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Die Holländerin

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Erster Band

Der Held des gegenwärtigen Romans ist »die Holländerin« ist derselbe, den uns der Verfasser in seinem vorangegangenen Werke, »Die beiden Selbstmörder« oder »Vier Frauenabenteuer«, in so reizenden Situationen vorführt. Die in jenem äußerst spannend vorbereitete Katastrophe entwickelt sich in dem Vorliegenden Werke und dürfte das Erscheinen desselben den Freunden der Dumas’schen Muse willkommen sein.

Der Übersetzter.

I

Im Hofe der Posthalterei zu Sesto-Calende stand ein Postwagen zur Abfahrt bereit. Mit lauter Stimme, eine Liste, in der Hand haltend, las der Conducteur die Namen der Reisenden, welche er befördern sollte. Als der Name »Herr Van-Dick« gerufen wurde, stieg ein Mann von auffallender Leibestärke in den Coupé, der noch leer war, und nahm, sich gemächlich ausbreitend, Platz darin. Schon fand der Postmann im Begriffe, die Thür des Wagens zu schließen, als ein junger Mann eilig aus dem Bureau trat und ihm eine Karte überreichte . . . Die Thür des Coupés, worin der dicke Herr saß, ward wieder geöffnet und der Zuletztgekommene nahm an der Seite des Wohlbeleibten Platz.

Nachdem alle Reisende in dem Wagen ihre Plätze genommen, trat der Conducteur an den Coupé, in welchem Herr Van-Dick und der junge Mann allein saßen.

– Hier fehlt noch Jemand, sprach er; es sind drei Plätze bezahlt und ich sehe nur zwei Personen.

– Ganz recht, antwortete der dicke Herr, ich habe zwei Plätze gemiethet!

– So erwarten Sie wohl noch Jemanden?

– Nein, ich habe es gethan, um bequemer sitzen zu können.

Der Conducteur lächelte, schloß die Thür des Wagens und bestieg einen Platz.

Der dicke Herr sah den jungen Mann an und sprach:

– Auf diese Weise wird einer dem andern nicht zur Last fallen.

– Es ist wahr, mein Herr! antwortete dieser. Es ist ein Luxus, den ich um so mehr bewundere, als ich davon profitiere. – Um so begreiflicher wird er Ihnen erscheinen. Denken Sie sich einmal, wenn drei solcher Reisende, wie ich bin, in diesem Coupé säßen, würde man nicht den einen erdrücken und den andern auf die Landstraße werfen müssen, um frei athmen zu können?

– Wenn man sich ein wenig einrichtet, entgegnete der junge Mann mit einer treuherzigen Miene, würde man wohl nicht nöthig haben, solche schmerzhaften Expeditionen auszuführen.

Herr Van-Dick lächelte, wie ein reicher Mann lächelt, wenn er sagen will: »ich habe das Recht, so zu handeln, wie ich handele.« Dann fuhr er fort:

– Es ist übrigens auch meine Gewohnheit, wenn ich reise, daß ich mir stets zwei Plätze kaufe. Einmal bin ich jedoch dabei angeführt.

– Wie ist das gekommen?

– Ganz einfach. Ich hatte nämlich zu jener Zeit einen Menschen in meinen Diensten, der über alle Begriffe dumm war. »Peter, spreche ich zu ihm, geh’ und bestelle mir zwei Plätze auf der Diligence, ich habe eine dringende Reise zu machen.«

– Wie, zwei Plätze? antwortet er mir.

– Ja, zwei Plätze!

– Peter kommt zurück und giebt mir ein Billet, wonach mir zwei Plätze reserviert sind. Wie immer, waren auch diese beiden Plätze für mich allein bestimmt. Ich komme also auf der Post an, steige in den Wagen und mache es mir bequem, wie Sie es vorhin von mir gesehen haben: da steigen plötzlich noch zwei wohlgenährte Personen ein und setzen sich neben mich. Ich rufe den Conducteur und spreche zu ihm:

– Hier waltet ein Irrthum ob!

– Wie so? fragt er.

– Weil ich zwei Plätze bezahlt habe. Sind nicht auf den Namen Van-Dick zwei Plätze eingetragen?

– Ganz recht

– Nun, so hat der eine dieser Herrn nicht das Recht, hier zu bleiben.

– Der Conducteur sieht abermals in seine Liste, dann spricht er:

– Sie irren sich, mein Herr, nicht ich; es sind zwei Plätze für sie reserviert, aber einer davon befindet sich im Coupé, der andere im Cabriolet!

– Demnach war ich gezwungen, in einer höchst bedrängten Lage die Reise bis Brüssel zu machen.

– Sind sie ein Oesterreicher?

