Oliver Twist

Текст
Из серии: Klassiker bei Null Papier
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Нет времени читать книгу?
Слушать фрагмент
Oliver Twist
Oliver Twist
− 20%
Купите электронную и аудиокнигу со скидкой 20%
Купить комплект за 326,96  261,57 
Oliver Twist
Oliver Twist
Аудиокнига
Читает Cora McDonald
229 
Подробнее
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

8 – Oliver wandert nach London und trifft mit einem sehr seltsamen jungen Gentleman zusammen.

Erst um die Mit­tags­stun­de mach­te Oli­ver auf sei­ner Wan­de­rung bei ei­nem Mei­len­stein Halt, auf dem die Ent­fer­nung von der Haupt­stadt an­ge­ge­ben war.

In Lon­don konn­te man Oli­ver nicht fin­den. Oft hat­te er im Ar­beits­haus sa­gen hö­ren: in Lon­don brau­che nie­mand, der nur ein biss­chen Grüt­ze habe, zu hun­gern, und in die­ser un­ge­heue­ren Stadt kön­ne man le­ben auf eine Wei­se, von der sich Leu­te, die auf dem Lan­de auf­ge­wach­sen sei­en, gar kei­nen Be­griff mach­ten. Es muss­te der rech­te Platz für einen hei­mat­lo­sen Jun­gen sein, sag­te sich Oli­ver. Da­mit sprang er wie­der auf die Füße und schritt, so schnell er konn­te, vor­wärts.

Al­les, was er mit hat­te, be­schränk­te sich auf eine Bro­trin­de, ein gro­bes Hemd und zwei Paar St­rümp­fe in sei­nem Bün­del, au­ßer­dem auf einen Pen­ny – ein Trink­geld, das ihm Mr. So­wer­ber­ry ein­mal da­für ge­ge­ben hat­te, weil er sich bei ei­nem Be­gräb­nis be­son­ders fei­er­lich be­nom­men.

Fast zwan­zig Mei­len leg­te Oli­ver an die­sem Tag zu­rück. Die gan­ze Zeit kam nichts über sei­ne Lip­pen als die Bro­trin­de und ein paar Schluck Was­ser. Am Abend leg­te er sich in einen Heu­hau­fen schla­fen und wan­der­te am an­de­ren Tag aber­mals zwölf Mei­len, wo­bei er sei­nen Pen­ny für Brot aus­gab, und über­nach­te­te wie­der im Frei­en, so­dass er am drit­ten Mor­gen, vor Käl­te fast er­starrt, sich kaum von der Stel­le be­we­gen konn­te. Am Fuß ei­nes stei­len Hü­gels war­te­te er, bis die Post­kut­sche vor­bei kam, und sprach die Pas­sa­gie­re, als sie einen Mo­ment aus­stie­gen, um eine Gabe an. Nie­mand hör­te auf ihn, nur ei­ner der Her­ren sag­te ihm, er wol­le ihm einen hal­b­en Pen­ny ge­ben, wenn er eine Stre­cke weit ne­ben dem Wa­gen mit­lau­fen wür­de. Als Oli­ver bald in­fol­ge sei­ner Er­mü­dung hin­ter der Post­kut­sche zu­rück­b­lieb, steck­te der Gent­le­man sei­ne Geld­mün­ze wie­der ein und er­klär­te, da sehe man wie­der, dass das arme Volk viel zu faul sei, sich ein­mal et­was zu ver­die­nen.

Und der Wa­gen ras­sel­te da­von und ließ nichts wei­ter zu­rück als eine Wol­ke Staub. Vor man­chen Dör­fern stan­den Ta­feln er­rich­tet, auf de­nen je­dem Bett­ler mit der strengs­ten Stra­fe ge­droht wur­de, und furcht­sam eil­te Oli­ver wei­ter, wenn er so et­was las. Wenn er ein­mal vor ei­nem Gast­haus mit hung­ri­gen Bli­cken still­stand, be­fahl man ihm, sich aus dem Staub zu ma­chen, wenn er nicht wol­le, dass man die Hun­de auf ihn los­las­se.

Es wür­de ihm wohl so er­gan­gen sein wie einst sei­ner un­glück­li­chen Mut­ter, hät­te sich sei­ner nicht schließ­lich ein men­schen­freund­li­cher Schlag­baum­wäch­ter und des­sen Frau an­ge­nom­men und ihn mit ei­nem Stück Brot und Käse ge­labt. Am sie­ben­ten Mor­gen nach Son­nen­auf­gang er­reich­te Oli­ver end­lich mit wun­den Fü­ßen die klei­ne Stadt Var­net. Über­all wa­ren noch die Fens­ter­la­den ge­schlos­sen, und nicht eine See­le ließ sich auf den ver­öde­ten Stra­ßen bli­cken. In ih­rer gan­zen strah­len­den Schön­heit ging die Son­ne auf, aber ihr Licht führ­te Oli­ver nur so recht zu Ge­mü­te, wie elend und ver­las­sen er war. Staub­be­deckt kau­er­te er sich an ei­ner Tür­schwel­le nie­der. All­mäh­lich öff­ne­ten sich die La­den und über­all wur­den die Ja­lou­si­en in die Höhe ge­zo­gen und die Men­schen be­gan­nen hin und her zu ge­hen. Ei­ni­ge stan­den still und sa­hen Oli­ver ein paar Se­kun­den lang an und wand­ten nach ihm den Kopf, und ei­ni­ge nah­men sich so­gar die Mühe zu fra­gen, wie er hier­her ge­kom­men sei. Er ge­trau­te sich aber nicht sie an­zu­bet­teln, son­dern blieb still sit­zen.

