Die Abtei von Northanger

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Sechstes Kapitel

Die nun folgende Unterhaltung führten die beiden Freundinnen eines Morgens in der Brunnenhalle, nach ungefähr acht -oder neuntägiger Freundschaft. Wir wiederholen sie als Beweis ihrer warmen Zuneigung und ihres Taktgefühls, der Eigenart ihrer Gedanken und des literarischen Geschmacks, der ihre vernünftige Zuneigung auszeichnete. Sie hatten sich verabredet; und Isabella war fünf Minuten vor ihrer Freundin eingetroffen.

»Was hat dich nur so lang aufgehalten? Ich warte schon eine Ewigkeit auf dich!« sagte sie. »Wirklich? Das tut mir leid. Aber ich habe tatsächlich geglaubt, ich käme rechtzeitig. Es ist eben erst eins. Hoffentlich wartest du nicht schon lange!«

»Oh, eine Ewigkeit! Ich bin mindestens eine halbe Stunde hier. Aber komm, wir lassen uns am anderen Ende der Halle nieder. Ich habe dir eine Menge zu erzählen. Gerade als ich heute morgen fortgehen wollte, sah es nach Regen aus. Das wäre mir bitter gewesen, denn ich hatte in einem Schaufenster in der Milsom Street den entzückendsten Hut gesehen, den du dir vorstellen kannst. Er ist deinem sehr ähnlich, nur mit mohnroten statt mit grünen Bändern. Ich wollte ihn zu gern haben. Aber, liebste Catherine, was hast denn du den ganzen Morgen getrieben? Hast du in >Udolpho< weitergelesen? «

»Ja, seit dem Aufwachen habe ich es nicht mehr aus der gelegt. Bis zu dem schwarzen Schleier bin ich gekommen.«

»So weit schon? Wie schön! Aber ich verrate dir nicht, was sich hinter dem schwarzen Schleier verbirgt. Bist du nicht schrecklich gespannt?«

»O ja, entsetzlich! Was kann es nur sein? Aber verrate mir nichts! Ich möchte es unter keinen Umständen vorher wissen. Es muß ein Skelett sein, ich weiß, es ist Laurentias Skelett. Wenn ich nicht mit dir verabredet gewesen wäre, hätte ich das Buch nicht aus der Hand gelegt.«

»Wie nett von dir! Und wenn du >Udolpho< beendet hast, lesen wir den Italiener gemeinsam. Und ich habe dir noch weitere zehn oder zwölf lesenswerte Bücher aufgeschrieben.« »Wirklich? Wie freu ich mich! Wie heißen sie denn?« »Ich lese dir die Titel gleich vor. Hier in meinem Notizbuch stehen sie: >Schloß Wolfenbach<, >Clermont<, >Geheimnisvolle Warnung<, >Der Geisterbeschwörer vom Schwarzwald<, >Mitternachtsglocken<, >Die Waise vom Rhein<, und zuletzt die >Mysterien des Grauens<. Das wird einige Zeit vorhalten.«

»Ich glaube auch. Aber sind sie wirklich alle gruselig? Bist du sicher, dass sie alle recht gruselig sind?«

»Ja, bestimmt. Denn Miss Andrews, eine besondere Freundin von mir und ein ganz reizendes Mädchen, eines der süßesten Wesen auf Erden, hat sie alle gelesen. Ach, hättest du doch Miss Andrews kennengelernt! Auch du wärest von ihr entzückt. Sie strickt sich den entzückendsten Umhang, den du dir vorstellen kannst. Ich finde sie schön wie einen Engel. Und es ärgert mich immer wieder, dass die Männer sie nicht bewundern.«

»Du tadelst sie, weil sie deine Freundin nicht bewundern?« »Ja, das tue ich. Für meine engsten Freundinnen wage ich alles. Für liebevolle Menschen tue ich nichts halb. Das liegt mir nicht. Meine Zuneigung ist immer besonders stark. Bei einer unserer Gesellschaften im vergangenen Winter sagte ich Kapitän Hunt, selbst wenn er mich den ganzen Abend um einen Tanz quälen würde, sei es vergebens, wenn er nicht eingestände, dass Miss Andrews so hübsch wie ein Engel sei. Die Männer halten uns einer wirklichen Freundschaft für unfähig, weißt du; und ich will ihnen das Gegenteil beweisen. Würde ich einmal jemand abfällig von dir sprechen hören, so würde ich für dich in die Bresche springen. Aber dazu wird es nie kommen, denn du bist ganz nach dem Wunsch der Männer.«