– Nein, mein Herr, ich bin ein Holländer!

– Wie, rief der junge Mann in einem Tone, dem deutlich anzuhören war, daß er sich über einen dicken Nachbar ein wenig lustig machte, Sie sind ein Holländer? Holland soll ein schönes Land sein!

– Ein schönes und reiches Land!

– Sie scheinen. Ihr Vaterland zu lieben?

– Man liebt stets das Land, in welchem man geboren ist, wo man nach seinen Gewohnheiten lebt, seine Familie hat und sein Vermögen erworben.

Der junge Mann sank in die Ecke des Wagens zurück und flüsterte leise: »der Mann ist sehr glücklich!« Ein tiefer Seufzer folgte dieser Aeußerung und hätte Herr Van-Dick nicht ein Zeitungsblatt aus der Tasche gezogen und sich zum Lesen angeschickt, so würde er wahrgenommen haben, daß sein Nachbar sich in ein tiefes Nachdenken verlor.

Bei dem Anblicke des Glückes drückt die Last des Unglückes doppelt schwer. Dies empfand in diesem Augenblicke unser junge Reisende, der ohne Vaterland, ohne Familie und ohne Vermögen einem ungewissen Ziele entgegenging, oder richtiger gesagt, ohne Ziel reifte. Tristan war zuletzt Tenorist am Theater zu Mailand gewesen, und noch vor kurzer Zeit hätte er den reichen, gemüthlichen Holländer nicht beneidet, da er sich alles dessen zu erfreuen gehabt, was das Leben angenehm macht; doch in diesem Augenblicke, von den Frauen betrogen und durch sie feiner Stellung beraubt, schien ihm das Loos seines Reisegefährten sehr beneidenswerth, der mit großer Zufriedenheit eine Dose öffnete, eine Prise wohlriechenden Tabaks schnupfte und ruhig das Zeitungsblatt entfaltete. Aus dem geöffneten Journale fiel ein Brief zur Erde, ohne daß es Herr Van-Dick merkte.

Tristan hob ihn auf und überreichte ihn seinem Besitzer.

– Sie verlieren dieses Papier, mein Herr.

– Danke, danke! sprach der Holländer und lächelte, indem er die Aufschrift ansah.

– Er ist von meiner Frau. Tristan machte mit dem Kopfe und den Blicken eine Bewegung, die eben so gut sagte: »Ah, Sie sind verheirathet, ich mache Ihnen mein Kompliment;« als auch: »Was Sie mir da sagen, ist mir sehr gleichgültig!«

– Sind Sie verheirathet? fragte der Holländer.

– Nein, mein Herr! Ich kann mit Recht sagen, daß ich nicht verheirathet bin, dachte Tristan, da ich nicht einmal weiß, wo meine Frau ist.

– Das ist schlimm, sehr schlimm! entgegnete Herr Van-Dick,

– Je nachdem!

– Es ist immer schlimm!

– Wenn aber die Frau schlecht ist?

– Die Frau ist immer gut.

– Diese Annahme ist sehr kühn.

– Sie ist nur wahr, mein Herr. Ich gestehe es zu, daß keine Frau gut geboren wird, aber sie wird es später.

– Durch die Sorgfalt, welche man ihr widmet?

– Selten.

– Durch die Liebe, die man zu ihr hegt?

– Mitunter.

– Wohl gar durch Gleichgültigkeit?

– Ganz recht, mein Herr, ganz recht! Widmet man einer Frau viel Sorgfalt, so wird sie sich stets schwach und leidend geben; betet man sie an, so giebt sie sich nach Maßgabe der Liebe als ein Tyrann, und als ein Opfer, wenn man sie nicht mehr wie früher liebt; weiß aber die Frau, weder daß man sie liebt, noch daß man sie nicht liebt, sieht sie, daß man sie ohne Enthusiasmus und ohne Verachtung behandelt, spricht man nur zu ihr: »Ich frühstücke um elf Uhr und esse um 6 Uhr zu Mittag«, redet nie von Geschäften mit ihr, legt ihr nie Rechenschaft von feinen Handlungen ab und sieht sie nur bei Tische: dann können Sie sich versichert halten, mein Herr, daß die Frau eine Sclavin ist, die sich mit einem Lächeln begnügt, an einer Zärtlichkeit hoch erfreut, und sich nicht besser hält, als die Pfeife, die ihr Mann raucht, oder das Bier, das er trinkt.

– Diese Theorie hat vielleicht in Holland ihr Gutes; in allen übrigen Ländern würde sie aber sehr mangelhaft sein.

– Die guten Theorien sind für alle Länder gut. Der Schöpfer hat alle Frauen nach einem Modelle geschaffen und allen dasselbe Herz gegeben.

