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Capitän Richard

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XIV.

Das Bekenntnis

Unter den zurückgebliebenen Verwundeten war der Capitän Paul Richard. Eine Kartätschenkugel hatte ihm den Oberschenkel zerschmettert und zugleich sein Pferd getödtet.



Mitten in der heillosen Verwirrung war er gefallen, ohne daß es sein Bruder bemerkte; aber eben so wie Paul sich von Minute zu Minute nach Ludwig umsah, suchten Ludwigs Blicke Paul.



Ludwig bemerkte, daß sein Bruder nicht mehr da war. Er erkundigte sich, ein Deutscher hatte ihn mit seinem Pferdefallen sehen.



Ludwig Richard war zu Fuß; er eilte zurück und rief Paul.



Eine Stimme antwortete ihm mitten in dem dichten Schneegestöber. Er ging der Stimme nach; es begann sich bereits eine Erhöhung zu bilden, Roß und Reiter waren mit Schnee bedeckt.



Paul lag mit einem Bein unter dem Pferde, und da er sich mit dem andern zerschmetterten Beine nicht helfen konnte, so erwartete er ruhig den Tod, als er plötzlich die Stimme seines Bruders hörte.



Ludwig hob mit unerhörter Anstrengung das todte Pferd auf und machte das Bein seines Bruders los. Dann zog er den Verwundeten an sich, nahm ihn in seine Arme wie ein Kind und versuchte ihn fortzutragen. Aber sein Bruder machte ihm begreiflich, daß es unmöglich sey, der Colonne in dieser Weise zu folgen.



Er lehnte den Verwundeten mit dem Rücken an das todte Pferd und eilte wieder zu seinen Cameraden



Paul zog seine Pistolen aus den Sattelholftern und machte sich bereit, die ersten beiden Kosaken, die sich ihm nähern würden, niederzuschießen.



Ludwig erreichte die Colonne, welche von der russischen Artillerie immer noch mit Kartätschen beschossen wurde, und mischte sieh unter die Reiter, deren noch etwa hundertfünfzig waren. Sobald einer getroffen wurde und die Zügel losließ, sprang Ludwig Richard, der darauf gewartet hatte, rasch herbei, ergriff die Zügel des nunmehr herrenlosen Pferdes, warf den Todten herunter, schwang sich in den Sattel und kehrte zum zweiten Male um.



Es schneite so stark, daß die Gefallenen schon ganz mit Schnee bedeckt waren. Ludwig hielt von Zeit zu Zeit an und rief; er hatte sich einen hohen Fichtenbaum gemerkt, um denselben als Wegweiser zu benutzen, aber die Schneeflocken bildeten vor seinen Augen ein so dichtes Netz, daß man auf zehn Schritte Entfernung nichts mehr unterscheiden konnte. Er rief so laut als er konnte. Zum zweiten Male antwortete ihm eine Stimme.



Er ritt der Stimme nach. Die russische Artillerie feuerte noch, aber das Elend war so entsetzlich, die Kälte so stark, daß man die Kartätschen gar nicht mehr beachtete. Wer auf der Stelle todt blieb, war am glücklichsten. Man fürchtete nur den Schnee, die Kälte und die Wölfe, die aus den Wäldern hervorkamen und die halbtodten Verwundeten fraßen.



Die beiden Brüder, die einander beständig zuriefen,fanden sich endlich wieder. Ludwig nahm Paul wieder auf den Arm und setzte ihn aufs Pferd.



Der Capitän ließ keine Klage laut werden; er fühlte vielleicht seine Wunde nicht, oder er wußte sich zu bezwingen.



Ludwig Richard nahm das Pferd am Zügel, Paul hielt sich am Sattelknopf, und so gings fort, der Colonne nach.



Wie in dem Feenmärchen die Kieselsteine armen Kindern den Weg zeigen, so war die Spur der Colonne etwa noch eine halbe Stunde an den zurückgebliebenen Todten, oder vielmehr an den mit Schnee bedeckten und vom Blut gerötheten Erhöhungen zu erkennen. Nach der ersten halben Stunde waren nur noch Blutspuren zu sehen; diese kamen von den Verwundeten, die noch Kraft genug hatten, der Colonne zu folgen. – Endlich verschwand auch das Blut unter der Schneedecke.



Man war nun außer dem Bereich der russischen Kanonen, und mußte auf’s Gerathewohl durch die Schneewüste ziehen. Nach zwei Stunden begann das Pferd, das seit Smolensk nichts gefressen hatte, bei jedem Schritte zu wanken. Dann sank es nieder. Ludwig trieb es mit Schlägen zwei- oder dreimal wieder an; aber am Ende halfen die Schläge nichts mehr, das erschöpfte Thier sank zum letzten Male nieder, um nicht wieder aufzustehen.



