Tom Sawyers Abenteuer

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»O, nicht doch, Tom – es ist –«

»Thomas!«

»So ist's recht. Ich dachte doch, der Name müsse etwas länger sein. Und ich denke, du hast noch einen andern dazu, und wirst ihn mir sagen. Nicht?«

»Nenne dem Herrn deinen andern Namen, Thomas, und sage Herr! Sei nicht unartig!«

»Thomas Sawyer, Herr!«

»Das ist's. Braver Junge! Artiger Junge! Ein braver, mannhafter kleiner Junge! Zweitausend Verse sind viel, sehr viel. Und es wird dich nie gereuen, so viel Mühe an Erlernung derselben gewendet zu haben; denn Kenntnis ist mehr wert, als alles andere. Kenntnisse machen große Männer und gute Männer; du selbst wirst ein großer und ein guter Mann werden, Thomas, und dann wirst du zurücksehen und sagen: ›Das alles verdanke ich dem Glück, in meinen Knabenjahren die Sonntagsschule besucht zu haben, – das alles verdanke ich meinen lieben Lehrern, die mich zum Lernen anhielten, – das alles verdanke ich dem guten Superintendenten, der mich ermutigte, über mir wachte, und der mir eine schöne Bibel gab, eine prachtvolle Bibel, ganz zu eigen für immer! – Das alles verdanke ich meiner guten Erziehung! Das wirst du sagen, Thomas, und du würdest deine zweitausend Verse nicht für alles Geld der Welt hingeben, ganz sicher nicht! Und nun denke ich, wirst du wohl mir und dieser Dame da etwas von deinen Kenntnissen mitteilen wollen, nicht wahr? Wir sind stolz auf solche kleine, lernbegierige Knaben. Du kennst gewiss die Namen der zwölf Jünger. Willst du uns nicht die Namen der beiden Erstberufenen sagen?‹«

Tom zerrte an einem Knopfloch und machte ein Schafsgesicht. Dann errötete er und senkte den Blick. Mr. Walters Herz sank. Er sagte sich, dass der Junge nicht imstande sei, auch die kleinste Frage zu beantworten. Was zum Henker! musste der Richter auch fragen! Indessen ermannte er sich und sagte: »Gib dem Herrn Antwort, Thomas, sei nicht so blöde!«

Tom schwieg.

»Aber mir wirst du es doch sagen?«, sagte die Lady. »Welches waren die zwei erstberufenen Jünger?«

» David und Goliath

Werfen wir den Mantel christlicher Liebe über die auf diese Antwort folgende Szene.

Fünftes Kapitel
Ein nützlicher Pfarrer – In der Kirche – Die Steigerung

Gegen halb 11 Uhr begann die zersprungene Glocke der kleinen Dorfkirche zu läuten und die Einwohnerschaft sammelte sich zur Frühpredigt. Die Sonntagsschulkinder zerstreuten sich mit ihren Eltern in die Kirchenstühle. Tante Polly kam und Tom und Sid und Mary setzten sich neben sie; Tom zunächst am Seitenschiff, um dem verlockenden Fenster und der Aussicht in die verführerische Sommerszene nicht zu nahe zu sein. Die Menge strömte dem Chorgang entlang: der alte schäbige Postmeister, der bessere Tage gesehen hatte; der Bürgermeister mit Gattin – denn unter anderem Überflüssigen hatten sie auch einen Bürgermeister –; der Friedensrichter; die Witwe Douglas, eine schöne, alerte Vierzigerin, edelmütig, gutherzig und reich; ihre auf dem Hügel gelegene Wohnung war das einzige palastähnliche Gebäude im Dorf, und die von ihr häufig gegebenen Feste die gastlichsten und freigebigsten, deren Petersburg sich rühmen konnte; der gebückte, ehrwürdige Major und Mistress Ward; Advokat Riverson, neu angekommen und annähernd zu den Honoratioren zählend; dann die Dorfschöne, einen Trupp junger, weißgekleideter, bebänderter Herzbrecherinnen im Gefolge, die wieder einen Schweif junger Commis nachschleppten, nachdem diese in corpore in der Vorhalle versammelt, geckisch an ihren Stockgriffen kauend und nach Parfümerie stinkend, die ganze Mädchenschar im Vorüberziehen gemustert hatten. Zuletzt nach allen erschien der verhasste Musterknabe Willie Mufferson mit seiner Mutter, für die er so große Sorge trug, als wäre sie ganz aus Glas zusammengesetzt. Er begleitete sie immer zur Kirche und war der Stolz aller alten Weiber, dagegen war er bei allen Jungen verhasst. Er war ja so gut! Und dann hatte man ihn ihnen so oft als Muster vorgestellt! Ein weißes Tuch hing ihm, wie gewöhnlich an Feiertagen, zufällig zur Rocktasche heraus. Tom hatte kein Taschentuch und betrachtete die damit Ausgestatteten als Zierbengel.