Eine Zeit lang hat­te er so auf der Stu­fe ge­kau­ert und sich über die große An­zahl von Wirts­häu­sern ge­wun­dert, denn je­des zwei­te Ge­bäu­de in Var­net war eine Schen­ke, bald groß, bald klein, als er sich plötz­lich be­wusst wur­de, dass ein jun­ger Bur­sche, der ei­ni­ge Mi­nu­ten vor­her acht­los an ihm vor­über­ge­gan­gen, zu­rück­ge­kehrt war und ihn von der an­de­ren Stra­ßen­sei­te drü­ben un­ver­wandt an­starr­te. Zu­erst küm­mer­te er sich nicht dar­um. Als aber der an­de­re kei­nen Blick von ihm wand­te, hob er schließ­lich den Kopf und blick­te scharf hin­über. Da­rauf kam der Jun­ge über die Stra­ße, trat dicht an ihn her­an und sag­te:

»Hal­lo, Spatz! Auf der Wal­ze?«

Der Jun­ge, der die­se Fra­ge stell­te, moch­te un­ge­fähr im sel­ben Al­ter sein wie Oli­ver. Er war ein höchst son­der­ba­rer Kauz, wie Oli­ver nie einen ge­se­hen, mit ei­ner Stumpf­na­se und plat­ter Stirn. Er sah höchst or­di­när und schmut­zig aus, aber sei­ne gan­ze Hal­tung und Be­neh­men gli­chen de­nen ei­nes Er­wach­se­nen. Ziem­lich klein für sein Al­ter, hat­te er höchst ku­rio­se Bei­ne und klei­ne scharf­bli­cken­de Rat­ten­au­gen. Der Hut saß ihm so lose auf dem Kopf, dass er jede Mi­nu­te her­un­ter­zu­fal­len droh­te, wohl auch schon des öf­te­ren her­un­ter­ge­fal­len wäre, wenn sein Herr es nicht vor­treff­lich ver­stan­den hät­te, ihn, wenn er rutsch­te, mit ei­nem ge­schick­ten Ruck mit dem Kopf wie­der in die rich­ti­ge Lage zu brin­gen. Der Bur­sche trug einen Rock, der für einen Er­wach­se­nen groß ge­nug ge­we­sen wäre und ihm fast bis an die Knö­chel reich­te. Die Är­mel trug er bis zur Hälf­te auf­ge­krem­pelt, um die Hän­de frei zu ha­ben. Kurz und gut, der Jun­ge sah so selt­sam und win­dig aus, wie wohl je nur ein Bür­sch­chen von vier Fuß, sechs Zoll oder noch we­ni­ger in Stul­pens­tie­feln aus­se­hen konn­te.

»Hal­lo, Spatz, auf der Wal­ze?« frag­te der selt­sa­me jun­ge Gent­le­man Oli­ver aber­mals.

»Ich bin furcht­bar hung­rig und müde«, ant­wor­te­te Oli­ver, wäh­rend ihm die Trä­nen in die Au­gen tra­ten. »Ich habe einen lan­gen Marsch hin­ter mir, einen Marsch von sie­ben Ta­gen.«

»Was? Sie­ben Tag auf der Wal­ze?« rief der jun­ge Gent­le­man. »Aha, weiß schon. Wir ha­ben was ge­ro­chen auf der Po­li­zei, was? Der Bal­ho­ch­em hat was ge­ro­chen. Du weißt wohl nich, was ’n Bal­ho­ch­em is, was, du Green­horn?« setz­te er hin­zu, als er Oli­vers ver­wun­der­ten Blick be­merk­te. Oli­ver ver­nein­te.

»Na ja, du Green­horn«, rief der jun­ge Gent­le­man, »’n Bal­ho­ch­em ist doch ’n Po­li­zis­te. Mir scheint, du bist noch nie in der Müh­le ge­we­sen.«

»In was für ei­ner Müh­le?« frag­te Oli­ver.

»In was für ner Müh­le? Na, die Müh­le, in der die Leu­te um­sonst ar­bei­ten – na, das Ge­fäng­nis mein’ ich.« Als er be­merk­te, dass Oli­ver nicht ver­stand, fuhr er fort: »Aber mir scheint, du hast Hun­ger, Me­si­nung hab’ ich zwar sel­ber keins, aber wir werd’ns schon ma­chen. Steh auf und komm.« Hier­auf brach­te der wack­re jun­ge Herr Oli­ver, nach­dem er ihm hat­te auf­ste­hen hel­fen, vor einen Krä­mer­la­den, in dem er Brot und Schin­ken kauf­te und Oli­ver da­von es­sen ließ.

»Nach Lon­don?« frag­te er, nach­dem Oli­ver sich ein we­nig ge­sät­tigt.

»Ja.«

»Hast du eine Stran­zen?«

»Was ist das?«

»Na, ne Woh­nung.«

»Nein.«

»Me­sum­mes?«

Oli­ver mach­te ein fra­gen­des Ge­sicht.

»Geld mein’ ich.«

»Nein.«

Der jun­ge Gent­le­man ver­senk­te sei­ne Hän­de in sei­ne Ta­schen und pfiff durch die Zäh­ne.

