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Arme Leute

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Am folgenden Abend, als die anderen alle schon zu Bett gegangen waren, öffnete Pokrowskij seine Tür und begann mit mir eine Unterhaltung, indem er auf der Schwelle seines Zimmers stehen blieb. Ich entsinne mich keines Wortes mehr von dem, was wir damals sprachen; ich weiß nur noch, daß ich schüchtern und verwirrt war, weshalb ich mich entsetzlich über mich ärgerte, und daß ich mit Ungeduld das Ende der Unterhaltung erwartete, obschon ich mit allen Fibern an ihr hing und den ganzen Tag an nichts anderes gedacht und mir sogar schon Fragen und Antworten zurecht gelegt hatte…

Mit diesem Gespräch begann unsere Freundschaft. Während der ganzen Dauer von Mamas Krankheit verbrachten wir jeden Abend einige Stunden zusammen. Allmählich überwand ich meine Schüchternheit, wenn ich auch nach jedem Gespräch immer noch Ursache hatte, über mich selbst ungehalten zu sein. Uebrigens erfüllte es mich mit geheimer Freude und stolzer Genugtuung, als ich sah, daß er um meinetwillen seine unausstehlichen Bücher vergaß. Einmal kamen wir zufällig darauf zu sprechen, wie sie damals vom Bücherbrett gefallen waren – natürlich im Scherz. Es war ein seltsamer Augenblick: ich glaube, ich war gar zu aufrichtig und naiv. Eine seltsame Begeisterung riß mich mit sich fort und ich gestand ihm alles… gestand ihm, daß ich lernen wollte, um etwas zu wissen, wie es mich geärgert, daß man mich für ein kleines Mädchen gehalten… Wie gesagt, ich befand mich in einer sehr sonderbaren Stimmung: mein Herz war weich und in meinen Augen standen Tränen, – ich verheimlichte ihm nichts, ich sagte ihm alles, alles, erzählte ihm von meiner Freundschaft zu ihm, von meinem Wunsch, ihn zu lieben, seinem Herzen nahe zu sein, ihn zu trösten, zu beruhigen…

Er sah mich eigentümlich an, er schien verwirrt und erstaunt zugleich zu sein und sagte kein Wort. Das tat mir plötzlich sehr weh und machte mich traurig. Ich glaubte, er verstehe mich nicht und mache sich in Gedanken vielleicht sogar über mich lustig. Und plötzlich brach ich in Tränen aus und weinte wie ein Kind: es war mir unmöglich, mich zu beherrschen, wie ein Krampf hatte es mich erfaßt. Er ergriff meine Hände, küßte sie, drückte sie an die Brust, redete mir zu, tröstete mich. Es mußte ihm sehr nahe gegangen sein, denn er war tief gerührt. Ich erinnere mich nicht mehr, was er zu mir sprach, ich weinte und lachte und errötete und weinte wieder vor lauter Seligkeit, und konnte selbst kein Wort hervorbringen. Dennoch entging mir nicht, daß in Pokrowskij eine gewisse Verwirrung und Gezwungenheit zurückblieb. Offenbar konnte er sich über meinen Gefühlsausbruch, über eine so plötzliche, glühende Freundschaft nicht genug wundern. Vielleicht war zu Anfang nur sein Interesse geweckt, doch späterhin verlor sich seine Zurückhaltung und er erwiderte meine Anhänglichkeit, meine freundlichen Worte, meine Aufmerksamkeit mit ebenso aufrichtigen, ehrlichen Gefühlen, wie ich sie ihm entgegenbrachte, und war so aufmerksam und freundlich zu mir, wie ein aufrichtiger Freund, wie mein leiblicher Bruder. In meinem Herzen war es so warm, so gut… Ich verheimlichte nichts und verstellte mich nicht: was ich fühlte, das sah er, und mit jedem Tage trat er mir näher, wurde seine Freundschaft zu mir größer.

Wirklich, ich vermag es nicht zu sagen, wovon wir in jenen qualvollen und doch süßen Stunden unseres nächtlichen Beisammenseins beim zitternden Licht des Lämpchens vor dem Heiligenbilde und fast dicht am Bett meiner armen, kranken Mutter sprachen… Wir sprachen von allem, was uns einfiel, wovon das Herz voll war – und wir waren fast glücklich… Ach, es war eine traurige und doch frohe Zeit, beides zugleich. Auch jetzt noch bin ich traurig und froh, wenn ich an sie zurückdenke. Erinnerungen sind immer quälend, gleichviel ob es traurige oder frohe sind. Wenigstens ist es bei mir so – freilich liegt in dieser Qual zugleich auch eine gewisse Süße. Aber wenn es einem schwer wird ums Herz und weh, und wenn man sich quält und traurig ist, dann sind Erinnerungen erfrischend und belebend wie nach einem heißen Tage kühler Tau, der am feuchten Abend die arme, in der Sonnenglut des Tages welk gewordene Blume erfrischt und wieder belebt.

