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Ritter von Harmental

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IV.
Die Rückkehr ins Dachstübchen

Das erste Gefühl, welches sich Harmentals bemächtigte, als er seine Wohnung wieder betrat, war eine unbeschreibliche Behaglichkeit, bei dem Anblick der Möbeln, von denen jedes eine Erinnerung bei ihm erweckt. Obgleich seit sechs Wochen von einem Dachstübchen abwesend, war es ihm, als hätte er es erst am vergangenen Abend verlassen, so fand er, Dank der fast mütterlichen Sorge der Madame Denis, alles an seinem früheren Platze. Nachdem sich Harmental einen Augenblick lang, das Wachslicht in der Hand, im Zimmer umgeschauet hatte, trat er ans Fenster, und sandte einen ausdrucksvollen Blick der Liebe hinüber zu den dunklen Scheiben. Ohne Zweifel schlummerte Bathilde sanft, ohne zu ahnen, daß er zurückgekehrt sey, und daß er an einem Fenster stehe und sehnsuchtsvoll zu ihr hinüber schaue.

Harmental blieb so eine halbe Stunde im Fenster, die Luft einathmend, die ihm nie so rein, so wohlthuend erschienen war; und während sein Blick von jenem Fenster zum Himmel, und vom Himmel wieder zu jenem Fenster schweifte, begriff er, wie sehr die reizende Bathilde ein Bedürfniß seines Herzens geworden, wie tief und mächtig die Liebe say, die er für sie empfand.

Endlich sah Harmental ein, daß er doch nicht die ganze Nacht über im Fenster bleiben könne, er verschloß daher dasselbe, und trat in sein Zimmer zurück; aber es geschah nur, um sich den Erinnerungen hinzugeben, die sich bei seiner Rückkehr in ein sauberes Stübchen einer bemächtigt hatten. Er öffnete sein Clavier, das sich seit seiner Abwesenheit ein wenig verstimmt hatte, und ließ seine Finger mit Schnelligkeit über die Tasten gleiten, auf die Gefahr hin, den Zorn seines Nachbars unter ihm aufs Neue zu reizen. Dann nahm er die Mappe zur Hand, in welcher das noch unvollendete Portrait Bathildens lag; die Pastellfarben hatten sich ein wenig verwischt, aber es war doch immer das junge, schöne, keusche Mädchen, und das kleine drollige Köpfchen der kleinen Mirza neben ihr. Endlich, und nachdem er noch einmal aus dem Fenster geschaut hatte, überwältigte ihn der Schlaf, der in einer gewissen Periode unters Lebens eine so gewaltige Macht über uns besitzt; er warf sich auf sein Lager, indem er sich noch einmal den Erinnerungen hingab, welche durch den Gesang der Demoiselle Bury bei ihm erweckt worden waren, in der er, so wie sich seine Augen schlossen und sich seine Gedanken zu verwirren begannen, immer mehr und mehr seine geliebte Bathilde zu erkennen glaubte.

So wie er erwachte, sprang er rasch vom Bette auf, und eilte ans Fenster. Der Tag schien schon weit vorgerückt, die Sonne stand klar am Himmel, dennoch aber war Bathildens Fenster immer fest verschlossen. Harmental blickte auf seine Uhr, sie deutete auf zehn.

Nachdem der Chevalier sorgfältig seine Toilette gemacht hatte, öffnete er ein Fenster, hoffend, daß das dadurch verursachte Geräusch den Blick feiner Nachbarin herüberlocken würde. Drüben aber regte sich nicht das Mindeste, kein Luftzug bewegte den Vorhang, man hätte glauben können, daß das Zimmer gegenüber gänzlich unbewohnt say. Harmental hustete, er schloß ein Fenster und öffnete es wieder; er brach kleine Kalkstückchen von der Mauer, und warf sie hinüber an die Scheiben; alles, alles, blieb fruchtlos.

Auf sein Erstaunen folgte eine ängstliche Besorgniß: das so fest verschlossene Fenster verkündete eine Abwesenheit, wo nicht gar ein Unglück. Bathilde abwesend, wo konnte sie seyn? Was konnte sie ihrer stillen, einfachen Lebensweise entrissen haben? Wen konnte er darnach fragen? Von wem konnte er etwas darüber erfahren? Bei wem konnte er sich deshalb erkundigen? Madame Denis konnte ihm vielleicht Auskunft geben, und da es überdieß schicklich war, daß er nach seiner Rückkehr seiner Hauswirthin einen Besuch abstatte, so stieg er unverzüglich zu ihr hinab.