Paul Richard bat nun seinen Bruder inständig, ihn zu verlassen. Ludwig war nicht verwundet, er war in einen guten Mantel gehüllt und konnte auch noch den Bärenpelz seines Bruders nehmen; er konnte die Colonne bald einholen und sich mit ihr retten, vorausgesetzt, daß es ihr gelang aus dieser Schneewüste zu entkommen.



Aber Ludwig Richard zuckte die Achseln. »Bruder,« sagte er, »Du siehst wohl, daß der Marschall einen falschen Marsch macht: er will der Armee Kutusow’s Zeit zum Abmarsch lassen, dann kehrt er um, wendet sich gegen den Dnieper und vereinigt sich zu Lida oder Orscha mit der französischen Armee.«



Paul schüttelte nun ebenfalls den Kopf. »Wann wird die Colonne umkehren?« fragte er.



»In dieser Nacht oder spätestens morgen Früh,« antwortete Ludwig, der seiner Sache vollkommen gewiß zu seyn schien.



»Dann wollen wir einen Vertrag abschließen . . .«



»Was meinst Du?s



»Gibst Du mir dein Ehrenwort, daß Du ihn halten willst?«



»Rede.«



»Ich will deine Hilfe bis morgen Früh annehmen . . .« aber wenn der Tag anbricht und die Colonne nicht hier ist, mußt Du mich verlassen . . .«



»Das wird sich finden.«



»Morgen Früh, sobald der Tag anbricht, mußt Du mich verlassen!«



»Gut, ich will Dir den Willen thun,« antwortete Ludwig, um seinen Bruder zu beschwichtigen. »Es bleibt bei der Abrede.«



»Deine Hand!«



»Hier ist sie.«



»Bis morgen Früh kannst Du mit mir machen was Du willst.«



Ludwig Richard sah sich nach allen Seiten um. Das Corps des Prinzen Eugen hatte hier aller Wahrscheinlichkeit nach bivouaquirt; eine einzige Hütte stand noch in dieser Schneewüste. wahrscheinlich hatte der Vicekönig darin übernachtet.



Ludwig trug seinen Bruder in die Hütte, lehnte ihn an die Wand und entfernte sich wieder, um Holz zu holen.



Hier und da ragten einzelne Tannen, Gespenstern gleich, aus der öden Schneefläche hervor. Einige dieser Bäume waren von den Kanonenkugeln zersplittert. Ludwig sammelte einen tüchtigen Arm voll Holz und trug es in die Hütte. In einem Winkel fand sich etwas Stroh, das er aufraffte.



Paul Richard errieth seine Absicht und reichte ihm eine seiner Pistolen, um Feuer zu machen. Aber Ludwig rieth ihm, sie zu behalten: es war im äußersten Nothfall ein Schutzmittel gegen die Wölfe, die ihnen vielleicht einen Nachtbesuch machen würden, und gegen die Kosaken, die am folgenden Tage zu erwarten waren.



Er ging zu dem im Schnee liegenden Pferde, durchsuchte die Sattelhalfter und fand darin nicht nur ein Paar Pistolen, sondern auch einen Beutel mit Pulver und Kugeln. Er erschien ganz erfreut wieder in der Hütte. Der Verwundete sah ihn mit inniger Zärtlichkeit an. Um seinen Bruder zu beruhigen, stellte sich Ludwig heiter.



Er schüttelte den Schnee von den harzigen Aesten, schichtete diese mitten in der Hütte, den Rest in einem Winkel auf, schob alles Stroh, das er zusammenraffen konnte, unter das Holz, suchte in allen seinen Taschen, fand ein Stück Papier, wickelte in dasselbe eine Ladung Pulver, zog mit dem Kugelzieher den Schuß aus einer Pistole, hielt den Lauf an das in dem Papiere befindliche Pulver, drückte ab und entzündete das Pulver. Das Papier fing an zu brennen. Ludwig blies, und bald entzündete sich auch das Stroh mit den Tannenzweigen.



Fünf Minuten nachher stand der ganze Holzhaufen in hellen Flammen; man brauchte das Feuer nur zu unterhalten.:



»Was werden wir jetzt essen?« fragte Paul.



»Warte nur,« sagte Ludwig.



Er ging wieder zu dem gefallenen Pferde, um mit dem Dolche, den ihm sein Bruder gegeben und dessen er sich zu seiner Befreiung mit so gutem Erfolge bedient hatte, ein Stück Pferdefleisch abzuschneiden. Aber das arme Thier war noch nicht todt; es schien zu ahnen was ihm bevorstand, stand mit großer Anstrengung auf, schleppte sich in die Hütte und begann an den Tannenzweigen zu nagen.