»Woh­nen Sie in Lon­don«, frag­te Oli­ver.

»Ja, wenn ich da­heim bin. Aber mir scheint, du weißt gar nicht, wo du heut nacht schla­fen willst.«

»Nein«, gab Oli­ver zu. »Ich hab’ schon seit sie­ben Näch­ten kein Dach über dem Kopf ge­habt.«

»Mach’ dir kei­ne Sor­gen des­halb«, trös­te­te ihn der jun­ge Herr. »Ich geh’ heut abend auch nach Lon­don. Ich kenn’ da einen ehr­ba­ren al­ten Herrn, der wird dir bald ne gute Stel­le ver­schaf­fen, – das heißt na­tür­lich, wenn dich ’n Schentl­man, wo ihn kennt, ein­führt bei ihm. Auf mir hält er große Stücke«, setz­te der jun­ge Gent­le­man lä­chelnd hin­zu.

Das Aner­bie­ten war so ver­lo­ckend, dass Oli­ver kei­nen Au­gen­blick zö­ger­te, ein­zu­schla­gen. Er wur­de bald zu­trau­li­cher und er­fuhr, dass sein neu­er Freund Jack Dawkins hei­ße und der aus­ge­spro­che­ne Lieb­ling des er­wähn­ten al­ten Gent­le­mans sei. Jacks Äu­ße­res frei­lich sprach nicht zu­guns­ten der Lieb­lin­ge des er­wähn­ten al­ten Ehren­man­nes, aber da er sehr groß­mäu­lig tat und selbst von sich be­haup­te­te, man ken­ne ihn weit und breit als einen »ver­dammt ge­ris­se­nen Bal­do­we­rer«, schloss Oli­ver, der alte Herr sprä­che in die­sem Fal­le wohl gute Ratschlä­ge in den Wind. Un­ter die­sem Ein­druck fass­te er heim­lich den Ent­schluss, sich bei dem al­ten Phil­an­tro­pen so bald wie mög­lich in ein bes­se­res Licht zu set­zen und, falls Jack Dawkins, wie er be­fürch­te­te, ei­ner Bes­se­rung nicht zu­gäng­lich sein soll­te, auf die Ehre wei­te­rer Be­kannt­schaft mit ihm zu ver­zich­ten.

Da Jack sich un­be­dingt wei­ger­te, Lon­don vor Ein­bruch der Nacht zu be­tre­ten, schlug es elf Uhr, als sie den Schlag­baum von Is­ling­ton er­reich­ten. Vom »En­gel« aus gin­gen sie nach St. Jo­nes Road, die klei­ne Gas­se, die bei Sad­lers Walls Thea­ter en­digt, hin­ab und ge­lang­ten durch Ex­mouth Street und Cop­pi­le Row in den klei­nen Hof ne­ben dem Ar­beits­haus. Dann schrit­ten sie über den klas­si­schen Grund und Bo­den, der einst­mals den Na­men Hock­ley-in-the-Hole führ­te, und ge­lang­ten nach Litt­le und Gre­at Saf­fron Hill, von wo aus der ku­rio­se jun­ge Gent­le­man sich in einen Ga­lopp ver­setz­te, wo­bei Oli­ver ihm auf den Fer­sen fol­gen muss­te.

Von dem un­ge­wohn­ten An­blick ei­ner großen Stadt ganz und gar in An­spruch ge­nom­men, muss­te Oli­ver sein Mög­lichs­tes tun, um sei­nen Füh­rer nicht aus dem Ge­sicht zu ver­lie­ren. Ei­nen schmut­zi­ge­ren und ver­kom­me­ne­ren Platz hat­te Oli­ver noch nie ge­se­hen. Die Stra­ße war eng und voll Schmutz und die Luft ge­sät­tigt von den wi­der­lichs­ten Gerü­chen. Klei­ne La­den gab es hier in Men­ge, aber gan­ze Hau­fen von Kin­dern, die jetzt selbst zur Nacht­zeit noch bei den Tü­ren aus- und ein­kro­chen oder drin­nen in den Häu­sern quiek­ten und schri­en, schie­nen der ein­zi­ge In­halt der Ge­schäf­te zu sein. Die ein­zi­gen Un­ter­neh­mun­gen, die wirk­lich zu ge­dei­hen schie­nen, wa­ren die Schen­ken, denn dort prü­gel­te sich iri­scher Pö­bel, was das Zeug hal­ten woll­te. Ge­deck­te Tor­we­ge und Höfe, die da und dort von den Haupt­stra­ßen ab­zweig­ten, lie­ßen Knäu­el von Häu­sern se­hen, wo sich be­trun­ke­ne Män­ner und Frau­en nur so wälz­ten. Aus den Tor­we­gen ka­men scheubli­cken­de In­di­vi­du­en her­aus­ge­schli­chen und ver­lo­ren sich gleich dar­auf wie­der im Dun­kel. Eben über­leg­te Oli­ver noch, ob es nicht am bes­ten sei, weg­zu­lau­fen, da ge­lang­te er mit sei­nem Beglei­ter vor ei­ner An­hö­he an und wur­de von ihm am Är­mel ge­fasst. Dann stieß Jack eine Hau­stü­re auf, nicht weit von Field Lane, zog Oli­ver in einen Kor­ri­dor und schloss gleich dar­auf das Tor wie­der hin­ter sich zu.

 

»Wer da?« rief eine Stim­me von un­ten als Ant­wort auf einen Pfiff, den der jun­ge Herr hat­te er­tö­nen las­sen.

