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V
Erste und letzte Liebe des Chevalier de la Graverie

Als Mathilde fünfzehn und Dieudonné siebzehn Jahre alt war, schien die bisherige Zärtlichkeit einer seltsamen Kälte Platz zu machen. Der junge Chevalier brachte kein Vergissmeinnicht mehr aus dem Garten und nach beendeter Menuett küsste er die Hand Mathildens nicht mehr, sondern beurlaubte sich mit einer leichten Verbeugung. Es wurden sogar die einsamen Gartenpromenaden eingestellt.

Ein aufmerksamer Beobachter würde freilich bemerkt haben, dass Mathilde oft einen welken Blumenstrauß zärtlich an die Lippen drückte und dann schnell wieder in ihr Korsett steckte; dass sie errötete, wenn sie ihrem himmelblauen Schäfer in der Menuett die Hand reichte, und dass Beide wie von einem elektrischen Fluidum durchzuckt schienen. Derselbe Beobachter würde bemerkt haben, dass sie zwar in verschiedenen Richtungen durch den Garten gingen, aber nach einer Weile an einem kleinen plätschernden Wasserfalle zusammentrafen.

An dem Tage, wo Dieudonné sein achtzehntes Jahr vollendete, erschien er in dem Zimmer seiner Tante, machte die drei Verbeugungen, die er einstudiert hatte für den Fall, dass er der Großherzogin Stephanie von Baden oder der Königin Louise von Preußen vorgestellt würde, und fragte mit wohlgesetzten Worten, wann er mit Mathilde von Florsheim den Ehebund schließen könne.

Die Stiftsdame wurde durch diese Frage in ungeheure Heiterkeit versetzt, welche sich am Ende in einen bedenklichen Keuchhusten auflöste. Während sie lachte und hustete, erwartete Dieudonné in der dritten Menuettposition die Antwort. Als endlich der Paroxysmus glücklich überstanden war, sagte sie, mit der Heirat habe es gar keine Eile, die jungen Leute könnten noch mindestens vier bis fünf Jahre warten, und wenn es Zeit sei, an eine Vermählung zu denken, würde sich der Bräutigam vielleicht eines Andern besonnen haben.

Dieudonné gab als wohlerzogener Neffe keine Antwort und entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung. Abends ereignete sich nichts Außerordentliches; als aber das Kammermädchen der Tante am andern Morgen in das Zimmer des jungen Chevalier trat, um ihm den Kaffee zu bringen, war das Zimmer leer und das Bett unberührt.

Die Zofe eilte ganz erschrocken zu ihrer Gebieterin, um die unglaubliche Nachricht zu melden.

Als sie der Stiftsdame zum dritten Male beteuerte, dass der Chevalier de la Graverie nicht in seinem Bett geschlafen habe, erschien das Fräulein von Florsheim bleich und zitternd und erzählt?, dass Mathilde in der Nacht verschwunden sei.

Die beiden unberührten Betten lieferten einen eben so klaren Beweis gegen die beiden jungen Leute, als ob man ihre Köpfe auf einem und demselben Kissen gesehen hätte.

Die Kunde von dieser Doppelflucht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und setzte die ganze Genossenschaft in Bestürzung. Am peinlichsten wurden natürlich die beiden Tanten berührt: sie weinten und beteten. Die übrigen Stiftsdamen spien Feuer und Flamme, ohne zu bedenken, dass die Stunde der Ernte gekommen war und dass sie ernteten was sie gesät hatten.

Endlich meinte eine von ihnen, Tränen und Geschrei könnten nichts nützen, man müsse die Flüchtlinge so schnell als möglich verfolgen.

Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Die Flüchtlinge waren zu unerfahren, als dass sie vielen Scharfsinn aufgeboten hätten, um ihre Spur zu verbergen. Die eilends ausgesandten Verfolger brachten wirklich schon am folgenden Tage die beiden verwirrten Schäflein zurück.

