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Weie Nachte

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Ich hielt nach all den pathetischen Phrasen ebenso pathetisch inne. Ich weiß noch, daß ich große Lust hatte, in ein schallendes Gelächter auszubrechen, denn ich fühlte schon, wie sich in mir ein übermütiger Teufel regte, wie mir ein Zucken durch Hals und Kinn ging und meine Augen feucht wurden …

Ich erwartete, daß Nastenka, die mir, ihre klugen Augen weit geöffnet, zuhörte, in ein kindliches, unbändig lustiges Lachen ausbrechen würde, und ich machte mir schon Vorwürfe, daß ich zu weit gegangen sei, daß ich ihr unnötigerweise etwas erzählt hätte, was ich als längst gefälltes Urteil über mich selbst schon lange auf dem Herzen herumgetragen und daher so fließend zu erzählen verstand; allerdings hatte ich nicht erwartet, daß sie mich verstehen würde. Doch zu meinem Erstaunen schwieg sie zunächst eine Weile, drückte mir dann die Hand und fragte mit einer eigentümlich schüchternen Teilnahme:

»Haben Sie denn wirklich Ihr ganzes Leben so verbracht?«

»Ja, mein ganzes Leben, Nastenka,« antwortete ich. »Mein ganzes Leben, und ich glaube, daß es bis an mein Ende so bleiben wird.«

»Nein, das soll nicht sein!« sagte sie erregt. »Das darf nicht geschehen! So werde vielleicht auch ich mein ganzes Leben neben der Großmutter verbringen. Hören Sie, wissen Sie denn nicht, daß es gar nicht gut ist, so zu leben?«

»Ich weiß es, Nastenka, ich weiß es!« rief ich, meinem Gefühle freien Lauf lassend, »Und gerade jetzt weiß ich besser als je, daß ich meine schönsten Jahre ganz nutzlos verschwendet habe! Jetzt weiß ich es, und diese Erkenntnis tut mir weh, weil Gott selbst mir Sie als einen guten Engel gesandt hat, um es mir zu sagen und zu beweisen. Jetzt, wo ich neben Ihnen sitze und mit Ihnen spreche, ist es mir schwer, an die Zukunft zu denken, denn in der Zukunft erwartet mich wieder Einsamkeit und dieses dumpfe, überflüssige zwecklose Leben; und was werde ich überhaupt noch träumen können, nachdem ich schon im Wachen und in Wirklichkeit an Ihrer Seite so glücklich gewesen bin?! O, seien Sie gesegnet, Sie liebes, gutes Mädchen, weil Sie mich nicht gleich am Anfang abgewiesen haben, weil ich dank Ihnen sagen darf, daß ich wenigstens zwei Abende in meinem Leben wirklich gelebt habe!«

»Ach nein, nein!« rief Nastenka aus, und Tränen erglänzten in ihren Augen. »Nein, so darf es nicht weiter gehen! Wir dürfen nicht so auseinandergehen! Was sind zwei Abende?!«