»O Liebes«, rief Catherine errötend, »wie kannst du nur so etwas sagen!« »Ich kenne dich sehr gut! Du bist so lebhaft, und gerade das fehlt Miss Andrews; denn, ich muß schon zugeben, sie hat etwas furchtbar Farbloses. Oh! ich muß dir noch etwas erzählen. Als wir uns gestern getrennt hatten, sah ich einen jungen Mann dir ernsthaft nachblicken. Er hat sich sicher in dich verliebt.« Errötend wehrte Catherine wieder ab. Isabella lachte. »Es ist wirklich wahr, auf meine Ehre! Aber ich sehe schon, du bist gleichgültig gegen jede Bewunderung, solange sie nicht von dem einen Herrn kommt, dessen Namen ich nicht nennen will. Nein, ich tadele dich nicht«, sagte sie ernsthafter. »Ich verstehe deine Gefühle vollkommen. Wo wirklich das Herz spricht, bedeutet, wie ich weiß, die Bewunderung aller anderen wenig. Alles wird dagegen so bedeutungslos, so unwesentlich. Ich habe vollstes Verständnis für deine Gefühle.« »Aber du solltest mir nicht noch einreden, dass ich so viel an Mr. Tilney denke, denn vielleicht sehe ich ihn nie wieder.«

»Ihn nicht wiedersehen? Liebstes Herz, sprich nicht davon. Wie unglücklich wärst du dann.« »Nein, das wäre ich nicht! Ich behaupte nicht, dass er mir nicht sehr gut gefallen hat. Aber solange es noch ein Buch wie >Udolpho< gibt, kann mich niemand unglücklich machen. Oh, dieser entsetzliche schwarze Schleier! Isabella, es steckt doch bestimmt Laurentias Skelett dahinter!« Eigenartig, dass du nie >Udolpho< gelesen hast; aber ich nehme an, deine Mutter ist gegen Romane.«.

»Nein, gar nicht. Sie liest sehr oft >Sir Charles Grandison<; aber neue Bücher sind bei uns nicht zu haben.«

»>Sir Charles Grandison<! Das ist ein außerordentlich gruseliges Buch, nicht wahr? Ich entsinne mich, Miss Andrews kam nicht einmal durch den ersten Band.«

»Es ist ganz anders als >Udolpho<, aber ich finde es trotzdem sehr unterhaltend.« »Meinst du wirklich? Das überrascht mich. Ich glaubte, man könnte es gar nicht lesen. Aber, liebste Catherine, hast du schon einen Kopfputz für den heutigen Abend gewählt? Ich will den gleichen tragen wie du. Manchmal fällt das den Männern auf, weißt du?«

»Aber das hat doch gar nichts zu bedeuten«, erwiderte Catherine ganz unschuldig. »Bedeuten? Du lieber Himmel! Oh, ich habe mir vorgenommen, dass mir ihre Ansicht nie etwas bedeuten soll. Sie sind oft schrecklich unverschämt, wenn man sie nicht mit Geist behandelt und sie sich vom Leibe hält.«

»Wirklich? Ach, das habe ich nie bemerkt. Mir gegenüber benehmen sie sich immer recht gut.«

»Ach! Sie tun so. Sie sind aber die eingebildetsten Kreaturen auf Erden und halten sich für so schrecklich wichtig. Übrigens, ich wollte dich schon so oft fragen und habe es immer wieder vergessen: Welcher Typ gefällt dir am besten? Magst du lieber dunkle oder blonde Männer?«

»Ich weiß nicht recht. Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich glaube so zwischen beidem: braun - nicht hell und nicht zu dunkel.«

»Das ist großartig, Catherine. Genau so ist er . Ich habe deine Beschreibung von Mr. Tilney nicht vergessen. Nun, ich habe einen anderen Geschmack. Ich ziehe helle Augen vor. Und die Hautfarbe, weißt du, da gefallt mir eine blasse am besten. Du darfst mich nie im Stich lassen, wenn du jemals einem Mann in deiner Bekanntschaft begegnest, auf den diese Beschreibung paßt.«

»Dich im Stich lassen! Was meinst du damit?« »Nun mach mir aber keinen Kummer! Ich habe wohl schon zuviel gesagt? Wir wollen von etwas anderem sprechen.«

Catherine gehorchte einigermaßen verwundert und wollte, nach einigen Minuten des Schweigens, eben zu dem übergehen, was sie im Augenblick am meisten fesselte - zu Laurentias Skelett, als ihre Freundin sie mit den Worten daran hinderte: »Um des Himmels willen, laß uns aus dieser Ecke fortgehen. Weißt du, die zwei entsetzlichen jungen Männer dort starren mich seit einer geschlagenen Stunde an. Ich befürchte, meine ganze Haltung zu verlieren. Komm, wir wollen sehen, wer neu angekommen ist. Sie werden uns kaum folgen.«