Aber dies war keine befriedigende Entwickelung und das Fräulein von Florsheim verlangte die Ausfüllung der Bresche, welche der Ehre ihres Hauses in der Person ihrer Nichte geschlagen worden war. Aber Mademoiselle de Beauterne weigerte sich unbedingt. Sie war in Frankreich noch sehr begütert und es genügte ihr keineswegs, dass der Erbe dieses Reichtums mit einer der berühmtesten bairischen Adelsfamilien verbunden wurde, sondern sie verlangte auch eine Mitgift, welche dieser Ehe einen solideren Wert verleihe. Da die Familie Florsheim diese Zumutung aus sehr triftigen Gründen zurückwies, so verlangte die alte Dame, dass die Sache im status quo bleibe und der Romanstreich mit dem Mantel der Liebe zugedeckt werde. Sie versichert, es sei nur eine Kinderei, zu welcher das Fräulein von Florsheim samt den übrigen Stiftsdamen die Veranlassung gegeben habe; Dieudonné sei zu fromm, zu wohlerzogen und insbesondere zu jung, als dass der kleine Abstecher, den er mit seinem Liebchen nach München gemacht, unangenehme Folgen haben könne.

Aber nach einigen Monaten sah Mademoiselle de Beauterne wohl ein, dass sie zu viel verbürgt hatte, als sie ihren Neffen als einen harmlosen blöden Schäfer hinstellt?. Die Sache nahm eine so bedenkliche Wendung, dass ihr Beichtvater auf dringendes Ersuchen des Fräuleins von Florsheim einschritt.

Durch die Vorstellungen des würdigen Mannes endlich überzeugt, gab Mademoiselle de Beauterne scheinbar bloß den Bitten und Tränen der jungen Leute nach, um sich neue Ansprüche auf den Dank derselben zu erwerben, und zur größten Freude der Stiftsdamen erhielt diese Liebe, welche sie als ihr Werk betrachteten, die Weihe der Kirche.

Die jungen Leute bezogen ein kleines Landhaus in der Nähe, und unter dem Patronat der Stiftsdamen, welche das Pärchen mit neugierigen, neidischen Argusaugen bewachten, schien der Honigmonat ewig zu dauern.

Der Tod des Fräuleins von Beauterne war die erste Wolke welche über ihr Glück dahinzog. Die gute Dame hinterließ ihrem Neffen ungefähr dreißigtausend Livres Renten, und wir müssen es ihm rühmend nachsagen, dass er sich weder durch dieses anständige Vermögen, noch durch die unaufhörliche Konjugation des Zeitwortes lieben abhalten ließ, das Andenken seiner zweiten Mutter durch aufrichtige Thränen zu ehren.

Dieudonné hatte das zwanzigste Jahr überschritten, ohne die Sanftmut, und Naivität seiner Kindheit verloren zu haben. Er umfasste noch immer die ganze Welt mit seinem Wohlwollen und Mitleid, welches freilich mit einer gewissen trüben, wehmütigen Stimmung gemischt war; vermutlich die Folge der Ereignisse, welche vor seiner Geburt stattgefunden hatten.

Er bot den sonderbaren Anblick eines Menschen, der weder Neigungen noch Wünsche hatte. Aus dem Katechismus hatte er die Leidenschaften dem Namen nach kennen gelernt, aber nach beendeten Schuljahren hatte er ihn vergessen. Er lebte ganz für Mathilde und fügte sich willig ihren Launen. Sie war etwas lebhafter als er, und trug gewiss den größeren Teil der Schuld an der Flucht. Die Launen der jungen Frau bewirkten indes nicht die mindeste Veränderung in dem ruhigen, harmlosen Leben, welches des goldenen Zeitalters würdig gewesen wäre; denn alle ihre Wünsche, die sich m dem engen Rahmen der Häuslichkeit bewegten, wurden ja immer erfüllt, sobald sie ausgesprochen waren.

Der Chevalier de la Graverie warf nie einen neugierigen Blick über die Mauer, welche sein irdisches Paradies umgab. Er fürchtete sich, ohne zu wissen warum, vor dem Leben und Treiben der Menschen; das Geräusch der Welt berührte ihn unangenehm, und um es nicht zu hören, hielt er sich am Tage die Ohren zu, zog er in der Nacht die Bettdecke über den Kopf.

Er kam daher ganz aus der Fassung, als er, durch den Tod seiner Tante noch erschüttert, einen Brief aus Paris von dem Baron de la Graverie erhielt.

Dieudonné hatte von diesem älteren Bruder nur bei Gelegenheit seiner Vermählung und durch Vermittlung seiner Tante gehört.

