Mansfield Park

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Читает Benedict Cumberbatch, Cast Full, David Tennant
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9. Kapitel

Mr. Rushworth stand schon in der Tür, um die Dame seines Herzens zu empfangen, und begrüßte die ganze Gesellschaft mit der größten Zuvorkommenheit; drinnen im Salon wurden sie von seiner Mutter nicht minder herzlich willkommen geheißen, und Miss Bertram konnte mit der Auszeichnung, die ihr zuteil wurde, zufrieden sein. Als die Begrüßung abgetan war, mußte man erst einmal etwas essen. Türen wurden aufgerissen und die Gesellschaft durch ein oder zwei dazwischenliegende Räume ins Eßzimmer genötigt, wo ein reichlicher, elegant angerichteter Imbiß vorbereitet war. Es wurde viel geredet und viel gegessen, und alle waren guter Dinge. Dann kam man zum eigentlichen Zweck des Tages: Mr. Crawford sollte sich äußern, wie er sich die Besichtigung des Grundstücks vorstellte, auf welche Weise er vorzugehen wünschte. Mr. Rushworth erwähnte sein Kabriolett. Mr. Crawford plädierte für einen Wagen, der Raum für mehr als zwei Personen böte; sich der Augen und des Urteils anderer zu berauben, könnte – ganz abgesehen vom Verzicht auf eine so angenehme Gesellschaft – der Sache zu dauerndem Nachteil gereichen.

Mrs. Rushworths Vorschlag, außer dem Kabriolett auch die Chaise zu nehmen, fand wenig Anklang; die jungen Damen würdigten ihn keines Lächelns und keines Wortes. Ihr nächstes Anerbieten, den Gästen, die ihr heute zum erstenmal die Ehre gaben, das Haus zu zeigen, wurde wohlwollender aufgenommen; denn Miss Bertram schmeichelte es, die Größe ihres künftigen Besitzes vorzuführen, und die anderen waren froh, wenn nur überhaupt etwas unternommen wurde.

So erhoben sich denn alle und durchwanderten unter Mrs. Rushworths Führung eine lange Reihe von hohen und zum Teil sehr großen Räumen, die vor etwa fünfzig Jahren nach der damaligen Mode reich und prächtig eingerichtet waren:

glänzende Parkettböden, schwere Mahagonimöbel, Brokat, Marmor, Stuck und vergoldetes Schnitzwerk, wohin das Auge blickte. Bilder waren im Überfluß vorhanden, darunter einige gute, doch die meisten nur Familienporträts, die für niemand außer Mrs. Rushworth von Bedeutung waren. Sie hatte viel Fleiß darauf verwandt, alles, was die Haushälterin zu überliefern wußte, auswendig zu lernen, und war jetzt fast ebensogut befähigt, das Haus zu zeigen. Beim gegenwärtigen Anlaß wandte sie sich mit ihren Erklärungen hauptsächlich an Miss Crawford und Fanny, doch die Bereitwilligkeit, mit der die beiden ihren Worten folgten, ließ sich gar nicht vergleichen; Miss Crawford, die Dutzende von großen Häusern besichtigt hatte und sich aus keinem etwas machte, gab sich nur den Anschein, höflich zuzuhören, während Fanny, der dies ebenso interessant wie neu war, mit ungeheuchelter Aufmerksamkeit auf alles lauschte, was Mrs. Rushworth von den Schicksalen der Familie, von ihrem Aufstieg und ihrer Größe, von königlichen Besuchen und loyalen Taten zu berichten wußte. Sie verband das Gehörte eifrig mit den ihr bekannten geschichtlichen Ereignissen, und ihre Phantasie entzündete sich an den Bildern aus der Vergangenheit.

Infolge der Lage des Hauses bot keines der Zimmer eine besondere Aussicht, und während Fanny und einige andere Mrs. Rushworth zuhörten, machte Mr. Crawford ein ernstes Gesicht und sah kopfschüttelnd nach den Fenstern hin. Alle Räume der Westfront blickten über eine Rasenfläche auf einen Zaun aus hohen Eisenstäben, hinter dem die berühmte Allee begann.