»Ach, Nastenka, Nastenka! Wissen Sie denn, daß Sie mich für lange Zeit mit mir selbst versöhnt haben? Daß ich über mich niemals mehr so schlecht denken werde wie bisher? Daß ich mich vielleicht nicht mehr darüber grämen werde, aus meinem Leben ein Verbrechen und eine Sünde gemacht zu haben, – denn ein solches Leben ist Verbrechen und Sünde! Glauben Sie nur nicht, daß ich irgend etwas übertrieben habe, um Gottes willen, glauben Sie nur das nicht, Nastenka! Weil es Augenblicke gibt, wo mich solcher Gram, so unbeschreiblicher Gram verzehrt … Weil es mir in solchen Augenblicken vorkommt, daß ich nicht mehr fähig sei, ein wirkliches Leben zu leben; weil ich schon oft glaubte, jeden Takt, jeden Sinn für das wahre, wirkliche Leben verloren zu haben; weil ich mich oft verdammt habe; weil nach meinen phantastischen Nächten Augenblicke der Ernüchterung kommen, die wahrhaft schrecklich sind! Und dabei muß ich hören, wie rings um mich die Menschen toben und sich im Strudel des Lebens drehen; muß hören und sehen, wie Menschen leben, wie sie ein wirkliches, greifbares Leben leben, daß ihnen das Leben offen steht, daß es ihnen nicht wie ein Traumgesicht entschwebt, daß es sich ewig aus sich selbst erneut und verjüngt, daß keine Stunde dieses Lebens einer andern gleicht, – während meine scheue Phantasie so schal und eintönig ist, Sklavin eines Schattens, einer Idee, der ersten besten Wolke, die plötzlich die Sonne verdeckt und das Herz mit Wehmut erfüllt, das echte Petersburger Herz, dem seine Sonne so viel bedeutet, – und was wird erst aus der Phantasie, wenn mich einmal Wehmut erfüllt! – Ich fühle, wie sie schließlich ermattet, wie sich die »unerschöpfliche« erschöpft; denn man wächst ja innerlich, und die alten Ideale werden einem zu eng: sie zerfallen in Staub und Trümmer. Und wenn man kein anderes Leben hat, so muß man es eben aus diesen selben Trümmern bauen. Doch die Seele sehnt sich nach etwas anderem! Vergebens wühlt der Träumer wie in Schutt in seinen alten Träumen und sucht in ihrer Asche nach einem wenn auch noch so schwachen Fünkchen, um es anzufachen und mit dem neu entzündeten Feuer sein erkaltetes Herz zu erwärmen, um in ihm alles wiederzuerwecken, was ihm einst so teuer war, was die Seele rührte, das Blut in Wallung brachte, Tränen in die Augen trieb und so wunderbar trügte! Wissen Sie, Nastenka, wo ich angelangt bin? Wissen Sie, daß ich bereits Jahrestage meiner Empfindungen feiern muß, Gedenktage dessen, was mir einst so lieb war und was in Wirklichkeit niemals existierte, – meine Gedächtnisfeiern beziehen sich doch immer auf die gleichen einfältigen, wesenlosen Träume – und daß ich das tun muß, weil ich selbst diese einfältigen Träume nicht mehr habe, weil ich nichts habe, womit ich sie nähren kann, denn auch Träume müssen genährt werden? Wissen Sie, daß ich jetzt gern an bestimmten Tagen jene Stellen aufsuche, wo ich einst auf eine eigene Weise glücklich gewesen bin, daß ich meine Gegenwart oft auf das unwiederbringlich Vergangene abstimme und ganz ohne Not und Ziel, traurig und vergrämt durch die Petersburger Straßen und Gassen irre? Und was sind das auch für Erinnerungen! Da erinnere ich mich zum Beispiel, daß ich genau vor einem Jahr, an diesem selben Tag und zu dieser selben Stunde auf diesem selben Trottoir ebenso einsam und traurig gegangen bin wie heute! Ich erinnere mich, daß meine Gedanken auch damals schon traurig waren; und wenn ich sogar weiß, daß ich es auch damals nicht besser hatte, so kommt mir doch vor, als wäre mein Leben damals besser und ruhiger gewesen, als hätte ich damals weder die düsteren Gedanken gekannt, die mich jetzt verfolgen, noch die schmerzhaften Gewissensbisse, die mir jetzt Tag und Nacht keine Ruhe geben. Und zuweilen muß ich mich fragen: Wo sind denn deine Träume? Und ich schüttele den Kopf und sage: Wie schnell vergeht doch die Zeit! Und dann frage ich mich wieder: Was hast du mit deinen Jahren gemacht? Wo hast du deine beste Zeit begraben? Hast du gelebt oder nicht? Sieh nur, sag ich zu mir selbst, wie kalt es in der Welt wird! Noch einige Jahre, und dann kommt die traurigste Einsamkeit, kommt mit der Krücke das zitterige Alter, und mit ihnen Gram und Leid. Deine phantastische Welt wird verblassen, deine Träume werden absterben, verwelken und abfallen wie das gelbe Laub von den Ästen … Ach Nastenka! Es ist so traurig, allein, ganz allein zu bleiben und nicht einmal etwas zu haben, was man beweinen könnte, nichts, gar nichts! … Denn alles, was man verloren hat, war eigentlich nichts, eine absolute Null, ein Hirngespinst!«