Wir haben gesagt, dass er sich die Ohren zuhielt, um das Weltgetümmel nicht zu hören. So war es gekommen, dass er das Getöse, mit welchem der Thron des großen Napoleon zum ersten Male umstürzte, kaum vernommen hatte; der zweite Sturz des Kaisers war ihm ganz unbekannt geblieben. Die französische Armee hatte sich durch ganz Deutschland zurückgezogen, die Heere Preußens, Österreichs und Russlands waren ihr nachgeeilt, der Menschenstrom hatte sich weit und breit ergossen, aber in seiner Einsamkeit hatte der Chevalier das Brausen der Wogen nicht gehört.

Der Baron de la Graverie meldete nun seinem jüngeren Bruder Alles was dieser nicht wusste, insbesondere, dass die Restauration die Fürsten des Hauses Bourbon nach Frankreich zurückgeführt habe, und forderte ihn auf, der Pflicht seines Standes gemäß nach Paris zu kommen und seinen Platz in der Nähe des Thrones einzunehmen.

Es versteht sich, dass sich Dieudonné anfangs entschieden weigerte, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er verwünschte Ludwig XI., nicht wegen der Hinrichtung des Herzogs von Nemours, nicht wegen der Ermordung des Grafen von Armagnac, nicht wegen der Treulosigkeit gegen seinen Vater, den unglücklichen Carl VII., sondern wegen der Erfindung der Post.

Wir wissen, dass Dieudonné ziemlich schlecht in der Wissenschaft bewandert war; er verwechselte die Fahrpost mit der Briefpost, aber im Grunde stammen beide aus der Zeit Ludwigs XI., die eine war die Folge der andern.

Er war so betroffen, dass er, als seine Gattin in die Tür trat, noch mit aufgehobenen Händen stand und seufzte: »Warum bin ich nicht auf Robinson Crusoes Insel geboren!«

Mathilde sah wohl ein. dass ihrem Gatten etwas sehr Trauriges begegnet sein müsse und sah ihn mit großer Besorgnis an.

Dieudonné reichte ihr den Brief etwa mit derselben Gebärde, mit welcher Talma, in der Rolle des Manlius, dem Servilius das Schreiben, welches den Verrat des Letzteren enthüllte, überreicht haben mag.

Sie las den Brief und schien den Schmerz ihres Gatten keineswegs zu teilen: die Reise nach Paris und der Aufenthalt in der Hauptstadt der Mode und Eleganz, von welcher die alten adeligen Klatschschwestern so viel in ihrer Gegenwart geplaudert, hatte durchaus nichts Abschreckendes für sie. Die Stiftsdamen, welche freilich nur den französischen Hof vor 1789 kannten, hatten sowohl diesen wie alle andern Höfe als die reizendsten Aufenthalte geschildert, und Mathildens angeborene Koketterie weckte in ihr den Wunsch zu glänzen. Sie wusste ihrem Gatten durch viele triftige Gründe zu beweisen, dass er den Weisungen des Familienhauptes Folge leisten müsse, und er ließ es sich leicht einreden, da er gewohnt war, alle ihre Aussprüche wie Orakel zu verehren.

 

Das junge Paar entschloss sich also, das hübsche, freundliche einsame Nest zu verlassen, und reiste im Juli 1814 nach Frankreich ab.

Schon auf der ersten Poststation begannen die Drangsale des Chevalier de la Graverie. Mathilde, die sich des Anblicks neuer Gegenstände freute und im Geiste mit den Pariser Herrlichkeiten beschäftigte, stimmte nun nicht mehr ein in das elegisch-zärtliche Duett, welches Dieudonné vom Morgen bis zum Abend sang.

Dieudonné’s bemerkte es bald, und sein erregbares Gemüt wurde schmerzlich dadurch berührt.

Er kam also in trüber Stimmung nach Paris, und nachdem er die Adresse seines Bruders, dessen Brief ihn seiner Ruhe so schonungslos entrissen, aufgesucht und gefunden hatte, begab er sich zu dem Baron, der als Aristokrat vom reinsten Wasser natürlich in der Vorstadt Saint-Germain wohnte.

Der Baron de la Graverie war beinahe neunzehn Jahre älter als sein Bruder; er war mitten im Monarchenthum, im Jahre des Regierungsantrittes Ludwigs XVI. geboren. Im Jahre 1784 hatte er die Adelsprobe von 1399 abgelegt und war Page geworden. Nach der Erstürmung der Bastille im Jahre 1789 war er mit seinem Oheim ins Ausland gegangen. Er hatte daher seinen Bruder nie gesehen und bei diesem Mangel an persönlicher Bekanntschaft war auch keine innige Zuneigung zu erwarten.