Ludwig hatte nicht den Muth das Pferd zu tödten; Paul wollte es auch nicht zugeben, denn es konnte am andern Morgen nützliche Dienste leisten, wenn es wieder einige Kraft bekam. Ludwig ließ seinem Bruder eine Feldflasche, in der noch einige Tropfen Branntwein waren, und ging auf Entdeckungen aus.



Er fand einen kleinen Lärchenbaum, dessen Zweige nicht so bitter sind. wie die der Tanne, hieb den ganzen Baum ab und schleppte ihn zu der Hütte. Die dünnen Reiser wurden als Pferdefutter benützt, die Aeste und der Stamm bei Seite gelegt, um das Feuer zu unterhalten.



Die Nacht brach an.



»Was werden wir essen?« fragte Paul noch einmal.



»Warte nur,« erwiederte Ludwig, »ich habe meinen Plan.«



Plötzlich hörte man auf mehren Seiten die Wölfe heulen.



»Höre!« sagte Ludwig, »unser Abendessen kommt schon, wir brauchen es nicht zu holen.«



Bald zeigten sich dunkle Gegenstände auf der Schneefläche, und wer sie genauer betrachtete, konnte an jedem dieser bald still stehenden, bald sich bewegenden Schatten in der Dunkelheit ein paar glühende Augen bemerken.



»Ich weiß was Du meinst,« sagte Paul: »Du wirst den ersten erlegen, der in die Nähe der Hütte kommt.«



»Du hast Recht, Bruder.«



»Nimm meine Pistolen . . . es sind Pistolen von Versailles, sie sind besser als die deinigen.«



»Nein, die Kosaken sind vielleicht in der Nähe; sie würden den Schuß hören und hierher kommen.«



»Was willst Du denn thun?«



Ludwig hüllte seinen linken Arm in die Schabrake des Pferdes, welches sich, nachdem es die zarten Reiser des Lärchenbaumes abgefressen, in einem Winkel der Hütte niedergelegt hatte; dann nahm er den langen Dolch in die rechte Hand, ließ sich sein Schnupftuch um das Handgelenk binden und stellte sich an einen nahen Baum.



Er stand kaum fünf Minuten auf seinem Posten, so schlich ein Wolf, der ihn gewittert hatte, heran, blieb einige Schritte von ihm stehen und glotzte ihn mit seinen glühenden Augen an.

 



Ludwig Richard ging gerade auf ihn los. Der Wolf wich zurück, aber nur langsam, ohne zu fliehen und jeden Augenblick bereit, ihn anzufallen, sobald er einen Fehltritt machen würde.



Ludwig ging immer vorwärts, der Wolf wich immer zurück. Plötzlich sank der junge Offizier in den Schnee, den der leichte Fuß des Wolfes nicht eingedrückt hatte. Zugleich fühlte er eine schwere Last auf dem Kopfe und den Biß scharfer Zähne in der Schulter. Er hob instinctmäßig die mit dem Dolch bewaffnete Hand, und augenblicklich fühlte er warmes Blut über sein Gesicht stießen: er hatte dem Wolf den langen Dolch bis an den Griff in die Brust gestoßen.Der Wolf ließ ihn sogleich los und wollte fliehen, aber er hatte sich kaum zehn Schritte entfernt, so fiel er nieder.



Ludwig Richard war in einen mit Windeis bedeckten Bach gefallen und stand bis an die Knie im Wasser. Mit einiger Mühe gelang es ihm, die Böschung zu erklimmen. Er sah sich nach allen Seiten um: der Wolf rang zehn Schritte von ihm mit dem Tode. Er ging auf die wilde Bestie zu, faßte sie bei den Hinterfüßen und schleppte sie zur Hütte.



»Hier,« sagte er zu seinem harrenden Bruder, »hier ist ein Braten, wie ihn mehr als ein Prinz, wie ihn mehr als ein Marschall von Frankreich nicht zum Abendessen hat.«



»Aber Du bist ja ganz mit Blut bedeckt. . .«



»Es hat nichts zu bedeuten, es ist Wolfsblut.«



Es war auch etwas von seinem Blute dabei, aber er sagte nichts davon.



Er weidete den Wolf aus und zerlegte ihn; zum Glück waren die Wölfe seit dem Rückzuge der Armee sehr fett geworden.



Er zog eine Schicht Kohlen aus dem Feuer, legte das blutige Fleisch darauf und sagte frohlockend:



»Nun was sagst Du zu dem Braten?«



»Ich sage,« antwortete der Verwundete, »daß mir ein Glas Wasser lieber wäre.«



»Du sollst nach Wunsch bedient werden, Bruder,« sagte Ludwig.