»Genug! Sie verwunden mir mit Ihren Reden das Herz!« sagte Nastenka, sich Tränen aus den Augen wischend. »Nun ist es damit zu Ende! Jetzt werden wir zusammen sein; was mir auch das Schicksal bringt, wir trennen uns nicht mehr. Hören Sie einmal. Ich bin ein einfaches Mädchen und habe, obwohl Großmutter für mich einen Lehrer hielt, wenig gelernt; doch ich verstehe Sie, denn ich habe alles, was Sie mir erzählten, auch selbst erlebt, seit mich Großmutter an ihr Kleid angesteckt hat. Natürlich könnte ich es nicht so schön erzählen wie Sie, ich habe zu wenig gelernt,« fügte sie unsicher hinzu, denn sie stand noch immer unter dem Eindruck meiner pathetischen Rede und meines hochtrabenden Stils: »doch es freut mich, daß Sie mir alles anvertraut haben. Jetzt kenne ich Sie durch und durch. Wissen Sie was? Nun will ich Ihnen meine Geschichte ebenso offen erzählen, ohne etwas zu verheimlichen, wie Sie mir; und Sie werden mir nachher einen Rat geben. Sie sind ja klug; wollen Sie versprechen, mir diesen Rat zu geben?«

»Ach, Nastenka!« erwiderte ich, »ich bin zwar noch nie Ratgeber gewesen und noch weniger – kluger Ratgeber, doch jetzt sehe ich, daß es sehr klug wäre, wenn wir immer so leben würden, und daß dann ein jeder von uns dem andern viele kluge Ratschläge erteilen könnte! Worin brauchen Sie nun meinen Rat, reizende Nastenka? Sprechen Sie ganz offen; ich bin jetzt so froh, glücklich, kühn und klug, daß mir das Ratgeben wohl keine Schwierigkeiten machen wird.«

»Nein, nein!« unterbrach mich Nastenka lachend: »Ich brauche nicht nur einen klugen, sondern auch einen herzlichen, brüderlich teilnehmenden Rat … als ob Sie mich Ihr ganzes Leben lang geliebt hätten … «

»Gut, Nastenka, abgemacht!« rief ich entzückt: »Und wenn ich Sie auch schon seit zwanzig Jahren geliebt hätte, meine Liebe zu Ihnen könnte gar nicht größer sein, als sie es schon jetzt ist!«

»Geben Sie mir Ihre Hand!« sagte Nastenka.

»Hier ist sie!« Ich gab ihr meine Hand.

»Nun wollen wir mit meiner Geschichte beginnen!«

Nastenkas Geschichte

»Die eine Hälfte meiner Geschichte kennen Sie bereits: nämlich, daß ich eine alte Großmutter habe … «

»Wenn auch die andere Hälfte ebenso kurz ist wie diese,« unterbrach ich sie lachend.

»Schweigen Sie und hören Sie zu. Doch zuvor eine Bedingung: Sie dürfen mich nicht unterbrechen, sonst komme ich aus dem Konzept. Hören Sie also ruhig zu.