Zu dieser Gleichgültigkeit kam der Neid über die glücklichen Vermögensverhältnisse des Chevalier; denn der Baron de la Graverie war, wie sich später zeigen wird, keineswegs frei von Charakterschwächen. Er, der ruinierte, mit Sorgen kämpfende Royalist, konnte es seinem jüngeren Bruder nicht verzeihen, dass er das ganze Vermögen der Tante geerbt hatte; ein Vermögen, auf welches er als der ältere Bruder nähere Ansprüche zu haben glaube.

Wie hatte der Chevalier dieses Vermögen erworben? Dadurch, dass er einer Gesellschaft alter Stiftsdamen den Hof gemacht hatte!

Wenn der jüngere Bruder, wie es seine Schuldigkeit war, Malteserritter geworden wäre, so würde ihm der Baron diese Erbschleicherei – wie er es nannte – vielleicht verziehen haben. Aber Dieudonné hatte sich vermählt, und der Baron fand ganz unbegreiflich, dass ein jüngerer Sohn. d. i. ein ganz neutrales, unberechtigtes Wesen, die unerhörte Kühnheit haben könne, eine Frau zu nehmen; denn er entzog dadurch den möglicherweise zu erwartenden Söhnen des altern Bruders ein Vermögen, welches, nachdem es dem Vater entzogen worden, wenigstens den Kindern hätte zufallen können.

Der Baron machte den Chevalier daher schon bei der ersten Unterredung mit seinen Ansichten über diesen Punkt bekannt und setzte mit staunenswerter Dreistigkeit hinzu, er hoffe, der Himmel, welcher der jungen Frau schon einmal die Mutterfreuden versagt, werde den Ehegatten auch ferner keine Nachkommenschaft schenken, damit die ältere Linie in Besitz des ihr gebührenden Nachlasses der Stiftsdame komme.

Diese Worte erbitterten Mathilde, die ihren Gemahl zu dem Baron begleitet hatte, und erpressten dem armen Dieudonné einige heiße Tränen. Er fühlte, dass er gewiss ein zärtlicher Vater werden würde, und beweinte die von dem Baron prophezeite Vereitelung seiner Vaterhoffnungen. Er sah abwechselnd seine Gemahlin und seinen Bruder an und schien diesen zu fragen, wie er ihm seine Vermutung mit der hübschen, liebenswürdigen, zärtlichen Mathilde zum Vorwurf machen könne. Waren denn die von seiner Liebe verdoppelten, verdreifachten Reize der jungen Frau keine genügende Rechtfertigung? Oder hatte der Baron, wie Alcest, dem schönen Geschlecht ewigen Hass geschworen?

Allein bei reifer Überlegung bedachte er doch, dass er in Frankreich geblieben war und weder die Strapazen des Krieges noch die Drangsale der Auswanderung kennen gelernt hatte; er war reich, sein Bruder hingegen hatte aus der Fremde nur seinen Degen und seine Epauletten zurückgebracht. Er schwankte einen Augenblick und fragte sich, ob er durch die Annahme des Vermächtnisses der Tante Beauterne seinem Bruder nicht Unrecht getan habe.

Ohne die Sache weiter in Erwägung zu ziehen und ohne die Winke Mathildens zu beachten, entschuldigte er sich wegen eines Versehens, dessen Folgen er erst jetzt einsehe, bot dem Baron die Hälfte des von der Stiftsdame hinterlassenen Vermögens an und erbot sich, die Schenkungsurkunde noch denselben Tag zu unterzeichnen.

Der Baron willigte ein, ohne sich lange bitten zu lassen.

VI
Der Chevalier de la Graverie unter den grauen Musketieren

Wie herzlos auch der Baron war, so schien er doch gerührt durch das Zartgefühl seines Bruders, und als die von dem Notar des Barons erfasste Schenkungsurkunde von dem Chevalier unterzeichnet war, umarmte der ältere Bruder den jüngeren mit einer Herzlichkeit, in welcher er fast seine Würde als Oberhaupt der Familie vergaß. Der Chevalier zerfloss in Thronen; er war gewiss dankbarer für diese einfache brüderliche Demonstration, als der Baron für die Rente von fünfzehntausend Livres, die ihm so unerwartet zufiel und die mit dem was er schon besaß, sein Gesamteinkommen genau auf fünfzehntausend Francs brachten.