Er machte aus dem Sattel des Pferdes einen Pistolenholfter los, warf einige bleierne Kugeln hinein, faßte sie beiden Riemen, ging nach dem Bach und schöpfte Wasser heraus.



Eine Schaar Wölfe verfolgte ihn; er wäre verloren gewesen, wenn er einen Fehltritt gemacht hätte. Der Rostbraten, dessen Duft sich weit verbreitete, hatte die Bestien herbeigelockt.



Ludwig kam glücklich wieder in die Hütte und reichte seinem Bruder den Labetrunk. Der Verwundete leerte den Pistolenholfter auf einen Zug, wie ein gewöhnliches Glas.



Ludwig ging noch einmal zu dem Bach, aber dieses Mal nahm er ein brennendes Stück Holz in die linke Hand; einige der heulenden Räuber waren ihm auf dem Rückwege so nahe gekommen, daß er diese Vorsicht anwenden zu müssen glaubte. Der Feuerbrand hielt sie in gehöriger Entfernung.



Wie das erste Mal kam Ludwig Richard unversehrt in die Hütte zurück. Die Wölfe waren nicht zu fürchten, solange das Feuer brannte, und Ludwig Richard hatte genug Holz aufgehäuft, um das Feuer bis zum andern Morgen zu unterhalten.



Nachdem der Sattelholfter wieder mit Wasser gefüllt und das Brennmaterial wieder herbeigeschafft war, legte er sich neben seinem Bruder nieder, und stach mit der Dolchspitze in den Wolfsbraten. Das Fleisch schien ihm weich genug, und er begann es mit demselben Appetit zu verschlingen, als ob es Beefsteak, in dem ersten Londoner Hotel bereitet, gewesen wäre.



Paul sah ihm mit traurigen Blicken zu.



»Willst Du nicht essen?« fragte ihn Ludwig.



»Nein,« antwortete er, »ich habe nur Durst.«



»So trink,« sagte der junge Offizier, und reichte ihm den Sattelholfter.



Der Verwundete nahm das Trinkgesäß und trank begierig einige Züge.



»Trink nur aus,« sagte sein Bruder; »die Quelle ist nicht weit von hier.«



»Nein, ich danke,« antwortete Paul; »ich habe überdies mit Dir zu reden.«



Ludwig sah seinen Bruder an.



»Ja, Bruder,« setzte der Verwundete hinzu, »und etwas Wichtiges . . .«



»So rede.« sagte Ludwig.



»Es ist möglich, Bruder, daß Du Dich in deiner Hoffnung, die Colonne morgen hier vorüberziehen zu sehen, getäuscht hast . . .«



»Sie kann nicht anders,« entgegnete Ludwig, »sie muß umkehren!«



»Aber angenommen, sie kehre nicht um . . .«



»Das ist ganz unmöglich,« erwiederte Ludwig.



»Aber ich halte es für möglich,« sagte Paul, »oder vielmehr . . . um Dir nicht geradezu zu widersprechen, ich will den Fall setzen. . .«



»Was willst Du damit sagen?« erwiederte Ludwig, der seinen Bruder besorgt ansah.



»Wenn die Colonne morgen Früh nicht zurück ist, so wirst Du sie aufsuchen?«



»Hm!« sagte Ludwig mit einer Miene, welche bedeutete: das weiß ich noch nicht.



»Es bleibt dabei, Bruder,« fuhr der Verwundete fort; »wir werden überdies morgen Früh darüber reden.«



»Gut.«



»Du hast mehr Hoffnung, Frankreich wieder zu sehen, als ich . . . ich will Dir daher ein Bekenntniß ablegen.«



»Ein Bekenntniß?«



»Ja . . .höre nur, Bruder,« Ich habe eine schlechte That auf dem Gewissen.«



»Du? das ist nicht möglich!«



»Aber es ist doch so. . . und ich will vor meinem Ende wenigstens . . .«



»Vor deinem Ende!« unterbrach ihn Ludwig.



