmurgelten. Wie erstaunten, erschraken und erzürnten sich die, als ein fast nacktärschig Weib in ihren Kreis gesprungen kam und gar noch den duftenden Braten ins Feuer stieß. Ehe sie sich aber noch recht besonnen, war auch mein Vater da, dem noch etwas eingefallen war. Denn er versetzte seinem Weib wiederum einen derben Schlag und schrie: »Den für den Grind auf meines Sohnes Schädel!« Da aber waren sie schon über ihn her, und wenn mein Vater auch ein bärenstarker Mann war, vier solch alte Fechtkumpane wurden doch sein Meister, und sie zahlten ihm im Zorn über den verbrannten Braten mit Heller und Pfennig, mit Zins und Zinseszins heim, was er meiner Mutter ausgezahlt. Dann drehten sie ihm die Taschen um, nahmen ihm das Kiengeld und, was ihm bitterer war, die Schnapsflaschen und schickten ihn mit einem gewaltigen Tritt wieder auf die Heimreise, die er, wund an allen Gliedern, ächzend und stöhnend antrat. Meine Mutter aber hatte nicht auf ihn warten wollen, sondern war längst im nächtigen Walde verschwunden.



Während all dies mit meinen Eltern geschah, lag ich arm Kindlein verlassen in der Kammer und brüllte, einesteils wegen des Zuckerzopfes, andernteils wegen des Unflats. Die Nachbaren aber hörten mich wohl schreien, aber keiner traute sich zu mir hinein. Es gibt nämlich in der Stadt Schalkemaren ein Gesetz: Wer zuerst zu einem verlassenen Kindlein hineingeht, der muß es auch aufziehen. Nun meinten die Muhmen und Basen, Kräuterweiblein, Stallknechte, Huren, Wäscherinnen und was alles in unserer Gasse wohnte in ihrem Witz, mein Vater habe seinem Weibe bei dem Auszug soeben gar nicht richtig den Rücken gestrichen, sondern es sei ein listig abgekartetes Spiel zwischen den beiden, auf gute Art von dem Buckel loszukommen und ihn den Nachbaren anzuheften. Also ließen sie mich schreien, tuschelten auf dem Gange und warteten, daß etwa die Spülmagd vom Blauen Hahnen käme, zu fragen, wo denn die Mutter bliebe, die Trinker warteten schon.



Ich schrie weiter, denn keine Spülmagd kam. Statt dessen kam der Herr Pfarr, den ein vorwitzig, rotznäsig Mägdlein von der Gasse hinaufgelockt mit der Lüge, die Kienmichelin sei auf der Treppe gefallen und liege im Sterben. Doch war der Herr Pfarr ein groß erfahrener Mann – als er mich hinter der Tür brällen hörte, schlug er feste mit der Faust dagegen, schreiend: »Kienmichelin, was machst du? Lebst du oder stirbst du?« Ich brüllte verdoppelt auf den Lärm, wohl, weil mir beim Namen der Mutter der rote Zuckerzopf in den Sinn kam, da sprach der Herr Pfarr: »Leute, das könnt ihr nicht machen mit mir!«, riß die lügnerische Botin derbe am Ohr und stieg wieder die Treppe hinab.



Abermals nach einer Weile kam ein Höker mit grünen Heringen die Treppe hinaufgestiegen und verhandelte seine Meertiere von Tür zu Tür. »Die Kienmichelin schläft noch«, sprachen die Nachbarn listig, »klopfe aber nur fest an und tritt ein. Du weißt, Heringe in Brotkrumen und Fett sind ihr Magenschmaus. Sie möchte es dir nicht verzeihen, gingest du ihr vorbei.« Eben wollte der Höker zu uns eintreten, da geriet eine Katze, wild auf Fische, über seinen Heringskorb und rannte mit zweien fort. Er lief der Räuberin nach und kam nicht wieder.



Dann verging eine lange Zeit, und ich brüllte schon schwächer in der Dunkelheit, denn die Kehle war mir wund, da kam der Perückenmacher. Bei dem hatte sich meine Mutter zwei künstliche, lange, blonde Drehlocken bestellt, die, wie sie meinte, sich ausnehmend schön zu ihrem schwarzen Haar machen und ihr neue Kundschaft zuführen müßten. Als der Meister von den Nachbarn erkundet, meine Mutter sei daheim, ging er doch nicht hinein, sondern rief von draußen, er sei mit den Locken da und die Kienmichelin möge ihm das Geld hinausreichen. Von mancher Erfahrung her war der Perückenmacher nämlich gewitzigt und wußte, daß meine Mutter eher bereit war, mit liebreichem Wesen als mit Geld zu bezahlen, und da er die Schwäche seines Fleisches kannte, blieb er draußen. Als nun drinnen nichts geschah und ihm kein Geld hinausgereicht wurde, ging er wieder, auf günstigere Gelegenheit hoffend, heim.