Nachdem sie unendlich viele Räume besichtigt hatten, die keinen anderen Nutzen haben konnten, als etwas zur Fenstersteuer beizutragen und den Hausmädchen Beschäftigung zu verschaffen, sagte Mrs. Rushworth: «Und jetzt kommen wir zur Kapelle. Von Rechts wegen sollten wir sie vom oberen Stockwerk aus betreten; da wir aber heute ganz unter Freunden sind, werde ich Sie, wenn Sie gestatten, gleich hier hineinführen.»

Sie traten ein. Fannys Einbildungskraft hatte sie etwas Großartigeres erwarten lassen als einen länglichen, zu Andachtszwecken eingerichteten Raum, der nichts Auffallenderes oder Feierlicheres enthielt als einen Überfluß an Mahagoni und ein paar karminrote Samtkissen auf der Brüstung der oberen Galerie, wo die Familie ihren Platz hatte. «Ach, ich bin enttäuscht!» flüsterte sie Edmund zu. «Eine Kapelle habe ich mir anders vorgestellt. Hier gibt es nichts Großartiges – nichts, was melancholisch oder ehrfürchtig stimmt – keine Säulengänge und Bogengewölbe, keine Inschriften und Banner. Keine Banner, Edmund, ‹von nächtlichen Stürmen des Himmels gebläht›, kein Zeichen, daß ‹ein schottischer Herrscher hier unten ruht›.»

«Du vergißt, Fanny, daß dies hier, verglichen mit den alten Kapellen in Königsschlössern oder Klöstern, vor verhältnismäßig kurzer Zeit und zu einem sehr beschränkten Zweck gebaut wurde. Es ist nur für den Privatgebrauch der Familie bestimmt. Begraben wurden sie vermutlich in der Pfarrkirche. Dort mußt du deine Banner und Inschriften suchen.»

«Es war dumm von mir, nicht daran zu denken, aber ich bin enttäuscht.»

Mrs. Rushworth begann ihren Vortrag: «Die Kapelle, wie Sie sie jetzt sehen, wurde zur Zeit König Jakobs II. eingerichtet. Vor dieser Periode sollen die Kirchenstühle nur getäfelt gewesen sein, und es besteht Grund zur Annahme, daß die Draperien und Kissen der Kanzel und des Familienstuhles nur aus rotem Tuch waren, doch ist dies nicht sicher nachzuweisen. Es ist eine schöne Kapelle. Sie wurde früher täglich morgens und abends benützt. Der Gottesdienst wurde von einem eigenen Hausgeistlichen abgehalten, woran sich noch heute viele erinnern. Erst der selige Mr. Rushworth hat mit dieser Gepflogenheit gebrochen.»

«Jede Generation hat ihre Fortschritte», sagte Miss Crawford lächelnd zu Edmund.

Mrs. Rushworth war zu Mr. Crawford hinübergegangen, um ihm ihre Lektion zu wiederholen. Edmund, Fanny und Miss Crawford blieben beisammen stehen.

«Wie schade, mit der schönen, alten Sitte zu brechen!» rief Fanny. «Eine eigene Kapelle, ein Hauskaplan – das paßt so gut zum Stil eines großen Hauses, das entspricht dem Bild, das man sich gern von einem solchen Haushalt macht. Wie schön, wenn die ganze Familie sich regelmäßig zum Gebet versammelt!»

«Wunderschön!» sagte Miss Crawford lachend. «Es muß den Häuptern der Familie ungeheuer guttun, all die armen Hausmädchen und Diener zu zwingen, zweimal täglich ihre Arbeit oder ihre Muße zu unterbrechen und hier Gebete aufzusagen, während sie selber alle möglichen Vorwände erfinden, um der Andacht fernzubleiben.»

«Das entspräche wohl kaum Fannys Vorstellung von einer Familienandacht», bemerkte Edmund. «Wenn Herr und Herrin ihr nicht beiwohnen, muß die Sitte mehr Schaden als Nutzen bringen.»