»Nun ja, wenn ich sterben muß, will ich wenigstens mit ruhigem Gewissen scheiden . . . Du mußt mir versprechen, diese schlechte That wieder gut zu machen.«



»Rede, Bruder was ein Mann für den andern thun kann, werde ich thun.«



»Höre mich an, Bruder. Ja Deutschland lebt ein junges Mädchen, die Tochter eines protestantischen Geistlichen; er war Pastor in Abensberg . . . Du weißt, in dem Dorfe, wo auf den Kaiser geschossen wurde?«



»Ja, nur weiter.«



»Sie heißt Margarethe Blum. . . ich habe sie entehrt!«



»Du . . .«



»Ich habe es Dir gesagt, Bruder, es ist mehr als eine schlechte That, es ist ein Verbrechen . . . Ich weiß nicht wie es kommt, ich denke oft an sie; ich dachte an sie, als ich von der Kartätschenkugel getroffen wurde. Es ist eine Strafe des Himmels, dachte ich, als ich niedersank . . .«



»Bruder! . . .«



»Ich hätte Dich gern gerufen, um Dir mit wenigen Worten zu sagen, was ich Dir jetzt ausführlich erzähle; aber ich dachte, Du könntest deinen Untergang bei mir finden, und schwieg.«



»Aber ich vermißte Dich sogleich . . .«



»Und Du kehrtest um, lieber Bruder, um mir beizustehen . . . Ich danke Dir nicht, Ludwig; was Du für mich gethan hast, ich würde es auch für Dich gethan haben. Aber ich betrachtete deine Rückkehr als eine Gnade des Himmels, der mir vielleicht gestattet, mein Unrecht wieder gut zu machen. Dieses Mädchen, das ich, trunken von Pulverrauch und Zorn, entehrte, dessen Ohnmacht ich zur Befriedigung meiner ungestümen Leidenschaft benutzte, war verlobt! Denke Dir, mit wem? mit Friedrich Staps, der den Kaiser in Schönbrunn ermorden wollte!«



»Mit Staps!«



»Die Sache gleicht einem Roman. Höre nur weiter. Dieser Friedrich Staps hatte mich in einer Illuminatenversammlung gesehen. Ich habe nicht Zeit, Dir zu erzählen, wie er mich ersuchen ließ, ihn vor seiner Hinrichtung im Gefängniß zu besuchen. Ich begab mich zu ihm; er bat mich, ihn auf seinem Todesgange zu begleiten, und sobald er gefallen,ein Medallion von seiner Brust zu nehmen und ein Papier zu lesen, daß er in seine rechte Hand nehmen würde. Dieses Papier sollte ich dem Obersten übergeben, der in dem Kriegsgericht, welches Staps zum Tode verurtheilt, den Vorsitz geführt hatte. Ich versprach Alles: ich begleitete ihn zum Hinrichtungsplatz, er sank von sechs oder acht Kugeln getroffen zu Boden.«



»Und Du nahmst das Porträt?«



»Ja, ich nahm das Porträt und las den Zettel . . . das Porträt erkannte ich auf den ersten Blick, es war Margarethe Blum!«



»O, mein Gott!«



»Warte nur; auf dem Papier standen vier Worte: »Ich begnadige ihn. Napoleon.«



»Bruder! . . .«



»Es wird Dir jetzt Alles klar seyn: er wollte von der Begnadigung keinen Gebrauch machen. Was hätte sie ihm auch genützt? Seine Braut war von einem Elenden entehrt worden . . . und dieser Elende bin ich!«



»Paul! . . .«



»Ja, Bruder, ich bin’s,« wiederholte Paul. »Jetzt wirst Du mich verstehen. Wenn ich sterbe, bist Du mein Erbe. Wir haben jeder ein Vermögen von etwa zweihunderttausend Franken; ich sage also: Bruder, ich habe es nicht gewagt, das Mädchen wiederzusehen, aber Du wirst, wenn Du glücklich in die Heimat kommst, nach Deutschland reisen, nicht wahr?«



»Ja, Bruder.«



»Du wirst Margarethe Blum aufsuchen . . Merke Dir, ihr Vater war Pastor in Abensberg . . . Wenn Du sie gefunden hast, so sage ihr was geschehen ist, wie Gott mich gestraft hat . . . wie ich Dir in einer entlegenen Hütte unter dem Geheul der Wölfe und dem Hurrahruf der Kosaken dieses schmachvolle Abenteuer erzählt; wie Du mir versprochen, mein Unrecht wieder gut zu machen, so weit es nemlich wieder gut zu machen ist. Mit einem Worte: Du schenkst ihr mein ganzes Vermögen . . »Hier ist ihr Porträt, an welchem Du sie erkennen kannst.«



Er zog das Medaillon, das er, wie vormals Staps, an einer Haarkette auf der Brust trug.



Ludwig Richard wand sich die Haarkette um den Hals und erneuerte sein Versprechen, den Wunsch seines Bruders zu erfüllen.



»Jetzt schlafe, wenn Du kannst,« setzte er hinzu; »Du brauchst morgen deine Kräfte.



»Wie kann ich schlafen?« erwiederte der Verwundete.