Ich habe eine alte Großmutter. Ich kam zu ihr schon als kleines Kind, denn ich habe beide Eltern früh verloren. Ich glaube, daß Großmutter früher einmal reicher war, denn sie gedenkt noch jetzt öfters besserer Tage. Die gleiche Großmutter hat mich Französisch gelehrt und mir später einen Lehrer genommen. Als ich fünfzehn Jahre alt war (und jetzt bin ich siebzehn), nahm der Unterricht ein Ende. Um jene Zeit stellte ich auch einen Streich an; was es für ein Streich war, will ich Ihnen nicht sagen; es soll Ihnen genügen, wenn ich sage, daß es nichts Schlimmes war. Nun rief mich Großmutter eines Morgens zu sich und sagte, daß sie, da sie blind sei, auf mich nicht aufpassen könne; und sie nahm eine Nadel, heftete mein Kleid an das ihrige an und sagte, daß wir nun unser Leben lang so nebeneinander sitzen würden, vorausgesetzt, daß ich mich nicht besserte. Mit einem Worte, ich konnte in der ersten Zeit wirklich nicht von Großmutters Seite weichen: arbeiten, lesen, lernen, alles mußte ich in diesem Zustande. Einmal versuchte ich, Großmutter anzuführen, und überredete Fjokla, sich auf meinen Platz zu setzen. Fjokla ist unsere Dienstmagd; sie ist fast taub. Fjokla setzte sich also an meine Stelle; Großmutter war gerade in ihrem Lehnsessel eingeschlummert, und ich ging eine Freundin besuchen. Die Sache endete aber schlecht. In meiner Abwesenheit wachte Großmutter auf und fragte mich irgend etwas, denn sie glaubte natürlich, daß ich noch neben ihr sitze. Fjokla sah, daß Großmutter etwas fragte, konnte aber nichts hören; sie überlegte sich eine Weile, was sie tun sollte, nahm schließlich die Stecknadel heraus und lief davon … «

 

Nastenka machte hier eine Pause und begann zu lachen. Auch ich mußte lachen. Dann hörte sie aber gleich auf.

»Hören Sie, Sie sollen über meine Großmutter nicht lachen. Ich lache nur, weil es so komisch war … Was soll ich machen, wenn Großmutter einmal so ist; ein wenig liebe ich sie aber trotzdem. Nun, ich wurde von ihr tüchtig ausgeschimpft, mußte mich wieder auf meinen Platz setzen und konnte mich seitdem wirklich nicht mehr rühren.

Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß wir, das heißt Großmutter ein eigenes Haus hat, vielmehr ein Häuschen, mit nur drei Fenstern; es ist ganz aus Holz und ebenso alt wie die Großmutter. Und oben ist noch eine Mansarde. In diese Mansarde zog also ein neuer Zimmerherr ein … «

»Folglich hat es auch einen alten Zimmerherrn gegeben?« bemerkte ich so nebenbei.

»Gewiß hat es einen gegeben,« antwortete Nastenka, »und der verstand besser zu schweigen als Sie. Er konnte allerdings kaum die Zunge bewegen. Es war ein ausgetrocknetes, stummes, blindes und lahmes altes Männchen, so alt, daß es schließlich nicht mehr leben konnte und sterben mußte. Also mußten wir einen neuen Zimmerherrn haben: ohne einen Mieter können wir nämlich nicht auskommen, denn die Miete ist neben Großmutters Pension unser ganzes Einkommen. Der neue Zimmerherr war ausgerechnet ein junger Mann, ein Fremder, aus der Provinz zugereist. Da er keinen Versuch machte, von der Miete etwas abzuhandeln, nahm ihn Großmutter auf. Doch später fragte sie mich: ›Sag einmal, Nastenka, ist der neue Zimmerherr jung oder alt?‹ Ich wollte nicht lügen und sagte: ›Man kann nicht sagen, daß er sehr jung sei, er ist aber auch nicht sehr alt.‹

›Nun, ist er von angenehmem Äußern?‹ fragte Großmutter weiter.

Ich wollte wieder nicht lügen und antwortete: ›Ja, von recht angenehmem Äußern, Großmutter!‹ Großmutter sagte darauf: ›Das ist eine Strafe Gottes! Ich sage das, mein Enkelkind, nicht damit du dich in ihn verguckst! Ja, diese neuen Zeiten! Ein so kleiner, bescheidener Mieter und hat dabei ein angenehmes Äußeres! Das war in der alten Zeit anders!‹

Großmutter spricht nämlich bei jeder Gelegenheit von der guten alten Zeit! Sie behauptet, sie sei in der alten Zeit jünger gewesen, und die Sonne hätte wärmer geschienen, und der Rahm wäre nicht so schnell sauer geworden – alles in der guten alten Zeit! Ich höre zu, schweige und denke mir: Warum bringt mich Großmutter selbst auf solche Gedanken, wenn sie mich fragt, ob der neue Zimmerherr hübsch sei? Das ging mir nur so flüchtig durch den Kopf, und gleich darauf begann ich wieder die Maschen zu zählen und zu stricken, und vergaß diesen Vorfall ganz.