Mama war bereits auf dem Wege der Besserung – trotzdem fuhr ich fort, die Nächte an ihrem Bett zu verbringen. Pokrowskij gab mir Bücher: anfangs las ich sie nur, um nicht einzuschlafen, dann aufmerksamer und zuletzt mit wahrer Gier. Es war mir, als täte sich eine ganze Welt neuer, mir bis dahin unbekannter, ungeahnter Dinge auf. Neue Gedanken, neue Eindrücke stürmten in Ueberfülle auf mich ein. Und je mehr Aufregung, je mehr Arbeit und Kampf mich die Aufnahme dieser neuen Eindrücke kostete, um so lieber waren sie mir, um so freudvoller erschütterten sie meine ganze Seele. Mit einem Schlage, ganz plötzlich drängten sie sich in mein Herz und ließen es keine Ruhe mehr finden. Es war ein eigentümliches Chaos, das mein ganzes Wesen aufzuregen begann. Nur konnte mich diese geistige Vergewaltigung doch nicht vernichten. Ich war gar zu verschwärmt und träumerisch, und das rettete mich.

Als meine Mutter die Krankheit glücklich überstanden hatte, hörten unsere abendlichen Zusammenkünfte und langen Gespräche auf. Nur hin und wieder fanden wir Gelegenheit, ein paar bedeutungslose, ganz gleichgültige Worte mit einander zu wechseln, doch tröstete ich mich damit, daß ich jedem nichtssagenden Wort eine besondere Bedeutung verlieh und ihm einen geheimen Sinn unterschob. Mein Leben war voll Inhalt, ich war glücklich, war still und ruhig glücklich. Und so vergingen mehrere Wochen…

Da trat einmal, wie zufällig, der alte Pokrowskij zu uns ins Zimmer. Er schwatzte wieder alles mögliche, war bei auffallend guter Laune, scherzte und war sogar witzig, so in seiner Art witzig, – bis er endlich mit der großen Neuigkeit, die zugleich die Lösung des Rätsels seiner guten Laune war, herauskam, und uns mitteilte, daß genau eine Woche später Petinkas Geburtstag sei und daß er an jenem Tage unbedingt zu seinem Sohne kommen werde. Er wolle dann die neue Weste anlegen, und seine Frau, sagte er, habe versprochen, ihm neue Stiefel zu kaufen. Kurz, der Alte war mehr als glücklich und schwatzte unermüdlich.

Sein Geburtstag also! Dieser Geburtstag ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe. Ich beschloß sogleich, ihm zum Beweis meiner Freundschaft unbedingt etwas zu schenken. Aber was? Endlich kam mir ein guter Gedanke: ich wollte ihm Bücher schenken. Ich wußte, daß er gern die neueste Gesamtausgabe der Werke Puschkins besessen hätte und so beschloß ich, ihm dieselbe zu kaufen. Ich besaß an eigenem Gelde etwa dreißig Rubel, die ich mir mit Handarbeiten verdient hatte. Dieses Geld war eigentlich für ein neues Kleid bestimmt, das ich mir anschaffen sollte. Doch ich schickte sogleich unsere Küchenmagd, die alte Matrjona, zum nächsten Buchhändler, um sich zu erkundigen, wieviel die neueste Ausgabe der Werke Puschkins koste. O, das Unglück! Der Preis aller elf Bände war, wenn man sie in gebundenen Exemplaren wollte, etwa sechzig Rubel. Woher das Geld nehmen? Ich sann und grübelte und wußte nicht, was tun. Mama um Geld bitten, das wollte ich nicht. Sie würde es mir natürlich sofort gegeben haben, doch dann hätten alle erfahren, daß wir ihm ein Geschenk machten. Und außerdem wäre es dann kein Geschenk mehr gewesen, sondern gewissermaßen eine Entschädigung für seine Mühe, die er das ganze Jahr mit mir gehabt. Ich aber wollte ihm die Bücher ganz allein, ganz heimlich schenken. Für die Mühe aber, die er beim Unterricht mit mir gehabt, wollte ich ihm ewig zu Dank verpflichtet sein, ohne ein anderes Entgelt dafür, als meine Freundschaft. Endlich verfiel ich auf einen Ausweg.