Sie schlenderten also zu dem Gästebuch. Während Isabella die Namen überflog, fiel es Catherine zu, die weiteren Bewegungen der beiden aufregenden jungen Leute zu beobachten. »Sie kommen doch nicht hierher, nicht wahr? Sie sind hoffentlich nicht so unverschämt, uns zu folgen. Bitte, sage mir, wenn sie kommen. Ich will nicht aufblicken.«

Nach einigen Augenblicken versicherte ihr Catherine mit natürlicher Freude, sie brauche sich nun nicht länger zu beunruhigen, die Herren hätten soeben die Brunnenhalle verlassen. »Und in welcher Richtung entfernten sie sich?« fragte Isabella und wandte sich hastig um. »Der eine sah hübsch aus.« »Sie gingen zum Friedhof hinüber.«

»Na, ich bin wenigstens schrecklich froh, dass ich sie losgeworden bin! Was hältst du davon, wenn du mich nun zu den Edgar Villen begleitetest und dir meinen neuen Hut ansähest? Das wolltest du doch so gern.«

Catherine willigte ein; aber sie fügte hinzu: »Vielleicht holen wir dann die beiden jungen Herren ein.«

»Ach, das macht nichts. Wir gehen schnell an ihnen vorbei. Ich brenne doch darauf, dir meinen neuen Hut zu zeigen.« »Wenn wir aber noch ein paar Minuten warten, laufen wir keine Gefahr mehr, sie überhaupt wiederzusehen.«

»So viel Rücksicht will ich gar nicht auf sie nehmen. Ich beabsichtige nicht, solche Männer mit Achtung zu behandeln. Das hieße sie verwöhnen.«

Gegen solche Gründe hatte Catherine nichts einzuwenden. Um Miss Thorpes Unabhängigkeit zu beweisen und das andere Geschlecht zu demütigen, machten sie sich sogleich auf den Weg und schritten schnellen Schrittes davon, um den beiden jungen Leuten zu folgen.

Siebentes Kapitel

In einer halben Minute hatten sie den Brunnenhof durchquert und den Bogengang gegenüber der Union-Passage erreicht. Dort wurden sie aufgehalten. Wer schon einmal in Bath war, wird sich der Schwierigkeiten erinnern, die das Überqueren der Cheap Street an dieser Stelle bietet. Diese Straße ist tatsächlich so heimtückisch und in so unglücklicher Weise mit den Durchgangsstraßen von London und Oxford verbunden -und hier liegt auch der größte Gasthof des Ortes -, dass kein Tag vergeht, an dem nicht ganze Gruppen von Damen durch Kutschen, Reiter und Wagen in ihren wichtigsten Besorgungen aufgehalten werden, die darin bestehen, noch einiges Gebäck einzukaufen, nach einer Putzmacherin oder - wie in diesem Falle - nach zwei jungen Männern auszuschauen. Diesen Übelstand beklagte Isabella täglich wiederholt und heute erneut; denn als sie die Union Street erreichten und die Herren wieder sichteten, die sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnten, wurden sie am Übergang durch ein herannahendes Gig gehindert, das auf dem schlechten Pflaster von einem höchst verwegen aussehenden Kutscher in einer Geschwindigkeit gelenkt wurde, die sein und seiner Gefährten Leben sowie das des Pferdes aufs stärkste gefährdete.

 

»Oh, diese entsetzlichen Gigs!« rief Isabella aufblickend, »Wie ich sie hasse!« Aber diese gerechte Abneigung dauerte nur kurze Zeit, denn nach einem zweiten Blick rief sie: »Entzückend! Mr. Morland und mein Bruder!«

»Guter Gott! Es ist James!« stammelte Catherine. Aber im gleichen Augenblick hatten die jungen Leute sie auch schon entdeckt und das Pferd mit einer Heftigkeit zum Stehen gebracht, dass es fast auf die Hinterhand niederging. Die Herren sprangen heraus, der Diener eilte herbei, und sie übergaben den Wagen seiner Aufsicht.

Catherine kam diese Begegnung völlig unerwartet, und sie begrüßte ihren Bruder mit lebhafter Freude; da er seinerseits auch ein freundlicher Mensch und seiner Schwester herzlich zugetan war, äußerte er die gleiche Freude. Währenddes forderten die blitzenden Augen von Miss Thorpe seine Aufmerksamkeit ständig für sich. Er kam dieser Forderung mit einer Freude und Verlegenheit nach, die Catherine hätte zeigen müssen, dass ihr Bruder Miss Thorpe mindestens ebenso hübsch fand, wie sie es tat, hätte sie sich nur in den Gefühlen anderer Menschen besser ausgekannt.