Die Versammlung war nun vollzählig; die Glocke erklang zum letzten Mal, um Säumige zur Eile zu spornen. Tiefe Stille herrschte, nur hie und da durch Gekicher und Geflüster vom Chor her unterbrochen. Der Chor kicherte und flüsterte regelmäßig während der ganzen Dauer des Gottesdienstes. Ich sah einst einen gesitteten Chor; es ist aber so lange her, dass ich nicht mehr weiß, wo. Wahrscheinlich im Ausland.

Der Prediger gab die Psalmennummer aus und las die Worte mit ganz eigentümlicher damals sehr geschätzter Intonation der Gemeinde vor. In mittlerer Tonlage beginnend, steigerte er seine Stimme stetig bis zu einer gewissen Höhe, verweilte mit starker Emphase auf dem höchsten Wort und fiel dann, wie vom Sprungbrett geschnellt, wieder herab:

»Und wenn die Welt voll Teufel wär',

Und wollt uns gar verschlingen,

So fürchten wir uns nicht so sehr.

Es muss uns doch gelingen!«

Er galt für den bewundernswürdigsten Vorleser. Bei geistlichen Versammlungen musste er immer Gedichte vortragen, und wenn er schloss, hoben die Frauen die Hände empor und ließen sie hilflos in den Schoß zurückfallen, schlossen die Augen und schüttelten den Kopf, als wollten sie sagen: »Worte können es nicht ausdrücken; es ist zu schön, zu schön für diese vergängliche Erde!«

Nach dem Gesang verlas der hochwürdige Mr. Spragne Tagesberichte über Versammlungen, Gesellschaften, Missionen und es schien, als wollte es gar kein Ende nehmen. Ein seltsamer Brauch, der noch vielfach in Amerika, sogar in den Städten herrscht. Aber je weniger ein Brauch gerechtfertigt, desto schwieriger ist es, ihn los zu werden. Nun begann das Gebet. Ein gutes, langes, ins Detail gehendes Gebet. Er betete für die Kirche und ihre jugendlichen Angehörigen; für die anderen Kirchen des Dorfes; für das Dorf selbst; für die Grafschaft; für den Staat; für die Staatsbehörden; für die vereinigten Staaten; für die Kirche der vereinigten Staaten; für den Kongress; für den Präsidenten; für die Regierungsbeamten; für die vom Sturm gepeitschten Seefahrer; für die bedrängten unter dem Druck europäischer Monarchen und orientalischer Despoten ächzenden Millionen; für diejenigen, welche Augen haben, zu sehen, und Ohren, zu hören, und doch nicht sehen und hören wollen; für die Heiden auf den Inseln der weiten See; – und schloss mit dem Wunsch, dass die Worte, die er nun an die Versammlung richten werde, geneigte Hörer finden, wie Saat auf fruchtbares Erdreich fallen und seiner Zeit reiche Ernte gewähren mögen! Amen! – Kleiderrascheln folgte; die bisher stehende Kongregation setzte sich.

Der Junge, dessen Geschichte unser Buch beschreibt, hatte keine große Freude am Gebet gehabt. Er hatte es ausgehalten, wenn auch mit Mühe und Starrsinn. Er zählte alle Einzelheiten des Gebetes nach, unbewusst, denn er merkte nicht darauf; aber er kannte die Art und Weise des Predigers von alters her; und wenn dieser etwas Neues einflickte, erfaßte es sein Ohr, und erfüllte ihn mit Widerwillen. Er betrachtete jede Zutat als unbillig und niederträchtig. In der Mitte des Gebetes hatte sich eine Fliege auf die Lehne des vor Tom stehenden Kirchenstuhles niedergelassen. Tom saß auf Kohlen, während sie ruhig die Hände rieb, den Kopf mit den Armen umfaßte und so kräftig polierte, dass er abzureißen drohte und der haardünne Hals sichtbar wurde; dann mit den Hinterfüßen über die Flügel fuhr und sie so an den Körper anglättete, als wären es Frackschöße, und alles dieses mit einer Gemütsruhe, als wäre sie in vollkommenster Sicherheit. Und das war sie auch. Denn so sehr es auch Tom juckte, er durfte sie nicht haschen; er hätte sich für ewig verloren gehalten, wenn er eine solche Missetat während des Gebetes auf sich geladen hätte. Mit dem Schluß des Gebets aber krümmten sich seine Finger, die Hand stahl sich vorwärts und mit dem »Amen« befand sich die Fliege in Kriegsgefangenschaft. Tante Polly entdeckte den Frevel und befreite die Gefangene. Der Prediger verlas den Text, und begann ein an und für sich schon äußerst prosaisches Thema, so langweilig und monoton zu bearbeiten, dass nach und nach der Schlummer manches Auge schloss, obgleich es sich um Feuer und Schwefel handelte, und die Schar der prädestinierten Auserwählten zu einem solch' kleinen Häufchen zusammenschmolz, dass es kaum der Mühe lohnte, sie zu retten.