– Ja, aber nicht dasselbe Gesicht, nicht denselben Character. Es giebt Länder, in denen die Frauen heißeres Blut und heftigere Leidenschaften besitzen, als in manchen andern. Wenn Ihre Theorie auch bei den Frauen des Nordlandes ihre Anwendung fände, so möchte dies wohl bei denen der Südländer nicht der Fall sein.

– Ich zweifle daran, mein Herr.

– Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie unrecht haben. Ich habe in dieser Beziehung lange und gründliche Studien angestellt. Wollte man außerdem Ihre Ansicht als Regel gelten lassen, so kann ich Sie versichern, daß diese Regel sehr viel Ausnahmen erleidet.

– Wohl möglich, antwortete lächelnd Herr Van-Dick, ich kenne nicht alle Frauen. Alles was ich weiß, ist, daß ich mich vor zehn Jahren verheirathete, daß meine Frau sehr schön, aber auch sehr kokett war, und daß sie alle jene Fehler besaß, welche die elegante Welt für Tugenden hält; daß sie aber nach zwei Monaten, kraft meines festen Willens und meiner unerschütterlichen Gleichgültigkeit gegen sie und ihre Launen, ordentlich, ökonomisch und sanft geworden ist, daß ich jeden Tag um elf Uhr frühstückte, um sechs Uhr zu Mittag aß, im Hause nie ein Wort mit ihr sprach, kam und ging wie es mir beliebte, und daß ich, mit einem Worte, stets dasselbe Gesicht und dasselbe Herz vorfand.

– Sie sind ein glücklicher Mann!

– Wahrhaftig, das bin ich. Da sehen Sie die ersten Zeilen dieses Briefes: »Mein Geliebter, mit großer Freude vernahm ich deine Rückkehr, denn ich vermisse schmerzlich deine Anwesenheit. Auch Julius erwartet Dich mit großer Ungeduld.« Julius, unterbrach sich der Holländer, ist nämlich mein Sohn!

– Ah, Sie haben auch einen Sohn?

– Einen schönen, blonden Jungen von neun Jahren.

– Und jetzt kehren Sie in den Schooß Ihrer Familie zurück?

 

– Ach Gott ja!

– Haben Sie eine Vergnügungsreise gemacht? fuhr der Tenor fort, der in dieser neuen Bekanntschaft Zerstreuung und Erheiterung fand.

– Es war eine Vergnügungs- und Geschäfts-Reise, antwortete der Holländer.

– So, Sie sind also in Geschäften?

– Ich bin der Chef eines sehr großen, und kann mit Recht sagen, eines sehr bekannten Handlungshauses.

– Und während die er Zeit besorgt Madame Van-Dick alles allein, was sonst Sie besorgten?

– O nein, ich habe meiner armen Frau einen Commis zur Hilfe gegeben, einen sanften, einsichtsvollen jungen Mann.

– So, sprach Tristan und unterdrückte mit Mühe ein Lachen, das seine Lippen zu sprengen drohte – es ist ja wahr, Sie müssen einen Commis haben.

– Mein Haus würde ohne ihn nicht bestehen können, da ich sehr oft verreisen muß. Der arme Mensch hat viel Arbeit!

– Ich glaube es.

– Alles, was ich nicht thun will, sprach Herr Van-Dick, muß er thun. Tristan glaubte dieser Phrase eine geistreiche Absicht unterlegen zu können, aber die ungeheure Ruhe und Gutherzigkeit, die sich in dem Gesichte des Kaufmanns aussprach, belehrte ihn eines andern.

– Ist dieser Commis schon lange in Ihren Diensten?

– Zwei Jahre. Sein Vorgänger war ein schlechtes Subject, dem Euphrasia kein Vertrauen schenkte. Euphrasia ist nämlich der Name meiner Frau. Deshalb gab ich ihm seinen Abschied, denn in wichtigen Sachen, das heißt in solchen, von denen meine Ruhe abhängt, richte ich mich stets nach Euphrasia. Er hat sie betrogen.

– Er hat sie betrogen? wiederholte Tristan, der nicht wußte, welchen Sinn er in diesen Satz legen sollte.

– Ja, er hat die Frau betrogen, die ihn recht sehr liebte.

– Das ist ein wenig stark! dachte Tristan. Dieser Mensch ist entweder verrückt, oder er ist ein gemästeter Richelieu. Und der, den Sie jetzt haben, sprach er laut, betrügt ihre Frau nicht?

– O, dieser ist ein Muster von Aufmerksamkeit und Sorgfalt für sie und mich. Wenn er fortfährt, sich so zu betragen, werde ich ein Glück machen und ihn verheirathen, vorausgesetzt, daß Euphrasia nichts dagegen hat.