Eines Morgens kommt der Zimmerherr zu uns herunter, um nach der Tapete zu fragen, die man ihm für sein Zimmer versprochen hatte: Ein Wort gibt das andere: Großmutter spricht gern etwas viel. Auf einmal sagte sie mir: ›Geh mal, Nastenka, hinüber in mein Schlafzimmer und hole das Rechenbrett.‹ Ich sprang gleich auf, errötete, ich weiß nicht weshalb, und vergaß dabei ganz, daß ich angeheftet war. Statt die Stecknadel vorsichtig abzustecken, daß es der Zimmerherr nicht sähe, riß ich so, daß der Sessel mit der Großmutter ins Rollen kam. Als ich sah, daß der Mieter alles bemerkt hatte, wurde ich noch röter, blieb wie angewurzelt stehen und brach plötzlich in Tränen aus; so sehr schämte ich mich, und so bitter war es mir, daß ich am liebsten in die Erde versunken wäre. Großmutter sagte aber: ›Was stehst du so da?‹ Und ich weinte noch mehr. Wie der Zimmerherr sah, daß ich mich vor ihm schämte, verabschiedete er sich und ging gleich fort!

Seit jener Zeit stand mir bei jedem Geräusch im Flur das Herz still; ich dachte mir gleich: Da kommt er! und steckte für jeden Fall heimlich die Nadel ab. Doch es war jedesmal wer anderer: der Zimmerherr ließ sich gar nicht blicken. So vergingen zwei Wochen. Eines Tages läßt er uns durch Fjokla sagen, daß er viele französische Romane habe, lauter gute, lesenswerte Bücher; ob Großmutter sie sich nicht von mir vorlesen lassen möchte, um sich die Zeit zu vertreiben? Großmutter nahm das Anerbieten mit Dank an, erkundigte sich aber einigemal, ob es moralische Bücher seien. ›Denn es gibt,‹ sagte sie, ›auch unmoralische Bücher, die du, Nastenka, nicht lesen darfst, denn du könntest aus ihnen nur Schlechtes lernen!‹

›Was könnte ich denn daraus lernen? Was steht in solchen Büchern?‹

›In solchen Büchern wird beschrieben, wie junge Männer gesittete Mädchen verführen, wie sie sie unter dem Vorwande, sie heiraten zu wollen, aus dem Elternhause entführen und sie dann in ihrem Unglück sitzen lassen, und wie dann diese Mädchen elend zugrundegehen. Ich habe viele solche Bücher gelesen,‹ sagte die Großmutter, ›und es ist darin alles so schön geschildert, daß man sich gar nicht losreißen kann und zuweilen heimlich eine ganze Nacht durchliest. Also ich bitte dich, Nastenka, lies solche Bücher nicht! Was für Bücher hat er übrigens geschickt?‹

›Es sind lauter Romane von Walter Scott, Großmutter!‹

›So, von Walter Scott! Ob aber nicht irgend etwas dahinter steckt?! Schau mal nach, Nastenka, ob er nicht irgendeinen Liebesbrief hineingelegt hat!‹

›Nein, Großmutter!‹ sage ich, ›da liegt kein Brief drin.‹

›Schau auch unter dem Einbande nach! Sie pflegen manchmal ihre Liebesbriefe unter dem Einbanddeckel zu verstecken, die Spitzbuben!‹

›Nein, Großmutter, auch unter dem Einband steckt nichts!‹

›Also paß auf!‹

So begannen wir den Walter Scott zu lesen und waren in einem Monat mit der Hälfte der Bände fertig. Dann schickte er noch andere Bücher, auch Puschkin war dabei. So daß ich schließlich ohne Bücher gar nicht mehr leben konnte und sogar meinen Traum, wie ich den chinesischen Prinzen heirate, gänzlich vergaß.