Ich wußte, daß man bei den Antiquaren im Gostinnyj Dworr4 die neuesten Bücher für den halben Preis erstehen konnte, wenn man nur zu handeln verstand. Oft waren es nur wenig mitgenommene, oft sogar fast ganz neue Bücher. Dabei blieb es: ich nahm mir vor, bei nächster Gelegenheit nach dem Gostinnyj Dworr zu gehen. Diese Gelegenheit fand sich schon am folgenden Tage: Mama hatte irgend etwas nötig, das aus einer Handlung besorgt werden sollte, und Anna Fedorowna gleichfalls, doch Mama fühlte sich nicht ganz wohl und Anna Fedorowna hatte zum Glück gerade keine Lust zum Ausgehen. So kam es, daß ich mit Matrjona alles besorgen mußte.

Ich fand sehr bald die betreffende Ausgabe, und zwar in einem hübschen und gut erhaltenen Einbande. Ich fragte nach dem Preise. Zuerst verlangte der Mann mehr, als die Ausgabe in der Buchhandlung kostete, doch nach und nach brachte ich ihn so weit – was übrigens gar nicht so leicht war – daß er, nachdem ich mehrmals fortgegangen und so getan hatte, als wolle ich mich an einen anderen wenden, nach und nach vom Preise abließ und seine Forderung schließlich auf fünfunddreißig Rubel festsetzte. Welch ein Vergnügen es mir war, zu handeln! Die arme Matrjona konnte gar nicht begreifen, was in mich gefahren war und wozu in aller Welt ich soviel Bücher kaufen wollte. Doch wer beschreibt schließlich meinen Aerger: ich besaß im ganzen nur meine dreißig Rubel, und der Kaufmann wollte mir die Bücher unter keinen Umständen billiger abtreten. Ich bat aber und flehte und beredete ihn so lange, bis er sich zu guter Letzt doch erweichen ließ: er ließ noch etwas ab, aber nur zweieinhalb Rubel, mehr, sagte er, könne er bei allen Heiligen nicht ablassen, und er schwor und beteuerte immer wieder, daß er es nur für mich tue, weil ich ein so nettes Fräulein sei, und daß er einem anderen Käufer nie und nimmer so viel abgelassen hätte. Zweieinhalb Rubel fehlten mir! Ich war nahe daran, vor Verdruß in Tränen auszubrechen. Doch da rettete mich etwas ganz Unvorhergesehenes.

 

Nicht weit von mir erblickte ich plötzlich den alten Pokrowskij, der an einem der anderen Büchertische stand. Vier oder fünf der Antiquare umringten ihn und schienen ihn durch ihre lebhaften Anpreisungen bereits ganz eingeschüchtert zu haben. Ein jeder bot ihm einige seiner Bücher an, die verschiedensten, die man sich nur denken kann: mein Gott, was er nicht alles kaufen wollte! Der arme Alte war ganz hilf- und ratlos und wußte nicht, für welches der vielen Bücher, die ihm von allen Seiten empfohlen wurden, er sich nun eigentlich entscheiden sollte. Ich trat auf ihn zu und fragte, was er denn hier suche. Der Alte war sehr froh über mein Erscheinen; er liebte mich sehr, vielleicht gar nicht so viel weniger als seinen Petinka.

»Ja, eben, sehen Sie, ich kaufe da eben Büchelchen, Warwara Alexejewna,« antwortete er, »für Petinka kaufe ich ein paar Büchelchen. Sein Geburtstag ist bald und er liebt doch am meisten Bücher, und da kaufe ich sie denn eben für ihn… «

Der Alte drückte sich immer sehr sonderbar aus, diesmal aber war er noch dazu völlig verwirrt. Was er auch kaufen wollte, immer kostete es über einen Rubel, zwei oder gar drei Rubel. An die großen Bände wagte er sich schon gar nicht heran, blickte nur so von der Seite mit verlangendem Lächeln nach ihnen hin, blätterte etwas in ihnen – ganz zaghaft und ehrfurchtsvoll langsam – besah wohl auch das eine oder andere Buch von allen Seiten, drehte es in der Hand und stellte es wieder an seinen Platz zurück.

»Nein, nein, das ist zu teuer,« sagte er dann halblaut, »aber von hier vielleicht etwas… « Und er begann, unter den dünnen Broschüren und Heftchen, unter Liederbüchern und alten Kalendern zu suchen: die waren natürlich billig.