Tom zählte die Blattseiten der Predigt. Nach der Kirche wusste er immer die Anzahl derselben, wenn auch sonst nichts. Diesmal aber merkte er eine Zeitlang auf. Der Prediger entwarf ein packendes Gemälde von der Zusammenkunft der Heerscharen der Welt im tausendjährigen Reich, wo das Lamm und der Löwe friedlich neben einander ruhen und ein Kind sie leiten werde. Aber das Pathos, die Lektion und die Moral dieses großen Schauspiels waren an dem Jungen verloren. Er dachte nur an die Erhabenheit der Hauptfigur vor all' diesen zuschauenden Nationen; sein Gesicht erglühte bei dem Gedanken, selbst dieses Kind zu sein, – aber mit einem zahmen Löwen. Sowie der Prediger aber wieder in seine vorherige trockene Manier verfiel, hatte auch die Aufmerksamkeit Toms ein Ende. Auf einmal erinnerte er sich eines Schatzes und zog ihn aus der Tasche. Es war ein großer schwarzer Käfer mit mächtigen Fresszangen, ein Hirschkäfer, wie Tom ihn nannte, und den er in eine Zündhütchenschachtel gesperrt hatte. Kaum hatte er sie geöffnet, als der Käfer ihn am Finger packte. Tom schlenkerte ihn weg, der Käfer fuhr mitten ins Seitenschiff und der lädierte Finger in Toms Mund. Auf dem Rücken liegend, arbeitete sich der Käfer mit seinen hilflosen Füßen ab, ohne sich umwenden zu können. Tom verschlang ihn mit den Blicken und hätte ihn zwar gern wiedergehabt, aber er lag außer seinem Bereich. Bald bemerkten ihn auch andere, denen die Predigt ebenfalls nicht zusagte, und hatten ihren Spaß daran. – Ein herrenloser Pudel trippelte herbei, traurig, abgemattet, von der Sommerhitze gequält, nach Zerstreuung lechzend. Er erblickte den Käfer; der gesenkte Schwanz erhob sich wedelnd. Er maß die Beute, umkreiste sie und beschnüffelte sie aus sicherer Entfernung, umkreiste sie wieder, wurde kühner und beschnüffelte sie näher; dann zeigte er die Zähne und schnappte daran vorbei, schnappte wieder und wieder und begann Vergnügen an diesem Sport zu finden; er streckte sich, den Käfer zwischen den Pfoten, auf den Bauch aus und setzte seine Experimente fort. Endlich wurde er müde, gleichgültig und unachtsam. Sein Kopf nickte, nach und nach sank sein Kinn tiefer, dann bis auf die Pfoten und berührte den Käfer, der ihn daran faßte. Ein scharfer Schrei, ein heftiges Schütteln und der Käfer lag wieder auf dem Rücken. Die benachbarten Zuschauer kicherten vor unterdrückter Freude, und bedeckten das Gesicht mit Taschentüchern und Fächern. Tom war über alle Maßen glücklich. Der Hund sah verwirrt darein, sann aber auf Rache. Er näherte sich dem Käfer und begann sein voriges Spiel; wurde bald wieder müde, vergaß ihn gänzlich und kauerte endlich auf ihn nieder. Dann erscholl ein wildes Geheul, der Pudel flog das Schiff auf und nieder; das Geheul wurde immer stärker, und immer wütender raste der Hund quer durch die Kirche, hart am Altar vorüber, durch das Hauptschiff, an den Türen vorbei, immer schneller die Kreuz und Quer, bis er einem welligen, seine Bahn mit Blitzesschnelle durchlaufenden Kometen glich. Zuletzt that der Leidende einen gewaltigen Satz in seines Herrn Schoß; dieser warf ihn durch das Fenster, und das Geheul verlor sich bald in der Ferne.