Nach der brüderlichen Umarmung erklärte der Baron, er werde Dieudonné künftig wie seinen eigenen Sohn lieben und für seine Anstellung bei Hofe sorgen.

Um ihm einen unleugbaren Beweis seiner väterlichen Fürsorge zu geben, bat er für ihn um eine Stelle unter den sogenannten »grauen Musketieren« und in der Meinung, ihm eine höchst angenehme Überraschung zu bereiten, sagte er ihm kein Wort von seinen Bemühungen.

Eines Abends als sich Dieudonné zu Tische setzte, fand er unter seiner Serviette den vom Könige Ludwig unterzeichneten Bestallungsbrief, der ihn zum Mitglied des bevorzugten und in hohem Ansehen stehenden Corps ernannte.

Es war in der Tat eine große Ehre; die jungen Edelleute aus den ersten Familien Frankreichs bewarben sich um den Eintritt in die sogenannte Maison-Rouge. Denn sowohl die »schwarzen« als die »grauen Musketiere« hatten rote Uniform und führten ihren Namen nach der Farbe ihrer Pferde. Überdies stand jeder Musketier im Rang eines Lieutenants.

Aber wie groß auch diese Ehre war, so müssen wir doch gestehen, dass der Chevalier de la Graverie seit dem Empfange des Briefes, der ihn seiner süßen Ruhe entrissen, keine peinlichere Erschütterung empfunden hatte, als die, welche ihm der Anblick des Pergaments verursachte. Er verlor fast das Bewusstsein, und der kalte Schweiß rann ihm von der Stirn.

Als er einigermaßen wieder zur Besinnung gekommen war, wies er diese Ehre mit einer Entschiedenheit zurück, die man von seinem gutmütigen, Lenksamen Temperament nicht erwartet hätte. Er weigerte sich aus vielen Gründen, unter denen der triftigste war, dass er, im Gegensatz zu seinem berühmten Vorgänger d'Artagnan, nicht die mindeste Freude am Soldatenleben fand.

Der Baron de la Graverie erfuhr diese Weigerung durch einen Brief, den der Chevalier in der ersten Aufwallung schrieb.

Er geriet darüber in gewaltigen Zorn: diese Weigerung: des Chevaliers kompromittierte ihn im höchsten Grade; er hatte seinen ganzen Einfluss geltend gemacht, um die Unterschrift des Königs zu erlangen, und die Erklärung, dass ein La Graverie nicht fähig sei, einen militärischen Posten zu bekleiden, musste ihn, den Baron, dem Gespött des Hofes preisgeben.

Er antwortete daher seinem Bruder, er müsse die rote Uniform anziehen, auf seinen Willen komme es dabei gar nicht an, und dem Könige schrieb er, sein Bruder sei für die ihm erwiesene Gnade so von Dankbarkeit durchdrungen, dass er nicht wisse, wie er dieselbe zu erkennen geben solle, und daher ihn, den Baron, beauftragt habe, Sr. Majestät die Gefühle seines von Dank überwallenden Herzens auszudrücken.

Der arme Dieudonné konnte nun nicht mehr zurücktreten; der Baron hatte ja in seinem Namen geantwortet und gedankt.

Der Chevalier hatte eine tiefe Ehrfurcht vor der Familienhierarchie. Der Baron, als das Haupt der Familie, hatte, alle Mühen und Sorgen des Lebens auf sich genommen und ihm nur die Freuden und Genüsse gelassen: ja ungeachtet der keinen Augenblick bereuten Abtretung der Hälfte seines Erbteils fragte er sich zuweilen, ob es nicht unrecht sei, dass er seinem älteren Bruder die andere Hälfte vorenthielt.

Die Vorwürfe des Undanks, die ihm der Baron von Zeit zu Zeit persönlich machte, machten daher einen so tiefen Eindruck auf ihn, dass er nichts zu Antworten wusste und stumm blieb.