»Aber weshalb wollen Sie denn so etwas kaufen,« fragte ich ihn, »diese Heftchen sind doch nichts wert!«

»Ach nein,« versetzte er, »nein, sehen Sie nur, was für hübsche Büchelchen hier unter diesen sind, sehen Sie, wie hübsch!« – Die letzten Worte sprach er so wehmütig und gleichsam zögernd in stockendem Tone, daß ich schon befürchtete, er werde sogleich zu weinen anfangen – vor lauter Kummer darüber, daß die hübschen Bücher so teuer waren – und daß sogleich ein Tränlein über seine bleiche Wange an der roten Nase vorüberrollen werde.

Ich fragte ihn schnell, wieviel Geld er habe.

»Da, hier,« – damit zog der Arme sein ganzes Vermögen hervor, das in ein schmutziges Stückchen Zeitungspapier eingewickelt war – »hier, sehen Sie, ein halbes Rubelchen, ein Zwanzigkopekenstück, hier Kupfer, auch so zwanzig Kopeken… «

Ich zog ihn sogleich zu meinem Antiquar.

»Hier, sehen Sie, sind ganze elf Bände, die alle zusammen zweiunddreißig Rubel und fünfzig Kopeken kosten. Ich habe dreißig, legen Sie jetzt zweieinhalb hinzu und wir kaufen alle diese elf Bücher und schenken sie ihm gemeinsam!«

Der Alte verlor fast den Kopf vor Freude, schüttelte mit zitternden Händen all sein Geld aus der Tasche, worauf ihm dann der Antiquar unsere ganze neuerstandene Bibliothek auflud. Mein Alterchen steckte die Bücher in alle Taschen, belud mit dem Rest Arme und Hände, und trug sie dann alle zu sich nach Haus, nachdem er mir sein Wort gegeben, daß er sie am nächsten Tage ganz heimlich zu uns bringen werde.

Richtig, am nächsten Tage kam er zu dem Sohn, saß wie gewöhnlich ein Stündchen bei ihm, kam dann zu uns und setzte sich mit einer unsagbar komischen und geheimnisvollen Miene zu mir. Lächelnd und die Hände reibend, stolz im Bewußtsein, daß er ein Geheimnis besaß, teilte er mir heimlich mit, daß er die Bücher alle ganz unbemerkt zu uns gebracht und in der Küche versteckt habe, woselbst sie unter Matrjonas Schutz bis zum Geburtstage unbemerkt verbleiben konnten.

Dann kam das Gespräch natürlich auf das bevorstehende große »Fest«. Der Alte begann sehr weitschweifig darüber zu reden, wie die Ueberreichung des Geschenkes vor sich gehen sollte, und je mehr er sich in dieses Thema vertiefte, je mehr und je unklarer er darüber sprach, um so deutlicher merkte ich, daß er etwas auf dem Herzen hatte, was er nicht sagen wollte oder nicht zu sagen verstand, vielleicht aber auch nicht recht zu sagen wagte. Ich schwieg und wartete. Seine geheime Freude und seine groteske Vergnügtheit, die sich anfangs in seinen Gebärden, in seinem ganzen Mienenspiel, in seinem Schmunzeln und einem gewissen Zwinkern mit dem linken Auge verraten hatten, waren allmählich verschwunden. Er war sichtlich von innerer Unruhe geplagt und schaute immer bekümmerter drein. Endlich hielt er es nicht länger aus und begann zaghaft:

»Hören Sie, wie wäre es, sehen Sie mal, Warwara Alexejewna… wissen Sie was, Warwara Alexejewna?.. « Der Alte war ganz konfus. »Ja, sehen Sie: wenn nun jetzt sein Geburtstag kommt, dann nehmen Sie zehn Bücher und schenken ihm diese selbst, das heißt also von sich aus, von Ihrer Seite sozusagen… ich aber werde dann den letzten Band nehmen und ihn ganz allein von mir aus überreichen, also sozusagen ausdrücklich von meiner Seite. Sehen Sie, dann haben Sie etwas zu schenken, und auch ich habe etwas zu schenken, wir werden dann eben sozusagen beide etwas zu schenken haben… «

Hier geriet der Alte ins Stocken und wußte nicht, wie er fortfahren sollte. Ich sah von meiner Arbeit auf: er saß ganz still und erwartete schüchtern, was ich wohl dazu sagen werde.

»Aber weshalb wollen Sie denn nicht gemeinsam mit mir schenken, Sachar Petrowitsch?« fragte ich.

»Ja so, Warwara Alexejewna, das ist schon so, wie gesagt… – ich meine ja nur eben sozusagen… «

Kurz, der Alte verstand sich nicht auszudrücken, blieb wieder stecken und kam nicht weiter.