«Auf alle Fälle ist es empfehlenswert, die Menschen in diesem Punkt ihrem eigenen Gewissen zu überlassen», sagte Miss Crawford. «Jeder verrichtet seine Andacht gern auf seine eigene Fasson, wann und wie es ihm am besten liegt. Der starre Zwang, zur bestimmten Stunde hier zu erscheinen, die Förmlichkeit, die Länge des Gottesdienstes – nein, das ist schrecklich und kann niemandem gefallen. Wenn die guten Leutchen, die einst hier gekniet und gegähnt haben, geahnt hätten, daß eine Zeit kommen würde, da man, beim Erwachen von Kopfschmerzen geplagt, zehn Minuten länger im Bett bleiben darf, ohne die ewige Verdammnis zu riskieren – sie wären vor Freude und Neid in die Luft gesprungen! Können Sie sich nicht lebhaft vorstellen, mit welchen Gefühlen die einstigen Schönen des Hauses Rushworth so manches liebe Mal diese Kapelle betreten haben? Ach, die armen Fräulein Eleonore und Brigitte hatten hinter ihren frommen Mienen wohl meist ganz andere Dinge im Kopf – besonders wenn an dem armen Hauskaplan nicht viel Sehenswertes war – und zu jenen Zeiten, denke ich, waren die Pfarrer noch viel minderwertiger als heutzutage.»

Ein paar Augenblicke lang erhielt sie keine Antwort. Fanny war ganz rot geworden und sah Edmund an, war aber zu böse, um etwas zu sagen, und er mußte sich erst ein wenig sammeln, ehe er erwidern konnte: «Ihr lebhafter Geist kann nicht einmal ernste Dinge ernsthaft betrachten. Sie haben uns da ein amüsantes Bild skizziert, und angesichts der menschlichen Natur kann man nicht einmal sagen, daß es falsch wäre. Wir alle kennen Augenblicke, in denen es uns schwerfällt, uns zu konzentrieren. Wenn Sie aber annehmen, daß dies der Normalfall ist, eine Schwachheit also, die durch mangelnde Selbstzucht zur Gewohnheit wird – was erwarten Sie dann von der privaten Andachtsübung solcher Menschen? Glauben Sie, daß die Gedanken, die man in der Kirche ungehindert umherschweifen läßt, im stillen Kämmerlein gesammelter wären?»

«Sehr wahrscheinlich ja. Zwei Umstände mindestens sprechen dafür: es gibt dort weniger Dinge, die die Aufmerksamkeit ablenken, und sie wird nicht so lange auf die Probe gestellt.»

«Ein Mensch, der in dem einen Fall nicht gegen seine Zerstreutheit ankämpft, würde sich im anderen Fall eben von anderen Dingen ablenken lassen; und die Stimmung des Ortes wie auch das Beispiel der anderen dürften oft einen günstigen Einfluß ausüben, so daß man die Kapelle andächtiger verläßt, als man sie betreten hat. Dagegen gebe ich zu, daß die ungebührliche Länge des Gottesdienstes manchmal auch den Frömmsten auf eine harte Probe stellt. Man möchte wünschen, daß es anders wäre – aber ich bin noch nicht so lange von Oxford fort, um gewisse Gebetsstunden vergessen zu haben.»

Während dieses Gespräches hatten sich die anderen in der Kapelle zerstreut, und Julia machte Mr. Crawford auf ihre Schwester aufmerksam: «Sehen Sie nur Mr. Rushworth und Maria an, wie sie nebeneinander vor dem Altar stehen, als sollten sie im nächsten Augenblick getraut werden! Sieht es nicht genau so aus?»

Mr. Crawford drückte seine Zustimmung durch ein Lächeln aus. Dann trat er an Maria heran und sagte so leise, daß nur sie es vernehmen konnte: «Ich sehe Miss Bertram nicht gern dem Altar so nahe.»

 

Die junge Dame wich in der ersten Überraschung unwillkürlich einen Schritt zurück, faßte sich aber gleich wieder und fragte lachend, aber in nicht viel lauterem Ton als er, ob er vielleicht den Brautführer spielen wolle?

«Ich fürchte, das würde ich sehr schlecht machen», erwiderte er mit einem vielsagenden Blick.

Julia, die sich in diesem Augenblick zu ihnen gesellte, spann ihren Scherz weiter aus.

«Nein wirklich, es ist doch jammerschade, daß es nicht gleich losgehen kann! Hier sind wir alle so gemütlich beisammen, ich könnte mir gar nichts Netteres und Intimeres vorstellen!» So schwatzte und lachte sie ungeniert weiter, bis auch Mr. Rushworth und seine Mutter ihre Anspielungen erfaßten; sie beschwor damit einen Schwall von geflüsterten Galanterien auf ihre Schwester herab, während Mrs. Rushworth mit geziertem Lächeln und geziemender Würde erklärte, wann immer das große Ereignis stattfände, würde es für sie ein beglückender Tag sein.