»Rei­ner Wind«, war die Ant­wort. Es schi­en das eine Art Lo­sungs­wort zu sein, dass die Luft rein sei. Gleich dar­auf warf das Licht ei­ner klei­nen Ker­ze sei­nen Schein auf die Mau­er vom rück­wär­ti­gen Ende des Gan­ges aus, und das Ge­sicht ei­nes Man­nes lug­te durch eine Spal­te ei­ner al­ten Türe her­vor, aus der ein Teil der Fül­lung her­aus­ge­bro­chen war.

»Da sind ja zwei«, sag­te der Mann und be­schat­te­te das Licht mit der Hand, um bes­ser se­hen zu kön­nen. »Wer ist der an­de­re?«

»Ein jun­ges Beindl«, ant­wor­te­te Jack Dawkins und zeig­te auf Oli­ver.

»Wo­her?«

»’n Green­horn. Ist Fa­gin oben?«

»Sor­tiert die Rie­gen­lap­pen. Marsch rauf mit euch.«

Die Ker­ze er­losch, und das Ge­sicht ver­schwand.

Oli­ver tas­te­te, sich mit ei­ner Hand am Är­mel sei­nes Ge­fähr­ten hal­tend, die Wand ent­lang. Sie stie­gen eine dunkle mor­sche Stie­ge hin­auf, die Jack of­fen­bar ge­nau kann­te. Dann öff­ne­te sich eine Tür, und Oli­ver trat ein.

Wän­de und De­cke der klei­nen Stu­be wa­ren von Al­ter und Schmutz fast schwarz. Ein Tisch aus Fich­ten­holz stand vor dem Ofen und dar­auf eine Ker­ze, die im Hals ei­ner Bier­fla­sche stak, und da­ne­ben ein paar Zinnkrü­ge, Brot, But­ter und ein Tel­ler. In ei­ner Brat­pfan­ne, die mit ei­nem Strick an den Sims des Ka­mins ge­bun­den über dem Feu­er hing, la­gen ein paar Würs­te, und dar­über ge­lehnt, eine große Ga­bel in der Hand, stand ein ur­al­ter ver­trock­ne­ter Jude, sein schur­ki­sches Ge­sicht mit den ab­sto­ßends­ten Zü­gen von der Welt von ro­tem Kraus­haar be­schat­tet. Der Mann war in einen schmut­zi­gen Fla­nell­kit­tel gehüllt, der nur sei­nen Hals freiließ. Sei­ne Auf­merk­sam­keit schi­en zwi­schen der Brat­pfan­ne und ei­nem Klei­der­ge­stell zu schwan­ken, an dem eine große An­zahl von sei­de­nen Ta­schen­tü­chern hing. Auf dem Bo­den la­gen ne­ben­ein­an­der ein paar gro­be Bet­ten aus al­ter Sack­lein­wand, und um den Tisch her­um sa­ßen vier bis fünf Jun­gen, kei­ner äl­ter als Mr. Dawkins, rauch­ten aus lan­gen Ton­pfei­fen oder tran­ken Schnaps wie Er­wach­se­ne. Sie schar­ten sich so­gleich um Jack, der dem al­ten Ju­den ein paar Wor­te ins Ohr flüs­ter­te, sich dann um­dreh­te und Oli­ver an­grins­te.

Auch der Jude warf Oli­ver einen lau­ern­den Blick zu, ohne da­bei die Ga­bel aus der Hand zu le­gen.

»Hier, Fa­gin«, sag­te Jack Dawkins, »ist mein Freund Oli­ver Twist.«

Der Jude grins­te, mach­te Oli­ver eine tie­fe Ver­beu­gung, nahm ihn bei der Hand und gab der Hoff­nung Aus­druck, der Ehre sei­ner nä­he­ren Be­kannt­schaft teil­haf­tig wer­den zu dür­fen. Da­rauf stell­ten sich die Jun­gen mit ih­ren Ton­pfei­fen um Oli­ver und schüt­tel­ten ihm sämt­lich die Hän­de, und zwar be­son­ders eif­rig die, in der er sein Bün­del trug. Ei­ner der jun­gen Gent­le­man war be­strebt, ihm die Müt­ze vom Kopf zu zie­hen, und ein an­de­rer ge­ruh­te, ihm die Fin­ger in die Ta­schen zu ste­cken, of­fen­bar um ihn der Mühe zu ent­he­ben, sie vor dem Schla­fen­ge­hen selbst aus­zu­lee­ren. Die Jun­gen hät­ten ihre Höf­lich­kei­ten wahr­schein­lich noch wei­ter aus­ge­dehnt, wür­de der Jude nicht sei­ne Ga­bel des öf­te­ren auf die jun­gen Her­ren ha­ben her­ab­sau­sen las­sen.


»Mir frei­en sich au­ßer­or­dent­lich, Ih­nen zu se­hen, Oli­ver, ganz au­ßer­or­dent­lich«, ver­si­cher­te der Jude. »Bal­do­we­rer! nemm die Würscht vom Fei­er und setz ä Schüs­sel für Mr. Oli­ver an den Herd. Ah, Sie se­hen sich die Ta­schen­tü­cher­lich an, lie­ber Freind? Ja ja, es sind ih­rer ä gan­ze Men­ge. Mir ha­ben se eben sor­tiert, weil se sol­len ge­wa­schen wer­den; das ist al­les, Mr. Oli­ver, wei­ter nix, hähä.«

Die Rede des al­ten lus­ti­gen Ju­den wur­de von sei­nen hoff­nungs­vol­len Zög­lin­gen mit ei­nem wie­hern­den Ge­läch­ter be­grüßt, und sich noch schüt­telnd vor La­chen; mach­ten sie sich an ihr Abendes­sen.