Madame Denis hatte ihren Miethsmann seit seinem Frühstück nicht wieder gesehen; aber die Sorge, welche er ihr bei ihrer Ohnmacht bewiesen, lebte noch in ihrem Gedächtniß und sie empfing ihn daher mit großer Freundlichkeit. Zum Glück für Harmental hatten ihre Töchter gerade Zeichenstunde, und Herr Bonifaz befand sich bei feinem Procurator, so daß er es nur mit seiner respektablen Wirthin zu thun hatte. Das Gespräch kam natürlich zuerst auf die Sauberkeit, und die Sorge, welche während seiner Abwesenheit dem kleinen Dachstübchen gespendet worden war; von da aus war der Uebergang leicht zu der Frage: ob die Wohnung gegenüber andere Miethsleute bekommen habe; einer Frage, welcher auch sofort eine, jeden Zweifel lösende Antwort folgte. Am vergangenen Tage hatte Madame Denis Bathilde noch gesehen, und am Abend war Bonifaz Herrn Buvat begegnet, der von seinem Büreau zurückkehrte. Er hatte indeß in dem Antlitz des wackern Schreiblehrers den Ausdruck eines gewissen majestätischen Stolzes bemerkt, der dem Erben des Namens Denis um so mehr auffiel, da derselbe bei einem bescheidenen Nachbar etwas ganz Ungewöhnliches war.

Dies war Alles, was Harmental zu wissen wünschte. Bathilde war in Paris, sie hatte ihre Wohnung nicht verlassen; ohne Zweifel hatte nur bis jetzt der Zufall die Blicke des jungen Mädchens nicht auf das Fenster gelenkt, das so lange verschlossen war, und dessen Zimmer sie unbewohnt wußte.

Harmental beurlaubte sich bei seiner gefälligen Wirthin, so bald er konnte; er traf auf dem Flur den Abbé Brigaud, welcher der Madame Denis seinen wöchentlichen Besuch machen wollte. Der Abbé versprach dem Chevalier, ihn auf seinem Stübchen zu besuchen, und Harmental eilte die Treppe hinauf und sogleich ans Fenster. Bei einer Nachbarin aber hatte sich nichts verändert, die Vorhänge waren noch immer fest zugezogen. Harmental beschloß jetzt zu dem letzten Mittel zu greifen, er setzte sich an sein Clavier, und sang nach einem brillanten Vorspiele, mit selbst komponierter Begleitung, die Melodie der Cantate, die er in der letzten Nacht vernommen, und die Note für Note sich seinem Gedächtniß eingeprägt hatte. Aber obgleich sein Blick während des Spiels nicht von dem unerbittlichen Fenster wich, so blieb dennoch dort Alles stumm und unbeweglich. Das Zimmer gegenüber hatte kein Echo mehr.

Aber statt der beabsichtigten Wirkung zeigte sich eine andere, die Harmental nicht erwartet hatte; als sein letzter Ton verhallte, hörte er hinter sich ein lautes Beifallklatschen; er wandte sich und gewahrte den Abbé Brigaud.

»Ha, Sie sind’s Abbé,« rief Harmental, indem er rasch aufsprang und das Fenster schloß, »hielt ich Sie doch nicht für einen so eifrigen Melomanen.«

»Noch ich Sie für einen so guten Musiker, versetzte Brigaud, »zum Henker eine Cantate die Sie mein lieber Zögling, nur einmal gehört haben – das ist bewunderungswürdig!«

»Die Melodie gefiel mir, das ist alles, und da ich ein gutes Gedächtniß habe, habe ich sie behalten.«

»Und sie ward so meisterhaft gesungen, nicht wahr?« fragte der Abbé.

»Die Demoiselle Bury besitzt in der That eine treffliche Stimme, erwiderte der Chevalier, »das erste Mal, daß sie singt, werde ich die Oper besuchen.«

»Wenn es bloß die Stimme ist, die Sie hören wollen, so brauchen Sie deshalb nicht in die Oper zu gehen,« bemerkte Brigaud.