«Wenn Edmund doch schon ordiniert wäre!» rief Julia und lief zu ihrem Bruder hinüber, der neben Miss Crawford und Fanny stand. «Edmund, wenn du jetzt Pfarrer wärest, könntest du auf der Stelle die Trauung vollziehen! So ein Pech, daß du noch nicht in Amt und Würden bist! Sieh nur, Mr. Rushworth und Maria warten nur auf dich!»

Was bei Julias Worten in Miss Crawfords Miene vorging, hätte jeden unbeteiligten Zuschauer höchlich belustigt. Sie sah vollkommen entgeistert drein, und Fanny fühlte Mitleid mit ihr. Wie peinlich muß ihr jetzt sein, was sie vorhin gesagt! dachte sie.

«Ordiniert!» wiederholte Miss Crawford.

«Was – sollen Sie am Ende Pfarrer werden?»

«Ja, sobald mein Vater zurückkehrt, werde ich in mein Amt eingesetzt – wahrscheinlich zu Weihnachten.»

Miss Crawford nahm sich zusammen, und die Farbe kehrte wieder in ihre Wangen zurück. Sie antwortete nur: «Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich respektvoller von dem schwarzen Rock gesprochen», und begann dann von anderen Dingen zu reden.

Bald darauf überließ man die Kapelle wieder der Stille und Verlassenheit, die mit wenigen Unterbrechungen das ganze Jahr lang dort herrschten. Miss Bertram, die sich über ihre Schwester ärgerte, wandte sich als erste zum Gehen, und alle hatten plötzlich das Gefühl, sie hätten lange genug hier verweilt.

Man hatte jetzt das ganze Erdgeschoß des Hauses besichtigt, und die unermüdliche Mrs. Rushworth hätte ihre Schritte zur Haupttreppe gelenkt, um auch noch sämtliche oberen Räume vorzuführen, wenn ihr Sohn nicht Bedenken geäußert hätte, daß die Zeit nicht reichen würde.

«Denn», sagte er mit der zwingenden Logik, die auch mancher hellere Kopf nicht immer zu vermeiden weiß,«wenn wir uns zu lange im Haus versäumen, bleibt uns nicht mehr Zeit genug für den Park. Es ist zwei Uhr vorbei, und um fünf sollen wir essen.»

Mrs. Rushworth fügte sich, und die Frage, wie und von wem der Park besichtigt werden sollte, trat nun wieder in den Vordergrund. Mrs. Norris begann bereits auszurechnen, mit welcher Kombination von Wagen und Pferden am meisten vollbracht werden könnte, doch da gewahrten die jungen Leute eine verlockend geöffnete Tür, durch die man über ein paar Stufen unmittelbar ins Grüne, in Wald und Wiese und alle Herrlichkeiten des sommerlichen Parks gelangte, und wie von der gleichen Sehnsucht nach Luft und Freiheit gepackt, strömten sie alle zugleich ins Freie.

«Vielleicht gehen wir zuerst hierher», sagte Mrs. Rushworth, die, sich höflich dem unausgesprochenen Wunsch ihrer Gäste fügend, folgte.

«Hier sind unsere interessanten Pflanzen und auch die merkwürdigen Fasane.»

«Ich stelle die Frage», rief Mr. Crawford, während er seinen Blick ringsum schweifen ließ, «ob wir nicht, bevor wir weitergehen, hier einiges zu tun finden. Ich sehe da allerhand vielversprechende Wege. Mr. Rushworth, sollen wir auf diesem Rasenplatz eine Beratung einberufen?»

«James», sagte Mrs. Rushworth zu ihrem Sohn, «ich denke, die Wildnis wird alle Herrschaften interessieren. Die Fräulein Bertram haben die Wildnis noch nicht gesehen.»