»Sehen Sie,« hub er dann nach kurzem Schweigen von neuem an, »ich habe nämlich, müssen Sie wissen, den Fehler, daß ich mitunter nicht ganz so bin, wie man sein muß… das heißt, ich will Ihnen gestehen, Warwara Alexejewna, daß ich eigentlich immer dumme Streiche mache… das ist nun schon einmal so mit mir… und ist gewiß sehr schlecht von mir… Das kommt, sehen Sie, ganz verschiedentlich… es ist draußen mitunter so eine Kälte, auch gibt es da Unannehmlichkeiten, oder man ist eben einmal wehmütig gestimmt, oder es geschieht sonst irgend etwas nicht Gutes, und da halte ich es denn mitunter nicht aus und schlage eben über die Schnur und trinke ein überflüssiges Gläschen. Dem Petruscha aber ist das sehr unangenehm. Denn er, sehen Sie, er ärgert sich darüber und schilt mich und erklärt mir, was Moral ist. Also deshalb, sehen Sie, würde ich ihm jetzt gern mit meinem Geschenk beweisen, daß ich anfange, mich gut aufzuführen, seine Lehren zu beherzigen und überhaupt mich zu bessern. Daß ich also, mit anderen Worten, gespart habe, um das Buch zu kaufen, lange gespart, denn ich habe doch selbst gar kein Geld, sehen Sie, es sei denn, daß Petinka mir hin und wieder welches gibt. Das weiß er. Also wird er dann sehen, wozu ich sein Geld benutzt habe: daß ich alles nur für ihn tue.«

Er tat mir so leid, der Alte! Ich dachte nicht lange nach. Der Alte sah mich in erwartungsvoller Unruhe an.

»Hören Sie, Sachar Petrowitsch,« sagte ich, »schenken Sie sie ihm alle.«

»Wie alle? Alle Bände?«

»Nun ja, alle Bände.«

»Und das von mir, von meiner Seite?«

»Ja, von Ihrer Seite.«

»Ganz allein von mir? Das heißt, in meinem Namen?«

»Nun ja doch, versteht sich, in Ihrem Namen.«

Ich glaube, daß ich mich deutlich genug ausdrückte, doch es dauerte eine Zeitlang, bis der Alte mich begriff.

»Na ja,« sagte er schließlich nachdenklich, »ja! – das würde sehr gut sein, wirklich sehr gut, aber wie bleibt es dann mit Ihnen, Warwara Alexejewna?«

»Ich werde dann einfach nichts schenken.«

»Wie!« rief der Alte fast erschrocken, »Sie werden Petinka nichts schenken? Sie wollen ihm kein Geschenk machen?«

Ich bin überzeugt, daß der Alte in diesem Augenblick im Begriff war, das Angebot zurückzuweisen, nur damit auch ich seinem Sohne etwas schenken könne. Er war doch ein herzensguter Mensch, dieser Alte!

Ich versicherte ihm zugleich, daß ich ja sehr gern schenken würde, nur wolle ich ihm die Freude nicht schmälern.

»Und wenn Ihr Sohn mit dem Geschenk zufrieden sein wird,« fuhr ich fort, »und Sie sich freuen werden, dann werde auch ich mich freuen.«

Damit gelang es mir, den Alten zu beruhigen. Er blieb noch ganze zwei Stunden bei uns, vermochte aber in dieser Zeit keine Minute lang ruhig zu sitzen: er erhob sich, ging umher, sprach lauter als je, tollte mit Ssascha umher, küßte heimlich meine Hand, und schnitt Gesichter hinter Anna Fedorownas Stuhl, bis diese ihn endlich nach Hause schickte. Kurz, der Alte war rein aus Rand und Band vor lauter Freude, wie er es bis dahin vielleicht in seinem ganzen Leben noch nicht gewesen war.

Am Morgen des feierlichen Tages erschien er pünktlich um elf Uhr, gleich von der Frühmesse aus, erschien in anständigem, ausgebessertem Rock und tatsächlich in neuen Stiefeln und mit neuer Weste. In jeder Hand trug er ein Bündel Bücher – Matrjona hatte ihm dazu zwei Servietten geliehen. Wir saßen gerade alle bei Anna Fedorowna und tranken Kaffee (es war ein Sonntag). Der Alte begann, glaube ich, damit, daß Puschkin ein sehr guter Dichter gewesen sei; davon ging er, übrigens nicht ohne gewisse Unsicherheit und Verlegenheit und mehr als einmal stockend, aber doch ziemlich plötzlich, auf ein anderes Thema über, nämlich darauf, daß man sich gut aufführen müsse: wenn der Mensch das nicht tue, so sei das ein Zeichen, daß er »dumme Streiche mache«. Schlechte Neigungen hätten eben von jeher den Menschen herabgezogen und verdorben. Ja, er zählte sogar mehrere abschreckende Beispiele von Unenthaltsamkeit auf, und schloß damit, daß er selbst sich seit einiger Zeit vollkommen gebessert habe und sich jetzt musterhaft aufführe. Er habe auch früher schon die Richtigkeit der Lehren seines Sohnes erkannt und sie schon lange innerlich beherzigt, jetzt aber habe er begonnen, sich auch in der Tat aller schlechten Dinge zu enthalten und so zu leben, wie er es seiner Erkenntnis gemäß für richtig halte. Zum Beweis aber schenke er hiermit die Bücher, für die er sich im Laufe einer langen Zeit das nötige Geld zusammengespart habe.