 

Inzwischen hatten sich die Gesichter sämtlicher Anwesenden von unterdrücktem Lachen gerötet und der Prediger hatte innehalten müssen. Er fuhr zwar fort, aber aller Eindruck auf seine Zuhörer war verloren. Selbst die heiligsten Ergüsse wurden mit unheiliger Heiterkeit hingenommen, wie wenn der Prediger eben einen pikanten Witz gerissen hätte. Alles fühlte sich erleichtert, als die Predigt ausgestanden und der Segen gesprochen war.

Hochgemut ging Tom Sawyer nach Hause, mit sich selbst im Klaren, dass es doch nicht so böse sei mit dem Gottesdienst, wenn einige Abwechslung dabei stattfinde. Nur eines ärgerte ihn. Er hätte den Pudel wohl gerne mit seinem Käfer spielen lassen, aber ihn fortzuschleppen, das hatte er ihm nicht erlaubt, und es war unrecht von ihm gehandelt.

Sechstes Kapitel
Selbstprüfung – Zahnkunde – Der mitternächtige Zauber – Hexen und Teufel – Vorsichtiges Nähern – Glückselige Stunden

Montag-Morgen kam und mit ihm Toms Elend. Tom fühlte sich an jedem Montag-Morgen elend, denn mit ihm begann ein wochenlanges Leiden in der Schule. Regelmäßig wünschte er, dass es keinen Sonntag gebe, denn nach fröhlich durchlebtem Feiertag wieder in Bande und Fesseln zurückkehren, erschien ihm doppelt hart.

Sinnend lag er im Bette. Wenn er nur krank wäre, dann müßte er nicht zur Schule. Er sah eine Möglichkeit und entwarf seinen Plan. Wiederholte Untersuchungen seiner Körperbeschaffenheit blieben ohne passendes Resultat. Nur glaubte er Symptome von Kolik geltend machen zu können und strengte sich an, sie zu vergrößern; bald aber verminderten sie sich und verschwanden endlich ganz. – Also etwas anderes. Er entdeckte es. Einer seiner oberen Schneidezähne wackelte. Das war ein Glück, und er war eben im Begriff, als »Fühler« einen Seufzer auszustoßen, als ihm noch rechtzeitig einfiel, dass, wenn er mit diesem Argument vor seine Tante käme, sie ihm den Zahn einfach ausziehen würde, und das schmerzt. Somit hielt er den Zahn in Reserve und suchte weiter. Da erinnerte er sich, von einem Übel gehört zu haben, das einen zwei bis drei Wochen ans Bett fesseln und den Verlust eines Fingers herbeiführen könne. Eifrig zog er seine kranke Zehe unter dem Bettuch hervor, und untersuchte sie. Aber die gefahrdrohenden Symptome waren ihm unbekannt. Doch meinte er, einen Versuch wagen zu können, und fing auf gut Glück zu ächzen an.

Sid schlief ruhig fort.

Tom ächzte stärker und begann sich einzubilden, dass ihm die Zehe wirklich weh tue.

Sid blieb still.

Die seitherigen Anstrengungen hatten Tom den Atem benommen. Er gönnte sich einen Augenblick Ruhe, blies sich auf und stieß eine Reihe schallender Seufzer aus.

Sid schnarchte weiter.

Tom ward ärgerlich, rüttelte ihn und rief: »Sid! Sid!« Das wirkte, Sid gähnte, streckte sich, stützte sich auf die Ellbogen und begann Tom anzustieren. Tom ächzte weiter. Sid rief: »Tom, was ist's, Tom?« (Keine Antwort.) »Höre doch, Tom, was fehlt dir?« Und er schüttelte ihn und sah ihn angstvoll an. Tom winselte: »O lass mich, Sid! Stoße mich nicht!«

»Wie, was ist's denn mit dir? Ich muss Tantchen rufen.«

»Nein, kümmere dich nicht. Vielleicht geht es bald vorüber. Rufe niemand!«

»Aber ich muss! O, höre auf, so zu wimmern, Tom, es ist ja schrecklich! Seit wie lange leidest du so?«

»Stundenlang! Uff!! O, sei nicht so unruhig, du wirst mich töten!«

»Tom, warum hast du mich nicht früher geweckt? Du machst mich schaudern! Was ist es denn mit dir?«

»Ich verzeihe dir alles, Sid. (Geächze.) Alles was du mir je zuleide getan. – Wenn ich tot bin –«

»Du wirst doch nicht sterben, Tom? O, tue es nicht, tue es nicht! Vielleicht –«

»Ich verzeihe allen, Sid. (Geächze.) Sage es ihnen. Und gib mein Schiebefenster und meine einäugige Katze dem jüngst angekommenen Mädchen und sage ihr –«

Aber Sid hatte seine Kleider zusammengerafft und war fort. Tom hatte sich seither in seine eingebildete Krankheit so hineingeschafft, dass er nun wirklich litt, und seine Schmerzenslaute wie echt klangen.