John Thorpe hatte derweil dem Kutscher Anweisungen wegen des Pferdes gegeben. Er gesellte sich nun zu ihnen, und während er Isabellas Hand nur oberflächlich und nachlässig berührte, zollte er Catherine sogleich die schuldige Aufmerksamkeit und brachte es zu einem tiefen Kratzfuß und einer halben Verbeugung. Er war ein untersetzter, mittelgroßer junger Mann, der wegen seines unansehnlichen Gesichtes und seiner ungelenken Figur zu fürchten schien, man könne ihn für zu schön halten, wenn er nicht den Anzug eines Stallknechtes trüge, und er sehe einem Edelmann zu ähnlich, wenn er nicht nonchalant wäre, wo Höflichkeit angebracht war, oder unverschämt, wo er vielleicht nonchalant sein durfte. Er zog seine Uhr aus der Tasche: »Schätzen Sie einmal, Miss Morland, wie lange haben wir wohl von Tetbury hierher gebraucht?« »Ich kenne die Entfernung nicht.« Ihr Bruder bemerkte, es seien dreiundzwanzig Meilen.

»Dreiundzwanzig Meilen?« rief Thorpe, »fünfundzwanzig auf den Zoll.« Morland wehrte ab und berief sich auf die Autorität von Landkarten, Gastwirten und Meilensteinen; aber sein Freund spottete ihrer aller. »Ich weiß, es müssen .fünfundzwanzig sein«, bekräftigte er, »nach der Zeit, die wir gebraucht haben. Es ist jetzt halb zwei, und als wir aus dem Hof des Gasthauses in Tetbury fuhren, schlug die Rathausuhr gerade elf. Das macht genau fünfundzwanzig Meilen.«

»Du hast dich um eine Stunde geirrt«, sagte Morland; »wir fuhren um zehn von Tetbury ab.« »Zehn Uhr? Nein, es war elf! Ich habe doch die Schläge gezählt. Ihr Bruder möchte mich am liebsten um den Verstand reden, Miss Morland. Sehen Sie sich nur mein Pferd an. Haben Sie je in Ihrem Leben ein Tier gesehen, das mehr für Geschwindigkeit geboren ist? (Der Diener war gerade aufgestiegen und fuhr von dannen.) Reines Vollblut! Drei und eine halbe Stunde und nur dreiundzwanzig Meilen! Sehen Sie sich das Tier an, und glauben Sie es, wenn Sie können!« »Es sieht zumindest sehr erhitzt aus.«

»Erhitzt? Es hatte bis zur Kirche von Walcot kein feuchtes Haar. Aber sehen Sie sich seine Vorderhand an, seine Weichen, seinen Gang; das Pferd kann einfach nicht langsamer traben als zehn Meilen die Stunde. Binden Sie ihm die Beine zusammen, es wird dennoch vorwärtskommen. Und was halten Sie von meinem Gig, Miss Morland? Hübsch, nicht wahr? Hängt gut; für die Stadt gebaut. Ich habe es noch keinen Monat. Es war für einen Studenten vom Christ Church College gebaut, er ist ein Freund von mir, ein sehr netter Bursche. Er fuhr den Wagen nur ein paar Wochen und wollte ihn dann wieder loswerden. Ich suchte gerade nach irgendeinem leichten Gefährt, obgleich ich mich eigentlich schon für ein Kabriolet entschlossen hatte. Zufällig traf ich ihn an der Magdalenenbrücke, als er nach Oxford hineinfuhr. >Ach, Thorpe<, sagte er, >möchtest du nicht so ein leichtes Ding wie dieses? Es ist einzig in seiner Art, aber ich habe es verflucht satt.< - >Oh, verdammt sagte ich, >da mach ich mit. Was verlangst du dafür?< Und wieviel glauben Sie, Miss Morland, forderte er?«

»Das kann ich nicht erraten.«

»Gefedert wie ein Kabriolet, sehen Sie; Sitz, Koffer, Degenkasten, Spritzleisten, Lampen, Silberbeschlag, alles dran; das Eisenwerk ist so gut wie neu oder noch besser. Er verlangte fünfzig Guineen. Wir wurden sofort handelseinig. Ich legte das Geld auf den Tisch, und der Wagen war mein.«

»Und ich bin gewiß so unerfahren«, erwiderte Catherine, »dass ich nicht einmal sagen kann, ob es billig war oder teuer.«

»Keins von beiden. Wahrscheinlich hätte ich ihn auch billiger bekommen können; aber ich hasse das Feilschen, und der gute Freeman brauchte Moneten.«

»Das war aber freundlich von Ihnen«, sagte Catherine beifällig.