– Warum sollte sie etwas dagegen haben?

– Weil sie ihn mehr liebt, als seinen Vorgänger.

– Ist er vielleicht ein Verwandter von Ihnen?

– Nein!

– Wenn Sie ihm aber so gewogen sind, müßte Sie doch nichts abhalten, ihn zu verheirathen, und seiner Frau eine Anstellung in Ihrem Hause zu geben.

– Das wird Euphrasia nicht wollen.

– Warum?

– Sie ist eifersüchtig.

– Auf Ihren Commis?

– Ja.

– Wäre Tristan nicht von den Wänden und der Decke des Wagens eingeschlossen gewesen, er hätte einen Satz von sechs Fuß Höhe gemacht. Der Holländer erzählte alle diese Sachen mit einer so enormen Kaltblütigkeit, daß man hätte glauben mögen, er erheuchele sie ausdrücklich, um, wie man zu sagen pflegt, Tristan blau anlaufen zu lassen.

– Verzeihung, fuhr der Tenor fort, wenn ich diese Frage an Sie richte: wenn Ihre Frau nun eifersüchtig auf die Frau Ihres Commis sein kann, müssen Sie dann nicht eifersüchtig auf den Commis sein?

– Ich?

– Ja!

– Warum?

– Potz Element! sprach Tristan und dehnte die Frage bis zu den äußersten Grenzen aus, um zu wissen, was er von seinem Nachbar zu halten habe. – Potz Element! Wenn Ihre Frau ihn liebt, so entwendet er Ihnen natürlich einen Theil der Liebe, welche Ihre Gattin Ihnen ganz zu geben schuldig ist.

– Irrthum!

– Wie so?

– Er liebt mich mehr, als meine Frau.

– Glauben Sie?

– Ich bin davon überzeugt. Wenn er mich mehr liebt, als Euphrasia, giebt er mir mehr, als er mir nimmt. Nach der regula de tri ganz richtig gerechnet.

– Zugestanden, sprach Tristan, nachdem er einen Augenblick überlegt; was thut er aber für Sie?

– Wie ich bereits gesagt, alles, was ich nicht thun will, zum Beispiel – —

– Zum Beispiel? fragte Tristan rasch, der nun die vollständige Erklärung erwartete.

– Zum Beispiel, fuhr der Holländer mit leutseliger Miene in einem gutherzigen Tone fort, führt er meine Bücher, und ich muß gestehen, daß er sich nie um einen Pfennig verrechnet; bin ich abwesend, so führt er meine Frau spazieren und auf den Ball, mit einem Worte, er thut. Alles, was man von einem wahren Freunde verlangt.

– Dieser Mann ist ein Geheimniß, dachte Tristan, er ist entweder ein großer Narr, oder ein großer Philosoph. Sie sind sehr glücklich, sprach er laut, um Herrn Van-Dick auf die Antwort wieder zurückzuführen, die er zu erwarten schien, Sie sind in der That sehr glücklich, da Sie einen wahrhaften Freund besitzen.

– Haben Sie nie einen solchen gehabt?

– O ja!

– Nun?

– Ich habe ihm das Leben gerettet, und dafür gab er mir einen Degenstich.

– In die Brust?

– In die Schulter.

– Ein Glück, daß er Sie nicht getödtet hat. Verursacht ein Degenstich große Schmerzen?

– Je nachdem man ihn empfängt.

– Ich meine im Arm oder in der Schulter?

– An diesen Orten ist er mehr lästig, als schmerzhaft.

– Das dachte ich mir.

– Warum diese Frage?

– Weil ich mich einmal schlagen sollte.

– Wegen einer ernsten Sache?

– Nein, nur wegen eines Menschen, der mir gesagt, daß Euphrasia mich hinterginge. Ich stand zufällig und gab ihm eine Ohrfeige; hätte ich gesessen, würde ich ihm nicht geantwortet haben.

– Und was that der andere?

– Er forderte mich.

– Nahmen Sie die Forderung an?

– Ja, aber ich habe mich nicht geschlagen.

– Hat er Sie um Entschuldigung gebeten?

– Nein, wir bestimmten für den folgenden Tag ein Rendez-Vous. Als ich nach Hause kam, fand ich den Commis vor, von dem ich Ihnen vorhin erzählte, daß er meine Bücher führt. Es war gerade am Ende des Monats, er hatte viel Zahlungen zu machen, und beschäftigt mit diesen Zahlungen, vergaß auch ich, daß ich mich den nächsten Morgen schlagen sollte. Den größten Theil der Nacht brachte ich mit dem Ordnen der Rechnungen zu und ging spät zu Bett. Es war sehr kalt und um elf Uhr des Morgens schlief ich noch so sanft, wie man nur sanft schlafen kann. Da ward ich geweckt. Als ich die Augen öffnete, sah ich den Mann vor mir, dem ich Tages zuvor eine Ohrfeige gegeben hatte – er schien vor Kälte ganz erstarrt zu sein.