So stand die Sache, als ich einmal unsern Mieter ganz zufällig auf der Treppe traf. Großmutter hatte mich etwas kaufen geschickt. Er blieb stehen, ich errötete, und auch er errötete; schließlich lachte er, sagte mir guten Tag, erkundigte sich nach Großmutters Befinden und fragte: ›Nun, haben Sie die Bücher gelesen?‹ Ich antwortete: ›Ja, wir haben sie gelesen.‹ – ›Was hat Ihnen am besten gefallen?‹ – ›Ivanhoe und Puschkin haben mir am besten gefallen.‹ Damit endete diesmal unser Gespräch.

Nach acht Tagen traf ich ihn wieder auf der Treppe. Diesmal hatte mich nicht Großmutter geschickt, sondern ich mußte selbst etwas besorgen. Es war gerade um drei Uhr nachmittags, also um die Stunde, wo er gewöhnlich nach Hause zu kommen pflegte. ›Guten Tag!‹ sagte er mir. ›Guten Tag!‹ antwortete ich.

›Ist es Ihnen gar nicht langweilig, so den ganzen Tag mit der Großmutter zu sitzen?‹ fragte er mich.

Als er das fragte, wurde ich, ich weiß nicht warum, über und über rot; ich schämte mich, und es tat mir weh, daß sich schon Fremde über meine Lage erkundigten. Ich wollte sogar gehen, ohne ihm Antwort zu geben, brachte es aber nicht übers Herz.

›Hören Sie doch!‹ sagte er weiter, ›Sie sind wirklich ein gutes Mädchen! Entschuldigen Sie, daß ich mit Ihnen so spreche, doch ich versichere Sie, daß ich Ihnen nur alles Gute wünsche. Haben Sie denn gar keine Freundinnen, die Sie einmal besuchen könnten?‹

Ich sagte ihm, daß ich gar keine Freundinnen habe; ich hätte wohl eine Freundin, namens Maschenka gehabt, diese sei aber nach Pskow verzogen.

›Hören Sie,‹ sagte er drauf, ›möchten Sie nicht einmal mit mir ins Theater gehen?‹

›Ins Theater? Und was wird Großmutter sagen?‹

›Das müssen Sie eben hinter ihrem Rücken machen … ‹

›Nein,‹ sagte ich, ›ich will meine Großmutter nicht betrügen. Leben Sie wohl!‹

›Gut, leben Sie wohl!‹ sagte er. Sonst sagte er nichts.

Doch am Nachmittag kam er zu uns herunter; er nahm Platz, unterhielt sich lange mit Großmutter, fragte sie, ob sie irgendwohin ausfahre, ob sie Bekannte habe und sagte plötzlich so nebenbei: ›Ich habe für heute abend eine Loge in die Oper genommen. Der Barbier von Sevilla wird gegeben. Bekannte wollten mitgehen. Nun sagten sie ab, und so sitze ich mit dem Billett.‹

›Der Barbier von Sevilla!‹ rief Großmutter aus. ›Ist es derselbe Barbier, den man in der alten Zeit zu geben pflegte?‹

›Ja,‹ sagte er, ›es ist derselbe!‹ Und dabei warf er mir einen Blick zu. Ich hatte schon alles begriffen, und das Herz hüpfte mir in freudiger Erwartung!