Ich hatte Mühe, mir die Tränen und das Lachen zu verbeißen, während der arme Alte redete. So hatte er es doch verstanden, zu lügen, sobald es nötig war!

Die Bücher wurden sogleich feierlich in Pokrowskijs Zimmer gebracht und auf dem Bücherbrett aufgestellt. Pokrowskij selbst hatte natürlich sofort die Wahrheit erraten.

Der Alte wurde aufgefordert, zum Mittagessen zu bleiben. Wir waren an diesem Tage alle recht lustig. Nach dem Essen spielten wir ein Pfänderspiel und dann Karten. Ssascha tollte und war so ausgelassen wie nur je, und ich stand ihr in nichts nach. Pokrowskij war sehr aufmerksam gegen mich und suchte immer nach einer Gelegenheit, mich unter vier Augen zu sprechen, doch ließ ich mich nicht einfangen. Das war der schönste Tag in diesen vier Jahren meines Lebens!

Jetzt, von ihm ab, kommen nur noch traurige, schwere Erinnerungen, jetzt beginnt die Geschichte meiner dunklen Tage. Wohl deshalb will es mir scheinen, als ob meine Feder langsamer schreibe, als beginne sie, müde zu werden und als wolle es nicht gut weiter gehen mit dem Erzählen. Deshalb habe ich wohl auch so ausführlich und mit so viel Liebe alle Einzelheiten meiner Erlebnisse in jenen glücklichen Tagen meines Lebens beschrieben. Sie waren ja so kurz, diese Tage. So bald wurden sie von Kummer, von schwerem Kummer verdrängt, und nur Gott allein mag wissen, wann der einmal ein Ende nehmen wird.

Mein Unglück begann mit der Krankheit und dem Tode Pokrowskijs.

Es waren etwa zwei Monate seit seinem Geburtstage vergangen, als er erkrankte. In diesen zwei Monaten hatte er sich unermüdlich um eine Anstellung, die ihm eine Existenzmöglichkeit gewährt hätte, bemüht, denn bis dahin hatte er ja noch nichts. Wie alle Schwindsüchtigen, gab auch er die Hoffnung, noch lange zu leben, bis zum letzten Augenblick nicht auf. Einmal sollte er irgendwo als Lehrer angestellt werden, doch hatte er einen unüberwindlichen Widerwillen gegen diesen Beruf. In den Staatsdienst zu treten, verbot ihm seine angegriffene Gesundheit. Außerdem hätte er dort lange auf das erste etatsmäßige Gehalt warten müssen. Kurz, Pokrowskij sah überall nichts als Mißerfolge. Das war natürlich von schlechtem Einfluß auf ihn. Er rieb sich auf. Er opferte seine Gesundheit. Freilich beachtete er es nicht. Der Herbst kam. Jeden Tag ging er in seinem leichten Mantel aus, um wieder irgendwo um eine Anstellung zu bitten, – was ihm dabei eine Qual war. Und so kam er dann immer müde, hungrig, vom Regen durchnäßt und mit nassen Füßen nach Haus, bis er endlich so weit war, daß er sich zu Bett legen mußte – um nicht wieder aufzustehen… Er starb im Spätherbst, Ende Oktober.

 

Ich pflegte ihn. Während der ganzen Dauer seiner Krankheit verließ ich nur selten sein Zimmer. Oft schlief ich ganze Nächte nicht. Meist lag er bewußtlos im Fieber und phantasierte; dann sprach er Gott weiß wovon, zuweilen auch von der Anstellung, die er in Aussicht hatte, von seinen Büchern, von mir, vom Vater… und da erst hörte ich vieles von seinen Verhältnissen, was ich noch gar nicht gewußt und nicht einmal geahnt hatte.

In der ersten Zeit seiner Krankheit und meiner Pflege sahen mich alle im Hause etwas sonderbar an, und Anna Fedorowna schüttelte den Kopf. Doch ich blickte allen offen in die Augen, und da hörte man denn auf, meine Teilnahme für den Kranken zu verurteilen – wenigstens Mama tat es nicht mehr.