»Verdammt noch mal, wenn man die Mittel hat, einem Freund etwas Gutes zu tun, bin ich nicht kleinlich.«

Bei dieser Gelegenheit wurden die Damen nach ihren weiteren Plänen gefragt, und als man von ihrer Absicht erfuhr, beschloß man, sie zu den Edgarvillen zu begleiten und Mrs. Thorpe aufzuwarten. James und Isabella gingen voran. Die junge Dame war zufrieden mit ihrem Los und sehr darauf bedacht, einem jungen Mann den Weg so angenehm wie möglich zu machen, der den großen Vorzug genoß, gleichzeitig der Freund ihres Bruders und der Bruder ihrer Freundin zu sein. Ihre Gefühle waren so rein und bar jeder Koketterie, dass ihr beim Überholen der beiden aufdringlichen jungen Leute in der Milsom Street nichts daran lag, deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und sie sich nur dreimal nach ihnen umsah.

John Thorpe hielt sich selbstverständlich neben Catherine und nahm nach kurzem Schweigen seine Unterhaltung über sein Gig wieder auf. »Auch andere Leute halten den Wagen für billig, wie Sie daraus ersehen, dass ich ihn am nächsten Tage zehn Guineen teurer wieder hätte verkaufen können. Jackson vom Oriel College bot mir sogleich sechzig. Morland war damals gerade dabei.«

»Ja«, warf Morland ein; »aber du vergißt, dass der Gaul einbegriffen war.«

»Mein Pferd! Oh, verdammt noch mal! Mein Pferd gäbe ich nicht für hundert her. – Fahren Sie gern im offenen Wagen, Miss Morland?«

»Ja, sehr! Ich habe so selten Gelegenheit dazu; aber ich tue es für mein Leben gern.«

»Das freut mich. Ich will Sie jeden Tag spazierenfahren.«

»Vielen Dank!« entgegnete Catherine ziemlich betrübt, da sie nicht genau wußte, ob die Annahme eines solchen Angebotes schicklich war.

»Morgen fahre ich Sie den Landsdown-Weg hinauf.«

»Vielen Dank, aber Ihr Pferd braucht doch ein wenig Ruhe.«

»Ruhe! Es ist heute doch nur dreiundzwanzig Meilen gelaufen. Unsinn! Gerade die Ruhe schadet den Pferden; nichts gibt ihnen so schnell den Rest. Nein, nein, ich werde meines während des hiesigen Aufenthaltes wenigstens vier Stunden lang täglich bewegen.«

»Wirklich?« fragte Catherine ernsthaft, »Das wären vierzig Meilen jeden Tag.« »Vierzig, ja, oder auch fünfzig. Was macht mir das aus! Ich werde Sie morgen nach Landsdown hinauffahren. Also denken Sie daran. Ich habe mir das vorgenommen.« »Wie reizend wird das sein«, rief Isabella und wandte sich zurück. »Meine liebste Catherine,

ich beneide dich ordentlich. Aber ich fürchte, dass für drei der Platz nicht reicht.« »Für drei? Nein, unter keinen Umständen. Ich bin auch nicht nach Bath gekommen, um meine

Schwestern spazierenzufahren. Das wäre ein netter Spaß! Für dich muß Morland sorgen.« Darauf tauschte das andere Paar einige Höflichkeiten; aber Catherine konnte weder Einzelheiten noch das Ergebnis erhaschen. Die Unterhaltung ihres Begleiters änderte sich jetzt. Von der vorherigen Lebhaftigkeit wechselte er zu kurzen, bestimmten Ausrufen des Wohlgefallens oder der Ablehnung über das Gesicht jeder ihnen entgegenkommenden Frau. Catherine hörte beipflichtend zu, solange sie es vermochte; denn sie fürchtete, eine eigene Meinung auszusprechen, die womöglich der eines selbstbewußten jungen Mannes widerspräche, zumal in Fragen der Schönheit des eigenen Geschlechtes. Schließlich aber wagte sie doch, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken durch eine Frage, die ihr schon geraume Zeit auf der Seele gebrannt hatte: »Haben Sie auch >Udolpho< gelesen, Mr. Thorpe?«