Mathilde sah ihren Schwager mit einem bittenden Blicke an; denn die Verlegenheit ihres armen Gatten that ihr weh. Sie hatte noch nicht Zeit gehabt, ihr naives, unbefangenes Deutsches Gemüt in der Berührung mit der französischen Gesellschaft abzustreifen: sie betrachtete Dieudonné als den Antinous des achtzehnten Jahrhunderts, und zweifelte nicht, dass die schöne Musketieruniform manche an ihm vermutete Vorzüge hervorheben werde; sie hatte sich also aus ehelicher Koketterie entschlossen, die Bemühungen ihres Schwagers zu unterstützen.

Dies war im Grunde nicht mehr notwendig: der Baron hatte ja im Namen seines Bruders geantwortet, und gedankt. Dieudonné konnte nicht mehr zurücktreten, er war grauer Musketier vom Kopf bis zu den Füßen und stand von nun an unter dem Befehl des Marschalls Marmont, Herzogs von Ragusa und Oberbefehlshabers sämtlicher Leibgarde des Königs.

So legte denn der unglückliche Chevalier acht Tage später die Uniform mit der stillen, frommen Ergebung eines Pudels an, den man in einen Troubadour verkleidet, um ihn auf dem Seil tanzen zu lassen.

Die Uniform war prächtig: roter Frack, Beinkleider von weißem Casimir, hohe Reiterstiefel, Helm mit flatterndem Rossschweif, Panzer mit Kreuz und goldener Sonne. Aber der arme Dieudonné fühlte sich sehr unbehaglich in dieser prächtigen Uniform. Er hatte seine ungebührlich hohe Meinung von sich selbst, und fand sich linkisch und lächerlich in dem Panzer. Er war klein und beleibt, und sein rötliches bartloses Gesicht würde sich in dem Gewand eines Chorknaben recht hübsch ausgenommen haben, war aber in der Uniform höchst lächerlich.

In Zivilkleidern war der Chevalier indes eben nicht hässlicher, als die meisten andern Männer, und die Redensart: er ist nicht übel, mit welcher man bei gewissen Personen männlichen Geschlechts den Mangel an Grazie zu bemänteln sucht, konnte auf den Chevalier eben so gut, ja noch besser als auf manchen Andern eine Anwendung finden.

Aber die Uniform machte diese Mängel sehr bemerkbar. War er zu Fuß, so schienen die hohen Stiefel ans seinem Bauch hervorzukommen, wie der Stiel aus einem Fangbecher, und Mancher, der ihn vorübergehen sah, fragte seinen Nachbar, »Können Sie mir sagen, wer der Rossschweif ist, der da vorbeigeht?«

Doch dies war noch die leidliche Seite der Situation. Um sich einen Begriff von den Qualen zu machen, die der Mensch erdulden kann, ohne zu sterben, musste man den Chevalier de la Graverie zu Pferde sehen.

Wenn er im Alter von zehn Jahren oben auf einer Treppe gewesen war, so pflegte er seine Tante zu rufen, um sich hinunterführen zu lassen. Wenn er als fünfzehnjähriger Knabe dann und wann den Esel des Gärtners bestieg, so ging eine seiner Gönnerinnen voran und eine andere hinterher, damit der Esel, wenn es ihm etwa einfallen sollte durchzugehen, sowohl beim Zügel als beim Schweif gehalten werden konnte.

Wie fleißig daher der Chevalier die Reitschule besuchte und wie beharrlich er die Theorie studierte, so war es ihm doch unmöglich, seine zugleich runden und steifen Gliedmaßen mit den Bewegungen des Pferdes in Einklang zu bringen.

Der Chevalier hatte ein recht lammfrommes Pferd verlangt, aber sein Bruder wählte für ihn ein fehlerfreies, aber feuriges Schlachtross. Dieudonné hatte es so klein als möglich gewünscht, aber die Pferde sämtlicher Garden mussten eine bestimmte Größe haben, unter welcher keines zugelassen wurde. Der Chevalier, der schon den Schwindel bekam, wenn er von einer unbeweglichen Treppe hinunter sah, verlor fast die Besinnung, wenn er ein kräftiges, mutiges Pferd ritt.

Es war in der Tat ein Wunder, dass er auf seinem Bayard – diesen Namen hatte der Baron dem Pferde zur Erinnerung an das Ross der vier Haimonskinder gegeben – das Gleichgewicht behielt; denn er thronte im Sattel etwa mit derselben Grazie und Solidität, wie ein Mehlsack auf dem Rücken eines Maulesels. In schwierigen Fällen leisteten ihm seine rechts und links reitenden Kameraden gute Dienste. Denn zum Glück für ihn wurden Letztere durch seine Sanftmut und Anspruchslosigkeit gerührt, und sie schämten sich, ein so harmloses Wesen zur Zielscheibe ihres Spottes zu machen.