Hin und wieder erkannte mich Pokrowskij, doch geschah das verhältnismäßig selten. Er war fast die ganze Zeit nicht bei Besinnung. Bisweilen sprach er lange, lange, oft ganze Nächte lang in unklaren, dunklen Worten zu irgend jemand, und seine heisere Stimme klang in dem engen Zimmer so dumpf wie in einem Sarge. Dann fürchtete ich mich. Namentlich in der letzten Nacht war er wie rasend: er litt entsetzlich und quälte sich, und sein Stöhnen zerriß mir das Herz. Alle im Hause waren erschüttert. Anna Fedorowna betete die ganze Zeit, Gott möge ihn schneller erlösen. Der Arzt wurde gerufen. Er sagte, daß der Kranke wohl nur noch bis zum nächsten Morgen leben werde.

Der alte Pokrowskij verbrachte die ganze Nacht im Korridor, dicht an der Tür zum Zimmer seines Sohnes: dort hatte man ihm ein Lager zurecht gemacht, irgendeine Matte als Unterlage auf den Fußboden gelegt. Jeden Augenblick kam er ins Zimmer, – es war schrecklich, ihn anzusehen. Der Schmerz hatte ihn so gebrochen, daß er fast vollkommen teilnahmslos, ganz gefühllos und gedankenlos erschien. Sein Kopf zitterte. Sein ganzer Körper zitterte und sein Mund flüsterte mechanisch irgend etwas vor sich hin. Es schien mir, daß er vor Schmerz den Verstand verlieren werde.

Vor Tagesanbruch sank der Alte auf seiner Matte im Korridor endlich in Schlaf. Gegen acht Uhr begann der Sohn zu sterben. Ich weckte den Vater. Pokrowskij war bei vollem Bewußtsein und nahm von uns allen Abschied. Seltsam! Ich konnte nicht weinen, aber ich glaubte es körperlich zu fühlen, wie mein Herz in Stücke zerriß.

Doch das Qualvollste waren für mich seine letzten Augenblicke. Er bat lange, lange um irgend etwas, doch konnte ich seine Worte nicht mehr verstehen, da seine Zunge bereits steif war. Mein Herz krampfte sich zusammen. Eine ganze Stunde war er unruhig, und immer wieder bat er um irgend etwas, bemühte er sich, mit seiner bereits steif gewordenen Hand ein Zeichen zu machen, um dann wieder mit trauriger, dumpf-heiserer Stimme um etwas zu bitten – doch die Worte waren nur zusammenhanglose Laute, und wieder konnte ich nichts verstehen. Ich führte alle einzeln an sein Bett, reichte ihm zu trinken, er aber schüttelte immer nur langsam den Kopf und sah mich so traurig an. Endlich erriet ich, was er wollte: er bat, den Fenstervorhang aufzuziehen und die Läden zu öffnen. Er wollte wohl noch einmal den Tag sehen, das Gotteslicht, die Sonne.

Ich zog den Vorhang fort und stieß die Läden auf, doch der anbrechende Tag war trübe und traurig, wie das erlöschende arme Leben des Sterbenden. Von der Sonne war nichts zu sehen. Wolken verhüllten den Himmel mit einer dicken Nebelschicht, so regnerisch, düster und schwermütig war es. Ein feiner Regen schlug leise an die Fensterscheiben und rann in klaren, kalten Wasserstreifen an ihnen herab. Es war trüb und dunkel. Das bleiche Tageslicht drang nur spärlich ins Zimmer, wo es das zitternde Licht des Lämpchens vor dem Heiligenbilde kaum merklich verdrängte. Der Sterbende sah mich traurig, so traurig an und bewegte dann leise, wie zu einem müden Schütteln, den Kopf. Nach einer Minute starb er.

Für die Beerdigung sorgte Anna Fedorowna. Es wurde ein ganz, ganz einfacher Sarg gekauft und ein Lastwagen gemietet. Zur Deckung der Unkosten aber wurden alle Bücher und Sachen des Verstorbenen von Anna Fedorowna beschlagnahmt. Der Alte wollte ihr die Hinterlassenschaft seines Sohnes nicht abtreten, stritt mit ihr, lärmte, nahm ihr die Bücher fort, stopfte sie in alle Taschen, in den Hut, wo immer er sie nur unterbringen konnte, schleppte sie drei Tage mit sich herum und trennte sich auch dann nicht von ihnen, als wir zur Kirche gehen mußten. Alle diese Tage war er ganz wie ein Geistesgestörter. Mit einer seltsamen Geschäftigkeit machte er sich ewig etwas am Sarge zu schaffen: bald zupfte er ein wenig die grünen Blätter zurecht, bald zündete er die Kerzen an, um sie wieder auszulöschen und dann wieder anzuzünden. Man sah es, daß seine Gedanken nicht länger als einen Augenblick bei etwas Bestimmtem verweilen konnten.