– Mein Herr, sprach er mit zornbebender Stimme, seit drei Stunden erwarte ich Sie!

– Nun, fragte ich.

– Nun, mein Herr, Sie sind nicht zum Rendez-Vous gekommen?

– Ich weiß es, mein Herr, da ich noch im Bette liege.

– Aber mich friert!

– Das kann mir sehr gleichgültig sein, denn mir ist warm.

– Sind Sie bereit, mir zu folgen?

– Fällt mir nicht ein. Ich habe nicht Lust, wie Sie, mit den Zähnen zu klappern, weiße Backen und eine rothe Nase zu bekommen. Wann waren Sie an dem bestimmten Orte?

– Um acht Uhr, mein Herr.

– Und Sie haben mich erwartet?

– Bis elf Uhr – macht drei Stunden.

– Da hat Sie wohl sehr gefroren?

– Ich bin ganz erstarrt, antwortete mein Gegner, und werde wohl eine Krankheit davon tragen.

– Nun, mein wackerer Freund, sprach ich, ich finde, daß Sie für die mir zugefügte Beleidigung genug gestraft sind, ich verzeihe Ihnen, gehen Sie nach Hause. Legen Sie sich in ein gut gewärmtes Bett, trinken Sie eine Taffe heißen Syrup und es wird Ihnen nichts schaden. Leben Sie wohl, mein Bester, und hüten Sie sich in Zukunft vor Unbesonnenheiten.

»Mit diesen Worten wandte ich mich in meinem Bette um, um wieder einzuschlafen; der Herr aber fuhr fort zu schreien und zu toben. Da zog ich die Glocke und ließ ihn zur Thür hinauswerfen. Ich glaube, mein Commis hat die Sache in Ordnung gebracht, da er es war, den jener Herr mir als den Liebhaber meiner Frau bezeichnete. Ich habe nie wieder etwas von meinem Gegner gehört.«

Tristan sah Herrn Van-Dick bewundernd an.

– Der ist in der That ein glücklicher Mensch, dachte er. Während dieser Zeit hatte der Holländer, als ob er ganz gleichgültige Sachen erzählte, ruhig und sorgfältig seine Zeitung entfaltet und sie von dem Tabak gesäubert, der darauf gefallen war. In dem Augenblicke, als er zu lesen beginnen wollte, senkte er noch einmal das Blatt und richtete eine mit der Brille bewaffneten Augen auf Tristan.

– Nicht wahr, junger Mann – fragte er – Sie haben sich einer Frau wegen geschlagen?

– Ja!

Herr Van-Dick lächelte und schien den Abschnitt in der Zeitung zu suchen, den er lesen wollte. Als er ihn gefunden, lehnte er sich in die Ecke des Wagens und begann aufmerksam zu lesen.

Tristan betrachtete noch eine Zeitlang dieses Original unter der so ganz gewöhnlichen Hülle, dann weidete er sich an der Landschaft, die sich vor seinen Augen ausbreitete. Da er nichts zu lesen hatte und des Denkens müde war, schob er seine Reisemütze unter den Kopf und schloß die Augen, um zu schlafen.

2
Die Vorsehung nimmt die Gestalt eines holländischen Kaufmanns an

Der Wagen, in welchem sich die Herrn Van-Dick und Tristan befanden, fuhr, wie alle Wagen, welche täglich einen bestimmten Weg zurücklegen müssen. Die Pferde, mit horizontal gerichtetem Halse, trabten mit einer ruhigen und einförmigen Langsamkeit, welche zu beobachten Vergnügen gewährt. Der Kutscher, halb im Schlafe auf seinem hohen Sitze, läßt, wie Hippolyt, die Zügel über seine Renner herabhängen, und weckt ihn dann und wann ein Stoß des Wagens, so versetzt er den Rossen einen wohlthätigen Peitschenhieb, den diese mehr für eine freundschaftliche Erinnerung, als für einen Beweis des Zornes halten, denn sie bewegen sich auch nicht um ein Haar rascher, sondern thun, als ob nichts vorgefallen wäre. Der Wagenlenker schließt seine Augen wieder und bleibt unempflindlich gegen die Reize, mit welchen ihn die Natur umgiebt.