»Und wohin sonst?«

»Nirgends hin. Bleiben Sie wo Sie sind, und Sie befinden sich im ersten Range.«

»Wie, die Göttin der Nacht – –«

»War Ihre Nachbarin.«

»Bathilde?« rief Harmental, »ich habe mich also nicht geirrt, ich habe die Stimme erkannt. Das aber kann nicht möglich seyn, Abbé, wie kam Bathilde diese Nacht zur Herzogin von Maine?«

»Zuvörderst, mein lieber Zögling, ist in der Zeit in der wir leben, nichts unmöglich,« antwortete Brigaud. »Mit diesem Satz machen Sie sich zuvor recht vertraut, bevor Sie etwas leugnen, oder etwas unternehmen. Glauben Sie, daß alles möglich ist, das ist das sicherste Mittel zu Allem zu gelangen.«

»Aber sprechen Sie doch endlich, wie kam die arme Bathilde – –«

»Nichts ging natürlicher zu. Die Sache kann Sie indeß unmöglich weiter interessiren, Chevalier, schwatzen wir also von anderen Dingen.«

»Nein, nein Abbé,« rief unser Held lebhaft, »Sie irren, die Sache interessirt mich im allerhöchsten Grade.«

»Wenn Sie denn neugierig sind, so hören Sie. Der Abbé de Chaulieur kennt Bathilde durch ihren Pflegevater, welcher einer der geschicktesten Abschreiber in ganz Paris ist. Der alte Herr ist wie jeder der sie kennt, dem Zauber ihrer Schönheit unterlegen – denn man kann sie nicht sehen, ohne sie zu lieben.«

Ja, ja, das weiß ich, das weiß ich!« rief Harmental feurig.

»Nun also,« fuhr Brigaud fort, da der gute Chaulieur wußte, daß Bathilde nicht allein vorzüglich singe, sondern auch eine Meisterin im Zeichnen say, so erwähnte er ihrer gegen Demoiselle Delaunay, welche sie beauftragte ihr die Kostüme zu zeichnen, die wir für das gestrige Fest brauchten. Nun ist es der Delaunay ergangen, wie es jedermann ergeht: kaum hatte sie die junge Zauberin erschaut, als sie auch die lebhafteste Freundschaft und Zuneigung für dieselbe empfand; statt sie wieder zurückzuschicken, nachdem sie die Kostüme gezeichnet, hat sie die drei Tage bei sich in Sceaux behalten. Da ward Demoiselle Delaunay eines Tages plötzlich abgerufen, weil der Director der Oper ihr etwas Wichtiges mitzutheilen habe. Bathilde die ganz allein war und sich unterdessen langweilte, trat an das Piano und sang, und das zwar so meisterhaft daß die Delaunay, die unterdessen eingetreten war, voll Verwunderung ihre Schritte hemmte, bis die liebliche Sängerin ihre Arie geendet hatte, dann aber auf sie zueilte, sie in ihre Arme schloß und sie angstvoll versicherte, daß sie ihr das Leben retten könne.

»Die Bury, welche die Cantate singen sollte, war plötzlich erkrankt und das Fest so auf die unangenehmste Weise gestört, wenn Bathilde sich nicht entschloß, die Rolle der Göttin der Nacht zu übernehmen. Bathilde machte anfangs die größten Einwendungen, sie wollte nichts davon hören, sie bat, sie flehte, ihre neue Gönnerin aber drückte sie vor dem Piano nieder und beschwor sie, wenigstens die Cantate zu probieren; die arme Bathilde gehorchte mit Thränen in den Augen, sang aber die Cantate wahrhaft bewunderungswürdig.

 

Demoiselle Delaunay war entzückt. In diesem Augenblick trat die Herzogin von Maine ins Zimmer, verzweiflungsvoll über das, was sie so eben rücksichtlich der Bury erfahren. Bathilde mußte die Cantate wiederholen, die Herzogin bestürmte sie gleichfalls mit Bitten, und das liebenswürdige Mädchen gab endlich unter heftigem Herzklopfen nach. Jedoch nur unter zwei Bedingungen, nämlich: daß es ihr gestattet say, den ehrlichen Buvat persönlich von der Ursache ihrer längeren Abwesenheit zu unterrichten, und daß sie zurück in ihre Wohnung eilen dürfe, um die ganze Zeit bis zum Feste ungestört dem Studium der Cantate zu widmen. Auch mußten Frau von Maine und Demoiselle Delaunay ihr feierlich geloben, das Geheimniß nicht zu verrathen, sondern Jedermann bei dem Glauben zu lassen, es say Demoiselle Bury, welche gesungen habe.«

»Aber wie ist das Geheimniß dennoch verrathen worden?« fragte rasch der Chevalier.