Der Totenmesse in der Kirche wohnten weder Mama noch Anna Fedorowna bei. Mama war krank, Anna Fedorowna aber, die sich bereits angekleidet hatte, geriet wieder mit dem alten Pokrowskij in Streit, ärgerte sich und blieb zu Haus. So waren nur ich und der Alte in der Kirche. Während des Gottesdienstes ergriff mich plötzlich eine unsagbare Angst – wie eine dunkle Ahnung dessen, was mir bevorstand. Ich konnte mich kaum auf den Füßen halten.

Endlich wurde der Sarg geschlossen, auf den Lastwagen gehoben und fortgeführt. Ich begleitete ihn nur bis zum Ende der Straße. Dann fuhr der Fuhrmann im Trab weiter. Der Alte lief hinter ihm her und weinte laut, und sein Weinen zitterte und brach oft ab, da das Laufen ihn erschütterte. Der Arme verlor seinen Hut, blieb aber nicht stehen, um ihn aufzuheben, sondern lief weiter. Sein Kopf wurde naß vom Regen. Ein scharfer, kalter Wind erhob sich und schnitt ins Gesicht. Doch der Alte schien nichts davon zu spüren und lief weinend weiter, bald an der einen, bald an der anderen Seite des Wagens. Die langen Schöße seines fadenscheinigen alten Ueberrocks flatterten wie Flügel im Winde. Aus allen Taschen sahen Bücher hervor und im Arm trug er irgendein großes schweres Buch, das er krampfhaft umklammerte und an die Brust drückte. Die Vorübergehenden nahmen die Mützen ab und bekreuzten sich. Einige blieben stehen und schauten verwundert dem armen Alten nach. Alle Augenblicke fiel ihm aus einer Tasche ein Buch in den Straßenschmutz. Dann rief man ihn an, hielt ihn zurück und machte ihn auf seinen Verlust aufmerksam. Und er hob das Buch auf und lief wieder weiter, dem Sarge nach. Kurz vor der Straßenecke schloß sich ihm eine alte Bettlerin an und folgte gleichfalls dem Sarge. Endlich bog der Wagen um die Straßenecke und verschwand.

Ich ging nach Hause. Zitternd vor Weh warf ich mich meiner Mutter an die Brust. Ich umschlang sie fest mit meinen Armen und küßte sie und plötzlich brach ich in Tränen aus. Und ich schmiegte mich angstvoll an die einzige, die mir als mein letzter Freund noch geblieben war, als hätte ich sie für immer festhalten wollen, damit der Tod mir nicht auch sie noch entreiße…

Doch der Tod schwebte damals schon über meiner armen Mutter…

11. Juni.

Wie dankbar bin ich Ihnen, Makar Alexejewitsch, für den gestrigen Spaziergang nach den Inseln! Wie schön es dort war, wie wundervoll grün, und die Luft wie köstlich! – Ich hatte so lange keinen Rasen und keine Bäume gesehen, – als ich krank war, dachte ich doch, daß ich sterben müsse, daß ich bestimmt sterben werde – nun können Sie sich denken, was ich gestern fühlen mußte, und was empfinden!

Seien Sie mir nicht böse, daß ich so traurig war. Ich fühlte mich sehr wohl und leicht, aber gerade in meinen besten Stunden werde ich aus irgendeinem Grunde traurig; so geht es mir immer. Und daß ich weinte, das hatte auch nichts auf sich, ich weiß selbst nicht, weshalb ich immer weinen muß. Ich bin, das fühle ich, krankhaft überreizt, alle Eindrücke, die ich empfange, sind krankhaft – krankhaft heftig. Der wolkenlose blasse Himmel, der Sonnenuntergang, die Abendstille – alles das – ich weiß wirklich nicht, – ich war gestern jedenfalls in der Stimmung, alle Eindrücke schwer und qualvoll zu nehmen, so daß das Herz bald übervoll war und die Seele nach Tränen verlangte. Doch wozu schreibe ich Ihnen das alles? Das Herz wird sich nur so schwer über alles dies klar, um wie viel schwerer ist es da noch, alles wiederzugeben! Aber vielleicht verstehen Sie mich doch.

4Größte Kaufhalle in Petersburg. E. K. R
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