Niemand beklagt sich übrigens darüber, denn es ist eine stillschweigend angenommene Sache, daß dieser, von zwei magern Pferden gezogene alte Holzkasten sich mit den Flügeln der Jugend nicht versuchen kann, da er sonst denen, die er befördert, gefährlich werden möchte. In einer solchen Lage bleiben dem Reisenden nur drei Dinge zu thun: er plaudert, wenn er einen Nachbar zum Plaudern hat, er liest, wenn er ein unterhaltendes Buch hat, oder er schläft, wenn er Schlaf hat. Tristan hatte geplaudert, ein Buch hatte er nicht, folglich schlief er.

Herr Van-Dick hatte seine Lektüre beendet und war, wie es schien, nicht sonderlich davon erbaut. Nachdem er das Zeitungsblatt wieder zusammengelegt, eine Prise duftenden Tabaks geschnupft und die Brille sorgfältig in ihr Etui gesteckt, blies er die Tabakskörner von seinem Hemde und räusperte sich, wie ein Mensch, der nicht mehr weiß, was er thun soll.

Tristan, der nur in einem leisen Schlafe lag und auf einen Vorwand zum Erwachen wartete, bewegte sich und schlug die Augen auf.

– Nun, mein Herr, sprach er, haben Sie Ihre Lectüre beendet?

– So eben, und Sie, haben Sie Ihren Schlaf beendet?

– Ja!

– Was zum Teufel, wo können wir sein?

– Ich weiß es nicht.

– Der Conducteur wird doch anhalten, damit wir zu Mittag essen können?

– Hoffentlich, zumal, da es nicht viel Mühe kostet, die Rosse in ihrem Laufe zu hemmen. Ich habe mir schon oft die Frage vorgelegt, was ein Conducteur, der so viel Zeit auf der Reise zubringt, wohl eigentlich denkt.

– Er denkt nicht. Wenn er dächte, wäre er zu entschuldigen.

– Was thut er?

– Er schläft.

– Es würde vortheilhafter und bequemer für ihn sein, wenn er uns schneller führe und sich zu Hause in das Bett legte. Das Phlegma eines solchen Menschen ist zum verzweifeln.

– Mir ist es sehr gleichgültig, antwortete Herr Van-Dick mit großer Ruhe; warum, will ich Ihnen erklären: Ich reise, nicht wahr? Mit einem Platze würde ich schlecht fahren, also nehme ich mir zwei. Ich steige in den Wagen. Befinde ich mich in dem Coupé allein, so habe ich drei Plätze, obgleich ich nur für zwei bezahlt habe; dies ist ein Glück, das ich nicht erwartete und nütze es. Habe ich einen Nachbar, so plaudere ich mit ihm. Finde ich seine Unterhaltung amüsant, so höre ich, und finde ich Vergnügen zu reden, so rede ich. Sehe ich, daß wir nicht zusammen sympathisiren, so vergesse ich, daß er da ist, mache mir es auf meinen beiden Plätzen bequem, ziehe mein Journal aus der Tasche und lese. Langweilt mich mein Journal, so schlafe ich, und habe ich keine Lust mehr zum schlafen, so esse ich, denn ich führe stets einen kleinen Vorrath bei mir. Habe ich keinen Hunger, so betrachte ich die Gegend, und gefällt mir die Gegend nicht, so denke ich. Bei dem Denken komme ich indeß immer zuletzt an, denn es ist sehr ermüdend. Der Conducteur kann mich also nicht ärgern. Fährt er schnell, so freue ich mich über die Schnelligkeit, fährt er langsam, so habe ich das Vergnügen, mich wiegen zu lassen. Indem ich mich so zum Sclaven der Umstände mache, werde ich der Herr derselben.

 

– Sie sind ein glücklicher Mann!

– Haben Sie Unglück gehabt?

– Sehr viel!

– Auch jetzt noch?

– Immer, so lange ich lebe.

– Der Unterschied zwischen uns beiden ist mir klar. Sie lieben Niemanden, nicht einmal sich selbst. Ich liebe zwar auch Niemanden, aber ich liebe mich selbst. Sie sind Misanthrop und ich bin Egoist, bin daher glücklicher als Sie; aber da Sie noch jung sind, können Sie einst eben so glücklich werden, als ich. Warum ärgern Sie sich über den Conducteur? müssen Sie vielleicht irgend wo eilig eintreffen?

– Nein; ich würde nirgends etwas besseres vorfinden, auch weiß ich nicht einmal, wohin ich reise.

– Haben Sie Familie?

– Nein.

– Heirathen Sie.

– Um Geschöpfe zu erzeugen, die einst leiden werden, wie Hamlet sagt. Das ist unnütz, außerdem habe ich auch kein Vermögen und keine Stellung in der Welt.

– Was gedenken Sie zu beginnen?