Niemand widersprach, aber fürs erste schien auch niemand gesonnen, sich einem bestimmten Plan unterzuordnen oder auch nur ein Stück weiterzugehen. Alle zerstreuten sich in glücklicher Unabhängigkeit über den Platz und betrachteten die Pflanzen und die Fasane. Mr. Crawford war der erste, der sich weiter entfernte, um die Möglichkeiten zu prüfen, die sich auf dieser Seite des Hauses boten. Der zu beiden Seiten von hohen Mauern begrenzte, mit Sträuchern und Blumen bepflanzte Rasenplatz ging zunächst in eine Spielwiese und daran anschließend in eine lange Promenade über, die terrassenartig über die tieferliegende «Wildnis» hinausgebaut war und durch einen Zaun aus spitzen Eisenstäben den Blick in ihre Baumkronen freigab. Der Ort war wie dazu geschaffen, um Kritik herauszufordern. Miss Bertram und Mr. Rushworth gesellten sich bald zu Mr. Crawford, und als nach einer Weile auch die anderen sich zu kleinen Gruppen vereinten, entdeckten Edmund, Miss Crawford und Fanny, die sich ebenso selbstverständlich zusammenzufinden schienen, das andere Dreiblatt in eifriger Beratung auf der Terrasse. Nachdem sie einen Augenblick an ihren Sorgen und Schwierigkeiten teilgenommen hatten, schlenderten sie weiter. Die drei letzten, Mrs. Rushworth, Mrs. Norris und Julia, befanden sich noch weit hinten, denn Julia, deren Glücksstern nun nicht mehr herrschte, sah sich gezwungen, an Mrs. Rushworths Seite zu bleiben und ihre ungeduldigen Füßchen dem langsamen Schritt der alten Dame anzupassen, während Mrs. Norris mit der Haushälterin, die gerade herauskam, um die Fasane zu füttern, ein hochinteressantes Gespräch angeknüpft hatte. Die arme Julia, die einzige der Gesellschaft, die mit ihrem Los nicht wenigstens leidlich zufrieden war, mußte jetzt Buße tun und glich ganz und gar nicht mehr der strahlenden Julia auf dem Kutschbock. Die strenge Pflicht der Höflichkeit, zu der sie erzogen war, machte es ihr unmöglich, ihrer langweiligen Gefährtin zu entfliehen, während der Mangel an jener höheren Art von Selbstbeherrschung, die auf menschlicher Rücksichtnahme, Kenntnis des eigenen Wesens und einem inneren Gefühl für das Rechte beruht und leider einen sehr unwesentlichen Teil ihrer Erziehung gebildet hatte, ihr das kleine Opfer zur Qual machte.

«Nein, hier ist es unerträglich heiß», sagte Miss Crawford, als sie einmal die Terrasse auf und ab spaziert waren und sich jetzt zum zweitenmal der Tür in der Mitte des Eisenzaunes näherten, die in die «Wildnis» hinunterführte.

«Hat jemand etwas dagegen, daß wir es uns gemütlicher machen? Dort unten wäre ein hübsches, schattiges Wäldchen, wenn man nur hineinkommen könnte. Wie schön, wenn die Tür nicht versperrt wäre! Das wird sie aber natürlich sein, denn auf diesen großartigen Herrensitzen sind die Gärtner die einzigen, die hingehen dürfen, wo sie Lust haben.»

Die Tür war jedoch nicht verschlossen, und die beiden anderen stimmten freudig Miss Crawfords Vorschlag zu, der unerbittlichen Sonnenglut der Terrasse zu entfliehen. Über eine beträchtliche Anzahl von Stufen gelangten sie in die sogenannte Wildnis hinab, die in Wirklichkeit ein etwa zwei Morgen großer Wald war, der zwar hauptsächlich aus sorgfältig gestutzten Lärchen, Birken und Lorbeeren bestand und allzu regelmäßig angelegt war, aber im Vergleich zu der Schattenlosigkeit der Spielwiese und der Terrasse erquickende Kühle und Natürlichkeit atmete. Sie genossen dankbar die Erfrischung und gaben sich eine Weile lang nur ihrer Freude und Bewunderung hin, bis Miss Crawford nach kurzem Schweigen begann: «Sie werden also bald ein Pfarrherr sein, Mr. Bertram. Das ist für mich eine nicht geringe Überraschung.»

«Was ist daran überraschend? Sie mußten ja annehmen, ich sei für irgendeinen Beruf bestimmt, und Sie konnten leicht merken, daß ich weder Jurist noch Offizier noch Seemann bin.»

«Ja, richtig, aber – kurz gesagt, ich bin nicht auf die Idee gekommen. Und Sie wissen ja, gewöhnlich ist irgendein Onkel oder Großvater vorhanden, der dem zweiten Sohn sein Vermögen hinterläßt.»

«Eine sehr löbliche Sitte», sagte Edmund, «aber leider nicht allgemein eingeführt. Ich gehöre zu den Ausnahmen und muß mir mein Brot selber verdienen.»