Sid flog die Treppe hinab und rief: »Tom stirbt!«

»Er stirbt?«

»Ja, Tante! Komm' schnell!« .

»Dummheit! Ich glaube es nicht!«

Dessen ungeachtet flog sie die Treppe hinauf, Mary hinter ihr her. Ihr Gesicht war blass und ihre Lippen bebten. Am Bette angekommen, rief sie: »Tom, Tom! Kind, was ist mit dir?«

»O, Tantchen, ich bin –«

»Wo fehlt es dir, was fehlt dir?«

»O, Tantchen! meine kranke Zehe tut mir so weh!«

Die alte Lady sank in einen Stuhl, lachte ein wenig, weinte ein wenig, und mischte endlich beides zusammen.

»Tom, Tom, wie hast du mich erschreckt! Höre nun mit deinem Unsinn auf und komme herunter!«

Das Geächze verstummte und die Schmerzen an der Zehe verschwanden. Der Junge war konfus und sagte: »Tante Polly, es that so weh, dass ich selbst meinen Zahnschmerz darüber vergaß!«

»Was, Zahnschmerzen! Was ist's mit den Zähnen?«

»Es wackelt einer, und schmerzt mich fürchterlich!«

»Ja so! Nun, fange nur nicht wieder zu ächzen an. Öffne den Mund! Nun ja, es wackelt einer, aber deswegen musst du nicht sterben. Mary, hole mir einen Seidenfaden und ein glühendes Scheit aus der Küche!«

Tom rief: »O, Tante, reiße ihn mir nicht aus! Er schmerzt mich gar nicht mehr. Ich will nimmer von der Stelle kommen, wenn er mir nur im geringsten noch wehe tut. Bitte, Tante, tue es nicht! Ich will lieber in die Schule gehen!«

»Aha! so waren alle diese Umstände darum, damit du dich von der Schule frei machen und fischen gehen könntest? Tom, Tom, du weißt, wie sehr ich dich liebe, und doch versuchst du alles mögliche, mein altes Herz zu brechen.«

Inzwischen waren die Zahninstrumente beigeschafft. Die alte Dame machte eine Schlinge an das eine Ende des Seidenfadens und legte sie um Toms Zahn. Das andere Ende wurde am Bettpfosten befestigt. Dann faßte sie unversehens den Feuerbrand, und fuhr dem Jungen damit hart ans Gesicht. Der Zahn hing am Bettpfosten.

Keine Prüfung ohne Lohn. – Als Tom nach dem Frühstück zur Schule ging, erregte er den Neid aller Jungen, denen er begegnete. Die Lücke in seiner oberen Zahnreihe befähigte ihn, auf eine ganz neue, merkwürdige Weise auszuspucken. Er hatte bald einen Kreis von Jungen um sich versammelt, die seine Leistungen bewunderten. Einer derselben, der sich in den Finger geschnitten, und seither die Aufmerksamkeit und Verehrung der übrigen ausschließlich auf sich gezogen hatte, sah sich auf einmal ohne Anhänger, seiner Glorie beraubt. Sein Herz war schwer, und mit anscheinender Geringschätzung, die zu fühlen er weit entfernt war, meinte er, es sei gar nichts so Absonderliches, zu spucken, wie Tom Sawyer. Ein anderer Knabe aber sagte: »Die Trauben sind sauer!« und der gefallene Held ging betrübt davon.