»Versuch’s wenigstens . . . ich will’s auch versuchen.«



Ludwig stand auf und warf einen Arm voll Tannen- und Lärchenholz auf das beinahe erloschene Feuer. Dann ergriff er einen Feuerbrand und schleuderte ihn mitten unter die Wölfe, die durch den Geruch des Rostbratens herbeigelockt, aber durch das Feuer zurückgeschreckt, einen Halbkreis um die Hütte bildeten, während andere sogar bis an die Bretterwand gekommen waren.



Die durch den Feuerbrand erschreckten Wölfe liefen heulend davon.



Das Feuer brannte lichterloh. Ludwig Richard hüllte sich in seinen Mantel und legte sich in der Absicht, nicht einzuschlafen, neben seinem Bruder nieder. Aber nach einer Viertelstunde machte sich das in der Jugend so dringende Bedürfniß des Schlafes geltend; die ihn umgebenden Gegenstände wurden so undeutlich und verworren wie seine Gedanken Alles begann zu verschwimmen und bald sah und dachte er gar nichts mehr; – er schlief.



Als der Tag anbrach, wurde er durch den Druck einer Hand geweckt. Paul rüttelte ihn aus dem Schlafe.



»Bruder,« sagte der Verwundete, »ich habe Durst.«



Ludwig rieb sich die Augen, besann sich einige Augenblicke, nahm den Pistolenholfter, der ihm als Trinkgeschirr diente, und ging zur Quelle.



Kaum war er aus der Hütte getreten, so hörte er hinter sich einen Knall.



Er eilte, von einer trüben Ahnung ergriffen, in die Hütte zurück . . . Paul hatte sich erschossen!



Er hatte für sich keinen Ausweg, keine Rettung gesehen und wollte der Flucht seines Bruders wenigstens kein Hinderniß in den Weg legen.



Zweiter Theil

I.

Der Dniepr

Ludwig Richard hatte sich in seinen Vermuthungen nicht getäuscht: Ney hatte sich nordwärts gewendet, um den Russen zu entschlüpfen. Ohne die oben erzählten Vorgänge zu beachten, den Kopf abwendend, um die zum Tode Getroffenen nicht fallen zu sehen, die Ohren zuhaltend, um das Wehklagen der Verwundeten nicht zu hören, marschirte der Marschall gerade fort; er kümmern sich weniger um den Kartätschenhagel als um das Schneegestöber, welches ihm die Spuren entzog, an denen er den Weg hätte erkennen können.



Er marschirte drei Stunden, dann machte er Halt. – Man rastete in einem verlassenen Dorfe; alle Dörfer waren verödet, denn es waren schon zwei, vielleicht drei Armeen vorübergezogen. In den Häusern waren weder Thüren noch Fenster, Alles was zu verbrennen war, hatten die ersten Heerhaufen verbrannt.



Dort läßt er seine Feuer anzünden; aber vor Tagesanbruch und während die Feuer noch brennen, will er abmarschiren. Der Dniepr muß vor ihm fließen, aber vor ihm stehen die Russen; er will sich rechts nach Osten wenden und dann eine Schwenkung nach Süden machen; er wird dann den Fluß finden.



Gegen neun Uhr hört man Kanonendonner; ist es ein Armeecorps, das ihn auf Napoleons Befehl sucht? Nein, die Geschützsalven folgen zu regelmäßig, es müssen die Russen seyn, die ihre Triumphe im Lager feiern.



Ohne Fahrzeuge, ohne Brückenequipagen, muß der Marschall Ney mit den Trümmern seines Heeres aus der Landstraße fortmarschiren und diese Landstraße ist von 80,000 Mann gesperrt. Er kann ihnen also nicht entwischen. Die Geschützsalven verkünden die Gefangennahme Ney’s.



Der Marschall erklärt dies seinen Soldaten. – »Wir müssen die Russen zu Lügnern machen,« setzte er hinzu; »morgen vor Tagesanbruch marschiren wir und morgen vor Einbruch der Nacht werden wir uns mit der Armee vereinigen.«



Die Nacht war leidlicher als unter freiem Himmel, obgleich Fenster und Thüren zerschlagen waren; die verödete zerstörten Bauernhütten boten wenigstens ein Obdach.

 



Um vier Uhr Morgens erhielten die Schildwachen Befehl, die Feuer wieder anzuzünden. Um fünf Uhr wurden die Soldaten von den Offizieren geweckt; es war streng verboten, die Trommeln zu rühren oder die Trompeten zu blasen.



Es dauerte beinahe eine Stunde, ehe die armen abgehetzten Soldaten völlig erwachten und marschfertig wurden. Drei- bis vierhundert waren weder durch Bitten noch durch Drohungen zum Aufstehen zu bewegen.