– Bei Gott, das weiß ich nicht! Vielleicht wird das Schicksal müde, mich zu verfolgen, wenn ich ihm eine Gleichgültigkeit entgegenstelle, wie Sie sie besitzen.

In diesem Augenblicke hielt der Wagen an. Der Conducteur öffnete die Thür des Wagens und kündigte den Reisenden an, daß sie aussteigen und zu Mittag essen könnten.

Tristan und Van-Dick lenkten ihre Schritte der table d’hôte zu und setzten sich hinter die leeren Teller. Der Conducteur nahm am Ende des Tisches Platz, wo ihm die Schüsseln zur Seite standen. Kaum hatte er so rasch seine Suppe, ein Gemüse und seinen Braten gegessen, als nur ein Mensch im Stande ist, zu essen, als er auch schon ausrief:

– Beeilen Sie sich, meine Herrn, beeilen Sie sich!

– Haben Sie dergleichen schon erlebt? fragte Van-Dick unsern Tristan.

– Nein, noch nie.

– Dieser Mensch ist noch stärker, als ich.

– Beneiden Sie ihn?

– Nein, das wäre zu anstrengend; ich bewundere ihn.

– Wie finden Sie das Essen?

– Schlecht.

– Und doch essen Sie?

– Ich habe meinen Grund.

– Welchen?

– Das Bedürfniß, mich zu gewöhnen. Morgen wird mir das Frühstück weniger schlecht erscheinen, das Mittagsessen vielleicht gut und komme ich nach Hause, finde ich dort meine Lebensmittel excellent.

– Sie sind ein großer Philosoph.

– Ich weiß es. Als der Conducteur seine Mahlzeit völlig beendet, ließ er die Reisenden in den Wagen steigen. Herr Van-Dick nahm seine beiden Plätze wieder ein, zog langsam eine Pfeife hervor, lud sie mit Tabak, schlug Feuer, blies es an, legte es auf die Pfeife und begann zu rauchen.

– Geniert Sie der Tabakrauch? fragte er Tristan, als das Feuer sich dem Tabak mittheilte.

Hierauf legte er sich mit einer unbeschreiblichen Behaglichkeit in die Ecke des Wagens und athmete wollüstig den Rauch, den er aus seiner Pfeife blies. Mit wahrer Bewunderung betrachtete Tristan diesen Mann. Der Tag näherte sich dem Abend, die Sonne begann sich zu röthen, ein durchsichtiger Nebel lagerte sich wie ein Bote der Nacht auf die Felder und die Luft war so ruhig, daß der Rauch, den Herr Van-Dick ausblies, einige Augenblicke unschlüssig stehen blieb und sich dann nach und nach verzog.

Bei dem Anblicke dieses Glückes und dieses Wohlbehagens stiegen in dem Geiste unseres Helden unendlich viel Gedanken auf. Herr Van-Dick dachte nichts, er rauchte, betrachtete die verschiedenen Gestalten, welche der Rauch bildete und freute sich über die Kinder, welche in den Dörfern schreiend dem Wagen nachliefen.

Endlich verschmolz die ganze Landschaft in eine Farbe, der Mond flieg herauf, die Nacht kam und die Pfeife des Holländers ging aus, da ihr der Tabak fehlte. Dann schloß er die Augen und ein etwas starkes Athemholen kündigte seinem Nachbar an, daß er eingeschlafen sei.

Nachdem Tristan noch eine Zeitlang über den Wechsel der menschlichen Schicksale nachgedacht, schlief auch er ein.

Als er bei dem ersten Wehen der frischen Morgenluft erwachte, hatte er das Vergnügen, den vollen Schlaf eines Holländers zu erblicken. Tristan vergnügte sich an dieser Menschennatur, und als ob eine gegenseitige Anziehungskraft in Beiden wirkte, vergnügte sich Herr Van-Dick an ihm. Beide kannten sich erst seit zu kurzer Zeit, um sich diese Sympathie zu gestehen, aber unser Tenor genoß das Vergnügen, die Theorien dieses Kaufmanns anzuhören, welche mit seinen Prinzipien ganz übereinstimmten. »Ich hätte besser gethan, sprach er zu sich selbst, wenn ich meine Frau nicht geliebt und nicht geheirathet hätte; ein Mädchen, was ich nicht geliebt, das mir aber einen Fond von Käsen oder Materialwaaren zugebracht, als Lebensgefährtin zu ehelichen, wäre ersprießlicher für mich gewesen, als auf dem Lande zu seufzen, Medicin zu studieren und Verse und Gemälde zu fabriciren. Eine andere Frau hätte mich ebenso geliebt, als die meinige.«

Nachdem er diese Betrachtung vollendet und vielleicht eine Thräne im Auge zerdrückt hatte, erwachte der Holländer.