Kurz nachher stieß Tom auf den Paria des Dorfes, Huckleberry Finn, Sohn des Stadttrunkenbolds. Huckleberry war allen Müttern in der Stadt verhasst, weil er ein meisterloser, gemeiner, böser Bube war, und weil alle ihre Kinder ihn bewunderten, seine verbotene Gesellschaft eifrig suchten, und wünschten, so sein zu dürfen, wie er. Tom teilte die Gesinnung der andern ordentlichen Knaben; auch er beneidete Huckleberry um seine fröhliche Banditenexistenz; auch ihm war strenge verboten, mit ihm zu spielen. Natürlich spielte er mit ihm, so oft der Zufall sie zusammenführte. Huckleberrys Anzug bestand immer in abgetragenen Kleidern von Erwachsenen, an denen ein Fetzen dem andern guten Tag sagte. Sein Hut war eine große Ruine, mit einem weiten halbmondförmigen Ausriß in der Krempe; seine Hosen hingen an einem einzigen Hosenträger, der Sitz tief herab und nichts darin; die Stöße waren reichlich mit Fransen versehen und schleppten im Kot, wenn sie nicht aufgestülpt waren. Huckleberry kam und ging, wie es ihm eben gefiel. Bei schönem Wetter schlief er auf Teetrappen und bei schlechtem in leeren Fässern. Er war nicht gezwungen zur Schule zu gehen; niemand hatte ihm zu befehlen und er niemand zu gehorchen. Er konnte fischen gehen, wo, so lang und so oft es ihm beliebte; niemand wehrte ihm, sich mit andern zu prügeln; abends konnte er aufbleiben, so lange es ihm gefiel. Im Frühling war er immer der erste, der barfuß ging, und im Herbst immer der letzte in Schuhen; er musste sich nie waschen, oder für reinliche Kleider besorgt sein, und konnte wunderschön fluchen. Mit einem Worte, dieser Junge hatte alles, was nur die Lust zum Leben wecken kann. So wenigstens dachten alle die gequälten Jungen von achtbaren Eltern in Petersburg.

Tom rief den romantischen Vagabunden an: »Hallo, Huckleberry!«

»Selbst hallo! Du –«

»Was hast du da?«

»'ne tote Katze!«

»Lass sehen, Huck! Sieh', sie ist ganz steif. Woher hast du sie?«

»'nen Jungen abgekauft!«

»Um was?«

»Um ein blaues Kärtchen und eine Blase, die ich im Schlachthaus bekam.«

»Woher hattest du das blaue Kärtchen?«

»Hab' es vor 14 Tagen von Ben Rogers für einen Reifstock gekauft.«

»Sag' einmal, Huck, wozu kann man denn tote Katzen gebrauchen?«

»Wozu? Warzen zu vertreiben!«

»So, meinst du? Da weiß ich etwas Besseres.«

»Ich wette, du weißt nichts. Was ist's?«

»Was soll es sein? Schwammwasser.«

»Schwammwasser! Pfeif d'rauf, auf dein Schwammwasser!«

»D'rauf pfeifen! Hast du es schon versucht?«

»Ich nicht, aber Bob Tanner hat's!«

»Wer hat dir's gesagt?«

»Er sagte es Jeff Thatcher und Jeff sagte es Johany Baker und Johany sagte es Jim Holfs und Jim sagte es Ben Rogers und Ben sagte es einem Nigger und der Nigger sagte es mir. So, da hast du's!«

»So, und nun! Alles erlogen! Sie lügen alle, bis auf den Nigger. Diesen kenne ich nicht – aber ich habe noch nie einen Nigger gesehen, der kein Lügner wäre – zum Henker! Sag' mir aber. Huck, wie Bob Tanner es machte.«

»Nun, er steckte die Hand in einen faulen, hohlen, mit Regenwasser gefüllten Baumstumpf.«

»Bei Tage?«

»Gewiss!«

»Das Gesicht dem Baumstumpf zugekehrt?«

»Ja. Ich vermute es wenigstens.«

» Sagte er etwas dazu?«

»Weiß nicht, aber ich glaube nicht.«

»Aha! sage mir vom Warzenvertreiben mit Schwammwasser auf solch' verrückte Weise! Das kann nie gut tun. Man muss allein mitten im Wald einen Schwammwasserstumpf aufsuchen; genau um Mitternacht sich demselben rücklings nähern, die Hand hineinstecken und sagen:

»Gerstenkorn, Gerstenkorn, das Maismehl geht zu Ende!

Schwammwasser, Schwammwasser, säub're mir die Hände!«

sich dann schnell mit geschlossenen Augen elf Schritte weit entfernen, sich dreimal umdrehen und ohne jemand anzusprechen, heimkehren. Denn wenn du sprichst, ist der Zauber gebrochen.«

 

»Schön, schön, das sieht etwas gleich. Aber Bob Tanner hat es nicht so gemacht!«

»Das glaube ich und du darfst darauf wetten, denn er ist heute noch der warzigste Junge in der Stadt, und wenn er nur im geringsten mit Schwammwasser umzugehen wüßte, so hätte er keine einzige mehr. Ich habe, lieber Huck, deren Tausende auf diese Art von meinen eignen Händen vertrieben. Ich gehe so viel mit Fröschen um, dass ich mit Warzen immer reich gesegnet bin. Manchmal vertreibe ich sie auch mit einer Bohne.«