»>Udolpho<? Oh, ich, nein! Ich lese niemals Romane! Ich habe Besseres zu tun.« Catherine war gedemütigt und schämte sich. Sie setzte schon zu einer Entschuldigung an, als er sagte: »Romane sind so flach und ohne jeden Sinn. Seit >Tom Jones< ist kein anständiger mehr geschrieben worden, außer dem >Mönch<, wie ich neulich las. Aber alle anderen sind der größte Blödsinn der gesamten Schöpfung.«

»Ich glaube, >Udolpho< würde Ihnen aber doch gefallen, wenn Sie ihn läsen. Es ist so interessant.«

»Nein, mir nicht! Bestimmt nicht! Wenn ich überhaupt Romane lese, dann nur die von Mrs. Radcliffe. Ihre Romane sind ganz lustig. Sie sind noch lesenswert; sie machen wenigstens ein bißchen Spaß und sind obendrein natürlich.« . »Aber >Udolpho< ist ja von Mrs. Radcliffe«, meinte Catherine zögernd, in der Furcht, ihn zu beschämen. »Nein, wirklich? Ach ja, ich entsinne mich, das stimmt ja auch. Ich dachte an das andere alberne Buch von der Frau, um die man so viel Wesens macht. Wissen Sie, die den französischen Emigranten geheiratet hat.« »Oh, meinen Sie >Camilla<?«

»Ja, das ist es. Solch unnatürliches Zeug! Ein alter Mann, der auf die Schaukel geht. Ich blätterte einmal im ersten Band, aber ich erkannte schnell, dass es nichts taugt; ich wußte eigentlich schon vorher, was es für ein Unsinn war, ehe ich es wirklich gesehen hatte. Als ich nur hörte, sie habe einen Emigranten geheiratet, war ich vollkommen sicher, dass ich es nie zu Ende bringen würde.« »Ich habe es nie gelesen.«

»Das ist auch kein Verlust! Es ist das größte Gewäsch, das Sie sich vorstellen können. Es kommt nichts anderes drin vor, als dass ein alter Mann sich auf die Schaukel setzt und Latein lernt. Wirklich, so ist es.«

Unter solchen kritischen Betrachtungen langten sie vor Mrs. Thorpes Wohnung an, und die Gefühle des selbstbewußten, unvoreingenommenen Lesers der »Camilla« wichen denen des liebevollen und pflichtbewußten Sohnes. Sie begegneten Mrs. Thorpe auf dem Korridor, die sie schon von oben recht lebhaft begrüßt hatte. »Ah! Mutter! Wie geht es?« fragte er und schüttelte ihr herzhaft die Hand. »Wo hast du diesen scheußlichen Hut erstanden? Du siehst damit aus wie eine alte Hexe. Hier ist auch Morland. Wir wollen ein paar Tage bei euch bleiben. Du mußt dich also irgendwo nach ein paar guten Betten umsehen.« Diese Art der Begrüßung schien alle liebevollen Wünsche der Mutter zu befriedigen, denn sie hieß ihn mit begeisterter und überschwenglicher Liebe willkommen. Darauf schenkte er seinen beiden jüngeren Schwestern ähnliche Zärtlichkeit und stellte gelassen fest, sie seien beide außerordentlich häßlich.

Seine Art sagte Catherine gar nicht zu; immerhin, er war James’ Freund und Isabellas Bruder. Ihr Urteil milderte sich durch Isabellas Versicherung, John hielte sie für ein äußerst reizendes Mädchen, wie ihr berichtet wurde, als sie sich zurückzogen und den neuen Hut bewunderten. Auch bat John sie, mit ihm zu tanzen. Diese Angriffe hätten wenig bedeutet, wenn sie älter oder eitler gewesen wäre. Aber wo sich Jugend mit Schüchternheit paart, bedarf es einer ungewöhnlichen Festigkeit, um dergleichen Schmeicheleien zu widerstehen. Nach dieser bei den Thorpes verbrachten erfolgreichen Stunde begaben sich die beiden Morlands zu Mr. und Mrs. Allen. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, meinte James: »Nun, Catherine, wie gefällt dir mein Freund Thorpe?« Worauf sie sogleich erwiderte: »Er gefällt mir sehr gut, er ist sehr angenehm«, anstatt zu sagen: »Ich mag ihn gar nicht«, was sie wohl getan hätte, wenn sie nicht sowohl Freundschaft wie Schmeichelei erlegen wäre.