»Durch einen ganz unerwarteten Zufall,« entgegnete Brigaud mit jener Naivetät, welche es nie errathen ließ, ob er eine Sache ernsthaft meine, oder ob er persiflire; »alles ging vortrefflich bis zum Schuß der Cantate. Gerade als die Gondel angelegt hatte, stieß die anmuthige Sängerin – ich weiß nicht, ob der Gesang sie allzusehr angegriffen, oder ob sie in der Umgebung der Herzogin irgend Jemand erblickt hatte, den sie in so vornehmer Gesellschaft zu trEssen nicht geglaubt hatte, – plötzlich einen Schrei aus, und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Gefährtin. Jetzt waren alle Schwüre vergessen, man hob ihren Schleier, um sie mit Wasser zu besprengen; Alles stürzte hinzu, ich auch; und während Sie die Frau Herzogin in den Palast führten, war ich nicht wenig erstaunt, statt der Demoiselle Bury, in der Göttin der Nacht, Ihre reizende Nachbarin zu erkennen.«

»Und jene Ohnmacht?« fragte Harmental in großer Unruhe.

»Hatte nichts zu bedeuten,« versicherte der Abbé, »sie ward so schnell gehoben, daß Bathilde auf ihr dringendes Verlangen, wenige Augenblicke darauf, nach Paris zurückkehren konnte, wo sie eine Stunde vor Ihrer Ankunft eingetroffen seyn muß. Man drang in sie, länger in Sceaux zu verweilen, aber sie war durchaus nicht dazu zu bewegen.«

»Also sie wäre zurückgekehrt?« rief Harmental feurig. »Dank, Dank, Abbé, das ist Alles, was ich wissen wollte.«

»Das heißt, ich kann jetzt machen, daß ich fort komme, nicht wahr?« fragte lächelnd der Abbé Brigaud, »ich verstehe, ich habe ohnehin Geschäfte in der Stadt, und überlasse Sie Ihren Betrachtungen. Ich spreche Morgen wieder vor.«

»Auf Morgen also! lieber Abbé.«

»Auf Morgen.«

Der Abbé verließ lächelnd das Zimmer. Harmental aber öffnete ein Fenster wieder, und war entschlossen, nicht von demselben zu weichen, bis er Bathilde, wenn auch nur auf einen Augenblick erschauet haben würde.

V.
Die Botin

Etwas nach vier Uhr Nachmittags, gewahrte Harmental den ehrlichen Buvat, welcher von der Rue Mont martre kommend, nach der Rue du Temps perdu einbog. Der Chevalier glaubte zu bemerken, daß der wackere Abschreiber heute rascher als gewöhnlich ging. Was aber die majestätische Haltung anbetraf, die Herr Bonifaz am vergangenen Abend bemerkt hatte, so war diese durchaus verschwunden und hatte einem Ausdruck von Unruhe Platz gemacht. Es konnte kein Irrthum obwalten, Buvat beeilte sich so sehr, weil er Bathildens wegen in Besorgniß war, und Bathilde mußte also leidend seyn.

Der Chevalier folgte mit den Augen dem guten Schreiblehrer, bis er in seinem Hause verschwunden war. Harmental vermuthete, nicht ohne Grund, daß er sich in Bathildens Zimmer begeben würde und hoffte also endlich den Vorhang gehoben zu sehen. Er hatte sich aber geirrt, Buvat begnügte sich, den Vorhang nur ein klein wenig zu lüften um ein breites Antlitz an eine der Fensterscheiben zu legen, während er auf einer zweiten mit seinen Fingern trommelte. Auch war eine Erscheinung nur von kurzer Dauer, denn schon nach einem Augenblicke zog er sich rasch zurück, wie jemand, der gerufen wird.