»Mit einer Bohne? Ja, das ist der rechte Weg. Ich habe es selbst probiert.«

»Hast du? Nach welcher Methode?«

»Du nimmst eine Bohne und spaltest sie. Dann schneidest du die Warze bis Blut kommt. Mit diesem bestreichst du eine Hälfte der Bohne bei Neumond auf einem Kreuzwege, machst ein Loch und begräbst sie. Dann verbrennst du die andere Hälfte. – Siehst du nun, die mit Blut getränkte Hälfte zieht, um die andere wieder mit sich zu vereinigen, und zieht so lange, bis die Warze heraus ist, was gewöhnlich ganz glatt zu stände kommt.«

»Richtig, Huck, so ist es! Aber sicherer ist es noch, wenn man dazu sagt:

»Hinunter Bohne! Warze fort!

Frei von dir bin ich hinfort!«

So macht es Joë Harper, und er ist schon nahe bei Cronville und fast überall gewesen. – Aber sage mir, wie vertreibst du Warzen mit einer toten Katze?«

»Nun siehst du, du trägst die Katze auf einen Friedhof, um Mitternacht, zum frischen Grabe eines Bösewichts. Um Mitternacht wird ein Teufel erscheinen, vielleicht werden es auch zwei oder drei sein. Man kann sie nicht sehen; höchstens hört man etwas wie Windesrauschen; vielleicht hört man sie auch mit einander schwatzen. Wenn diese Kerle den Bösewicht dann wegführen, wirfst du ihnen die Katze nach und sagst: ›Teufel, folge dem Toten! Katze, folge dem Teufel! Warze, folge der Katze, mit dir bin ich fertig!‹ Das vertreibt jede Warze!«

»Das klingt gut! Hast du es jemals versucht, Huck?«

»Nein, aber die alte Mutter Hopkins sagte es mir.«

»Dann muss es wohl wahr sein. Man sagt, sie sei eine Hexe.«

»Man sagt! Wie, Tom! Sie ist eine und ich weiß es! Sie verhexte Papa. Er sagte es. Er begegnete ihr eines Tages und sah, dass sie im Begriff war, ihn zu verhexen. Er raffte einen Stein auf und hätte sie sicher damit getroffen, wenn sie ihm nicht plötzlich aus dem Wege gegangen wäre. Gut, in derselben Nacht fiel er von einem Schuppen, auf dem er betrunken lag, und brach den Arm.«

»Das ist schrecklich! Aber wie konnte er wissen, dass sie ihn behexen wollte?«

»Das kann dir Vater ganz genau sagen. Er meint, wenn sie einen recht starr ansehe, so ist man sicher, verhext zu werden, und ganz besonders, wenn sie dazu murmele. Denn wenn sie murmele, bete sie das Vaterunser rückwärts!«

»Sage, Huck, wenn willst du es mit der Katze probieren?«

»Heute Nacht! Ich rechne, die Teufel werden heute den alten Roß Williams holen.«

»Aber er wurde am Sonnabend begraben. Holten sie ihn denn Samstags Nacht nicht?«

»Wie du nur sprichst! Ihre Macht reicht nicht bis Mitternacht und dann beginnt der Sonntag und ich glaube, dass sie an Sonntagen sich geziemend ruhig verhalten!«

»Richtig! Daran hatte ich nicht gedacht. Darf ich mitgehen?«

»Natürlich! Wenn du dich nicht fürchtest.«

»Mich fürchten? Unmöglich! Willst du miauen?«

»Ja, und dann miaue aber auch, wenn du kommen kannst! Das letzte Mal miaute ich so lange um euer Haus herum, bis der alte Hays Steine nach mir warf und die verdammte Katze zu allen Teufeln wünschte. Als Antwort warf ich ihm einen Ziegelstein durchs Fenster, aber sage es nicht!«

»Nein. Jene Nacht beobachtete Tante mich so scharf, dass ich nicht miauen durfte. Aber diesmal soll es sicher geschehen! Was hast du da?«

»Nichts als eine Zecke.« (Schaflaus.)