 

»Er ist der gutmütigste Kerl, der je gelebt hat; ein wenig prahlerisch; aber das liebt ihr Frauen ja! Und wie gefällt dir die übrige Familie?«

»Sehr, sehr gut, wirklich - und Isabella ganz besonders.«

»Das höre ich gerne, sie ist die geeignete Freundin für dich, so vernünftig, natürlich und liebenswürdig. Ich hatte schon immer gewünscht, ihr möchtet einander kennenlernen. Und sie scheint dich auch sehr zu schätzen. Sie lobte dich in den höchsten Tönen. Und auf ein Lob von Miss Thorpe kannst sogar du, Catherine, stolz sein.« Dabei nahm er ihre Hand liebevoll in die seine.

»Das bin ich auch«, erwiderte sie. »Ich mag sie sehr und bin entzückt, dass du sie auch schätzt. Als du mir seinerzeit über deinen Besuch bei den Thorpes schriebst, hast du sie kaum erwähnt.« :»Weil ich glaubte, dich bald selbst zu sehen! Hoffentlich kommt ihr in Bath recht oft zusammen. Sie ist ein liebenswürdiges Mädchen - und so klug! Sie scheint der Abgott der Familie zu sein. Und hier wird man sie wohl auch sehr bewundern, ist es nicht so?«

»Ja, sehr sogar! Mr. Allen hält sie für das hübscheste Mädchen in Bath.« »Das glaube ich auch! Und Mr. Allen kennt sich in weiblicher Schönheit aus. Ich brauche wohl nicht zu fragen, ob du hier glücklich bist, meine liebe Catherine. Mit einer solchen Gefährtin wie Isabella Thorpe kann es gar nicht anders sein; und die Allens sind gewiß auch sehr freundlich zu dir.«

»Ja, sehr freundlich. Ich war noch nie so glücklich. Und jetzt, wo du da bist, wird es noch reizender. Wie nett von dir, dass du den weiten Weg nicht gescheut hast, nur um mich zu sehen!« James nahm diese Dankbarkeitsbezeigung ruhig entgegen und sprach auch sein Gewissen für deren Annahme frei, indem er mit völliger Aufrichtigkeit sagte: »Wirklich, Catherine, ich habe dich sehr lieb.«

Darauf tauschten sie Fragen und Berichte über das Ergehen ihrer Geschwister aus, und außer James kleiner lobender Abschweifung zu Miss Thorpe unterhielten sie sich auf diese Weise, bis sie die Pulteney Street erreichten, wo James mit großer Freundlichkeit von Mr. und Mrs. Allen empfangen, zum Essen eingeladen und von Mrs. Allen fast im gleichen Atemzug aufgefordert wurde, den Preis und die Vorzüge eines neuen Muffs und Pelzkragens zu erraten. Seine Verabredung in den Edgar-Villen gestattete ihm nicht, Mr. Allens Einladung anzunehmen, und er mußte bald wieder davoneilen, nachdem die Anforderungen von Mrs. Allen befriedigt waren. Die Zeit, zu der sich die beiden Familien treffen wollten, war festgelegt, und so konnte sich Catherine ganz dem Genuß ihrer erregten, ruhelosen und erschreckten Phantasie über den Seiten von »Udolpho« hingeben, so dass sie für alle Kleider und Essenssorgen unempfindlich war und auch Mrs. Allen nicht über das Ausbleiben einer erwarteten Schneiderin trösten konnte. Von sechzig Minuten blieb ihr kaum eine für ihr eigenes Glück, nämlich, dass sie für den Abend bereits vergeben war. »Udolpho« und der Schneiderin zum Trotz erreichte die Familie aus der Pulteney Street die großen Gesellschaftsräume rechtzeitig. Die Thorpes und James Morland waren nur wenig früher eingetroffen, und nachdem Isabella die übliche Begrüßungszeremonie in lächelnder und liebevoller Hast hinter sich gebracht, den Sitz ihres Kleides gebührend bewundert und ihre Locken voll Neid betrachtet hatte, folgten die beiden jungen Mädchen ihren Beschützerinnen Arm in Arm in den Ballsaal. Wenn ihnen ein Gedanke kam, raunten sie einander zu, aber noch häufiger verständigten sie sich durch einen Händedruck oder ein verständnisinniges Lächeln. Der Tanz begann fast sofort. Und James, der mindestens ebensolange schon vergeben war wie seine Schwester, hatte es erschreckend eilig, sich mit Isabella einzureihen; John jedoch fehlte. Er hatte in Gesellschaft eines Freundes das Spielzimmer aufgesucht; und so war Isabella durch nichts eher zum Tanzen zu bewegen, bevor ihre liebe Catherine sich nicht ebenfalls unter die Paare mische.