– Nun, mein Bester, haben Sie gut geschlafen?

– Sehr wenig.

– Ich glaube, wir sind Crevola bereits passiert?

– Ja.

– Aber was fehlt Ihnen, mein junger Freund, Sie scheinen mir traurig zu sein?

– Ich bin es in der That.

– Was ist Ihnen?

– Die Einsamkeit hat traurige Betrachtungen in mir erweckt!

– Haben Sie vielleicht Jemanden verlassen, den Sie lieben?

– Nein.

– Vielleicht eine Geliebte?

– O durchaus nicht. Ich bin traurig, weil man mich da, wohin ich gehe, nicht mehr lieben wird, als dort, woher ich komme.

– In Ihrem Alter bleibt man nicht lange allein. Gott hat den jungen Leuten die Liebe in das Herz gepflanzt, damit sie sich eine Familie anschaffen können.

– Wenn aber die Liebe entflieht?

– Dann bleibt die Freundschaft! wie die Weisen sagen.

– Und wenn man der Freundschaft keinen Glauben schenkt?

– Dann bleiben die Geschäfte, und dabei können Sie versichert sein, keine Freunde zu haben.

– Ganz recht. Um aber Geschäfte zu machen, muß man Vermögen besitzen, das mir fehlt.

– Verstand ist alles, was dazu nöthig ist. Als ich anfing, besaß ich nichts, und jetzt kommandiere ich zwölftausend Thaler jährlicher Renten und bin Chef einer ausgebreiteten Leinewand- und Tuch-Handlung en gros.

– Sie, mein Herr, scheint eine Fee aus der Taufe gehoben zu haben.

– Wer verhindert. Sie, dieselbe Gevatterin zu haben?

– Der Platz ist besetzt.

– Man wird Ihnen helfen.

– Wer?

– Jeder. Ich!

– Sie?

– Ja.

– Und wie würden Sie mir helfen?

– Indem ich mich Ihrer bediene. Sie geben mir Ihre Intelligenz, und ich gebe Ihnen eine Stellung. Was haben Sie gelernt?

– Alles, und nichts!

– Schreiben Sie eine gute Hand?

– Eine sehr gute.

– Verstehen Sie Mathematik?

– Vollkommen.

– Sprechen Sie fremde Sprachen.

– Ich spreche deren vier.

– Welche?

– Französisch, Deutsch, Englisch und Italienisch.

– Und mit diesen Kenntnissen verzweifeln Sie?

– Ich habe bereits alles versucht, bin aber immer noch auf demselben Flecke.

– Haben Sie die Handlung betrieben?

– Nie.

– Ah, Sie fürchten wohl, sich die Hände an den Stoffen und Registern zu beschmutzen? Sie wollen lieber ein unverstandener Künstler sein, als ein positiver Kaufmann! Glauben Sie mir, junger Mann, es geht nichts über den Handel. Millionen in Bewegung setzen, Schiffe beladen, und gegen Elemente und Zufall spielen, hat einen besonderen Reiz, eine besondere Poesie.

– Sie haben recht.

– Das will ich meinen!

– Und Sie glauben, mein Herr, daß ich Ihnen in etwas nützlich sein könnte?

– Ich glaube es. Mir fehlen Ihre Kenntnisse, und Ihnen fehlt mein Geld. Verschmelzen wir uns, wir werden eine profitable Masse bilden. Tristan rückte Herrn Van-Dick näher.

– Ach, mein Herr, sprach er, Sie verbinden mich unendlich!

Sie nehmen mir einen Platz, sprach lächelnd der Holländer. Tristan zog sich zurück.

– Reden Sie nicht von Verbindlichkeit, wir machen ein Geschäft, und nichts anderes. Ich ärgere mich nicht, Ihnen einen Dienst zu leisten, aber ich freue mich, meinen Vortheil dabei zu finden. Also Sie sprechen Englisch?

– Vollkommen.

– Und Deutsch?

– Ebenso.

– Und Italienisch.

– Wie Manzoni.

– Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?

– Es ist glücklicherweise noch Zeit.

– Wie viel wollen Sie für das alles haben?

– Was Sie mir geben.

– Wissen Sie, wozu ich Sie anwenden werde?

– Nein.

– Ich habe Ihnen gesagt, daß ich einen Sohn habe.

– Nun?

– Dieses Kind wird von seiner Mutter angebetet, sie will sich nicht von ihm trennen. Darum bleibt es zu Hause und Sie leiten seine Erziehung Verstanden?

– Vollkommen.

– Dafür biete ich Ihnen tausend Thaler.

– Das ist ein Vermögen.

– Sie leben in meinem Hause, wie ich selbst.

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