«Aber warum gerade als Pfarrer? Ich dachte immer, das wäre das Los des Jüngsten unter vielen Brüdern, die ihm alle anderen Berufe weggeschnappt haben.»

«Sie glauben also, daß die Kirche niemals um ihrer selbst willen gewählt wird?»

«‹Niemals› ist ein düsteres Wort. Und doch – in dem Sinn, wie man es in der Konversation gebraucht, wo ‹niemals› ‹nicht sehr oft› bedeutet, glaube ich es wirklich. Was für Aussichten bietet die Kirche? Jeder Mann wünscht, sich auszuzeichnen, Ehren zu erringen, und das ist in jeder anderen Laufbahn möglich, nur nicht in der geistlichen. Ein Geistlicher ist gar nichts.»

«Ich hoffe, das ‹nichts› der Konversation hat seine besonderen Nuancen so gut wie das ‹niemals›. Ein Geistlicher kann keinen äußeren Glanz entfalten, das stimmt. Er darf sich nicht an die Spitze eines Pöbelhaufens stellen oder neue Modetorheiten erfinden. Aber ich kann einen Stand nicht mit ‹nichts› bezeichnen, in dessen Obhut alles gegeben ist, was für den einzelnen wie für die ganze Menschheit, zeitlich wie ewig betrachtet, das Allerwichtigste ist – einen Stand, dem die Sorge um Religion und Moral anvertraut ist und damit auch um die Gesittung, die sich auf beide gründet. Das Amt des Geistlichen kann niemand als ‹nichts› ansehen. Wenn der Mann, der es auszufüllen hat, ‹nichts› ist, dann nur, weil er seine Pflicht vernachlässigt, weil er die wahre Bedeutung seines Berufs nicht erfaßt und die ihm gezogene Grenze überschreitet, um zu scheinen, was er nicht sein sollte.»

«Sie schreiben dem Geistlichen einen größeren Einfluß zu, als man es gemeinhin tut, und ich begreife nicht recht warum. In der Gesellschaft merkt man nur sehr wenig von dem Einfluß und der Bedeutung, die Sie rühmen, und wie könnte es anders sein? Wie sollten zwei Predigten pro Woche – gesetzt sogar, daß sie hörenswert sind, weil der Herr Pfarrer den Verstand hat, die gedruckten Predigten von Blair seinem eigenen Machwerk vorzuziehen – wie sollten diese zwei Predigten all das bewirken, was Sie behaupten, wie können sie die Lebensführung und die Sitten einer großen Gemeinde für die ganze restliche Woche beeinflussen? Und außerhalb der Kanzel bekommt man den Pfarrer selten zu Gesicht.»

«Sie sprechen von London, ich spreche von der Nation in ihrer Gesamtheit.»

«Die Hauptstadt sollte doch ein halbwegs richtiges Bild vom übrigen Land geben.»

«Nicht, was das Verhältnis von Tugend und Laster anbelangt – das will ich wenigstens hoffen. In puncto Moral stehen die großen Städte nicht an der Spitze, und der Einfluß der Geistlichen – wie übrigens aller anständigen Menschen – macht sich gerade dort am wenigsten bemerkbar. Ein glänzender Prediger findet Anhänger und Bewunderer, aber ein rechter Pfarrer dient seiner Gemeinde und der ganzen Umgegend nicht nur durch glänzende Predigten. Freilich muß die Gemeinde klein genug sein, daß sie ihn als Menschen kennen und seine ganze Lebensführung beobachten kann, und das eben ist in London selten der Fall. Dort verschwindet der Geistliche in der Masse seiner Pfarrkinder; die allermeisten kennen ihn nur als Prediger. Und was den Einfluß auf die allgemeinen Sitten betrifft, darf Miss Crawford mich nicht mißverstehen. Ich will damit nicht sagen, daß unsere Pfarrer in Fragen des feinen Geschmacks und des gesellschaftlichen Raffinements maßgebend sind oder der eleganten Welt als Zeremonienmeister dienen könnten. Wenn ich von Sitten spreche, so meine ich damit die Gesittung, die Lebensführung, die sich aus den richtigen Grundsätzen ergibt, kurz die Auswirkung jener Lehre, die zu verbreiten und zu vertreten die erste Pflicht des Geistlichen ist. Und ich glaube, wohin man auch kommt, wird man eines sehen: wo die Geistlichen so sind, wie sie sein sollen, ist es auch das übrige Volk, und wo sie nicht ihre Pflicht erfüllen, tun es auch die anderen nicht.»