Oli­ver aß, was ihm zu­ge­teilt wur­de, und nach­her brau­te ihm der Jude ein Glas hei­ßen Grog, den er auf der Stel­le aus­trin­ken muss­te, da noch ein an­de­rer Gent­le­man das Glas brau­che. Oli­ver tat, wie ihm be­foh­len wur­de, und gleich dar­auf fühl­te er, dass er sanft auf einen Stroh­sack ge­legt wur­de. Dann ver­fiel er in tie­fen Schlaf.

9 – Enthält weitere Einzelheiten über den liebenswürdigen alten Herrn und seine hoffnungsvollen Zöglinge.

Spät am nächs­ten Mor­gen er­wach­te Oli­ver nach lan­gem, fes­tem Schlum­mer. Es war nie­mand im Zim­mer als der alte Jude, der Kaf­fee zum Früh­stück in ei­ner Pfan­ne koch­te und lei­se vor sich hin pfiff, be­stän­dig mit dem Blechlöf­fel in dem Topf her­um­rüh­rend. Je­des Mal, wenn auch nur ein lei­ses Geräusch von der Stra­ße her­auf­drang, hielt der Jude inne, um zu lau­schen, be­ru­hig­te sich aber je­des Mal wie­der und pfiff und rühr­te wei­ter. Oli­ver war zwar auf­ge­wacht, be­fand sich aber noch in je­nem Zu­stand zwi­schen Schla­fen und Wa­chen, wo man mit halb­off­nen Au­gen da­liegt und, ob­gleich man al­les, was um einen rings­um vor­geht, ge­nau wahr­nimmt, doch nä­her dem Trau­me ist als wirk­li­chem Wach­sein. Mit halb­ge­schlos­se­nen Au­gen sah er den Ju­den, hör­te sein lei­ses Pfei­fen und das Geräusch, wie er mit dem Löf­fel in der Pfan­ne her­um­kratz­te. Als der Kaf­fee fer­tig war, schob der Jude den Kes­sel vom Feu­er weg, stand eine Wei­le un­schlüs­sig da, dreh­te sich dann nach Oli­ver um und rief ihn an.

Oli­ver ant­wor­te­te nicht, son­dern schi­en al­lem An­schein nach wei­ter­zu­schla­fen. Hier­auf schlich der Jude lei­se zur Türe und schloss sie ab. Dann zog er aus ei­ner Fall­tü­re im Bo­den eine klei­ne Scha­tul­le her­vor, setz­te sie sorg­fäl­tig auf den Tisch, und sei­ne Au­gen fun­kel­ten, wie er den De­ckel auf­hob und in das Käst­chen hin­ein­blick­te. Dann rück­te er einen al­ten Stuhl her­bei, setz­te sich und hol­te eine pracht­vol­le gol­de­ne Uhr mit Dia­man­ten be­setzt her­vor.

»Ver­dammt pfif­fi­ge Hun­de«, mur­mel­te er vor sich hin, zog die Schul­tern in die Höhe und ver­zerr­te die Mus­keln sei­nes Ge­sichts zu ei­nem scheuß­li­chen Grin­sen. »Ver­dammt ge­schmier­te Hun­de und ver­bis­sen bis zum letz­ten Atem­zug. Nix ha­ben sie dem al­ten Pfaf­fen ver­ra­ten, nix ha­ben se ver­etzt den al­ten Fa­gin, hihi. Wor­üm hät­ten se auch sol­len? Was hätts ih­nen auch ge­hol­fen? Das Mal­heur hät­ten se doch nix ab­ge­hal­ten; nicht um ä Mi­nu­te. Fa­mo­se Bur­schen, fei­ne Bur­schen.«

Dann leg­te er die Uhr wie­der in das Käst­chen zu­rück, hol­te noch meh­re­re an­de­re ähn­li­che her­vor, dann: Rin­ge, Arm­bän­der und sons­ti­ge Pre­tio­sen, alle so wun­der­voll ge­ar­bei­tet, dass Oli­ver förm­lich ge­blen­det war.

Den Schluss bil­de­te ein Schmuck­stück, das so klein war, dass der Jude es ganz in sei­ner Hand­flä­che ver­ber­gen konn­te. Es schi­en sich eine sehr klei­ne, kaum sicht­ba­re In­schrift dar­auf zu be­fin­den, denn Mr. Fa­gin leg­te das Kunst­werk flach auf den Tisch, hielt die Hand dar­über und be­trach­te­te es lan­ge und ganz nah und mit schar­fem Blick. Dann leg­te er es, of­fen­bar nicht im­stan­de, die In­schrift zu ent­zif­fern, wie­der weg, lehn­te sich in sei­nem Stuhl zu­rück und mur­mel­te:

»Ist doch ä fei­ne Sa­che das Hin­rich­ten. Ä To­ter be­reit nix mehr. Ä To­ter kann nix mehr ver­ra­ten. Haast ä Ge­schäft. Fün­fe auf­ge­hängt hin­ter en­an­der und kei­ner mehr da, um den reu­mü­ti­gen zu spie­len.«

Plötz­lich fie­len die fun­keln­den schwar­zen Au­gen des Ju­den, der bis­her ge­dan­ken­ver­lo­ren vor sich hin­ge­st­arrt, auf Oli­vers Ge­sicht und be­geg­ne­ten des­sen Bli­cken, die mit stum­mer Neu­gier auf ihn ge­rich­tet wa­ren. Hef­tig schlug er die Scha­tul­le zu, er­griff das Brot­mes­ser, das auf dem Ti­sche lag, und sprang wü­tend auf. Er zit­ter­te vor Ent­set­zen, denn das Mes­ser, das er in der Hand hielt, zuck­te in der Luft hef­tig hin und her, wie Oli­ver deut­lich be­mer­ken konn­te.