»Nicht um alles in der Welt tanze ich ohne Ihre liebe Schwester. Es würde uns wahrscheinlich für den ganzen Abend trennen.« Catherine war über diese Freundlichkeit gerührt, und so blieb alles für einige Minuten in der Schwebe, bis Isabella ihre Unterhaltung mit James unterbrach und Catherine zuflüsterte: »Liebstes, ich werde dich doch verlassen müssen; dein Bruder ist so ungeduldig, er drängt zum Tanzen. Du nimmst es mir nicht übel, nicht wahr, und John wird wohl auch im Augenblick zurückkommen, dann kannst du mich leicht finden.« Catherine war zwar ein wenig enttäuscht, aber viel zu gutmütig, um Einwände zu erheben; und da James sich erhob, hatte Isabella nur noch Zeit, ihrer Freundin die Hand zu drücken und zu sagen: »Auf Wiedersehen, Liebes!« Dann eilten sie davon. Da auch die jüngeren Damen Thorpe tanzten, war Catherine jetzt der Gnade von Mrs. Thorpe und Mrs. Allen überlassen, zwischen denen sie Platz genommen hatte. Wie ärgerlich, dass Mr. Thorpe nicht wiederkam! Nicht nur, dass sie sich auf das Tanzen gefreut hatte, sie teilte nun auch mit mancher anderen jungen Dame die Schande, ohne Tänzer zu sein, denn die ihr bereits widerfahrene Ehre war ihr nicht anzusehen. In den Augen der Welt gedemütigt zu sein, äußerlich Schande zu tragen, während das Herz rein und unschuldig und nur das schlechte Benehmen eines anderen die Ursache der Erniedrigung ist, gehört zu den dem Leben einer Heldin eigentümlichen Umständen, und standhafte Haltung ist ihrem Charakter vor allem eigen. Auch Catherine besaß diese Standhaftigkeit; sie litt, aber keine Klage drang über ihre Lippen.

Aus dieser Demütigung wurde sie nach zehn Minuten zu angenehmeren Empfindungen erweckt, zwar nicht durch Mr. Thorpes, sondern durch Mr. Tilneys Anblick. Leider schien es nur so, als ob er sich ihr nähere, und deshalb verflog das Lächeln wie das Erröten, welches Catherines Wangen bei seinem plötzlichen Erscheinen übergoß, ohne ihre heldische Bedeutung zu schmälern. Er sah so hübsch und lebhaft aus wie je und sprach angeregt mit einer eleganten, freundlich aussehenden jungen Dame an seinem Arm, seiner Schwester, wie Catherine sogleich erkannte. So hatte sie keine Gelegenheit, den Helden für alle Zeiten verloren zu halten, weil er schon einer anderen gehörte. Da sie sich immer nur vom Wahrscheinlichsten leiten ließ, kam es ihr gar nicht in den Sinn, Mr. Tilney könne schon verheiratet sein. Er erinnerte auch nicht in Benehmen oder Unterhaltung an die verheirateten Männer ihres Bekanntenkreises, hatte nie seine Frau erwähnt, aber von einer Schwester gesprochen. Hieraus schloß sie sofort, dass die Dame an seiner Seite diese Schwester sei. Daher saß Catherine aufrecht da, blieb all ihrer Sinne mächtig, anstatt erbleichend an Mrs. Allens Busen zu sinken. Nur ihre Wangen glühten ein wenig.

Mr. Tilney und seine Gefährtin näherten sich zwar nur langsam, aber sie folgten im Kielwasser einer Dame, die mit Mrs. Thorpe befreundet war. Diese Dame begrüßte Mrs. Thorpe und die beiden taten ein gleiches, da sie zu ihr gehörten. Nun erblickte Mr. Tilney Catherine und schenkte ihr ein Lächeln des Wiedererkennens, das sie freudig erwiderte. Er kam noch dichter heran und sprach sie und Mrs. Allen an, die ihn höchst freundlich mit den Worten begrüßte: »Ich freue mich, Sie wiederzusehen; ich fürchtete schon, Sie hätten Bath verlassen.« Man erfuhr, er sei eine Woche verreist gewesen, und zwar gleich an dem Morgen nach ihrer Bekanntschaft.

»Die Rückkehr wird Sie hoffentlich nicht reuen, denn Bath ist so recht der Ort für junge wie für ältere Leute. Wenn mein Mann einmal äußert, er sei seiner überdrüssig, dann rate ich ihm jedesmal, nicht zu klagen, denn Bath sei wirklich der angenehmste Badeort. In dieser langweiligen Jahreszeit ist es hier doch viel schöner als zu Hause. Ich halte ihm immer wieder das Glück vor Augen, dass ihm gerade dieses Bad verordnet würde.«

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