«Ganz bestimmt», sagte Fanny ernsthaft.

«Da haben wir es!» rief Miss Crawford. «Miss Price haben Sie bereits überzeugt.»

«Ich wollte, ich könnte auch Miss Crawford überzeugen.» «Ich glaube nicht, daß Ihnen das je gelingen wird», sagte sie mit schelmischem Lächeln. «Daß Sie die Absicht haben, Pfarrer zu werden, erstaunt mich noch immer genau so sehr wie im ersten Augenblick. Sie sind wirklich für etwas Besseres geschaffen. Kommen Sie, überlegen Sie sich die Sache noch einmal! Gehen Sie unter die Juristen.»

«Gehen Sie unter die Juristen! Ganz einfach, als ob Sie mich auffordern würden, hier in die ‹Wildnis› zu gehen.»

 

«So, jetzt werden Sie gleich sagen, daß die Juristerei die ärgere Wildnis ist, aber ich bin Ihnen zuvorgekommen! Leugnen Sie nicht, daß ich es zuerst gesagt habe!»

«Wenn Sie einem geistreichen Ausspruch von mir zuvorkommen wollen, brauchen Sie sich nicht zu beeilen, denn es besteht keine Gefahr, daß ich ein Bonmot von mir gebe. Witz und Schlagfertigkeit sind nicht meine starken Seiten. Ich bin ein nüchterner, einfacher Geselle, der nichts versteht, als seine Meinung geradeheraus zu sagen.»

Ein allgemeines Schweigen folgte. Alle waren nachdenklich geworden. Fanny unterbrach als erste die Stille: «Ich weiß nicht, wieso ich so müde bin, es ist doch so schön, hier im Wald zu spazieren. Aber wenn wir zu einer Bank kommen, möchte ich mich gern einen Augenblick hinsetzen – wenn es nicht stört.»

«Meine arme, kleine Fanny!» rief Edmund, unverzüglich ihren Arm ergreifend. «Wie gedankenlos von mir! Hoffentlich hast du dich nicht übermüdet. Vielleicht», wandte er sich an Miss Crawford, «tut mir meine andere Begleiterin gleichfalls die Ehre an, meinen Arm zu nehmen?»

«Danke, ich bin nicht müde.» Mit diesen Worten nahm sie gleichwohl seinen Arm, und die Freude darüber, die Beglückung, sich ihr zum erstenmal so eng verbunden zu fühlen, ließen ihn Fanny ein wenig vergessen. «Aber Sie berühren mich kaum», sagte er. «Sie stützen sich ja gar nicht richtig auf mich. Wie leicht der Arm einer Frau doch ist! In Oxford ist es öfter vorgekommen, daß ich einen Mann eine Strecke Weges stützen mußte, und im Vergleich dazu sind Sie nur eine Fliege.»

«Ich bin wirklich gar nicht müde. Ich staune selbst darüber, denn wir müssen in diesem Wald schon mindestens eine Meile weit gegangen sein, glauben Sie nicht?»

«Nicht einmal eine halbe Meile», lautete Edmunds sachliche Antwort, denn er war noch nicht verliebt genug, um Raum und Zeit mit weiblicher Gesetzlosigkeit zu messen.

«Oh, Sie ziehen die vielen Serpentinen nicht in Betracht. Wir gehen die ganze Zeit im Zickzack, und der Wald muß schon in gerader Richtung mindestens eine halbe Meile lang sein. Seit wir den Mittelweg verließen, haben wir noch kein Ende erblickt.»

«Aber vom Mittelweg aus sahen wir es, erinnern Sie sich nicht? Wir haben den Weg entlang geblickt und das eiserne Tor an seinem Ende gesehen. Es war höchstens eine Achtelmeile bis dahin.»

«Ach, von Ihren Achtelmeilen verstehe ich nichts. Ich sehe nur, daß der Wald sehr groß ist und wir uns die ganze Zeit darin herumwinden. Wenn ich sage, daß wir eine Meile weit gegangen sind, ist das noch eine bescheidene Annahme.»