»Was soll das?« rief der Jude. »Was spio­nierst de da? Wa­rum bist de plötz­lich wach? Was hast de ge­se­hen? Sprich, sag ich dir, wenn dir dein Le­ben lieb ist.«

»Ich konn­te nicht mehr schla­fen, Sir«, er­wi­der­te Oli­ver de­mü­tig. »Ver­zei­hen Sie, wenn ich Sie ge­stört habe, Sir?«

»Du bist nicht wach ge­we­sen vor ei­ner Stun­de?« rief der Jude mit wil­den Bli­cken.

»Nein, wirk­lich nicht«, be­teu­er­te Oli­ver.

»Ist das auch si­cher wahr?« rief der Jude dro­hend.

»Ganz ge­wiss, Sir. Ich bin eben erst auf­ge­wacht.«

»Schon gut, schon gut«, mur­mel­te der Jude, nahm plötz­lich sein al­tes We­sen wie­der an und spiel­te mit dem Mes­ser, um Oli­ver glau­ben zu ma­chen, er habe es nur im Scherz ge­nom­men. »Ich weiß doch, klei­ner Freund, ich hab doch nur ge­macht e Scherz, du bist e bra­ver Bursch, e bra­ves Bür­sch­chen, Oli­ver, hihi.«

Da­bei rieb er sich ki­chernd die Hän­de, blick­te aber im­mer noch scheu und un­si­cher auf die Scha­tul­le.

»Hast du ge­se­hen die schö­nen Sa­chen drin, Oli­ver?« frag­te er nach ei­ner Pau­se und leg­te die Hand auf das Käst­chen.

»Ja, Sir.«

»Also, also doch ge­se­hen?« rief der Jude und wur­de bleich. »Nu, ja, das ist halt mei klei­nes Ei­gen­tum. Al­les, wo­von ich hab zu le­ben auf mei­ne al­ten Tage. Die Leun­te sa­gen, ich bin e Geiz­hals, aber lass se re­den. Was liegt wei­ter dar­an.«

Oli­ver kam zu dem Schluss, der alte Gent­le­man müs­se of­fen­bar ein schreck­li­cher Geiz­hals sein, dass er so viel Ta­schen­uh­ren be­sä­ße und trotz­dem in ei­ner so schmut­zi­gen Kam­mer woh­ne. Aber er nahm an, dass viel­leicht sei­ne Vor­lie­be für den Bal­do­we­rer – den jun­gen Dawkins – und die an­de­ren Jun­gen ihn ein hüb­sches Stück Geld kos­te, und dass er im­mer­hin ein großer Men­schen­freund sein müs­se. Er blick­te ihn da­her nur ach­tungs­voll an und frag­te, ob er auf­stehn dür­fe.

»Na­tier­lich, mei Jun­ge, na­tier­lich«, er­wi­der­te der alte Herr. »Aber wart mal, dort in der Ecke ne­ben der Tür steht ein Topp mit Was­ser. Bring ihn he­ri­wer. Ich will dir ge­ben e Schüs­sel, dass de dir kannst wa­schen, Klei­ner.«

Oli­ver stand auf, ging durch die Stu­be und bück­te sich einen Au­gen­blick, um den Krug auf­zu­he­ben. Als er sich wie­der um­dreh­te, war die Kas­set­te ver­schwun­den.

Er hat­te sich kaum ge­wa­schen und al­les wie­der in Ord­nung ge­bracht, dem Be­fehl des Ju­den ge­mäß das Wasch­be­cken aus­ge­schüt­tet und an sei­nen Ort zu­rück­ge­stellt, als der »Bal­do­we­rer« – Mr. Dawkins – in Beglei­tung ei­nes sehr lus­ti­gen Jun­gen, ei­nes von de­nen, die Oli­ver am ver­gan­ge­nen Abend hat­te rau­chen se­hen, und der ihm jetzt in al­ler Form als Char­ley Ba­tes vor­ge­stellt wur­de, ein­trat. Und alle vier setz­ten sich hier­auf zum Früh­stück, das aus Kaf­fee und ein paar mit Schin­ken be­leg­ten Bröt­chen be­stand, die der Bal­do­we­rer in sei­nem Hut mit­ge­bracht hat­te.

»Na«, sag­te der Jude zu dem Bal­do­we­rer ge­wen­det und warf da­bei einen lus­ti­gen Blick auf Oli­ver. »Was is? Ihr seid doch hof­fent­lich ge­we­sen hein­te frih schon bei der Ar­beit, Jun­gens?«

»Es war eine schwe­re Ar­beit«, murr­te der Bal­do­we­rer.

 

»Ver­dammt hart«, setz­te Char­ley Ba­tes hin­zu.