Unser Chevalier glaubte jetzt, daß Buvat zum Essen gegangen say, und dies mahnte ihn, trotz seiner sentimentalen Stimmung, daran, daß er auch noch nichts zu sich genommen habe. Er beschloß daher, die Essenszeit seiner Nachbaren, während welcher er doch nicht hoffen konnte das Fenster geöffnet zu sehen, zu benutzen, um gleichfalls zu Mittag zu speisen. Er rief also den Aufwärter und gebot ihm, von dem Restaurateur ein leckeres Hühnchen und von dem Fruchthändler die köstlichsten Früchte herbeizuschaffen. Was den Wein betraf, so waren von der Sendung des Abbé Brigaud noch einige Flaschen vorräthig.

Harmental machte sich, während er speiste, gewissermaßen einen Vorwurf darüber, daß er, trotz der Ungewißheit, die ihn quälte, doch einen so guten gesunden Appetit hatte; zum Glück erinnerte er sich, irgendwo gelesen zu haben, daß die Traurigkeit hungrig mache, und dadurch beruhigt, verschmauste er das Hühnchen bis auf die Knochen.

Als er sein Mittagsmahl beendigt hatte, gewahrte er zwischen den Vorhang seines Fensters hindurch, denn er hatte denselben während des Essens gleichfalls heruntergelassen, das Gesicht Buvats, das sich eben an dem Fenster seiner kleinen Terrasse zeigte. Es war, wie schon gesagt, ein wunderschöner Tag und Harmental glaubte aus einer Bewegung des ehrlichen Schreiblehrers zu schließen, daß er jemand, ohne Zweifel Bathilde, auffordere, ihm auf die Terrasse zu folgen. Einen Augenblick lang hoffte Harmental endlich die Geliebte zu erschauen, und mit hochklopfendem Herzen sprang er rasch von seinem Sitze empor. Aber er hatte sich wieder geirrt; so schön auch der Abend war, so dringend auch Buvat seine Aufforderung zu wiederholen schien, alles blieb fruchtlos. Dies aber war nicht der Fall mit der kleinen niedlichen Mirza, die unaufgefordert hinaus sprang auf die Terrasse, und in ihrer Schnauze ein veilchenblaues Band gefaßt hielt, in welchem Harmental dasjenige wiedererkannte, das früher die Schlafmütze Buvats umwunden gehalten hatte. Der Letztere erkannte das Band gleichfalls; er sprang auf die Terrasse, jagte dem munteren Thierchen das Band wieder ab, strich es auf seinen Knieen glatt und kehrte alsdann damit in sein Zimmer zurück.

Den Augenblick hatte Harmental erwartet; er öffnete rasch das Fenster und als Mirza sich wieder aus der kleinen Grotte herauswagte, in die sie sich geflüchtet hatte, und listig umherlugte, rief der Chevalier das kleine Thier »Mirza! Mirza!« und zwar mit dem einschmeichelndsten Tone, den er nur hervorzubringen im Stande war. Mirza stutzte bei dem Schalle der ihr wohlbekannten Stimme und plötzlich richteten sich ihre Augen auf den Chevalier; auf den ersten Blick erkannte sie ihren freundlichen Zuckerspender; im nächsten Moment war sie von der Terrasse verschwunden und gleich darauf bemerkte Harmental, wie sie mit Blitzesschnelle über die Gasse sprang und hinter der Thür seines Hauses verschwand. Noch bevor Harmental sein Fenster schließen konnte, kratzte die kleine Mirza an seine Zimmerthür.

Man kann sich leicht denken, daß unser Chevalier das allerliebste Thierchen nicht lange warten ließ, welches mit freudigen Sprüngen und lautem Bellen auf ihn zueilte. Was Harmental betraf, so fühlte er sich eben so glücklich als ob er Bathilde selbst geschauet hätte. Mirza war etwas, das dem reizenden Mädchen angehörte, sie hatte das Thierchen so oft gestreichelt, geliebkost, ja vielleicht geküßt, das Köpfchen desselben hatte am Tage auf ihrem Schooße geruht, es war der Vertraute ihres Schmerzes, wie ihres Glückes; es war über dem ein sicherer, schneller und trefflicher Bote, und in dieser letzteren Eigenschaft war die kleine Mirza Harmental ganz besonders werth.