 

Dieudonné würde gern seinen Abschied genommen haben. um diesen Drangsalen ein Ende zu machen, wenn er nicht gefürchtet hätte, seiner Frau einen Kummer zu machen und mit seinem älteren Bruder in offene Fehde zu kommen.

Vor Allem fürchtete er den Tag, wo ihn die Reihe treffen würde, den Wagen des Könige zu eskortieren. Man ritt dann nicht in Reihe und Glied, sondern galoppierte einzeln und ohne strenge Ordnung, Der König, der sehr regelmäßig lebte, fuhr täglich zu einer bestimmten Stunde aus, Ludwig XVIII. tat heute genau dasselbe was er gestern getan hatte. Von seinem Einzuge in Paris am 3. Mai 1814 bis zu seinem Tode, 16. September 1824, war die Einteilung seiner Zeit folgende: Um sieben Uhr Morgens stand er auf, empfing den Oberkammerherrn oder Herrn von Blacas um acht Uhr; seine Geschäfte erledigte er von neun bis zehn Uhr, dann frühstückte er in Gesellschaft der diensttuenden Kavaliere und anderer Personen, welche ein für allemal Zutritt bei ihm hatten, nämlich mit den Großwürdenträgern und den Kapitänen der Gardekompanien.

Nach dem Frühstück, welches in der ersten Zeit nur fünfundzwanzig Minuten dauerte, aber sich mit der Zeit bis auf drei Viertelstunden ausdehnte, ging man in das Kabinett des Königs, wo fünf Minuten vor elf, nie früher oder später, die Konversation begann. Nachdem sich die immer mit zwei Damen anwesende Herzogin von Angouleme entfernt hatte, pflegte der König zur Erheiterung der Zuhörer ein lustiges, auch wohl etwas schlüpfriges Geschichtchen zu erzählen. Zehn Minuten nach elf Uhr entließ er die Anwesenden, um bis zwölf Uhr die Privataudienzen zu erteilen.

Um zwölf Uhr hörte er mit seinem aus mindestens zwanzig Personen bestehenden Gefolge die Messe. Nach seiner Rückkehr in die Appartements empfing er seine Minister oder führte den Vorsitz im Staatsrate, der sich einmal wöchentlich versammelte. Dann las er ein paar Stunden oder zeichnete Häuserpläne, die er nachher ins Feuer warf.

Um drei oder vier Uhr, je nach der Jahreszeit, fuhr er in einer großen Kutsche spazieren und zwar so schnell, dass er oft fünf, sechs, ja zehn Lieues zurücklegte. Zehn Minuten vor sechs traf er wieder in den Tuilerien ein. Um sechs Uhr speiste er en famille er ah mit gutem Appetit, aber nur von gewählten Speisen.

Die königliche Familie blieb bis acht Uhr beisammen: dann fanden sich alle Personen ein, die Zutritt bei Hofe hatten. Um neun Uhr begab sich Ludwig XVIII. in den Sitzungssaal, wo er das Losungswort für die Schlosswache gab. Den zwanzig Minuten dauernden Aufenthalt des Königs im Saale benutzten einige Personen, um ihre Aufwartung zu machen. Dann begab sich der König in sein Zimmer, las im Horaz Virgil oder Racine und ging um elf Uhr zu Bett.

Mitten unter dieser langen Reihe von »kleinen Pflichten,« die sich der König aufgebürdet hatte und die er pünktlich und gewissenhaft erfüllte, hatte nur ein einziger Paragraph ein Interesse für den Chevalier de la Graverie. Dieser Paragraph lautete:

»Se. Majestät bringt täglich das Wetter sei gut oder schlecht, von drei Uhr bis drei Viertel auf sechs im Freien zu.«

Die Leibgarde lieferten die Eskorte für die Spazierfahrten, die Musketiere so gut wie die andern. Aber da die Garden sehr zahlreich waren, so kam jeder nur einmal monatlich an die Reihe.