»Woher?«

»Vom Wald.«

»Was willst du dafür?«

»Ich weiß nicht. Sie ist mir nicht feil.«

»Wie du willst. Immerhin ist es nur eine winzige Zecke.«

»O, jedermann kann etwas bemängeln, was ihm nicht gehört. Mir gefällt sie; sie ist für mich gut genug!«

»Bah! Es gibt Zecken zum Auflesen. Ich könnte Tausende haben, wenn ich wollte.«

»Warum hast du denn keine? Du weißt ganz gut, dass du keine kriegen kannst! Das ist eine prachtvolle, frühzeitige Zecke, die erste, die ich in diesem Jahre gesehen!«


»Höre, Huck, willst du meinen Zahn dafür?«

»Lass sehen!«

Tom zog ein Papierchen aus der Tasche und entfaltete es. Huckleberry betrachtete den Zahn aufmerksam. Die Versuchung war groß. Endlich sagte er: »Ist er echt?«

Tom zog die Lippe zurück und zeigte die Lücke.

»Abgemacht, es gilt!«

Tom sperrte die Zecke in das vormalige Gefängnis des Kneipkäfers, in die Zündhütchenschachtel, und die Jungen trennten sich, jeder mit dem Gefühle, einen guten Schick gemacht zu haben.

Bei dem kleinen Schulhause angekommen, trat Tom lebhaft ins Zimmer, wie wenn er es sehr eilig gehabt hätte. Er hing seinen Hut an einen Nagel und nahm mit anscheinender Lernbegierde Platz. Der Lehrer war, von dem eintönigen Summen überwältigt, in seinem hölzernen Armsessel eingeschlafen, und erwachte, durch Toms Eintritt im Schlummer gestört.

»Thomas Sawyer!«

Tom wusste aus Erfahrung, dass, wenn er bei seinem vollen Namen gerufen wurde, etwas nicht in Ordnung war.

»Herr Lehrer!«

»Komm' hierher! Warum bist du, wie gewöhnlich, wieder zu spät?«

Tom war im Begriff, seine Zuflucht zum Lügen zu nehmen, als er zwei gelbe Zöpfe über einen Rücken herabhängen sah, den er, wie durch elektrische Liebessympathie, sogleich erkannte, und neben dieser Gestalt war der einzige leere Platz auf der Mädchenseite. Augenblicklich antwortete er: »Ich habe mich verspätet, weil ich mit Huckleberry Finn zu reden hatte.«

Des Lehrers Pulse stockten, er schien nach Luft zu schnappen. Das Gesumme der Schüler schwieg. Die Kinder wunderten sich, ob der tollkühne Junge den Verstand verloren habe. Der Lehrer rief: »Was, was hast du getan?«

»Ich verweilte, um mich mit Huckleberry Finn zu unterhalten!«

Das war klar und keine Missdeutung möglich.

»Thomas Sawyer, das ist das überraschendste Geständnis, das mir jemals vorgekommen. Da reicht die Rute auf die Hände nicht aus, um einen derartigen Fehltritt zu sühnen. Ziehe die Jacke aus!

Der Lehrer bearbeitete ihn so lange, bis seine Kräfte und der Rutenvorrat erschöpft waren.

»So, jetzt packe dich auf die Mädchenbank! Und lass dir diese Strafe zur Warnung dienen!«

Das Gekicher, das sich im Zimmer ringsum vernehmen ließ, schien den Jungen zu verblüffen. Aber das war's nicht. Es war das überwältigende, nie geahnte Glück, neben der unbekannten Angebeteten sitzen zu dürfen. Er nahm Platz. Das Mädchen rückte hastig, den Kopf zurückgeworfen, von ihm weg. Seitenstöße, Geflüster und Winke gingen durch die Schule. Tom saß, die Arme auf dem Pulte, ruhig und schien seine ganze Aufmerksamkeit dem vor ihm liegenden Buche zuzuwenden.

Nach und nach wandte sich die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler von ihm ab, und das gewohnte Schulgesumme ließ sich wieder vernehmen. Der Junge sandte verstohlene Blicke nach dem Mädchen. Sie merkte es, schnitt ihm eine Fratze und kehrte ihm eine Minute lang den Rücken. Als sie sich langsam wieder umwandte, lag ein Pfirsich vor ihr. Sie stieß ihn zur Seite. Tom schob ihn sanft wieder zurück. Sie ließ ihn liegen. Tom kritzte auf seine Schiefertafel: »Sei so gut und nimm! Ich habe noch mehr!« Das Mädchen überlas die Worte und blieb stumm.

Gelegentlich fing Tom, die Tafel mit der linken Hand schirmend, etwas zu zeichnen an. Eine Zeitlang schien das Mädchen gleichgültig, nach und nach aber verrieten verschiedene Bewegungen ihre natürliche Neugierde. Tom zeichnete fort, scheinbar ohne sie zu beachten. Sie suchte über seine Hand weg zu schielen, – ohne Erfolg. Zuletzt flüsterte sie: »Lass mich sehen!«

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