Der Chevalier reichte dem freundlichen Thiere einige Stückchen Zucker, dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und warf folgende Zeilen hin.

»Theure Bathilde!

Sie halten mich für sehr strafbar, nicht wahr? Aber Sie kennen die seltsamen Verhältnisse nicht, in denen ich mich befinde, und die mir bei Ihnen zur Entschuldigung dienen müssen. Wäre ich so unendlich glücklich, Sie auch nur auf einen Augenblick zu sprechen, so würde ich Ihnen so leicht begreiflich machen, welche zwei verschiedene Gestalten sich in mir vereinen: der junge Student in dem ärmlichen Dachstübchen – und der Chevalier bei den glänzenden Festen zu Sceaux. Oeffnen Sie mir daher Ihr Fenster, damit ich Sie sehen – oder Ihre Thür, damit ich Sie sprechen kann. Gestatten Sie mir, knieend von Ihnen Verzeihung zu erflehen. Ich bin überzeugt, daß Sie Mitleid mit mir haben werden, wenn Sie erfahren, wie unglücklich ich bin, vor allem aber wie unbeschreiblich ich Sie liebe.«

»Leben Sie wohl! – oder vielmehr auf baldiges Wiedersehen!

Raoul.«

Harmental legte behutsam das Billet zusammen und befestigte es unter Mirzas Halsband, dann reichte er dieser noch ein Stückchen Zucker, öffnete seine Thür und gab dem Thierchen zu verstehen, was er von ihm erwarte. Mirza war wie der Blitz die Treppe hinab, schnappte unterwegs nach den Waden des so eben von feinem Procurator heimkehrenden Herrn Bonifaz und verschwand als dann in der Thür gegenüber.

Einige Augenblicke lang blieb Harmental noch im Fenster stehen, aus Besorgniß, das Thierchen möchte hinaus auf die Terrasse zu Buvat eilen, und so das Briefchen in die unrechten Hände kommen; die kleine Mirza aber war weit entfernt, einen solchen Mißgriff zu begehen, denn da sie sich nach einigen Momenten am Fenster des oberen Stockwerks nicht zeigte, schloß Harmental mit Recht, daß sie in dem unteren geblieben say. Um die arme Bathilde nicht allzusehr zu bestürmen, schloß er jetzt ein Fenster, hoffend, daß ihm irgend ein Zeichen ihrerseits den Erfolg seiner schriftlichen Sendung verkünden würde.

Dem war aber nicht also; er hatte sich zum Dritten mal geirrt. Harmental wartete vergebens, den ganzen Abend und einen Theil der Nacht; um elf Uhr erlosch der schwache Lichtschimmer, der kaum bisher durch die hermetisch verschlossenen Doppelvorhänge hindurch geschimmert hatte; und so blieb dem armen Chevalier keine Hoffnung übrig, Bathilde von dem andern Tage zu erschauen.

Der folgende Tag aber brachte nur dasselbe Resultat. Es wurde drüben ein Vertheidigungssystem befolgt, welches jedem andern, weniger Verliebten, als Harmental, die Furcht vor einer Niederlage verkündet haben würde. Der Chevalier aber, welcher darin nur eine eisige Kälte gewahrte, verbrachte den ganzen Vormittag, indem er allerhand Projekte entwarf, eines noch thörichter als das andere. Das einzige, welches noch so ziemlich vernünftig war, war geradezu über die Straße zu schreiten, die vier Treppen zu Bathilden hinauf zu steigen, in ihr Zimmer zu treten, ihr Alles zu offenbaren und sein Herz vor ihr auszuschütten. Aber es schien ihm allzukühn, sich zu ihr zu wagen, ohne durch irgend ein Zeichen ermuthigt worden zu seyn, oder wenigstens für seinen Besuch einen passenden Vorwand zu haben. Ein solches dreistes Benehmen konnte das liebliche Mädchen verletzen, und sie war ohnehin schon erzürnt genug. besser also warten – und Harmental wartete.

Um zwei Uhr Nachmittags trat der Abbé Brigaud zu ihm ein und fand seinen Zögling in der furchtbarsten Laune. Der Eingetretene warf einen Seitenblick auf das noch immer geschlossene Fenster, und errieth Alles. Er nahm einen Stuhl, setzte sich Harmental gegenüber, und spielte, gleich seinem vis-à-vis, mit den Däumen.