Schließlich, es war schon tiefe Nacht, kam der Magister Ruhsam von seinen lateinischen Büchern auf dem Stadthause heim, ihn hatten die Nachbarn als einen letzten Hoffnungsanker erwartet. Der aber war so versunken in seine Meditationen, daß er weder auf mein nur noch schwaches Gebräll noch auf die Stimmen der Nachbarn hörte, sondern, allen freundlich eine »Bonnox« wünschend, in seine Dachkammer hinaufstieg.



So haben mich nacheinander Geistlichkeit und Gelehrtenstand, ehrsames Handwerk und Kaufmannschaft verschmäht, und diese Geschichte, die mir später berichtet worden, ist mir immer ein Symbolum für mein ganzes Leben gewesen. Denn in all diesen Ständen bin ich nichts geworden, wohl aber hat sich das edle Rittertum meiner erbarmt und zu seinem geehrten Schalksnarren gemacht!




3



Wie ein frommer Klausner über Wizzels Buckel seinen Bart verlor



Als ich zwei Jahre alt war, besuchte mich mein Vater bei der alten Schmorbarten, zu der er mich für ein geringes Geld in Obhut gegeben hatte, als er am Morgen nach der Austreibung meiner Mutter wund und lendenlahm in die Stadt zurückgekehrt war. Er hob mich aus meinem Lager von ungewaschener Schweißwolle – denn meines wachsenden Buckels halber mochte ich kein Bettstroh vertragen –, trug mich gegen das trübe Fenster, besah mich und sprach tadelnd: »Ach, Schmorbarten, ich glaube, mein Sohn wächst nie zu einem vollen, runden Monde aus, sondern nimmt ab, als stünde bald ewiger Neumond für ihn im Kalender!«



»Wendet ihn nur fleißig um, Meister Kienmichel«, antwortete die Schmorbarten, »so werdet Ihr sehen, daß sein Kürbis recht artig gedeiht. Seine Beine freilich werden immer spinnenmäßiger, und seine Fingerlein sehen aus wie nackte Mäuseschwänze. Freilich hat er dafür wieder einen Gesichtserker, schön groß und stattlich – deiner ist nicht viel kleiner, du schöner Meister Kienmichel!«



Mein Vater aber achtete ihren Spott für nichts, sondern hatte mich umgewendet, mein Gewandung auseinandergeschoben und meinen Leib betrachtet. »Wunder und Wunden aller Heiligen!« rief er da erschrocken, als er die Risse und Schürfungen an meiner Haut sah. »Schmorbarten, ich glaube gar, mein Sohn hat die Krätze!«



»Warum soll er denn die Krätze nicht haben, du dummer Kienmichel?« fragte die Schmorbarten recht kaltblütig. »Habe ich sie doch an die sechzig Jahre! Von meinem ersten Liebhaber habe ich sie überkommen, und getreue habe ich sie ihm zum Gedenken bewahrt, bis zur Stunde, und vielen davon abgegeben, so oft ich nur konnte. Und sie ist gar nicht so schlecht, die Krätze, mein lieber Kienmichel«, fuhr die alte Schmorbarten fort, »ist man erst an sie gewöhnt. Hat man doch einen Zeitvertreib, liegt man nachts im Bett und kann nicht schlafen. Hier kratzt man sich, dort kratzt man sich, und manchmal, bin ich recht schön warm, brauche ich drei Stunden, ehe ich nur einmal mit Kratzen herum bin, so klein und verhutzelt ich auch bin.«



Mein Vater aber war anderer Meinung denn die Schmorbarten, schweigend packte er meine wenigen Habseligkeiten in seinen Kienkorb, mich setzte er schließlich obenauf. Die Schmorbarten sah dem gewaltig schmälend zu, denn sie merkte wohl, mein Kostgeld sagte ihr Valet, und sie bat meinen Vater recht spöttisch, doch ja nichts zu vergessen, der Herr Prinz von Buckelanien habe sicher noch ein paar Lust- und Liebesläuse in seinem Bette vergessen! Da mein Vater gar nichts antwortete, lief ihr Maulwerk immer schneller, und wie eine wahre Otter tropfte sie in jedes Wort noch Gift hinein: daß ich nie würde sprechen und gehen lernen wie andere Kinder und daß meine Mutter wohl von einem Teufel umarmt worden sei, solchen Wechselbalg in die Welt zu setzen!



Mein Vater, der mich trotz meiner Mißgestalt damals schon lieben gelernt hatte, muß solches oft schon selber gedacht haben. Betrübt schritt er, ohne ein Gegenwort, mit mir auf der Hucke die Gasse entlang, überlegend, was mit mir wohl zu tun sei. Denn mich in den wilden Wald mitzunehmen, war wegen meines zarten Alters und wegen meiner Kränklichkeit nicht rätlich; für das geringe Kostgeld aber, das er aufbringen konnte, hätte mich kein ehrbares Mensch zu sich genommen, sondern höchstens wieder solche Saufgurgel und Giftnudel wie die Schmorbarten.