Der Zufall wollte, dass der Chevalier erst fünfundzwanzig Tage nach seinem Eintritt zur Eskorte beordert wurde. Es war ein verhängnisvoller Tag. Mathilde und der Baron waren sehr erfreut: sie hofften Beide, Dieudonné weide vom König bemerkt werden. Der Nebelstern konnte ja bei dem mindesten Schimmer ein Stern erster Größe werden. Leider war das künftige Gestirn hinter einer düsteren Wolke – der Furcht versteckt!

Die Stunde schlug, die Eskorte wartete zu Pferde im Hof. Der König kam herunter, und kaum war er eingestiegen, so setzte sich der Zug wie gewöhnlich in Galopp.

Wer den Chevalier gesehen hätte, würde Mitleid mit ihm gehabt haben. Er war außer Stande, sein Pferd zu lenken. Zum Glück war das Pferd so gut dressiert, dass es den Reiter lenkte. Das kluge Tier schien die Verlegenheit des Chevaliers zu begreifen und nahm von selbst seinen Platz in der Eskorte ein.

Zu dem Sattelknopf konnte der arme Dieudonné seine Zuflucht nicht nehmen, denn die eine Hand hielt den Zügel, die andere den Säbel er sah sich in der größten Gefahr zu stürzen, und um sich im Sturz nicht aufzuspießen, hielt er den Säbel von der eigenen teuren Person so weit als möglich entfernt.

Die Spazierfahrt wurde sehr weit ausgedehnt. Der König machte die Runde um die halbe Stadt Paris, Ein guter Reiter wäre sehr müde geworden, der Chevalier de la Graverie war wie gerädert, und ungeachtet der Winterkälte triefte er von Schweiß, als ob er in die Seine gefallen wäre.

Er überließ seinem Reitknecht das Pferd, und anstatt,wie gewöhnlich, mit seinen Cameraden in den Tuilerien zu speisen, warf er sich in einen Fiaker und fuhr nach Hause.

Mathilde erschrak, als sie ihn erblickte; er schien um zehn Jahre älter geworden zu sein.

Der Chevalier ließ sein Bett mit Zucker räuchern, begab sich zur Ruhe und stand erst nach drei Tagen wieder auf. Noch vierzehn Tage später klagte er über Schmerzen im ganzen Körper.

Ach! wie sehnte er sich zurück nach dem stillen, gemütlichen Leben in der kleinen baierrschen Villa, an das trauliche Tändeln und Kosen, an die sentimentalen Spaziergänge, wo das Schweigen der beiden jungen Gatten eben so beredt war wie das zärtlichste Geplauder, so innig waren ihre Seelen verschmolzen! Dieses Glück war nun dahin, es lebte nur noch in seiner wehmütigen Erinnerung.

Das Schlimmste dabei war, dass Mathilde durch diese leidigen Hüft- und Kreuzschmerzen zu Vergleichen bewogen wurde, die dem armen Dieudonné keineswegs günstig waren: wie hätte sie ihn fortan für den vollkommenen Mann halten können?

Es ist ein gefährlicher Moment für die Liebe, für die eheliche Treue, wenn das bisher zärtliche Weib zu ahnen beginnt, dass der Mann, den sie als ihr Idol zu betrachten gewohnt war, nicht für sie geschaffen sei. Ein zur gesetzlichen Münze gewordener Mann hat nur noch Zwangskurs.

Damit soll nicht gesagt sein, dass Mathilde von dem Tage an, wo sie diese unglückliche Entdeckung machte, aufgehört hätte, ihren Gatten zu lieben; im Gegenteil, die Pflege, welche sie ihm während seiner Unpässlichkeit angedeihen ließ, war nichts im Vergleich mit der Zärtlichkeit, die sie vor den Leuten an den Tag legte; einige scheinspröde Damen fanden diese Zärtlichkeit der jungen Deutschen sogar unanständig. Aber wir müssen zur Steuer der Wahrheit gestehen, dass Mathilde zu Hause fast nur noch den Mund auftat, um zu gähnen, und dass ihre Pflichten und Verbindlichkeiten gegen die Gesellschaft mit jedem Tage ungemein zunahmen.

Der Chevalier de la Graverie ahnte natürlich nicht, dass er nicht mehr der glücklichste Mann auf Erden war; er würde es gewiss gewesen sein, wenn er nicht Musketier gewesen wäre. Zumal die jeden Monat wiederkehrende Eskorte, die wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt hing, verbitterte seine süßesten Stunden.

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