»Mein lieber Zögling,« begann er nach einer kurzen Pause, »ich müßte mich sehr irren, oder Ihnen ist etwas sehr Schmerzliches begegnet.«

»Sie haben recht, Abbé, ich langweile mich,« versetzte der Chevalier unmuthig; »und zwar in einem solchen Grade, daß ich Lust habe, Ihre ganze Verschwörungsgeschichte zu allen Henkern zu wünschen.«

»Wie, und das jetzt, jetzt wollen Sie die Verschwörung aufgeben, jetzt, wo alles am Besten im Gange ist, was würden die Andern dazu sagen?«

»Ei was die Andern!« wiederholte der Chevalier verdrießlich; »die haben Zerstreuungen aller Art, die gehen auf Bälle, in die Oper und in Gesellschaften, während ich auf meinem Dachstübchen einsam und langweilig wegsitzen muß.«

»Aber Ihr Piano, Ihre Zeichenmaterialien?«

»Es langweilt, allein zu musizieren.«

»Ei so musizieren Sie doch mit Ihrer reizenden . Nachbarin, das würde Sie zerstreuen.«

»Kenne ich sie denn, meine Nachbarin? Oeffnet sie auch nur ihr Fenster? Seit gestern Morgen hat sie sich so zu sagen verbarrikadiert. Ja, meine Nachbarin, die ist allerdings sehr liebenswürdig.«

 

»Ei, Sie müssen ihre Bekanntschaft machen, müssen irgend einen Vorwand suchen.«

»Seit gestern schon mühe ich mich ab, einen solchen zu finden.«

»Und Sie haben ihn noch nicht gefunden? Mit Ihrer erfindungsreichen Phantasie? Ei mein lieber Zögling, ich erkenne Sie nicht wieder.«

»Ich muß Ihnen bekennen, mein lieber Abbé, mein Kopf ist heut wie vernagelt. Wissen Sie vielleicht einen solchen Vorwand, so kommen Sie mir zu Hilfe, und sprechen Sie.«

»Nichts leichter als das. Ich verpflichte mich Ihnen, Chevalier, die Wohnung Ihrer Nachbarin zu erschließen.«

»Auf passende, schickliche Weise, hoffe ich.«

»Ei, das versteht sich.«

»Ich erwürge Sie, Abbé, wenn Ihr Vorwand nichts taugt.«

»Unbesorgt! Erinnern Sie sich, wie in Sceaux die Rede davon war, daß ein zuverlässiger Schreiber gesucht werden müsse, um von den Proclamationen die nöthigen Abschriften zu fertigen. Erinnern Sie es sich auch, daß ich versicherte, dazu ein taugliches Subject zu kennen?«

»Ganz gewiß, nur weiter, weiter.«

»Der, den ich meinte, der durchaus sichre Mann ist – Bathildens Pflegevater.«

»Buvat?« fragte der Chevalier.

»Er selbst. Ich gebe Ihnen nun freie Hand, Sie sollen mein Bevollmächtigter werden. Sie steigen hinauf zu ihm. Sie zeigen ihm die Aussicht Rollen Goldes zu verdienen; seine Thür wird sich Ihnen weit erschließen, und Sie spielen und singen alsdann mit Bathilden, soviel Sie nur wollen.

»Ha, mein lieber Brigaud,« rief der Chevalier, indem er aufsprang und den Abbé umarmte, »Sie retten mir das Leben.« Und sofort griff er schon nach dem Hute und wollte zur Thür hinaus.

»Mein Gott, Chevalier, Sie fragen mich nicht einmal, wo der gute Mann die Originale zu seinen Copieen abholen soll?«

»Doch ohne Zweifel bei Ihnen?«

»Nicht doch; bei dem Prinzen von Listhnay, Rue du Bac No. 10.«

»Was für ein Prinz ist das?«

»Ein Prinz von unserer Fabrik. D’Avranche, der Kammerdiener der Herzogin von Maine.«

»Charmant, ich werde es nie vergessen! Auf Wiedersehen!«

Mit diesen Worten sprang Harmental die Treppe hinab und nach wenigen Augenblicken war er in dem Hause gegenüber verschwunden.

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