»Bra­ve Bur­schen, bra­ve Bur­schen«, lob­te der Jude. »Was hast de mit­ge­bracht, Bal­do­we­rer?«

»Zwei Ta­schen­tü­cher«, er­wi­der­te der wack­re jun­ge Mann.

»Ge­stick­te?« frag­te der Jude gie­rig.

»Na, macht sich«, er­wi­der­te der Bal­do­we­rer und zog zwei Ta­schen­tü­cher her­vor, ein grü­nes und ein ro­tes.

»Nicht so wie mer’s hätt wün­schen sol­len«, sag­te der Jude, nach­dem er die ent­fal­te­ten Tü­cher sorg­fäl­tig ge­prüft hat­te. »Aber e fei­ne Ar­beit. E ge­schick­te Hand muss das ge­we­sen sein, was mei­nen Sie, Oli­ver?«

»Wahr­haf­tig, ja«, gab Oli­ver zu, wor­auf Char­ley Ba­tes in ein wie­hern­des Ge­läch­ter aus­brach – zu sei­ner größ­ten Ver­wun­de­rung, denn er konn­te bei all dem nicht den ge­rings­ten Grund zum La­chen se­hen.

»Und was hast du mit­ge­bracht, Klei­ner?« frag­te Fa­gin Char­ley Ba­tes.

»Auch Rie­ger­lap­pen«, er­wi­der­te Mas­ter Ba­tes und brach­te vier Ta­schen­tü­cher zum Vor­schein.

»Hem«, mur­mel­te der Jude und be­sich­tig­te sie bei Licht. »Güt, sehr güt, – aber du hast se nicht gut ge­zeich­net, Char­ley, mir wol­len her­aus­zup­fen die Mo­no­gram­me mit der Na­del und wol­len zei­gen dem klei­nen Oli­ver, wie er es ma­chen soll. Was mei­nen Sie, Oli­ver, was?«

»Wenn Sie die Güte ha­ben wol­len«, er­wi­der­te Oli­ver.

»Du möch­test wohl auch ger­ne ma­chen kön­nen Ta­schen­tü­cher so leicht wie Char­ley Ba­tes, nicht wahr Klei­ner?« frag­te der Jude.

»O ge­wiss, von Her­zen gern, wenn Sie es mich leh­ren wol­len, Sir«, bat Oli­ver.

Char­ley brach in ein schal­len­des Ge­läch­ter aus, dass er dar­über bei­na­he er­stick­te. »Gott, ist das ein Green­horn«, rief er end­lich, of­fen­bar, um sich der Ge­sell­schaft ge­gen­über we­gen sei­nes un­ma­nier­li­chen Be­tra­gens zu ent­schul­di­gen.

Der Bal­do­we­rer sag­te nichts, son­dern strich Oli­ver das Haar über die Au­gen und mein­te dann grin­send, er wür­de es mit der Zeit schon ler­nen. Der Jude un­ter­brach ihn, da er sah, dass Oli­ver blut­rot wur­de, in­dem er die Fra­ge stell­te ob heu­te Mor­gen bei der Hin­rich­tung vie­le Leu­te zu­ge­gen ge­we­sen wä­ren. Die bei­den Jun­gen er­wi­der­ten, sie sei­en selbst dort ge­we­sen, und Oli­ver wun­der­te sich, wo­her sie dann in al­ler Frü­he so viel Zeit ge­habt ha­ben könn­ten, noch au­ßer­dem Ta­schen­tü­cher zu sti­cken.

Als das Früh­stück ab­ge­räumt war, un­ter­hiel­ten sich der lus­ti­ge alte Herr und die bei­den Jun­gen mit ei­nem höchst selt­sa­men und un­ge­wöhn­li­chen Spiel. Der lus­ti­ge alte Herr schob näm­lich eine Schnupf­ta­baks­do­se in eine Ho­sen­ta­sche, eine zwei­te nebst ei­nem No­tiz­buch in die an­de­re, steck­te eine Uhr in die Wes­ten­ta­sche, be­fes­tig­te sich die Ket­te im Knopf­loch, schmück­te sei­ne Kra­wat­te mit ei­ner falschen Bril­lant­na­del, knöpf­te sich den Rock fest zu und spa­zier­te dann mit dem Stock in der Hand, in der Art, wie alte Her­ren sich zu al­len Ta­ge­s­stun­den auf der Stra­ße zu er­ge­hen pfle­gen, im Zim­mer hin und her. Zu­wei­len blieb er beim Her­de ste­hen und dann wie­der an der Türe und tat, als be­trach­te er ein Schau­fens­ter. Da­bei blick­te er sich aber be­stän­dig um wie aus Angst vor Ta­schen­die­ben und be­tas­te­te im­mer­wäh­rend sei­ne Klei­der ob man ihn auch nicht be­stoh­len habe. Er be­nahm sich da­bei so un­ge­heu­er ko­misch, dass Oli­vern vor La­chen die Trä­nen über die Ba­cken lie­fen. Die gan­ze Zeit über blie­ben die bei­den Jun­gen dem Ju­den dicht auf den Fer­sen und ent­schlüpf­ten ihm, wenn er sich um­dreh­te, so ge­schickt, dass es ihm ge­ra­de­zu un­mög­lich war, sie ge­nau ins Auge zu fas­sen. Schließ­lich trat ihm der Bal­do­we­rer auf die Ze­hen oder stol­per­te ihm schein­bar aus Zu­fall über die Füße, wäh­rend Char­ley Ba­tes sich von hin­ten an ihn he­randräng­te und ihm mit au­ßer­or­dent­li­cher Ge­schwin­dig­keit Ta­baks­do­se, Brief­ta­sche, Uhr, Ket­te, Bu­sen­na­del und Ta­schen­tuch, ja so­gar das Bril­len­fut­te­ral stahl. Dann fing das Spiel von Neu­em an.