Über seinem Sinnen und Grübeln fiel meinem Vater plötzlich ein Klausner ein, von dessen ausnehmender Frömmigkeit und wunderbarer Heilkraft sich die Leute in Schalkemaren zu jener Zeit mancherlei Erstaunliches erzählten. Gleich wurde meinem Vater leichter zumute und rascher schritt er aus. Er bildete sich nämlich in seinem waldkrienenen Unverstande ein, der fromme Klausner brauche nur einen Segensspruch über mich zu sprechen und gleich werde mir der Buckel in die Schenkel rutschen, die’s freilich grausam nötig hatten, denn sie waren nicht dicker als die Haselgerten, mit denen die Magister die Buben streichen. Auf der anderen Seite machte es ihm aber schon jetzt gewaltigen Kummer, was dem frommen Manne als Gegengeschenk für meine Heilung zu verehren sei. Denn das wußte er von Mönchen, Pfarrern, Domherren, Prälaten, Nonnen, Laienbrüdern, Äbten und Äbtissinnen, und wie das geistliche Volk alles heißt, daß der einfache Mann den Himmelswagen um so eifriger schmieren muß, je größer seine Not ist. Er tröstete sich aber schließlich mit dem Gedanken, daß der Klausner, sei die Heilung erst einmal geglückt, auch drei oder seien es gar zehn Kiepen Kien in seiner kalten Felsenhöhle gar wohl würde gebrauchen können.



Das war ein gar fröhliches Wandern durch die Sonne und den sommerlich grünen Wald! Hin zu den felsigen Bergen, in denen der Klausner hauste, gingen wir Schritt um Schritt, und mein Vater hat mir nachmals berichtet, daß ich auf jenem Wege zum ersten Male recht narrenhaft auf der Kiepe getanzt und gelacht habe, während bis dahin nur ein jämmerliches Greinen mein einziger Lebenslaut gewesen sei. War es doch auch das erste Mal, daß ich recht hinauskam in Sonne und frische Luft, während ich bis dahin immer in finstern Kammern hatte liegen müssen und höchstens einmal, auf einem Arme hockend, durch die riechenden Gassenschluchten getragen worden war! Da kann sich wohl ein Kindlein freuen, und ist es ein Buckel, freut es sich zweifach! Denn keiner ist so begierig nach Lachen wie ein Ast, der immer nur verlacht wird.



Als die Mittagsstunde da war, stieß mein Vater gerade recht auf einen Ziegenjungen. Dem gab er einen Messingknopf von seiner Joppe und durfte dafür an der besten Ziege lutschen, soviel er mochte. Die Milch küßte er mir in den Mund und dazu gab er mir Brot, das er schön vorgekäuet hatte – und ich soll so viel gegessen und getrunken haben, daß ich sofort danach in einen tiefen Schlaf verfiel und nicht eher wieder aufwachte, als bis mein Vater vor dem frommen Klausner stand.



Der war eher ein zierlicher Mann, in einer langen Kutten über den ganzen Leib weg, mit einem langen weißen Bart und seltsamlich jungen Augen rechts und links von einer fast zierlichen Nas. Meinem Vater war recht absonderlich und wunderlich vor dem frommen Manne, als er ihm sein Anliegen vortrug; er meinte aber, es komme von der großen Frömmigkeit, die ihn verwirrt mache. Zudem war der Klausner noch recht barsch und harsch mit ihm und befahl ihm strenge, den Knaben, dem der Teufelssame schon von weitem anzuriechen sei, eiligst aus seiner frommen Klause zu tragen. Denn es bedürfe vieles Weihwassers, sie wieder nach so schlimmem Besuch zu reinigen, und es sei ihm eben knapp, denn der Papst schicke erst kommende Woche wieder etwas aus seiner Stadt Rom zu ihm.



Damit glaubte er, den groben Waldklotz abgefertigt zu haben; mein Vater aber, der alle Hoffnung auf ihn gesetzt hatte, legte sich auf ein recht herzbewegliches Bitten, wie ich doch ein arm unschuldig Kindlein und mir der Buckel nur gewachsen sei, weil mich meine liederliche Schlumpen von Mutter habe fallen lassen. Und um den Klausner ja recht zu rühren, nestelte er meine Kleider los, damit die blutigen Schrunden und Wunden sein Herz bewegen möchten – statt klingenden Silbergeldes. Als der Klausner mich aber da so nackt und bloß in meiner Mißgestalt sah, fuhr er erst recht auf mich zu, wies mit dem Finger und schrie: Da sehe man es ja, das Teufelsmal, und ich werde verflucht sein, in alle Ewigkeit verflucht!

 



Ich lag ganz still und wohl ausgeschlafen unter dieser Bedrohung, denn ich verstand sie nicht, wohl aber hatte ich ein wachsam Auge auf den langen weißen Bart des Klausners, denn solchen Bart hatte ich noch nie gesehen. Mein Vater trug wohl auch einen Bart, aber der war rötlich und nur kurz, weil ihn mein Vater, konnte er ihn um den Finger wickeln, sich auf dem Hackeklotz mit dem Beil abhackte – und die Schmorbarten hatte nur ein paar fliegende Haare am Kinn getragen.



Als nun der Klausner auf mich z

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