›Wie sollte ich ihn nicht kennen?‹ sagte Großmutter: ›Habe ich doch selbst einmal vor vielen Jahren bei einer Liebhaberaufführung die Rosine gespielt!‹

›Würden Sie vielleicht heute mitkommen?‹ fragte der Mieter. ›Sonst verfällt ja mein Billett unbenutzt.‹

›Warum denn nicht?‹ sagte Großmutter. ›Gerne! Meine Nastenka ist ja noch nie im Theater gewesen.‹

Mein Gott, diese Freude! Wir machten uns gleich bereit, kleideten uns um und fuhren hin. Großmutter ist zwar blind, wollte aber doch gern die Musik hören; und dann ist sie ja auch eine gute Seele: sie tat es mehr, um mir ein Vergnügen zu bereiten. Denn sonst wären wir wohl nie in die Oper gekommen. Welchen Eindruck auf mich der Barbier machte, das will ich Ihnen gar nicht sagen. Aber unser Mieter sah mich den ganzen Abend so freundlich an und sprach zu mir so herzlich, daß ich mir gleich sagte, er wollte mich heute früh nur prüfen, als er mir vorschlug, ich möchte mit ihm allein ins Theater gehen! Nein, diese Freude! Als ich an diesem Abend zu Bett ging, war ich so stolz, so froh, und hatte solches Herzklopfen, daß ich beinahe fieberte. Die ganze Nacht phantasierte ich vom ›Barbier von Sevilla‹.

Ich glaubte, daß er uns von nun an öfter besuchen würde. Aber das fiel ihm gar nicht ein. Er hörte fast auf, zu uns zu kommen. Höchstens einmal im Monat kam er herunter, und jedesmal nur um uns aufzufordern, mit ihm ins Theater zu gehen. So an die zweimal gingen wir mit ihm auch wirklich hin. Dieses Benehmen gefiel mir gar nicht. Ich sah, daß er mit mir einfach Mitleid hatte, weil ich von der Großmutter so behandelt wurde, und sonst nichts. Je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr kränkte es mich; schließlich konnte ich weder lesen, noch arbeiten, noch überhaupt ruhig auf einem Platze sitzen; manchmal lachte ich und stellte irgendwelche Streiche an, über die sich Großmutter ärgern mußte, und manchmal weinte ich. Schließlich kam ich so herunter, daß ich beinahe krank wurde. Die Opernsaison war indessen zu Ende, und der Zimmerherr stellte seine Besuche ganz ein. Und jedesmal, wenn wir uns begegneten – natürlich immer auf der Treppe – grüßte er mich stumm und mit so ernstem Gesicht, als ob er mit mir überhaupt nicht mehr sprechen wollte; und wenn er schon längst aus dem Flur gegangen war, stand ich noch immer da, über und über rot: denn sooft ich ihm begegnete, stieg mir das Blut in den Kopf.

Nun kommt bald das Ende. Genau vor einem Jahr, im Mai, kam er einmal zu uns herunter und erklärte Großmutter, daß er seine Angelegenheiten in Petersburg erledigt hätte und nun für ein Jahr nach Moskau gehen müsse. Als ich das hörte, erblaßte ich und ließ mich beinahe ohnmächtig in einen Stuhl fallen. Großmutter merkte nichts davon, er aber kündigte die Wohnung, verabschiedete sich und ging.

Was sollte ich da tun? Ich dachte lange nach, grämte mich, und faßte mir schließlich ein Herz. Am Abend vor seiner Abreise machte ich, sobald Großmutter eingeschlafen war, den entscheidenden Schritt. Ich band einige Kleider und etwas Wäsche zusammen und ging mit diesem Bündel in der Hand, mehr tot als lebendig zu unserm Zimmerherrn hinauf. Ich glaubte, es dauerte eine ganze Stunde, bis ich die Treppe hinaufgestiegen war. Als ich die Türe zu seinem Zimmer öffnete und er mich sah, schrie er förmlich auf. Er glaubte wohl, ich sei ein Gespenst; dann brachte er mir schnell ein Glas Wasser, denn ich hielt mich kaum auf den Beinen. Mein Herz klopfte so stark, daß mir davon der Kopf weh tat, und meine Gedanken waren ganz wirr. Und als ich zu mir kam, legte ich mein Bündel aufs Bett, setzte mich daneben, bedeckte das Gesicht mit den Händen und begann bitterlich zu weinen. Er hatte wohl alles augenblicklich begriffen! er stand neben mir so bleich und sah mich so traurig an, daß mir das Herz weh tat.

 
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