Das kleine Heer marschirte auf dem gestrigen Wege ab, »und hielt sich nur etwas links. Nach drei Stunden blieben die vorausmarschierenden Soldaten stehen und schienen sich zu berathen. Der Marschall eilte herbei.



»Was gibt’s?« fragte er; »was beunruhigt Euch?«



Die Soldaten deuteten auf einen nicht mehr weit entfernten rothen Punkt, von welchem eine schwarze Rauchsäule aufstieg. – War’s nicht ein Kosakenvorposten?



Ein Soldat näherte sich dein Feuer, und kam mit der Nachricht zurück, die Hütte stehe ganz allein und werde wahrscheinlich von einem Mutschik bewohnt gewesen seyn; von Rossen oder Kosaken sey in der Umgegend keine Spur zu sehen.



Man marschirte gerade aus die Hütte zu. Als die ersten Soldaten der Colonne bis auf zwanzig Schritte nahe gekommen waren, sahen sie einen Mann mit einer Pistole in jeder Hand herauskommen.



»Qui vive!« er ihnen zu.



»Ein Franzose! ein Franzose!« riefen auf einmal fünfhundert Stimmen.



Der Mann ging wieder in die Hütte.



Diese Gleichgültigkeit wußte sich keiner zu erklären. Der Franzose mußte sich verirrt haben, wie konnte er seine Landsleute, seine Brüder so kalt empfangen.



Man ging weiter und trat in die Hütte; der Bewaffnete, der herausgetreten und sogleich wieder hinein gegangen war, kniete vor einem Todten.



»Der Capitän Ludwig Richard,« sagten einige Stimmen.



»Der Verwundete, der seinen Bruder rief,« sagte der Deutsche, der Paul Richard hatte fallen sehen.



Der Marschall Ney ging in die Hütte. – Ludwig Richard erkannte ihn.



»Herr Marschall.« sagte er, »Sie suchen den Dniepr, nicht wahr?«



»Ja,« antwortete Ney.



»Ich will Sie führen,« erwiederte der junge Offizier; »lassen Sie nur meinen Bruder begraben.«



»Eben so brave Soldaten,« sagte der Marschall, »sind ohne Begräbniß geblieben; es würde zu viel Zeit kosten, indem harten Boden ein Grab zu machen, und die Zeit ist kostbar.«



»Herr Marschall, ich habe diese Nacht gesehen, wie die Todten von den Wölfen gefressen wurden, und ich will nicht, daß mein Bruder eine Beute der Wölfe werde. Ich verspreche Ihnen, daß Sie die verlorene Zeit wieder einbringen werden.«



»Man erkundige sich,« sagte der Marschall, »ob noch Pioniere mit Hacken und Schaufeln da sind.«



Man fand vier bis fünf Mann, die ihre Werkzeuge noch hatten.



»Die Leute, die das Grab für meinen Bruder machen, sollen ein Bärenfell und meinen Mantel haben,« sagte Ludwig Richard.



Zwei Mann legten sogleich Hand ans Werk und machten eine Art Grab. Die Leiche des Capitän Paul Richard wurde hineingelegt und mit Erde bedeckt. Vier Mann schosssen in das Grab. – Seit dem Ausmarsch aus Moskau war diese Ehre nicht einmal einem General erwiesen worden.



»Jetzt vorwärts! sagte Ludwig Richard.



Er führte den Marschall zu der Schlucht, in die er während der Nacht gefallen war und die von dem Blute des erlegten Wolfes und von dem seinigen noch ganz roth war.



»Sehen Sie, Herr Marschall,« sagte der Capitän, indem er das nach Osten fließende Wasser zeigte, »dieser Bach fließt ohne allen Zweifel dem Dniepr zu; wenn wir seinem Laufe folgen, müssen wir an den Fluß kommen.«



Dies war so wahrscheinlich, daß Niemand etwas dagegen einzuwenden hatte. Die Colonne marschirte an der Schlucht hin. – Bald erreichten sie ein Dorf, das ganz verödet war, wie alle anderen. Hinter dem Dorfe ward der Fluß sichtbar.



»Jetzt,« sagte Ludwig Richard, »fragt es sich, ob der Fluß zugefroren ist.«



»Er wird zugefroren seyn,« antwortete Ney.



Man näherte sich in aller Stille dem Ufer. – War der Dniepr zugefroren oder nicht? das war eine Lebensfrage für zweitausend Mann.



Der Fluß war zugefroren. Bis dahin war er mit Treibeis bedeckt gewesen; aber die Eisschollen hatten sich an einer starken Krümmung des Flußbettes zusammen geschoben und waren vielleicht erst in der letzten Nacht fest gefroren. Ober- und unterhalb dieser Stelle sah man noch Treibeis.