So hat­ten sie es ein paar­mal ge­trie­ben, da tra­ten ein paar jun­ge Da­men ein, die die bei­den jun­gen Her­ren zu spre­chen wünsch­ten. Die eine hieß Bet, die an­de­re Nan­cy. Sie hat­ten bei­de sehr rei­ches Haar, das hin­ten nicht ge­ra­de sehr sorg­fäl­tig in einen Kno­ten ge­wi­ckelt war, und Schu­he und St­rümp­fe an, die eben­falls nicht sehr pro­per aus­sa­hen. Im­mer­hin wa­ren sie recht hübsch, leb­haft ge­färbt und drall. Da sie in ih­rem Be­neh­men sehr un­ge­zwun­gen und freund­lich wa­ren, hielt sie Oli­ver für sehr net­te lie­bens­wür­di­ge Mäd­chen. Was sie ohne Zwei­fel auch wa­ren.

Ihr Be­such dau­er­te ziem­lich lan­ge. Und als eine der jun­gen Da­men über Käl­te klag­te, wur­de so­gleich Schnaps ge­holt, und die Un­ter­hal­tung nahm einen recht an­ge­reg­ten Ver­lauf. Schließ­lich sag­te Char­ley Ba­tes, es sei höchs­te Zeit, sich auf die So­cken zu ma­chen. Gleich dar­auf gin­gen der Bal­do­we­rer, er und die bei­den jun­gen Da­men weg, nach­dem sie vor­her von dem lie­bens­wür­di­gen al­ten Ju­den reich­lich mit Klein­geld ver­se­hen wor­den wa­ren, das sie of­fen­bar ganz nach Be­lie­ben aus­ge­ben durf­ten.

»Da siehs­te, mei Jung«, sag­te Fa­gin, »lebt sichs nicht fein bei mir? Den gan­zen üb­ri­gen Tag ha­ben sie jetzt frei.«

»Sind sie denn schon fer­tig mit der Ar­beit, Sir?« frag­te Oli­ver.

»Ge­wiss«, sag­te der Jude, »das heißt: falls sie nicht zu­fäl­lig et­was er­wi­schen kön­nen. Aber dann wer­dens sie sichs schon neh­men, Klei­ner, ver­lass dich drauf. Nimm se dir zum Vor­bild, mei Jung, nimm se dir zum Vor­bild«, wie­der­hol­te er gü­tig und klopf­te, um sei­nen Wor­ten den ge­hö­ri­gen Nach­druck zu ge­ben, mit der Koh­len­schau­fel auf den Herd. »Tu al­les, was se dir ra­ten, und folg ih­nen in al­len Din­gen – be­son­ders, wenn der Bal­do­we­rer dir en Rat gibt. Ich sag dir, er wird noch ei­nes Ta­ges ä großer Mann sein und wird auch aus dir en großen Mann ma­chen, wenn de dir an ihm e Bei­spiel nimmst; – sag mal, hängt mir nich mei Ta­schen­tuch zur Ta­sche eraus, mei Jung?« frag­te er, plötz­lich das The­ma wech­selnd.

»Ja, Sir«, er­wi­der­te Oli­ver.

»Ver­such mal, ob de es mir kannst er­aus­zie­hen, ohne das ich was merk. Du weißt: so wie wir vor­hin ge­spielt ha­ben zu­sam­men.«

Oli­ver hielt, wie er es vor­hin vom Bal­do­we­rer ge­se­hen, die Ta­sche mit der einen Hand fest und zog mit der an­de­ren lei­se das Ta­schen­tuch her­aus.

»Ist es schon drau­ßen?« frag­te der Jude.

»Hier, Sir«, sag­te Oli­ver und hielt ihm das Tuch hin.

»Gott über de Welt! E so e ge­schick­ter klei­ner Jung!« sag­te der spaß­haf­te alte Herr und tät­schel­te Oli­ver bei­fäl­lig auf den Kopf. »Noch nie hab ich ge­se­hen e so en ge­schick­ten klei­nen Jun­gen. Da is e Shil­lin für dich. Wenn de ä so wei­ter machst, wirst de noch der größ­te Mann dei­ner Zeit wer­den. Aber jetzt komm emol her. Ich will dir zei­gen, wie mer eraus­macht die Mo­no­gram­mer­lich aus den Ta­schen­tü­chern.«

Oli­ver zer­brach sich nicht we­nig den Kopf, wie­so er bloß des­we­gen, weil es ihm ge­lun­gen, ei­nem al­ten Herrn ein Tuch aus der Ta­sche zu zie­hen, Aus­sich­ten ha­ben soll­te, der größ­te Mann sei­ner Zeit zu wer­den, aber er nahm an, der Jude müs­se, wo er ihm so be­deu­tend an Jah­ren über­le­gen sei, der­lei wohl am bes­ten wis­sen. Er folg­te ihm da­her an den Ar­beit­s­tisch und war bald eif­rig in sei­ne neue Be­schäf­ti­gung ver­tieft.

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»