«Wir sind jetzt genau eine Viertelstunde hier», sagte Edmund, seine Uhr ziehend. «Glauben Sie, daß wir vier Meilen in der Stunde machen?»

«Ach, kommen Sie mir nicht mit Ihrer Uhr! Eine Uhr geht immer zu schnell oder zu langsam. Von einer Uhr lasse ich mir nichts vorschreiben.»

Nach ein paar Schritten kamen sie plötzlich am Ende des Mittelweges heraus, von dem sie gesprochen hatten. Dort stand auch an einem wohlgeschützten, schattigen Plätzchen eine bequeme Bank, von der man über einen Zaun hinweg einen schönen Blick in den Park genoß, und alle ließen sich darauf nieder.

«Ich fürchte, du bist sehr müde, Fanny», sprach Edmund, der sie besorgt betrachtete.

«Warum hast du es nicht früher gesagt? Du wirst nicht viel Vergnügen von dem Tag haben, wenn du dir zuviel zumutest. Jede Bewegung ermüdet sie so rasch, Miss Crawford, nur das Reiten nicht.»

«Dann war es ganz abscheulich von Ihnen, mich ihr Pferd in Beschlag nehmen zu lassen, wie ich es die ganze letzte Woche getan habe! Ich schäme mich für Sie und für mich selber – aber es soll nicht mehr vorkommen.»

«Ihre Aufmerksamkeit und Rücksicht lassen mich meine eigene Nachlässigkeit noch mehr empfinden. Fannys Interessen sind bei Ihnen besser aufgehoben als bei mir.»

«Aber daß sie jetzt müde ist, wundert mich gar nicht. Nichts ermüdet mehr, als was wir heute tun mußten: ein großes Haus besichtigen, von einem Zimmer ins andere geschleppt werden, überall stehenbleiben, Augen und Ohren anstrengen, um zu hören, was einen nicht interessiert, und zu bewundern, was einen kaltläßt. Es gilt allgemein als die lästigste Pflicht, und wenn Miss Price das nicht wußte, hat sie es jetzt erfahren.»

«Ich werde gleich wieder ausgeruht sein», sagte Fanny. «An einem schönen Tag im Schatten sitzen und ins Grüne schauen, ist die wunderbarste Erfrischung.»

Nach einem Augenblick sprang Miss Crawford auf. «Ich muß mich bewegen», sagte sie, «mich ermüdet das Sitzen. Ich habe jetzt so lange auf diese Aussicht gestarrt, daß ich ganz erschöpft bin. Ich muß dort zum Zaun gehen und das gleiche Bild durch das Gitter betrachten, weil ich es dann nicht so deutlich sehe.»

Edmund stand gleichfalls auf. «Nun, Miss Crawford, wenn Sie jetzt den Weg entlang blicken, werden Sie sich überzeugen, daß er keine halbe Meile und nicht einmal eine Viertelmeile lang ist.»

«Er ist jedenfalls unendlich lang. Das sehe ich auf den ersten Blick.»

Edmund versuchte es noch immer mit Vernunftgründen, aber vergeblich. Sie wollte nicht rechnen und nicht vergleichen, sie wollte nur lachen und auf ihrer Meinung bestehen. Das Höchstmaß an logischer Folgerichtigkeit hätte ihm nicht reizender scheinen können, und beide waren von dem Gespräch sehr befriedigt. Schließlich einigten sie sich darauf, die Ausdehnung des Wäldchens genauer zu bestimmen, indem sie noch ein wenig darin herumwanderten. Sie wollten in der Richtung des Zaunes (an dem gleichfalls ein gerader Rasenweg entlangführte) bis zum Ende des Waldes gehen und vielleicht noch ein Stückchen in eine andere Richtung, falls das aufschlußreich schiene, und jedenfalls in ein paar Minuten wieder zurück sein. Fanny erklärte, sie sei völlig ausgeruht, und wäre gern mit ihnen gegangen, doch das wurde ihr nicht gestattet. Edmund redete ihr so ernsthaft zu, noch ein Weilchen zu rasten, daß sie sich fügen mußte. So blieb sie auf der Bank zurück, beglückt durch die zärtliche Fürsorge ihres Cousins, doch betrübt, daß sie nicht kräftiger war. Sie blickte den beiden nach, bis sie um die Wegbiegung verschwanden, und horchte auf den Klang ihrer Stimmen, bis er sich in der Stille verlor.

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