»Jetzt kommt es darauf an, ob es trägt,« sagte der Marschall. »Wer will für die Rettung von zweitausend Franzosen das Leben wagen?«



Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so lief ein Offizier an das Ufer hinab und sprang auf das Eis.



Es war der Capitän Ludwig Richard. Der tiefe Schmerz über den Tod seines Bruders hatte ihn unempfindlich gegen alle Gefahr gemacht. Er würde sein Leben auf eine Karte gesetzt haben, er hielt es daher keineswegs für ein Verdienst,es für einen solchen Zweck aufs Spiel zu setzen.



Das ganze Truppencorps hatte die Augen auf ihn gerichtet, alle schauten ihm in athemloser Spannung nach. Er gab sich nicht einmal die Mühe, einen Umweg zu machen,um die sichersten Stellen zu wählen; aber trotz seiner Sorglosigkeit erreichte er glücklich das andere Ufer. Damit noch nicht zufrieden, betrat er wieder das Eis und kehrte wieder zu der Colonne zurück.



»Herr Marschall,« sagte er, »die Infanteristen können glücklich hinüber kommen, vorausgesetzt, daß sie vorsichtig und einer nach dem andern gehen. Vielleicht werden auch einige Pferde das andere Ufer erreichen, die übrigen aber müssen zurückgelassen werden. Vor Allem aber ist die größte Eile nothwendig, denn das Eis fängt an sich aufzulösen.«



Ney sah sich um: er hatte kaum tausend Mann bei sich; die aus abgematteten, verwundeten, kranken Soldaten bestehende, von Weibern und Kindern begleitete Colonne hatte sich ausgelöst, um Lebensmittel zu suchen.



»Ich bewillige drei Stunden Rast, damit sich die Nachzügler sammeln können,« sagte Ney.



»Gehen Sie hinüber, Herr Marschall,« sagte der General Ricard; »ich werde den Uebergang leiten.«



»Ich bleibe, bis der letzte Mann hinüber ist,« antwortete der Marschall. »Aber ich will diese drei Stunden schlafen, denn ich habe in der vorigen Nacht kein Auge zugethan. Man wecke mich, wenn es Zeit ist hinüberzugehen.«



Er hüllte sich in seinen Mantel, legte sich auf den Schnee und schlief ein, wie Cäsar, Hannibal oder Alexander geschlafen haben würden, denn er hatte das starke, eiserne Temperament, die unverwüstliche Gesundheit großer Kriegshelden.



Nach drei Stunden wurde er geweckt. Alle Soldaten, die sich eingefunden hatten, waren am Ufer; aber;es war nur noch zwei Stunden Tag, um vier Uhr wurde es Nacht.



Ludwig Richard ging zuerst über das Eis und erreichte das andere Ufer eben so glücklich wie das erste Mal; aber die Ersten, die ihm folgten, erklärten, daß sie das Eis unter sich schwanken fühlten. Etwas weiterhin riefen sie, das Eis breche und sie gingen bis an die Knie im Wasser; mehr brauchten sie nicht zu sagen, denn man hörte das Eis krachen.



»Es muß Einer nach dem Andern hinüber!« rief der Marschall.



Das Gefühl der Selbsterhaltung trieb sie an, zu gehorchen. Eine lange Reihe weit von einander entfernter Soldaten ging nun über das unter ihren Füßen schwankende Eis.



Die Ersten erreichten das andere Ufer. Aber dort fanden sie eine steile, mit Glatteis bedeckte Böschung, welche sie in den Fluß zurückzutreiben schien. Man war im Begriff Altrußland zu verlassen, und Altrußland schien die Lebenden zugleich mit den Todten behalten zu wollen.



Viele glitten an dem steilen Ufer aus, fielen auf das Eis zurück und verschwanden unter der starren, halbdurchsichtigen Decke.



Der langsame, gefährliche Uebergang über den Dniepr dauerte fünf Stunden. Gegen elf Uhr Abends kam die Reihe an die Kranken, Verwundeten, Weiber und Kinder, die bis dahin in Fuhrwerken fortgeschafft worden waren. Diese Unglücklichen wollten sich nicht trennen von den Wagen, in denen sich ihre ganze Habe befand und die als Fortschaffungsmittel ihre einzige Rettung waren.



Man hatte eine etwas haltbarere Stelle gefunden, wo einige Pferde hinübergegangen waren. Der Marschall gab die Erlaubniß, daß die Fuhrwerke an dieser Stelle ebenfalls den Uebergang versuchten.



Zwei oder drei Wagen machten den Versuch. Alles ging gut, bis etwa zwei Drittheile des Flusses überschritten waren. Das Eis begann nun zu wanken und zu krach

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